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Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären ... - GRH e. V.

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Der Vorstand<br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>zur</strong> <strong>Rechtlichen</strong> <strong>und</strong> <strong>Humanitären</strong><br />

Unterstützung e.V.<br />

S o n d e r d r u c k<br />

der Arbeitsgruppe Sport der <strong>GRH</strong><br />

Zwei Seiten der Medaille, Doping in Ost<br />

<strong>und</strong> West<br />

Autor: Olympiasieger <strong>und</strong> Weltmeister Dr. Thomas Köhler<br />

Vorwort: Erhard Richter, Leiter der AG Sport der <strong>GRH</strong><br />

Für Mitglieder <strong>und</strong> Sympathisanten<br />

Berlin, August 2010


2<br />

Zwei Seiten der Medaille<br />

In den letzten Jahren wurden durch die Arbeitsgruppe Sport unserer <strong>GRH</strong> eine Reihe von<br />

Sonderdrucken zu Dopingproblemen veröffentlicht.<br />

So u.a. 2001 „Die politische Strafverfolgung gegen den DDR-Sport hat die Dopingpraxis im<br />

b<strong>und</strong>esdeutschen Sport nicht verhindert“ (Autor: Prof. Dr. Günter Erbach), 2001 „Die<br />

politische Diffamierung <strong>und</strong> Verfolgung des DDR-Sports wird fortgesetzt“ (Autor: Prof. Dr.<br />

Günter Erbach), 2004 „Politische Strafverfolgung gegen den DDR-Leistungssport“ (Autoren:<br />

Prof. Dr. Günter Erbach, Erhard Richter), 2008 „Olympia sollte Olympia bleiben“ (Autoren:<br />

Dr. Klaus Huhn, Heinz Czerwinski, Erhard Richter, Helmut Horatschke, Rolf Berthold), 2008<br />

„Olympische Spiele in Peking“ (Autoren: Prof. Dr. Horst Röder, Helmut Horatschke, Dr.<br />

Klaus Huhn, Erhard Richter), 2009 „Zu aktuellen Problemen der Sportpolitik“ (Autoren:<br />

Helmut Horatschke, Prof. Dr. Horst Röder, Erhard Richter, Dr. Norbert Rogalski).<br />

Vom Herausgeber der „Beiträge <strong>zur</strong> Sportgeschichte“, Dr. Klaus Huhn, wurden von weiteren<br />

Autoren Beiträge zu dieser Problematik veröffentlicht.<br />

Nunmehr liegt ein neuer Sonderdruck der AG Sport vor, der sich noch einmal mit dem<br />

Doping in Ost <strong>und</strong> West, ja weltweit, beschäftigt. Autor ist Olympiasieger <strong>und</strong> Weltmeister,<br />

Dr. Thomas Köhler, der als Verbandstrainer <strong>und</strong> als Vizepräsident für den Leistungssport im<br />

DTSB der DDR ein Kenner auf diesem Gebiet ist. In diesem Material stellt der Autor u.a.<br />

fest: „Da sich aber zum Thema Doping in der ehemaligen B<strong>und</strong>esrepublik, das bis in die 60er<br />

Jahre <strong>zur</strong>ück verfolgt werden kann, aus nahe liegenden Gründen kaum einer in der<br />

Öffentlichkeit äußerte, bzw. Redakteure schnell von ihren Chefs <strong>zur</strong>ückgepfiffen wurden <strong>und</strong><br />

werden, bleibt nun weiter nichts übrig, als einige ........ Informationen zusammen zutragen“.<br />

Ein brisanter Sonderdruck, der für unsere politische Arbeit ein wertvoller Helfer ist. Die<br />

Seiten dieses Sonderdrucks sind auch Bestandteil eines Buches mit dem Titel „Zwei Seiten<br />

der Medaille, Thomas Köhler erinnert sich“ (Verlag neues leben, ISBN 978-3-355-01779-4,<br />

Preis: 16,95 €), das dieser Tage im Buchhandel erhältlich ist.<br />

Erhard Richter, Leiter der AG Sport


Doping in Ost <strong>und</strong> West<br />

Die Anwendung von Dopingmitteln ist, seit es sportliche Auseinandersetzungen gibt, ein<br />

generelles Problem des internationalen Sports, einschließlich der olympischen Bewegung.<br />

Keine der führenden Sportnationen, weder die USA, Sowjetunion, DDR, BRD, noch<br />

irgendein anderes Land, waren oder sind davon ausgenommen. Das Erreichen von<br />

Weltklasseleistungen mittels Doping war in Zeiten des Ost-Westkonflikts Teil der<br />

Auseinandersetzung der politischen Systeme, in der die Frage nach der Wahrheit in Ost <strong>und</strong><br />

West gleichermaßen zu vertuschen versucht wurde.<br />

Wer allerdings die Schuld nur bei den Sportlern sieht, läuft die Gefahr zu verkennen, dass<br />

Doping in der Regel im Rahmen einer Art „Verschwörung“ von Sportlern, Trainern, Ärzten<br />

<strong>und</strong> Betreuern stattfindet.<br />

3<br />

Ein Ende ist nicht abzusehen<br />

Warum gelingt es nicht, dieser modernen Geisel des Sports Einhalt zu gebieten?<br />

Warum gibt es bis in die jüngste Zeit <strong>und</strong> sogar zunehmend immer neue Dopingskandale?<br />

Und warum wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern?<br />

Ein erster Gr<strong>und</strong> ist darin zu sehen, dass sportliche Spitzenleistungen überall in der Welt nach<br />

wie vor einen sehr hohen gesellschaftlichen Stellenwert besitzen. Die Chinesen haben uns mit<br />

der Ausrichtung der Olympischen Spiele 2008 vor Augen geführt, wie man mit aufrichtiger<br />

Gastfre<strong>und</strong>schaft, perfekter Organisation <strong>und</strong> hohen sportlichen Leistungen sein Land nach<br />

innen <strong>und</strong> außen wirkungsvoll darstellen kann. Sportliche Erfolge tragen, ob einem das passt<br />

oder nicht, bedeutend <strong>zur</strong> Repräsentanz eines Landes bei <strong>und</strong> ziehen gleichzeitig eine hohe<br />

ideelle, aber eben auch materielle Anerkennung nach sich. Die Kommerzialisierung,<br />

Professionalisierung <strong>und</strong> das große Medieninteresse des Sports stehen in einer sehr engen<br />

Verbindung mit der Dopinganwendung. Je mehr Geld der Sport abwarf, umso niedriger<br />

wurde die moralische Toleranzgrenze, bis schließlich irgendwann nahezu alle Mittel recht<br />

waren. Heute kommt der Sport längst nicht mehr ohne finanzkräftige Sponsoren aus,<br />

Sponsoren aber wollen Erfolge <strong>und</strong> neue Rekorde sehen.<br />

Ein zweiter Gr<strong>und</strong> liegt auf der juristischen Ebene. In fast allen Ländern gibt es zwar ein<br />

Arzneimittelgesetz, aber nur in wenigen, einschließlich Deutschland, ein Antidopinggesetz.<br />

Dopingmittel aber sind meist völlig legale, erprobte <strong>und</strong> zugelassene Medikamente, die <strong>zur</strong><br />

Genesung von Krankheiten verwendet werden. Hier liegt eine der Schwierigkeiten: Wo ist<br />

die Grenze zum Missbrauch? Soll Sportärzten verwehrt bleiben, Medikamente zu<br />

verschreiben, die jeder praktische Arzt beinahe täglich verabreicht? Was normalen Patienten<br />

<strong>zur</strong> schnelleren Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft verschrieben wird, soll Sportlern <strong>zur</strong><br />

schnelleren Erneuerung ihrer Leistungsfähigkeit nach Belastung verboten sein? Bereits 1989<br />

hat der IOC-Präsident vor der medizinischen Kommission des IOC die un<strong>zur</strong>eichende<br />

Definition von Doping in seiner Abgrenzung <strong>zur</strong> Therapie bemängelt. Darüber hinaus gibt es<br />

nach Auffassung vieler Ärzte Medikamente, die nicht auf der Dopingliste stehen, trotzdem<br />

aber <strong>zur</strong> Manipulation der Leistungsfähigkeit des Körpers verwendet werden können. Dazu<br />

zählen z.B. Medikamente, die dem Körper die Verarbeitung von Belastungen erleichtern.<br />

Die moderne Pharmaindustrie entwickelt ständig neue Arzneimittel, die zum Erhalt der<br />

Leistungsfähigkeit der Menschen, <strong>zur</strong> beschleunigten Regeneration <strong>und</strong> Substitution<br />

innerhalb <strong>und</strong> außerhalb des Sports eingesetzt werden können.


4<br />

Ohne gesetzliche Regelung ist bei aller moralischen Verwerflichkeit Doping im Sport<br />

juristisch kaum anfechtbar. Wenn es so einfach wäre, wie es sich die 38. Strafkammer des<br />

Berliner Landgerichts bei der Verurteilung von DDR Sportfunktionären, Trainern <strong>und</strong><br />

Medizinern gemacht hat, dass die Vergabe unterstützender Mittel, gleich Doping <strong>und</strong> damit<br />

gleich Körperverletzung sind, wobei davon ausgegangen wurde, dass die Sportler davon keine<br />

Kenntnis hatten, brauchten wir tatsächlich kein Antidopinggesetz.<br />

Ein dritter Gr<strong>und</strong> besteht darin, dass Weltspitzenleistungen vor allem in den<br />

medienwirksamen Sportarten aufgr<strong>und</strong> der zunehmenden Annäherung an die Grenzen der<br />

natürlichen menschlichen Leistungsfähigkeit immer schwieriger zu erreichen sind, so dass<br />

die Sportler den Versuchungen unterliegen, ihre Leistungen mit unerlaubten Mitteln zu<br />

steigern.<br />

Ein nicht unbedeutender vierter Gr<strong>und</strong> ist in der angestrebten Chancengleichheit<br />

untereinander zu sehen. Eine Vielzahl von Ländern hat das Dopingkontrollsystem wesentlich<br />

verschärft <strong>und</strong> das Strafmaß bei Vergehen erhöht. Anderen wiederum wird bis in die jüngste<br />

Vergangenheit ungestraft gestattet, die Meldepflicht für Trainingskontrollen zu umgehen. Bei<br />

den einen gehört die Zentrifuge <strong>zur</strong> Sportausrüstung wie die Laufschuhe, andere ohne<br />

Forschungsbasis <strong>und</strong> fehlende wissenschaftlich technische Geräte haben kaum<br />

Möglichkeiten, sich ebenso an Grenzwerte heranzudopen. Das führt zu Misstrauen <strong>und</strong><br />

Suchen nach eigenen Lösungen.<br />

Übrigens verpassten 2006 sieben Olympiasieger, 32 Welt- <strong>und</strong> 28 Europameister<br />

Dopingkontrollen – ohne jegliche Folgen.<br />

Und nicht zuletzt sehe ich einen fünften Gr<strong>und</strong> in den immer noch un<strong>zur</strong>eichend<br />

entwickelten nationalen <strong>und</strong> internationalen Kontrollsystemen. Obwohl die Gejagten den<br />

Jägern immer noch etwas voraus sind, steht das Nichtnachweisbarkeits-Versprechen von<br />

Dealern wegen der immensen Fortschritte bei der Dopingbekämpfung auf immer wackligeren<br />

Beinen. So wird sich sicher das Geheimnis der unglaublichen Weltrekorde im Sprint der<br />

Leichtathleten <strong>und</strong> im Schwimmen von Peking <strong>und</strong> einigen Spitzenleistungen von Vancouver<br />

noch eine Weile in den eingefrorenen Dopingproben halten, bis es vielleicht gelüftet werden<br />

kann.<br />

Nicht unberücksichtigt sollte auch das unterschiedliche Interesse von Sportverbänden,<br />

Vereinen <strong>und</strong> Ländern an einer konsequenten Aufklärung von verschiedenen Dopingfällen<br />

bleiben.<br />

Die Gründe ließen sich fortsetzen, letztendlich mündet alles aber immer wieder in ein <strong>und</strong><br />

demselben Punkt: Die eigentlichen Wurzeln des Dopingmissbrauchs werden zu wenig<br />

angegangen. Man kann Kontrollen durchführen, so viel man will, man kann neue Regelungen<br />

schaffen, man kann appellieren - das Problem muss an seinem Ursprung gepackt werden.<br />

Seit Jahrh<strong>und</strong>erten wird manipuliert<br />

Doping ist Jahrh<strong>und</strong>erte alt. Selbst, als 393 nach der Zeitenwende Kaiser Theodisius die<br />

Durchführung dieser „heidnischen Spiele“ verbot, sollen bereits Manipulationen des Körpers<br />

im Spiel gewesen sein. Es ist überliefert, dass die Wettkämpfer in den Ruhepausen gehackte<br />

Stierhoden aßen, um Dank des männlichen Hormons mehr Aggressivität zu erlangen.<br />

Es ist nicht nur ein Problem des Sports, vielmehr ein Problem der gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse des Menschen im Wettbewerb des Lebens.<br />

Aus der Geschichte des Sports <strong>und</strong> der Olympischen Spiele gibt es unzählige Beispiele der<br />

Manipulation des Körpers von Athleten. Auf den Hochleistungssport hat sich das besonders<br />

seit dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert unaufhaltsam aus der Dopingszene von Pferderennen übertragen.<br />

Die zusätzliche Leistungssteigerung durch biologische Experimente ist vor allem seit Beginn<br />

der Olympischen Spiele der Neuzeit 1896 zu einem ständigen Begleiter sportlicher<br />

Spitzenleistungen geworden.


