Herbsttreffen 2011 - GRH
Herbsttreffen 2011 - GRH
Herbsttreffen 2011 - GRH
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Gesellschaft zur Rechtlichen und<br />
Humanitären Unterstützung e.V.<br />
Der Vorstand<br />
Sonderdruck der Arbeitsgruppe Grenze<br />
< <strong>Herbsttreffen</strong> <strong>2011</strong>><br />
Für Mitglieder und Sympathisanten<br />
Dezember <strong>2011</strong>
2<br />
Wolfgang Kluge<br />
Mein 13. August und die Berliner Mauer<br />
Am Sonntag, den 13. August,<br />
zum Frühstück hatte ich<br />
fast noch nichts gewusst.<br />
Doch zu Mittag war es mir klar:<br />
Das wird sicherlich auch mein<br />
schwerster Tag in diesem Jahr.<br />
Als Volkspolizisten und Grenzer<br />
traten wir in Bautzen an,<br />
faßten Waffen und Munition.<br />
Der Einsatzbefehl kam mit zittrigem Ton,<br />
nicht überheblich, nicht scharfmacherrich,<br />
eher nachdenklich.<br />
Dann saßen wir auf,<br />
auf LKW’s ohne Plane.<br />
Im Winde flatterte unsre<br />
blaue und rote Fahne;<br />
und auf den Lippen hatten wir,<br />
auch ganz bewusst,<br />
das Lied von den Rosen im August.<br />
Die Mauer war später der hohe Zaun,<br />
auch um meinen Garten,<br />
wo wir schon recht wertvolle<br />
Pflanzen hatten:<br />
Arbeit, Kultur, Bildung, Freizeit, Sport.<br />
Und die Ausbeutung des Menschen<br />
durch den Menschen<br />
war auch schon allseitig fort.<br />
Niemals wollte ich Spekulantentum,<br />
unbestrafte Kriegsverbrecher,<br />
alte und neue Nazis, reich und arm,<br />
Krieg, Profitmacherei – ja Kapital:<br />
So blieb, trotz Mängel und auch Ärger,<br />
die DDR stets meine erste Wahl.<br />
Ja, ich schäme mich nicht,<br />
ich sage es laut:<br />
„Die Berliner Mauer<br />
habe ich irgendwie mitgebaut.“<br />
Das Wetter war sommerlich warm,<br />
keinesfalls kalt.<br />
An der Autobahnraststätte Finow<br />
machten wir erstmalig Halt.<br />
Hier viele Reisende ringsumher<br />
und wir mittendrin mit Gewehr.<br />
Die Gesichter gespannt,<br />
Wie an diesem Tag wohl im ganzen Land.<br />
Doch angefeindet wurden wir nicht.<br />
Ich hörte Worte, wie Grenze dicht,<br />
und auch, so ziemlich breit:<br />
„Das wurde allerhöchste Zeit.“<br />
Dann fuhren wir weiter,<br />
noch weiter über Berlin hinaus,<br />
und nach etwa zehn Tagen<br />
war unser Einsatz aus.
3<br />
I n h a l t s v e r z e i c h n i s<br />
Seite<br />
Major a.D. Wolfgang Kluge<br />
Gedicht „Mein 13. August und die Berliner Mauer“ 2<br />
Oberst a.D. Siegfried Kahn<br />
Einschätzung 4<br />
Generaloberst a.D. Fritz Streletz<br />
Grundsätzliche Ausführungen zum Thema des <strong>Herbsttreffen</strong>s <strong>2011</strong> 5<br />
Prof. Dr. Gregor Schirmer<br />
Ausführungen aus der Sicht eines linken Völkerrechtlers 14<br />
G r u ß a d r e s s e n<br />
Dipl. Ing. Karel Janda, Präsident des Nationalrats Klub der Tschechischen<br />
Grenzgebiete 20<br />
General a.D. Schura, Verband der Soldaten der Polnischen Armee 22<br />
Fregattenkapitän a.D. Prof. Dr. Hans Fischer, Präsident des Traditionsverbandes<br />
Nationale Volksarmee e.V. 1 22<br />
Andreas Maluga, Eberhard Eick, Vorsitzende des DDR-Kabinett<br />
Bochum e.V. 2 23<br />
Leo Kuntz, Sohn des ermordeten Kommunisten Albert Kuntz 24<br />
Oberst a.D. Karl-Heinz Kathert<br />
Ergänzungen zu Entwicklungen der Deutschen Grenzpolizei / Grenztruppen<br />
der DDR 25<br />
Oberst a. D. Heinz Geschke<br />
Einige Gedanken als Zeitzeuge 27<br />
Oberst a.D. Heinz Schubert<br />
Eine neue Entwicklungsetappe der Grenzsicherungsorgane in der DDR 29<br />
Oberstleutnant a.D. Horst Liebig<br />
Ausführungen zu dem in der AG Grenze der <strong>GRH</strong> bestehenden „Gesprächskreis<br />
zur Geschichte der Grenztruppen der DDR“ 33<br />
Oberst a.D. Hans Linke<br />
Stellungnahme zu drei Problemen 35<br />
Oberst a.D. Gotthold Schramm<br />
Zu einigen militärischen Entwicklungen in der BRD im unmittelbaren<br />
Vorfeld unserer Grenzsicherungsmaßnahmen 37<br />
1 siehe unter www.traditionsverband-nva.de<br />
2 siehe unter www.ddr-kabinett-bochum.de
4<br />
Oberst a.D. Dr. Reinhard Grimmer 39<br />
Rechtsanwalt Hans Bauer, Vorsitzender der <strong>GRH</strong> e.V.<br />
Schlusswort 45<br />
Siegfried Kahn<br />
Das <strong>Herbsttreffen</strong> der AG Grenze fand am 22.10.<strong>2011</strong> in Bestensee statt. Der 65. Jahrestag<br />
der Deutschen Grenzpolizei und der 50. Jahrestag der Grenztruppen der Deutschen Demokratischen<br />
Republik waren Anlaß zu einer besonderen Würdigung dieser bedeutenden Ereignisse.<br />
Thematisch befasste sich das Treffen mit den Auswirkungen des 13. August 1961 auf<br />
die Sicherung der Staatsgrenze und die Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik<br />
sowie auf die internationalen Beziehungen.<br />
In seiner Eröffnung des Treffens konnte der Leiter der Arbeitsgruppe Grenze, Oberstleutnant<br />
a.D. Manfred Kleemann, 320 Teilnehmer, darunter tschechische und polnische Gäste, Vertreter<br />
progressiver Organisationen sowie Mitarbeiter verschiedener Massenmedien begrüßen.<br />
Mit der Vorführung eines Filmes des Armeefilmstudios der NVA wurden viele Erinnerungen<br />
an die facettenreichen Seiten des Grenzdienstes der Angehörigen der Deutschen Grenzpolizei<br />
und der Grenztruppen der DDR wieder wach gerufen.<br />
In seinem Referat drückte Generaloberst a.D. Fritz Streletz Achtung und Dankbarkeit den ca.<br />
500.000 Grenzern aus, die von 1946 bis 1990 ihren Grenzdienst geleistet hatten, würdigte die<br />
25 Grenzer, die ihr Leben an der Staatsgrenze der DDR verloren und hob das Wirken der<br />
führenden Funktionäre und Aktivisten der ersten Stunde sowie besonders verdienstvoller<br />
Grenzer namentlich hervor. Auch das beispielhafte öffentliche Auftreten ehemaliger Grenzer<br />
gegen Verleumdungen im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag des 13. August 1961 wurde<br />
anerkennend erwähnt. Ein wesentlicher Teil seiner Ausführungen befasste sich mit der Einordnung<br />
der Maßnahmen im August 1961 in die damalige historische Situation, die aufgrund<br />
ihrer politischen, militärischen und ökonomischen Brisanz zur Schließung der offenen<br />
Staatsgrenze der DDR führte bei Aufrechterhaltung des status quo für Westberlin und damit<br />
zu einem Kompromiß zwischen der UdSSR und den USA. Diese Maßnahmen waren Voraussetzung<br />
und Bedingung für die längste Friedensperiode in Europa, die Entspannung im Kalten<br />
Krieg und die internationale Anerkennung der DDR. Dabei erfüllte die DDR wie kein anderes<br />
Land im Rahmen der Warschauer Vertragsstaaten so weit gehende Verpflichtungen, wurde<br />
aber auch wie kein anderes sozialistisches Land so hinterhältig verraten.<br />
In seinem ergänzenden Beitrag ging Prof. Dr. Gregor Schirmer auf Aspekte der Entstehung<br />
und Entwicklung der Staatsgrenze der DDR ein, die sich von einer Demarkationslinie<br />
zwischen den Besatzungsmächten über eine Wiedergutmachungsgrenze gemäß dem Potsdamer<br />
Abkommen, eine Währungsgrenze, eine militärische Grenze mit der Bildung der<br />
NATO bis zur Staatsgrenze mit der Konstituierung der beiden deutschen Staaten entwickelte,<br />
jedoch erst mit dem Grundlagenvertrag von 1972 die Anerkennung seitens der BRD fand.<br />
In der weiteren Diskussion trat Oberst a.D. Karl-Heinz Kathert auf und berichtete über die<br />
Zusammenarbeit mit den tschechischen Kampfgefährten im Verlaufe des Jahres. Er konnte<br />
feststellen, dass aus ersten Anfängen eine breite Bewegung entstanden ist, die sich nicht nur<br />
auf Brigadeebene entwickelt, sondern auch von Kompanien organisiert wird.<br />
Oberst a.D. Heinz Geschke erinnerte als Zeitzeuge des 13. August 1961 an seine Beteiligung<br />
an den erfolgten Maßnahmen und an die Genugtuung, dass dem Ausbluten der DDR ein Ende<br />
gesetzt wurde. Er verband dies mit der Aufforderung, die eigenen Kenntnisse und Erfahrungen<br />
in der Öffentlichkeit zu verbreiten.
5<br />
Oberst a.D. Heinz Schubert führte den Nachweis, dass 1961 eine neue Entwicklungsetappe<br />
der Grenzsicherung eingeleitet wurde, die bereits Anfang des Jahres begann. Sie war unter<br />
anderem gekennzeichnet durch die Umgruppierung der Kräfte, ihre Übernahme durch das<br />
Ministerium für Nationale Verteidigung als Grenztruppen der DDR, die Durchsetzung<br />
militärischer Prinzipien in der Grenzsicherung und den pioniertechnischen Ausbau der<br />
Staatsgrenze zu Westberlin und zur BRD.<br />
Oberstleutnant a.D. Horst Liebig informierte über die Tätigkeit des „Gesprächskreises zur<br />
Geschichte der Grenztruppen der DDR“, dessen Ziel es unter anderem ist, mit seinen Erkenntnissen<br />
gegen Unwissen und Lüge in der Öffentlichkeit aufzutreten. Er orientierte auf die<br />
künftige Thematik und äußerte die Bitte an die Territorialen Arbeitsgruppen (TAG) der <strong>GRH</strong>,<br />
die Erarbeitung eines Themenkataloges zu unterstützen.<br />
Zu einem Höhepunkt der Veranstaltung gestaltete sich das Auftreten der Vertreter unserer<br />
ausländischen Gäste. Der Leiter der tschechischen Delegation, Dipl. Ing. Karel Janda, überbrachte<br />
die Kampfesgüsse seiner Organisation und stelle als gemeinsame Aufgabe in den zehn<br />
Jahren der Zusammenarbeit die Verteidigung der historischen Wahrheit fest. An verdienstvolle<br />
Mitglieder unserer Gesellschaft händigte er Auszeichnungen aus. Der Leiter der polnischen<br />
Delegation, General a.D. Schura, versicherte in seiner Ansprache eine gute Zusammenarbeit<br />
beider Organisationen auch in Zukunft. Die vom Präsidenten des Traditionsverbandes NVA<br />
e.V., Prof. Dr. Hans Fischer, vorgetragene Grußadresse würdigte die Leistungen der <strong>GRH</strong> und<br />
bekräftigte die Solidarität sowie die kameradschaftliche und konstruktive Zusammenarbeit<br />
beider Organisationen für einen Beitrag zu einer Welt des Friedens.<br />
Der Vorsitzende der <strong>GRH</strong>, Hans Bauer, informierte in seinem Schlusswort über die am<br />
13.08.<strong>2011</strong> erfolgte Kranzniederlegung in Berlin und weiteren Orten für Grenzer, die für die<br />
DDR ihr Leben ließen. Er brachte seine Wertschätzung für die ca. 300 strafrechtlich verfolgten,<br />
verurteilten und zum Teil inhaftierten Grenzer zum Ausdruck. Dem gegenüber bedauerte<br />
er Äußerungen linker Politiker, die eine Rechtfertigung des Mauerbaus verurteilten.<br />
Gleichzeitig stellte er eine Zunahme von Aktionen des Kalten Krieges fest und kündigte für<br />
2012 ein Tribunal für dessen Opfer an.<br />
Auch dieses Treffen wurde durch eine unter Leitung von Oberstleutnant a.D. Günter<br />
Ganßauge erstellte themenbezogene Ausstellung bereichert, die gleichzeitig in einer<br />
Broschüre wiedergegeben wurde. Beide fanden starkes Interesse.<br />
Eine Solidaritätsspendensammlung ergab 1.219,00 Euro.<br />
Fritz Streletz<br />
Liebe Genossinnen und Genossen.!<br />
Am 1. Dezember <strong>2011</strong> begehen ehemalige Angehörige und Zivilbeschäftigte der Deutschen<br />
Grenzpolizei sowie der Grenztruppen der DDR den 65. Jahrestag des Aufbaus der ersten<br />
Grenzpolizeieinheiten in den Ländern der sowjetischen Besatzungszone.<br />
Anlässe für spezielle Feiern oder Festveranstaltungen bestehen meines Erachtens nicht.<br />
Es gibt jedoch gute Gründe, in den Tagen um den 01. Dezember in den Organisationen der<br />
Gesellschaft für Rechtliche und Humanitäre Unterstützung e.V. und in den bestehenden<br />
Traditionsvereinen zusammen zu kommen, um mit Achtung und Dankbarkeit an die etwa<br />
500.000 ehemaligen DDR-Bürger zu erinnern, die von 1946 bis 1990 ihre staatsbürgerlichen<br />
und militärischen Pflichten zum Schutz ihres Landes und zur Erhaltung des Friedens gewissenhaft<br />
erfüllt haben.<br />
Sie werden vor allem an ehemalige Kampfgefährten erinnern, die 1945/46 aus faschistischen<br />
Konzentrationslagern und Zuchthäusern, aus der Emigration oder aus der Gefangenschaft<br />
kamen und ohne zu zögern die Verantwortung für den Aufbau und die Entwicklung neuer<br />
Grenzsicherungsorgane übernahmen.
6<br />
Sicher werden bei diesen Zusammenkünften von Veteranen der Deutschen Grenzpolizei und<br />
der Grenztruppen auch ehemalige Mitstreiter gewürdigt, die in den anderen Schutz- und<br />
Sicherheitsorganen der Grenzorte und Grenzkreise ihren Dienst versahen und im Zusammenwirken<br />
die Maßnahmen der Grenzsicherung unterstützten.<br />
Dazu zählten ab August 1952 auch die Grenzpolizeihelfer, die aus der Bevölkerung der<br />
Grenzgebiete gewonnen wurden.<br />
Die Teilnehmer dieser Treffen werden ihr ehrendes Gedenken für die 25 im Grenzdienst ermordeten<br />
Genossen erneuern und sie werden auch den Menschen ihr aufrichtiges Mitgefühl<br />
bekunden, die beim Versuch des illegalen Grenzübertritts bzw. bei gewaltsamen<br />
Durchbruchsversuchen tödliche Verletzungen oder schwere Körperschäden erlitten.<br />
Dieses Mitgefühl ehemaliger Grenzer ist aufrichtig. Sie hatten niemals die Absicht, Grenzverletzer<br />
zu töten.<br />
Wenn auch Politiker, Juristen, Historiker und die verschiedensten Pseudo-Wissenschaftler den<br />
65. Jahrestag des 1. Dezember 1946 zum Anlass nehmen werden, die DDR, ihr Grenzregime,<br />
die Deutsche Grenzpolizei und die Grenztruppen zu verteufeln, gibt es für ehemalige Angehörige<br />
und Zivilbeschäftigte der Grenzpolizei und der Grenztruppen keinen Grund, sich<br />
ihrer Pflichterfüllung zu schämen und ihre Biografie zu verleugnen.<br />
Die Sicherung der Staatsgrenze der DDR war in der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts auf<br />
Grund der bestehenden Bedrohung und der nachweisbaren Gefahren unverzichtbar und<br />
legitim.<br />
Das Grenzregime und der Einsatz der Deutschen Grenzpolizei und der Grenztruppen entsprachen<br />
der Rechtsordnung der DDR und den Bestimmungen der UNO-Charta.<br />
Auf die zahlreichen Strukturveränderungen und Reorganisationsmaßnahmen, sowohl bei der<br />
Deutschen Grenzpolizei als auch später bei den Grenztruppen, einschließlich des Einsatzes<br />
der sowjetischen Berater von 1952 bis 1958, brauche ich nicht näher einzugehen, da viele der<br />
hier anwesenden Grenzer diese Fragen persönlich miterlebt bzw. auch mitgestaltet haben.<br />
Genosse Oberst a.D. Frithjof Banisch hat gemeinsam mit der IGRA zu dieser Problematik ein<br />
sehr interessantes Dokument erarbeitet.<br />
Es sei mir jedoch gestattet, in Vorbereitung auf den 65. Jahrestag an die Genossen zu erinnern,<br />
die einen großen Anteil bzw. große Verdienste bei der Schaffung der Deutschen Grenzpolizei,<br />
bei der Entwicklung der Grenztruppen der DDR sowie bei der Organisation der Sicherung der<br />
Staatsgrenze hatten.<br />
Es sei mir gestattet, an die Grenzpolizisten der ersten Stunde zu erinnern. Viele verdienen es<br />
genannt zu werden, wenn es darum geht, jene zu würdigen, die in schwerer Zeit den Auftrag<br />
erhielten, die ersten Grenzpolizeieinheiten zu formieren oder in ihnen unter denkbar<br />
schwierigen Bedingungen Grenzdienst an der Demarkationslinie der Sowjetischen Besatzungszone,<br />
der späteren Staatsgrenze der DDR, zu verrichten.<br />
Stellvertretend für all jene, die unter großen persönlichen Opfern einen Teil ihres Lebens oder<br />
mitunter fast ihr ganzes Leben dieser Aufgabe widmeten, seien hier genannt:<br />
- Die beiden Präsidenten der Deutschen Verwaltung des Innern, denen die Grenzpolizei<br />
unterstanden: Erich Reschke und Dr. Kurt Fischer;<br />
- in Mecklenburg: VP-Inspekteur Claus Mansfeld sowie später VP-Oberst Gerhard Prüfer;<br />
- in Brandenburg: VP-Inspekteur Fritz Neidhardt;<br />
- in Sachsen – Anhalt: VP-Inspekteur Josef Schütz. Ich habe 1948 als Wachtmeister in der<br />
3. VP-Bereitschaft Zerbst den Genossen Schütz einige Male persönlich getroffen. Er war<br />
ein hervorragender und geachteter Vorgesetzter;<br />
- in Sachsen: VP-Inspekteur Helmut Fuchs;<br />
- in Thüringen: VP-Inspekteur Hans Jopp.
7<br />
In Erinnerung sollen auch jene bleiben, die noch vor Gründung der DDR ihren Eid als<br />
Grenzpolizisten leisteten und ihr Leben dem Schutz der antifaschistisch - demokratischen<br />
Ordnung und der Staatsgrenze der DDR widmeten.<br />
Als Aktivisten der ersten Stunde bewährten sich neben vielen anderen, die aus Zeit- und<br />
Platzgründen unerwähnt bleiben müssen, im nicht immer leichten Dienst bei den Grenzsicherungsorganen<br />
der DDR die Grenzer Harald Bär, Heinrich Stock, Karl Wilhelm, Heinz<br />
Schieck, Helmuth Beuthe, Dieter Clasen, Hilbert Gundermann, Heinz Kramer, Gerhard<br />
Lorenz, Edwin Maseberg und Fritz Riebisch.<br />
Das waren alles Grenzpolizisten noch vor Gründung der DDR, die in späteren Jahren alle in<br />
verantwortungsvollen Dienststellungen der Deutschen Grenzpolizei, in den Grenztruppen der<br />
DDR und in der Nationalen Volksarmee dienten.<br />
Zu würdigen ist an dieser Stelle aber auch der legendäre Joseph „Sepp“ Hausladen, Grenzpolizist<br />
seit 1948, der als einer der ersten Grenzpolizisten 1954 mit der Medaille „Für vorbildlichen<br />
Grenzdienst“ für die Festnahme von fast 800 Grenzverletzern ausgezeichnet wurde.<br />
Nach 1961, bei der militärischen Grenzsicherung der Staatsgrenze, erwarben sich besondere<br />
Verdienste solche Genossen wie Generalleutnant Peter, Generalmajor Borufka, Generalleutnant<br />
Leonhardt, Generaloberst Baumgarten, Generalmajor Teichmann und viele andere,<br />
die auch hier genannt werden könnten und müssten.<br />
Die Entwicklung der Deutschen Grenzpolizei und später der Grenztruppen der DDR hatte<br />
viele militärpolitische Höhepunkte.<br />
Eines dieser wichtigen militär-politischen Ereignisse von Weltbedeutung war der 13.<br />
August 1961.<br />
Gestatten Sie mir deshalb zu den Maßnahmen des 13. August 1961, der auch als Mauerbau in<br />
die Geschichte eingegangen ist, überzugehen. Es war für uns, für die ehemaligen Hoheitsträger<br />
der DDR, erfreulich festzustellen, dass trotz der wüsten Hetzkampagne und der<br />
Schlammschlacht im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag des so genannten Mauerbaus<br />
viele ehemaligen Grenzer politisch standhaft und offensiv gegen die Verleumdung der DDR<br />
und ihrer Grenztruppen aufgetreten sind.<br />
Ich möchte die Gelegenheit unseres Grenzertreffens nutzen, um mich bei zwei besonders<br />
aktiven Grenzern für ihren beispielhaften Einsatz zu bedanken. Es geht um die Genossen<br />
Ganßauge und Fricke.<br />
Beide Genossen haben in der Periode der wüsten Hetzkampagne und der Verleumdung und<br />
Verunglimpfung der Grenztruppen im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag des „Mauerbaus“<br />
politische Gradlinigkeit und Standhaftigkeit bewiesen, und sich bei ihren Auftritten<br />
bzw. Veröffentlichungen nicht dem Zeitgeist angepasst.<br />
Selbst im „Stern“ lesen wir über Genossen Ganßauge - ich zitiere: „Noch heute berichtet der<br />
84 – jährige Ganßauge mit gewissem Stolz über jene Nacht. An der Notwendigkeit der<br />
Grenzsicherung zweifelt er keine Sekunde. Für diese Mauer habe ich aus Überzeugung gekämpft.“<br />
Soweit zu den Veröffentlichungen im „Stern“.<br />
Genosse Fricke hat mit seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum 50. Jahrestag des<br />
„Mauerbaus“ sowohl beim Freund als auch beim Feind eine breite Beachtung gefunden.<br />
Für die „Neue Rheinische Zeitung“ hat er unter dem Slogan „Die Berliner Mauer –<br />
Geschichtsrevisionismus und Siegerjustiz“ insgesamt vier Artikel veröffentlicht:<br />
1. Die Berliner Mauer: Gründe für ihren Bau und ihre Einordnung in den Kalten Krieg<br />
2. Das Märchen von der „innerdeutschen“ Grenze und seine Funktion<br />
3. Die Legende vom „Schießbefehl“<br />
4. Schlussbemerkungen.<br />
Bei meinen Auftritten zur Erläuterung bzw. Vorstellung unseres Buches habe ich mich auch<br />
auf die Materialien von Oberst a.D. Hans Fricke gestützt.
8<br />
Nochmals vor diesem Forum, herzlichen Dank, Genosse Ganßauge und Genosse Fricke, der<br />
leider erkrankt ist, für Eure hervorragenden Leistungen.<br />
Aus meiner Sicht kann man die Maßnahmen des 13. August nur richtig verstehen, wenn sie<br />
in die konkrete damalige historische Situation eingeordnet werden. Das geschieht leider nicht<br />
immer und immer seltener.<br />
Historische Ereignisse werden zwar gewürdigt, es fehlt aber zumeist der historische Zusammenhang,<br />
oder wie man heutzutage sagt: Der historische Kontext.<br />
Bekanntlich waren die Maßnahmen des 13. August 1961 auch eine Folgeerscheinung des<br />
Kalten Krieges.<br />
Der Hauptstoß des Kalten Krieges war gegen die Sowjetunion gerichtet. Sie wurde so in der<br />
internationalen Politik der USA aus einem Hauptverbündeten der USA zum Hauptfeind gemacht.<br />
Die Sowjetunion war aus dem zweiten Weltkrieg als eine Großmacht hervorgegangen,<br />
deren internationale Autorität und deren internationaler Einfluss spürbar gewachsen war.<br />
Dieser Einfluss der Sowjetunion auf die Weltpolitik musste gestoppt, bzw. verhindert werden.<br />
Die Ziele, die die USA zusammen mit anderen imperialistischen Mächten mit dem Bruch der<br />
Antihitlerkoalition und der Schürung des Kalten Krieges verfolgten, lassen sich wie folgt zusammenfassen:<br />
Erstens sollte die weltpolitische Rolle der Sowjetunion, die durch ihren entscheidenden Beitrag<br />
zum Sieg über den Faschismus eine qualitativ neue Stufe erreicht hatte, unwirksam gemacht<br />
werden.<br />
Zweitens sollten die nach dem zweiten Weltkrieg im Gefolge des antifaschistischen Befreiungskampfes<br />
entstandenen volksdemokratischen und sozialistischen Staaten Osteuropas beseitigt,<br />
der Sozialismus in der Welt zurückgedrängt und das Entstehen des sozialistischen Weltsystems<br />
verhindert werden.<br />
Drittens sollte dem Vormarsch der progressiven antifaschistischen Kräfte in den kapitalistischen<br />
Ländern Westeuropas, ihrem Kampf um Demokratie und Sozialismus, entgegengewirkt und die<br />
geschwächte kapitalistische Herrschaft in diesen Ländern wieder stabilisiert werden.<br />
Viertens ging es darum, die Entfaltung der nationalen Befreiungsbewegungen und den Zusammenbruch<br />
des imperialistischen Kolonialsystems zu verhindern.<br />
Fünftens sollte zur Erreichung aller dieser Ziele der politische und militärische Zusammenschluss<br />
der imperialistischen Mächte unter der Führung der USA gefördert werden.<br />
Das bedeutete, dass die USA ihre Vorherrschaft über die von ihnen abhängigen anderen<br />
imperialistischen Staaten sichern wollten.<br />
Das ist eine kurze Charakterisierung der Lage im Sommer 1961.<br />
Einige Fakten zur Erinnerung an die damalige militär-politische Lage in Zentraleuropa<br />
Bekanntlich erlitten die kubanischen Konterrevolutionäre, unterstützt von den USA, vom 17.<br />
bis 19. April 1961 in der Schweinebucht auf Kuba eine vernichtende Niederlage.<br />
Kurz nach diesem politischen Ereignis trafen sich am 3. und 4. Juni erstmals der sowjetische<br />
Ministerpräsident Nikita Chruschtschow und US-Präsident John F. Kennedy in Wien.<br />
Chruschtschow kam durch den kubanischen Sieg gestärkt und Kennedy geschwächt nach<br />
Wien.<br />
Drei Themen standen auf der Agenda:<br />
1. Einstellung der Kernwaffenversuche,<br />
2. Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland und<br />
3. Regelung der Westberlinfrage.<br />
Bei dieser Begegnung drohten sich Chruschtschow und Kennedy gegenseitig mit Krieg. Die<br />
Verhandlungen wurden erfolglos abgebrochen.
