38 ZOOM Mit Nadel und Faden gegen die Wegwerfgesellschaft H Die gebürtige Augsburgerin Hazme Oktay (aka Augschburger Puppe) gestaltet aus Dingen, die für gewöhnlich im Müll landen, kreative Design-Unikate und vermittelt ihr Wissen in Workshops und Seminaren an andere weiter. Im Interview Ein Interview mit Modenäherin und Upcycling- Expertin Hazme Oktay erzählt sie uns, woher ihre Begeisterung für das nachhaltige Handwerk stammt, und verrät ein paar einsteigerfreundliche Tipps fürs Klamotten-Upcycling. Von Lina Frijus-Plessen „Was nicht glänzt, wird glänzend gemacht!“
ZOOM 39 Hazme, bist du eigentlich gelernte Schneiderin oder hast du dir deine Näh-Skills selbst angeeignet? Nach meinem Schulabschluss habe ich zuerst eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht und auch ein paar Jahre in dem Bereich gearbeitet. Zu meinem 18. Geburtstag hatte ich mir eine Nähmaschine gewünscht und damit schon so manches ausprobiert. Um aber meine vielen kreativen Ideen, die mir schon immer im Kopf herumgeschwirrt sind, realisieren zu können, wollte ich gerne professionell nähen lernen. Also habe ich mich dazu entschieden, noch eine Schneiderlehre anzufangen. Die habe ich dann beim Modehersteller Strenesse in Nördlingen absolviert. Seit wann begleitet dich deine Leidenschaft fürs Nähen, Basteln und Gestalten schon? Eigentlich schon seit meiner Kindheit. Meine Eltern sind mit wenig Geld in der Tasche aus der Türkei nach Augsburg geflohen und haben hier sieben Kinder großgezogen. Viel Spielzeug hatten wir also nicht zuhause. Deshalb haben meine Schwester und ich so ziemlich alles, was an Besitztümern da war, umfunktioniert, sodass wir damit spielen konnten. Auch damals haben wir z.B. schon Puppenkleider aus Verpackungsmaterial gebastelt. Not macht ja bekanntermaßen erfinderisch. Auch meine Eltern haben mir das mitgegeben, Dinge möglichst zu reparieren und wiederzuverwerten. Meine Mama ist da bei Lebensmitteln sehr erfinderisch und mein Papa hat schon immer gerne an Elektroschrott herumgeschraubt. Diese Faszination für das Thema Upcycling hast du dir bis heute bewahrt und bindest es in sämtlichen deiner Projekte und Workshops ein. Warum liegt dir das so am Herzen? Für mich bedeutet Upcycling, den Glanz in alltäglichen, für andere nicht unbedingt wertvollen Dingen zu sehen. Und was nicht von sich aus glänzt, wird eben glänzend gemacht. Ich lege viel Wert auf Nachhaltigkeit und möchte es einfach nicht einsehen, dass so viele schöne Dinge letztlich nur zum Wegschmeißen produziert werden. Wenn ich z.B. eine Verpackung mit einem besonderen, liebevoll gestalteten Design sehe, frage ich mich immer, was man daraus noch so alles machen könnte. Was Kleidung angeht, kann man mit einfachsten Upcycling-Techniken nicht nur viel reparieren, sondern vielleicht sogar ein neues Lieblingsteil kreieren. Das liebe ich so an meinen Workshops, dass ich den Leuten zeigen kann, wie einfach das oft geht. Was sind denn typische Materialien, die andere Leute vielleicht bedenkenlos wegschmeißen würden, die du gerne für kreative Projekte benutzt? Was ich z.B. liebe sind kaputte Regenschirme, weil sie aus wasserabweisendem Stoff bestehen, daraus kann man also super Badetaschen oder Fahrradsattelschoner machen. Außerdem verwende ich gerne kaputte Jeans, weil das ein sehr robuster Stoff ist, der sich toll verarbeiten lässt. Was ich mittlerweile auch viel nutze, sind ausgediente Veranstaltungsbanner, die mir verschiedene Festival-Veranstalter oder Kultureinrichtungen wie das Staatstheater oder tim schenken. Die Banner werden auch in meinen nächsten beiden Workshops zum Einsatz kommen. Hast du vielleicht ein paar Einsteiger-Tipps für diejenigen, die gerne weniger Sachen wegeschmeißen und mehr reparieren und weiterverwerten würden? Wenn man beispielsweise in einem Kleidungsstück ein kleines Loch entdeckt, kann man einfach einen coolen, auffälligen Knopf draufnähen. Oder wenn irgendwo ein Fleck ist, der sich nicht mehr rauswaschen lässt, dann klecks doch einfach richtig Farbe drauf oder mach einen schönen Patch drüber, dann wird das sofort zum Designerstück. Selbst mit einfachsten Handgriffen, wenig Zeit und Geld kann man schon so viele Dinge fixen. Der aktuelle Nachhaltigkeitstrend sorgt dafür, dass immer mehr Menschen ein größeres Bewusstsein für dieses Thema entwickeln. Macht sich das auch bei deinen Workshops bemerkbar? Absolut. Meine Kurse sind in letzter Zeit immer ruckzuck ausgebucht und die Nachfrage ist so groß wie noch nie. Das freut mich natürlich sehr, weil ich einfach merke, dass die Leute sich für das begeistern, was ich vermitteln will. Super finde ich auch, wenn Elternteile mit ihren Kindern kommen und ihnen so den Wert von kreativer Nachhaltigkeit vermitteln. Gerade jetzt, wo ich selbst mein erstes Kind erwarte, sehe auch ich mich in einer noch größeren Verantwortung, so nachhaltig wie möglich zu leben und ein Vorbild für die nächste Generation zu sein. Wer kommt neben Familien noch so zu deinen Kursen? An meinen Workshops kann jeder teilnehmen, ganz egal ob man schon Vorkenntnisse im Nähen hat oder nicht. Mir kommt es so vor, als würden sich immer mehr jüngere Menschen dafür begeistern, Dinge selber zu machen, was ich eine tolle Entwicklung finde. Ich liebe es, dass sich in den Workshops mehrere Altersgruppen durchmischen. Da trifft dann eine über 60-jährige Dame auf einen 13-jährigen Teenager und es entwickelt sich ganz schnell ein Austausch, sie geben sich gegenseitig Tipps und lernen voneinander. Das ist für mich total schön zu beobachten. Und ich selbst nehme dabei auch noch immer etwas mit und gehe mit neuen Perspektiven und Ideen nach Hause. Kreativität trifft auf Pädagogik – das ist eigentlich die ideale Kombi für dich, oder? Ganz genau! Wenn ich anderen Menschen beibringe, wie sie selbst etwas Kreatives gestalten können, vereinen sich die Erzieherin und die Schneiderin in mir zu einer Person. Dafür brenne ich und das ist auch der Grund, warum ich meinen Fokus weniger auf den Vertrieb von eigenen Produkten lege. Ich verkaufe zwar hin und wieder mal was von mir auf verschiedenen Märkten oder Veranstaltungen, aber das Wichtigste sind für mich auf jeden Fall die Seminare und Workshops. Jetzt geht es aber erstmal in die wohlverdiente Baby-Pause? Richtig, ab Ende Februar werde ich auf jeden Fall bis zum Spätsommer pausieren. Aber wer weiß, welche kreativen Projekte und Upcycling- Ideen sich im Alltag als Mama noch so in meinem Kopf entwickeln werden. (lina)