5<br />

Handelte es sich anfangs vor allem um Aufputschmittel, wie Koffein, Strychnin bis Heroin,<br />

überwogen bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts die klassischen Dopingmittel<br />

aus der Gruppe der Amphetamine. Spätestens seit den Olympischen Spielen 1956 wurden<br />

anabole Steroide hauptsächlich für den Muskelzuwachs eingesetzt. Da die Anwendung<br />

anaboler Steroide bis 1975 durch das IOC nicht geahndet wurde, ergriff diese Seuche immer<br />

mehr Sportarten <strong>und</strong> Länder <strong>und</strong> ging weit über den Hochleistungssport hinaus.<br />

Seit den Olympischen Spielen 1988 kann man von einer neuen Dimension des Dopings<br />

sprechen. Neben der weiteren Anwendung anaboler Steroide wurden völlig neue Mittel, wie<br />

Wachstumshormone (HGH) <strong>und</strong> Erythropoietin (EPO) eingesetzt, die zu diesem Zeitpunkt<br />

noch nicht nachweisbar waren. Ausdruck dessen war vor allem die Vielzahl neuer<br />

Weltrekorde, teilweise mit enormen Leistungssteigerungen. Allein in der Leichtathletik<br />

wurden seit 1988 in den 24 olympischen Freiluftdisziplinen der Männer 22 <strong>und</strong> in den 23<br />

Disziplinen der Frauen 20 neue Weltrekorde aufgestellt. Und bis heute ist noch kein Ende<br />

abzusehen.<br />

Mit der Anwendung von Doping im Sport begannen sich gleichzeitig die Kräfte dagegen zu<br />

formieren, um besonders den Amateurgedanken zu verteidigen, die Ges<strong>und</strong>heit der Athleten<br />

zu erhalten <strong>und</strong> um Chancengleichheit für alle zu garantieren. Als im Ergebnis erheblicher<br />

Belastungssteigerungen Ende der sechziger Jahre die körperliche Belastungsfähigkeit durch<br />

das Training an seine Grenzen stieß <strong>und</strong> die körpereigenen Reserven <strong>zur</strong> schnellen<br />

Wiederherstellung des Körpers nicht mehr ausreichten, verstärkte man den Griff zu<br />

Präparaten, die diesen Prozess beschleunigen sollten. Seitdem konnte in keiner der führenden<br />

Sportnationen diese Entwicklung aufgehalten werden, obwohl wissenschaftliche<br />

Untersuchungen auf die Gefahren dieser Eingriffe in die Natur hinwiesen.<br />

Sportler, die Dopingmittel benutzen, wehren sich mit folgenden mehr oder weniger<br />

überzeugenden drei Argumenten gegen den Vorwurf des Betrugs:<br />

Die Einnahme unerlaubter Mittel ist kein Betrug am Gegner, da der schließlich das Gleiche<br />

tut.<br />

Ob man sich mit Doping selbst betrüge, sei reine Privatsache, da jeder für seinen Körper,<br />

seine Ges<strong>und</strong>heit selbst verantwortlich ist.<br />

Die Vorhaltung, dass gedopte Sportler das Publikum hinters Licht führten, hält auch nicht<br />

stand, weil das sportbegeisterte Publikum Bestleistungen <strong>und</strong> neue Rekorde erwartet,<br />

unabhängig davon wie oft neue Doping-Enthüllungen folgen.<br />

Was verstehen wir unter Doping<br />

Folgt man Wikipedia, der freien Enzyklopädie, dann versteht man sehr vereinfacht unter<br />

Doping gemeinhin die Einnahme von unerlaubten Substanzen oder die Nutzung von<br />

unerlaubten Methoden <strong>zur</strong> Steigerung der sportlichen Leistung. Das Wort Doping selbst<br />

kommt aus dem Englischen <strong>und</strong> ist das Ger<strong>und</strong>ium des Verbs dope, d.h. Drogen verabreichen.<br />

Laut Artikel 2 des Anti- Doping - Codes des Weltsports, dem sich alle 28 Sommer- <strong>und</strong> 7<br />

Olympische Wintersportverbände angeschlossen haben, gilt als Doping:<br />

„1. die Verwendung eines Hilfsmittels (Wirkstoff oder Methode), das potentiell schädlich ist<br />

für die Ges<strong>und</strong>heit des Sportlers/der Sportlerin oder leistungssteigernd wirken kann.<br />

2. Die Existenz eines verbotenen Wirkstoffs im Körper eines Sportlers/einer Sportlerin oder<br />

der Nachweis seiner Verwendung bzw. der Nachweis eines Einsatzes einer verbotenen<br />

Methode“.<br />

Bis heute hat sich die Vorstellung gehalten, Dopingmittel seien vor allem Muskelpräparate,<br />

Doping sei Kraftaufbau mittels Chemie. Aber, wie bereits beschrieben, wird das Doping<br />

heute zunehmend auch als Mittel <strong>zur</strong> schnelleren Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit<br />

genutzt.


Wegen ihres Potentials <strong>zur</strong> Leistungssteigerung oder Maskierung außerhalb <strong>und</strong> innerhalb des<br />

Wettkampfs führt die aktuelle Verbotsliste sowohl verbotene Substanzen als auch verbotene<br />

Methoden auf. Außerdem werden in dieser Liste auch Substanzen erfasst, die nur innerhalb<br />

eines Wettkampfes verboten sind.<br />

Bei der bereits seit 1999 bestehenden Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), der sich die<br />

Nationale -Anti-Doping-Agentur Deutschlands (NADA) inhaltlich anschloss, ist seit Januar<br />

2009 folgende Verbotsliste gültig:<br />

Verbotene Substanzen<br />

Anabole Wirkstoffe<br />

Hormone <strong>und</strong> beeinflussende Substanzen<br />

Beta – 2 – Agonisten<br />

Hormonsubstanzen <strong>und</strong> deren Modulatoren<br />

Diuretica <strong>und</strong> andere maskierende Mittel<br />

Verbotene Methoden<br />

Verstärkung der Sauerstoffübertragung<br />

Chemische <strong>und</strong> physikalische Manipulation<br />

Gendoping<br />

Verbote Substanzen für Wettkämpfe<br />

Stimulantien<br />

Narcotica<br />

Cannabinoide<br />

Cortisionspräparate<br />

Darüber hinaus gibt es verbotene Substanzen für Einzelsportarten, wie Alkohol, oder Beta-<br />

Blocker.<br />

Dazu einige ergänzende Erläuterungen.<br />

- Anabolika sind Substanzen, die dem männlichen Sexualhormon Testosteron ähneln <strong>und</strong> die<br />

Bildung von Muskelmasse anregen. Sie werden vor allem von Sportlern verwendet, in deren<br />

Sportarten Kraft benötigt wird.<br />

Anabolikatäter sind heutzutage relativ einfach zu stellen, aber nach Meinung der Experten<br />

sind bereits Mittel im Einsatz, die der Körper bereits innerhalb von 12 St<strong>und</strong>en <strong>und</strong> weniger<br />

abbaut, so dass sie danach nicht mehr nachweisbar sind.<br />

- Das EPO (Erythropoietin) aus der Gruppe der Peptidhormone regt die Bildung roter<br />

Blutkörperchen an <strong>und</strong> erhöht so die Sauerstoffaufnahmefähigkeit des Blutes. EPO nutzen<br />

insbesondere Ausdauersportler, es wird neuerdings aber auch <strong>zur</strong> Wiederherstellung<br />

verwendet. EPO bewirkt aber auch eine Verdickung des Blutes. Das bedeutet, dass<br />

gefährliche Blutgerinnsel entstehen können, wenn zum Beispiel der Sportler beim Training<br />

viel Wasser verliert. Presseberichten zufolge sind an den Nebenwirkungen von EPO seit Mitte<br />

der achtziger Jahre mindestens 18 Radprofis gestorben. Inzwischen ist EPO auch in niedrigen<br />

Dosen nachweisbar, was dazu geführt hat, dass immer raffiniertere Methoden ausgedacht<br />

<strong>und</strong> angewendet werden.<br />

- Eine Reihe von Laboren haben bereits das aus dem Hormon EPO entwickelte Cera<br />

nachweisen können <strong>und</strong> dabei einige Radsportler erwischt, die sich bisher noch sehr sicher<br />

6


fühlten. Cera wirkt langfristig, wird in großen Abständen verabreicht <strong>und</strong> ist damit auch lange<br />

nachweisbar.<br />

Neuerdings, obwohl bisher nur in Tierversuchen getestet, wird auch das dem EPO ähnliche<br />

Perfluorcarbon verwendet, weil es ebenso die Sauerstoffversorgung des Blutes verbessert.<br />

- Hemopure, aus der Folgegeneration des EPO bilden keine roten Blutkörperchen, sondern<br />

ersetzen sie. So setzt die Wirkung sofort nach der Verabreichung ein <strong>und</strong> bleibt mindestens<br />

einige St<strong>und</strong>en bestehen.<br />

7<br />

- Wachstumshormone sind inzwischen auch nachweisbar, aber die Methode ist noch nicht<br />

vollständig eingeführt. In Fachkreisen kursieren für uns unverständliche Namen, wie hGH,<br />

THG, IGF-1, RSR 13, die bei der Vermehrung von Testosteron eine Rolle spielen. Das THG<br />

zum Beispiel, nur für den Sport entwickelt, soll über mehrere Monate wirken, aber die<br />

Nachweisbarkeit soll sich nur auf drei bis sieben Tage beschränken. Seit 2003 ist es auch<br />

nachweisbar <strong>und</strong> hat schon eine ganze Reihe prominenter „Opfer“ gefordert.<br />

Auf dem Markt sollen auch Mittel sein, die lediglich nur 2 bis 3 St<strong>und</strong>en nachweisbar sind<br />

bzw. durch Vermischung mit anderen Substanzen keinen eindeutigen Nachweis ergeben.<br />

- Nicht zuletzt nimmt eine erhebliche Anzahl von Sportlern Insulin <strong>und</strong> verschiedene<br />

Schilddrüsenhormone, die leicht muskelaufbauend <strong>und</strong> regenerierend wirken.<br />

Der Missbrauch von Insulin weist auch auf Doping mit Wachstumshormonen hin, um<br />

Nebenwirkungen zu kompensieren.<br />

Übrigens war ich 1984 darüber verw<strong>und</strong>ert, dass unter den olympischen Medaillengewinnern<br />

der US-Leichtathleten eine unverhältnismäßig hohe Anzahl von Asthma-Kranken war, die<br />

allesamt ein Attest <strong>zur</strong> Einnahme bestimmter Medikamente vorweisen konnten. Mir war<br />

bekannt, dass Asthmakranke zwar Sport treiben sollen, aber gerade Ausdauersportarten nicht<br />

empfohlen werden, weil bei körperlicher Betätigung Luft durch den M<strong>und</strong> eingeatmet wird,<br />

die kälter als die Körpertemperatur ist <strong>und</strong> damit die Atemwege austrocknen <strong>und</strong> abkühlen.<br />

Später erfuhr ich, dass diese Medikamente den Abbau <strong>und</strong> die Einschleusung des Zuckers in<br />

die Muskelzelle beschleunigen.<br />

Sportler, die versuchen, dieses Hintertürchen zu nutzen, berufen sich auf Punkt 4.4. der<br />

Antidoping Charta, in der es heißt:“ Das Vorhandensein einer verbotenen Substanz im<br />

Körper eines Athleten unter Vorliegen einer entsprechenden medizinischen<br />

Ausnahmegenehmigung stellt keinen Verstoß gegen die Antidoping Bestimmung gemäß<br />

Artikel 2 dar.“<br />

- Eine weitere Form ist das so genannte Blutdoping. Seit den olympischen Spielen von<br />

Montreal 1976 tauchen immer neue Gerüchte über Fälle von Blutdoping auf. Manipulationen<br />

mit Fremdblut sind durch die Blutgruppenbestimmung mit zehn verschiedenen genetisch<br />

unabhängigen Blutgruppenfaktoren mit hoher Sicherheit nachweisbar. Bis heute gibt es<br />

jedoch noch keine verlässliche Kontrollmethode für die Eigenblutrücktransfusion, wenn<br />

vorher abgenommenes Eigenblut mit einem Konzentrat von roten Blutkörperchen versehen,<br />

kurz vor dem Wettkampf wieder zugeführt wird.<br />

- Auch fremdes Testosteron im Blut ist relativ leicht nachzuweisen, aber die Labore messen,<br />

um teure Nachfolgetests zu ersparen, zuerst den Quotienten von Testosteron <strong>und</strong><br />

Epitestosteron. So wird in „Fachkreisen“ schon aufgepasst, dass der Quotient unter 4:1 bleibt,<br />

damit keine weiteren Untersuchungen folgen.


Es wird auch davon berichtet, dass Ärzte ihren Sportlern gewisse Mengen an Blut abnahmen,<br />

um die zulässigen Hämatokritwerte von 50 Prozent nicht zu überschreiten oder dem Sportler<br />

vor der Kontrolle Blutverdünnungsmittel zuführen. Einem Sportler die bewusste Erhöhung<br />

des Hämoglobinwertes nachzuweisen, ist wissenschaftlich außerordentlich kompliziert. Dazu<br />

kommt, dass Blutkontrollen in Ergänzung von Urin Proben effektiver wären, aber sowohl<br />

finanzielle, als auch religiöse oder ethisch-moralische Gründe <strong>und</strong> die Gefahr<br />

ges<strong>und</strong>heitlicher Risiken die Durchsetzung erschweren. Die Möglichkeit der Manipulation<br />

der Proben wäre allerdings sehr viel geringer. Außerdem gestatten Bluttests auch<br />

Quantitätsanalysen der eingenommenen Mittel. In einzelnen Sportarten werden bereits<br />

biologische Blutpässe verlangt.<br />

-Auch über gentechnische Methoden <strong>zur</strong> Leistungssteigerung soll in Sportkreisen nicht nur<br />

nachgedacht, sondern sogar bereits experimentiert werden. Und das zu einem Zeitpunkt,<br />

bevor Patienten Gentherapien <strong>zur</strong> Verfügung stehen, da noch lange nicht alle gentechnischen<br />

Ursachen von Krankheiten entschlüsselt sind. Gene bestehen aus der so genannten DANN.<br />

Sie steuern die Bildung von Proteinen <strong>und</strong> nehmen damit Einfluss auf die verschiedensten<br />

Körperfunktionen, wie zum Beispiel die Hormonproduktion, Blutbildung <strong>und</strong> das<br />

Muskelwachstum<br />

Unzählige Dopingtote hat es bereits gegeben.<br />

Die Nachweise dafür sind oft schwer zu erbringen, denn Anabolika oder Aufputschmittel<br />

sind nicht ausschließlich die Ursache für einen plötzlichen Herztod von Top-Athleten. Auch<br />

eine unerkannte, durch Viren oder Bakterien hervorgerufene Herzmuskelentzündung oder<br />

auch eine nicht bemerkte angeborene Herzmuskelverdickung kann zum plötzlichen Tod<br />

führen. Als ein Beispiel könnte der Tod des Mittelstrecklers René Herms angeführt werden,<br />

als die Staatsanwaltschaft nach der Obduktion eine Herzmuskelentzündung durch Viren<br />

angab, die zum plötzlichen Herzversagen geführt haben soll.<br />

Die Wahrscheinlichkeit, heutzutage erwischt zu werden, hängt in zunehmendem Maße von<br />

der Höhe des Risikos <strong>und</strong> vor allem vom Geldbeutel des Sportlers ab. Es wird wissentlich<br />

gedopt, indem man sich bis zum letzten an Grenzwerte heranpirscht oder maskierende<br />

Substanzen verwendet. Übrigens liegt die Produktion des vorrangig von Ausdauersportlern<br />

verwendeten Dopingmittels Erythropoietin (EPO) in der Welt sechsfach höher, als im<br />

medizinischen Bereich derzeitig benötigt wird. Und nicht zu Unrecht warf Gustaf Adolf<br />

Schur im B<strong>und</strong>estag die Frage auf, warum jährlich in Deutschland sechs Tonnen Anabolika<br />

hergestellt, obwohl für medizinische Zwecke nur maximal 600 kg gebraucht werden.<br />

8<br />

Das Internationale Olympische Komitee, die Internationalen Sportverbände <strong>und</strong> verschiedene<br />

Staaten, darunter insbesondere Deutschland haben in den letzten Jahren verstärkte<br />

Anstrengungen im Kampf gegen Doping unternommen.<br />

1988 fand bereits die erste Welt – Antidoping - Konferenz in Kanada statt, die eine Anti-<br />

Doping – Charta verabschiedete. Auf der 2. Konferenz in Kopenhagen im März 2003 ( die<br />

eigentlich 2. Konferenz von Moskau 1989 blieb in einigen Dokumenten aus unerklärlichen<br />

Gründen unerwähnt) haben Vertreter von Sportförderationen <strong>und</strong> Regierungen aus über 80<br />

Ländern einen Anti- Doping-Code verabschiedet, den das IOC im gleichen Jahr für die<br />

olympische Bewegung als verbindlich erklärte. IOC-Präsident Jacques Rogge meinte dazu<br />

ziemlich ernüchternd, dass er nicht glaube, dass der Kampf gegen Doping zu gewinnen sei,<br />

aber er will die Olympischen Spiele so sauber wie möglich gestalten.<br />

Das NOK der B<strong>und</strong>esrepublik <strong>und</strong> die Vertreter der NADA haben am 10.12.2003 in Leipzig<br />

die Charta unterzeichnet.


