30 ZOOM Ein Gespräch mit Kohlkombinat-Gründer Armin Salzmann über versteckte Armut in Augsburg Die im Dunkeln sieht man nicht H Immer mehr Menschen in der Region Augsburg leben in prekären finanziellen Verhältnissen. Doch die Scham der Betroffenen ist oft so groß, dass das Ausmaß der Armutsproblematik weitgehend im Verborgenen bleibt. Einer, der trotzdem nicht wegschauen will, ist Landwirt Armin Salzmann vom Kohlkombinat Augsburg, das mit seinen Gemüsekisten auch bedürftige Haushalte unterstützt. Von Lina Frijus-Plessen Foto: Medienzunft Berlin
ZOOM 31 Hohe Mietpreise, Energiekrise, Inflation … vielen Augsburger:innen geht der Anstieg der Lebenshaltungskosten in letzter Zeit spürbar ans Portemonnaie. Damit setzt sich ein besorgniserregender Trend fort. Bereits seit vielen Jahren gilt Augsburg als ärmste Stadt Bayerns. Laut einer Erhebung des Landesamts für Statistik aus dem Jahr 2020 liegt das monatliche verfügbare Einkommen hier im Durchschnitt bei 1.764 Euro – in keiner anderen Kommune im Freistaat müssen die Menschen mit weniger Geld auskommen. Wie die Ergebnisse des Paritätischen Armutsberichts 2022 zeigen, leben in der Region Augsburg ganze 15,7 Prozent der Bürger:innen unterhalb der Armutsgrenze. Dazu werden all jene Menschen gezählt, deren gesamtes Nettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens in ihrer Region beträgt. Personen, die wohnungslos sind, in Gemeinschaftsunterkünften oder Pflegeeinrichtungen leben, werden in diese Berechnung nicht einbezogen. Die Dunkelziffer der von Armut betroffenen Menschen dürfte also noch höher ausfallen. Sicher ist allerdings: Seit 2018 steigt die Armutsquote im Raum Augsburg immer weiter an. Das bedeutet, dass sich eine wachsende Anzahl von Augsburger:innen selbst lebensnotwendige Ausgaben – wie Wohnkosten, Kleidung oder Essen – kaum noch leisten kann. Dieses Problem treibt auch Bio-Landwirt Armin Salzmann um, der vor vier Jahren die solidarische Landwirtschaft Kohlkombinat Augsburg mitgegründet hat. Basierend auf einem Abo-Modell liefert er gemeinsam mit anderen lokalen Landwirten und Gärtnereien einen Teil seines Gemüses in einer wöchentlichen Erntekiste an die Mitglieder aus – für einen monatlichen Beitrag von 50 Euro. Für Rentner:innen, Alleinerziehende und Studierende besteht schon seit jeher die Möglichkeit, die Erntekisten zum halben Preis zu beziehen. Doch es scheint, als könnten sich viele auch das nicht (mehr) leisten. Regelmäßig erfährt Armin von Menschen, deren spärliches Einkommen für eine ausgewogene Ernährung mit frischem Obst und Gemüse schlicht nicht ausreicht. Wir besuchen Armin in seiner Gärtnerei im Bärenkeller. Die Sonne strahlt und es liegt schon eine Vorahnung von Frühling in der Luft – bestes Erntewetter also. Armin kommt gerade vom Feld, dort wird heute Rosenkohl abgeerntet. In den Gewächshäusern sprießt der Feldsalat. Beides wird tags darauf in der dieswöchigen Kohlkombinat- Kiste landen, die aktuell von 300 Augsburger Haushalten bezogen wird – auch solchen, die nicht nur beim Lebensmittelkauf jeden Euro zweimal umdrehen müssen. Armin liest eine Auswahl von Nachrichten vor, die ihn im Laufe des letzten halben Jahres erreicht haben. Sie stammen von Mitgliedern des Kohlkombinats, die ihre Arbeit verloren haben, ihr Studium beendet, aber noch keine bezahlte Stelle gefunden haben, oder von staatlicher Unterstützung leben. Die meisten fragen, ob es möglich wäre, die Erntekiste zum vergünstigten Preis zu beziehen. Verdienen würden Armin und die anderen Landwirte an der Kiste zwar nur, wenn sie sie zum regulären monatlichen Abopreis verkaufen. „Geht eine Kiste für den Sozialtarif von 25 Euro raus, gebe ich mein Gemüse praktisch zum Mindestpreis ab, damit mache ich keinen Gewinn. Aber die Ware auf dem Acker muss ja auch weg. Idealerweise verdiene ich natürlich ein bisschen was mit der Erntekiste, aber mir ist viel wichtiger, dass ich mein Gemüse an den Mann bringe.