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FORSCHUNGSSTELLE OSTEUROPA BREMEN

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ist nämlich erst im Begriff, Diskurse einzuleiten, die Michal Glowinski unter der<br />

Überschrift "Literarischer Text und Demokratie"!" folgendermaßen beschrieben hat.<br />

Es handele sich um die Aufbrechung des decorum, d.h. der Formen, Konventionen<br />

und Gattungen, die in einer bestimmten Epoche von dem Literaturbetrieb eingehalten<br />

werden. Der Roman bzw. die Erzählung weise dabei die größte Mobilität auf:<br />

"Der moderne Roman hat seit seiner Entstehung literarische Mittel entfaltet, die die<br />

Erfahrungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen erlauben zu entwickeln,<br />

und die Auswahl dieses Material war eine nicht von vornherein festgelegte Konvention,<br />

sondern bildete die Domäne einer freien Entscheidung. "50<br />

Im Zusammenhang mit der Entfaltung einer demokratisch legitimierten Pluralität im<br />

gesellschaftlichen Raum Polen entsteht die Frage, wie sich diese Polyphonie der<br />

Stimmen in literarischen Texten niederschlagen kann bzw. wie die dort etablierten<br />

Figuren die Vielfältigkeit von sozialen Positionen und ethisch-moralischen Haltungen<br />

zum Ausdruck bringen. Für Michal Glowinski "bildet jene Polyphonie in moderneren<br />

Zeiten eine grundlegende strukturale Ausstattung des literarischen Werkes,<br />

die es ihm in gewisser Weise gestattet, an der Demokratie teilzunehmen und auch<br />

auf sie einzuwirken. Die so verstandene Polyphonie stellt sich daher jeglichem Fundamentalismus<br />

oder ideologischer Vereinnahmung entgegen.">'<br />

Glowiriskis Statement zusammenfassend kann festgehalten werden, daß politische<br />

Themen im polyphonen literarischen Schaffen der frühen neunziger Jahre kaum<br />

noch eine Rolle spielen. Ästhetische Intentionen hingegen richten sich gegen die Positionen<br />

der Post-Nowa-FalcrGruppierungen, die zum Gegenstand der ironischen Betrachtung<br />

über deren damaliges soziales und politisches Engagement werden." Für<br />

die nach 1960 geborene literarische Generation sind sie Ausdrucksformen einer pathologischen<br />

Gesellschaft, die ihre Krankheiten erst noch auskurieren muß.<br />

Für den Literaturhistoriker Jan Tomkowski steht die polnische Erzählliteratur am<br />

Ende des 20. Jahrhunderts vor einen entscheidenden Bewährungsprobe. Sie müsse<br />

sich von dem Verlustgefühl freimachen, nicht mehr Träger eines spätromantischen<br />

Widerstandsmodells zu sein. Zu ihren Aufgaben gehöre es nunmehr, unterschiedliche<br />

Weltmodelle zu entwickeln, in denen die polnische Realität nicht mehr mit dem<br />

tradierten Markenzeichen IAlptraum' versehen ist. Mit dem Verlust des nationalen<br />

Literaturzentrums Warschau zugunsten mehrerer literarischer Szenerien verbinde<br />

sich auch die Entstehung einer Literaturkritik, die nach dem Abtritt solcher Persönlichkeiten<br />

wie Sandauer und Wyka auch einen Profilverlust erlitten habe. Nunmehr<br />

seien professionelle Kritiker gefragt, die angesichts der äußerst schwierigen Situation<br />

49 Glowiriski, Michal. Dzielo literackie wobec dernokracji, in: Polityka (1992) Nr. 18 (30.4.92).<br />

50 Ibid.<br />

51 Ibid.<br />

52 Es handelt sich dabei auch um den sog. "dritten Umlauf" eine subkulturelle Produktionsund<br />

Rezeptionsform. die sich Anfang der 80er Jahre herausgebildet hat. Vgl. dazu Fleischer,<br />

Michael. Overground. Die Literatur der polnischen sn alternativen Subkultur der 80er und<br />

90er Jahre. (Eine Einsicht). München 1994 (Slawistische Beiträge, Nr. 316).<br />

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