9<br />
Chruschtschow hatte bei dem Wiener Treffen mit Kennedy sehr hoch gepokert.<br />
Bis Dezember 1961, also innerhalb von 6 Monaten,wollte er mit der DDR einen Friedensvertrag<br />
abschließen.<br />
Ab diesem Zeitpunkt wollte er den Organen der DDR die volle Kontrolle über die Zugangswege<br />
nach Westberlin zu Lande, zu Wasser und in der Luft übertragen.<br />
Westberlin stand also auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges im Mittelpunkt der Weltpolitik<br />
beider Führungsmächte. Hier ging es um die Frage: Friedliche Lösung oder Krieg!<br />
Beide Supermächte befanden sich nach dem Wiener Treffen in einer äußerst komplizierten<br />
militär-politischen Lage.<br />
Warum hatte die Lösung des Westberlin-Problems für die beiden Supermächte nach dem<br />
Gipfeltreffen so eine weltpolitische Bedeutung?<br />
Es ging um die Glaubwürdigkeit und die Autorität sowohl der USA als auch der Sowjetunion.<br />
Für den amerikanischen Präsidenten Kennedy ergab sich folgender Sachverhalt:<br />
Wenn ich Westberlin mit den über 2 Millionen Einwohnern aufgebe, und sie werden vom<br />
sozialistischen Lager vereinnahmt, ist die Glaubwürdigkeit, das Vertrauen und die Zuverlässigkeit<br />
der USA in der kapitalistischen Welt vor allen Dingen in der NATO verloren.<br />
Die USA würde vor der ganzen Welt als Verlierer dastehen.<br />
Deshalb muss der Status von Westberlin unter allen Bedingungen, falls erforderlich auch<br />
durch Krieg, aufrecht erhalten werden.<br />
Für die Sowjetunion, vor allen Dingen für Chruschtschow, ergab sich folgender Sachverhalt:<br />
Seit über zwei Jahren drohte Chruschtschow mit einem Friedensvertrag, erst mit beiden<br />
deutschen Staaten, dann nur mit der DDR.<br />
Das Westberlin – Problem musste gelöst werden. Wenn es keine Lösung gibt, stehen die<br />
Glaubwürdigkeit und das Vertrauen zur Sowjetunion durch die sozialistischen Staaten und den<br />
Warschauer Vertrag auf dem Spiel.<br />
Außerdem musste Chruschtschow berücksichtigen:<br />
China und Albanien werden dadurch in ihrer Auffassung gestärkt, die Politik der Annäherung<br />
zur USA und der Besuch Chruschtschows in den USA waren politische Fehler.<br />
Hier ging es um die Autorität von Chruschtschow als Repräsentant des sozialistischen Lagers,<br />
aber auch um die Autorität und Glaubwürdigkeit der Sowjetunion als führende Kraft des<br />
sozialistischen Lagers.<br />
Wir sollten nicht vergessen, Berlin war auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges der gefährlichste<br />
Ort der Welt geworden. Berlin war zugleich der Hauptschauplatz des Konkurrenzkampfes<br />
zwischen den USA und der Sowjetunion.<br />
Beide Führungsmächte brauchten einen Kompromiss, wenn sie keinen Atomkrieg riskieren<br />
wollten. Dieser wurde mit den Grenzsicherungsmaßnahmen des 13. August in Berlin gefunden.<br />
Es liegt uns jedoch vollkommen fern, die Verantwortung für den 13. August 1961 auf Dritte<br />
zu schieben. Wir, die DDR, hatten ein starkes Interesse daran, dass die Westberlin-Problematik<br />
gelöst wurde. Man sollte hierbei nicht vergessen, die DDR, vor allen<br />
Dingen Berlin, die Hauptstadt der DDR, sollte das Schaufenster des Sozialismus werden. Das<br />
war mit der offenen Grenze zu Westberlin aber nicht möglich.<br />
Aus unserer Sicht gab es für die DDR sehr ausschlaggebende militär-politische und ökonomische<br />
Gründe, die einer Lösung bedurften.<br />
1. Einige militär-politische Probleme für die Grenzsicherung
10<br />
Auf der Grundlage der Weisung von Stalin wurde im Zusammenhang mit dem Korea-Krieg<br />
1952 die Aufgabe gestellt, ein sowjetisches Grenzsicherungssystem gegenüber den<br />
kapitalistischen Staaten von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer zu schaffen.<br />
Eine Kette ist immer so stark, wie ihr schwächstes Kettenglied. Schwächstes Kettenglied im<br />
gesamten Warschauer Vertrag war die offene Grenze zu Westberlin.<br />
Westberlin war für die NATO Frontstadt:<br />
• 6.000 – 7.000 amerikanische,<br />
• 3.000 – 4.000 englische und<br />
• 3.000 französische Soldaten sowie<br />
• 20.000 Westberliner Polizisten<br />
waren dort stationiert, mitten in der DDR rund 30.000 Mann feindliche bewaffnete Kräfte.<br />
Etwa 80 Geheimdienste und Organisationen haben von Westberlin aus zielgerichtet gegen die<br />
DDR, die Sowjetunion und den Warschauer Vertrag gearbeitet.<br />
Bereits 1955 gab es in Berlin annähernd 12.000 hauptberufliche Spione, die die offene Grenze<br />
zwischen NATO und Warschauer Vertrag zu jeder Tages- und Nachtzeit ohne Kontrolle<br />
passieren konnten.<br />
Allein 117 paramilitärische Organisationen, die Mehrzahl von ehemaligen Wehrmachts- und<br />
SS-Offizieren geführt, wie beispielsweise der „Stahlhelm“,der „Kyffhäuser-Bund“,der „Verband<br />
deutscher Soldaten“,der „Bund ehemaliger Fallschirmjäger“sowie Vereinigungen der<br />
Waffen-SS waren in der Frontstadt Westberlin aktiv.<br />
Sicherlich war dieser Umstand auch einer der Gründe, warum führende Politiker der DDR die<br />
Grenze zu Westberlin als „Antifaschistischen Schutzwall“ bezeichneten.<br />
Hinzu kommt, in den annähernd 80 Westberliner Flüchtlingslagern wurden alle Republikflüchtlinge<br />
durch die westlichen Geheimdienste befragt. Nicht wenige von ihnen wurden angeworben.<br />
Soweit zu einigen militär-politischen Problemen im Zusammenhang mit dem 13. August<br />
1961.<br />
2. Einige ökonomische Gründe zur Grenzschließung<br />
Für die Partei- und Staatsführung der DDR gab es auch vorrangig schwerwiegende ökonomische<br />
Probleme, die im Zusammenhang mit der Westberlin-Problematik einer Lösung<br />
bedurften.<br />
Am 13. Juni 1961 erklärte Konrad Adenauer: „Verhandlungen mit der Zone kommen für uns<br />
nicht in Frage“. Damit waren die Würfel gefallen.<br />
Wie war die Lage im Sommer 1961?<br />
Nach den uns damals im Ministerium für Nationale Verteidigung zur Verfügung stehenden<br />
Unterlagen sind bis 1961 durch die offene Grenze, vor allem zu Westberlin, 2,9 Millionen<br />
Bürger der DDR in die BRD gegangen.<br />
Politisch anerkannte Flüchtlinge waren nach Angaben der BRD von 1953 bis 1961 nur 14,2%,<br />
das bedeutet, über 2 Millionen waren sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“.<br />
Darunter waren:<br />
- 664.000 Jugendliche unter 25 Jahren (Wehrdienst),<br />
- 12.000 Ingenieure und Techniker,<br />
- 13.800 Lehrer,<br />
- 600 Hochschullehrer,<br />
- 2.400 Ärzte.<br />
Dadurch entstand der DDR aus unserer Sicht ein Schaden von 120 Milliarden Mark. Durch<br />
den Westen wurde diese Summe nach unserer Kenntnis niemals anerkannt.
11<br />
Es war ein kostenloser Zufluss von Human-Kapital für die BRD. Zugleich war es ein großer,<br />
nicht wieder gut zumachender Verlust für die DDR.<br />
Nach meiner Kenntnis waren in den 60er und 70er Jahren die Ausgaben für die Studenten wie<br />
folgt:<br />
- Ein Pädagogik-Student, der Lehrer werden wollte, kostete dem Steuerzahler der DDR<br />
rund 200.000 Mark der DDR;<br />
- für einen Medizin-Studenten hat der Staat bereits bis er Arzt wurde, annähernd 450.000<br />
bis 500.000 Mark ausgegeben;<br />
- ein in Moskau oder Leningrad studierender DDR-Bürger kostete dem Steuerzahler über<br />
600.000 Mark.<br />
Nicht wenige Studenten der DDR hatten 1960 und 1961 im letzten Studienjahr schon Verträge<br />
mit Westberliner bzw. westdeutschen Institutionen oder Betrieben, in denen sie nach<br />
Beendigung des Studiums arbeiten wollten.<br />
Ein weiteres Problem bestand darin:<br />
In Westberlin arbeiteten 63.000 registrierte Grenzgänger. Die Zahl der Gelegenheitsarbeiter<br />
wurde auf 40.000 geschätzt. 15% der Berufstätigen der Hauptstadt der DDR arbeiteten in<br />
Westberlin. Sie wohnten bei uns, nutzten alle Vorteile, arbeiteten aber in Westberlin.<br />
Der jährliche Schaden dadurch betrug 2,5 Milliarden Mark, wozu es aber unterschiedliche<br />
Einschätzungen gibt.<br />
So können noch andere Beispiele genannt werden, die uns gezwungen haben, eine Grenzsicherung<br />
um Westberlin zu errichten.<br />
Natürlich haben diese Maßnahmen viele Härten, viel Leid und viele Unannehmlichkeiten mit<br />
sich gebracht.<br />
Familien wurden getrennt, Freundschaften wurden unterbrochen, gut bezahlte Arbeitsstellen<br />
gingen verloren und vieles mehr.<br />
Im Interesse der Erhaltung des Friedens in Europa mussten aber leider solche Grenzsicherungsmaßnahmen<br />
durchgeführt werden.<br />
Die Westmächte haben unsere Handlungen am 13. August 1961 akzeptiert. Ihre strategischen<br />
Interessen wurden nicht berührt:<br />
1. Unveränderter Status von Westberlin.<br />
2. Politische und militärische Präsenz in Westberlin.<br />
3. Sicherer Verkehr zwischen Westberlin und der BRD.<br />
Es lag deshalb kein Grund zum Eingreifen der NATO vor, auch wenn vorher die Stärke und<br />
Gefechtsbereitschaft der NATO-Truppen erhöht wurden. Die Forderungen Adenauers und<br />
einiger weiterer westlicher Politiker, Maßnahmen gegen die Grenzsicherung zu ergreifen,<br />
wurden von den Westmächten ignoriert.<br />
Bei Kennedy klang das so: „Keine besonders angenehme Lösung, aber eine Mauer ist verdammt<br />
noch mal besser als Krieg …“<br />
In diesem Zusammenhang sollten wir auch die hervorragende Arbeit der Grenzpolizisten, der<br />
Bereitschaftspolizei, der Volkspolizei und der Mitarbeiter des Verkehrswesens besonders hoch<br />
einschätzen.<br />
Innerhalb weniger Stunden wurden in der Nacht vom 12. zum 13. August, die X-Zeit war<br />
01.00 Uhr, bis 06.00 Uhr morgens 193 Straßen abgeriegelt und 48 S-Bahnhöfe gesperrt.<br />
Das waren Leistungen, auf die alle Beteiligten stolz sein können!<br />
Es gab im Juli 1961 ein wichtiges militär-strategisches Ereignis, das von Massenmedien bei<br />
der Hetzkampagne zum 50. Jahrestag des Mauerbaus verschwiegen wurde.<br />
Der 16. Juli 1961 war für die Sowjetunion und für die militärstrategische Lage des<br />
Warschauer Vertrages ein sehr erfolgreicher Tag, auch mit einer wichtigen Veränderung für
12<br />
die amerikanische Militärpolitik, ein schwarzer Tag für die „Falken“ in der US-Administration.<br />
Nun zu dem Ereignis.<br />
Chruschtschow handelte nach dem Grundsatz, nur wer seine Stärke demonstriert, bleibt<br />
glaubhaft.<br />
Am 16. Juli 1961 begann die 70. Staffel der sowjetischen strategischen Raketenstreitkräfte<br />
mit einem komplexen Test ihrer mächtigsten Waffe. Innerhalb weniger Stunden wurden zwei<br />
Exemplare der größten Rakete der Welt abgeschossen. Die beiden R7 – Raketen (NATO-<br />
Code SS-6 „Sapwood“) starteten auf dem Militärstützpunkt Angara, rund 800 Kilometer<br />
nördlich von Moskau. Es war die Generalprobe für den Ernstfall. Die sowjetischen Raketenspezialisten<br />
wussten genau, dass alle ihre Starts von amerikanischen und britischen Geheimdiensten<br />
registriert wurden und zwar anhand der Signale, die jede Rakete nach dem Abheben<br />
an die Bodenstation schickte.<br />
Genau darauf zielte der doppelte Test. Er sollte Washington und London vor Augen führen,<br />
dass die Sowjetunion für den ganz großen, den nuklearen Krieg bereit war.<br />
Die R7 - Raketen, im Wesentlichen baugleich mit den Trägerraketen des sowjetischen Raumfahrtprogramms,<br />
konnte im Ernstfall mit ihrer Reichweite von 12.800 Kilometern jedes Ziel<br />
in den USA treffen. Gegen ihren 3 Megatonnen starken Sprengkopf, eine Wasserstoffbombe,<br />
bot kein Bunker der Welt Schutz.<br />
Die „Falken“ der US-Administration und die führenden US-Militärs wussten genau, die<br />
interkontinentale Rakete war die Waffe der UdSSR, gegen die weder die USA noch die NATO<br />
mit den vorhandenen Abwehrmöglichkeiten etwas ausrichten konnten.<br />
Bisher waren sie davon ausgegangen, dass die mit Kernwaffen ausgerüstete sowjetische<br />
Bomberflotte von den überlegenen Jagdflugzeugen der US Air Force abgefangen werden<br />
konnte, und die mit drei „Scud“- Raketen ausgerüsteten Raketen-U-Boote der Golf-Klasse<br />
binnen kurzer Zeit durch die Kräfte und Mitteln des U–Bootabwehrsystems der USA und der<br />
NATO versenkt werden könnten.<br />
Nun verfügte die Sowjetunion über die R7 - Raketen, gegen die es keinen Schutz gab!<br />
Die „Unverwundbarkeit“ des Territoriums der USA war ab diesem Zeitpunkt endgültig<br />
vorbei. In einem möglichen „atomaren Schlagabtausch“ wäre das Territorium der USA<br />
genauso Kriegsschauplatz wie die europäischen Staaten geworden. Bekanntlich ist im 2.<br />
Weltkrieg, bildlich gesprochen, keine Fensterscheibe in den USA kaputt gegangen. Dagegen<br />
gab es auf dem Territorium der Sowjetunion auf einer Tiefe von 2.000 Kilometern die „verbrannte<br />
Erde“.<br />
Sicherlich war dieser Raketen-Test einer der Gründe, warum Kennedy seinen Experten die<br />
Frage stellte, wie viele Amerikaner bei einem Nuklearkrieg sterben würden? - Etwa 70<br />
Millionen lautete die Antwort!<br />
Aus meiner Sicht haben sich in diesem Zusammenhang die „Tauben“ gegenüber den<br />
„Falken“ in der US-Administration durchgesetzt, und es gelang, auch für Westberlin eine<br />
friedliche Lösung in Angriff zu nehmen.<br />
Deshalb hatte dieser 16. Juli auch „indirekte“ Auswirkungen auf die Lösung des „Westberlin-Problems“.<br />
Wir sollten in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen:<br />
Die Sowjetunion hat im 2. Weltkrieg nach den letzten Angaben annähernd 27 Millionen<br />
Menschen verloren. Die USA dagegen 350.000.<br />
Nur wer Verständnis für das Ausmaß dieses Blutzolls aufbringt, kann auch Verständnis für die<br />
Nachkriegspolitik der Sowjetunion aufbringen. Ein solcher Überfall wie 1941 sollte nach<br />
Meinung der sowjetischen Partei- und Staatsführung sowie der führenden Militärs für die<br />
Zukunft ausgeschlossen werden.
13<br />
Deshalb ging es der Sowjetunion in der Nachkriegszeit, besonders in der Periode des Kalten<br />
Krieges, darum:<br />
1. Die Grenzen ihres Einflussbereiches soweit weg wie möglich von der Sowjetunion zu<br />
errichten und<br />
2. die Grenzen unter allen Lagebedingungen militärisch so zu sichern, dass ein überraschender<br />
Überfall soweit wie möglich ausgeschlossen wird.<br />
Deshalb befand sich auch die GSSD (Westgruppe), die modernste und schlagkräftigste<br />
Gruppierung der Sowjetischen Streitkräfte, in einer ständigen Gefechtsbereitschaft auf dem<br />
Territorium der DDR. Eine militärische Überraschung durch die Gegenseite sollte ausgeschlossen<br />
werden. Darum gab es auch die militärische Grenzsicherung.<br />
Keiner von uns wird in Abrede stellen, dass aus nationaler Sicht, aus der Sicht der Partei- und<br />
Staatsführung der DDR, die Hauptaufgabe des polizeilichen Grenzschutzes sowie der<br />
militärischen Grenzsicherung darin bestand, Grenzdurchbrüche in beide Richtungen zu verhindern<br />
und Republikfluchten nicht zuzulassen.<br />
Deshalb befasste sich auch der Nationale Verteidigungsrat periodisch mit der Lage an der<br />
Staatsgrenze. Deshalb waren auch die beiden Vorsitzenden der Bezirkseinsatzleitung<br />
Magdeburg und Suhl, zwei wichtige Grenzbezirke, immer Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates.<br />
Dadurch war es möglich, in diesem Gremium auch die Probleme der Grenzbevölkerung<br />
wirklichkeitsnah zu behandeln.<br />
Dass nach der Umunterstellung der Grenzpolizei unter das Ministerium für Nationale Verteidigung<br />
die militärische Ausbildung und die Vorbereitung auf die Erfüllung der Aufgaben<br />
der Grenztruppen im Verteidigungszustand auf Grund der Vorgaben aus Moskau eine<br />
dominierende Rolle einnahm, ist allen hier anwesenden bekannt.<br />
Deshalb beinhaltete auch der jährliche Befehl 101 anteilig Aufgaben, die sich zu 40% auf den<br />
Grenzdienst im Frieden bezogen, aber zu 60% Maßnahmen zur Vorbereitung der Grenztruppen<br />
auf den Verteidigungszustand umfassten.<br />
Liebe Genossinnen und Genossen,<br />
Wir sollten aus meiner Sicht bei der Einschätzung des 13. August auch den folgenden Gesichtspunkt<br />
berücksichtigen: Der 13. August hat auf unserem Kontinent in hohem Maße zur<br />
Fortdauer der längsten Friedensperiode seiner Geschichte beigetragen.Vor aller Augen wurde<br />
sichtbar, dass die Grenzen zwischen der DDR und der BRD bzw. Berlin (West) keinen<br />
„innerdeutschen“ Charakter trugen.<br />
Die Lösung des Westberlin- Problems schuf die Voraussetzungen für die Entspannung ab<br />
Beginn der 70er-Jahre. Dazu gehörten unter anderem das Viermächte-Abkommen, der<br />
Grundlagenvertrag, die „Wiener Verhandlungen“ über die militärische Entspannung, die<br />
Konferenz von Helsinki und viele andere politische und militär-politische Aktivitäten.<br />
Die Lösung des „Westberlin-Problems“ führte zu umfassender internationaler Anerkennung<br />
der DDR von 138 Staaten und 1973 zur gleichzeitigen Aufnahme beider deutscher Staaten in<br />
die UNO.<br />
Wir fragen, wo bleibt heute eigentlich die Entrüstung etwa über<br />
• die israelische Mauer in Nahost, die doppelt so hoch ist, wie es die Berliner Mauer war;<br />
• die Grenzanlagen der USA gegenüber Mexiko sowie die vielen Toten an dieser Grenze;<br />
• die Brutalität an den EU-Außengrenzen, wo nachweislich über 14.500 Tote zwischen<br />
1958 und 2009 zu verzeichnen waren, oder<br />
• den Grenzgraben zwischen Griechenland und der Türkei – zwei NATO-Staaten.<br />
Dort wird ein 120 km langer, 30 Meter breiter und 7 Meter tiefer Graben an Stelle des<br />
flachen Grenzflusses Evros geschaffen. Die ersten 15 km sind bereits fertig gestellt.<br />
Immer noch und verstärkt wird nur gegen die Grenzen der DDR Stimmung gemacht, um den<br />
Sozialismus im Nachhinein zu diffamieren.
