KEM Konstruktion 03.2024
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gibt es aus dem Softwarebereich kommend die agile<br />
Entwicklung mit kurzen Sprints. Wie passt das<br />
zusammen?<br />
Koch: V-Modell und agile Entwicklung in dieser Weise<br />
gegeneinander zu stellen, halte ich für falsch. Das<br />
V-Modell beschreibt ursprünglich ja nur den Ablauf,<br />
die Aktivitätensequenz – beginnend mit den Anforderungen,<br />
ein Design zu entwickeln, zu implementieren<br />
und anschließend zu verifizieren und zu validieren.<br />
Ob diese Sequenz drei Jahre oder nur drei Wochen<br />
dauert, steht da nicht drin. Bei drei Wochen bewege<br />
ich mich aber in der Größenordnung der agilen<br />
Entwicklung – will heißen: Dann kann ich das V-Modell<br />
auch dabei nutzen.<br />
Zumindest für die Automobilindustrie kann ich zudem<br />
sagen, dass wir inkrementell in dieser Weise<br />
entwickeln. Ist das eine V beendet, folgt das nächste.<br />
Im Ergebnis handelt es sich also um hintereinander<br />
geschaltete Sprints, innerhalb derer ich das V-Modell<br />
nutze. So interpretiert, ergibt sich kein Widerspruch<br />
zwischen V-Modell und Agilität. Gelegentlich gibt es<br />
allerdings auch die Interpretation, dass über mehrere<br />
Jahre hinweg das Produkt erst zerlegt und dann nach<br />
und nach wieder zusammengesetzt wird – mit der<br />
Realität in den Unternehmen hat das aber nichts zu<br />
tun.<br />
<strong>KEM</strong> <strong>Konstruktion</strong>|Automation: Zunehmend kann<br />
ich ja inzwischen über IoT-Ansätze auch Daten im<br />
Betrieb sammeln und nutzen – lässt sich die damit<br />
verbundene Komplexität auch mit den oben beschriebenen<br />
Methoden bewältigen?<br />
Koch: An dieser Stelle kommen wir mehr oder weniger<br />
zu Problemen der Gesellschaft. Wir vernetzen<br />
unsere Komponenten, Baugruppen beziehungsweise<br />
Produkte immer mehr, alle kommunizieren miteinander<br />
und hängen damit auch voneinander ab. Die<br />
Komplexität in der Entwicklung wird auch dadurch<br />
gesteigert, dass wir IoT-Daten aus dem Betrieb wieder<br />
in die Entwicklung zurückspielen wollen, um sie<br />
in der nächsten Produktgeneration zu nutzen. Analog<br />
gilt das für die Handhabung des Produkts und darüber<br />
hinaus gedacht für das System, wie eingangs beschrieben.<br />
Dabei besteht natürlich schon die Gefahr, dass Menschen<br />
diese Zusammenhänge nicht mehr verstehen,<br />
Angst bekommen und solche Systeme beziehungsweise<br />
Technik ablehnen. Die große Herausforderung<br />
wird sein, angesichts der weiter voranschreitenden<br />
Vernetzung die Menschen, die Gesellschaft mitzunehmen.<br />
Entstehende Ängste lassen sich aber wiederum<br />
bei der systemischen Betrachtungsweise mit<br />
einbeziehen. Deswegen ist eines meiner Anliegen,<br />
mit der GfSE den Kontakt zu Entscheidungsträgern in<br />
der Politik zu bekommen und die Frage zu diskutieren,<br />
wie komplexere Systeme auch in politischen<br />
Entscheidungen berücksichtigt werden können – mit<br />
dem Ziel, die Gesellschaft auch weiterhin zusammenzuhalten.<br />
<strong>KEM</strong> <strong>Konstruktion</strong>|Automation: Lassen Sie uns<br />
abschließend wieder etwas näher in die Produktentwicklung<br />
schauen – gibt es insbesondere KMUs,<br />
die schon heute eine Entwicklung wie oben beschrieben<br />
realisieren können?<br />
Wilke: Die gibt es! Im Rahmen des Projekts SE4OWL<br />
von it’s OWL konnte das Fraunhofer IEM zusammen<br />
mit dem Sondermaschinenbauer Harting Applied<br />
Technologies zeigen, wie sich das in die Praxis umsetzen<br />
lässt. Die rund 50 Mitarbeiter definieren heute<br />
im Rahmen des zu entwickelnden Systems einzelne<br />
Handlungsfelder, die sie dann in einzelnen Sprints<br />
angehen. Damit konnten wir auch zeigen, wie sich<br />
Engineeringprozesse optimieren lassen, um technisch<br />
komplexe Systeme und digitale<br />
Services zu entwickeln.<br />
Übrigens: Kleine und mittlere<br />
Unternehmen können von dem<br />
erfolgreich abgeschlossenen Projekt<br />
und dem Einsatz des Systems<br />
Engineering profitieren:<br />
Wer selbst in die Umsetzung gehen<br />
möchte, kann auf unseren<br />
praktischen Online-Werkzeugkasten<br />
zurückgreifen, der unter<br />
der Adresse hier.pro/vAmD9 abrufbar<br />
ist.<br />
Produktentwicklung<br />
mechatronischer Systeme<br />
mit dem erweiterten<br />
V-Modell der VDI-<br />
Richtlinie 2206.<br />
Bild: VDI/VDE 2206:2021–11<br />
INFO<br />
Speziell mit dem Systems Engineering<br />
für die Entwicklung<br />
nachhaltiger Produkte beschäftigt<br />
sich die GfSE-Arbeitsgruppe<br />
„Sustainability enabled by<br />
Systems Engineering“ (SuSy):<br />
hier.pro/RIRM0<br />
<strong>KEM</strong> <strong>Konstruktion</strong>|Automation » 03 | 2024 15