Die bereits 1999 in Form einer Stiftung gegründete Welt- Anti- doping- Agentur WADA ist<br />

für die internationale Kontrolle <strong>zur</strong> Einhaltung der Charta zuständig.<br />

9<br />

Doping im DDR-Sport<br />

Mitte der achtziger Jahre wurde ich zu einem Sportforum in die Jugendhochschule der FDJ<br />

am Bogensee eingeladen, an der sich 700 verantwortliche Funktionäre von Jugendtourist<br />

trafen. Während der Diskussion stellte einer der Anwesenden die Frage: "Sportfre<strong>und</strong><br />

Köhler, wir sind doch hier unter uns. Sag doch mal, wie es in der DDR mit dem Doping ist.<br />

Überall wird über Doping gesprochen - nehmen die DDR-Sportler nun Doping oder nicht?"<br />

Bevor ich antworten konnte, sagte der Versammlungsleiter, dass er diese Frage gar nicht an<br />

mich weiterzugeben braucht, die wäre so einfach zu beantworten, dass er es gleich selbst täte.<br />

Darüber war sogar ich etwas verw<strong>und</strong>ert, denn der Chef von Jugendtourist war zwar selbst ein<br />

begeisterter Sportler <strong>und</strong> zählte nicht zu denen, die je um eine passende <strong>und</strong> originelle<br />

Antwort verlegen waren, aber dass er sich in dieser Thematik auskannte, bezweifelte ich<br />

stark. Dann sagte er: "Wenn wir solche Mittel hätten <strong>und</strong> wenn sie tatsächlich helfen würden,<br />

dann würden sie wohl zuerst den Fußballern gegeben werden." Mit zustimmenden Lachen<br />

wurde die Antwort hingenommen.<br />

Das Thema war damit abgehakt <strong>und</strong> wir konnten zum angenehmeren Teil des „Sportw<strong>und</strong>ers<br />

DDR“ übergehen.<br />

Inzwischen ist natürlich bekannt, dass auch in der DDR gedopt wurde <strong>und</strong> damit die Regeln<br />

bewusst gebrochen wurden.<br />

Anfang der 70er Jahre war durch die zunehmende Anwendung von Doping im internationalen<br />

Sport die Chancengleichheit des DDR-Sports nicht mehr gewährleistet. Trotz der Vorzüge<br />

unseres Auswahl- Trainings- <strong>und</strong> Fördersystems, konnten wir die Nachteile für unsere<br />

Sportler, die aus Verwendung pharmakologischer Mittel <strong>zur</strong> Leistungssteigerung entstanden,<br />

nicht mehr ausgleichen. Sportler, Trainer, Sportmediziner <strong>und</strong> Sportwissenschaftler<br />

verwiesen auf die entstandene Ungleichheit <strong>und</strong> drängten auf Entscheidungen.<br />

An die Aussagen unserer Sportler <strong>und</strong> Trainer erinnerte ich mich, als ich im „Spiegel“ ein<br />

Interview mit der österreichischen Triathletin Lisa Hütthaler las, die sich dazu<br />

folgendermaßen äußerte:“ Für mich war das eine Frage der Gleichberechtigung. Du weißt,<br />

dass es die anderen machen <strong>und</strong> willst die gleiche Erfolgschance haben. Ich entwickelte einen<br />

Blick dafür, welche meiner Konkurrentinnen welches Mittel genommen hat.“ (Spiegel<br />

18/2009 Seite 130)<br />

Ihr schloss sich der österreichische Radsportler Bernhard Kohl an, der ebenfalls erwischt<br />

wurde <strong>und</strong> daraufhin auch seine Karriere mit den Worten beendete: „Ohne Doping gibt es<br />

keine Chancengleichheit im internationalen Spitzenfeld.“ (Berliner Zeitung 26.5.2009)<br />

Allerdings war es nicht im Interesse des DDR-Sports, dass sich das in den USA, aber auch in<br />

der BRD praktizierte Doping weiter im internationalen Sport ausbreitete. Im Gegenteil, DDR<br />

Sportler hätten wahrscheinlich die Position unter den führenden Sportnationen ohne Doping<br />

noch erfolgreicher behaupten können. Diese Auffassung gründet sich auf der Anwendung<br />

unseres umfassenden Sichtungs- <strong>und</strong> Auswahlsystems, des langfristigen kontinuierlichen<br />

Trainingsaufbaus vom Gr<strong>und</strong>lagen- bis zum Hochleistungstraining <strong>und</strong> auf das hocheffektive<br />

Fördersystem. Das Konzept des Leistungssports war auf komplexe, vor allem<br />

sportwissenschaftlich f<strong>und</strong>ierte trainingsmethodische Aspekte ausgerichtet, so dass sich der<br />

Wegfall von Doping für uns nur als Vorteil gegenüber anderen Sportländern erwiesen hätte.<br />

Darauf möchte ich mit aller Deutlichkeit, wenn auch für manch einen unverständlich,<br />

verweisen.


Unter Berücksichtigung von zwei Aspekten entschied sich die damalige Sportleitung der<br />

DDR unter bestimmten Voraussetzungen für eine sachgerechte, medizinisch kontrollierte<br />

Anwendung ausgewählter Dopingmittel.<br />

Der eine Aspekt war darin zu sehen, dass es zu dieser Zeit weder ein wirksames<br />

internationales Kontrollsystem gab, das alle Sportarten <strong>und</strong> Länder gleichermaßen erfasste.<br />

Der zweite Aspekt bestand darin, einen unkontrollierten, spontanen <strong>und</strong> daher medizinisch<br />

nicht zu verantwortenden Gebrauch zu verhindern. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass<br />

anabole Steroide erst 1976 auf die IOC-Verbotsliste gesetzt wurden.<br />

Wiederholt möchte ich bei der Beschreibung dieser Fakten darauf hinweisen, dass die<br />

Dopingprobleme dieser Jahre nur im Kontext <strong>zur</strong> internationalen Situation im Weltsport<br />

gesehen werden können.<br />

10<br />

Die Verantwortlichen des DDR-Sports haben sich die Entscheidung für den Einsatz von<br />

Dopingmitteln nicht leicht gemacht. So wurden strenge Kriterien festgelegt, auf die ich im<br />

Verlaufe meiner Darstellungen noch näher eingehen werde. Vor allem ging es darum, unter<br />

welchen Bedingungen die Nutzung von Dopingmitteln nicht nur vor den Sportlern vertreten,<br />

sondern mit ihnen gemeinsam getragen werden konnte.<br />

Die Sportleitung der DDR entschied sich im Sinne einer Doppelstrategie, gleichzeitig in zwei<br />

verschiedenen Richtungen vorzugehen:<br />

Auf der einen Seite nutzten wir sämtliche <strong>zur</strong> Verfügung stehenden Möglichkeiten, Ebenen,<br />

Gremien <strong>und</strong> Kongresse im Kampf gegen das Doping, um aktiv gegen Dopingmissbrauch<br />

aufzutreten. Sportärzte der DDR waren in medizinischen Kommissionen von 16<br />

internationalen bzw. europäischen Sportföderationen aktiv tätig, wobei Vertreter der DDR<br />

im Biathlon, Bob, Gewichtheben <strong>und</strong> Fußball sogar den Vorsitzenden stellten. Vor allem in<br />

den internationalen Förderationen der Leichtathletik, im Rudern <strong>und</strong> Kanu, im Ringen, Boxen<br />

<strong>und</strong> Gewichtheben, aber auch im Biathlon <strong>und</strong> Bobsport <strong>und</strong> im Fußball sind unsere<br />

Mitglieder in den Medizinischen Kommissionen mit konkreten Vorschlägen für verstärkte<br />

nationale <strong>und</strong> internationale Kontrollen, <strong>zur</strong> Erarbeitung juristischer Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> gegen<br />

die Eskalation sportschädlicher Einflüsse aufgetreten. Außerdem war die DDR in der<br />

Subkommission Doping der Medizinischen Kommission des IOC vertreten.<br />

Es gab keine internationale Anti-Dopingkonferenz, auf der nicht auch Vertreter der DDR<br />

gegen diese Geisel des modernen Sports auftraten <strong>und</strong> Vorschläge für ein weltweites<br />

Kontrollsystems unterbreiteten.<br />

Parallel dazu haben wir andererseits im Interesse der Chancengleichheit unserer Sportler<br />

unterstützende Mittel wissenschaftlich-medizinisch kontrolliert <strong>und</strong> unter Anwendung des<br />

Prinzips der Sicherung der Ges<strong>und</strong>heit bei gleichzeitiger Erhöhung der sportlichen<br />

Leistungsfähigkeit eingesetzt. Es gab zu dieser Zeit nicht die geringsten Anzeichen dafür, dass<br />

die Ursachen des Dopings in absehbarer Zeit beseitigt werden können. Das schleppend<br />

eingeführte internationale Kontrollsystem hatte wenig Effizienz. Auch das IOC zeigte sich<br />

nicht in der Lage, sichere Kontrollen zu gewährleisten.<br />

Voraussetzung für die Anwendung unterstützender Mittel war ein hoch entwickeltes System<br />

der sportmedizinischen Betreuung <strong>und</strong> Kontrolle <strong>und</strong> ein starkes Vertrauen in unsere<br />

Sportärzte.


11<br />

Wir bildeten uns ein, moralisch auf der besseren Seite als jene zu stehen, die durch die<br />

unkoordinierte Inanspruchnahme verschiedener Ärzte die Athleten einem besonders hohen<br />

Ges<strong>und</strong>heitsrisiko aussetzten.<br />

Bei der gegenwärtig immer noch einseitigen Aufarbeitung der Geschichte des Sports der<br />

DDR mit Fokussierung auf das Doping ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass uns dieses Vorgehen<br />

in Dopingfragen als doppelte Moral vorgeworfen wird. Meiner Meinung nach aber hat sich<br />

der hier scheinbar dargestellte Widerspruch international <strong>und</strong> auch in Deutschland sogar<br />

noch weiter zugespitzt.<br />

Insofern ist schon erstaunlich, wie unter der Regie der neuen deutschen Sportführung die<br />

ehemaligen DDR-Sportler, deren Erfolge angeblich nur auf Doping beruhten, bei<br />

Olympischen Spielen <strong>und</strong> Weltmeisterschaften bis in die jüngste Zeit die Mehrzahl der<br />

deutschen Medaillen erringen konnten.<br />

Ich meine damit diejenigen Sportler zum Beispiel in der Leichtathletik, im Rudern,<br />

Schwimmen, Kanusport, im Handball <strong>und</strong> nahezu in allen Wintersportarten, die schon zu<br />

DDR-Zeiten zu den erfolgreichsten in der Welt gehörten.<br />

Erstaunen können auch die Olympiasiege <strong>und</strong> Weltmeistertitel von ehemaligen DDR-<br />

Sportlern in Sportarten wie Eiskunstlauf oder Wasserspringen auslösen, bei denen laut<br />

Aussage von Experten die Anwendung von Doping <strong>zur</strong> Leistungssteigerung als nahezu<br />

wirkungslos bezeichnet werden kann.<br />

Die Ursachen dieser Erfolge sollten zum Nachdenken anregen, vor allem für diejenigen, die<br />

die großartigen Erfolge des DDR-Sports ausschließlich mit dem „flächendeckenden<br />

Zwangsdoping“ begründen <strong>und</strong> nicht bereit sind, sich mit dem komplex wirkenden System<br />

des DDR-Sports ernsthaft zu befassen.<br />

Jedenfalls ist nicht zu übersehen, dass die DDR seit mehr als 20 Jahre passé ist, gedopt aber<br />

wird mehr denn je.<br />

In der DDR war in die Anwendung <strong>und</strong> deren Kontrolle nur ein kleiner Kreis<br />

verantwortlicher Funktionäre, Trainer <strong>und</strong> Sportmediziner eingeweiht. Die Vergabe<br />

unterstützender pharmazeutischer Substanzen erfolgte in einem geschützten System, in dem<br />

wie überall international üblich, nur diejenigen Bescheid wussten, die dafür Verantwortung<br />

trugen. Darüber hinaus war die Verantwortung so verteilt, dass bis auf den Präsidenten des<br />

DTSB jeder nur so viel wusste, wie es für seinen Bereich erforderlich war. Ein Gremium,<br />

welches sich mit der Gesamtheit der Problematik beschäftigte <strong>und</strong> Entscheidungsbefugnis<br />

besaß, existierte nicht.<br />

Aus heutiger Sicht haben wir Verantwortliche des DDR-Leistungssports in der<br />

Dopingproblematik eine Reihe möglicher Konsequenzen nicht genügend bedacht <strong>und</strong> nicht<br />

alle damaligen Entscheidungen können ohne Berücksichtigung dieser Umstände<br />

gerechtfertigt werden. Auch haben wir damit verb<strong>und</strong>ene Risiken offensichtlich unterschätzt,<br />

wie zum Beispiel die unkontrollierte Anwendung durch Sportler, die nicht dem festgelegten<br />

Kaderkreis angehörten oder die Einnahme überhöhter Dosierungen zum einseitigen Vorteil.<br />

Nachdem die gesetzlich geregelte Geheimhaltungspflicht im Zusammenhang mit der<br />

Auflösung der DDR nicht mehr bestand, wurden zunehmend Einzelheiten über die<br />

Anwendung bestimmter Pharmaka im DDR-Leistungssport, die auf der Dopingliste des IOC<br />

stehen, bekannt. Diese Medikamente wurden den „Unterstützenden Mitteln“ vor allem mit<br />

dem Ziel zugeordnet, die Belastungsverträglichkeit der Athleten im Hochleistungsbereich zu<br />

verbessern <strong>und</strong> ihre Wiederherstellung für weitere Belastungen zu beschleunigen.<br />

Gr<strong>und</strong>überlegung war dabei, dass die Belastungen dieser Sportler weit über das Maß der<br />

Ges<strong>und</strong>erhaltung normal Sporttreibender hinausgehen. Daraus folgt, dass <strong>zur</strong> Erhöhung der


12<br />

Belastungsverträglichkeit <strong>und</strong> <strong>zur</strong> schnelleren Wiederherstellung der Belastungsfähigkeit<br />

Mittel <strong>und</strong> Methoden eingesetzt wurden, die diesen Prozess beschleunigten. Das schloss auch<br />

die Anwendung von Arzneimitteln in entsprechender Dosierung ein.<br />

Es ist davon auszugehen, dass wir in der Sportmedizin den Begriff „Unterstützende Mittel“<br />

auch in Bezug auf die Vergabe von Pharmaka verstanden. Zu ihnen zählten aber auch das<br />

Höhentraining bzw. die Nutzung der Barokammer in der Sportschule Kienbaum, das Training<br />

einschließlich reproduzierbarer Leistungstests in Strömungskanälen, besonders in den<br />

Sportarten Schwimmen <strong>und</strong> Kanu, autogenes– <strong>und</strong> ideomotorisches Training,<br />

Elektrostimulation <strong>und</strong> nicht zuletzt auch sportartspezifische Ernährungs- <strong>und</strong><br />

Substitutionsprogramme, wie die Vergabe von Vitaminen <strong>und</strong> Mineralien <strong>und</strong><br />

Elektrolytlösungen <strong>zur</strong> Energieanreicherung.<br />

Der Einsatz dieser Mittel war international üblich <strong>und</strong> wurde von einer Vielzahl von Ländern<br />

ebenso genutzt.<br />

Die Anwendung „Unterstützender Mittel“ wurde von den Experten wie folgt vertreten: „ Der<br />

Einsatz U.M. (unterstützende Mittel) im Sport erfolgt nur dann, wenn den neuesten<br />