14<br />
Gestatten Sie mir abschließend zu unterstreichen:<br />
Wir hielten es für notwendig und zweckmäßig, in unserem Buch klar und beweisbar folgende<br />
Fragen zu behandeln und zu dokumentieren, und ich weiß, worüber ich spreche, denn ich war<br />
11 Jahre Stellvertreter des Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte des Warschauer<br />
Vertrages für die NVA der DDR:<br />
1. Die Maßnahmen des 13. August 1961 in Berlin wurden im Interesse und auf<br />
Empfehlung bzw. Beschluß der Regierungen aller Warschauer Vertragsstaaten durchgeführt.<br />
2. Die militärische Grenzsicherung der Staatsgrenze der DDR zur BRD und zu Westberlin<br />
erfolgte in der 40-jährigen Periode des Kalten Krieges nicht nur im Interesse der DDR,<br />
sondern auch im Auftrage des Warschauer Vertrages, im Interesse des Warschauer Vertrages<br />
und zum Schutz der Staaten des Warschauer Vertrages. Diese Einschätzung und die<br />
große Kriegsgefahr im Sommer 1961 in Zentraleuropa beweisen die beiden Befehle von<br />
Marschall der Sowjetunion Gretschko und von Marschall der Sowjetunion Konjew, die<br />
sich als Anlage 1 und 2 in unserem Buch befinden.<br />
3. Die DDR war in der 40 jährigen Periode des Kalten Krieges der wichtigste und der zuverlässigste<br />
Bündnispartner der Sowjetunion im Warschauer Vertrag. Sie leistete einen<br />
aktiven Beitrag zur Friedenssicherung in Europa.<br />
4. Kein Land im Warschauer Vertrag hatte so umfassende Verpflichtungen bei der Landesverteidigung<br />
gegenüber den Streitkräften des Warschauer Vertrages, vor allen Dingen<br />
auch gegenüber der GSSD, wie die DDR. Kein Land im Bündnis hat so gewissenhaft<br />
und so termingerecht die militärischen Verpflichtungen erfüllt, wie die DDR.<br />
Aber auch das gehört zur historischen Wahrheit, kein Land des Warschauer Vertrages<br />
wurde 1989/90 von Gorbatschow und Schewardnadse so hinterhältig verraten und verkauft,<br />
wie die DDR.<br />
Es sei mir folgender Hinweis gestattet. Obwohl unser Buch schon fünf Monate im Handel ist,<br />
und auch die 2. Auflage bereits vergriffen ist, hat sich nach meiner Kenntnis bis heute kein<br />
westlicher Politiker oder Historiker, kein früherer Bürgerrechtler, zum Inhalt des Buches geäußert.<br />
Auch aus dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam und dem Militär –<br />
Archiv in Freiburg sind keine Stellungnahmen zu unserer Veröffentlichung bekannt, obwohl<br />
wir die Spaltung Deutschlands, die Remilitarisierung im Westen und die aggressive NATO-<br />
Politik behandelten.<br />
Im Gegenteil, still und leise wird unsere Einschätzung akzeptiert. Man hört nur die Schlagworte<br />
des Kalten Krieges: Schießbefehl, Selbstschußanlagen, Verhöhnung der Mauer-Toten<br />
usw.<br />
Wir hoffen, dass wir mit unserem Buch einen bescheidenen Beitrag zur historischen Aufarbeitung<br />
einer wichtigen Etappe der Geschichte der DDR leisten konnten.<br />
Liebe Genossinnen und Genossen, jeder Angehörige der Grenztruppen der DDR kann auch<br />
heute erhobenen Hauptes und mit Stolz auf seinen geleisteten Ehrendienst zurückblicken. Er<br />
hat seine Aufgaben nach dem Recht und den Gesetzen des Staates erfüllt, der von 138 Staaten<br />
dieser Welt anerkannt war. Die internationale Autorität der DDR war nicht schlechter als die<br />
der BRD. Keiner von uns hat in einem „Unrechtsstaat“ gedient!<br />
Ich bin fest davon überzeugt:<br />
Trotz der vielen Verleumdungen, Diskriminierungen und Kriminalisierungen wird die<br />
Geschichte ein gerechtes Urteil über den Beitrag der DDR und der Grenztruppen zur Erhaltung<br />
des Friedens in Europa fällen.<br />
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
15<br />
Gregor Schirmer<br />
Ich bedanke mich für die Einladung, auf Ihrem Treffen zu sprechen. Mit meinem Vortrag will<br />
ich die Ausführungen von Fritz Streletz mit drei Bemerkungen aus der Sicht eines linken<br />
Völkerrechtlers ergänzen.<br />
Erste Bemerkung: Zu den innerdeutschen Vorläufern der Staatsgrenze zwischen der BRD<br />
und der DDR<br />
Die deutsch-deutsche Grenze ist nicht erst 1949 mit der Gründung der beiden deutschen<br />
Staaten oder gar erst am 13. August 1961 entstanden. Sie wurde mit den Zonengrenzen durch<br />
die Siegermächte vorgeformt.<br />
Vom 19. bis 30. Oktober 1943 fand in Moskau eine Konferenz der Außenminister der UdSSR,<br />
der USA und Großbritanniens statt. Die Außenminister beschlossen u.a., eine Europäische<br />
Konsultativkommission einzusetzen, die – gegebenenfalls mit Vertretern anderer Staaten der<br />
Antihitlerkoalition – „die mit der Beendigung der Kriegshandlungen zusammenhängenden<br />
europäischen Fragen prüfen, die die drei Regierungen ihr zu übertragen für zweckmäßig erachten,<br />
und den drei Regierungen zu diesen Fragen gemeinsame Empfehlungen erteilen“. Die<br />
Kommission tagte in London bis August 1945. Eines ihrer Arbeitsergebnisse war das<br />
Londoner Protokoll über die Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von Groß-<br />
Berlin vom 12. September 1944. Dieses Protokoll kann man als die Geburtsurkunde der<br />
deutsch-deutschen Grenze ansehen. Nachdem Frankreich auf der Konferenz in Jalta eine Besatzungszone<br />
zugeteilt worden war, trat seine endgültige Fassung am 26. Juli 1945, also<br />
während der Potsdamer Konferenz, in Kraft.<br />
Ziffer 1 des Protokolls lautete: „Deutschland wird innerhalb seiner Grenzen, wie sie am 31.<br />
Dezember 1937 bestanden, zum Zwecke der Besetzung in vier Zonen eingeteilt, von denen je<br />
eine einer der vier Mächte zugewiesen wird und ein besonderes Berliner Gebiet, das der gemeinsamen<br />
Besatzungshoheit der vier Mächte unterworfen wird.“<br />
In Ziffer 2 wird der Grenzverlauf zwischen den vier Zonen festgelegt und durch beigefügte<br />
Karten beschrieben. Berlin wird nach dem Protokoll einer „Sonderform der Besatzung“<br />
unterstellt und „in vier Teile eingeteilt“. Die Grenzen um das und in dem „Gebiet Berlin“<br />
werden genau beschrieben.<br />
In der Erklärung Großbritanniens der USA, der UdSSR und Frankreichs „in Anbetracht der<br />
Niederlage Deutschlands“ vom 5. Juni 1945 hieß es: Die vier Regierungen „übernehmen<br />
hiermit die oberste Regierungsgewalt in Deutschland, einschließlich aller Befugnisse der<br />
deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen<br />
oder Behörden der Länder Städte und Gemeinden. Die Übernahme zu den bevorstehenden<br />
Zwecken der besagten Regierungsgewalt und Befugnisse bewirkt nicht die<br />
Annektierung Deutschlands“. Die Regierungen „werden später die Grenzen Deutschlands<br />
oder irgendeines Teiles Deutschlands und die rechtliche Stellung Deutschlands oder irgendeines<br />
Gebietes, das gegenwärtig einen Teil deutschen Gebietes bildet, festlegen“. In Ziffer 1<br />
der Feststellung hieß es: „Während der Zeit, in der Deutschland die sich aus der bedingungslosen<br />
Kapitulation ergebenden grundlegenden Forderungen erfüllt, wird in Deutschland die<br />
oberste Gewalt von den Oberbefehlshabern Großbritanniens, der Vereinigten Staaten,<br />
Sowjetrusslands und Frankreichs auf Anweisung ihrer Regierungen ausgeübt, von jedem in<br />
seiner eigenen Besatzungszone und gemeinsam in allen Deutschland als ein Ganzes betreffenden<br />
Angelegenheiten. Die vier Oberbefehlshaber bilden zusammen den Kontrollrat.“<br />
Nach Ziffer 2 sollte der Kontrollrat für „eine angemessene Einheitlichkeit des Vorgehens der<br />
einzelnen Oberbefehlshaber in ihren entsprechenden Besatzungszonen“ Sorge tragen und „im<br />
gegenseitigen Einvernehmen Entscheidungen über alle Deutschland als Ganzes betreffenden
16<br />
wesentlichen Fragen“ treffen. Nach Ziffer 7 wurde die „Verwaltung des Gebiets von Groß-<br />
Berlin“ von der Alliierten Kommandantur geleitet, die ihrerseits unter der Leitung des<br />
Kontrollrats arbeitet. Die Erklärung war von einer „Feststellung“ über die Besatzungszonen<br />
begleitet, die auf dem Londoner Protokoll beruhte.<br />
Die Debatten der Großen Drei in Teheran, Jalta und Potsdam und die Abkommen der Vier<br />
zeigen, dass sie, und nur sie sich für die Festlegung des territorialen Status Deutschlands verantwortlich<br />
betrachteten. Über Grenzen innerhalb Deutschlands und um Deutschland herum<br />
entschieden sie – und nur sie. Das galt bis zur Gründung der zwei deutschen Staaten absolut<br />
und danach mit Einschränkungen weiter. Und das entsprach den Realitäten nach dem Sieg<br />
und war vom völkerrechtlichen Prinzip der Verantwortlichkeit für das Verbrechen des Zweiten<br />
Weltkriegs gedeckt. Grenzfragen waren „Angelegenheiten“, die „Deutschland als ein Ganzes“<br />
betreffen, für die die vier Mächte „gemeinsam“ zuständig waren. Festlegungen der deutschen<br />
Grenzen fußten also auf Entscheidungen der Besatzungsmächte. Meinungsverschiedenheiten<br />
über deutsche Grenzen waren in erster Linie Streitfragen zwischen den Besatzungsmächten.<br />
Die Potsdamer Konferenz hatte beschlossen, dass „die Behandlung der deutschen Bevölkerung<br />
in ganz Deutschland gleich sein“ soll, soweit dies praktisch durchführbar ist.<br />
Deutschland sollte während der Besatzungszeit als „wirtschaftliche Einheit“ betrachtet<br />
werden. Das deutsche Wirtschaftsleben sei „zu dezentralisieren mit dem Ziel der Vernichtung<br />
der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere<br />
durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen“. Aber der Alliierte<br />
Kontrollrat beschloss – mit Ausnahme der Konfiskation des Vermögens der IG Farben –<br />
nichts dergleichen und die westlichen Zonenbefehlshaber verhinderten die Umwandlung des<br />
privaten Großeigentums in Gemeineigentum. Auf politischem Gebiet sah das Potsdamer Abkommen<br />
vor, Deutschland völlig abzurüsten und zu entmilitarisieren. Die Nazis und ihre<br />
Ideologie sollten vernichtet werden, „es sind Sicherheiten dafür zu schaffen, dass sie in keiner<br />
Form wieder auferstehen können; jeder nazistischen und militaristischen Betätigung und<br />
Propaganda ist vorzubeugen“. Das deutsche politische Leben sollte auf demokratischer<br />
Grundlage umgestaltet werden.<br />
Eine gesamtdeutsche Entwicklung auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens fand nicht<br />
statt. Die Westzonen und die Ostzone gingen von Anfang an unter ihrem jeweiligen Besatzungsregime<br />
und gestützt auf gegensätzliche deutsche politische Kräfte unterschiedliche<br />
und unvereinbare politische, wirtschaftliche und kulturelle Wege. Die Zonengrenze Ost-West<br />
war von anderer Qualität als beispielsweise die Grenze zwischen Hessen und Niedersachsen.<br />
Bis zur Gründung der zwei deutschen Staaten 1949, also in der Zeit direkter und umfassender<br />
Besatzungsherrschaft, vertieften sich Schritt um Schritt die Gegensätze, die den Charakter der<br />
Ost-Westgrenze als bloße Grenze zwischen Besatzungszonen und deutschen Ländern innerhalb<br />
Deutschlands de facto und de jure aufhoben. Noch unter den Besatzungsregimes wurde<br />
die Grenze von beiden Seiten zunehmend als Trennlinie zwischen Feinden betrachtet und<br />
dementsprechend verfestigt. Der Kalte Krieg breitete sich aus.<br />
Die Grenze zwischen der Ostzone und den drei Westzonen war von Anfang an eine Trennlinie<br />
zwischen zwei entgegengesetzten gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Westmächte wollten<br />
ihre Zonen auf ihren kapitalistischen Weg bringen und als antikommunistisches Bollwerk im<br />
beginnenden Kalten Krieg installieren. Dem stand das Potsdamer Abkommen im Wege, und<br />
es wurde deshalb gebrochen. Die Sowjetunion etablierte im Osten eine antifaschistisch-demokratische<br />
Ordnung, die ihren Vorstellungen entsprach und das Potsdamer<br />
Abkommen auf ihrer Seite hatte.<br />
Das Potsdamer Abkommen führte offiziell zwei unterschiedliche Reparationsgebiete Ost und<br />
West und damit eine Grenzlinie besonderer Art ein. Das deutsche Volk hatte gerechterweise<br />
an die unterdrückten Völker Reparationsleistungen zu erbringen. In Potsdam wurde festgelegt,<br />
dass die Reparationsansprüche nach dem Ost-West-Prinzip erfüllt werden sollten. Aus<br />
der sowjetischen Zone sollten vor allem die Reparationen für die UdSSR und Polen und aus
17<br />
den Westzonen die für die USA, Großbritannien und die anderen berechtigten Länder entnommen<br />
werden. Die deutsch-deutsche Grenze war darum auch eine Wiedergutmachungsgrenze<br />
zu Lasten der Ostzone und der DDR, bis die Reparationsschulden gegenüber der<br />
Sowjetunion 1954 erlassen wurden.<br />
Ein tiefer Einschnitt erfolgte mit der Gründung der „Bizone“ am 1. Januar 1947, im April<br />
1949 zur „Trizone“ erweitert. Mit dem 29. Mai 1947 wurde auf Anordnung der<br />
amerikanischen und britischen Besatzungsmächte ein Wirtschaftsrat für die Bizone gegründet.<br />
Die sowjetische Besatzungsmacht zog mit Befehl vom 11. Juni 1947 nach: In ihrer Zone<br />
gründete sie eine Deutsche Wirtschaftskommission. Damit trat die Spaltung Deutschlands in<br />
eine neue Phase. In den Westzonen und in der sowjetischen Zone bestanden nunmehr wirtschaftspolitische<br />
deutsche Behörden, die unter der Regie der jeweiligen Besatzungsmächte<br />
sich gegensätzlich entwickelten. Die Zonengrenze wurde zu einer Grenze zwischen entgegengesetzten<br />
Wirtschaftssystemen.<br />
Im Jahr 1948 wurde der Kalte Krieg äußerst verschärft. Das brachte Schlag auf Schlag Ereignisse<br />
und Entscheidungen, die den Charakter der Demarkationslinie weiter veränderten.<br />
Die Westmächte gingen daran, ihre Zonen von dem „Deutschland in den Grenzen von 1937“,<br />
von dem auf der Potsdamer Konferenz die Rede war, abzuspalten und ihren Teil in ein antikommunistisches<br />
Bündnis einzugliedern. Die Vorgänge dieses Jahres zeigen wiederum, wer<br />
über Grenzfragen in Deutschland bestimmte: die Besatzungsmächte.<br />
Einschneidend war die Londoner Konferenz von sechs Weststaaten. Neben den Siegermächten<br />
USA, Frankreich und Großbritannien nahmen daran auch die Benelux-Staaten teil.<br />
Die Konferenz war ein westliches Unternehmen zur Spaltung Deutschlands und damit zur<br />
Verfestigung der deutsch-deutschen Grenze. Die Westzonen wurden in den am 3. April verkündeten<br />
Marshall-Plan einbezogen. Im Ergebnis der Konferenz wurden am 1. Juni 1948 den<br />
Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder die sogenannten Frankfurter Dokumente<br />
übergeben, die den Auftrag enthielten, eine „Verfassunggebende Versammlung“ zu bilden, die<br />
eine „demokratische Verfassung“ ausarbeiten sollte. Das war der Auftrag zur Bildung eines<br />
separaten Weststaates.<br />
Kurz nach der Londoner Konferenz erfolgte unangekündigt am 21. Juni 1948 in den Westzonen<br />
und in Westberlin eine Währungsreform. Das war die Geburtsstunde der D-Mark. Am<br />
23. Juni wurde die Währung auch in Westberlin eingeführt. Das musste zwangsläufig und<br />
kurzfristig eine Währungsreform in der Ostzone nach sich ziehen. Sie erfolgte zwischen dem<br />
24. bis 28. Juni 1948. Die Zonengrenze wurde damit auch zu einer „Währungsgrenze“<br />
zwischen Ost- und Westdeutschland, zu einer Grenze zwischen zwei Gebieten mit jeweils<br />
eigener Währungshoheit und eigenem Geld, das noch dazu miteinander nicht konvertierbar<br />
war. Die Ost-West-Grenze war als „Geldgrenze“ konstituiert, was die im weiteren Verlauf der<br />
Geschichte bis zur Übernahme der D-Mark in der DDR am 1. Juli 1990 eine wichtige Rolle<br />
spielen sollte.<br />
Die Sowjetunion reagierte auf die Londoner Konferenz und die Währungsreform im Westen<br />
mit aller Härte. Noch während der Konferenz, am 21. März 1948, erklärte der turnusmäßige<br />
Vorsitzende des Alliierten Kontrollrats Sokolowski wegen der Weigerung der Westmächte,<br />
vor dem Gremium über die Londoner Konferenz zu berichten, „dass es keinen Zweck habe,<br />
die heutige Sitzung fortzusetzen“, und erklärte sie für geschlossen. Seitdem existierte der<br />
Kontrollrat faktisch nicht mehr.<br />
Einen Tage nach der Ausdehnung der separaten Währungsreform auf Westberlin errichtete die<br />
Sowjetunion am 24. Juni 1948 eine Verkehrsblockade gegen Westberlin, die mit dem erforderlichen<br />
Schutz des Wirtschaftslebens der Sowjetzone und Berlins vor Desorganisation<br />
begründet wurde. In der Note der Regierung der UdSSR an die Regierungen der Westmächte<br />
vom<br />
3. Oktober 1948 hieß es dazu, „das bedeutet, dass, wenn die separate Währungsreform nicht<br />
gewesen wäre, die das Viermächteabkommen verletzt und die Gefahr der Desorganisation des
18<br />
gesamten Wirtschaftslebens in der Sowjetzone und in Berlin geschaffen hat, auch die oben<br />
erwähnten Verkehrsbeschränkungsmaßnahmen nicht nötig gewesen wären, die eine<br />
Defensiv-, eine Schutzmaßnahme der Sowjetunion gegen die offensiven Schritte der drei<br />
Regierungen darstellen“. Die Verkehrsblockade wurde durch ein Vier-Mächte-Abkommen<br />
vom 4. Mai 1949 und den Befehl Nr. 56 des obersten Chefs der sowjetischen Militäradministration<br />
vom 9. Mai 1949 aufgehoben. Es mag dahingestellt bleiben, ob die scharfen<br />
Reaktion der Sowjetunion gerechtfertigt oder überzogen waren. Grundlos waren sie jedenfalls<br />
nicht.<br />
Auf militärischem Gebiet brachte das Jahr 1949 eine weitreichende Wende. Im Grunde<br />
standen sich die Streitkräfte der UdSSR und der drei Westmächte an der deutsch-deutschen<br />
Grenze und in Berlin mit Beginn des Kalten Krieges feindlich gegenüber. Mit dem NATO-<br />
Pakt vom 4. April 1949 wurde die Demarkationslinie noch vor der Gründung der zwei<br />
deutschen Staaten offiziell zur militärischen Trennlinie zwischen der Sowjetunion und den<br />
Westmächten. Die sowjetischen Streitkräfte und die Streitkräfte der ehemaligen westlichen<br />
Alliierten gegen Hitlerdeutschland und nunmehrigen Mitglieder des antisowjetischen<br />
Militärbündnisses NATO waren an der deutsch-deutschen und der Westberliner Grenze direkt<br />
gegeneinander aufgestellt und zwar vorerst nur an dieser Grenze. Die anderen Ost-West-<br />
Grenzen in Europa waren damals noch keine Grenzen zwischen den Militärbündnissen. Die<br />
Sowjetunion antwortete bekanntlich auf die Gründung der NATO erst sechs Jahre später, am<br />
14. Mai 1955, mit der Gründung des Warschauer Paktes, nachdem der Beitritt der BRD zur<br />
NATO zuvor am 6. Mai 1955 in Kraft getreten war. Damit war die Grenze zwischen der BRD<br />
und der DDR zu einer Grenze zwischen den antagonistischen Paktsystemen geworden.<br />
Zweite Bemerkung: Zum völkerrechtlichen Charakter der Grenze zwischen den zwei<br />
deutschen Staaten<br />
Mit der Gründung der BRD und der DDR 1949 als zwei voneinander unabhängige Staaten,<br />
wurde die ost-westliche Zonen- und die Berliner Sektorengrenze endgültig zu einer völkerrechtlichen<br />
zwischenstaatlichen Grenze. Das waren zwei – mit Einschränkungen, auf die ich<br />
gleich zurückkommen werde – juristisch souveräne Staaten und Völkerrechtssubjekte, für die<br />
in gleicher Weise die Prinzipien des Völkerrechts galten. Auch das Prinzip der Souveränität,<br />
eingeschlossen die Achtung der territorialen Unversehrtheit und der Unverletzlichkeit der<br />
Grenzen.<br />
Diese gleichberechtigte völkerrechtliche Stellung beider deutscher Staaten und ihre Grenzen<br />
wurde durch die Aufnahme in die UNO 1973 nicht erst konstituiert, aber bestätigt. Sie galt<br />
schon seit der Gründung dieser zwei Staaten. Wo ein Staat ist, hat dieser auch eine Grenze<br />
völkerrechtlichen Charakters, die durch das Prinzip der territorialen Integrität geschützt ist.<br />
Die Frage ist, ob und seit wann es im ehemaligen Deutschland zwei Staaten gab?<br />
Es ist wenig bekannt, dass die DDR schon am 28. Februar 1966 einen Antrag auf Aufnahme<br />
in die UNO gestellt hat. Walter Ulbricht hat in einem Schreiben an den Generalsekretär der<br />
UNO die Bereitschaft der DDR erklärt, die Verpflichtungen aus der Charta zu übernehmen<br />
und gewissenhaft zu erfüllen. Die Behandlung dieses Antrags im Sicherheitsrat wurde von<br />
den westlichen Veto-Mächten verhindert. Die Begründung war, beim Antragsteller handle es<br />
sich nicht um einen Staat, sondern um eine sowjetische Besatzungszone Deutschlands. In die<br />
UNO könnten aber nach Art. 4 der Charta nur Staaten aufgenommen werden.<br />
Die Argumentation lag ganz auf der Linie der aggressiven und völkerrechtswidrigen<br />
Konzeption Adenauers von Deutschlands Rechtslage nach 1945. Danach ist das 1866/71 gegründete<br />
Deutsche Reich nach der totalen Niederlage und dem Sieg der Alliierten im Zweiten<br />
Weltkrieg keineswegs untergegangen. Es besteht als Staat und Völkerrechtssubjekt<br />
kontinuierlich fort, war nur nicht handlungsfähig. Die BRD steht mit dem Deutschen Reich<br />
im Verhältnis – nein, nicht der Nachfolge – sondern der Identität. Nach dem Grundlagenvertrag<br />
hieß es „Teilidentität“. Die DDR dagegen sei nur ein von der Sowjetunion rechtswidrig
19<br />
besetztes und abgetrenntes Gebiet des fortbestehenden Deutschen Reiches. Das war die<br />
juristische Begründung für den „Alleinvertretungsanspruch“ der BRD und für die Hallstein-Doktrin,<br />
die anderen Staaten verbot, diplomatische Beziehungen mit der DDR aufzunehmen.<br />
Auf dieses abstruses juristisches Konstrukt ist die Mehrheit der gar nicht so frei gewählten<br />
Volkskammer der DDR 1990 herabgesunken, als sie den Beitritt der DDR zur BRD nach<br />
Artikel 23 des westdeutschen Grundgesetzes beschloss. Nach diesem Artikel sollte das<br />
Grundgesetz „in anderen Teilen Deutschlands“ nach deren Beitritt in Kraft gesetzt werden.<br />
Die letzte Volkskammer hat die DDR von einem souveränen Staat zu einem „anderen Teil<br />
Deutschlands“ herunter gestuft und damit die Chance einer gleichberechtigten Vereinigung<br />
preisgegeben.<br />
Der deutsche West-Staat brauchte 23 Jahre, um die Sach- und Rechtslage der Existenz zweier<br />
gleichberechtigter Staaten und ihrer völkerrechtlichen Grenze wenigstens in Teilen zu<br />
akzeptieren. Im Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR von 1972 hat die BRD<br />
den Status der DDR als Staat und Völkerrechtssubjekt mit eigenen Grenzen hingenommen.<br />
Ich sage bewusst „hingenommen“ und nicht „verbindlich akzeptiert“.<br />
Nach Art. 1 wurden „normale gutnachbarliche Beziehungen zueinander auf der Grundlage der<br />
Gleichberechtigung“ angestrebt. In Art. 2 erklärten die zwei deutschen Staaten, sie würden<br />
„sich von den Zielen und Prinzipien leiten lassen, die in der Charta der Vereinten Nationen<br />
niedergelegt sind, insbesondere der souveränen Gleichheit der Staaten, der Achtung der Unabhängigkeit,<br />
Selbständigkeit und territorialen Integrität, dem Selbstbestimmungsrecht, der<br />
Wahrung der Menschenrechte und der Nichtdiskriminierung“. Art. 3 enthielt die Verpflichtung<br />
„zur uneingeschränkten Achtung“ der „territorialen Integrität“, und Art. 6 postulierte den<br />
Grundsatz, „dass die Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten sich auf sein Staatsgebiet beschränkt“.<br />
Die Behauptung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil zum Grundlagenvertrag,<br />
dass es sich bei der deutsch-deutschen Grenze „um eine staatsrechtliche Grenze handelt ähnlich<br />
denen, die zwischen den Ländern der Bundesrepublik Deutschland verlaufen“, ist schlicht<br />
völkerrechtswidrig. Zwischen zwei voneinander unabhängigen Staaten bestehen keine staatsrechtlichen<br />
Grenzen, sondern völkerrechtliche.<br />
Ich kehre zur Frage zurück: Was ist ein Staat? Es gibt dafür keine allgemein anerkannte und<br />
verbindliche völkerrechtliche Definition. Die einen sagen: Ein Staat ist das, was die<br />
„Staatengemeinschaft“ in Gestalt der UNO als solchen anerkennt. Das bedeutet, dass nicht<br />
das betroffene Volk, sondern andere, wer auch immer, über die Staatlichkeit seiner Existenzweise<br />
entscheiden. Ich vertrete – wohl mit der Mehrheit der Völkerrechtler – die Meinung,<br />
dass die Gründung eines Staates ein historischer Vorgang ist, aus dem sich Konsequenzen in<br />
Gestalt der Verbindlichkeit des allgemein anerkannten Völkerrechts in den Beziehungen<br />
zwischen dem neuen Staat und den alten ergeben. Ein weitgehend anerkanntes Kriterium ist<br />
die Drei-Elementen-Lehre. Sie sagt zwar nichts über den Charakter eines Staates aus, wohl<br />
aber darüber, ob überhaupt ein Staat vorhanden ist. Es muss ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet<br />
und eine Staatsgewalt geben. Dass diese drei Elemente im Falle der DDR gegeben waren,<br />
kann nicht bestritten werden.<br />
Die DDR war ein Staat und hatte eine Staatsgrenze zur BRD wie zu Polen und zur Tschechoslowakei.<br />
Durch diese Grenzen wurde jenes Territorium bestimmt, in dem die Hoheitsgewalt<br />
des einen Staates galt und nicht die eines anderen. Die Geltungsbereiche zweier unabhängiger<br />
Rechtsordnungen wurden voneinander abgegrenzt.<br />
Daraus folgt mit unerbittlicher juristischer Logik, dass das Grenzregime von dem Staat festgelegt<br />
wird, dessen Territorium zu dem seiner Nachbarstaaten abgegrenzt wird. Im Wörterbuch<br />
des Völkerrechts von Strupp-Schlochauer ist zu lesen: „Aus der dem Staat über sein<br />
Territorium zustehenden Gebietshoheit ergibt sich, dass grundsätzlich jeder Staat nach seinem<br />
Ermessen bestimmen kann, ob und unter welchen Bedingungen sein Staatsgebiet betreten und
20<br />
verlassen werden kann.“ Und das hängt vom Charakter der Beziehungen zum jeweiligen<br />
Nachbarstaat und von den Vereinbarungen mit ihm ab. Das Grenzregime gegenüber Polen<br />
musste anders aussehen, als das gegenüber der Bundesrepublik<br />
Dritte Bemerkung: Das Souveränitätsdefizit der zwei deutschen Staaten<br />
Ich bin mit der Bemerkung von Fritz Streletz einverstanden, dass wir die Verantwortung für<br />
die Grenze nicht an Dritte abschieben wollen. Aber ich will eine Ergänzung bringen.<br />
Von ihrer Gründung bis zum Anschluss der DDR an die BRD unterlagen beide deutsche<br />
Staaten einer wesentlichen Einschränkung ihrer Souveränität. Die drei Westmächte und die<br />
Sowjetunion behielten sich nämlich gemeinsam und gesondert vor, dass ihre Rechte und Zuständigkeit<br />
in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes und die entsprechenden vierseitigen<br />
Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken erhalten bleiben. Dazu gehörten zweifellos<br />
Fragen des territorialen Status Deutschlands und der deutschen Grenzen.<br />
Im sogenannten Deutschlandvertrag von 1952, mit dem die BRD zu einem souveränen Staat<br />
erklärt wurde, stellten die drei Westmächte gegenüber der BRD dieses Defizit fest. In Art. 2<br />
hieß es, dass „die Drei Mächte die bisher von ihnen ausgeübten und innegehabten Rechte und<br />
Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes“ behalten.<br />
Die Sowjetunion zog nach. Sie gab gegenüber der DDR ähnliche Erklärungen ab. Der Vertrag<br />
über die Beziehungen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der<br />
Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 20. September 1955 bestätigte die Souveränität der<br />
DDR, aber er wurde abgeschlossen „unter Berücksichtigung der Verpflichtungen, die die<br />
Deutsche Demokratische Republik und die Sowjetunion gemäß den bestehenden internationalen<br />
Abkommen, die Deutschland als Ganzes betreffen, haben“. Das war der<br />
diplomatisch formulierte Vorbehalt, dass auch die Sowjetunion ihre Rechte und Verantwortlichkeiten<br />
in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes behielt. Daran haben die Freundschaftsverträge<br />
zwischen der DDR und der UdSSR von 1964 und 1975 nichts geändert.<br />
Der Vorbehalt der Rechte und Verantwortlichkeiten der Siegermächte stand nicht nur auf dem<br />
Papier. Er wurde wahrgenommen. Die vier Mächte haben sich wohlweislich nicht genau dazu<br />
geäußert, was alles zu diesem Vorbehalt gehörte. Fest steht: Weder die DDR noch die BRD<br />
waren in Fragen der Sicherheits- und Militärpolitik souverän. Sie waren nicht nur vertraglich<br />
in die Disziplin ihrer jeweiligen Militärbündnisse eingebunden, sondern auch Kraft der fortdauernden<br />
Rechte und Verantwortlichkeiten der vier Mächte in ihrer Souveränität eingeschränkt.<br />
Auch die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands war darum zustimmungsbedürftig<br />
und wäre ohne den Zwei-Plus-Vier-Vertrag nicht möglich gewesen.<br />
Nach sowjetischer Rechtsauffassung und Praxis war die Bestimmung des Regimes an der<br />
Grenze zwischen der DDR und der BRD, insbesondere ihrer militärischen Sicherung, Bestandteil<br />
ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten. Die Befehlsgewalt lag in Moskau. Das galt<br />
auch und angesichts der internationalen Lage besonders für die Sicherung der Staatsgrenze<br />
1961 und die darauf folgenden Maßnahmen. Die Entscheidungen fielen in Moskau und nicht<br />
in Berlin.<br />
Demonstrativ haben die vier Mächte beim Abschluss ihres Abkommens über Berlin am<br />
3. September 1971 ihren Anspruch formuliert und praktiziert. Sie haben keinen Zweifel<br />
darüber gelassen, dass die getroffenen Regelungen ihre Sache und nicht die der DDR und der<br />
BRD waren. Die Westmächte „konsultierten“ die Bundesregierung, und die Sowjetunion<br />
handelte „in Übereinkunft mit“ der DDR-Regierung. Die beiden „zuständigen deutschen Behörden“<br />
sollten Durchführungsmaßnahmen vereinbaren. Aber die grundsätzlichen Entscheidungen<br />
hatten die Regierungen der vier Siegermächte zu treffen. Sie handelten „auf der<br />
Grundlage ihrer vierseitigen Rechte und Verantwortlichkeiten und der entsprechenden Vereinbarungen<br />
und Beschlüsse der vier Mächte aus der Kriegs- und Nachkriegszeit, die nicht<br />
berührt werden“ (Präambel) und sie „werden ihre individuellen und gemeinsamen Rechte und<br />
Verantwortlichkeiten, die unverändert bleiben, achten“ (Teil I, Ziff. 3).
