12.01.2013 Aufrufe

Februar - Berliner Behindertenzeitung

Februar - Berliner Behindertenzeitung

Februar - Berliner Behindertenzeitung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

2 BBV<br />

BBZ – <strong>Februar</strong> 2008<br />

Traditionell hat der Vorsitzende<br />

des <strong>Berliner</strong> Behindertenverbandes,<br />

Dr. Ilja Seifert, zum Jahresende<br />

eine Bilanz gezogen. Die<br />

Bilanz 2007 fiel wie folgt aus, die<br />

wir nachfolgend in Auszügen veröffentlichen:<br />

Ende März des gerade ablaufenden<br />

Jahres unterschrieb die<br />

Bundesregierung in New York die<br />

UN-Menschenrechtskonvention<br />

„Übereinkommen über die Rechte<br />

von Menschen mit Behinderungen“.<br />

Das ist ein Dokument, dessen praktischer<br />

Wert sich in den kommenden<br />

Jahren und Jahrzehnten beweisen<br />

muss. Genauer gesagt: Wir, die Menschen<br />

mit Behinderungen, also auch<br />

unsere Selbsthilfeorganisationen wie<br />

der BBV „Für Selbstbestimmung<br />

und Würde“ e.V. und der Allgemeine<br />

Behindertenverband in Deutschland<br />

„Für Selbstbestimmung und Würde“<br />

e.V. (ABiD), unser Bundesverband,<br />

müssen dafür sorgen, dass dieses<br />

Menschenrechtsabkommen seine positiven<br />

Wirkungen rasch und nachhaltig<br />

entfalten kann! Diese Konvention<br />

hebt die Behindertenpolitik von der<br />

Ebene der sozialen Fürsorge auf die<br />

Menschenrechtsebene. Endlich ist<br />

unsere „volle Teilhabe“ an allen gesellschaftlichen<br />

Bereichen erklärtes<br />

Ziel der internationalen Politik. Der<br />

ABiD wird sich dafür einsetzen, dass<br />

das deutschlandweit umgesetzt wird.<br />

Soziale Fürsorge wird dadurch nicht<br />

überflüssig, sondern sie wird auf das<br />

Ziel der Teilhabeermöglichung ausgerichtet.<br />

Der BBV sieht sich in der<br />

Pflicht, in der Hauptstadt entsprechend<br />

initiativ zu bleiben. Menschen<br />

mit Behinderungen werden zu selbstbestimmten<br />

Subjekten ihrer eigenen<br />

Lebensgestaltung, unsere Wünsche<br />

erhalten Nachdruck. Und jede und<br />

jeder Einzelne von uns sollte an ihrem/seinem<br />

Platz alles ihr/ihm Mögliche<br />

dafür tun.<br />

Fernsehturm im Fokus<br />

Deshalb beschloss der BBV-Vorstand,<br />

intensiv darum zu kämpfen,<br />

dass auch der <strong>Berliner</strong> Fernsehturm<br />

für Rollstuhlfahrer/innen nutzbar<br />

wird. Wir wissen, dass es symbolträchtiger<br />

Beispiele bedarf, um die<br />

ganze Tragweite der Menschenrechtsdimension<br />

der UNO-Konvention<br />

tief ins öffentliche Bewusstsein zu<br />

graben. Um das Ziel zu erreichen, ist<br />

nicht nur viel Aufklärung nötig. Es<br />

Vorsitzender des <strong>Berliner</strong> Behindertenverbandes:<br />

„Menschenrechtsdimension tief ins öffentliche<br />

Bewusstsein graben“<br />

muss nicht nur viel Geld aufgetrieben<br />

werden. Wir brauchen nicht nur<br />

innovative Lösungen, sondern vor<br />

allem die Sympathie und Unterstützung<br />

vieler Nicht-Betroffener. Nur so<br />

können die Ideen der UNO-Konvention<br />

im Alltagsleben Platz greifen.<br />

Wir können nicht jede einzelne<br />

Bauzeichnung begutachten, nicht<br />

jede Baustelle überwachen und auch<br />

nicht nach jeder „leider doch unterlaufenen“<br />

Barriere große Protestaktionen<br />

organisieren. Bei diesem Wettlauf<br />