Erkenntnissen entsprechend die Ges<strong>und</strong>heit der Sportler weder physisch noch psychisch<br />

geschädigt wird. … U.M. sind Medikamente <strong>und</strong> können nur von Medizinern auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage der entsprechenden Gesetzgebung der DDR verabreicht werden. U. M. können nur<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage wissenschaftlich - trainingsmethodisch <strong>und</strong> medizinisch begründeter<br />

Konzeptionen eingesetzt werden. U.M. sind in Abhängigkeit von ihrem<br />

Wirkungsmechanismus zu spezifizieren <strong>und</strong> zu limitieren nach Alter, Geschlecht,<br />

Leistungsniveau <strong>und</strong> Sportart. Der Einsatz der U.M. bedingt systematische medizinische Vor-,<br />

Verlaufs- <strong>und</strong> Nachkontrollen.“<br />

Der Einsatz dieser Mittel war ausschließlich für ausgewählte Kadersportler vorgesehen, die<br />

in der Regel erwachsen waren. Ausnahmen bestanden zum Beispiel im Schwimmen, einer<br />

Sportart mit einem geringen Höchstleistungsalter, wobei nur Sportler einbezogen wurden, die<br />

nach einem mehrjährigen Trainingsprozess <strong>zur</strong> Leistungsspitze zählten. Wenn Sportler bereits<br />

ab dem 16. Lebensjahr beteiligt wurden, geschah das unter Beachtung ihres biologischen<br />

Reifegrades <strong>und</strong> in besonderer Verantwortung <strong>und</strong> Kontrolle ihrer Sportärzte.<br />

Jede Anwendung von Anabolika bei jüngeren Sportlern war gr<strong>und</strong>sätzlich nicht gestattet. Die<br />

Leistungsentwicklung von Nachwuchssportlern, die noch keine Spitzenbelastungen<br />

erreichten, wurde ausschließlich über das sportliche Training gesteuert.<br />

Inzwischen hat sich gezeigt, dass es Verstöße gegen diese Festlegungen gab. Informationen,<br />

die auf eine vermutliche Vergabe von Anabolika an Spartakiadesportler hinweisen,<br />

überraschten auch mich. Für mich ist es unvorstellbar, dass Trainer <strong>und</strong> Übungsleiter, die mit<br />

einem großen Vertrauensvorschuss ihre zu betreuenden Kinder von den Eltern übergeben<br />

bekamen, ihrer Verantwortung nicht umfassend nachgekommen sein sollen.<br />

In meiner Funktion als einer der Verantwortlichen für den Leistungssport der DDR, gehört es<br />

zu meinen Versäumnissen, Abweichungen nicht erkannt bzw. hinterfragt zu haben, um<br />

Maßnahmen zu deren Vermeidung einzuleiten.<br />

Der Sportmedizinische Dienst der DDR (SMD), der im Gegensatz zu anderen medizinischen<br />

Einrichtungen vordergründig nicht kranke Menschen, sondern ges<strong>und</strong>e Athleten betreute,<br />

war sowohl für die allgemeine sportmedizinische Betreuung der sporttreibenden<br />

Bevölkerung, als auch im speziellen für die Betreuung der Leistungssportler zuständig.<br />

Als am 7.Mai 1998 Widor Hollmann als Präsident des Deutschen Sportärzteb<strong>und</strong>es der BRD,<br />

der ca. 13 000 Sportärzte vereint, nach 14 Jahren abtrat, lobte er die Sportmedizin der DDR<br />

mit folgenden Worten: „ In meinem Bestreben, das sportmedizinische Versorgungsnetz der<br />

DDR zu erhalten, habe ich von Funktionärsseite keinerlei Unterstützung erfahren“. Die<br />

Berliner Zeitung reagierte erwartungsgemäß darauf am 16.5.1998: “ Als habe das


13<br />

medizinische System der DDR zum Wohle der Sportler gehandelt, prangerte Hollmann<br />

dessen Abbau an <strong>und</strong> nannte seine Effizienz großartig.“<br />

Wer eben etwas von der Sache verstand, konnte nicht umhin, die Arbeitsweise unserer hoch<br />

effektiven Sportmedizin anzuerkennen.<br />

In den Sektionen der Sportclubs waren 1989 allein 90 Fachärzte tätig. Dazu kamen noch<br />

Verbandsärzte in sämtlichen Sportarten, Ärzte in den Sportschulen <strong>und</strong> Forschungsärzte am<br />

Forschungsinstitut in Leipzig <strong>und</strong> am Zentralinstitut in Kreischa bei Dresden.<br />

Im Leitungsapparat des SMD gab es eine spezielle, koordinierende Arbeitsgruppe, die sich<br />

mit zwei Aufgaben beschäftigte:<br />

Zum einen mit der Anwendung von Mitteln bei Sportlern im Training nach hohen<br />

Belastungen <strong>und</strong> <strong>zur</strong> schnelleren Wiederherstellung. Hierzu gehörten auch Medikamente, die<br />

zum Doping zu rechnen waren, aber unter Beachtung der ärztlichen Sorgfaltspflicht<br />

eingesetzt wurden. Entscheidend war hierbei das enge Zusammenwirken von Trainern <strong>und</strong><br />

Sportfachärzten, die durchaus die ges<strong>und</strong>heitlich zulässigen Dosierungen in Verbindung mit<br />

körperlichen Belastungen einzuschätzen verstanden <strong>und</strong> auf jede Abweichung<br />

verantwortungsbewusst reagierten. Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen <strong>und</strong> die<br />

sportmedizinische Begleitung leistungsdiagnostischer Maßnahmen gehörten dabei<br />

selbstverständlich zum Standart. Dem voraus gingen umfangreiche ges<strong>und</strong>heitliche <strong>und</strong><br />

sportliche Eignungsuntersuchungen für jeden einzelnen Sportler.<br />

Zum anderen wurde gleichzeitig auf dem Gebiet Unterstützender (einschließlich Doping) -<br />

Mittel geforscht. Diese Forschungen wurden auch vor dem Hintergr<strong>und</strong> betrieben, jeglichen<br />

Missbrauch zu verhindern, bzw. auszuschließen. Genau an dieser Stelle ist auch das<br />

inzwischen berüchtigte Staatsplanthema 14.25 einzuordnen, welches sich ausschließlich mit<br />

Dopingforschung beschäftigt <strong>und</strong> nicht, wie behauptet, das Dokument zum „ staatlichen<br />

DDR-Zwangsdoping“ darstellt.<br />

Staatsplanthemen waren in der DDR Forschungsprojekte, die im Staatsplan Wissenschaft <strong>und</strong><br />

Technik zusammengefasst wurden <strong>und</strong> im Sinne einer Vorrangigkeit die Ressourcen von<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Technik der DDR widerspiegelten. Die Forschungsrichtung Sport hatte vier<br />

Themenkomplexe: Nr. 14.25 Unterstützende Mittel; Nr. 14.26 Stütz- <strong>und</strong> Bewegungssystem;<br />

Nr. 14.27 Gleitreibung (Kufen Schlitten <strong>und</strong> Bob); <strong>und</strong> 14.28 Telemetrie.<br />

Mit diesen Maßnahmen <strong>und</strong> unter Berücksichtigung der Wirksamkeit des Gesamtsystems der<br />

sportmedizinischen Betreuung in der DDR gelang es uns, vor allem im Vergleich zu anderen<br />

Ländern, die Anwendung von Arzneimittel im Sport durch Nichtmediziner nahezu<br />

auszuschließen. Schwere ges<strong>und</strong>heitliche Zwischenfälle oder sogar Todesfälle, wie in einigen<br />

anderen Ländern, gab es in der DDR nicht.<br />

Das bisher einzige medizinisch-pharmakologische Gutachten für den so genannten<br />

Pilotprozess bestätigte, dass es sich in den untersuchten Fällen ehemaliger DDR -<br />

Schwimmerinnen um „unerhebliche Ges<strong>und</strong>heitsschädigungen“ (Rietbrock/Lübbert v.<br />

11.8.1998) gehandelt hat.<br />

Alle Mittel wurden stets im Einvernehmen mit dem Sportler verabreicht. Wenn es dazu, wie<br />

oft in den Medien beschrieben, Abweichungen gab, dann sollen diejenigen dazu Stellung<br />

nehmen, die dies in eigener Verantwortung taten.<br />

Im Zeitraum der Aufarbeitung des DDR-Sports wurden befragte Sportler schnell in die<br />

Kategorie der Opfer eingeordnet, wenn sie sich in ihren Aussagen auf folgende Argumente<br />

beriefen, dass<br />

- eventuell Doping nicht wissentlich erfolgte,<br />

- sie erst bei den Verhören den Sinn der „blauen Pillen“ erklärt bekamen


14<br />

- sie Dopingmittel erhielten, aber nie eingenommen haben.<br />

Man kann das Verhalten dieser Sportler unter Beachtung der möglichen Konsequenzen, die<br />

auf sie zukommen konnten, nachvollziehen, aber damit waren die Ärzte, Trainer <strong>und</strong><br />

Funktionäre die allein Schuldigen.<br />

Kristin Otto, unsere sechsfache Schwimm-Olympiasiegerin von Soul 1988, äußerte sich im<br />

Sportstudio des ZDF am 18.Oktober 1997 wie folgt:“ Ich habe bis heute keine Anhaltspunkte<br />

dafür, dass ich vermuten kann, Medikamente bekommen zu haben, die meinen Körper<br />

geschadet haben“. Und auf die Frage, haben Sie gedopt oder wurden Sie möglicherweise<br />

gedopt, antwortete sie:“ Für mich gibt es keine Anhaltspunkte, diese Fragen zu bejahen“.<br />

Schließlich fühle sie sich absolut ges<strong>und</strong> <strong>und</strong> glaubt deshalb nicht daran, mit unerlaubten<br />

Mitteln in ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit gefördert worden zu sein“.<br />

Mir ist aus meiner Tätigkeit im Leistungssport nicht bekannt, dass ein Trainer oder ein<br />

Sportler von oben angewiesen wurde, Doping zu verwenden. Daher ist es auch vollkommen<br />

falsch, dass diejenigen Sportler, die es ablehnten, unerlaubte Mittel zu verwenden, aus dem<br />

Kader geflogen wären. Es ist auch denen gegenüber äußerst ungerecht, die nie Dopingmittel<br />

einnahmen. Kann man überhaupt einen Sportler, einen Arzt oder Trainer zum Doping<br />

zwingen? Nach meiner eigenen Erfahrung als Sportler <strong>und</strong> Trainer ist Zwang keine Basis für<br />

Bestleistungen. Das Verhältnis von Sportler <strong>und</strong> Trainer kann nur dann zu Erfolgen führen,<br />

wenn es auf Vertrauen <strong>und</strong> gegenseitiger Achtung beruht, nicht auf Zwang. Nur wer sich<br />

freiwillig dem Leistungssport verschreibt, kann Erfolge erreichen.<br />

Ich selbst <strong>und</strong> da spreche ich sogar für all meine Sportkameraden, hatte während meiner<br />

aktiven Laufbahn, obwohl seit den 60ziger Jahren nachgewiesenermaßen bereits international<br />

angewendet, mit Doping gar nichts zu tun. Uns hat dieses Thema nicht interessiert <strong>und</strong> wir<br />

haben uns auch nicht bemüht, darüber etwas zu erfahren. Ich wog zu meinen aktiven Zeiten<br />

nie über 70 kg <strong>und</strong> hätte gern noch ein paar Kilo benötigt, um auf Bahnen mit langen Geraden<br />

<strong>und</strong> großen Kurvenradien mitzuhalten. Auf die Idee, außer durch natürliche, ges<strong>und</strong>e<br />

Nahrungszunahme ein höheres Gewicht zu erreichen, kamen wir zu dieser Zeit nicht.<br />

Auch später als Trainer konnte ich mir den Nutzen der Einnahme unterstützender Mittel für<br />

Schlittensportler nicht vorstellen. Falls beim Startabzug dadurch ein Kraftvorteil erreicht<br />

werden könnte, wäre er während der Fahrt durch die eingeschränkte Koordinationsfähigkeit<br />

wieder aufgebraucht. Als während meiner Trainertätigkeit an unsere Damen, wie zum<br />

Beispiel an Ute Rührold, Margit Schumann oder Eva-Maria Wernicke das Angebot von<br />

Medikamenten für eine Gewichtszunahme herangetragen wurde, gab es vehement Protest,<br />

denn sie wollten zwar schnell sein, aber nicht das geringste Risiko eingehen, ihre sportlichen<br />

Figuren zu verlieren.<br />

Nach der neuerlichen Geschichtsschreibung hätten sie alle aus dem Kader fliegen müssen.<br />

Ihre erfolgreichen langjährigen Karrieren belegen, dass dies nicht der Fall war.<br />

Auf Gr<strong>und</strong> fehlender zentraler Richtlinien in Dopingfragen erfolgte die Bestrafung von DDR-<br />

Sportlern, bei denen bei nationalen Kontrollen positive Bef<strong>und</strong>e ermittelt wurden, zwar unter<br />

Verantwortung der Sportleitung, aber durch die jeweiligen Fachverbände selbst. Wir haben<br />

derartige Vergehen immer nur intern ausgewertet <strong>und</strong> nicht an die Öffentlichkeit getragen.<br />

Trotzdem haben diese Kontrollen auch namhafte Sportler überführt. 1987 gab es DDR-intern<br />

neun solcher Fälle, 1988, im Jahr der Olympischen Spiele gab es 14 <strong>und</strong> 1989 traten 13 Fälle<br />

auf. Die Konsequenz waren zumeist Wettkampfsperren einschließlich für<br />

Weltmeisterschaften <strong>und</strong> Olympische Spiele.