21<br />
Im Vorfeld der Aufnahme der zwei deutschen Staaten in die UNO gaben die vier Siegermächte<br />
am 9. November 1972 eine gemeinsame Erklärung ab, „dass diese Mitgliedschaft [der<br />
DDR und der BRD] die Rechte und Verantwortlichkeiten der vier Mächte und die entsprechenden<br />
diesbezüglichen vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praxis in keiner<br />
Weise berühren darf.“<br />
Diese Rechte und Verantwortlichkeiten beendeten die vier Mächte erst mit Art. 7 Abs. 1 des<br />
Zwei-Plus-Vier-Vertrags. Abs. 2 lautet: „Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle<br />
Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.“ Der Kampf geht darum, wozu<br />
dieses noch nicht vereinte Deutschland seine Souveränität gebraucht oder missbraucht. Es<br />
missbraucht sie durch Teilnahme an völkerrechtswidrigen Kriegen. Aber das ist ein anderes<br />
Thema.<br />
Grußadresse Dipl. Ing. Karel Janda<br />
Sehr geehrter Genosse Vorsitzender Hans Bauer, sehr geehrte Freunde,<br />
die Leitung des Nationalrates des Klubs des Tschechischen Grenzlandes hat die Einladung zu<br />
dem bereits traditionellen Treffen ehemaliger Angehöriger der Grenztruppen der Nationalen<br />
Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik mit Freuden angenommen. Unsere<br />
Delegation vertritt hier mehr als 7.000 Mitglieder unserer Organisation.<br />
Der frühere Chef der Tschechoslowakischen Grenztruppen, Generalleutnant Frantisek Sade,<br />
hat uns beauftragt, Ihnen, die Sie die Staatsgrenzen der Deutschen Demokratischen Republik<br />
geschützt haben und damit die Westgrenze der damaligen sozialistischen Gemeinschaft, seine<br />
Kampfesgrüße zu überbringen. Gern erinnert er sich an seine Zusammenarbeit mit den ostdeutschen<br />
Grenzsoldaten.<br />
Wir richten auch die Grüße des Leiters der Sektion der ehemaligen tschechoslowakischen<br />
Grenzer, des Stellvertretenden Vorsitzenden des Nationalrates des Klubs des Tschechischen<br />
Grenzlandes, Dr. Milan Richter, aus. Er leitet gerade eine Delegation des KCP bei einem<br />
Treffen ehemaliger Angehöriger des 4. Grenzregiments der Nationalen Volksarmee der DDR<br />
in Heiligenstadt.<br />
Im Juli dieses Jahres begingen wir den 10. Jahrestag des Beginns der Zusammenarbeit unserer<br />
Organisationen. Vor zehn Jahren, im Juli 2001, nahm Generaloberst Klaus-Dieter Baumgarten<br />
am ersten gesamtstaatlichen Treffen der Schützer der tschechoslowakischen Staatsgrenzen<br />
teil. Das waren die Anfänge. Es folgten Jahre der quantitativen und qualitativen Entwicklung.<br />
Wiederholt haben wir auf unseren gesamtstaatlichen Veranstaltungen den Vorsitzenden, Genossen<br />
Hans Bauer, und weitere Mitglieder der Leitung der <strong>GRH</strong> begrüßt. Regelmäßiger Gast<br />
zahlreicher Treffen der tschechoslowakischen Grenzer ist Gen. Karl-Heinz Kathert.<br />
Genauso wie ihr, kämpfen auch wir für die Verteidigung der historischen Wahrheit. Für die<br />
Wahrheit über den Aufbau einer sozial gerechten Gesellschaft und deren Verteidigung. Wir<br />
leben in einer Zeit der Versuche einer absoluten Negation der Wahrheit über das reale Leben<br />
in der Tschechoslowakei vor dem politischen und ökonomischen Umbruch, der durch die<br />
Novemberereignisse 1989 ausgelöst wurde. Zielgerichtete Unwahrheiten und Lügen über die<br />
Geschichte der Tschechoslowakei beeinflussen insbesondere die junge Generation. Die<br />
Wahrheit darf aber mit uns nicht verschwinden, die wir am Aufbau der ökonomischen Grundlagen<br />
und der gesellschaftlichen Entwicklung unseres Vaterlandes beteiligt waren. Auch die<br />
kommenden Generationen müssen die Wahrheit kennen.<br />
In der letzten Zeit häufen sich die hasserfüllten Angriffe auf die ehemaligen Angehörigen der<br />
Tschechoslowakischen Grenztruppen immer mehr. Absichtlich wird das Handeln der Grenz-
22<br />
truppen verleugnet. Die verantwortungsvolle Arbeit der Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten<br />
wird herabgewürdigt und diskreditiert. Ihre Standhaftigkeit und ihr Heldenmut beim Dienst<br />
für das Vaterland werden kleingeredet und oft auch verurteilt.<br />
Verfolgt, ermittelt und beschuldigt werden diejenigen, die beim Schutz der Staatsgrenze ihren<br />
militärischen Eid erfüllt haben und in Übereinstimmung mit geltenden Gesetzen gehandelt<br />
haben. Die Angehörigen der Grenztruppen, die die Unantastbarkeit der Staatsgrenzen gesichert<br />
haben, werden als Verbrecher bezeichnet und die, die im Dienste ausländischer<br />
Spionagedienste illegal und bewaffnet die Staatsgrenze zur Tschechoslowakei überwanden,<br />
um hier vorsätzlich zu morden und die Ergebnisse des Aufbauwerkes zu vernichten, werden<br />
zu Helden erhoben. Helden sind auch diejenigen, die sich illegal über die Grenze absetzten,<br />
um ihrer gerechten Verurteilung für ihre Straftaten zu entgehen.<br />
All diese Leute können heute auf der Grundlage des Gesetzes über Teilnehmer am Widerstand<br />
gegen den Kommunismus den sehr ehrenvollen Status eines Veteranen mit finanziellen und<br />
materiellen Vergütungen einnehmen. Sie bekommen sogar mehr als diejenigen, die während<br />
des II. Weltkrieges an der West- oder Ostfront gekämpft haben.<br />
Es kommt zu einer faktischen Beschneidung der ökonomischen und sozialen Rechte, die zu<br />
einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation führen, zur Zunahme des Verbrechertums<br />
und zu einer zunehmenden Faschisierung. Die tschechische Gesellschaft ist von Angst<br />
gekennzeichnet. Die Redefreiheit reicht oft nur soweit, bis das Wort ausgesprochen wurde.<br />
Wir dürfen uns aber nicht fürchten, die Wahrheit auszusprechen.<br />
Wir haben kein Recht, uns zu fürchten. Wir müssen handeln. Und wir handeln.<br />
Wir haben bereits zwei Gedenksteine für die Schützer der Tschechoslowakischen Staatsgrenze<br />
errichtet, den Zweiten im Juli dieses Jahres. Der Gedenkstein steht in Krasna bei Asch, in der<br />
Nähe der westlichsten Gemeinde der Tschechischen Republik. Dieser Gedenkstein wird nicht<br />
der letzte sein.<br />
In diesem Jahr im Juni haben wir bereits das fünfte gesamtstaatliche Treffen tschechischer<br />
Grenzsoldaten durchgeführt. Auch zu diesem Treffen konnten wir eine Delegation unserer<br />
deutschen Freunde begrüßen.<br />
Ganz deutlich lehnen wir eine direkte oder indirekte Einbeziehung der Tschechischen<br />
Republik in militärische Aktionen der NATO und der USA gegen andere Staaten unter dem<br />
Vorwand des Kampfes gegen Terrorismus ab.<br />
Wir leben in einer Zeit, die viele Merkmale einer politischen und moralischen Krise trägt. Es<br />
handelt sich nicht um eine ökonomische oder finanzielle Krise. Es handelt sich um die Krise<br />
des Systems. Es handelt sich um die Krise des Kapitalismus. Bisher hat der Kapitalismus alle<br />
Krisen überwinden können. Der Kapitalismus wird auch diese Krise überstehen. Aber seine<br />
biologische Uhr tickt immer lauter und ihre Zeiger nähern sich der 12.<br />
Liebe Freunde, ich bin von der Weiterführung unserer Zusammenarbeit überzeugt. Ich bin<br />
davon überzeugt, dass wir durch unser Wirken zum Erfolg des Kampfes für eine glücklichere<br />
Zukunft unserer Völker beitragen, zum Kampf für die Beseitigung der Kriegsgefahr, zum<br />
Kampf für Frieden in der Welt.<br />
Ich beglückwünsche Euch, liebe Freunde, anlässlich des 65. Jahrestags der Grenzpolizei /<br />
Grenztruppen der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik.<br />
Ich wüsche Euch viel Erfolg in der weiteren Arbeit.<br />
Grußadresse General a.D. Schura
23<br />
„Wir sind nicht für uns geboren, sondern für die Heimat.“<br />
Dieser Aphorismus von Platon hat auf den ersten Blick nicht den großen Zusammenhang mit<br />
der uns umgebenden Wirklichkeit. Wenn wir aber tiefer überlegen, kommen wir in der Regel<br />
zu anderen Schlußfolgerungen. So trifft das vor allem auf die Personen zu, die ihr ganzes erwachsenes<br />
Leben mit ihrer Arbeit und ihrem Dienst der öffentlichen Sphäre gewidmet haben.<br />
Wir, die Soldaten und Grenzsoldaten, haben reiche Erfahrungen im Dienst für die Heimat gesammelt.<br />
Heute haben wir das Bewußtsein und das Wissen über die Ereignisse, die schon<br />
Vergangenheit sind. Man sollte hier auch sagen, daß jeder Soldat und Grenzsoldat immer ein<br />
Hauptziel hatte, so zu dienen, um die besten Ergebnisse zu erreichen.<br />
Liebe deutsche Freunde!<br />
Anläßlich des 65. Jahrestages der Grenzpolizei, des 50. Jahrestages der Grenztruppen und des<br />
50. Jahrestages des Baubeginns der Berliner Mauer habe ich diesen Aphorismus von Platon<br />
nicht zufällig gewählt.<br />
Nicht nur damals, in einer anderen geopolitischen Situation, auch heute verstehen wir das,<br />
was wir damals tun sollten und heute realisieren müssen.<br />
Die Delegation des Verbandes der polnischen Soldaten aus der Woiwodschaft Lubuskie, wo<br />
ich Vorsitzender bin, erinnert sich in Ehre unserer gemeinsamen beruflicher Kontakte. Wir<br />
haben die Hoffnung, daß unsere Organisationen auch in Zukunft gut zusammenarbeiten<br />
werden und unsere Kontakte immer freundschaftlich bleiben.<br />
Anläßlich unseres heutigen Treffens und anläßlich der Jahrestage wünschen wir Ihnen alles<br />
Gute, viel Glück und vor allem eine gute Gesundheit, die Sie bei der Realisierung der neuen<br />
Aufgaben brauchen werden.<br />
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.<br />
Grußadresse Prof. Dr. Hans Fischer<br />
Werte Genossen und Kampfgefährten,<br />
der Traditionsverband Nationale Volksarmee entbietet allen Angehörigen der Grenztruppen<br />
der DDR brüderliche Kampfesgrüße.<br />
Im 50. Jahr der Grenzschließung zu Westberlin, die ein wichtiger Beitrag zur Beseitigung<br />
einer akuten Kriegsgefahr war und zum bevorstehenden 65. Jahrestag der Grenztruppen der<br />
DDR haben wir allen Anlaß, mit Hochachtung auf Eure Leistungen zurück zu blicken. Aus<br />
gutem Grunde heißt das Buch des Genossen Minister Armeegeneral a.D. Heinz Keßler und<br />
des Genossen Generaloberst a.D. Fritz Streletz „Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben“.<br />
Über Jahrzehnte haben die Grenzer zu Lande, zur See und in der Luft unsere Staatsgrenze<br />
gesichert und dabei große Belastungen ertragen. Auf Euch richtete und richtet der Gegner<br />
seine aus Haß und Wut geborenen Angriffe zuerst. Zahlreiche Genossen wurden wegen der<br />
Erfüllung ihres Fahneneids angeklagt, verurteilt und eingesperrt. Unsere Hochachtung gilt all<br />
jenen, die dem enormen Druck und allen Verlockungen zum Trotz widerstanden.<br />
Gegenwärtig geht es um eine Neuaufteilung der Welt unter den stärksten kapitalistischen<br />
Industriestaaten, um eine prinzipielle Veränderung der Kräfteverhältnisse weltweit. Der Krieg<br />
ist wieder legitimes Mittel der Politik geworden, um wirtschaftliche Interessen durchzusetzen.<br />
Geltendes Völkerrecht wurde ausgehebelt. Was kommt nach Libyen?<br />
Was können und müssen wir tun? All die Jahre haben wir erklärt, wie es wirklich war und ist.<br />
Die Zeit der Erklärungen ist vorbei, jetzt muß gehandelt werden. Die Bereitschaft, Widerstand
24<br />
zu leisten, muß belebt werden. Wir, die wir mit der Waffe in der Hand und im Schulterschluß<br />
mit den Armeen der sozialistischen Staaten einen Krieg in Europa verhindert haben, können<br />
und müssen unseren Beitrag leisten.<br />
Werte Genossen, seid gewiß, daß Ihr immer auf unsere Solidarität zählen könnt. Auch künftig<br />
setzen wir auf eine kameradschaftliche und konstruktive Zusammenarbeit mit Euch und<br />
anderen, uns verbundenen Kräften. Kämpfen wir gemeinsam für eine Welt des Friedens.<br />
Wir danken der <strong>GRH</strong> für die Einladung zu dieser bedeutenden Veranstaltung.<br />
Grußadresse des Vorstandes des DDR-Kabinetts Bochum e.V.<br />
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,<br />
für das DDR-Kabinett-Bochum e.V. übermitteln wir Euch unsere solidarischen Grüße und<br />
danken Euch für die herzliche Einladung, an dieser Veranstaltung teilnehmen zu dürfen.<br />
Die jüngsten Versuche, gerade im Hinblick auf den 50. Jahrestag der verstärkten Grenzsicherung<br />
in Berlin, die Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik zu verfälschen<br />
und die Angehörigen der bewaffneten Organe zu kriminalisieren, stellt alles in den Schatten,<br />
was wir in den vergangenen Jahren erleben mussten. Doch das ist bestimmt kein Ausdruck der<br />
Stärke der in der BRD herrschenden Kreise, selbsternannten Geschichtsschreiber und<br />
Medienmacher. Denn, wenn diese Kreise der Bourgeoisie die Deutungshoheit über die<br />
Geschichte der DDR und die Biographien ihrer Bürger beanspruchen, dann werden sie auch<br />
weiterhin auf unser aller festen Widerstand stoßen. In dieser Auseinandersetzung sind es<br />
letztendlich die Beteiligten selbst, die mit ihrem Mut und ihrem persönlichen Einsatz als<br />
Zeitzeugen eindrucksvolle Spuren hinterlassen. Das konnten wir als DDR-Kabinett-Bochum<br />
unter der fundierten und überzeugenden Mitwirkung des Genossen Oberstleutnant a.D. Horst<br />
Liebig erst vor wenigen Tagen in einer öffentlichen Veranstaltung in Bochum unter Beweis<br />
stellen.<br />
Es sind eben diese Zeitzeugenbekenntnisse und es sind diese Biographien, die in diesem<br />
Kampf um die Wahrheit immer mehr an Bedeutung gewinnen. Aber uns ist bewusst, daß<br />
dieser Kampf noch sehr lange andauern wird.<br />
Ebenso wichtig für uns ist die historisch richtige Einordnung der Gründe für das Entstehen<br />
der Staatsgrenze der DDR und der sich daraus ergebenden notwendigen militärischen<br />
Sicherung dieser Staatsgrenze. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Die Staatsgrenze der<br />
DDR ist das Resultat des vom deutschen Faschismus begonnenen und verlorenen Angriffskrieges<br />
gegen seine europäischen Nachbarn und insbesondere gegen die Sowjetunion. Auf der<br />
Konferenz von Potsdam beschlossen die Siegermächte - Frankreich, England, die USA und<br />
die Sowjetunion – die Teilung Deutschlands in 4 Einflusszonen. Doch schon 1947 wird mit<br />
der sogenannten Containment-Politik der USA klar, wie brüchig der Respekt der westlichen<br />
Siegermächte gegenüber einer friedlichen Nachkriegsordnung ist. Der Kalte Krieg gegen die<br />
Sowjetunion und ihrer Verbündeten beginnt.<br />
Der erste Schritt war die Proklamation der BRD in den Grenzen der westlichen Besatzungszonen.<br />
Damit wird nicht nur die Teilung Deutschlands festgeschrieben. Deren Grenze bildet<br />
darüber hinaus die Trennungslinie zwischen den Einflussbereichen zweier fundamental verschiedener<br />
Gesellschafts- und Verteidigungssysteme. Die folgenden Jahre zeigten, wozu diese<br />
Grenze seitens der westlichen Seite genutzt wurde: Für Wirtschaftssabotage, militärische<br />
Provokationen und ideologisches Sperrfeuer gegen den Aufbau des Sozialismus in der DDR.
25<br />
Die illegale Ausfuhr hochwertiger Industrieerzeugnisse und subventionierter Lebensmittel<br />
sowie die Abwerbung von qualifizierten Arbeitskräften trugen mit dazu bei, dass die DDR<br />
Anfang der 60er Jahre in ihrer ökonomischen Existenz gefährdet war und die Sowjetunion<br />
eine offene Flanke zum westlichen Einflussbereich fürchten musste. Folgerichtig wurden die<br />
Grenzen der DDR gesichert und eine militärische Auseinandersetzung somit abgewendet.<br />
So ist es für uns Aufgabe und Verpflichtung zugleich, immer wieder auf die Bedeutung des<br />
friedenserhaltenden Dienstes der Grenztruppen der DDR hinzuweisen. 40 Jahre gesicherte<br />
Grenzen der DDR haben uns 40 Jahre Frieden in Europa beschert. Dafür lohnt es sich<br />
DANKE zu sagen.<br />
Das Anliegen unserer Arbeit im DDR-Kabinett-Bochum ist es, mit sachlicher Information und<br />
Diskussion sowie der Darstellung anhand von Sachzeugen gegen die Delegitimierung der<br />
DDR und ihrer bewaffneten Organe anzugehen. Das hat mit Verklärung und Schönfärberei<br />
nichts zu tun. Es ist vielmehr ein notwendiger Beitrag gegen die Verdrehung der Geschichte.<br />
Wir lassen uns auch nicht von den heute üblichen Verleumdungen und Anfeindungen beeindrucken<br />
oder einschüchtern.<br />
Die Grenztruppen der DDR gibt es nicht mehr - aber ihre Verdienste bei der Sicherung des<br />
Friedens, sowie ihr Beitrag zur Ausgestaltung einer humanistischen Gesellschaft bleibt auch<br />
in Zukunft unvergessen.<br />
In diesem Sinne wünschen wir der Veranstaltung einen guten Verlauf.<br />
Andreas Maluga<br />
1. Vorsitzender des DDR-Kabinett Bochum e.V.<br />
Eberhard Eick<br />
2. Vorsitzender des DDR-Kabinett-Bochum e.V.<br />
Grußadresse Leo Kuntz<br />
Liebe ehemalige Grenzer der DDR, liebe Genossen und Freunde,<br />
ich freue mich, der ich nie ein Angehöriger der Grenztruppen der DDR war, heute und hier ein<br />
paar Worte zu Euch sagen zu können. Meine enge Verbundenheit zu Euch rührt aus unserer<br />
Vergangenheit.<br />
In Nordhausen trugen eine Kaserne und eine Hubschrauberstaffel den Namen meines Vaters<br />
Albert Kuntz. Vater war ein führender Kommunist, der Großes im Kampf gegen den<br />
Faschismus leistete und nach 11 Jahren Haft im Januar 1945 im KZ Dora ermordet wurde. Bei<br />
der Namensverleihung konnte ich dabei sein und hatte jahrelang gute Kontakte zu Euch. Das<br />
verbindet, deshalb bin ich heute hier und freue mich, einen gut gefüllten Saal zu sehen.<br />
Nach der begeisternden Rede des Genossen Streletz, das waren klare Worte zur rechten Zeit,<br />
wünsche ich Eurer Tagung weiterhin einen guten Verlauf und hoffe auf ein Wiedertreffen. Ich<br />
bin beim Rotfuchs zu finden.<br />
Karl-Heinz Kathert<br />
Zuerst möchte ich meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass wir uns heute wiederum<br />
so zahlreich im Kreise alter Kampfgefährten treffen.
