FORSCHUNGSSTELLE OSTEUROPA BREMEN
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Experimentelles Erzählen in der polnischen Postmoderne der neunziger<br />
Jahre<br />
I. Die polnische Literaturlandschaft nach der politischen Wende<br />
1.1. Auf der Suche nach anderen ästhetischen Mustern<br />
Die Diagnose des gegenwärtigen Zustands der polnischen Literatur ist sechs Jahre<br />
nach dem politischen Umbruch von einer eigenartigen Widerspriichlichkeit gekennzeichnet.<br />
Einerseits klagen angesehene Literaturwissenschaftler und Publizisten darüber,<br />
daß die Entstehung eines demokratischen Staates bislang noch kein thematischer<br />
Gegenstand der nationalen Literaturszene geworden sei. Im Gegensatz zum<br />
historischen Umbruch von 1918, der einen schnellen Aufschwung des literarischen<br />
Lebens im unabhängigen Polen bewirkt hatte, habe nämlich die politische Krisensituation<br />
der achtziger Jahre keine bedeutsame ästhetische Ausdrucksform in den<br />
Neuerscheinungen der neunziger Jahre hervorgebracht.' Andererseits korrigiert der<br />
wertende Blick der Fachleute auf die literarische Produktion das Bild von der angeblichen<br />
ästhetischen Dürre. Nach Ansicht des Literaturwissenschaftlers Tadeusz Drewnowski<br />
hat vor allem die ältere und mittlere Generation eine Reihe von Erzählwerken,<br />
Gedichtbänden und Theaterstücken vorgelegt, die in der literarischen<br />
Öffentlichkeit Polens großes Aufsehen erregt hätten. Es handelt sich dabei um folgende<br />
Prosa- und Essaybände wie auch um eine weltweit rezipierte Reportage:<br />
Wladyslaw Terlecki (Zabij cara, dt. Töte den Zaren), Janusz Krasinski (Na stracenie,<br />
dt. Abgeschrieben), Tadeusz Konwicki (Czytadio, dt. Schmöker), Pawel Huelle<br />
(Opowiadania na czas przeprowadzki, dt. Erzählungen für den Umzug) und Ryszard Kapuscinskis<br />
großen Reisebericht über den Zerfall des sowjetischen Imperiums<br />
(Imperium). Auch in den Gattungsbereichen Lyrik und Drama habe es bedeutende<br />
Texte gegeben, unter welchen vor allem Czeslaw Miloszs Dalsze okolice (Fernere<br />
Umgebung), Tadeusz Rozewiczs Plaskorzeiba (Flachreliejund Slowo po slowo (Wort für<br />
Wort), Zbigniew Herberts Elegia na odejszcie (Elegie auf den Abgang) und Rodrigo,<br />
Wislawa Szymborskas Koniec i poczqtek (Ende und Anfang) Jaroslaw Marek Rzymkiewiczs<br />
Moje dzielo posmiertne (Mein Nachlaß) in der Lyrik und Janusz Glowackis Theaterstücke<br />
Antygona w Nowym Jorku und Karaluchy (Küchenschaben) sowie Slawemir<br />
Mrozeks Satire Milosz na Krymie (Liebe auf der Krimi hervorzuheben seien. 2<br />
In den meisten Texten der oben genannten Autoren, die in den vergangenen zwanzig<br />
Jahren in Polen und in der westlichen Emigration gelebt haben, spielen die brennenden<br />
Probleme der polnischen Umbruchsgesellschaft keine Rolle. Eine sicherlich<br />
vorläufige Ursachenbeschreibung für dieses auf den ersten Blick erstaunliche Phänomen<br />
liefert der Literaturwissenschaftler und Prosaautor Stefan Chwin. In einem<br />
Essay stellte er die These auf, daß die Mehrheit der polnischen Schriftsteller insofern<br />
von dem Ende der kommunistischen Herrschaft überrascht wurde, als sie mit dem<br />
Vgl. Drewnowski, Tadeusz: Dose urodzajny kryzys, in: Polityka (994) Nr. 44. - Bloriski, Jan.<br />
Bezladne rozwazenia starego krytyka, ktory zastanawia sie, jak napisalby historie prozy polskiej<br />
w latach istnienia Polskiej Ludowej, in: Teksty drugie (1990), Nr. 1,24.<br />
Vgl. Drewnowski, loc.cit.<br />
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