Wenn innerhalb unseres eigenen Kontrollsystems positive Dopingfälle aufgetreten sind,<br />

haben wir den betroffenen Sportler prinzipiell aufgefordert, eine handschriftliche<br />

Stellungnahme zu verfassen, um sich umfassend rechtfertigen zu können.<br />

Im Zusammenhang mit den rasanten politischen Entwicklungen im Jahr 1989 wurde einer<br />

entscheidenden Zäsur im DDR-Sport leider nicht mehr die ihr zustehende Bedeutung<br />

beigemessen.<br />

In Auswertung der Dopingfälle während der Olympischen Spiele in Seoul 1988 haben wir<br />

am 1.Juni 1989 ein internes Dopingreglement verabschiedet <strong>und</strong> eine Rahmenrichtlinie durch<br />

die Leitung des DTSB in Kraft gesetzt. Mit Wirkung vom 1.September wurde festgelegt, dass<br />

der Einsatz verbotener Mittel untersagt ist <strong>und</strong> jegliche Dopingfälle, die in der DDR<br />

auftreten, öffentlich bekannt gegeben werden. Die Sanktionen wurden mit denen des IOC in<br />

Übereinstimmung gebracht, die Kontrollen bei Wettkampf <strong>und</strong> Training, auch im Ausland<br />

wurden erweitert. Mit gehörigem Abstand zu dieser damaligen Entscheidung kann man heute<br />

sagen, dass wir damit sicherlich das Dopingproblem auch für die Zukunft nicht restlos gelöst<br />

hätten, aber wir waren mit diesen Festlegungen nachweislich bereit, weiter zu gehen, als<br />

andere Länder <strong>und</strong> Schluss zu machen mit der Toleranz. Mit zunehmendem Abschied vom<br />

System des DDR-Sports in den letzten Monaten des Jahres 1989 verloren diese Festlegungen<br />

jedoch mehr <strong>und</strong> mehr an Wirkung.<br />

Die großen Erfolge des DDR-Sports auf die Verwendung von Doping zu reduzieren<br />

zeugt vor allem von der fehlenden Bereitschaft, sich mit dem komplex wirkenden System des<br />

DDR –Sports näher zu befassen.<br />

An dieser Stelle lasse ich Dr. Phil. Wolfgang Buss von der Universität Göttingen zu Wort<br />

kommen, der in der 18. Ausgabe der Beiträge <strong>zur</strong> Sportgeschichte auf Seite 16 folgendes<br />

schrieb: ...“ Viele Jahre haben deshalb vor allem westliche Kritiker immer wieder unerlaubtes<br />

Doping unterstellt, andere verwiesen auf die politisch zweifelhaften Möglichkeiten in einem<br />

von Lenkung <strong>und</strong> Dirigismus bestimmten Staatssportsystem, wie es beides sicherlich in der<br />

DDR sowie im ganzen ehemaligen Ostblock gegeben hat. All diese erklären den Erfolg des<br />

DDR Hochleistungssports jedoch nur zum Teil, wobei vor allem der Dopingvorwurf als<br />

primäre Begründung für einen Leistungsvorsprung nicht überzeugt. Unzweifelhaft hat es in<br />

der DDR über viele Jahre Doping gegeben <strong>und</strong> dies wurde auch systematisch <strong>und</strong> mit<br />

Kenntnis der offiziellen Sportführung angewandt. Das Doping – wenn auch mit<br />

unterschiedlichen Praxen – war aber nachweislich Alltagspraxis bei allen führenden<br />

Sportnationen (leider bis heute) <strong>und</strong> kann deshalb die besondere Leistungsfähigkeit des DDR-<br />

Systems nicht erklären“<br />

Ich habe mich deshalb so umfangreich <strong>zur</strong> Problematik des Dopings in der DDR geäußert, um<br />

der immer noch vertretenen These vom „flächendeckenden Zwangsdoping an<br />

Minderjährigen“ entgegen zu treten. Wie die Medien, in diesem Fall die Berliner Zeitung,<br />

die sich bis heute nie dem Verdacht aussetzte, Sympathien für den DDR-Sport zu hegen, die<br />

Jagd auf die „Dopingsünder“ der DDR begleiteten, sollen einige ausgewählte Zitate belegen:<br />

„Staatliche Muskelmast von Kindern zum Beweis der Überlegenheit des Systems“<br />

( 7.7.1998), „Die Ärzte reichten die Tabletten an die betreuenden Trainer weiter <strong>und</strong> diese<br />

schließlich fütterten die Kinder mit dem Gift“ (21.8.1998), „Das DDR-Dopingsystem war ein<br />

System staatlich angeordneter Kriminalität“ (ebenda). Zu den würdelosesten Aussagen im<br />

Einigungsprozess des deutschen Sports gehörte ein Zitat vom 21. Mai 2000:“ … hielt derselbe<br />

Staat seine Spitzensportler in Unmündigkeit <strong>und</strong> Knechtschaft, erst das Ende der DDR erlöste<br />

sie davon, diese Schmach noch länger zu erdulden.“<br />

Doping im BRD-Sport – nur individuell ?<br />

15


16<br />

Wenn schon der Begriff vom flächendeckenden Doping verwendet wird, ist es vielleicht<br />

nicht so abwegig, auch das flächendeckend zu nennen, was von der Universität Freiburg<br />

ausging, die immerhin den Status eines medizinischen Versorgungszentrums des<br />

b<strong>und</strong>esdeutschen Sports besaß. Universitätsärzte, Verbandsärzte <strong>und</strong> Mannschaftsärzte, die<br />

teilweise sogar noch Funktionen als Olympiaärzte oder in der NADA begleiteten, haben von<br />

dort ihre „Erfahrungen <strong>und</strong> Kenntnisse“ an Olympiateams <strong>und</strong> Nationalmannschaften<br />

weitergegeben. Aus dem Begleitbuch <strong>zur</strong> Ausstellung „Wir gegen uns – Sport im geteilten<br />

Deutschland“ darf ich hierzu unter der Zwischenüberschrift „Opfer“ ein aufschlussreiches<br />

Zitat anfügen:“ Die Sportler pilgerten in Scharen vor allem nach Freiburg, wo mit Armin<br />

Klümper <strong>und</strong> Josef Keul zwei ausgewiesene Experten residierten“. Diesem Zitat folgen<br />

Namen wie Jupp Elze, Birgit Dressel, Ralf Reichenbach, Christel Justen <strong>und</strong> Uwe Bayer, die<br />

offensichtlich durch Doping ihr Leben verloren.<br />

Selbst der Vorschlag des damaligen Vizepräsidenten des DSB, Manfred von Richthofen, Prof.<br />

Joseph Keul wegen seiner Verstrickung in Dopingprogramme nicht mehr als Olympiaarzt zu<br />

nominieren, wurde von Willi Daume persönlich verworfen. Olympiaarzt Prof. Keul leitete<br />

bereits 1986 eine multizentrale Studie über die Wirkung von Testosteron auf die<br />

Regeneration <strong>und</strong> Ausdauerleistungsfähigkeit bei Spitzensportlern, in der er entgegen der<br />

Aussage vieler Experten zu belegen versucht, dass Testosteron nichts bringt.<br />

Manfred von Richthofen, inzwischen Ehrenpräsident des DOSB, äußerte sich später erneut<br />

<strong>und</strong> ernüchtert zu diesem Thema: „Wir dachten fälschlicherweise, muss man heute sagen -<br />

dass man von einem flächendeckenden Doping ausschließlich in der DDR sprechen konnte.<br />

Dieses staatsgelenkte flächendeckende Doping gab es natürlich in der B<strong>und</strong>esrepublik nicht.<br />

Aber dass in der B<strong>und</strong>esrepublik auch gedopt wurde, <strong>und</strong> schon lange vor der Vereinigung,<br />

steht für mich außer Frage“.<br />

Dass bei der ohnehin einseitigen Aufarbeitung des deutschen Sports die Dopingvergangenheit<br />

der BRD kaum eine Rolle spielte, ist garantiert nicht auf die freie Informationsgesellschaft<br />

<strong>zur</strong>ückzuführen, die ohne jeglichen Zwang der Öffentlichkeit umfassende Informationen<br />

zuführen konnte. Es war politische Absicht, um die Entlarvung des DDR-Dopings nicht zu<br />

verklären.<br />

Anfang der neunziger Jahre konstituierte sich eine Kommission nach der anderen, um die<br />

Dopingpraktiken in Ost <strong>und</strong> West aufzudecken. Man muss schon die Berichte <strong>und</strong> die darin<br />

enthaltenen Empfehlungen sehr aufmerksam lesen, will man auch etwas über das Doping im<br />

ehemaligen Westteil unseres Landes herausfinden. Die Kommissionen sollten zwar dem<br />

Missbrauch in Ost u n d West nachgehen, aber es ist einfacher, „ein flächendeckendes<br />

angeordnetes Dopingsystem“ zu untersuchen <strong>und</strong> nachzuweisen, als scheinbare individuelle<br />

Einzelfälle oder im schlimmsten Fall Insellösungen aufzuklären.<br />

Inzwischen hat sich anhand der Fakten <strong>und</strong> der Logik folgend herausgestellt, dass viele<br />

Inseln zusammen auch eine erheblich große F l ä c h e ergeben können.<br />

Die Folgen dieser einseitigen Betrachtung zeigten sich in den verschiedensten<br />

Formulierungen <strong>und</strong> Empfehlungen dieser Kommissionen wie zum Beispiel: Solchen<br />

Personen, die in der früheren DDR als Verbandscheftrainer, Verbandsärzte, Generalsekretäre<br />

oder andere Funktionsträger im Bereich Spitzensport tätig waren, nicht mehr für<br />

irgendwelche Tätigkeiten im Sport einzustellen oder zu wählen, wenn sie nicht den<br />

Nachweis fehlender Beteiligung am Dopingsystem erbringen können. Wie so oft, wenn<br />

westdeutsche Behörden über die DDR-Vergangenheit zu Gericht sitzen, haben auch hier<br />

wieder die Angeklagten ihre Unschuld nachzuweisen, nicht die Kläger die Schuld. Aber eben<br />

nur die Funktionäre aus der DDR müssen diesen Beweis erbringen, sie sind erst einmal en<br />

bloc verurteilt.<br />

Zu den Empfehlungen gehörte auch, dass sich alle derzeitigen Funktionsträger des Sports, die<br />

für den Einsatz von Dopingmittel in der Vergangenheit in Ost <strong>und</strong> West Verantwortung


17<br />

trugen, aus dem Sport <strong>zur</strong>ückziehen sollen. Zu denen sollten sogar diejenigen zählen, die<br />

über den Einsatz von Dopingmitteln informiert waren <strong>und</strong> bewusst nichts dagegen<br />

unternommen haben. Wenn allerdings jemand aus der Führungsriege des deutschen<br />

Spitzensports in Frankfurt/Main behauptet, von alledem nichts gewusst zu haben, dann wäre<br />

ein Rücktritt erst recht gerechtfertigt gewesen.<br />

Trotz der Annahme dieser Empfehlungen hat sich daraufhin in der Zusammensetzung der<br />

Leitung des deutschen Sports kaum etwas geändert.<br />

Für die Sportler selbst wurde eine Generalamnestie empfohlen <strong>und</strong> zwar "im Interesse der<br />

Erkenntnisgewinnung über vergangene Verantwortlichkeiten <strong>und</strong> einer offenen <strong>und</strong> ehrlichen<br />

Vergangenheitsbewältigung." Zu Deutsch also die Kronzeugenregelung im Leistungssport,<br />

zumal man die Kronzeugen ja für weitere Medaillen noch brauchte.<br />

Aufrechnung ist kein guter Begleiter kritischer Analysen.<br />

Da sich aber zum Thema Doping in der ehemaligen B<strong>und</strong>esrepublik, dass bis weit in die 60er<br />

Jahre <strong>zur</strong>ück verfolgt werden kann, aus nahe liegenden Gründen kaum einer in der<br />

Öffentlichkeit äußerte, bzw. Redakteure schnell von ihren Chefs <strong>zur</strong>ückgepfiffen wurden <strong>und</strong><br />

werden, bleibt mir weiter nichts übrig, als einige „spärliche Informationen“ zusammen zu<br />

tragen.<br />

Als eine für mich überraschende Ausnahme darf ich Anno Hecker anführen, der sich in der<br />

Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31.Januar 2009 in einer bemerkenswerten Offenheit<br />

zum Doping in der ehemaligen BRD äußert. Unter anderem kommt er auch auf das Thema<br />

„flächendeckend“ <strong>zur</strong>ück <strong>und</strong> formuliert:“ Auch die Veröffentlichung „Doping im<br />

Spitzensport“ (Singler/Treutlein, 2000) beschreibt trotz der dünnen Quellenlage die<br />

Entwicklung einer wohl flächendeckenden Subkultur seit den sechziger Jahren in der Bonner<br />

Republik“.<br />

Der Deutschlandfunk hat in seiner abendlichen Sportsendung am 22.Februar 2009<br />

nachgezogen <strong>und</strong> Interessantes zu den Dopingpraktiken der ehemaligen B<strong>und</strong>esrepublik<br />

verkündet <strong>und</strong> sogar von einer Netzstruktur berichtet.<br />

Es wird höchste Zeit, dass die Öffentlichkeit erfährt, was Insider längst wussten, jedoch bis in<br />

die jüngste Zeit verschwiegen wurde. Ich bin mir sicher, dass jedoch nur das bekannt wird,<br />

was nicht länger verheimlicht werden kann <strong>und</strong> vor allem, was für die Beteiligten keine<br />

rechtlichen oder sozialen Konsequenzen auslöst. Und warum sollen sich Zeitzeugen<br />

bekennen, wenn im Gegensatz zu den Stasiakten ihre Dokumente in den Schredder<br />

wanderten? So wird also weiter geschwiegen, wobei der Mangel an Aufrichtigkeit besonders<br />

schwer wiegt. Mit Schweigen aber wird man der historischen Wahrheit nicht gerecht.<br />

Viele Möglichkeiten gab es bisher nicht, Näheres über die Anwendung von Doping in der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik zu erfahren. Unter ihnen sind jedoch zwei Quellen ausreichend aussagefähig,<br />

um zu belegen, dass man sich in Zeiten der Systemauseinandersetzungen nicht nur auf Insel-<br />

<strong>und</strong> individuelle Lösungen beschränkte.<br />

Das Buch „Doping in der BRD“ von Budzisch, Wuschech <strong>und</strong> Huhn <strong>und</strong> das 154-seitige<br />

Protokoll der 6. Sitzung des Sportausschusses des B<strong>und</strong>estages vom 28.9.1977 empfehle ich<br />

dem interessierten Leser in vollen Länge zu lesen, weil sich darin unverblümt nicht nur die<br />

damalige Situation des Dopingalltags der B<strong>und</strong>esrepublik widerspiegelt, sondern die Vergabe<br />

von Anabolika in der BRD als gerechtfertigt betrachtet wird.<br />

Da das Protokoll der Sportausschusssitzung des B<strong>und</strong>estages nicht jedem gleich zugänglich<br />

ist, wende ich mich dieser Tagung etwas näher zu.<br />

Es war eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen (wobei sich der damalige NOK-<br />

Präsident Willi Daume <strong>und</strong> der DSB-Präsident Willi Weyer wegen wichtiger Termine<br />

entschuldigen ließen) zum Thema „Leistungsbeeinflussende <strong>und</strong> leistungsfördernde


18<br />

Maßnahmen im Hochleistungssport“. Gleich zu Beginn erläuterte der damalige Vorsitzende<br />

des Sportausschusses Dr. Evers von der CDU/CSU: “Diese etwas schwer verständliche<br />

Umschreibung ist für das einfachere Wort Doping gewählt worden, um eine möglichst<br />

weitgehende Abgrenzung zu ermöglichen“.<br />

Als Sachverständige traten unter anderem der Sportmediziner Prof. Reindell, der bereits 1966<br />

das Doping staatlich verbieten lassen wollte, Sportwissenschaftler Prof. Ommo Grupe, der<br />

Präsident des deutschen Leichtathletikverbandes Prof. August Kirsch, der Mittelstreckler<br />

Thomas Wessinghage, sein Sprintkollege Manfred Ommer <strong>und</strong> das Mitglied der<br />

Antidopingkommission des Leichtathletikverbandes Horst Klehr auf.<br />

Der heutige Innenminister Wolfgang Schäuble kam auch zu Wort <strong>und</strong> gab die Richtung vor,<br />

wobei er einen der bedeutendsten Hinweise überhaupt gab: „Wir wollen diese Mittel nur sehr<br />

eingeschränkt <strong>und</strong> nur unter der absolut verantwortlichen Kontrolle der Sportmediziner“<br />

einsetzen. da es offenbar Disziplinen gäbe, „ in denen heute ohne den Einsatz dieser Mittel<br />

der leistungssportliche Wettbewerb in der Weltkonkurrenz nicht mehr mitgehalten werden<br />

kann“.<br />

Manfred Ommer gab damals zu verstehen, dass 90 Prozent der Leichtathleten schlucken oder<br />

spritzen. Es gäbe an dieser Stelle noch eine Reihe von Zitaten aus dieser Sitzung anzuführen,<br />

ich will es aber mit den Bemerkungen des Ausschussvorsitzenden am Ende der 7-stündigen<br />