26<br />
Ich halte diese Gespräche zwischen alten Kampfgefährten für beide Seiten als erlebnisreich<br />
und begrüße sie als festen Bestandteil unserer alljährlichen Treffen der Arbeitsgruppe Grenze<br />
der <strong>GRH</strong>.<br />
Dann möchte ich mich beim Nationalrat des „Klubu ceskeho pohranici“ (Klub der<br />
tschechischen Grenzgebiete) für die Würdigung unserer Arbeit mit ihren hohen Auszeichnungen<br />
recht herzlich bedanken. Wir betrachten die persönliche Verleihung durch den<br />
Vorsitzenden, unserem Freund und Genossen Dipl. Ing. Karel Janda, als eine besondere Ehre.<br />
Entsprechend unserer gemeinsamen Vereinbarungen gab es auch in diesem Jahr Treffen und<br />
Veranstaltungen von Grenzern der DDR und der CSSR, in deren Mittelpunkt die Auswertung<br />
des V. Gesamtstaatlichen Kongresses der Schützer der Staatsgrenzen anlässlich des 60.<br />
Jahrestages der Annahme des Gesetzes über den Schutz der Staatsgrenzen Nr. 69/1951 vom<br />
11. Juli 1951 stand.<br />
Aus eigenem Erleben hebe ich besonders hervor:<br />
- Das traditionelle Grenzertreffen der Grenzbrigade Domazlice in Pobezovice und<br />
unsere erstmalige Teilnahme am Treffen der Grenzbrigade “Julius Fucik” in Plana. Einer<br />
Einladung zum Treffen der Grenzbrigade Karlovy Vary konnten wir nicht folgen, da es<br />
ebenfalls am heutigen Tage stattfindet.<br />
- Etwas Neues, was sich bei einem Treffen von Grenzern der DDR und der CSSR auf<br />
der Kompanieebene in Posseck zeigte. Die Initiative dazu ging vom Gefreiten der<br />
Grenztruppen der DDR Wolfgang Rödel aus.<br />
Bezug nehmend auf das heutige Thema erlaubt mir noch einen kurzen Blick zurück in das<br />
Jahr 1961. Im Mai erhielten wir als Politabteilung der 7. Grenzbrigade den Auftrag, auf der<br />
Grundlage einer Rededisposition Beratungen mit den Mitgliedern und Kandidaten der Partei<br />
durchzuführen. Das Thema lautete: „Die Bedeutung der Sicherung und des Schutzes der<br />
Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik als westlichste Grenze des<br />
sozialistischen Lagers.“<br />
Zwei grundsätzliche Fragen standen im Mittelpunkt:<br />
- Die politische Bedeutung der Sicherung der Westgrenze der Deutschen Demokratischen<br />
Republik.<br />
- Die Verantwortung jedes Genossen unserer Partei, an den Brennpunkten des Kampfes<br />
seine Pflicht zu erfüllen.<br />
Besonders herausgearbeitet wurde, dass jeder Genosse bereit sein muss, zu jeder Zeit und an<br />
jedem Ort die Grenzen der DDR unter Einsatz seines Lebens zu schützen. Warum das auch<br />
für uns an der Ostgrenze galt, verspürten wir bei den nachfolgenden umfangreichen Veränderungen<br />
in unserer Brigade. Später erfuhren wir, dass sie der Umsetzung eines bedeutenden<br />
Beschlusses des Nationalen Verteidigungsrates der DDR galten. Er behandelte<br />
bereits in seiner 4. Sitzung vom 20. Januar 1961 eine Umgruppierung und Reorganisation der<br />
Kräfte der Deutschen Grenzpolizei mit dem Ziel, die Sicherung der Staatsgrenze West entschieden<br />
zu verbessern und die Wirksamkeit des Einsatzes der Deutschen Grenzpolizei im<br />
Falle einer Aggression zu erhöhen.<br />
Als Aufgabe der Deutschen Grenzpolizei wurde festgelegt:<br />
Keine Verletzung der Souveränität der Grenze der DDR zuzulassen und das Eindringen von<br />
Spionen, Agenten, Diversanten und bewaffneten Banditengruppen zu unterbinden und<br />
Provokationen jeglicher Art zu verhindern.<br />
Bei Einbruch des Gegners mit allen Kräften in den Hauptrichtungen günstig gelegene Abschnitte<br />
zu besetzen und zu halten, um Voraussetzungen für die Entfaltung der grenznahen<br />
Truppenteile der NVA und der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland zu<br />
schaffen, im Zusammenwirken mit ihnen an der Staatsgrenze der DDR den Angriff des
27<br />
Gegners abzuwehren, die besetzten Stellungen und Abschnitte zu halten und das Heranführen<br />
und die Entfaltung der Hauptkräfte der Armee zu gewährleisten.<br />
Kern der Festlegungen: Die Staatsgrenze zur Bundesrepublik militärisch sichern. Diese<br />
militärische Grenzsicherung galt stets dem äußeren Gegner.<br />
In diesem Sinne waren die Kräfte und Mittel der Deutschen Grenzpolizei umzugruppieren<br />
und zu reorganisieren. Konkret bedeutete das:<br />
- Die Verstärkung der Westgrenze sollte vor allem durch den Abzug von Kräften von der<br />
Küste, der Ost- und Südgrenze sowie vom „Ring um Berlin“ erreicht werden.<br />
- An der Westgrenze sollten 6 Grenzbrigaden mit einer Stärke von 30 629 Mann zum Einsatz<br />
kommen.<br />
- Für den Schutz der Küste war eine Grenzbrigade geplant.<br />
- Am „Ring um Berlin“ sollte nur der Westring durch die DGP gesichert werden.<br />
- An der Staatsgrenze Ost und Süd war lediglich eine Überwachung des Grenzgebietes<br />
vorgesehen, einbezogen die Sicherung der Oder-Neiße-Brücken und die Kontrolle des<br />
grenzüberschreitenden Verkehrs.<br />
Dieser Beschluss des Nationalen Verteidigungsrates war für die Vervollkommnung der<br />
militärischen Sicherung der Staatsgrenze zur Bundesrepublik und die Entwicklung der<br />
Deutschen Grenzpolizei zu einer Grenztruppe von außerordentlicher Bedeutung. Er hatte auch<br />
entsprechende Auswirkungen für uns an der Ostgrenze.<br />
Aus der Anlage 7 des Protokolls ging hervor:<br />
- Zur Erfüllung der gestellten Aufgaben war eine Umgruppierung eines Teiles der Kräfte<br />
der See-, Ost- und Südgrenze nach Reorganisation an der Staatsgrenze West durchzuführen.<br />
- Entlang der Staatsgrenze Ost war von der durchgehenden Grenzsicherung zur Überwachung<br />
des Grenzgebietes überzugehen.<br />
Das war zu gewährleisten durch die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs, die<br />
Brückensicherung über Oder und Neiße, die Kontrolle des Schifffahrtsverkehrs durch eine<br />
Bootsgruppe und die Organisation von Streifen- und Beobachtungsdienst.<br />
Ein bedeutendes Ereignis in der Geschichte der Grenzsicherung an der Grenze der DDR zur<br />
Volksrepublik Polen war die Umgruppierung und damit verbunden die de facto Auflösung der<br />
7. Grenzbrigade im Herbst 1961.<br />
Kern der Umgruppierung war die Reduzierung der Grenzsicherungskräfte durch Übergang<br />
zur Grenzüberwachung sowie die Versetzung der Hauptkräfte der 7. Grenzbrigade zur neu<br />
formierten 5. Grenzbrigade (Kalbe/Milde) an der Staatsgrenze der DDR zur BRD und in<br />
Teilen zum Ring um Berlin. Die Umgruppierung wurde in der Zeit vom Juni bis zum<br />
September 1961 erfolgreich vollzogen.<br />
In Durchführung des Befehls 14/63 des Ministers für Nationale Verteidigung erfolgte eine<br />
weitere Umgruppierung der Kräfte und Mittel des Kommandos der Grenztruppen an der<br />
Staatsgrenze Süd und Ost der DDR. Es wurden weitere Kräfte in die Einheiten der Staatsgrenze<br />
West eingesetzt. Das selbständige Grenzregiment Frankfurt/Oder und das selbstständige<br />
Grenzbataillon Pirna wurden aufgelöst und dafür je ein Grenzabschnitt am gleichen<br />
Standort geschaffen. Von der bisherigen Grenzüberwachung in Grenzkompanien wurde abgegangen<br />
und das System der Grenzeinzelposten eingeführt. Danach gab es an der Ostgrenze<br />
auf einer Länge von 435,5 Kilometern 5 Unterabschnitte und 45 Grenzeinzelposten.<br />
So wie bei der Grenzschließung in Berlin wurden damals auch an den anderen Grenzen der<br />
DDR durch die Angehörigen der Deutschen Grenzpolizei hervorragende Leistungen voll-
28<br />
bracht. Sie sind zu Recht in die ruhmreichen Traditionen der Deutschen Grenzpolizei eingegangen,<br />
worauf wir sehr stolz sind.<br />
Soweit einige Ergänzungen zu Entwicklungen in der Deutschen Grenzpolizei in den Zeiten<br />
vor, während und nach den bekannten Maßnahmen zur Grenzsicherung vom 13. August 1961<br />
in und um Berlin.<br />
Heinz Geschke<br />
Liebe Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,<br />
gestattet mir als Zeitzeuge der Geschehnisse nach dem 13. August 1961 einige Gedanken zu<br />
äußern.<br />
Als ich am 12. August 1961 gegen 22:00 Uhr vom Chef des Stabes des Kommandos der<br />
Bereitschaftspolizei, Oberstleutnant Herbert Phillip, gemeinsam mit Hauptmann Schweizer<br />
zum Minister des Innern der DDR, Karl Maron, befohlen wurde, ahnten wir nicht die weiteren<br />
Folgen für unseren nachfolgenden Entwicklungsweg in der politischen und militärischen<br />
Tätigkeit.<br />
Ich wurde zum Befehlsüberbringer des Ministers an die 3. Bereitschaft und die Lehrbereitschaft<br />
der Bereitschaftspolizei – X-Zeit 01:00 Uhr am 13. August 1961.<br />
Mit der Herstellung der Vollen Gefechtsbereitschaft und der Übergabe der Befehle für die<br />
Truppenteile gegen 04:30 Uhr an den Kommandeur der 5. Grenzbrigade (GBr.) Groß<br />
Glienicke, Oberstleutnant Erwin Frömming, wurde uns erstmalig die Schwierigkeit der<br />
bevorstehenden Aufgaben bewußt.<br />
Ich betone noch einmal mit Freude und Stolz: Nicht alles war Zwang und Diktatur, wie der<br />
Zeitgeist heute behauptet. Die nächsten 28 Jahre des politischen, militärischen, gesellschaftlichen<br />
und familiären Lebens haben uns alles abverlangt, hart gefordert, aber auch dazu erzogen,<br />
verantwortungsbewußt zu handeln und unserem Staat, der DDR treu zu dienen. Mit<br />
Freude und Stolz haben wir mitgewirkt, daß das Ausbluten der DDR durch die offene Grenze<br />
nun endlich beendet wurde. Unser Handeln wurde dabei motiviert von der Systemauseinandersetzung<br />
im Kalten Krieg, der Bedrohung unserer Errungenschaften und der Erhaltung<br />
des Friedens.<br />
Das haben die Genossen Keßler und Streletz nachdrücklich und beweiskräftig in ihrem Buch<br />
„Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben“ nachgewiesen.<br />
In der Praxis haben wir das zur Genüge im täglichen Dienst zur Sicherung der Staatsgrenze<br />
erlebt. Im Rahmen des Kalten Krieges, des Wettrüstens und des Kampfes der Ideologien<br />
gingen wir als Angehörige der Berliner Grenzsicherungskräfte stets davon aus, daß die<br />
NATO-Streitkräfte mit einer Aggression gegen die Staaten des Warschauer Vertrages beginnen<br />
würden. Westberlin wäre als „Pfahl im Fleische der DDR“ Brückenkopf und vielleicht Ausgangspunkt<br />
dazu gewesen.<br />
Die Panzerprovokation an der Grenzübergangsstelle (GüSt) Friedrich-/Zimmerstraße, das<br />
Zerstören von Grenzsicherungsanlagen, das Beschießen unseres Territoriums, das „Studio am<br />
Stacheldraht“, die Ermordung von Grenzsoldaten, all das führte als Gegenantwort durch<br />
unsere Tätigkeit zur ständigen Vervollkommnung der militärischen Grenzsicherung und der<br />
Erhöhung der Gefechtsbereitschaft. Allein vom 13. August 1961 bis zum 13. August 1963<br />
erfolgten 2.154 provokatorische Handlungen gegen die Grenzsicherungskräfte.<br />
Logisch war also, daß die Grenzsicherungskräfte der Bereitschaftspolizei, der Stadtkommandantur<br />
und später die des Grenzkommandos Mitte im Mittelpunkt der Systemauseinandersetzung<br />
beider deutscher Staaten standen. Alle Handlungen der Berliner Grenzsicherungskräfte,<br />
ihre Wandlungen, Reorganisationen, das tägliche Geschehen an der Staatsgrenze,<br />
des Brandenburger Tores und des Potsdamer Platzes waren das Symbol für das<br />
Grenzregime der DDR und standen immer im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit.
29<br />
Nachfolgend in der Strafverfolgung und der Medienwirksamkeit zum 50. Jahrestag des 13.<br />
August 1961 war der Schwerpunkt der Auseinandersetzung ebenfalls auf den nichtvorhandenen<br />
Schießbefehl, die „Mauerschützen“, die „Opfer der Mauer“, die Jahresbefehle und<br />
ähnliches gerichtet. Das wird auch zukünftig so bleiben. Ich kann mir darüber ein Urteil erlauben,<br />
denn ich war operativer Offizier im Kommando der Bereitschaftspolizei und der<br />
Stadtkommandantur Berlin, Stabschef der 4. und 2. GBr., Kommandeur des Grenzregimentes<br />
42 und viele Jahre Stellvertreter für Grenzsicherung des Kommandeurs des Grenzkommandos<br />
Mitte.<br />
Damit eine Zwischenbemerkung: Wissenschaftler und Historiker diskutieren und streiten über<br />
die Notwendigkeit des Baues der Grenzsicherungsanlagen und deren repressive Funktion, die<br />
militärische Grenzsicherung oder polizeitaktische Handlungen, ja auch über den Begriff<br />
„Staatsgrenze der DDR zu Westberlin“. Ohne hier eine Polemik führen zu können unterstreiche<br />
ich als verantwortlicher Offizier der mittleren und später der höheren Führungsebene<br />
der Grenztruppen im Berliner Raum und als Zeitzeuge: „Tausende und Abertausende Grenzer<br />
haben ihr Handeln verantwortungsbewußt an der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin<br />
durchgeführt.“ Für mich und bestimmt auch für viele unserer Grenzer war, ist und bleibt es<br />
die Grenzsicherung an einem entscheidenden Teil der Staatsgrenze der DDR.<br />
Zu einem weiteren Anliegen. Mit der gegenwärtigen widersprüchlichen Geschichtsbetrachtung<br />
zum 50. Jahrestag des 13. August 1961 ergibt sich für mich die Verpflichtung und<br />
Verantwortung, meine Erfahrungen und Erkenntnisse als Teilbeitrag zum Gesamtverständnis<br />
der militärischen Grenzsicherung in und um Berlin zu leisten.<br />
Die Fortsetzung des Kalten Krieges anläßlich der Vorbereitung und Durchführung des 50.<br />
Jahrestages durch verantwortliche Politiker der BRD und des Senats sowie die Diffamierung<br />
der DDR durch die Medien zwingen dazu, die bisherige Zurückhaltung zu diesem Thema<br />
aufzugeben. Die langjährige Zurückhaltung war der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung<br />
bestimmter Tabus zur Doppelrolle des Grenzkommandos Mitte im Grenzregime der DDR<br />
geschuldet, um nicht durch Offenlegung bestimmter Detailfragen der Gefechtsbereitschaft,<br />
der militärischen Grenzsicherung und der Operativen Planung eine weitere Diffamierung der<br />
DDR zu ermöglichen.<br />
Die Besonderheiten der Grenzsicherung in und um eine Großstadt (44 km Grenzlänge innerhalb<br />
der Stadt, 117 km außerhalb der Stadt) und die wirkenden Faktoren des Kalten Krieges<br />
zwangen die politische und militärische Führung der DDR dazu, den eingesetzten Grenzsicherungskräften<br />
unter oftmaliger Veränderung der Organisationsstrukturen, der Standortverteilung<br />
und Wandlungsprozesse eine Doppelaufgabe mit ständig höheren Anforderungen<br />
zu stellen.<br />
Das war auch möglich, weil die Masse der Angehörigen der Grenzsicherungskräfte der<br />
Bereitschaftspolizei bzw. der Stadtkommandantur Berlin und besonders des Grenzkommandos<br />
Mitte von der Richtigkeit ihres Auftrages und seiner Bedeutung für die Erhaltung<br />
des Friedens überzeugt waren. Trotz höchster Belastung der Führungskräfte und des<br />
Personalbestandes wurden unter Einschränkung der Dienst- und Lebensverhältnisse außergewöhnliche<br />
Leistungen erbracht, die Staatsgrenze der DDR zu Westberlin zuverlässig gesichert,<br />
die Gefechtsbereitschaft und Gefechtsausbildung gewährleistet sowie die Voraussetzungen<br />
für die Qualifikation zum Führen aktiver Gefechtshandlungen im Verteidigungsfall<br />
weiter entwickelt.<br />
Es muß aber auch eingeschätzt werden, daß der Widerspruch zwischen den hohen Anforderungen<br />
der Gefechtsbereitschaft und den grenztaktischen Anforderungen zur Sicherung<br />
der Staatsgrenze nie vollständig gelöst werden konnte.
30<br />
Ich kann hier mitteilen, daß der erste Teil meiner Erinnerungen als Teilbeitrag für den Zeitraum<br />
1961 bis 1971 fertiggestellt ist und der schwierigere Teil 1971 bis 1989 bis zum Frühjahr<br />
2012 fertig werden soll. Ich möchte den Beitrag thematisch einordnen in die Bemühungen<br />
zur Durchführung der Gesprächsrunden der Initiativgruppe Geschichte der<br />
Arbeitsgruppe Grenze beim Vorstand der <strong>GRH</strong>, insbesondere der dritten Gesprächsrunde, als<br />
Beitrag der Interessengemeinschaft Grenzernachlässe und Archiv (IGRA).<br />
Bei Beibehaltung bestimmter Tabus möchte ich ohne den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit<br />
zu erheben mit meinen Erinnerungen aufzeigen, daß die militärische Organisation eine<br />
ständig wachsende Notwendigkeit im stetigen Wandel der Umorganisation war und den<br />
Höhepunkt mit der militärischen Grenzsicherung in den 70iger, Anfang der 80iger Jahre hatte.<br />
Mit den Hauptetappen der Entwicklung Stadtkommandantur – Grenzkommando Mitte sollen<br />
die Vor- und Nachteile der Regimentssicherung; das widersprüchliche Verhältnis zwischen<br />
den Forderungen der Gefechtsausbildung mit Regiments- und Kommando-Stabsübungen und<br />
den Möglichkeiten der Durchführung grenztaktischer Ausbildung; die höchsten Anstrengungen<br />
zur Gewährleistung einer kontinuierlichen Dienstplanung mit voller Auslastung<br />
des Personalbestandes des Grenzregimentes zur Erreichung einer hohen Postendichte und<br />
zuverlässigen Tiefensicherung Schwerpunkt sein.<br />
Schön wäre es, wenn sich durch diese Anregungen Genossen des Grenzkommandos Mitte<br />
finden würden, die zum Beispiel zur Politischen Arbeit, zu den Aktivitäten des Gegner, den<br />
pionier- und signaltechnischen Ausbau oder der Technik und Bewaffnung ihre Erinnerungen<br />
niederschreiben. Ein hervorragendes Beispiel ist dazu das neu erschienene Buch von Oberstleutnant<br />
a.D. Hans Boenke „So war das Leben“. Wir dürfen das Feld nicht einem Volker Koop<br />
(„Ausgegrenzt – Der Fall der DDR-Grenztruppen“), Jochen Maurer („Dienst an der Mauer-<br />
Der Alltag der Grenztruppen rund um Berlin“) oder Dr. Hans-Hermann Hertle überlassen.<br />
Liebe Genossen, die biologische Uhr, die Gesundheit und auch der Zeitgeist machen uns<br />
schwer zu schaffen. Wir müssen aktiver werden!<br />
Danke und viel Erfolg gemeinsam.<br />
Heinz Schubert<br />
Teilnehmer unseres heutigen Treffens sind viele ehemalige Angehörige der Grenzsicherungsorgane<br />
der DDR, die zu den, worüber ich in meinem Beitrag reden möchte, auch etwas zu<br />
sagen hätten. Ihr Leben wurde entscheidend durch ihren Dienst an der Demarkationslinie der<br />
Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und an der Staatsgrenze der DDR geprägt, egal in<br />
welchem Dienstort und in welcher Dienststellung. Etwas dafür zu tun, daß an der sensibelsten<br />
Grenze in der Welt des vorigen Jahrhunderts, einer Systemgrenze, der Grenze zwischen dem<br />
Warschauer Vertrag und der NATO im wahrsten Sinne des Wortes Friedensdienst geleistet<br />
wurde, bestimmte ihr Denken und Handeln.<br />
Was war in diesem Denken und Handeln so bedeutsam, daß gerade ich, ein in diesem Kreis<br />
relativ junger Mann, versuchen möchte, Worte der Würdigung der Leistungen der Angehörigen<br />
der Grenzsicherungsorgane der DDR in den Jahren 1961 bis 1970 zu finden? In<br />
meinem Beitrag konzentriere ich mich insbesondere auf jene Vorgänge, die für die Sicherung<br />
der West-, Ost-, Süd- und Seegrenze der DDR bedeutsam waren und tiefe Einschnitte in das<br />
Leben der Angehörigen der Grenzsicherungsorgane, ihrer Familien und Freunde hatten.<br />
Erinnern wir uns. Das Jahr 1961 hatte, wie wir heute wissen, in vielerlei Hinsicht eine entscheidende<br />
Bedeutung für die Entwicklung der Grenzsicherungsorgane der DDR. Bereits zu
31<br />
Beginn des Jahres wurde durch den Nationalen Verteidigungsrat eine Umgruppierung und<br />
Reorganisation der Deutschen Grenzpolizei (DGP) mit dem Ziel beschlossen, „die Sicherung<br />
der Staatsgrenze West entschieden zu verbessern und die Wirksamkeit des Einsatzes der DGP<br />
im Falle einer Aggression zu erhöhen“ (nachzulesen bei: Joachim Schunke, 13. August 1961-<br />
die Sicherung der Staatsgrenze, in: die Grenzen der DDR). Dazu hatte der Minister des<br />
Innern in Abstimmung mit dem Minister für Nationale Verteidigung und dem Sekretär des<br />
Nationalen Verteidigungsrates (NVR) bis Ende April einen Plan des Maßnahmen sowie eine<br />
neue Struktur und Pläne der Bewaffnung und Ausrüstung dem NVR zur Bestätigung vorzulegen.<br />
Ziel war es, durch Umgruppierung von Personal die Gesamtstärke der Einheiten an der<br />
Westgrenze auf 30.000 Mann zu erhöhen, ein tiefgestaffeltes und bewegliches Sperrsystem an<br />
der Staatsgrenze West zu schaffen und eine durchgehende lückenlose Beobachtung eines bestimmten<br />
Streifens der BRD zu erreichen. Im Frühjahr 1961 betrug die Gesamtstärke der DGP<br />
etwa 34.000 Mann, von denen ca. 20.000 ihren Dienst an der Westgrenze verrichteten. Sie<br />
hatten die Staatsgrenze auf einer Gesamtlänge von 1.370 km zu sichern, davon 552 km<br />
offenes Gelände, 535 km Wald, 225 km Seen und Flüsse sowie 58 km in und an Ortschaften.<br />
Im Gelände befanden sich 521 Erd-B-Stellen, 399 Beobachtungstürme, 122 km Drahtsperre<br />
auf zwei Pfählen und 484 Straßensperren. Für den aufmerksamen Betrachter ist an dieser<br />
Stelle schon erkennbar, daß unter diesen Voraussetzungen die oben genannte Aufgabe<br />
schwerlich erfüllbar war.<br />
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal: Angestrebt wurde die Personalstärke an der Westgrenze<br />
von 30.000 Mann. Aus eigenem Aufkommen 10.000 Mann bereitzustellen bedeutete,<br />
daß umfangreiche personelle Veränderungen insbesondere an der Seegrenze und an der<br />
Staatsgrenze zu Polen und zur CSSR vorzunehmen waren. Mit der Umgruppierung wurde im<br />
Sommer 1961 begonnen, ihre erste Etappe sollte bis zum 15. September abgeschlossen<br />
werden. Sie wurde folglich durch die Entscheidung, ab 13.08.1961 eine kontrollierbare<br />
Ordnung an der Staatsgrenze zu Westberlin herzustellen und die Sicherung der Staatsgrenze<br />
zur BRD zu vervollkommnen, unterbrochen.<br />
Wenn ich in diesem Teil meines Beitrages an die Vorgänge in der DGP in den Wochen und<br />
Monaten des Jahres 1961 vor dem 13. August erinnert habe, dann mit der Absicht, darauf<br />
aufmerksam zu machen, daß bereits vor diesem Datum tiefgreifende Veränderungen bei der<br />
Sicherung der Staatsgrenze der DDR zur BRD angedacht waren und mit der Verwirklichung<br />
begonnen wurde. Schon in dieser Zeit waren außerordentliche Leistungen erforderlich, um<br />
nicht nur die dienstlichen Veränderungen zu meistern, sondern auch die daraus entstandenen<br />
Einschnitte in das persönliche Leben der von ihnen betroffenen Angehörigen der DGP. Umgruppierung,<br />
das bedeutete Dienstantritt in neuen Standorten, Formierung neuer Führungsorgane,<br />
Verbände, Truppenteile und Einheiten bei Aufrechterhaltung der ununterbrochenen<br />
Sicherung der Staatsgrenze und der ständigen Gefechtsbereitschaft, die intensive und zielgerichtete<br />
politische Arbeit und militärische Ausbildung im Interesse der neu formulierten<br />
Aufgaben. Und diese Aufgaben waren durch nicht wenige Angehörige der DGP in zeitlicher<br />
und räumlicher Trennung von ihren Familien zu erfüllen.<br />
Betrachten wir den weiteren Verlauf der Entwicklung der Grenzsicherungsorgane der DDR,<br />
so wissen wir aus heutiger Sicht, daß es kaum eine Phase gab, in der nicht über Veränderungen<br />
nachgedacht wurde.<br />
Am 12. September 1961 erteilte des Vorsitzende des Nationalen Verteidigungsrates, Walter<br />
Ulbricht, den Befehl über Maßnahmen zur Erhöhung der Kampfkraft der bewaffneten Kräfte<br />
der DDR, in dem es heißt:<br />
1. Mit Wirkung vom 15. September 1961 wird das Kommando der DGP und dessen nachgeordneten<br />
Verbände und Truppenteile, außer der 5. Grenzbrigade, aus dem Bestand der<br />
bewaffneten Kräfte des MdI herausgelöst und dem MfNV unterstellt.<br />
2. Die Übergabe und Übernahme des Kommandos der DGP, der Grenzbrigaden, der selbständigen<br />
Grenzbereitschaften und der Grenzabschnitte beginnt am 15. September und ist
32<br />
bis zum 30. September 1961 abzuschließen. Mit der Übernahme ist das Kommando der<br />
DGP in das „Kommando Grenze“ umzubenennen.<br />
Dieser Befehl enthielt alle weiteren Regelungen und Verfahrensweisen für die Übergabe und<br />
Übernahme der DGP an das MfNV.<br />
Viel ist über diese Entscheidung des NVR nachgedacht und teilweise auch spekuliert worden.<br />
Ich persönlich halte diese Entscheidung für richtig und zeitgemäß. Sie berücksichtigte die<br />
politische Entwicklung im Herzen Europas. Sie entsprach dem Charakter der Staatsgrenze der<br />
DDR zur BRD und ergab sich aus den Verpflichtungen der DDR als Mitglied des Warschauer<br />
Vertrages (WV). Um das ganze Ausmaß der Aufgaben zu erfassen, die im weiteren Verlaufe<br />
des Jahres 1961 gestellt wurden und die weitreichende Folgen für das neu zu schaffende<br />
Grenzsicherungsorgan hatten, soll an dieser Stelle daran erinnert werden, daß am 14.<br />
September 1961 Marschall der Sowjetunion Konew, Oberkommandierender der Gruppe der<br />
Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD), an den Minister für Nationale Verteidigung<br />
die Forderung erhob, umfangreiche Maßnahmen zum pioniertechnischen Ausbau der Staatsgrenze<br />
der DDR zur BRD und zur Vervollkommnung der Ordnung im Grenzgebiet zur BRD<br />
durchzuführen. Um dieser Forderung gerecht zu werden, erließ der Minister für Nationale<br />
Verteidigung am 19.Oktober 1961 den Befehl Nr. 85 / 61, in dem die Aufgaben für den<br />
etappenweisen pioniertechnischen Ausbau bis 1963 gestellt wurden. Bevor ich mich auch des<br />
Interesses halber in Einzelheiten ergehe, denke ich sagen zu können, daß das Jahr 1961 zum<br />
Jahr des Beginns einer neuen Entwicklungsetappe des Grenzsicherungsorgans der DDR, den<br />
Grenztruppen der NVA, mit weitreichenden Wirkungen bis in das Jahr 1971 wurde.<br />
An anderer Stelle habe ich schon zu den Folgen der Umgruppierung und Formierung von<br />
neuen Verbänden, Truppenteilen und Einheiten im Bestand eines funktionierenden Grenzsicherungsorgans<br />
gesprochen. Sie stellten sich aus meiner Sicht bei der Umformierung der<br />
DGP zu den Grenztruppen in einer völlig neuen Dimension dar. Die endgültige Einführung<br />
militärischer Prinzipien und Grundsätze bei der Organisation des Dienstes und der Führung<br />
der Verbände, Truppenteile und Einheiten hatte Auswirkungen auf alle Bereiche des<br />
militärischen Lebens der neu formierten Grenztruppen der NVA.<br />
Ein wenig abgeschweift möchte ich noch einmal auf den Befehl des Vorsitzenden des<br />
Nationalen Verteidigungsrates zur Umformierung der DGP, die damit im Zusammenhang genannten<br />
Forderungen Marschall Konews und den Befehl Nr. 85 / 61 des Ministers für<br />
Nationale Verteidigung zurückkommen. Ihre Erfüllung und andere damit im Zusammenhang<br />
zu erfüllenden Aufgaben standen im Mittelpunkt des Denkens und Handels Tausender Angehöriger<br />
der Grenztruppen der NVA. Bezogen auf den Befehl Nr. 85 / 61 bedeutete das, daß<br />
bis September 1963 774 km Minensperren, 407 km Drahtsperren auf Betonpfählen, 153 km<br />
S-Rollen-Sperren errichtet und 370 km Sperrgraben bei Aufrechterhaltung der ständigen Gefechtsbereitschaft<br />
und der ununterbrochenen Sicherung der Staatsgrenze im Zusammenwirken<br />
mit den Pioniereinheiten und –truppenteilen der NVA und mit Unterstützung von Betrieben<br />
der Grenzkreise und –bezirke ausgebaut wurden.<br />
Bis Ende 1961 wurden weitere Veränderungen zum Schutz und zur Sicherung der Staatsgrenze<br />
vorgenommen, die nicht ohne Auswirkungen für jene waren, die sie letztendlich zu<br />
verwirlichen hatten. So wurde die Grenzbrigade Küste an das Kommando der Volksmarine<br />
umunterstellt und übernahm die selbständige Sicherung der Seegrenze der DDR.<br />
Die Umformierung der Einheiten der Grenztruppen an der Staatsgrenze zur CSSR und Polen<br />
wurde abgeschlossen und in Übereinstimmung mit den Regierungen dieser Staaten zur<br />
Grenzüberwachung übergegangen.<br />
Zu weiteren Fakten, die Auswirkungen auf die Entwicklung der Grenztruppen der NVA in den<br />
Jahren von 1961 bis 1971 hatten, kann in der Broschüre der IGRA über die Entwicklungsetappen<br />
der Grenzsicherungsorgane in der SBZ und der DDR nachgelesen werden. Nach Inkraftsetzen<br />
des Wehrpflichtgesetzes im Januar 1962 beginnen im April 1962 Wehrpflichtige<br />
ihren Dienst bei den Grenztruppen der NVA.
