PDF Öffnen - Biokreis
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bn_3_11.qxp 01.06.2011 10:28 Seite 37<br />
ten, neugierigen und fröhlichen Frauen,<br />
nahmen wir als den Männern nahezu<br />
gleichberechtigt wahr.<br />
Übrigens, dass jeder Muslim freitags in<br />
die Moschee geht, ist ein Märchen.<br />
Manch einer betet kaum, trinkt gern<br />
Rotwein oder Arak (Anisschnaps) und<br />
bezeichnet sich dennoch kulturell als<br />
Moslem.<br />
Eine ökologisch prekäre Lage<br />
Syrien ist geprägt von bäuerlicher<br />
Landwirtschaft, die etwa ein Drittel der<br />
Bewohner beschäftigt und meinem<br />
Geschmack nach zu urteilen, eher ökologisch<br />
als industriell ausgerichtet ist.<br />
Immer spärlichere Niederschläge, die<br />
völkerrechtswidrig von Israel besetzten,<br />
wasserreichen Golanhöhen, ein<br />
durch türkische Staudämme geschmälerter<br />
Euphrat und eine wachsende<br />
Bevölkerung bedingen die zunehmende<br />
Wasserknappheit. Folglich darf Toilettenpapier<br />
selbst in gehobenen Hotels<br />
keinesfalls ins Klo wandern, sondern<br />
nur in den Papierkorb. Ökologisches<br />
Bewusstsein ist ansonsten nicht besonders<br />
ausgeprägt. Schwungvoll entledigen<br />
sich Autofahrer ihres Abfalls aus<br />
dem Fenster. Inoffizielle Müllabladeplätze,<br />
verunreinigte Gewässer, der<br />
verdreckte Mittelmeerstrand von<br />
Latakia, sowie die hohe Luftverschmutzung<br />
sind nur einige Beispiele.<br />
Abenteuer Beförderungsmittel<br />
Der öffentliche Nahverkehr basiert auf<br />
alten, klapprigen aber unschlagbar<br />
günstigen Mikrobussen. Sie funktionieren<br />
wie Sammeltaxis und bringen es<br />
auf bis zu 20 Plätze, wobei uns fürsorglich<br />
oft die zwei begehrten Plätze<br />
neben dem Fahrer angeboten wurden.<br />
Auch bei der Suche nach dem richtigen<br />
Bus an der „Karasch“, half man uns<br />
stets freundlich und während der Fahrt<br />
kamen wir mühelos mit den arabischen<br />
Mitreisenden in Kontakt und waren<br />
beliebte Gesprächspartner. Die seit kurzem<br />
in den vier Universitätsstädten eingeführten<br />
modernen Linienbusse werden<br />
trotz des besseren Platzangebots<br />
und der verlässlichen Abfahrtszeit (ein<br />
Mikrobus startet erst, wenn er voll ist,<br />
was auch mal eineinhalb Stunden dauern<br />
kann) nur zögerlich angenommen,<br />
da sie vergleichsweise teuer sind und<br />
eben nur festgelegte Haltestellen anfahren.<br />
Einmal zerriss uns der Fahrer die<br />
eben bei ihm gekauften Tickets. Geräte<br />
zum Entwerten waren in diesem Bus<br />
noch nicht installiert.<br />
Fahrkarten für die klimatisierten großen<br />
Reisebusse, die ausgewählte Langstrecken<br />
bedienen, sowie für die syrische<br />
Eisenbahn, deren Züge aus altem<br />
DDR-Bestand auf der Route des<br />
Orientexpress verkehren, waren nur bei<br />
Vorlage unserer Reisepässe zu haben.<br />
Nach mehrfacher akribischer Kontrolle<br />
auf israelische Stempel durften wir<br />
aber einsteigen.<br />
Schließlich gibt es noch die gelben<br />
Taxis mit ihren ungeduldigen Fahrern,<br />
die mit einem höflichen „Schorell alladad“<br />
(Machen Sie das Taxometer an)<br />