Veranstaltung belassen, weil sie bezeichnend für das Ergebnis <strong>und</strong> für die daraus<br />

abzuleitenden Maßnahmen waren.<br />

Er fasste lakonisch zusammen, dass die geladenen Sachverständigen den Wissensstand der<br />

Abgeordneten verbessert hätten…<br />

Im Klartext bedeutete dies nicht nur eine Nichtverurteilung des Dopings in der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik durch den Sportausschuss, sondern eher eine Ermunterung, so weiter zu<br />

machen.<br />

Inzwischen sind mehr als 30 Jahre vergangen <strong>und</strong> es scheint sich nicht viel geändert zu haben,<br />

denn auf einer jüngst zu Ende gegangenen Sitzung hat der inzwischen neue Vorsitzende des<br />

Sportausschusses zum gleichen Thema formuliert, dass das zentrale Thema<br />

Dopingbekämpfung in der Umsetzung überhaupt nicht funktioniert.<br />

Bereits 7 Jahre früher, also nur 22 Jahre nach dieser aufschlussreichen Tagung äußerte sich<br />

der ehemalige DDR-Sportler <strong>und</strong> zu diesem Zeitpunkt noch aktive B<strong>und</strong>esschwimmer <strong>und</strong><br />

inzwischen selbst Mediziner Mark Warnecke, folgendermaßen:“ Man kann das mit Hilfe<br />

eines guten Sportmediziners so einstellen, dass man das ganze Jahr unter Stoff steht. Wenn<br />

das richtig gemacht wird, fällt man bei keiner Kontrolle auf“.<br />

Ergänzen darf ich diese Worte mit den jüngsten Aussagen eines Olympiasiegers von 1984,<br />

der darauf bestand, nicht namentlich genannt zu werden. Auf die Frage, ob ein Dopingsystem<br />

in der B<strong>und</strong>esrepublik bestand, gab er zu verstehen, dass es alle gewusst haben, die Kollegen,<br />

Heimtrainer, der Chef der Nationalmannschaft <strong>und</strong> auch der Verbandsboss. Es war klar, dass<br />

es nicht ohne Pillen ging. Bei denen im Osten schien es etwas kontrollierter gewesen zu sein,<br />

aber im Gr<strong>und</strong>e genommen waren sie auf gleichem Niveau. Auch bei der sportärztlichen<br />

Untersuchung wurde geschaut, ob die Leberwerte in Ordnung waren <strong>und</strong> manchmal wurde er<br />

vom Doc aufgefordert, etwas „Gas herauszunehmen“.<br />

Willy Daume, bis 1992 NOK-Präsident der BRD, schlug eine etwas feinere Klinge <strong>und</strong><br />

meinte: „Ich besitze blindes Vertrauen zu unseren Sportärzten <strong>und</strong> weiß, dass sie nichts tun,<br />

was den ihnen anvertrauten Athleten oder dem Ansehen des Sports schaden könnte.“ Dieses<br />

Zitat könnte allerdings auch vom NOK-Präsidenten der DDR, Manfred Ewald stammen.<br />

Vom November 2009 bis April 2010 fand in Leipzig eine Ausstellung zum Sport im geteilten<br />

Deutschland statt. Wenn auch der Eintritt frei <strong>und</strong> damit die politische Absicht nicht zu


19<br />

verkennen war, so hat sich nicht jeder Besucher überwinden können, das teure Begleitbuch<br />

<strong>zur</strong> Ausstellung zu erstehen. Auf den Seiten 116 bis 120 befinden sich für mich bisher<br />

unbekannte Informationen zum Doping in der B<strong>und</strong>esrepublik, von denen sich zwei<br />

besonders interessant darstellen:<br />

• „ Ein Beispiel für die aktive Unterstützung von Doping durch die B<strong>und</strong>esregierung<br />

sind Testosteron – Versuchsreihen der 1980er Jahre – gefördert mit<br />

B<strong>und</strong>esmitteln in Höhe von 300 000 DM. Wahrheitswidrig ist von Politik <strong>und</strong><br />

organisiertem Sport stets behauptet worden, bei diesen Versuchen habe es sich um<br />

eine „klassische <strong>und</strong> wirksame Anti-Doping-Maßnahme“ gehandelt. Sinn <strong>und</strong><br />

Zweck sei gewesen, den Beweis zu führen, dass Testosteron im Ausdauersport<br />

keine positiven Auswirkungen auf die Regeneration von Athleten habe. Allerdings<br />

kam die Antwort der B<strong>und</strong>esregierung auf eine diesbezügliche kleine Anfrage von<br />

B<strong>und</strong>estagsabgeordneten aus dem Jahr 1991 der Wahrheit schon viel näher. Dort<br />

hieß es: Durch den hier in rede stehenden Forschungsauftrag sollte festgestellt<br />

werden, ob die defizitausgleichende Gabe kleiner Dosen von Testosteron die<br />

Qualität der Regeneration verbessert <strong>und</strong> damit einen wesentlichen Beitrag <strong>zur</strong><br />

ges<strong>und</strong>heitlichen Stabilisierung der Spitzensportler leistet“.<br />

• „ Die Feststellung von Helmut Digel, internationaler Leichtathletik-Funktionär <strong>und</strong><br />

Soziologieprofessor an der Universität Tübingen, wonach „Doping in der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik unmenschlich, in der DDR unmenschlich <strong>und</strong> systematisch war“,<br />

verweist auf den Gegenwartszustand des deutschen Sports mit seinen vielen<br />

ungeklärten Fragen“.<br />

Sicherlich meint Digel mit dieser Aussage, dass systembedingt in der DDR durch das<br />

verantwortungsbewusste <strong>und</strong> enge Zusammenwirken von Sportmedizinern <strong>und</strong> Trainern eine<br />

unkoordinierte Vergabe von Medikamenten verhindert werden konnte.<br />

Bevor ich den im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen den DDR-Sport legitimen Exkurs<br />

in das Dopinggeschehen der ehemaligen B<strong>und</strong>esrepublik verlasse, möchte ich quasi<br />

zusammenfassend eine entschiedene Dopinggegnerin, die ehemalige BRD-Leichtathletin<br />

Brigitte Berendonk zu Wort kommen lassen. In ihrem Buch „Doping“ schreibt sie unter<br />

anderem über den BRD-Sport.: „ Die für den Sport Verantwortlichen hatten in kurzer Zeit ein<br />

komplexes, neues System des illegalen Anabolikadopings geschaffen, an dem auch wieder<br />

Sportmediziner diskret rezeptierend mitwirkten… Spätestens seit 1977 aber waren auch die<br />

Fronten klar: Der deutsche Sport <strong>und</strong> der deutsche Staat hatten sich für die Betrüger <strong>und</strong><br />

gegen die Betrogenen entschieden. Unter den Politikern <strong>und</strong> Funktionären war keiner, der<br />

sich konsequent gegen das verschwiegene Doping eingesetzt hätte“. (Vgl.: Berendonk,B.:<br />

Doping – Von der Forschung zum Betrug. Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag 1992, S. 45<br />

ff.)<br />

Dopingfälle also gab es in der alten BRD mehr als genug, aber es folgten in den seltensten<br />

Fällen weder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen noch Gerichtsverfahren.<br />

Als der Ostblock zerbröckelte, erhob sich der Westen fortan sogar noch zum Richter über<br />

uns.<br />

2009, also nahezu zwanzig Jahre nach dem Beitritt des DTSB in den DSB erregte eine<br />

bemerkenswerte Äußerung des neuen, hoch dotierten Generaldirektors des DOSB, Michael<br />

Vesper die Aufmerksamkeit der Sportöffentlichkeit: „ Der deutsche Sport will Trainern mit<br />

DDR-Dopingvergangenheit eine Brücke bauen. Gestehen sie vor der unabhängigen<br />

Antidoping-Kommission des deutschen Olympischen Sportb<strong>und</strong>es ihre Verfehlungen <strong>und</strong><br />

weisen sie einen Sinneswandel nach, können sie eine zweite Chance erhalten“.


20<br />

Endlich hat Herr Vesper eine Lösung gef<strong>und</strong>en, Dopingtrainer der DDR zu amnestieren, die<br />

bereits seit 20 Jahren! im deutschen Sport erfolgreich arbeiten. Bemerkenswert ist das<br />

Vorgehen auch deshalb, weil nahezu all die Trainer – die vom b<strong>und</strong>esdeutschen Sport<br />

dringend gebraucht wurden - bereits vor der Anti-Dopingkommission ausgesagt hatten <strong>und</strong><br />

teilweise Erklärungen unterschreiben mussten. Ihr NEIN wurde ihnen damals abgenommen,<br />

obwohl man stets behauptete, dass in der DDR flächendeckend <strong>und</strong> unter Zwang gedopt<br />

wurde <strong>und</strong> wer ablehnte, aus dem Kader flog. Hat ihnen damals die Kommission tatsächlich<br />

abgenommen, dass sie nur Sportler trainierten, die wegen Ablehnung von Doping aus dem<br />

Kader geflogen waren?<br />

Trainer mit BRD-Dopingvergangenheit werden natürlich nicht vor die Kommission zitiert. So<br />

brauchen sie wenigstens nichts gestehen <strong>und</strong> gleich gar einen Sinneswandel nachweisen.<br />

Im Visier der Justiz<br />

Es ist bezeichnend, wie mit denen, die im Zuge der Delegitimierung des DDR-Sports<br />

„schuldig“ gesprochen werden sollten, umgegangen wurde. Es begann Anfang der Neunziger<br />

mit dem Aufbau eines speziellen Bereichs Sport bei der „Zentralen Ermittlungsstelle für<br />

Regierungs- <strong>und</strong> Vereinigungskriminalität (ZERV)“, die mit Hilfe der von Pfarrer Gauck<br />

geleiteten Behörde <strong>zur</strong> Aufarbeitung der Stasiunterlagen Material erschloss <strong>und</strong> belastete<br />

Personen ausmachte.<br />

Vorläufiger Höhepunkt war dann die am 7.Mai 1996 groß angelegte Polizeiaktion mit ca. 50<br />

zeitgleichen Hausdurchsuchungen. Auch ich gehörte zu den Auserwählten. In unserer<br />

Abwesenheit – die Tür des Hauses wurde unter den neugierigen Blicken der Nachbarn <strong>und</strong><br />

vorbeikommenden Passanten gewaltsam durch die Polizei aufgebrochen – durchsuchten die<br />

Ermittler mehrere St<strong>und</strong>en sämtliche Räume <strong>und</strong> stopften in Kartons, was ihnen in die Hände<br />

fiel. Selbst Dokumente meiner Frau, die im DTSB für die Zusammenarbeit mit<br />

Internationalen Förderationen <strong>und</strong> Organisationen verantwortlich war, wurden<br />

beschlagnahmt. Ich erfuhr von der Aktion am Nachmittag, als mich die Beamten aus meinem<br />

Haus <strong>und</strong> von meinem Telefon anriefen, um mich wissen zu lassen, wo sie mir die neuen<br />

Haustürschlüssel aushändigen könnten.<br />

Meine Vorstellungen von einem Rechtsstaat war bis dahin eine andere.<br />

Übrigens: sämtlich „beschlagnahmte“ Akten mussten meinem Anwalt innerhalb weniger<br />

Tage wieder ausgehändigt werden. Stoff für die Anklage hatte man nicht gef<strong>und</strong>en. Die hoffte<br />

man durch zwei andere juristisch beispiellose Aktionen beschaffen zu können. R<strong>und</strong> 800<br />

DDR-Athleten wurden auf Kopfbögen des Polizeipräsidenten von Berlin nach ärztlichen<br />

Maßnahmen befragt <strong>und</strong> damit zugleich aufgefordert, ihre Trainer <strong>und</strong> Ärzte als „Täter“ zu<br />

denunzieren. Dazu gehörte die Frage, wann sie von wem, welche Tabletten bekommen hatten<br />

<strong>und</strong> wie diese aussahen. Wohlgemerkt, nach Form <strong>und</strong> Farbe wurde vom Polizeipräsidenten<br />

gefragt, wobei jeder Medizinstudent im ersten Semester dem Polizeipräsidenten hätte sagen<br />

können, dass man Cyankali ebenso blau, rot oder grün einfärben könnte, wie harmloses<br />

Calcium. Unlängst fiel mir ein Blatt eines Medizinkalenders vom Oktober 2007 in die Hände,<br />

welches begründete, warum Tabletten farbig sind. Dabei war zu lesen, dass beruhigende<br />

Medikamente meist in blau gehalten werden.<br />

Als weitere „Beweismittel“ lagen genügend IM-Berichte, besonders von Medizinern bereit,<br />

die ungeprüft nach dem Prinzip „Stasitäter an die Wand stellen, deren Berichte aber als<br />

glaubwürdig einzustufen“, den Akten zugeführt werden konnten. Allein die Akte des<br />

Informellen Mitarbeiters „Technik“ bestand aus 777 Seiten. Inwieweit derartige Berichte für<br />

ein Gerichtsverfahren beweiskräftig <strong>und</strong> damit zulässig sind, hat das Verhalten der<br />

französischen Justiz in einem Prozess um einen Dopingfall in Paris im Mai 1997 gezeigt.<br />

Einem in Frankreich tätigen ehemaligen Rudertrainer der DDR wurde unterstellt, eine


21<br />

Juniorenruderin Frankreichs gedopt zu haben. Als es aufgr<strong>und</strong> einer Klage durch den<br />

französischen Ruderverband <strong>und</strong> dem Trainer zum Prozess kam, wurde der vorgelegte<br />

Stasibericht als Beweisstück der Beklagten von der Richterin abgewiesen. Sie verlangte das<br />

Erscheinen der Person, die diesen Bericht verfasste, um sie zu fragen, unter welchen<br />

Umständen dieser Bericht entstanden sei.<br />

Die Arbeit mit informellen Mitarbeitern war differenziert, aber viele der Berichte wurden<br />

erstellt, indem der IM seinem Führungsoffizier alles ausführlich erzählte, der wiederum aus<br />

seinem Stichwortprotokoll der Sekretärin seine Erinnerungen diktierte <strong>und</strong> fertig war der<br />

Treffbericht des IM. Der Grad der Subjektivität eines derartigen Berichtes war sowohl<br />

geprägt vom Charakter des IM, als auch von der Gewissheit, dass derjenige, über den<br />

berichtet wurde, dieses Schriftstück nie in seinem Leben zu lesen bekommt. Ein fatales<br />

Missverständnis, wie sich später herausstellte. Übrigens kann ich diese These anhand der IM-<br />

Berichte aus den 12 Ordnern, die sich zum Zwecke meiner Verurteilung angesammelt haben,<br />

eindeutig belegen. Außerdem ist es mir vergönnt, für meine Behauptung einen prominenten<br />

Befürworter zu zitieren. Helmut Kohl hat am 4.11.1993 im Deutschen B<strong>und</strong>estag<br />

(Dt. B<strong>und</strong>estag, Protokoll Bd. V/1 S. 928) gesagt:“ Die Stasiakten sind insofern ein<br />

Ärgernis… weil niemand genau weiß, was in dem Bericht Liebesdienerei ist <strong>und</strong> was den<br />

Tatsachen entspricht…“<br />

Oh, ihr Gerichte, wann richtet über euch die Geschichte?<br />

Nach siebenjähriger Vorbereitung kam es im März 1998 zum so genannten Pilotprozess<br />

gegen vier Trainer <strong>und</strong> zwei Ärzte des Sportclubs Dynamo Berlin.<br />