33<br />
Im Herbst 1962 werden an die Verbände und Truppenteile der Grenztruppen der NVA neue<br />
Truppenfahnen übergeben<br />
Im September 1963 beschließt der NVR der DDR Maßnahmen über die weitere Entwicklung<br />
und Festigung der Grenztruppen der NVA.<br />
Im November 1963 endet eine Etappe der pioniertechnischen Verstärkung der Staatsgrenze<br />
der DDR zur BRD und zu Berlin-West. Es beginnt die Ausrüstung der Grenztruppen mit<br />
Hubschraubern. Im Dezember des gleichen Jahres wird der Lehrbetrieb an der neu gebildeten<br />
Offiziersschule der Grenztruppen in Plauen aufgenommen. Das erste massiv errichtete<br />
Kasernenobjekt für die Grenztruppen wird an die Grenzkompanie Lockstedt übergeben.<br />
Im März 1964 wird mit Beschluß des Ministerrates der DDR eine neue Verordnung zum<br />
Schutz der Staatsgrenze der DDR in Kraft gesetzt und eine neue Grenzordnung erlassen.<br />
Im Februar 1965 werden durch den Chef der Grenztruppen in einer Anordnung Festlegungen<br />
über den gestaffelten und variablen Einsatz der Grenzposten unter Berücksichtigung der<br />
bereits errichteten Sperr- und Signalanlagen getroffen.<br />
Im Mai 1966 wird ein neues System der Gefechtsausbildung unter Berücksichtigung der<br />
spezifischen Aufgaben der Grenztruppen der NVA im Frieden und im Krieg eingeführt. Im<br />
Oktober 1966 wird auf der Elbe eine durch das Vermessungsschiff „Kugelbake“ der BRD<br />
ausgelöste Grenzprovokation abgewehrt.<br />
Im August 1967 wird die einseitige Markierung der Staatsgrenze der DDR zur BRD auf<br />
Beschluß der Regierung der DDR durchgeführt.<br />
Beschränkt auf den Monat August 1968 gelten Befehle des Stellvertreters des Ministers und<br />
Chef der Grenztruppen (StMCGT) über Veränderungen der Grenztruppen zur Staatsgrenze<br />
zur CSSR. In diesem Jahr beginnt die Ausbildung von Unteroffizieren an der Unteroffiziersschule<br />
Potsdam. Im Oktober 1969 faßt der NVR einen Beschluß über die weitere Entwicklung<br />
der Grenztruppen zur Erfüllung der Aufgaben der Grenzsicherung im Frieden und im Verteidigungsfall<br />
und zur Schaffung der Grundlagen für dass Zusammenwirken mit den Landstreitkräften<br />
bei Abwehr einer Aggression. Im gleichen Monat wird zwischen der DDR und<br />
der Volksrepublik Polen der Vertrag über die Rechtsbeziehungen an der gemeinsamen Staatsgrenze<br />
sowie die Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe in Grenzangelegenheiten abgeschlossen.<br />
Eine Vereinbarung zur Durchführung dieses Vertrages signieren im Dezember<br />
1969 der Stellvertreter des Ministers und Chef der Grenztruppen und der Chef der Grenzschutztruppen<br />
der Volksrepublik Polen in ihrer Eigenschaft als Hauptgrenzbevollmächtigte.<br />
Mit dieser Aufzählung von prägenden Entscheidungen und Veränderungen in der Entwicklungsetappe<br />
der Grenztruppen der NVA seit 1961 erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit.<br />
Aus Zeit- und Platzgründen habe ich auf das Eine oder Andere verzichtet. Eines<br />
ist jedoch klar, mit der Verwirklichung von Entscheidungen und der Durchführung von Veränderungen<br />
in den Jahren von 1961 bis 1971 waren Menschen selbstlos und uneigennützig<br />
befaßt und ihrem Diensteid bzw. Fahneneid verpflichtet. Mehrere Generationen von Grenzern<br />
betrachteten es als eine Ehre, an der Grenze ihrer Heimat Dienst für ihr Vaterland zu leisten.<br />
Nicht oft genug können würdigende Worte zu den Leistungen gesprochen werden, die in<br />
dieser Zeit an der Staatsgrenze der DDR, gleich in welchem Abschnitt, vollbracht wurden.<br />
Der Dienst an der Staatsgrenze der DDR war nicht einfach. Schon deshalb nicht, weil er in<br />
der ständigen Bereitschaft durchgeführt werden mußte, auf jähe Veränderungen der Lage<br />
zielgerichtet und entschlossen zu reagieren. Handlungen gegen die für die Sicherung der<br />
Staatsgrenze getroffenen Festlegungen zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung<br />
waren ständig zu erwarten. Das beweist die Vielzahl von provokatorischen Handlungen, Die<br />
ihren Ausgangspunkt jeweils vom Territorium der BRD oder Berlin-West hatten, wie auch die<br />
Versuche, die DDR unter Verletzung ihrer Staatsgrenze illegal zu verlassen.<br />
Es ist nicht Gegenstand meines Beitrages, dazu detailliert zu sprechen. Ich möchte mir jedoch<br />
nicht versagen, an jene zu erinnern, die bei der Ausübung ihres Dienstes an der Staatsgrenze
34<br />
der DDR den Tod fanden. Das waren von 1962 bis 1968 acht Angehörige der Grenztruppen<br />
der NVA.<br />
Ihr Leben verloren: Unteroffizier Jürgen Schmittchen (18.04.1962), Unteroffizier Peter<br />
Göring (23.05.1962), Unteroffizier Reinhold Huhn (18.06.1962), Hauptmann Rudi Arnstadt<br />
(14.08.1962), Unteroffizier Siegfried Widera (08.09.1963), Unteroffizier Manfred Weiss<br />
(19.05.1964), Unteroffizier Egon Schultz (05.10.1964) und Unteroffizier Rolf Henninger<br />
(15.11.1968).<br />
Vieles könnte noch gesagt werden, manches hätte vielleicht auch weggelassen werden<br />
können. Aber ich wollte versuchen darüber zu sprechen, daß sich nichts bewegt hätte, wenn<br />
nicht Hunderte oder sogar Tausende die Umsetzung von Befehlen, Erlassen oder Forderungen<br />
in ihre Hände genommen hätten und allen Widrigkeiten zum Trotz die gestellten Aufgaben<br />
erfüllten. Sie waren und sind noch heute von ihrer Notwendigkeit und Richtigkeit überzeugt.<br />
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
Horst Liebig<br />
Aus gegebenem Anlass und zum heutigen Thema möchte ich ein paar Worte sagen zu dem in<br />
der Arbeitsgruppe Grenze gebildeten und arbeitenden „Gesprächskreis zur Geschichte der<br />
Grenztruppen der DDR“.<br />
Vor zwei Jahren debattierten wir in der AG Grenze Fragen der Geschichte der Grenztruppen<br />
der DDR. Einige Genossen der AG ergriffen die Initiative und begannen mit der Vorbereitung<br />
der Gründung eines Gesprächskreises, der sich mit Fragen der Geschichte der Grenztruppen<br />
befassen sollte. Es gab ein Dafür und ein Dawider. Das war schon zu erwarten, da es innerhalb<br />
der <strong>GRH</strong> verschiedene Gesichtspunkte zur Geschichte der Deutschen Grenzpolizei<br />
/Grenztruppen der DDR gab.<br />
Was sollte nun Ziel und Inhalt der Arbeit dieses Kreises sein?<br />
Allenthalben trifft man in der breiten Öffentlichkeit zum Thema Grenztruppen, Grenzregime<br />
der DDR breite Ahnungslosigkeit, vor allem unter jüngeren Menschen. Oder ihr Geschichtsbild<br />
darüber ist geprägt vom Zeitgeist. Verfälschung, Geschichtsklitterung und Lügen sowie<br />
Weglassung von Fakten, Unterschlagung von Zusammenhängen, Hintergründen und<br />
politischen Zwängen gehören dazu.<br />
In Anbetracht der Tatsache, dass die Mehrheit der Bundesbürger in seriöser Geschichtsliteratur<br />
kaum bewandert ist, wird von den Apologeten der herrschenden Klasse und leider<br />
auch von Historikern munter drauf los geschrieben und viel geredet.<br />
Dabei greifen diese bürgerlichen Schreiberlinge auf ungeprüfte und zweifelhafte Quellen<br />
zurück.<br />
Siehe dazu die unseriösen Zahlen und das ominöse Spiel mit der Zahl der Toten an der<br />
Staatsgrenze, dass die Arbeitsgemeinschaft 13. August e.V. betreibt. Vor einem Jahr waren es<br />
1.393 Todesopfer – schon diese Zahl hält einer ernsthaften wissenschaftlichen Prüfung nicht<br />
stand – und <strong>2011</strong> sind es schon 1 613 Todesopfer. Eine Steigerung um 220 Tote. Woher<br />
kommen diese Toten? Keine Quellenangaben dazu – nichts. Wahrscheinlich in einer Art<br />
paranoiden Zwanges kommt diese berüchtigte Arbeitsgemeinschaft nicht mehr aus dieser<br />
Spirale heraus. Zumal sie jährlich auf ihren Pressekonferenzen immer wieder unverfroren<br />
behauptet, dass das kein Endergebnis sei.<br />
Doch zurück zum Gesprächskreis:<br />
Diesen infamen Fälschungen und Lügen müssen wir energisch entgegentreten. Wer, wenn<br />
nicht wir? Wir müssen offensiv dagegen halten, so weit es in unseren Kräften steht.<br />
Dazu gehört erst einmal, dass wir uns ein Selbstverständnis zu den historischen Problemen,<br />
Fakten, Hintergründen und Zusammenhängen verschaffen. Dann müssen wir prüfen, welches<br />
Thema, wo und in welchem Umfang sich zur Veröffentlichung eignet. Der Gesprächskreis soll
35<br />
ja keinem Selbstzweck dienen, wir wollen auch nicht im eigenen Saft schmoren. Denn die<br />
zwingende Aufgabe steht, wir müssen offensiv in die Öffentlichkeit gehen.<br />
Am 3. September 2010 fand die erste Diskussionsrunde dazu statt. 55 Genossen waren eingeladen,<br />
43 Genossen und Freunde hatten dem Vorhaben zugestimmt und ihre Mitarbeit zugesagt.<br />
27 Teilnehmer fanden sich zur ersten Gesprächsrunde ein.18 entschuldigten sich aus<br />
triftigen Gründen.<br />
Natürlich gab es ein Pro und Contra. Viele Fragen zum Prozedere wurden gestellt, Bedenken<br />
geäußert. Aber die Anwesenden stimmten geschlossen zu, einen derartigen Gesprächskreis zu<br />
gründen und die Debatte zur Geschichte der Grenztruppen und zum Grenzregime der DDR zu<br />
beginnen. Im Schlusswort bekräftigte der Vorsitzende der <strong>GRH</strong>, Hans Bauer, die Unterstützung<br />
des Vorstandes für diese Initiative. Er unterstrich die Wichtigkeit des Vorhabens und<br />
wünschte viel Erfolg.<br />
Am 4. März <strong>2011</strong> fand dann die zweite Gesprächsrunde statt und damit auch die erste zu<br />
einem bestimmten Thema.<br />
Das Thema lautete: „Äußere und innere Ursachen für die Maßnahmen am 13. August 1961“.<br />
44 Genossen waren eingeladen, 26 nahmen an dieser Diskussion teil. 16 ergriffen das Wort.<br />
Die Teilnehmer schätzten ein, dass das Thema auf hohem Niveau debattiert wurde.<br />
Schwerpunkte dabei waren:<br />
• Wer und was gab den Ausschlag für die Berlin-Krise 1958/62?<br />
• Die außenpolitische Lage global und in Europa.<br />
• Die militärpolitische Lage der beiden deutschen Staaten.<br />
• Wer befahl letztendlich die Sicherungsmaßnahmen?<br />
• Welches waren die konkreten militärischen Pläne der USA und der NATO?<br />
• Die Maßnahmen der UdSSR und der GSSD in der DDR bezüglich der militärpolitischen<br />
Lage in Europa.<br />
• Die konkreten inneren Ursachen in der DDR für die sicherheitspolitischen Maßnahmen<br />
am 13. August 1961.<br />
Am 9. September <strong>2011</strong> traf sich der Gesprächskreis zum Dritten Mal. 46 Genossen erhielten<br />
eine Einladung, 25 nahmen am Gespräch teil. Sie sprachen zum Thema: „ Auswirkungen der<br />
Maßnahmen des 13. August 1961 (1961-1975)“.<br />
Schwerpunkte waren:<br />
• Die in den fünfziger Jahren begonnene Entwicklung und Umformierung der Deutschen<br />
Grenzpolizei in eine militärische Grenztruppe wurde systematisch und beschleunigt fortgesetzt.<br />
• Das Schreiben von Marschall A. Gretschko vom 15. Juli 1961 an den Minister für<br />
Nationale Verteidigung bezüglich der Bereitstellung von Kräften und Mitteln für die<br />
GSSD.<br />
• Der Brief von Marschall I. Konew vom 14. September 1961 an Minister Hoffmann -<br />
„Vorschläge und Wünsche“ Empfehlungen, Direktive oder Befehl? - wie wurden diese<br />
umgesetzt? Bau von Grenzsicherungsanlagen einschließlich von Minensperren u. a..<br />
• Die Formierung der Grenztruppen (Berlin) aus Truppenteilen der DGP, der Bereitschaftspolizei<br />
und Berliner Volkspolizeieinheiten im Sommer und Herbst 1961.<br />
Es entwickelte sich eine sehr interessante Diskussion zu diesen Schwerpunkten. Vor allem die<br />
vier Briefe hoher sowjetischer Militärs an Minister Hoffmann und Walter Ulbricht im Jahr<br />
1961 wurden rege diskutiert. Auch die Frage der getrennten Führung der Grenzsicherungskräfte<br />
an der West-, Süd- und Ostgrenze durch das Kommando der Grenztruppen der NVA<br />
und die Führung der Berliner Grenzregimenter durch das Kommando der Bereitschaftspolizei<br />
und später durch die Stadtkommandantur Berlin fanden große Aufmerksamkeit.
36<br />
12 Teilnehmer sprachen in der Debatte. Die Aussprache gestaltete sich sehr kritisch. Die Anwesenden<br />
schätzten ein, dass das Ziel der Veranstaltung erreicht wurde.<br />
Wie soll es nun weitergehen? Als Variante könnten wir beim vierten Treffen Anfang 2012 die<br />
Diskussion zu folgenden Themen fortsetzen:<br />
• Auswirkungen der Maßnahmen vom 13. August 1961 in den Jahren von 1975 bis<br />
1989/90.<br />
• Gab es zu den Bau der Grenzsicherungsanlagen überhaupt eine Alternative?<br />
• Welche Rolle spielte die internationale Konvention über Verbote von Waffen – einschließlich<br />
Minen – vom 10. Oktober 1980?<br />
• Überforderte die militärischen Aufgabenstellung im Falle der Landesverteidigung an die<br />
Grenztruppen an der Westgrenze die vorhandenen Kräfte und Mittel?<br />
• Warum wurden 1962 an der Staatsgrenze West die schweren Grenzabteilungen aufgelöst?<br />
Für die Folgezeit wird die AG Grenze für den Gesprächskreis Anfang 2012 einen Themenkatalog<br />
erarbeiten, der Themen beinhaltet, die im Gesprächskreis behandelt werden könnten.<br />
Dieser Katalog wird den TAG und interessierten Genossen zugestellt. Wir bitten darum, dass<br />
sich die TAG dazu äußern, eigene Themen vorschlagen oder auch vorgeschlagene Themen<br />
ablehnen. Der Katalog könnte solche Themen zum Inhalt haben wie:<br />
• Die zwei Hauptaufgaben des Grenzkommandos Mitte.<br />
• Die Staatsgrenze der DDR zur BRD und zu Westberlin war eine Staatsgrenze im völkerrechtlichem<br />
Sinne. Dabei ist Westberlin als besondere politische Einheit zu betrachten, die<br />
weder einen Staat darstellte, noch war Westberlin souverän. Es galt ein Besatzungsstatut,<br />
sie war kein Bestandteil der BRD und gehörte de jure nicht der NATO an.<br />
• Der Auftrag an die Grenztruppen enthielt grenzpolizeiliche und militärische Aufgaben, die<br />
in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander standen. Wie wurden diese Aufgaben<br />
gelöst?<br />
• Die Rolle der politisch-ideologischen Diversion an der Staatsgrenze.<br />
• Die politische Führung der DDR mutete den Sicherheitsorganen – darunter auch den<br />
Grenztruppen – Aufgaben zu, für die sie weder geschaffen noch zu lösen Imstande waren.<br />
Das alles sind nur Vorschläge und Anregungen,<br />
Wenn wir auch bei aller berechtigter Kritik an Fehlentwicklungen, Irrtümern und Verzerrungen<br />
der sozialistischen Idee immer davon ausgehen, dass die DDR das beste Ergebnis<br />
und die höchste Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung im vergangenen Jahrhundert<br />
war, liegen wir auf dem richtigen Kurs.<br />
Hans Linke<br />
Liebe Genossen und Freunde,<br />
am frühen Morgen des 22. Oktober <strong>2011</strong> um fünf Uhr machten wir uns auf den Weg nach<br />
Bestensee. Unsere Delegation, darunter zwei Frauen, war noch nicht ganz ausgeschlafen,<br />
jedoch gut gelaunt und voller Erwartungen. Bei herrlichem Spätsommerwetter, vorbei an<br />
Erfurt, wo gerade der Programmparteitag der LINKEN stattfand, führte uns Frank Klipphahn,<br />
der Kassierer unserer TAG, schnell und sicher ans Ziel. Die Organisatoren hatten eine glückliche<br />
Hand, das <strong>Herbsttreffen</strong> <strong>2011</strong> in der „Landkostarena“ in Bestensee durchzuführen. Das<br />
gab uns Gelegenheit, die ehemalige Grenzersiedlung und den Standort des damaligen<br />
Kommandos der Grenztruppen ganz in der Nähe von Bestensee, in Pätz, zu besuchen. Die<br />
Wohnblöcke waren in einem guten Zustand, Leerstand war kaum zu bemerken. Die Gebäude<br />
des Kommandos der Grenztruppen waren dem Erdboten gleichgemacht worden. Teile des<br />
Kulturhauses und des Med.-Punktes wurden der wirtschaftlichen Verwendung zugeführt.
37<br />
Einen Diskussionsbeitrag wollte ich eigentlich nicht halten. Jedoch der hervorragende Vortrag<br />
von Generaloberst a.D. Fritz Streletz und der gute Verlauf unserer Tagung regten mich zu<br />
einigen Überlegungen an, die ich hier vortragen möchte. Ich wende mich mit drei Problemen<br />
an unseren Referenten. Vielleicht hat er die Möglichkeit, im Verlaufe der Tagung sich dazu zu<br />
äußern. Eingestimmt wurden wir durch einen Kurzfilm über die Geschichte der DGP / GT der<br />
DDR. Er entsprach unserem eigenen Erleben, berührte nicht nur den Verstand, sondern auch<br />
meine Seele. Beeindruckend die Würdigung unserer 25 in Ausübung ihres Dienstes ermordeten<br />
Grenzsoldaten.<br />
Der Genosse Streletz fand einen sehr guten Einstieg in seine Rede. Er würdigte in beeindruckender<br />
Weise den 65. Jahrestag der DGP / GT der DDR. Die Lebensleistung vieler<br />
Grenzer aller Führungsebenen wurden in Erinnerung gebracht, von Hermann Gartmann bis<br />
zur „Grenzerlegende“ Sepp Hausladen. Gestützt auf das mit Armeegeneral a.D. Heinz Keßler<br />
geschriebene Buch „Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben“, analysierte er als profunder<br />
Kenner und Zeitzeuge in höchsten politischen und militärischen Führungsämtern die Lage<br />
vor, während und nach den Ereignissen um den 13. August 1961. Besonders gefreut habe ich<br />
mich über die Würdigung der journalistischen Leistungen von Oberst a.D. Hans Fricke zu<br />
diesem Thema. Seine Bücher und Beiträge zu vielen gesellschaftlichen Ereignissen finden<br />
bundesweit Anerkennung. Er lebt heute in der Nähe von Rostock, und ich hatte das große<br />
Glück, einige Jahres gemeinsam mit ihm in der 11. Grenzbrigade in Meinigen zu dienen.<br />
Aber nun zu meinen drei Problemen:<br />
1. Es gibt eine Dresdener Studiengemeinschaft Sicherheitspolitik e.V. (DSS). Ihre Mitglieder<br />
sind elitäre Professoren, Doktoren und Dozenten der Militärakademie „Friedrich Engels“.<br />
Unter der Redaktion von Wolfgang Scheler und Rolf Ziegenbein wurde am 20. Juni <strong>2011</strong> eine<br />
Broschüre unter dem Titel „Grenzschutz und Grenzregime an der deutsch-deutschen Grenze“<br />
herausgegeben.<br />
Schon der Titel läßt aufhorchen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in meiner langen<br />
Dienstzeit an der deutsch-deutschen Grenze gestanden zu haben. Für mich war es immer die<br />
Staatsgrenze der DDR, so habe ich auch meinen Fahneneid geleistet. Es gibt mehrere<br />
interessante Beiträge in dieser Broschüre. Hervorheben möchte ich die von Arthur Pech und<br />
Joachim Sladko. Im Kern geht es den Autoren um den länger währenden Streit der Doppelfunktion<br />
der DGP / GT der DDR. Wie Genosse Streletz in seiner Rede nachweist, war die<br />
militärische Option dem Spannungsfeld des Kalten Krieges geschuldet. Sie hatte großen Anteil<br />
daran, daß mehr als vier Jahrzehnte nach dem II. Weltkrieg in Europa Frieden herrschte.<br />
Zu dieser Broschüre schrieb Wolfgang Scheler das Vorwort. Er war Professor an der Militärakademie<br />
„Friedrich Engels“ in Dresden, wo ich ihn persönlich kennen lernte. In seiner<br />
Eigenschaft als Vorsitzender der oben genannten Studiengemeinschaft schreibt er u.a.: „Diese<br />
Tatsache anzuerkennen und bereit zu sein, seine früheren Ansichten über das Grenzregime der<br />
DDR gemäß einem neuen Selbstverständnis zu korrigieren, halte ich für die unabdingbare<br />
Voraussetzung, um in der gesellschaftlichen Debatte um das politisch und emotional brisante<br />
Thema der deutsch-deutschen Grenze ernst genommen zu werden.“ Auch ich bin dafür, um<br />
neue Erkenntnisse zu streiten. Wir tun das seit 20 Jahren in einer Arbeitsgemeinschaft beim<br />
Stadtvorstand der PDS / DIE LINKE. Jeder und Jede ist zur Diskussion aufgerufen. Aber wen<br />
will man hier aus dem Dialog ausschließen? Ist es nicht eher der Versuch einer elitären<br />
Gruppe, sich die Deutungshoheit über das Grenzsicherungssystem der DDR anzueignen?<br />
Darüber läßt sich wahrlich streiten, aber auf Augenhöhe.<br />
Ich bin nicht bereit, meine Grenzerbiographie dem Zeitgeist zu opfern. Ich bin auch nicht<br />
bereit, mich mundtot machen zu lassen.<br />
2. Genosse Streletz informierte darüber, daß das Buch „Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben“<br />
in den westlichen Medien nicht kritisiert worden ist. Jedenfalls nicht bisher.