wären wir immer nur die Hasen,<br />

die rennen und rennen, nie die Igel,<br />

die schon da sind. Deshalb müssen<br />

wir an bekannten Bauwerken zeigen,<br />

was wir unter „voller Teilhabe“<br />

verstehen. Wir müssen es sein, die<br />

definieren, was gut für uns ist. Nicht<br />

andere. Und nicht die Finanzierbarkeit.<br />

Das ist eben der Unterschied<br />

zwischen sozialer Fürsorge und menschenrechtlichem<br />

Anspruch.<br />

Noch weit von „voller Teilhabe“<br />

entfernt<br />

Noch sind wir nämlich weit von<br />

„voller Teilhabe“ entfernt. Da hilft<br />

auch das Gerede, dass wir einen Paradigmenwechsel<br />

vollzogen hätten, wenig.<br />

Noch immer dominieren Regeln<br />

und Verhaltensweisen fremdbestimmender<br />

Institutionen, Behörden und<br />

Gewohnheiten den Alltag der meisten<br />

Menschen mit Behinderungen (und<br />

ihrer Angehörigen). Weder übersehen<br />

wir, dass wir in einigen Punkten –<br />

z.B. der Barrierenbeseitigung –<br />

durchaus Erfolge aufzuweisen haben,<br />

noch dass auch in der deutschen Gesetzgebung<br />

neue Töne Einzug fanden.<br />

Doch noch ist beispielsweise in<br />

der Bildungspolitik Aussonderung<br />

die Regel. Anders als in vielen anderen<br />

Ländern bleibt inklusive Bildung<br />

hierzulande eher als akademischer<br />

Diskussionsgegenstand interessant<br />

als dass sie zur selbstverständlichen<br />

Regel würde. Und auch, wenn Berlin<br />

innerhalb Deutschlands den höchsten<br />

Anteil an integrativen Schulplätzen<br />

inne hat, kann uns dieser relative<br />

Vorsprung keinesfalls befriedigen.<br />

Besonders wichtig an dieser<br />

UNO-Konvention ist, dass sie sich<br />

ausdrücklich an die Staaten wendet.<br />

Also der Politik den Auftrag<br />

erteilt, alle Voraussetzungen dafür<br />

zu schaffen, dass Menschen mit den<br />

verschiedensten Beeinträchtigungen<br />

sich ebenso frei entfalten und ebenso<br />

an allen gesellschaftlichen Bereichen<br />

teilhaben können, wie das jeder<br />

nicht-behinderte Mensch auch kann.<br />

Erstmalig hält ein verbindliches völkerrechtliches<br />

Dokument fest, dass<br />

nicht die behinderten Menschen sich<br />

den Verhältnissen anpassen müssen,<br />

sondern umgekehrt: die Verhältnisse<br />

so umzugestalten sind, dass sie auch<br />

für Menschen mit Beeinträchtigungen<br />

selbstbestimmt und zweckentsprechend<br />

nutzbar sind. Die sofortige<br />

Verhinderung der Schaffung neuer<br />

und die systematische Beseitigung<br />

bestehender Barrieren – ob baulicher,<br />

kommunikativer oder kognitiver<br />

Art –, also die Herstellung von<br />

Barrierefreiheit (auch in den Köpfen)<br />

ist da nur e i n e von vielen<br />

Voraussetzungen. Aber selbst davon<br />

sind wir – bei allen Fortschritten –<br />

noch weit entfernt.<br />

Keine Ausgrenzung für das<br />

Naturkundemuseum<br />

Als Beispiel mag die Aktion des<br />

BBV dienen, gegen den nachträglichen<br />

Einbau eines Aufzugs bei der<br />

Rekonstruktion des <strong>Berliner</strong> Naturkundemuseums<br />

zu protestieren. Am<br />

3. November demonstrierten wir unter<br />

dem Motto: „Kein Einlass nach<br />

Gewicht!“ vor dem im Juli wiedereröffneten<br />

Museum, weil der Aufzug<br />

für Rollstuhlfahrer/innen nicht<br />

gleichzeitig mit der sonstigen Einrichtung<br />

fertig wurde. Und wir protestierten<br />