Es wurde <strong>zur</strong> Eile geblasen, denn am 2.Oktober 2000 endete die ohnehin schon willkürlich<br />

verlängerte Verjährung.<br />

Um dem Gericht für die Verurteilungen den so wichtigen Nachweis von Spätschäden zu<br />

erbringen, wurden Gutachter bestellt, die Schwimmerinnen mittels Gerichtsbeschluss<br />

untersuchten. Im Ergebnis konnte kein kausaler Zusammenhang mit einer Anabolika-<br />

Einnahme hergestellt werden. Am 23.12.1998 schrieb der Gutachter Prof. Rietbrock an den<br />

Vorsitzenden Richter Bräutigam: „Das Gericht hat Feststellungen im Urteil getroffen, die im<br />

Widerspruch zum Sachverständigengutachten stehen“ <strong>und</strong> unterstellte dem Gericht dabei<br />

„Vermutungen, die jeglicher fachlicher Gr<strong>und</strong>lage entbehren. Am Ende des Briefes äußerte<br />

sich Prof. Rietbrock noch deutlicher, indem er „den Eingriff in den weiblichen Organismus<br />

mit Androgenen in diesen Fällen als unerhebliche Ges<strong>und</strong>heitsschädigung ansehe. Bei allen 9<br />

Zeuginnen blieb zudem die mögliche Ges<strong>und</strong>heitsschädigung damals ohne weitere<br />

Spätfolgen“.<br />

Für den Verlauf dieses, aber auch aller danach folgenden Prozesse war eine Entscheidung des<br />

Berliner Kammergerichts ausschlaggebend, nachdem es drei Schwimmerinnen abgelehnt<br />

hatten, sich untersuchen zu lassen. Das Gericht stellte nämlich fest, dass für die Frage eines<br />

Schuldspruchs das Untersuchungsergebnis unerheblich ist, denn das Gericht fand eine ganz<br />

einfache juristische Konstruktion, indem die Einnahme unterstützender Mittel gleich<br />

Doping <strong>und</strong> das wiederum gleich Körperverletzung ist!<br />

Bereits mit der medizinisch nicht indizierten Verabreichung von Tabletten, die mit dem<br />

anabolen Steroid Oralturinabol in Verbindung zu bringen sei, erfülle sich der Tatbestand der<br />

Körperverletzung.<br />

Über eine sportmedizinische Indikation, bzw. dass die Verabreichung mit dem Wissen der<br />

Sportler erfolgte, wurde wahrscheinlich nicht einmal nachgedacht.<br />

Und da fahrlässige Körperverletzung als nur leichtes Delikt keine medienwirksame<br />

Bestrafung unter dem Aspekt einer Regierungskriminalität darstellte, musste eine Anklage<br />

auf vorsätzliche Körperverletzung, möglichst von minderjährigen Sportlern zusammen<br />

gezimmert werden. Passend hierzu zitiere ich Uwe Wins aus der Sendereihe Täter-Opfer im


22<br />

Deutschlandfunk vom 5. Januar 1997: „Wir verwenden zwar die Paragraphen der<br />

Rechtsprechung der DDR, interpretieren sie aber in unserem Sinne“.<br />

Spätestens wird an dieser Stelle selbst einem Unk<strong>und</strong>igen klar, welch politische Absicht<br />

hinter diesem Vorgehen steckte, denn es ist <strong>und</strong>enkbar, dass einem Trainer oder Arzt die<br />

Absicht unterstellt werden kann, seinen Sportler vorsätzlich zu verletzen oder ges<strong>und</strong>heitlich<br />

zu schädigen. Übrigens benötigt man keine Mühe, um in den täglichen Werbeangeboten<br />

Arzneimittel vor allem für regenerative <strong>und</strong> prophylaktische Zwecke zu finden, für deren<br />

Einnahme weder eine Krankheit noch eine ärztlich festgestellte Indikation vorliegen muss.<br />

Noch drastischer wird es bei den so genannten Anti- Aging -Therapien, bei denen mehr in den<br />

USA, aber zunehmend auch in Europa, zum Teil Testosteron <strong>und</strong> Wachstumshormone <strong>zur</strong><br />

Anwendung gelangen, um bei völlig ges<strong>und</strong>en Menschen den natürlichen Alterungsprozess<br />

aufzuhalten.<br />

Weitere Prozesse gegen Trainer der Leichtathletik <strong>und</strong> gegen Verantwortliche des<br />

Schwimmsportverbandes folgten nach dem gleichen Schema - man hatte endlich eine Formel<br />

gef<strong>und</strong>en.<br />

Letztendlich erfolgte selbst der 22 Verhandlungstage dauernde Prozess gegen Manfred Ewald<br />

<strong>und</strong> dem Stellvertretenden Leiter des Sportmedizinischen Dienstes der DDR, Manfred<br />

Höppner nach dem gleichen Muster.<br />

Allerdings hätte nach dem Recht der DDR – <strong>und</strong> nur danach durfte das Gericht verurteilen –<br />

der erhobene Vorwurf der Beihilfe <strong>zur</strong> vorsätzlichen Körperverletzung bei der Verurteilung<br />

von Funktionären eines anderen Nachweises bedurft, denn Beihilfe verlangte nach DDR-<br />

Recht stets die vorsätzliche Unterstützung eines „<strong>zur</strong> Tat bereits entschlossenen Täters“ durch<br />

„intellektuelle Unterstützungen oder Handlungen, d.h. eine bestimmte tätige Unterstützung“.<br />

So wurde nach BRD-Recht eine weitere Konstruktion erf<strong>und</strong>en, um uns Funktionären eine<br />

Beihilfe <strong>zur</strong> Beihilfe anderer zu unterstellen.<br />

In Abstimmung mit meinem Anwalt, stimmte ich einem angebotenen Strafbefehl aus<br />

mehreren Gründen zu. Einerseits bestand die Gefahr, durch ständig sich anhäufende Kosten in<br />

das soziale Abseits zu geraten, andererseits wäre meine gerade neu aufgebaute berufliche<br />

Existenz ein zweites Mal gefährdet gewesen. Natürlich entschied ich mich auch dafür, um<br />

der Unberechenbarkeit der Gerichte zu entgehen.<br />

Der Hauptgr<strong>und</strong> allerdings bestand darin, <strong>und</strong> da hörte ich auf meinen erfahrenen<br />

„Westanwalt mit Ostverständnis“, dass man politische Prozesse, selbst mit den<br />

überzeugendsten Argumenten, nicht gewinnen kann.<br />

Ich erhielt einen Strafbefehl, der mit einer Geldstrafe von 26.400 DM „ausgelobt“ wurde.<br />

Dieses Urteil galt als vorbestraft <strong>und</strong> wurde in das B<strong>und</strong>eszentralregister eingetragen.<br />

Da können wir uns Verurteilte nicht einmal den Worten eines Gott sei Dank unbekannten<br />

Pfarrers anschließen, der einmal gesagt haben soll: „ Eine Begnadigung sei schon erfolgt,<br />

indem den Tätern ein rechtstaatliches Verfahren zugebilligt werde“.<br />

Ca. achtzig Mitarbeiter aus verschiedenen Justizverwaltungen haben sich mit 900 bis 1000<br />

Personen des ehemaligen DDR-Sports beschäftigt.<br />

Im Ergebnis einer fast zehnjährigen polizeilichen <strong>und</strong> staatsanwaltlichen Ermittlung mit<br />

einem Kostenaufwand von mehreren Dutzend Millionen EURO wurden in 9 Prozessen über<br />

21 Urteile gesprochen <strong>und</strong> durch Strafbefehle weitere 34 Personen zu Bewährungs- <strong>und</strong><br />

Geldstrafen verurteilt.<br />

Dass diese Dopingprozesse, außer bei den Betroffenen nirgendwo tief greifende Wirkung<br />

gezeigt haben, belegen die zunehmenden Vergehen seitdem. Darüber hinaus scheinen sie<br />

auch keine Nachahmungen gef<strong>und</strong>en zu haben. Nach diesen Prozessen habe ich mir oft die


Frage gestellt, wie wohl Außenstehende, die Vertreter anderer führenden Sportnationen,<br />

darüber denken mögen. Vielleicht schütteln sie einfach nur den Kopf.<br />

Ohne klaren Sieger im „Einigungsprozess“ hätte es wahrscheinlich dieses einseitige<br />

Dopingspektakel gar nicht gegeben.<br />

23<br />

Es ist sicherlich am wenigsten der Betrachtungsweise des Autors zuzuschreiben, dass diese<br />

Zeilen oftmals diametral den Gräuelmärchen, Halbwahrheiten <strong>und</strong> Lügen in den<br />

Boulevardblättern über das DDR-Doping gegenüber stehen. Als Gründe sehe ich die durch<br />

die Medien unterstützte Siegerjustiz <strong>und</strong> die unermessliche Gier nach Geld. Nicht zuletzt hat<br />

aber auch unser übertriebener Geheimnisschutz als Nährboden für manche Schauermärchen<br />

gedient.<br />

Ich habe mich bemüht, die Dinge so darzustellen, wie ich sie als Tatsachen in meiner<br />

Erinnerung habe, verweise aber nochmals darauf, jegliche Betrachtung zu diesem sensiblen<br />

Thema im Kontext des Ost-West-Konfliktes vor mehr als 20 Jahren zu sehen. Subjektivität<br />

war dabei unvermeidbar, aber mit dem Anspruch einer objektiven <strong>und</strong> selbstkritischen<br />

Darstellung versehen.<br />

Ein Gesetz mit offenen Fragen<br />

Bekanntlich hat der Deutsche B<strong>und</strong>estag auf seiner 243. Sitzung am 14.6.2002 im<br />

Tagesordnungspunkt 36a+b gegen 21 Uhr das “Gesetz für eine finanzielle Hilfe für<br />

Dopingopfer der DDR“, das Dopingopfer-Hilfegesetz, beschlossen.<br />

Zuvor hatte sich der B<strong>und</strong>estag schon einmal in einer Nachtsitzung bei einer Teilnahme von<br />

21 der insgesamt 669 Abgeordneten mit der Einrichtung eines Fonds für so genannte<br />

Dopingopfer der DDR beschäftigt, den Antrag der CDU/CSU aber nach 40 Minuten<br />

Diskussionszeit an sechs B<strong>und</strong>estagsausschüsse überwiesen, um ihn später wieder zu<br />

behandeln.<br />

Im verabschiedeten Gesetz von 2002 stellte der B<strong>und</strong> zwei Millionen EURO für Schäden<br />

durch DDR-Doping bereit.<br />

Von da an konnten Opfer beim B<strong>und</strong>esverwaltungsamt Köln bis zum 31.März 2003 Anträge<br />

für eine Entschädigung stellen.<br />

In zweifelhaften „Forschungsberichten“ wurde vorab schon einmal die Zahl der Opfer<br />

ermittelt, wobei darin von ca. 10 000 Sportlern ausgegangen wurde, die in das Dopingsystem<br />

der DDR eingeb<strong>und</strong>en waren. Davon sollten 10-15 Prozent Schäden <strong>und</strong> 5 Prozent schwere<br />

ges<strong>und</strong>heitliche Schäden erlitten haben.<br />

Zwischen der Gesetzgebung im Juni 2002 <strong>und</strong> dem Ende der Antragstellung waren genau 280<br />

Tage vergangen. Sechs Wochen vor Antragende, also Mitte Februar 2003, lagen 31!<br />

Forderungen auf Entschädigung vor.<br />

Obwohl sich die Medien zu dieser brisanten Lage vornehm <strong>zur</strong>ückhielten, hat sich das „Neue<br />

Deutschland“ gewagt, den ehemaligen Vorsitzenden des Sportausschusses im B<strong>und</strong>estag<br />

Friedrich Julius Beucher, zu befragen. Ausnahmsweise sei es mir einmal gestattet, das<br />

Interview vom 14.Februar 2003 in ganzer Länge wiederzugeben.<br />

Neues Deutschland:<br />

Ganze 31 Anträge auf Zahlungen aus dem DDR - Dopingopfer-Hilfsfonds. Überrascht Sie<br />

das?<br />

Julius Beucher:<br />

Ja. Ich räume ein, dass auch ich im Gesetzgebungsprozess von den Zahlen ausgegangen war,<br />

die uns von Wissenschaftlern überzeugend nahe gelegt worden waren. Also von H<strong>und</strong>erten<br />

<strong>und</strong> Tausenden.<br />

Neues Deutschland:


24<br />

Wie beurteilen Sie die neue Situation?<br />

Julius Beucher:<br />

Die Frage, ob es flächendeckendes Doping gegeben hat, muss neu gestellt werden. Denn<br />

wenn es dies in der DDR gegeben hätte, dann wären – ob der Gefährlichkeit der Substanzen –<br />

mehr als 31 geschädigt.<br />

Neues Deutschland:<br />

Überinterpretieren Sie die derzeitige Faktenlage damit ein wenig?<br />

Julius Beucher:<br />

Nein, sie ist höchst aussagekräftig: Es gibt nämlich nur ganz wenige Menschen- <strong>und</strong> da ist der<br />

Ost- wie der Westmensch – die Geld nicht in Anspruch nehmen, wenn sie es in Anspruch<br />

nehmen könnten.<br />

Neues Deutschland:<br />

Was schlagen Sie vor?<br />

Julius Beucher:<br />

Dieses Kapitel deutsch – deutscher Sportgeschichte muss neu aufgerollt <strong>und</strong> geschrieben<br />

werden. Die Pauschalisierung DDR gleich flächendeckendes Doping, BRD gleich vereinzelte<br />

Dopingfälle – die lässt sich nicht mehr aufrecht halten.<br />

Neues Deutschland:<br />

Was müsste praktisch geschehen?<br />

Julius Beucher:<br />

Ich erwarte, dass die wissenschaftlichen Untersuchungen, die Anhörungen <strong>und</strong> Befragungen,<br />

im Interesse von Klarheit <strong>und</strong> Wahrheit überprüft werden.<br />

Neues Deutschland:<br />

Sie haben das Opfer-Hilfegesetz im B<strong>und</strong>estag maßgeblich mit auf den Weg gebracht. Fühlen<br />

Sie sich heute hintergangen oder instrumentalisiert?<br />

Julius Beucher:<br />

Ja, ich habe das mit verantwortet. Doch wir mussten damals des wissenschaftlichen Diskurses<br />

davon ausgehen, dass eine Unmenge von Anspruchsfällen auf uns zu kommen. Aber in einem<br />

wissenschaftlichen Diskurs hat eben auch jeder das Recht auf Irrtum.<br />

Neues Deutschland:<br />

Ihr damaliger Parlamentskollege <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong> Gustav-Adolf Schur von der PDS war diesem<br />

Irrtum nicht aufgesessen.<br />

Julius Beucher:<br />

Dafür zolle ich Täve heute meinen vollen Respekt.<br />

Eigentlich bedarf es hierzu keines Kommentars, aber man kann sich sehr gut vorstellen, wo<br />

<strong>und</strong> wie überall so kurz vor Meldeschluss die Alarmglocken läuteten.<br />

Es wird wohl ein Geheimnis bleiben, warum sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Sportler<br />

meldeten, obwohl das Gesetz im § 6 Absatz 2 mehr als großzügig folgendes formuliert:<br />

“Zur Anerkennung eines erheblichen Ges<strong>und</strong>heitsschadens genügt die Wahrscheinlichkeit<br />

eines ursächlichen Zusammenhangs mit der Verabreichung von Dopingsubstanzen.“<br />

Es reichte also die Wahrscheinlichkeit, nicht ein Beweis!<br />

Ganz in diesem Sinn äußerte sich als Befürworter in der B<strong>und</strong>estagsdebatte Klaus Riegert,<br />

der damalige sportpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, indem er sagte, dass in der<br />

Regel ein Plausibilitätsnachweis genüge, <strong>und</strong> die Hilfeleistung nicht durch medizinische- <strong>und</strong><br />

Rechtsgutachten zerrieben werden sollte, denn für viele Opfer wäre ein solches Verfahren<br />

entwürdigend.