38<br />
Wahrscheinlich wirkt hier noch die Schocktherapie nach.<br />
Leider sieht das Rolf Ziegenbein ganz anders. In der genannten Broschüre äußert er sich dazu<br />
wie folgt: „Die Titelbehauptung 'Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben' wird jedoch nicht<br />
schlüssig belegt.“ Er führt dazu Fakten und Beispiele an, die meisten jedoch als Spekulation<br />
und im Konjunktiv. Für mich aber und meinem Kenntnisstand zur Sache ist das Buch in<br />
Gänze ein schlüssiger Beleg für die Option der militärischen Grenzsicherung. Ich hatte mich<br />
dazu in einem Leserbrief an das „Neue Deutschland“ gewandt, der zu meiner Überraschung<br />
sogar veröffentlicht wurde. Darin habe ich es als Fels in der Brandung von Lügen, Verleumdungen<br />
und Geschichtsklitterei bezeichnet. Das war schon am 11. Mai <strong>2011</strong>, kurz nach<br />
dem Erscheinen. Harald Hentschel, der Vorsitzende der Kameradschaft „Florian Geyer e.V.“,<br />
dem Traditionstruppenteil Grenzregiment 3 in Dermbach / Röhn bezeichnete es bei einer<br />
Veranstaltung, an der auch Hans Modrow und Hans Bauer teilnahmen, als Balsam für die<br />
Seele jedes Grenzers.<br />
3. Rolf Ziegenbein nimmt auch in der genannten Broschüre sowie in anderen Publikationen<br />
den früheren Verteidigungsminister, Armeegeneral Heinz Hoffmann, ins Visier. Er zitiert eine<br />
Rede aus dem Jahr 1961: „Unsere Grenzsoldaten stehen dem Feind Auge in Auge gegenüber.<br />
Ihr Dienst zum Schutze der Staatsgrenze ist Frontdienst in Friedenszeiten.“ Im gleichen<br />
Atemzug kriegen Klaus-Dieter Baumgarten und Peter Freitag eins auf die Mütze, weil sie<br />
dieses Zitat in ihrem Buch „Die Grenzen der DDR“ benutzt haben. Heinz Hoffmann hätte<br />
dazu bei getragen, militärische Begriffe zu überhöhen. Auch darauf haben das Grenzertreffen<br />
in Bestensee und die Ausführungen von Fritz Streletz eine eindeutige Antwort gegeben. Unser<br />
Dienst war Grenz-, Front- und Friedensdienst zugleich. Wir stehen zu unserer Biographie und<br />
sind darauf stolz. Wir nehmen den Kopf hoch statt die Hände. Die Deutungshoheit für die<br />
Sicherung der Staatsgrenzen der DDR gehört jenen 500.000 Grenzern, die die Grenzsicherungsorgane<br />
der DDR aufgebaut, entwickelt und verteidigt haben.<br />
Gotthold Schramm<br />
Es lag von Anfang an in der Zielsetzung der Adenauer-Regeierung, den territorialen,<br />
politischen und militärischen Status quo in Europa zu verändern. Die Politik der Stärke und<br />
des „roll back“ bestimmten das Geschehen.<br />
BRD - Außenminister Brentano erklärte schon im Januar 1958 im Bundestag, dass die<br />
militärischen Anstrengungen der NATO auf nuklearem Gebiet dem Ziel der Wiederherstellung<br />
der Einheit Deutschlands dienten.<br />
Im Jahre 1958 wurde ein geheimes Dokument der USA mit dem Titel „Gedanken zu Berlin“<br />
bekannt. Darin war zur Rolle Westberlins folgendes wörtlich formuliert:<br />
„Berlin ist für uns in dreifacher Hinsicht wichtig:<br />
- als strategische Vorwärtsposition im Kampf mit der Sowjetunion,<br />
- für unser Verhältnis zur BRD,<br />
- als Schaukasten westlicher Freiheit.<br />
Während des Kalten Krieges hat Berlin eine herausragende Bedeutung für verschiedene<br />
Aufgaben: als Basis für offene und geheime Aktionen gegen Ostdeutschland und gegen den<br />
Ostblock – für den Betrieb von Rundfunksendern ebenso wie für das Einschleusen von<br />
Geheimagenten.“<br />
Permanent gab es Forderungen nach einem Deutschland in den Grenzen von 1937. Adenauer<br />
und sein Verteidigungsminister Strauß wollten die Verfügungsgewalt über Kernwaffen, ent-
39<br />
weder für die Bundeswehr oder in der Gestalt, dass die NATO zur Atommacht entwickelt<br />
wird.<br />
In den Jahren 1958 / 59 fand eine intensive Hochrüstung der Bundeswehr statt. Beispielsweise<br />
wurden 500 Flugzeuge vertraglich gebunden ( 300 Starfighter und 200 FIAT G 91 ).<br />
Außerdem eine größere Anzahl Hubschrauber, Boden – Luft – Raketen ( Hercules, Sergeant,<br />
HAWK u.a. Boden – Boden – Raketen Honest John). Da diese Waffen sowohl konventionell<br />
als auch nuklear verwendet werden konnten, gewann damit die Bundeswehr die Fähigkeit zur<br />
Nuklearkriegsführung.<br />
Im hier behandelten Zeitraum gab es umfangreiche und verschiedenartigste Übungen , sowohl<br />
zur Beherrschung von Situationen im Inneren der BRD, als auch gegen die DDR und den<br />
Warschauer Vertrag gerichtet.<br />
Übungen zur Unterdrückung demokratischer Kräfte durch Einsatz der Bereitschaftspolizei<br />
fanden z. B. 1958 in Süddeutschland statt. Man ging von der Annahme aus, dass es in<br />
Industriezentren zu Unruhen gekommen war.<br />
Auch der BGS führte Übungen zur „Beherrschung“ eines schweren Grenzzwischenfalles an<br />
der Grenze zur DDR durch.<br />
Die Bundeswehr und andere in der BRD stationierte Streitkräfte führten im Zeitraum 1958 bis<br />
1961 Übungen gefährlichen Ausmaßes durch. Es wurde der Krieg gegen die DDR geprobt.<br />
Von 1958 bis 1961 fanden z. B. die Manöver „Wallenstein I bis IV“ der Bundesmarine statt.<br />
Allein beim Manöver „Wallenstein III“ nahmen ca. 100 Kriegsschiffe teil. Geübt wurden<br />
Angriffe gegen die Küste der DDR. Amphibische Operationen und der Kernwaffeneinsatz<br />
waren Bestandteil dieser Übungen.<br />
Im Herbst 1959 übte die NATO in der BRD den begrenzten Krieg unter der Bezeichnung<br />
„Side Step“. Ebenfalls 1959 wurde mit der Übung „Ulmer Spatz“ ein Angriff auf den südlichen<br />
Teil der DDR geübt.<br />
Schließlich wurden großräumige Überraschungsangriffe 1960 / 1961 in den NATO –<br />
Manövern „Wintershield I und II“ geübt. Immer wieder stand der Kernwaffeneinsatz im<br />
Mittelpunkt, auch der Einsatz von Diversantengruppen in der Tiefe der DDR.<br />
Im Sommer 1960 legte im Ergebnis einer Kommandeurstagung der Bundeswehr, an der ca.<br />
120 Generale und Admirale mit Erfahrungen in der faschistischen Wehrmacht teilgenommen<br />
haben, die Führung der Streitkräfte eine Denkschrift mit dem Titel „Voraussetzungen einer<br />
wirksamen Verteidigung“ vor. Darin fordern die Generale einen größeren Einfluss auf die<br />
Militärpolitik, eine umfassendere Kriegsvorbereitung und Militarisierung der BRD.<br />
Strategisch redeten sie der abgestuften Abschreckung und der Vorwärtsstrategie das Wort.<br />
Und verlangten Verfügungsgewalt über Kernwaffen.<br />
Die USA und ihre Verbündeten spielten mehrere Szenarien einer so genannten Berlin-Krise<br />
durch. Dies reichte bis zu den Vorstellungen eines militärischen Vorstoßes entlang der Autobahn<br />
nach Westberlin. Auch hier war Strauß einer der eifrigsten Befürworter. Außenminister<br />
Brentano meinte, dass ein östlicher Zugriff auf Westberlin in der NATO die Beistandsverpflichtungen<br />
auslösen würde.<br />
Der damalige NATO – Oberbefehlshaber General Norstad schuf innerhalb der NATO die besondere,<br />
für Westberlin zuständige Dienststelle mit dem Decknamen „Live Oak“.<br />
In dieser waren nur Generalstabsoffiziere der USA, Frankreichs, der BRD und Großbritanniens<br />
tätig. Hier wurden Entscheidungen bzgl. Westberlin vorbereitet und geplant.<br />
Ebenfalls Norstad erklärte im Juni 1961 die Allied Mobile Force ( AMF ) als einsatzbereit. Er<br />
versetzte am 1.August alle NATO – Verbände in Europa in Alarmbereitschaft. Bemerkenswert<br />
ist auch, dass am 10.08.1961 der NATO – Oberbefehlshaber Mitteleuropa, General Speidel,<br />
größere Verbände im Raum Helmstedt, in unmittelbarer Nähe zur Grenze, inspizierte.
40<br />
Die NATO – Führungsgremien haben sich vor und nach dem 13. 8. 1961 permanent mit der<br />
Berlin – Frage befasst. Der NATO – Rat hat seit der Entschließung der Ministerkonferenz<br />
vom 23.10.1954 bei jeder Gelegenheit zu der Berlin – und Deutschlandfrage Stellung genommen.<br />
Neben allgemeinen Floskeln, wie Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und<br />
ähnlichem, wird immer wieder bekräftigt, der „Sicherheit und Freiheit Berlins eine feste<br />
Grundlage zu verleihen“. ( Kommunique der NATO – Ministerratstagung Dezember 1957 ).<br />
Zur NATO – Ministerratstagung im Dezember 1958 gab es ein spezielles Berlin –<br />
Kommunique. Grund dafür waren die Ankündigungen der Sowjetunion betreffs Friedensvertrag,<br />
Übergabe von Verantwortung Berlin betreffend an die DDR etc. In diesem Kommunique<br />
protestieren die drei Westmächte gegen die vorgesehene Aufkündigung der interalliierten<br />
Vereinbarungen durch die Sowjetunion. Sie betonen ihre „Verantwortung in Bezug auf die<br />
Sicherheit und Wohlfahrt Berlins“ und die „Aufrechterhaltung der Positionen der drei<br />
Mächte“.<br />
Ein letztes Beispiel: Die NATO – Ministerratstagung vom Dezember 1961, also nach der<br />
militärischen Sicherung der Staatsgrenzen der DDR zur BRD und besonders zu Westberlin.<br />
Hier wird der Sowjetunion unverhohlen unterstellt, sie habe ihre Bemühungen verstärkt, um<br />
ganz Berlin in ihre Hand zu bekommen. Deshalb habe man künstlich die Berlin-Krise<br />
hervorgerufen. Die Grenzsicherung wird als die Einmauerung der von der Sowjetunion beherrschten<br />
Bevölkerung bezeichnet. Die Westmächte erneuern auf dieser Tagung ihre Versicherung<br />
zum Schutz der Westberliner Bevölkerung, heucheln Mitgefühl mit den Betroffenen<br />
und verlieren sich in allgemeine antikommunistische Behauptungen.<br />
Liebe Genossinnen, liebe Genossen,<br />
zu den Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR gab es im Interesse der Erhaltung des Friedens<br />
und der weiteren Existenz der DDR keine Alternative. Nachdem sich die Westmächte und die<br />
BRD einer friedensvertraglichen Regelung widersetzt hatten und keinerlei Bereitschaft für<br />
eine Annäherung oder einen Kommpromis zeigten, blieb nur noch dieser, wenn auch risikobeladene<br />
Weg. Auch die Reformer und Weichspüler in der Linkspartei haben bisher keinen<br />
politisch verantwortbaren Lösungsweg für diese konkrete historische Situation vorgeschlagen.<br />
Das Verdienst auch der Grenzsicherungsorgane der DDR ist unbestritten, einen gewichtigen<br />
Beitrag zur weiteren Erhaltung der DDR und des Friedens im Jahre 196l geleistet zu haben,<br />
das heißt bald 30 Jahre weitere Entwicklung ohne nazistische, militaristische und<br />
kapitalistische Auswüchse.<br />
Reinhard Grimmer<br />
Als ehemaliger hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS bekunde ich euch meine feste Solidarität<br />
und Verbundenheit. Ich weiß mich dabei in Übereinstimmung mit den Genossen in der AG<br />
Sicherheit beim Vorstand der <strong>GRH</strong>.<br />
In meinem Beitrag will ich einige thesenhafte Ausführungen zu aktuellen Entwicklungen in<br />
der „Erinnerungsschlacht“ gegen die DDR und ihre Bürger, einschließlich der 8. Novelle des<br />
so genannten Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) machen, welches vom Bundestag am 30.<br />
September <strong>2011</strong> verabschiedet wurde.<br />
Ihr stimmt mir sicher zu: In den Erinnerungsjahren 2009 bis <strong>2011</strong> und insbesondere vor und<br />
an Jahrestagen, die einen Bezug zur Geschichte der DDR haben, wie jüngst dem 13. August<br />
<strong>2011</strong>, schlägt im Besonderen die Stunde geschichtsignoranter Heuchler und zeitgeistgemäßer<br />
“Aufarbeiter der DDR”.<br />
Genosse Streletz brachte es bereits auf den Punkt: Die bis dahin schon auf Hochtouren<br />
laufende antikommunistische Schlammschlacht hat rund um den 50. Jahrestag der<br />
militärischen Sicherung der Staatsgrenze der DDR zur BRD und zu Westberlin eine weitere
41<br />
Verschärfung erfahren. Die psychologische Kriegsführung gegen die DDR und ihre anhaltenden<br />
Nachwirkungen hat nicht mehr für möglich gehaltene Ausmaße und ungeheuerliche<br />
Inhalte angenommen. Zur Delegitimierung der DDR als „Unrechtsstaat“ scheint jedes Mittel<br />
recht zu sein, wird auf die schlimmsten antikommunistischen Argumentationsmuster des<br />
Kalten Krieges zurückgegriffen.<br />
Mit Blick auf den Hetzmarathon um den 13. August und aktuell um die Verlängerung bzw.<br />
Ausweitung des StUG und damit der Tätigkeit der Gauck-/Birthler-/Jahn-Behörde als<br />
Inquisitionsbehörde gegen das Ministerium für Staatssicherheit, seine hauptamtlichen und<br />
inoffiziellen Mitarbeiter, stellt sich für viele die Frage, wie schlimm muß es um die BRD bestellt<br />
sein, dass sie<br />
• auf die Fortsetzung des Kalten Krieges gegen die DDR in noch schärferen Dimensionen<br />
setzen muß, als zu Lebzeiten der DDR,<br />
• wie groß muß die Furcht der Herrschenden sein, dass die DDR wiederauferstehen könnte,<br />
zumindest ihre Leistungen in den Köpfen vieler Ostdeutscher und offenkundig nicht nur<br />
dort, weiterleben.<br />
Es ist ein Vergeltungs- und Rachefeldzug von den vermeintlichen Siegern. Sie brauchen die<br />
Propagierung eines abgrundtiefen Antikommunismus und DDR-Hasses,<br />
• weil sie damit der DDR und ihren anhaltenden (sogar zunehmenden) positiven Nachwirkungen<br />
endlich den „Todesstoß“ versetzen wollen;<br />
• sie soll ein für allemal als „zweite deutsche Diktatur“, die wegen ihrer angeblich geheimdienstlichen<br />
Durchdringung sogar schlimmer war als die Nazidiktatur 3 , in der<br />
Geschichtsschreibung als das Böse, das Verbrecherische schlechthin versenkt werden,<br />
• und indem man die DDR-Geschichte permanent verdammt, verfälscht, verteufelt, verklärt<br />
sich die Westzeit von ganz alleine in den angenehmsten Farben. Wesenszüge des<br />
Imperialismus, seine Aggressivität, seine Inhumanität, also seine Unvereinbarkeit mit<br />
wesentlichen Menschenrechten sollen verdeckt werden, in dem der reale Sozialismus in<br />
der DDR als ein System von Unterdrückung und Überwachung eines ganzen Volkes, als<br />
ein System von Terror, Folter, Mord und Totschlag hingestellt wird. Und dafür braucht<br />
man „Opfer“. Genosse Liebig hat das heute erneut mit seinem Diskussionsbeitrag, abgesehen<br />
von seinen Publikationen, sehr anschaulich gemacht.<br />
Frau Birthler im Rheinischen Merkur Nr. 24/2003:<br />
„Der Geist eines Systems hält länger als das System selbst. Wichtig bleibt das Anliegen, das<br />
Bild der DDR nicht einer Verklärung auszuliefern und Menschen, die sich politisch diskreditiert<br />
haben, von der Macht fern zu halten. Es geht um die Frage, was unseren Enkeln<br />
einfällt, wenn sie das Wort DDR hören. Als erster wohl: Die Mauer. Was aber wird der zweite,<br />
dritte, vierte Begriff sein? Stasi? Diktatur? Oder werden sie sagen: Vollbeschäftigung, Ruhe<br />
und Ordnung? – Darum wird gekämpft!“<br />
In dem Maße, in dem der Anteil der Menschen, die Kritik am Kapitalismus haben oder ihn gar<br />
in Frage stellen, wächst, wird das Bild vom Sozialismus in den hiesigen Zeitgeist bedienenden<br />
Medien und Politik verlogener. Und das erst recht angesichts der zunehmenden weltweiten<br />
Krise des kapitalistischen Systems, seiner inszenierten Interventionskriege und der<br />
Militarisierung der Außenpolitik der NATO-Staaten. Jedwede Überlegungen über eine<br />
3 Im 7. Tätigkeitsbericht der Birthler-Behörde (2006) ist Folgendes zu lesen:<br />
(in Klammern die Übersetzung des pseudowissenschaftlichen Geschichtsrevisionismus ins allgemein verständliche Deutsch –<br />
R.Gri.)<br />
„Im Nationalsozialismus hat es eine so elaborierte (bis in feinste Einzelheiten differenzierte), institutionell derart verfeinerte und<br />
verfestigte Durchherrschung der Gesellschaft, einen solchen sozial-technischen Arkan-Bereich (Geheimmittelbereich), wie wir ihn nach dem<br />
Untergang des Staatssozialismus vorfanden, nicht gegeben, (wenn wir von der höchstarbeitsteiligen Vorbereitung und Durchführung des<br />
Judenmordes einmal absehen). In diesem Sinne war das Dritte Reich gar keine avancierte (einen höheren Rang einnehmende), sondern<br />
lediglich eine atavistische (vom Rückfall in primitives Stammesverhalten gekennzeichnete) Diktatur.“
42<br />
demokratische Alternative zu diesem System sollen insbesondere in der jungen Generation<br />
ein für allemal verhindert werden.<br />
Die vergangenen Monate um den 13. August machten besonders anschaulich deutlich, was die<br />
dem Zeitgeist verpflichteten, häufig selbsternannten Historiker, gleichgeschalteten Medien,<br />
staats- und konzernfinanzierten Stiftungen, andere herrschaftskonforme Einrichtungen, Vereine<br />
und ihre Sprecher unter „Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit“ verstehen:<br />
• Die welthistorischen Hintergründe und Ursachen der Maßnahmen vom 13. August 1961<br />
wurden und werden komplett ausgeblendet, einseitig dargestellt und verfälscht.<br />
Der Beschluß der Warschauer Vertragsstaaten wurde ausgeblendet, Ulbrichts Aussage im<br />
Juni 1961, „keiner hat die Absicht eine Mauer zu errichten“, wird als „Jahrhundertlüge“<br />
diffamiert. Kolportiert wird die Lüge, mit den Maßnahmen der militärischen Sicherung<br />
der Staatsgrenzen West im August 1961 sei Deutschland gespalten worden. Dass die<br />
DDR-Geschichte nur im Kontext mit der bundesdeutschen Geschichte bewertet werden<br />
kann, wird total ausgeblendet. Dafür wird die DDR mit dem verbrecherischen Naziregime<br />
gleichgesetzt.<br />
• An die Stelle sachlicher, unvoreingenommener Analysen und Wertungen unter Nutzung<br />
neuer Archivmaterialien zu historischen Entwicklungen und Ereignissen, ihren Hintergründen<br />
und Bedingungen, wie das z. B. die Genossen Kessler und Streletz in ihrem Buch<br />
„Ohne Mauer hätte es Krieg gegeben“, so beispielgebend gemacht haben, wird Geschichte<br />
nach kleinbürgerlichem Muster in rührselige Geschichtchen verpackt, wird Geschichte<br />
durch Gruselstorys ersetzt.<br />
Und wer von diesem „irrsinnigen Geschichtsbild abweicht oder auch nur vage versucht, das<br />
Verhalten der DDR in historische Zusammenhänge zu stellen“– so Egon Krenz an Wulf –<br />
wird als „Ewiggestriger“, als „Verklärer“, als „Nostalgiker“, als Stalinist“, als „Schänder des<br />
Andenkens der Opfer“ oder als Täter“ diffamiert, der nichts gelernt habe.<br />
Die ganze Hetze und „Mauerdiskussion“ macht zugleich aber auch ihre Scheinheiligkeit,<br />
Heuchelei und Demagogie deutlich: Fast täglich ertrinken Menschen im Mittelmeer, weil sich<br />
die EU zwar nicht mit Steinen, aber mittels der Grenzschutzagentur „Frontex“, forciert von<br />
der BRD, eine Riesenmauer gebaut hat, eine „Mauer“, die in den letzten Jahren mehr als<br />
20.000 Menschen das Leben gekostet hat. Es geht den Protagonisten also nicht um<br />
Menschenrechtsverletzungen, sondern um Diffamierung der DDR und des Sozialismus und<br />
darum, Menschen jeden Gedanken an ein sozial besseres und friedliches System auszutreiben<br />
bzw. gar nicht erst aufkommen zu lassen. Deshalb braucht man das „Feindbild DDR“, hieß es<br />
in einem Leserbrief an die junge Welt. Offenkundig soll damit von den zunehmenden sozialen<br />
Grausamkeiten und der fortschreitenden Beschränkung der Grundrechte der Bürger, der mit<br />
der Militarisierung der Außenpolitik und der Teilnahme an Kriegen einhergehenden immer<br />
offeneren Verletzung politischer Menschenrechte durch die Innenpolitik abgelenkt werden.<br />
Der Hetzmarathon der letzten Monate lässt aber auch den Schluss zu, dass dieses Vorgehen<br />
offenbar nicht zu den erhofften Ergebnissen geführt hat und zunehmend auf größere Ablehnung<br />
und Widerstand stößt.<br />
Wir können, so meine ich, für unsere <strong>GRH</strong>, ohne deren Ausstrahlung und Wirkung zu überschätzen,<br />
für uns in Anspruch nehmen, mit weiteren im Ostdeutschen Kuratorium von Verbänden<br />
(OKV) organisierten Vereinen zur Verbreitung der historischen Wahrheit beigetragen<br />
und auf der Seite des Widerstandes gegen die Geschichtsumschreibung und Kriminalisierung<br />
der DDR und ihrer Bürger engagiert mitgewirkt zu haben. Und das wir das auch weiterhin tun<br />
werden, wurde gestern (21. 10. <strong>2011</strong>) im „ND“ in einer erneuten Erklärung der <strong>GRH</strong> kundgetan.<br />
Die Beseitigung der DDR war Ziel der Feinde – und ist ihnen gelungen. Jetzt soll in einer<br />
gigantischen Erinnerungsschlacht selbst das Gedächtnis an die DDR für immer ausgelöscht<br />
werden. Dazu darf man nicht schweigen!