dagegen, dass wir durch<br />

einen Nebeneingang geführt werden.<br />

Das erschien der Museumsleitung<br />

unangemessen, gar anmaßend<br />

von uns. Wir informierten vor dem<br />

Haupteingang die Besucherinnen<br />

und Besucher darüber, dass wir nicht<br />

damit einverstanden sind, dass ein<br />

so großer Umbau als „fertig“ gelten<br />

kann, obwohl wir nicht ungehindert<br />

hinein können. Und wir beschwerten<br />

uns lautstark und mit Flugblättern,<br />

dass wir auf einen „Dienstboteneingang“<br />

verwiesen werden. „Volle<br />

Teilhabe“ heißt eben auch, dass wir<br />

den Vordereingang benutzen (können)<br />

wollen. Wenn wir aber nicht<br />

auf voller Gleichstellung bestehen,<br />

bekommen wir gar keine. Die Reaktion<br />

der Besucher/innen war übrigens<br />

durchgehend positiv.<br />

Der BBV wird also jede Aktivität<br />

unterstützen, die dazu beiträgt, eine<br />

fortschrittliche deutsche Version des<br />

Konventionstextes zu erarbeiten und<br />

den dann umgehend zu ratifizieren.<br />

Es wäre gut, wenn Deutschland einer<br />

der zwanzig Staaten wäre, die der<br />

Konvention zur Gültigkeit verhelfen.<br />

BBV-Arbeit wird schwieriger<br />

Die Arbeit des BBV – das müssen<br />

wir offen bekennen – wird schwieriger.<br />

Wir haben schmerzlich spürbare<br />

personelle Probleme. Darauf wiesen<br />

wir bereits im Sommer zur Mitgliederversammlung<br />

hin. Seither geht<br />

es uns kaum besser. Zwar glaubten<br />

wir, einen fähigen Schatzmeister<br />

gefunden zu haben, doch er trat von<br />

seinem Amt zurück, bevor er die Geschäfte<br />

richtig übernommen hatte.<br />

Seine beruflichen Verpflichtungen<br />

erlaubten ihm nicht, sich so intensiv<br />

diesem Ehrenamt zuzuwenden, wie<br />

er selbst es für erforderlich gehalten<br />

hätte. Zwar übernahm Uwe Hoppe<br />

diese verantwortungsvolle Aufgabe,<br />

aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

dass uns diese Entwicklung<br />

schwächte. Uwe fehlt jetzt an<br />

anderer Stelle. Auch seine Kräfte<br />

sind nicht unerschöpflich.<br />

Anderseits wuchs uns mit Bärbel<br />

Reichelt, einer „alten“ Sponti-Kämpferin,<br />

eine wichtige neue Kraft im<br />

Vorstand zu. Daß sie – als Uwe die<br />

Schatzmeister-Funktion übernahm –<br />

sich als stellvertretende Vorsitzende<br />

zur Verfügung stellte, ist großartig.<br />

Aber auch das ist alles andere als ein<br />

Ruhekissen. Erstens bleibt damit die<br />

zweite Stellvertreterposition immer<br />

noch unbesetzt. Zweitens ist auch<br />

Bärbel nicht ganzjährig verfügbar.<br />

Franziska Littwin blieb verantwortliche<br />

Redakteurin unserer<br />

BERLINER BEHINDERTEN-ZEI-<br />

TUNG (BBZ), obwohl ihr diese Aufgabe<br />

– behinderungsbedingt – große<br />

Schwierigkeiten bereitet. Der Vorstand<br />

versucht, ihr jede mögliche Hilfe<br />

zu organisieren, aber auch da sind<br />

unsere Kapazitäten begrenzt. Wir<br />

fanden eine junge Frau, die ehrenamtlich<br />

mit Franzi arbeitet. Aber ob das<br />

reicht, wissen wir nicht. Und unsere<br />

Finanzsituation ist nicht so, dass wir<br />

Assistenz „einkaufen“ könnten.<br />

Ich wiederhole also abermals,<br />

was schon am Ende unserer letzten<br />

Rechenschaftsberichte stand:<br />

Unsere Aufgaben werden – wen<br />

wundert´s? – nicht kleiner…

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!