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FORSCHUNGSSTELLE OSTEUROPA BREMEN

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V 5. Poetik der kulturalogischen Versatzstücke<br />

Eines der auffälligsten Merkmale des 1995 produzierten Textest+' ist das ständige<br />

Anspielen auf Weltmodelle mit sakralen und profanen Merkmalen, die aus anthropologischen<br />

Komponenten bestehen. In dieses Spiel werden alle Figuren aus dem<br />

Metaphysischen Kabarett auf der allgemeinen Handlungsebene einbezogen. Die weibliche<br />

Zentralfigur hingegen bewegt sich auf mehreren Ebenen des ludus translatus.<br />

Auf der biologischen Ebene erweist sich Beba Mazepa als anatomisches Wunder, da<br />

sie über eine obere und eine untere Klitoris verfügt.!" Ihr gesteigertes Lustpotential<br />

setzt sie in mehrfacher Weise ein:<br />

a) Ihr orgiastisches Erleben nimmt sie nach eigener Aussage im Stereo-Sound<br />

wahr.<br />

b) Sie erlebt ihren Körper im Wechselspiel von widersprüchlichen Empfindungen:<br />

einerseits verfügt sie über das Insignium der Jungfernschaft, andererseits über<br />

die langjährige Erfahrung des Bordells.l+'<br />

c) In der kommentierten Rede spielt der Text im Hinblick auf Bebas anatomische<br />

"Wunder" mit der beschränkten Sichtweise der abendländischen Psychoanalyse.<br />

Diese nimmt die Trennung der Geschlechter als gegeben an und bezieht die ursprüngliche<br />

Einheit der Geschlechter nicht in ihre Überlegungen ein.>"<br />

d) Der Text setzt gegen die maskulin strukturierte sakrale Welt des Mittelalters eine<br />

weibliche, anthropologisch begründete, metaphysische Welt, die nach Ansicht<br />

der Erzählerin von Ausgängen in das Paradies geprägt sei, - im Gegensatz<br />

zum männlich geformten "einfachen" Zutritt ins Paradies. Leitfigur dieses<br />

spätmittelalterlichen Weltbildes ist Beatrice aus Dantes Divina commedia.<br />

e) Auch auf der männlichen Imaginationsebene entfalten sich im Metaphysischen<br />

Kabarett differenzierte Lebensmodelle. Wolfgang, Bebas Liebhaber, erweist sich<br />

insofern als Abweichler von maskulinen Identifikationsbemühungen, als er sich<br />

als "Häretiker" der Liebe vorstellt. In dieser Eigenschaft ist er in Beba ohne alle<br />

"Einschränkungen verknallt."145 Sein Freund und Gegenspieler ist Giugiu. Er ist<br />

sizilianischer Abstammung und vertritt ein patriarchalisches Weltbild, das jedoch<br />

unter der Einwirkung seiner emanzipierten Freundin kleinere "Risse"<br />

aufweist.<br />

141<br />

142<br />

143<br />

144<br />

145<br />

Vgl. dazu Anmerkung der Autorin: Paris-Pietrasanta, Sommer 1995.<br />

"Teraz wcalowujac sie w Bebe, nie mial watpliwosci, ze dodatkowa jest gorna, wieksza ...",<br />

loe.eit., 109.<br />

In diesem widersprüchlichen "Bild" werden in sarkastischer Weise Mythen der Kirchengeschichte<br />

(Unbefleckte Empfängnis der Maria) und der Topos von der 'Heiligen Hure' verarbeitet.<br />

Vgl. dazu S. 41<br />

Als Giugiu, Wolfgangs Freund, diesen an AlDS erinnert, erwidert W. mit - sicherlich vorgetäuschter<br />

- Inbrunst, daß Beba doch noch Jungfrau sei. Und sie werde seine Frau, weil "alle<br />

Ehefrauen bedeutender Dichter und Schriftsteller Witwen hinterlassen: Borges, Joyce, Lassandros.<br />

Die Ehefrauen fühlen sich genauso genial wie sie ...''. loe.cit., 13.<br />

41

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