unsererseits auch recht preisgünstig<br />
waren, solange wir kleine Scheine<br />
dabei hatten, denn Wechselgeld gibt es<br />
nicht.<br />
Stütze des totalitären Regimes<br />
Die Sicherheitsdienste sind in Syrien<br />
allgegenwärtig, vor allem in Touristenhotels,<br />
weil dort in der Regel englische<br />
Nachrichtensender laufen, sowie in<br />
Internetcafés. Auf Basis des fast 50<br />
Jahre andauernden Ausnahmezustands<br />
werden Bürger von ihnen ausspioniert<br />
und willkürlich festgenommen oder<br />
verschleppt. Massaker, wie das von<br />
Hama im Jahr 1982, bei dem mehrere<br />
zehntausend Einwohner nach ihrem<br />
Aufbegehren gegen die Regierung<br />
ungeachtet der Weltöffentlichkeit starben,<br />
haben eine tiefe Angst vor gesellschaftspolitischem<br />
Engagement hinterlassen.<br />
Einige Syrer, die mit uns über die<br />
Situation im Land sprachen, erklärten<br />
damals, dass es wegen der Angst vor<br />
Innige Mutterliebe: In einem Dorf in der<br />
Gegend um Hama umarmen vier Kinder<br />
ihre Mama.<br />
Neugierige Kinder am Assad-Stausee, dem größten See<br />
Syriens, benannt nach dem Vater des jetzigen Präsidenten.<br />
Gefängnis und Folter und Angst um<br />
die Familie, in Syrien nicht zu<br />
Revolutionen und einem Arabischen<br />
Frühling kommen kann. Die Ereignisse<br />
der letzten Wochen sprechen eine<br />
andere Sprache. Die Impulse aus<br />
Nordafrika erreichten eine Jugend, die<br />
vom sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit<br />
aufgrund der Wirtschaftskrise<br />
besonders betroffen war, weil sie<br />
knapp 60 Prozent der Bevölkerung<br />
ausmacht. Die Teenager waren es, die<br />
die ersten Revolten in Deraa einleiteten,<br />
und das nicht nur, weil sie sich<br />
durch Handyvideos und Mitteilungen<br />
im Internet eine Öffentlichkeit schaffen<br />
können, sondern auch, weil sie die<br />
menschenverachtende Brutalität des<br />
Regimes noch nicht kennen.<br />
Am Ende unserer Reise hatte sich die<br />
Hauptstadt Damaskus bereits verwandelt.<br />
Mit dem Auftreten erster kleiner<br />
Gruppen stiller Demonstranten fuhren<br />
hunderte demonstrativ hupende Autos<br />
mit Bildern des Präsidenten Bashar al-<br />
Assad bis in die Morgenstunden die<br />
Straßen auf und ab. Mittlerweile lese<br />
ich von Sicherheitsposten in jeder<br />
Gasse und vermute, dass alle Akteure<br />
der damaligen Pro-Assad-Demos nun<br />
anderweitig eingebunden sind.<br />
Meine Gedanken sind bei den Menschen<br />
in Syrien. Ich wünsche dieser<br />
ethnisch und religiös so vielfältig<br />
zusammengesetzten Bevölkerung den<br />
Mut, weiter gemeinsam und friedlich<br />
für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte<br />
auf die Straße zu gehen.<br />
Per Hand gebrochen und in reichlich<br />
Pistazien gewälzt: Arabisches Eis, gereicht<br />
von einem fröhlichen Verkäufer.<br />
BioNachrichten 3 | Juni/Juli 2011 37<br />
Reise Biowelt<br />
Ein Straßenhändler in<br />
Damaskus mit den haarigen,<br />
säuerlichen Aprilmandeln.<br />
In den Morgenstunden: Die zum UNESCO-Weltkulturerbe<br />
gehörende Säulenstraße der Ruinenstadt Palmyra.