Februar - Berliner Behindertenzeitung
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4 SOZIALES<br />
BBZ – <strong>Februar</strong> 2008<br />
Horst Frehe ist 1951 geboren, also<br />
jetzt schon in einem Alter, wo einer<br />
eine kleine Glatze haben kann.<br />
Ein alter Bremer, aber hochdeutsch<br />
sprechend. Wir sprechen über Menschenwürde<br />
– seit Schiller und noch<br />
heute, jeden Tag: Würde des Menschen/<br />
Nichts mehr davon, ich bitt‘<br />
euch. / Zu essen gebt ihm, zu wohnen;<br />
/ Habt ihr die Blöße bedeckt,<br />
/ gibt sich die Würde von selbst.<br />
(Schiller) Menschenwürde ist eine<br />
zentrale Kategorie, die mensch niemand<br />
nehmen darf. Achtung vor<br />
a n z e i g e<br />
Ein „Alter Hase“ in der Behinderten-Szene wird vorstellig<br />
Horst Frehe engagiert sich in der Hansestadt Bremen für die behinderten Menschen.<br />
dem Leben des anderen, zugleich vor<br />
der Verschiedenheit muss sein. Auch<br />
ohne Leistung im klassischen Sinne<br />
erbringen zu können, muss jedem/jeder<br />
das Recht am Leben teilzuhaben,<br />
zugestanden werden. Außerdem: JedeR<br />
hat etwas zu geben, jedeR.<br />
Bereits mit 15 Jahren (1966, für<br />
uns Jüngere schwer zu denken) hatte<br />
Horst Frehe einen Unfall, der zu einem<br />
inkompletten Querschnitt führte.<br />
Dieser führte zum Auszug aus<br />
dem Elternhaus, in dem er als jüngs-<br />
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tes Kind von Fünfen in einem Haushalt<br />
in der Mittelschicht aufwuchs.<br />
Seine Eltern waren als Kaufleute tätig.<br />
Bereits in der Schule hatte Frehe<br />
sensibel das ganze soziale Spektrum<br />
unter den MitschülerInnen in seiner<br />
Klasse wahrgenommen. Der Unfall<br />
riss ihn dort heraus und führte<br />
zu einem einjährigen Aufenthalt in<br />
Rehabilitationskliniken, in dem die<br />
Wiederherstellung der körperlichen<br />
Fähigkeiten so weit gelang, dass Frehe<br />
heute im Alltag fast alles alleine<br />
bewältigen kann.<br />
Der berufliche Weg war zuerst<br />
beschränkt durch die Möglichkeiten<br />
im Rehabilitationswesen. Die Perspektive,<br />
ab jetzt für 40 Jahre Körbe<br />
zu flechten, war für Frehe nicht vorstellbar.<br />
Er machte stattdessen eine<br />
Ausbildung zum Kaufmann, worauf<br />
eine Fachhochschulausbildung zum<br />
Betriebswirt folgte, hierauf ein Studium<br />
als Volkswirt. Ihn interessierten<br />
die größeren Zusammenhänge,<br />
insbesondere die Bildungs- sowie<br />
die Gesundheitsökonomie, auch Entwicklungsländer.<br />
Zeitgleich bildete<br />
Frehe sich autodidaktisch im Recht<br />
fort. Mit langer Beratungserfahrung<br />
folgte die berufliche Fundierung, ein<br />
Studium als Jurist. Von 1991 bis Mai<br />
2007 arbeitete Frehe mit einer dreijährigen<br />
Unterbrechung am Sozialgericht<br />
Bremen als Richter.<br />
Horst (das ist dort, wo Adler zuhause<br />
sind) Frehe kämpft auf vielen<br />
Ebenen. Er hat mit einem Freund<br />
zusammen im Jahre 1978 die erste<br />
Krüppelgruppe in Bremen gegründet,<br />
um Positionen zu entwickeln, eigene<br />
Werte und ein Bezugssystem. (Es hat<br />
sich später eine parallele Krüppelfrauengruppe<br />
gebildet.) Zudem hat<br />
Frehe vor über 20 J. als einer der ersten<br />
in Deutschland den Bremer Verein<br />
Selbstbestimmt Leben e.V. sowie<br />
die Bremer Assistenzgenossenschaft<br />
mitbegründet. Es muss ein beeindruckendes<br />
Gefühl sein, hier strukturell<br />
etwas mitgeschaffen zu haben, was<br />
einer bei Bedarf (Operation o.ä.) für<br />
sich selbst einsetzen kann. Darüber<br />
a n z e i g e<br />
hinaus ist er heute für die Interessengemeinschaft<br />
Selbstbestimmt Leben<br />
e.V. im Aktionsbündnis Deutscher<br />
Behinderten Rat, den es seit dem<br />
3.12.1999 gibt. Für Selbstbestimmt<br />
Leben e.V. macht er Rechtsberatung<br />
sowie den Stammtisch. Frehe war<br />
konkret bei Protestaktionen gegen<br />
die „Feierlichkeiten“ im UNO-Jahr<br />
der Behinderten 1981 beteiligt und<br />
engagierte sich bei der Formulierung<br />
des Bundesbehindertengleichstellungsgesetzes<br />
(2002). Er war Koordinator<br />
im Europäischen Jahr der<br />
Menschen mit Behinderung 2003.<br />
Des Weiteren ist Frehe Grüner Politiker,<br />
Parteimitglied seit 1984 mit einer<br />
längeren Pause. Seit Mai 2007 ist er<br />
MdBB, d.h. Mitglied der Bremischen<br />
Bürgerschaft. Als erstes nach Amtsantritt<br />
reinstitutionalisierte er den<br />
Taxi-Fahrdienst für Behinderte. Das<br />
alles ist/tut Frehe als Rollinutzer, als<br />
Peer. Er rollt auf dem Marathon in<br />
Berlin als Handbiker mit.<br />
Horst Frehe lebte 30 Jahre in einer<br />
WG, ist erst kürzlich in eine eigene<br />
Wohnung umgezogen. Er besitzt ein<br />
Auto, nutzt dieses jedoch kaum.<br />
Wie sieht ein so vielfältig aktiver<br />
Mensch die Veränderbarkeit der Verhältnisse?<br />
Was für Theorien hat er<br />
hierzu im Kopf? „Es gibt Leute, die<br />
sich klügere Gedanken machen als<br />
ich“, sagt Frehe. Heute sollte mensch<br />
den Jüngeren das Feld überlassen,<br />
die haben andere Schwerpunkte. Die<br />
kennen bereits nur den Niedrigflurbus,<br />
den radikalen Spruch „Besser<br />
arm dran als Arm ab!“ verstehen<br />
die Jugendlichen heute gar nicht<br />
mehr. Erinnert an das Testament<br />
einer Mitbegründerin der deutschen<br />
Atem- und Stimmforschung von<br />
1957: „Eine jede Generation unserer<br />
Schüler muss unsere Gedanken auf<br />
ihre eigene Weise neu in sich leben<br />
und gestalten.“ (H. Andersen)<br />
Ein Lebenswerk? Schon jetzt?<br />
Horst Frehe wirkt zufrieden mit sich<br />
und dem Leben.<br />
Heike Oldenburg