“ Und für wen auch der reduzierte Preis noch zu viel ist, bekommt die Kiste eben umsonst – solange, bis sich seine finanzielle Situation bessert und er sich wieder in der Lage fühlt, dafür zu bezahlen. Etwa zehn Prozent seiner Erntekisten gibt das Kohlkombinat auf diese Weise an Bedürftige ab. Doch die wenigsten davon sind von sich aus mit der Bitte auf das Kohlkombinat zugekommen. „In den meisten Fällen läuft es so, dass wir E-Mails bekommen, in denen die Leute schreiben, dass sie ihr Abo aufgrund von Veränderungen der persönlichen Lebenssituation kündigen möchten. Da frage ich dann einfach immer zurück, woran es genau liegt, und biete bei finanziellen Notlagen diese Möglichkeit an“, schildert Armin. „Wir wissen, dass Armut sehr schambehaftet ist und viele Betroffene auf keinen Fall damit hausieren gehen möchten. Deshalb ist es für uns wichtig, bei solchen Nachrichten nachzuhaken, um die Leute unterstützen zu können.“ Mittlerweile habe er ein gutes Gespür für diese versteckte Art von Armut entwickelt. „Die meisten tun alles, damit man ihnen nicht ansieht, dass sie kein Geld haben. Aber ich merke trotzdem, wenn irgendwas nicht stimmt.“ Vor allem bei Altersarmut sei die Scham der Betroffenen groß, weil sich viele selbst die Schuld an ihrer prekären Lage geben würden, meint Armin, der sein übriggebliebenes Gemüse regelmäßig an die Tafel liefert, wo er besonders häufig ältere Menschen in der wachsenden Schlange der Essensausgabe antreffe. „Obwohl die meisten ihr Leben lang gearbeitet haben, reicht ihnen die Rente einfach nicht zum Leben, vor allem seit die Kosten links und rechts gestiegen sind. Aber statt die Schuld beim Staat oder Arbeitgeber zu verorten, denken viele: Ich habe mir das selbst zuzuschreiben, weil ich versäumt habe, fürs Alter vorzusorgen und mir genug Geld zurückzulegen.“ Schamgefühle würden außerdem viele Bedürftige daran hindern, staatliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen, weiß Armin. „Wie ich das mitbekomme, ist der Gang zum Amt für Rentner:innen, Arbeitslose oder Alleinerziehende oft mit Demütigung verbunden, weil sie dort ihre Lebenssituation offenlegen müssen und nicht selten auch Vorwürfe zu hören bekommen. Deshalb entscheiden sich viele eben dagegen, Sozialleistungen zu beziehen.“ Außerdem kann es auch mit einem gewissen Unbehagen einhergehen, finanzielle oder materielle Unterstützung zu erhalten. Das bekommt auch Armin immer wieder von den Menschen zu hören, denen er die Erntekiste umsonst zukommen lässt. Obwohl sie das Angebot sehr zu schätzen wissen, ist es ihnen unangenehm, Essen geschenkt zu bekommen und sie bieten häufig im Gegenzug an, bei der Ernte, beim Packen oder Ausfahren der Gemüsekisten mitzuhelfen. Das nimmt Armin meist dankend an, denn helfende Hände kann er eigentlich immer gebrauchen. Doch was könnten Politik und Gesellschaft tun, um der zunehmenden Armut entgegenzuwirken? „Da ich denke, dass vor allem die Altersarmut in den nächsten Jahren ein immer größeres Problem wird, fände ich es grundsätzlich sinnvoll, eine gesetzliche Mindestrente für alle einzuführen, die auf jeden Fall ausreicht, um gut über die Runden zu kommen.“ Aber auch jeder Einzelne kann laut Armin etwas beitragen: „In unserer egoistisch geprägten Gesellschaft sieht man nur das, was man auch sehen will. Deshalb ist es so wichtig, im Alltag die Augen für seine Mitmenschen offen zu halten. Wenn du mit einer gewissen Aufmerksamkeit durch die Stadt gehst, wird dir auf deinem Weg mindestens eine bedürftige Person begegnen. Dann bleib kurz stehen, greif in deine Tasche und gib ihr einen kleinen Schein. Es muss aber nicht unbedingt finanzielle Hilfe sein, man kann sich auch bei zahlreichen sozialen Einrichtungen ehrenamtlich engagieren. Es gibt so viele Möglichkeiten, wie jeder einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, dass es den Menschen zumindest ein bisschen besser geht.“ Armin und sein Kohlkombinat beweisen, dass es sich gerade in diesen schwierigen Zeiten lohnt, auf Bedürftige zuzugehen und seine Hilfe anzubieten, wo es eben geht. Denn wenn sich die Armut zu verbergen versucht, sind wir alle umso mehr aufgefordert, genauer hinzusehen. (lina)