43<br />
Sollen wir die Schmutzkübel ohne Gegenwehr über uns ergehen lassen? Sind wir nicht Mitarbeitern<br />
und Inoffiziellen Mitarbeitern schuldig, die Wahrheit öffentlich zu verbreiten und<br />
ihnen damit Halt zu geben?<br />
Als Mitherausgeber und –autor von Sachbüchern zur Tätigkeit des MfS im Verlag edition ost<br />
weiß ich in diesem Zusammenhang um den aktuellen und zukünftigen Wert solcher<br />
Publikationen wie jüngst<br />
• „Ohne Mauer hätte es Krieg gegeben“ von den Genossen Heinz Kessler und Fritz Streletz,<br />
• „Wer spaltete Deutschland…“ von Herbert Graf;<br />
• „Grenzdienst war Friedensdienst“ durch ein Autorenkollektiv ehemaliger Grenzer,<br />
herausgegeben vom Vorsitzenden der <strong>GRH</strong>, Rechtsanwalt Hans Bauer.<br />
• Und ich verweise auf unser Buch „Fragen an das MfS“, an die jüngsten Sachbücher von<br />
Rupp, Rehbaum, Eichner, Schramm, Kierstein, Prof. Schneider, Prof. Prokop, Prof.<br />
Pätzold und anderen sowie eine große Anzahl von Publikationen anderer linker Historiker,<br />
aber auch zum Beispiel auf die klaren, gegen den Zeitgeist, gerichteten Beiträge der<br />
Zeitung junge Welt, des RotFuchs, des Roten Brandenburger (mit den Roten Kalenderblättern),<br />
des Berliner Anstoß und anderer linker regionaler Publikationen.<br />
Genosse Streletz sprach an, dass das Buch „Ohne Mauer hätte es Krieg gegeben“ selbst von<br />
offiziösen Einrichtungen historischer Forschungen totgeschwiegen wird.<br />
Wir haben diese Erfahrung später auch gemacht, aber der ging eine andere, gegenteilige<br />
Praxis voraus: Bevor z. B. das doppelbändige Sachbuch „Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit<br />
des MfS“ im April 2002 herauskam, wurde es bereits in den den Zeitgeist bedienenden<br />
Medien total verrissen, als Produkt „Ewiggestriger“ und als „Rechtfertigungs-Machwerk“<br />
beschimpft. Als wir uns in Buchlesungen den Fragen rund um das Buch stellten, folgten wutentbrannte<br />
Aufschreie und sie endeten abrupt mit Totschweigen. An dieser Linie scheint man<br />
festzuhalten. Ein Auskenner auf dem Büchermarkt sagte uns dazu: „Das Diktum, nur<br />
schlechte Nachrichten seien gute Nachrichten, gehört zum Kalauer-Kanon jedes Journalisten.<br />
Da der ‚Verkaufswert’ von Meldungen mit dem Grad ihrer Ungewöhnlichkeit steigt, könnte<br />
man zu dem Umkehrschluss kommen, das Gute sei das Gewöhnliche.“<br />
Sehen wir es so: Wir haben die Vertreter des abgrundtiefen bodenlosen Hasses auf die DDR<br />
und das MfS offenkundig getroffen bzw. sprachlos gemacht.<br />
Wichtig erscheint mir: In den vergangenen 20 Jahren ist eine ganze Bibliothek von Sachbüchern,<br />
von Autobiografien und belletristischen Büchern entstanden, in denen und mit denen<br />
die Wahrheit über die Tätigkeit der NVA und der Grenztruppen, aller Schutz- und Sicherheitsorgane<br />
der DDR, darunter besonders auch über das MfS publiziert wurde. An diesen<br />
Büchern kommt keine zukünftige Geschichtsschreibung vorbei!<br />
Das ist aber kein Selbstlauf: Dafür gilt unser Dank besonders den Verlagen und Lektoren,<br />
darunter besonders edition ost, Spotless, Verlag am Park und dem Militärverlag in der Eulenspiegel<br />
- Verlagsgruppe sowie dem Verlag Wiljo Heinen. Ich verweise auf die heutige<br />
Wochenend-Ausgabe der junge Welt (22.10.<strong>2011</strong>), in der Frank Schumann auf zwei Seiten<br />
interessante Erfahrungen „über 20 Jahre edition ost, die DDR-Fraktion im Land und westdeutsches<br />
Schmarotzen am ostdeutschen Sujet“ berichtet.<br />
Nicht nur er, alle Verlage, Verleger und Lektoren, die sich unserer Manuskripte und Themen<br />
der Wahrheit dienend annehmen, bauen wiederum darauf, dass sich der Kreis all jener erweitert,<br />
die die Bücher erwerben, um sie zu lesen, sich zu informieren und vorhandenes<br />
Wissen zu vertiefen, um sie dann an die Kinder und Enkel weiter zu geben.<br />
Und eine dritte Seite kommt aus unserer Sicht noch hinzu, um das „Totschweigen“ zu durchbrechen:<br />
Das Wissen um die Hintergründe und Tätigkeitsfelder unserer gemeinsamen Arbeit<br />
für den Schutz der DDR, des Sozialismus und des Friedens sollten wir noch stärker nicht nur<br />
durch Bücher nach außen tragen, sei es durch Teilnahme an öffentlichen Diskussionen und
44<br />
Veranstaltungen, durch Erlebnis- und Erfahrungsberichte, durch Leserbriefe und der Wahrheit<br />
dienende Reaktionen auf Lügen, Fälschungen und Verdrehungen seitens der DDR-Hasser.<br />
Am 6. Oktober wurde im „ND“ unter dem Titel „Herrscherwille zum Gesetz erhoben“ aus<br />
dem Leserbrief unseres Vorsitzenden der <strong>GRH</strong>, Rechtsanwalt Hans Bauer, zitiert: „Pünktlich<br />
zum Tag der Einheit“ hat der „weise“ Gesetzgeber das so genannte Stasi-Unterlagengesetz<br />
novelliert. Mit der Erweiterung der Überprüfung auf MfS-Mitarbeit und der Entfernung unbedeutender<br />
Mitarbeiter aus der Stasi-Unterlagenbehörde wurden die Ostdeutschen ein<br />
weiteres Mal gedemütigt. Mehr als ein symbolisches Geschenk nach 21 Jahren offiziell gefeierter<br />
Einheit. Vor allem eine überzeugende Lektion in Sachen Rechtsstaat, in dem<br />
politischer Wille der Herrschenden kurzum zum Gesetz erhoben wird.“<br />
Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP wurde am 30. September<br />
<strong>2011</strong> die 8. Novelle des StUG verabschiedet. Bei genereller Ablehnung durch die PDL, die<br />
zwar die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit begrüßte, aber von „Vergeltung“ sprach und<br />
die Überführung der Akten in das Bundesarchiv nach Koblenz einforderte, und bei Stimmenenthaltung<br />
durch SPD und Die Grünen, gab es erstmals für das StUG seit seinem Inkrafttreten<br />
1991 keine breite Mehrheit im Bundestag. Das Gesetz muß Anfang November noch den<br />
Bundesrat passieren, dessen Zustimmung als gesichert gilt.<br />
Sicher ist es erforderlich, eine konkrete Analyse bzw. einen Vergleich auf der Grundlage des<br />
exakten Gesetzestextes vorzunehmen, so wie er im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wird. Das<br />
wird erfahrungsgemäß erst in ca. 4 – 6 Wochen erfolgen. Wir können uns demzufolge jetzt<br />
nur auf die Kommentare und Materialien beziehen, die am 30. September <strong>2011</strong> der Debatte<br />
zugrunde lagen bzw. zu deren Inhalt und Verlauf.<br />
Mit der Inthronisierung von Roland Jahn, nicht nur in den Printmedien wird er fast durchweg<br />
als Feind der DDR, als Mann bundesdeutscher Geheimdienste, der Medien und der so genannten<br />
Opferverbände, beschrieben, begann eine neue Etappe in der Erinnerungsschlacht.<br />
„Man müsse und wolle dem Erbe der Revolution neues Leben einhauchen…Die Hinterlassenschaft<br />
der Stasi müsse für immer zugänglich sei.!“ erklärte Jahn. Also: Die Hetzjagd<br />
geht weiter.<br />
Mit der Novelle erfährt das StUG als „Sondergesetz“ erneut eine Ausweitung, indem<br />
• das Gesetz bis zum 31. Dezember 2019 verlängert,<br />
• das Recht auf Akteneinsicht erweitert und<br />
• die Möglichkeiten für eine Überprüfung von Beschäftigten im Öffentlichen Dienst ausgeweitet<br />
wurden.<br />
• Zudem wurde rückwirkend in einem „Einzelfallgesetz“ verfügt, dass 45 frühere MfS-<br />
Mitarbeiter, die in der BStU beschäftigt werden, aus der Behörde zu entlassen sind und<br />
innerhalb des Bundesdienstes bei gleicher Bezahlung versetzt werden.<br />
• Darüber hinaus wurde ein generelles Beschäftigungsverbot für ehemalige MfS-Mitarbeiter<br />
und IM in der BStU und in den LBStU sowie für hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter<br />
in Gremien und Einrichtungen, wie Gedenkstätten, die sich mit der Aufarbeitung<br />
der Tätigkeit des MfS befassen, festgeschrieben. Übrigens, ein Naziunterlagengesetz hat<br />
es in der BRD nie gegeben, stattdessen aber ein Gesetz zur Übernahme der alten Nazieliten<br />
(131er Gesetz 1951). Damit konnten Naziverbrecher wie Lübke, Kiesinger,<br />
Filbinger, Globke… höchste staatliche Ämter ausüben.„Wer fürsorglich mit SS-Mördern<br />
wie Rauff umgeht, darf keinen MfS-Mitarbeiter laufen lassen.“ schrieb Arnold Schölzel<br />
treffend in der jW am 1./2./3. 10. <strong>2011</strong> unter der Überschrift „Tag der Reinheit“<br />
Ganz offenkundig gehört es auch zum Geschäft von Jahn, wie seine Vorgänger Gauck und<br />
Birthler, die gut dotierte Existenzberechtigung nachzuweisen. Sicher wird man auch noch
45<br />
nach 2019 die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme weiterführen. Der Landesbeauftragte der<br />
„Stasi-Unterlagenbehörde“ in Sachsen soll das laut Medienberichten schon bis 2035 fordern.<br />
Erinnert sei an die Erklärung des sozialdemokratischen Willi-Brandt-Kreises vom 17. Februar<br />
2005: „Pressehinweise, wonach künftige Hauptaufgabe der Behörde die Aufarbeitung der<br />
DDR-Geschichte sein wird, erfüllen uns mit Sorge. Die Behörde war von Anfang an nicht als<br />
neutrale wissenschaftliche Einrichtung angelegt, sondern hatte eine politische Zweckbestimmung.<br />
Damit begann eine auf ostdeutsche Repressionsgeschichte eingeengte, selektive<br />
Geschichtsschreibung, die nicht nur Alltagsgeschichte ausblendete, sondern auch<br />
Forschungsvorhaben, die nicht die gewünschte Delegitimierung erbrachten, unter den Tisch<br />
fallen ließen. Mit ihrer Reproduktion von staatlich beaufsichtigter Geschichtswissenschaft hat<br />
die Behörde von Anfang an auch zu Fehlurteilen und Legendenbildungen beigetragen. Wenn<br />
heute in Westdeutschland und im Ausland das Bild der DDR als eines reinen Unrechtsstaates<br />
vorherrscht, in dem alle Bürger entweder bei der Stasi gearbeitet haben oder von ihr beobachtet<br />
wurden, bei jeder mißliebigen Äußerung im Gefängnis landeten und nur unter<br />
Lebensgefahr das Land verlassen konnten, so hat die Behörde ihren Auftrag erfüllt.“<br />
Diese Erklärung hatten damals 18 Persönlichkeiten aus West- und Ostdeutschland, u. a. Egon<br />
Bahr, Peter Brandt, Daniela Dahn, Friedrich Dieckmann, Günter Grass, Friedrich<br />
Schorlemmer unterzeichnet. Darüber, gerade auch über die Erklärung und ihre Unterzeichner,<br />
sollten besonders auch jene einmal nachdenken, die einst im Schutze der DDR studieren oder<br />
bzw. und mit dem SED-Mitgliedsbuch in der Tasche Karriere machen konnten, und die sich<br />
heute in den Chor der Antikommunisten und Geschichtsbewältiger, aus welchen Gründen<br />
auch immer, mit einreihen. Jahn erhielt z. B. im „ND“ am 19. Mai eine ganze Seite, auf der er<br />
Harmlosigkeit und Versöhnung vorspiegelnd, die DDR als Unrechtsstaat und das MfS als<br />
„menschenverachtenden Unterdrückungsapparat“ verleumden konnte.<br />
Bereits mit der 7. Novelle des so genannten Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom 21. Dezember<br />
2007 wurden die Zwecke für eine Verwendung von MfS-Unterlagen dahingehend angepasst,<br />
dass sie über die politische und historische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes<br />
hinaus auch auf die „Aufarbeitung der Herrschaftsmechanismen der ehemaligen<br />
DDR bzw. der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone“ ausgedehnt wurde. Dieser umfassendere<br />
Aufarbeitungszweck, so hieß es in der Begründung weiter, „trage der Bedeutung<br />
Rechnung, die den Stasi-Unterlagen nach wie vor im Rahmen der politischen und<br />
historischen Aufarbeitung der Diktatur insgesamt zukommt“.<br />
Durch die 8. Novelle des StUG wurde dieser Auftrag dahingehend bekräftigt und erweitert,<br />
das „die Unterlagen des MfS...zu den wichtigsten Grundlagen für die Aufarbeitung der<br />
jüngsten deutschen Geschichte“ gehören.<br />
Angesichts dieser auch von Jahn, wie vorher von Gauck und der Birthler, selbstpostulierten<br />
Aufgabenfülle müssen doch solche Fragen erlaubt sein und gestellt werden wie:<br />
• Wenn die MfS-Unterlagen zugleich die wichtigsten Grundlagen für die Aufarbeitung der<br />
deutschen Geschichte, demzufolge auch die der BRD und Westberlins sowie ihrer Rolle<br />
im Kalten Krieg sind, warum werden dann jene „Aktenberge des MfS“ bewusst gedeckelt,<br />
die Auskunft geben über die Bedrohung und Angriffe durch westliche Geheimdienste und<br />
andere Einrichtungen, allen voran der Alt-BRD. Aber genau diese Akten, die den Hauptanteil<br />
der „Opferakten“ ausmachen, werden nach § 37 des StUG „gesondert verwahrt“<br />
und unter Verschluss gehalten.<br />
• Sind die abgeschirmten Unterlagen der bundesdeutschen Geheimdienste nicht von<br />
wesentlich größerer Bedeutung für die Aufarbeitung der gesamten Nachkriegsgeschichte?<br />
Wie soll bei einem solchen bewussten Ausklammern ausgerechnet die BStU-Behörde<br />
einer objektiven Geschichtsvermittlung dienen? Abgesehen davon, dass damit auch die<br />
vorbeugende Aufklärungs- und Abwehrtätigkeit des MfS bewusst losgelöst von den
46<br />
wesentlichen Ursachen und Bedingungen dargestellt, also gezielt dem Zeitgeist untergeordnet<br />
wird.<br />
Ich zitiere aus einem Leserbrief an die jungeWelt vom 15./16. 10. <strong>2011</strong> zu diesem Thema:<br />
„Als ehemaliger DDR-Bürger, der seit Jahren genervt das ständige Schwingen der Stasikeule<br />
in dieser so bornierten und selbstgerechten BRD erlebt, frage ich mich, ob es jetzt nicht doch<br />
an der Zeit wäre, eine Gauck-Behörde für die Offenlegung sämtlicher Schweinereien gewisser<br />
Landesbehörden zu gründen.! Öffnet die Akten! Ihr Bürgerrechtler, empört euch! Und sollte<br />
man nicht wenigstens – analog zum Unrechtsstaat DDR – Bayern, Baden-Würtemberg,<br />
Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Brandenburg zu Unrechtsländern erklären? Was<br />
sagen dazu die Lengsfelds und Eppelmanns?“<br />
Jahn verkündete bei seinem Amtsantritt: Eine neue Aufklärung über die DDR müsse beim Erleben<br />
der Menschen ansetzen, um daran den Menschen die Augen zu öffnen über Unrechtstaat<br />
DDR und SED-Diktatur. Und er beschrieb sein künftiges Handeln an der Spitze der BStU so:<br />
„Ich bin ein Fan der regionalen Aufarbeitung“ und „Stasi-Täter beim Namen nennen“.<br />
Er wolle die „Aufklärung über die Stasi“ durch „Alltagsgeschichten“ zur SED-/DDR-/Stasi-<br />
Diktatur verstärken vor allem auch durch verstärkte regionale Anprangerung und Aufarbeitung<br />
Das Reden müsse konkret sein. Täter müssen beim Namen genannt, eine Auseinandersetzung<br />
provoziert werden. Die aktuelle Geschichte soll in Geschichten verpackt werden, um sie so<br />
erlebbarer zu machen; die DDR soll – so Jahn – über das Geschichtenerzählen lebendig gemacht<br />
werden. Durch ein neues Erzählen von Alltagsgeschichten sollen die Menschen für das<br />
Vergangene gewonnen werden, das in jede Gegenwart eingraviert sei.<br />
In diesem Sinne fordert er<br />
• eine stärkere Einflussnahme auf die Schulen, auf die Lehrkräfte und -inhalte, auf die Unis<br />
und die anderen Bildungseinrichtungen, Gauck und Staatssekretär Neumann für Kultur<br />
und Bildung hätten versagt.<br />
• den Ausbau der „Stasi-Gedenkstätten“ in den ostdeutschen Bundesländern als Erinnerungs-,<br />
Lehr- und Lernorte und als zentrale Einrichtungen zur Vernetzung aller<br />
weiteren Gedenkstätten zur Geschichte der DDR als „SED-Diktatur“.<br />
Diese Art der „Aufarbeitung“ müsste, so Jahn,<br />
• von enttäuschten Hoffnungen über die deutsche Einheit handeln; Enttäuschungen, die es<br />
vielen so schwer macht, das SED-System, das sie selbst abgeschafft haben, heute als Unrechtsstaat<br />
zu bezeichnen;<br />
• auch die jungen Wessis einbeziehen, die wegen anhaltender Arbeitslosig- und Traurigkeit<br />
ihre Heimat verlassen haben und jetzt an den Ossi-Stammtischen in Frankfurt am Main<br />
und Stuttgart sitzen und sich fragen, ob sie ihre Eltern verraten haben;<br />
• sich an die Kleingartentische jener Älteren wagen, die den Niedergang vertrauter<br />
Strukturen erlebt haben und die beim Thema DDR zunächst an ihre Sommerurlaube in<br />
Bulgarien denken und erst danach an fehlende Reise- und Redefreiheit;<br />
• bei den Galaabenden der Nostalgieindustrie die bequemen Nischen ausfegen und die<br />
Linkspartei von ausgetrampelten Kommunismus-Pfaden auf neue Zugänge zu ihrer<br />
Geschichte als SED-Nachfolger stoßen.<br />
Allein das Vorgenannte entlarvt Jahns Gerede „Rache ist nicht mein Sinnen…Ich wünsche mir<br />
Versöhnung.“ (SUPERillu vom 5. Mai <strong>2011</strong>) „Rache war nie mein Sinnen“ erklärte Jahn auch<br />
in einem Interview mit dem „Neuen Deutschland“ vom 19. Mai <strong>2011</strong>. Man müsse jedoch die<br />
Empfindungen der Opfer ernst nehmen. Für diese sei es einfach unerträglich, dass ehemalige<br />
„Stasi“-Mitarbeiter in seiner Behörde beschäftigt seien. Noch deutlicher wurde er in einem<br />
Interview mit dem „Deutschlandfunk“ vom 25. Mai <strong>2011</strong>, bei dem es um die Novellierung<br />
des „Stasi-Unterlagengesetzes“ ging: „…Und ich finde es richtig, dass man diese Leute, die
47<br />
mit dieser Vergangenheit zu tun gehabt haben, dass man die ausschaltet.“ Offenbar kein<br />
Ausrutscher, denn schon bei seiner Amtseinführung am 15. März <strong>2011</strong> hatte Roland Jahn erklärt:<br />
„Ich persönlich finde, die weitere Überprüfung von Mitarbeitern des Öffentlichen<br />
Dienstes ist auch für die Zukunft wichtig, wichtig für die politische Hygiene in diesem Land“.<br />
Muss es nicht nur uns mehr als aufschrecken: „politische Hygiene in diesem Land“. Haben<br />
die Faschisten nicht mit dem Begriff „Rassenhygiene“ ihre Säuberungen beschrieben?<br />
Wie ließ er weiter verlauten: „Wenn Täter sich zu ihrer Verantwortung bekennen, ist die<br />
Chance höher, dass die Opfer ihnen verzeihen…. Den Zeitpunkt des Verzeihens müssen aber<br />
die Opfer bestimmen.“ Zum Dialog müsse aber das Eingeständnis gehören, im Leben Fehler<br />
gemacht, sich Mut erspart zu haben und vor allem Reue. Versöhnung also nach den Vorstellungen<br />
und Bedingungen eines „Anwalts der Opfer“.<br />
Klaus Steiniger brachte es jüngst im RotFuchs auf den Punkt: Roland Jahn ist nicht der Versöhner,<br />
wie er im ND-Interview verkünden durfte, sondern nach Gauck und Birthler der<br />
deutsche Mc Carthy Nr. 3.<br />
Wir stehen zu unserer auf der Rechtsordnung der DDR basierenden legitimen Tätigkeit für<br />
den Schutz unserer Republik und ihrer Bürger. Dazu haben wir als Akteure und Zeitzeugen<br />
sachlich, also auch kritisch und selbstkritisch Stellung genommen in Büchern, in Erklärungen<br />
und auf öffentlichen Foren. Und, wie nicht anders zu erwarten, wurde von den<br />
Delegitimierern der DDR reagiert: Mit Wutgeschrei, Verleumdung, Diffamierung, politischer<br />
und sozialer Ausgrenzung und mit Totschweigen oder aber Verfälschungen, Umdeutungen<br />
und Lügen über unsere sachlichen Darstellungen.<br />
Wie ihr, liebe Genossinnen und Genossen Grenzer, so haben auch die Angehörigen des MfS<br />
ein großes Verdienst am gewaltfreien Verlauf der so genannten friedlichen Revolution im<br />
Herbst 1989. Angesichts der Ereignisse im Norden Afrikas und im Nahen Osten wird das im<br />
Nachhinein erneut besonders eindringlich deutlich.<br />
Es bleibt dabei: Wir werden vor den Feinden der DDR und ihrem Diktat der Reue den Buckel<br />
nicht krumm machen!<br />
Hans Bauer<br />
Liebe Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, verehrte Anwesende!<br />
Unser heutiges Treffen war ein weiteres Mal dem 13. August 1961 gewidmet, dem 50.<br />
Jahrestag dieses historischen Ereignisses. Und es galt unseren Grenzern zum 65. Jahrestag der<br />
Grenzpolizei/Grenztruppen. Beides ist nicht voneinander zu trennen. Ohne die Leistungen<br />
unserer Grenzer vor und nach dem 13. August hätte es keine vier Jahrzehnte DDR gegeben.<br />
Als Friedensstaat, als souveräner, weltweit anerkannter und geachteter und als sozialer und<br />
humanistischer deutscher Staat. Diese Leistungen unserer Grenzer im Interesse der Menschen<br />
der DDR dürfen und wollen wir niemals vergessen. Auch deshalb nicht, weil die herrschende<br />
Politik diese verfälschen und vergessen machen will. Ja, wir als <strong>GRH</strong>, als Organisation des<br />
Widerstandes und der Solidarität, betrachten es als unsere Pflicht, auf diesen Zusammenhang<br />
zwischen Geschichte und ehrenvoller Pflichterfüllung an den Grenzen der DDR hinzuweisen<br />
und all unseren ehemaligen Angehörigen der Grenztruppen Dank zu sagen. So wie es die JW<br />
getan hat anlässlich des 13. August diesen Jahres. Und weswegen sie von unseren Gegnern<br />
und leider auch von manchem Freund beschimpft und verunglimpft wurde.<br />
Heute gelten unser Dank und unsere Erinnerung besonders jenen 25 Grenzern, die für den<br />
Schutz der DDR ihr Leben gelassen haben, und vor denen wir uns verneigen. Wir haben zu<br />
Beginn unseres Treffens ihrer in eindrucksvoller Weise gedacht. An fünf Gedenkstätten haben<br />
wir als <strong>GRH</strong> sowie Verbündete am 13. August unseren Toten zu Ehren Kränze niedergelegt, u.<br />
a. für Egon Schultz, Reinhold Huhn und Rudi Arnstadt. An zwei zentralen Punkten in Berlin
48<br />
waren die Kränze nach zwei Tagen entfernt. Eine von uns erstattete Anzeige führte unter<br />
fadenscheinigen Gründen – trotz Anhaltspunkten für Befragungen – zu keinen Ermittlungen.<br />
Ich kann mir gut vorstellen, was passiert wäre, wenn die Kränze der führenden Politiker für<br />
ums Leben gekommene Grenzverletzer verschwunden wären. Mit Sicherheit hätte der Staatsschutz<br />
Ermittlungen aufgenommen, „Linksextreme“ oder gar „Stasi-Seilschaften“ wären der<br />
„furchtbaren“ Taten verdächtigt worden.<br />
Und, liebe Freunde, eine zweite Gruppe verdient heute unsere besondere Wertschätzung und<br />
unseren Dank. Das sind jene bis zu 300 Grenzer und für den Grenzschutz Verantwortliche, die<br />
nach 1990 verfolgt, verurteilt und teilweise sogar inhaftiert wurden. Besonders die Inhaftierten<br />
haben Jahre ihres Lebens eingebüßt – für uns alle, denn sie wurden stellvertretend<br />
für alle aufrechten DDR-Bürger kriminalisiert. Für die DDR wurden sie – angeblich „im<br />
Namen des Volkes“ - mit Strafen und hohen finanziellen Belastungen belegt, an denen<br />
mancher noch heute zu tragen hat. Ihnen gilt in besonderer Weise unsere Solidarität.<br />
Schmerzhaft ist für uns das Verhalten von Politikern, die angeblich links sein wollen, aber im<br />
Grunde den Kalten Kriegern nicht nur das Wort reden, sondern Vorlagen liefern. Da äußerte<br />
doch tatsächlich der LINKEN-Politiker Ralf Feldmann, Ratsmitglied der LINKEN in<br />
Bochum, öffentlich:<br />
„Wer die Mauer rechtfertigt, will keinen demokratischen Sozialismus. Mit dieser klaren Feststellung<br />
muss sich der Kreisverband Bochum öffentlich gegen alle Versuche wenden, das<br />
Verbrechen von Mauer und Schießbefehl zu relativieren oder zu verharmlosen.«<br />
Feldmann wandte sich damit gegen das DDR-Museum in Bochum, dessen Verein mutig für<br />
die DDR und die Grenzsicherungsmaßnahmen Position ergreift und nun bereits zum zweiten<br />
Male eine öffentliche Veranstaltung zur DDR-Geschichte mit Zeitzeugen organisiert hat.<br />
Günter Leo, Dieter Stiebert und ich haben eine erste Veranstaltung im April in Bochum<br />
wahrgenommen, Horst Liebig eine solche vor wenigen Tagen. Beide Veranstaltungen wurden<br />
von Peter Wolter von der jungeWelt moderiert. Wir können unseren Freunden aus Bochum<br />
nur dafür danken, dass sie eine solche Aufklärungsarbeit im „tiefen Westen“ leisten. Eine<br />
Delegation des Vereins unter Leitung unseres Genossen Andreas Maluga nimmt heute am<br />
Grenzertreffen teil. Ihnen gilt unsere feste Solidarität.<br />
Übrigens haben eine ähnliche Position zur Grenzsicherung führende LINKEN-Politiker aus<br />
Berlin abgegeben, wie die jungeWelt berichtete.<br />
Wenn Feldmann und Genossen von Geschichte keine Ahnung haben, sollten sie lieber<br />
schweigen.<br />
Liebe Freunde und Genossen,<br />
was in diesem Jahr angesichts der Jahrestage in diesem Lande geschieht, kennzeichnet die<br />
Atmosphäre, in der wir leben. Persönliche Verunglimpfungen, Diffamierungen und Hetze,<br />
verbunden mit der bekannten Geschichtsfälschung und Unterdrückung der Wahrheit stehen<br />
weiter auf der Tagesordnung. Ich meine, diese Art des Kalten Krieges hat sogar noch zugenommen.<br />
Denken wir nur an die jüngste Novelle des so genannten Stasi-Unterlagengesetzes.<br />
Bis 2019 sind nunmehr die erweiterten Überprüfungen auf MfS-Mitarbeit vorgesehen.<br />
Und der DDR-Hasser Lutz Rathenow meint sogar in einer Kolumne (OTZ 09.10.11): „Die<br />
allgemeinen Überprüfungen in bestimmten Verantwortlichkeits-Bereichen werden aber über<br />
2019 hinausgehen müssen. Wahrscheinlich in Einzelfällen und bei bestimmten Positionen bis<br />
zum Jahr 2035, wenn die letzten volljährigen Noch-DDR-Bürger ins Rentnerdasein überwechseln.<br />
Es sei denn, das Renteneintrittsalter läge dann bei 75, dann prüft es noch weiter“.<br />
Und er fügte hinzu: „Es geht bei den MfS-Akten nicht nur um die Stasi, sondern die Analyse<br />
der ganzen DDR-Gesellschaft“.<br />
Ja, so funktioniert dieser Staat, der dem Anspruch eines Rechtsstaates gerecht werden will.<br />
Politischer Wille wird kurzum – man kann sagen, auf Zuruf - in Gesetze und Rechtsprechung
49<br />
umgesetzt. Wir erleben es bei der andauernden Strafrente, erfuhren es bei der politischen<br />
Strafverfolgung und in vielen anderen Bereichen des politischen wie des sozialen Lebens.<br />
Und dabei betrifft es keineswegs nur die Ostdeutschen. Selbst die UNO-Kritik vom Mai <strong>2011</strong><br />
zur Diskriminierung und Verletzung von Menschenrechten in Deutschland lässt die Machthaber<br />
in ihrer Arroganz kalt.<br />
Angesichts der gravierenden Verletzungen elementarer politischer und in gleicher Weise<br />
sozialer Menschenrechte hat die <strong>GRH</strong> gemeinsam mit den im OKV vereinten Organisationen<br />
für 2012 ein Tribunal vorgesehen, das in einer Reihe von Veranstaltungen Betroffene und<br />
Opfer dieser Politik zu Wort kommen lässt und letztlich anhand konkreter Tatsachen die<br />
Bundesrepublik anklagt. Beteiligt Euch daran, liebe Freunde, schweigt nicht, „Entrüstet<br />
Euch!“, wie es der 93-jáhrige französische Autor Stephane Hessel, ein MR-Aktivist von 1948,<br />
einfordert.<br />
Liebe Anwesende!<br />
Es erfüllt uns mit Freude, dass wir heute tschechische und polnische Freunde zu Gast haben.<br />
Mit beiden Partnern verbinden uns Gemeinsamkeiten, die auf einer langen Tradition beruhen.<br />
Beide Delegationen haben am gestrigen Tage Blumengebinde für unsere ums Leben gekommenen<br />
Grenzer nieder gelegt. Wir danken Euch dafür und für Eure Worte, mit denen Ihr<br />
unsere grundlegende Übereinstimmung in wesentlichen Fragen der Gegenwart und die Fortführung<br />
der freundschaftlichen Beziehungen zum Ausdruck gebracht habt.<br />
Wir danken allen, die heute gekommen sind und vor allem, die zum Gelingen des Grenzertreffens<br />
beigetragen haben. Dabei gebührt unser besonderer Dank unserem Genossen<br />
Generaloberst a. D. Fritz Streletz und dem Genossen Prof. Gregor Schirmer sowie allen Diskussionsrednern.<br />
Danken möchte ich der AG Grenze der <strong>GRH</strong> mit Manfred Kleemann und<br />
Günter Leo an der Spitze für die bewährte Planung und Vorbereitung dieses Treffens. Und<br />
schließlich ein Dankeschön unseren Gastgebern hier in Bestensee.<br />
Genossinnen und Genossen, Freunde! Bleibt gesund. Kommt gut nach Hause. Und das<br />
nächste Mal wieder zum Grenzertreffen, voraussichtlich am 20.10.2012 am gleichen Ort
50<br />
I m p r e s s u m<br />
Herausgeber:<br />
Vorstand der Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung<br />
(<strong>GRH</strong> ) e.V.,<br />
Mitglied des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden (OKV).<br />
Vorsitzender: Rechtsanwalt Hans Bauer; Geschäftsführer: Dieter Stiebert<br />
Geschäftsstelle des Vorstandes: Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin,<br />
Tel./ Fax : 030/2978 4225<br />
Internet: www.grh-ev.org & www.grenztruppen-der-ddr.org & www.sport-ddr-roeder.de<br />
E-Mail: verein@grh-ev.org<br />
Öffnungszeiten der Geschäftsstelle: Dienstag & Donnerstag, jeweils 9.00 bis 16.00 Uhr<br />
Bei namentlich gekennzeichneten Beiträgen sind die Autoren für deren Inhalt verantwortlich.<br />
Die „Informationen“ dienen der Unterrichtung der Mitglieder und Sympathisanten der<br />
<strong>GRH</strong> e.V. und dürfen bei Behörden nicht als rechtsverbindliche Auskunft benutzt werden.<br />
Spenden zur materiellen Unterstützung von Opfern der politischen Strafjustiz und zur Finanzierung<br />
weiterer humanitärer Tätigkeit der <strong>GRH</strong> e.V. werden erbeten auf das<br />
.<br />
Konto der Berliner Volksbank Nr. 578 890 00 09, BLZ 100 900 00.