25<br />

Außerdem dankte Herr Rieger in seinem Beitrag speziell dem B<strong>und</strong>esministerium des Innern<br />

für die zügige Erarbeitung der Formulierungshilfen.<br />

Darüber hinaus ist man den Antragstellern weiter entgegen gekommen, indem äußerste<br />

Anonymität zugesichert wurde. Dieses Versprechen haben die Initiatoren so strikt befolgt,<br />

dass nicht einmal eine vergleichende Bewertung mit den vom ehemaligen Büro <strong>zur</strong> Förderung<br />

des Sports beim Staatssekretariat für Körperkultur <strong>und</strong> Sport der DDR übergebenen Listen<br />

<strong>zur</strong> Kaderzugehörigkeit vorgenommen wurde.<br />

Die Zugehörigkeit zu einem Kaderkreis war Voraussetzung für jeden Sportler, um<br />

in spezifische medizinische Programme des DDR-Sports aufgenommen zu werden.<br />

Das hätte man eigentlich seit unseren Strafprozessen wissen müssen, als sogar die Presse<br />

davon berichtete, dass Nebenklägerinnen wegen fehlender Kaderzugehörigkeit abgelehnt<br />

wurden.<br />

Eine Gegenüberstellung dieser Kaderlisten mit den Opferlisten hätte sicherlich manche<br />

Spekulation vermieden.<br />

So viel ist aber durchgesickert, dass kaum Spitzenathleten <strong>und</strong> Athleten mit internationalem<br />

Niveau unter den Antragstellern waren. Auch darüber kann man ins Grübeln kommen.<br />

Übrigens haben sich auch Opfer aus dem BRD-Sport gemeldet, die leider nicht<br />

berücksichtigt wurden. Sie hätten bestimmt die Opferliste erheblich erweitert. Ein derartiges<br />

Gesetz ohne Einbeziehung der b<strong>und</strong>esdeutschen Sportler zu verabschieden, war natürlich<br />

politisch beabsichtigt, aber meines Erachtens nicht gerechtfertigt.<br />

Was in den verbliebenen sechs Wochen passierte, kann man nur erahnen. Schließlich kamen<br />

in der Zeit vom 14.2.2003 bis 31.3.2003 weitere 272 Anträge dazu, so dass es insgesamt 303<br />

wurden.<br />

Letztendlich wurden laut Presse 193 Anträge mit einer Entschädigung von je 10.400 EURO<br />

bewilligt. Immerhin 108 Antragsteller erhielten eine Ablehnung.<br />

Ausgerechnet eine Sportlerin aus der Gruppe der anonymen Antragsteller, die nie einem<br />

Kaderkreis angehörte, deren Krankenakte auf mysteriöse Weise abhanden kam <strong>und</strong> die noch<br />

im Spartakiadealter aus dem Leistungssport ausgeschieden war, bemerkte dazu sinngemäß,<br />

dass die Gesetzesfassung so präzise sei, dass kaum Trittbrettfahrer aufspringen könnten. Als<br />

eine Reihe von Journalisten begann, sich mit diesem höchst interessanten Thema zu<br />

beschäftigen, war schon am Folgetag eine bemerkenswerte Zurückhaltung der Medien zu<br />

beobachten.<br />

Das gesamte Procedere in Frage zu stellen, wäre den tatsächlich <strong>und</strong> nachgewiesenen<br />

ges<strong>und</strong>heitlich Geschädigten gegenüber ungerecht, aber so tragisch <strong>und</strong> bedauerlich das<br />

Ganze auch ist, so viele Fragen bleiben unbeantwortet.<br />

Alles umsonst?<br />

Es wird sicher an unseren „Renngenen“ liegen, dass mich seit unserer ersten Begegnung<br />

unmittelbar nach meinem Sieglauf bei den Olympischen Winterspielen 1964 ein so enges<br />

persönliches Verhältnis mit dem legendären Autorennfahrer Manfred von Brauchitsch<br />

verband. In manch einem unserer Gespräche bei einem Glas Rotwein über den Sinn <strong>und</strong><br />

Unsinn des Lebens - er starb erst 97-jährig 2003 in Gräfenwarth in Thüringen - war er in der<br />

Stimmung, einige seiner Lebensweisheiten, manchmal nicht ohne zu schmunzeln,<br />

preiszugegeben.<br />

Er war unter anderem fest davon überzeugt, dass der Mensch von Gr<strong>und</strong> auf schlecht sei.<br />

Meinen Protest mit der Begründung, dass ich in meinem Leben auch vielen guten Menschen


egegnet sei, erwiderte er mit den Worten: “Die hatten bisher nur zu wenig Gelegenheit,<br />

schlecht zu sein“. Er belegte seine Auffassung vor allem mit dem Egoismus <strong>und</strong> der maßlosen<br />

Gier nach Geld <strong>und</strong> Reichtum.<br />

Und damit wären wir bei der Frage, ob der Kampf gegen Doping nicht nahezu umsonst ist,<br />

solange im Sport die Chance besteht, mit hohen Leistungen riesige Summen Geld zu<br />

verdienen.<br />

Das Verhältnis zwischen ideeller <strong>und</strong> materieller Anerkennungen sportlicher<br />

Spitzenleistungen hat sich zusehends dorthin verlagert, wo Medaillen <strong>und</strong> Siege in klingende<br />

Münze umgesetzt werden können. Durch Regeländerungen <strong>und</strong> den Einfluss des Fernsehens<br />

ist die Anzahl der Wettkämpfe erheblich gestiegen. Das Olympische Programm wurde um<br />

neue publikumswirksame- <strong>und</strong> Sportarten mit hohem Showeffekt erweitert. Von den<br />

immensen Einnahmen fordern auch die Sportler ihren Anteil.<br />

Sponsoren nutzen wiederum die Popularität von Sportarten <strong>und</strong> Sportlern für die Werbung<br />

ihrer Produkte <strong>und</strong> honorieren Siege <strong>und</strong> Medaillen mit immer höheren Prämien.<br />

Durch die Aufhebung der Trennung von Amateuren <strong>und</strong> Berufssportlern im internationalen<br />

Sport hat sich der Kampf um Siege <strong>und</strong> damit um das Geld wesentlich verschärft.<br />

Wo es ums Geld geht, werden Ethik <strong>und</strong> Moral zu Randerscheinungen <strong>und</strong> das Fairplay<br />

bleibt auf der Strecke. So kennt man nur noch Geld <strong>und</strong> Strafen, weil dem Hochleistungssport<br />

in einer Vielzahl von Ländern der olympische Geist abhanden gekommen ist. Auch das IOC<br />

hat sich dieser globalisierten Welt angepasst <strong>und</strong> stößt, wie Peking 2008 belegt, an Grenzen.<br />

Wäre das IOC nicht selbst zu einer Kapitalmacht aufgestiegen, hätte es längst seine Rolle<br />

verspielt <strong>und</strong> wäre in die Fänge der Banken, Monopole <strong>und</strong> Medien geraten. Letztere<br />

bestimmen ja bereits die Zeitpläne der olympischen Wettkämpfe, die wiederum mit den<br />

Geldzuwendungen zusammen hängen.<br />

In Erinnerung an unsere Erlebnisse leben wir oftmals mit unseren Vorstellungen noch in der<br />

Vergangenheit, aber entsprechend der Marktgesetze hat sich die Lage gr<strong>und</strong>legend verändert.<br />

Und da im Ergebnis dessen mit sportlichen Siegen der gesellschaftliche Stellenwert enorm<br />

steigt <strong>und</strong> immer mehr Geld verdient werden kann, braucht sich niemand darüber zu<br />

w<strong>und</strong>ern, wenn die Hemmschwelle zu Regelverletzungen immer weiter herabgesetzt wird,<br />

Grenzen der Fairness überschritten werden <strong>und</strong> noch mehr versucht wird, den eigenen Körper<br />

zu manipulieren.<br />

Erst wenn sich die Verantwortlichen der nationalen <strong>und</strong> internationalen Sportorganisationen<br />

<strong>und</strong> der Olympischen Komitees diesem Thema kompromisslos <strong>und</strong> in aller Deutlichkeit<br />

stellen, bestehen reelle Chancen, dem Doping weiter Einhalt zu gebieten.<br />

Lassen wir dazu eine prominente Insiderin zu Wort kommen, die, nachdem sie als<br />

Dopingsünderin ertappt wurde, sehr offen als Kronzeugin vor der Staatsanwaltschaft ihr Herz<br />

ausschüttete. Die österreichische Triathletin Lisa Hütthaler äußerte sich im Spiegel mit<br />

folgenden Worten:“ Ich habe schwere Fehler gemacht. Aber wir Sportler sind auch Kinder<br />

eines kranken Systems. Ohne die richtigen Leute im Hintergr<strong>und</strong>, die Ärzte <strong>und</strong> Manager,<br />

würde das Netzwerk nicht funktionieren. … In allen Ländern <strong>und</strong> in allen Sportarten wird<br />

gedopt. Bist du in dem System drin, ist es das Normalste der Welt.“ (Spiegel 18/2009 Seite<br />

131)<br />

Falls man im gegenwärtigen Kampf gegen Doping nur einen Schritt weiter kommen will,<br />

müssen, so simpel das scheint, die nationalen <strong>und</strong> internationalen Verbände <strong>und</strong><br />

Sportorganisationen wesentlich klarer ihr Interesse, Ihre Bereitschaft <strong>und</strong> ihren Willen im<br />

Kampf gegen Doping in konkreten Maßnahmen zum Ausdruck bringen.<br />

Ist nicht eigentlich alles umsonst, solange<br />

26


27<br />

• nicht einmal einheitlich in allen Sportarten durchgesetzt werden kann, verstärkte<br />

Dopingkontrollen in den trainingsintensivsten Phasen 6-8 Wochen vor dem<br />

Wettkampfhöhepunkt vorzunehmen,<br />

• Öffentlich rechtliche Fernsehanstalten ihre Direktübertragungen von<br />

publikumswirksamen Sportveranstaltungen ungeniert fortsetzen, obwohl ein<br />

Dopingfall nach dem anderen bekannt wird,<br />

• es nicht einmal gelingt, eine prozentual festgesetzte Summe für die<br />

Dopingbekämpfung <strong>und</strong> Aufklärung in Sponsorenverträgen zu vereinbaren,<br />

• es nicht möglich ist, international durchzusetzen, das Dopingsünder, wie in<br />

Großbritannien bereits praktiziert, nach Ablauf einer Sperre ihrer Fachverbände<br />

wieder für die Teilnahme an Wettkämpfen zugelassen sind, bei Olympia aber kein<br />

Startrecht mehr erhalten,<br />

• sich die Dopingjäger oft die Chance entgehen lassen, Sportler mit internationalem<br />

Niveau, die ihre Teilnahmebestätigung zu einem Wettkampf plötzlich<br />

<strong>zur</strong>ückziehen, nicht sofort zu kontrollieren, da bei Ihnen durchaus ein<br />

„ertragreicheres“ Ergebnis als bei der Kontrolle des späteren Siegers zu erwarten<br />

ist,<br />

• sich immer noch einige nationale <strong>und</strong> internationale Verbände schwer tun, die ab<br />

1. Januar 2009 veränderte Anti-Doping-Charta anzuerkennen,<br />

• des Dopings bezichtigte Eishockeyspieler in Deutschland bis in das Jahr 2009 nicht<br />

belangt werden konnten, weil die Satzung des Verbandes den Anti-Doping-Code<br />

gleich gar nicht erst enthielt oder das Argument verwendet wurde, dass im<br />

Eishockey Doping sowieso nichts bringt,<br />

• sich Ärzte an der Prävention <strong>und</strong> Aufklärung nicht ausreichend genug engagieren <strong>und</strong><br />

bei nachgewiesener Beteiligung am Dopingsystem ihre Approbation nicht<br />

gefährdet ist,<br />

• Nahrungsergänzungsmittel teilweise mit Dopingbestandteilen angeboten werden, um<br />

Gewicht zu reduzieren, die Jugendlichkeit <strong>zur</strong>ückzuholen, Muskeln zu vergrößern<br />

<strong>und</strong> Falten verschwinden zu lassen,<br />

• es, wie im Fall von Claudia Pechstein, immer noch keine klaren Regeln für den<br />

Vorwurf von Blutdoping gibt, wer Schuld oder Unschuld nachzuweisen hat.<br />

Die ständig zunehmenden <strong>und</strong> immer schärferen Dopingkontrollen werfen jedoch auch<br />

Probleme ganz anderer Art auf. Mir scheint es kaum noch vertretbar, wie gravierend bei<br />

Dopingkontrollen im Training <strong>und</strong> der Art <strong>und</strong> Weise der Beaufsichtigung in die<br />

Persönlichkeitsrechte der Sportler eingegriffen wird. Unangemeldete <strong>und</strong> entwürdigende<br />

Kontrollen zu jeder Tag- <strong>und</strong> Nachtzeit, Beaufsichtigungen bei der Abnahme von Urinproben<br />

<strong>und</strong> stündlich anzugebende Aufenthaltsorte werden von den Sportlern nicht mehr<br />

unwidersprochen hingenommen <strong>und</strong> zunehmend als Persönlichkeit verletzend betrachtet.<br />

Nicht selten ist es sogar, dass bei positiven Dopingkontrollen die Öffentlichkeit eher als der<br />

Sportler selbst informiert wurde.<br />

Darüber hinaus werden datenschutzrechtliche Fragen aufgeworfen.<br />

So realistisch stellt sich die gegenwärtige Dopingwirklichkeit dar.<br />

Alle Bemühungen umsonst?


Herausgeber:<br />

28<br />

Vorstand der <strong>Gesellschaft</strong> <strong>zur</strong> <strong>Rechtlichen</strong> <strong>und</strong> <strong>Humanitären</strong> Unterstützung e.V.<br />

(<strong>GRH</strong> e.V.)<br />

Vorsitzender: Hans Bauer; Geschäftsführer: Dieter Stiebert<br />

Geschäftsstelle des Vorstandes: Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin<br />

(Tel./Fax: 030/2978 4225)<br />

Internet: www.grh-ev.org & www.grenztruppen-der-ddr.org<br />

& www.sport-ddr-roeder.de<br />

E-Mail: verein@grh-ev.org<br />

Geschäftszeiten: Dienstag <strong>und</strong> Donnerstag 09.00 bis 16.00 Uhr<br />

Spenden <strong>zur</strong> materiellen Unterstützung von Opfern der politischen Strafjustiz<br />

<strong>und</strong> <strong>zur</strong> Finanzierung weiterer humanitärer Tätigkeit der <strong>GRH</strong> e.V. werden<br />

erbeten auf das Konto der<br />

Berliner Volksbank Nr. 578 890 000 9, BLZ 100 900 00.<br />

Bei namentlich gekennzeichneten Beiträgen sind die Autoren für deren Inhalt<br />

verantwortlich.


29<br />

Der „Sonderdruck der Arbeitsgruppe Sport der <strong>GRH</strong>“ dient der Unterrichtung<br />

der Mitglieder <strong>und</strong> Sympathisanten der <strong>GRH</strong> e.V. <strong>und</strong> darf bei Behörden nicht<br />

als rechtsverbindliche Auskunft benutzt werden.

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