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Bürgerschaftliches Engagement - CDU Deutschlands

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193 – Drucksache 14/8900<br />

Pluralisierung und Entgrenzung<br />

Zur Beschreibung des arbeitsgesellschaftlichen Wandels<br />

ist es sicherlich nicht hinreichend, allein die Abnahme des<br />

Erwerbsarbeitsvolumens und die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses<br />

als Ausgangspunkt der Analysen zu<br />

wählen. Eine solche Diagnose mag in den Zukunftsdebatten<br />

der 1990er Jahre um die „Krise“der Arbeit oder Erwerbsgesellschaft<br />

hinreichend gewesen sein (vgl. für die<br />

Bundesrepublik Deutschland Kommission für Zukunftsfragen<br />

der Freistaaten Bayern und Sachsen 1997a, 1997b,<br />

für die USA Rifkin 1995, für Frankreich Gorz 1989), eine<br />

eingehende Analyse empirischer Daten zur Beschäftigungssituation<br />

erzwingt jedoch eine differenziertere Interpretation<br />

(vgl. Hacket u.a. 2001, Mutz/Kühnlein 2001).<br />

Zunächst ist es (zumindest für die Bundesrepublik<br />

Deutschland und eine Reihe anderer europäischer Länder)<br />

zutreffend, dass das Volumen der Erwerbsarbeit langfristig<br />

tendenziell abnimmt (Klement 2001). Bei einem Anstieg<br />

der Erwerbsbevölkerung bedeutet dies, dass das<br />

durchschnittliche Erwerbsarbeitsvolumen pro Kopf der<br />

Erwerbspersonen ebenfalls sinkt1 . Dieser statistische<br />

Sachverhalt ist jedoch nicht mit einer Erosion des Normalarbeitsverhältnisses<br />

gleichzusetzen: Denn einerseits<br />

kann gezeigt werden, dass die absolute Zahl von Normalarbeitsverhältnissen<br />

in den vergangenen 30 Jahren stabil<br />

geblieben ist; andererseits ist gleichzeitig die absolute<br />

Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse deutlich<br />

gestiegen, weshalb insgesamt der Anteil von Normalarbeitsverhältnissen<br />

kontinuierlich zurückgegangen ist<br />

(Hacket u.a. 2001, Schmidt 2000). Diese Befunde zeigen<br />

zunächst, dass sich neben den „normalen“ Formen abhängiger<br />

Erwerbstätigkeit, die es vor allem in den industriellen<br />

Bereichen und teilweise im Dienstleistungssektor<br />

nach wie vor in hoher Zahl gibt, verschiedene Varianten<br />

befristeter Voll- und Teilzeitbeschäftigungen sowie eine<br />

Vielzahl prekärer Arbeitsverhältnisse entwickelt haben.<br />

Insbesondere an den „Rändern“ der Erwerbsgesellschaft<br />

sind in sozialer Hinsicht derartig unsichere Beschäftigungsformen<br />

entstanden. Zusätzlich haben sich im Bereich<br />

der selbständigen und freiberuflichen Erwerbstätigkeit<br />

zunehmend projektförmige Arbeitsstrukturen,<br />

kooperierende Netzwerke, Mikro- und Solounternehmen<br />

(vgl. Malone/Laubacher 1999) herausgebildet. Somit<br />

kann von einer Pluralisierung der Erwerbsformen gesprochen<br />

werden, und es ist denkbar, dass zukünftig die abhängige<br />

Erwerbsarbeit in Form der Lohnarbeit nicht mehr<br />

1 Sondervotum des Abg. Gerhard Schüßler (FDP) und des sachverständigen<br />

Mitglieds Rupert Graf Strachwitz: Die hier dargestellte<br />

Aussage ist bestreitbar. Das Volumen der Erwerbsarbeit ist<br />

weder objektiv vorgegeben noch gesetzmäßig tendenziell abnehmend.<br />

Das tatsächliche Volumen ist im Ergebnis davon abhängig, zu<br />

welchen Konditionen Arbeit auf dem Arbeitsmarkt angeboten und zu<br />

welchen Konditionen sie nachgefragt wird. In Deutschland ist die<br />

Arbeit auf Grund der hohen Lohnnebenkosten und der starken Regulierungen<br />

des Arbeitsmarktes für die Unternehmen vielfach zu<br />

teuer, was zu einer fallenden Nachfrage führt. Die Entwicklung in<br />

anderen Ländern (z.B. Dänemark, Niederlanden, Großbritannien,<br />

USA) zeigt, dass u.a. durch Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und<br />

Reformen der Alterssicherung sowohl die Nachfrage als auch das<br />

Angebot steigt und damit das Volumen der Erwerbsarbeit im Ergebnis<br />

auszuweiten ist.<br />

die dominante Organisationsform gesellschaftlicher Arbeit<br />

darstellt; Strukturen einer Neuen Arbeitsgesellschaft<br />

könnten sich herausbilden (vgl. Mutz 1999; auch Brose<br />

1998, 2000).<br />

Pluralisierung der Erwerbsformen bedeutet jedoch nicht,<br />

dass die Menschen nun nach einem anderen Ideal, wie<br />

etwa der flexibilisierten Projektarbeit oder nach freier Arbeitsgestaltung<br />

streben. Im Gegenteil: Die überwiegende<br />

Mehrzahl der Menschen orientiert sich immer noch am<br />

Leitbild des Normalarbeitsverhältnisses. Das normale<br />

und vor allen Dingen stabile und existenzsichernde Beschäftigungsverhältnis<br />

ist als motivationales Leitbild<br />

weiterhin prägend. Die Menschen bewegen sich in ihren<br />

vertrauten Denkstrukturen, während sich die Arbeitsgesellschaft<br />

längst in großer Schnelligkeit verändert hat. Die<br />

Leitbilder wandeln sich nur langsam und passen sich<br />

neuen Verhältnissen nur zögerlich an.<br />

Die Pluralisierung der Erwerbsformen hat zu Entgrenzungsprozessen<br />

geführt. Entgrenzung bezeichnet einerseits<br />

die Auflösung bisheriger Grenzen; es bedeutet andererseits<br />

aber auch die Herausbildung neuer Differenzierungen, deren<br />

Struktur oft noch nicht erkennbar ist. Mit der Diagnose<br />

der Entgrenzung der Arbeit wird eine Ausweitung der Arbeitsförmigkeit<br />

auf Tätigkeiten beschrieben, die bislang<br />

nicht als Arbeit galten (präzise formuliert geht es um eine<br />

„Laborisierung von Tätigkeiten“: Liessmann 2000). Wenn<br />

beispielsweise von Erziehungs-, Pflege- oder Betreuungsarbeit<br />

gesprochen wird, so deutet dies darauf hin, dass sich<br />

die bislang geltenden Grenzen zwischen Erziehung, Pflege<br />

oder Betreuung und Arbeit verschoben haben. Dies ist auch<br />

der Fall, wenn von „Bürgerarbeit“ als einer neuen Form des<br />

bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s gesprochen wird: Es wird<br />

so getan, als sei bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> lediglich<br />

eine andere Form der Arbeit. Aus dieser Perspektive bedeutet<br />

Entgrenzung der Arbeit, dass die Gesellschaft von<br />

einem „Ende der Arbeitsgesellschaft“ weit entfernt ist. Im<br />

Gegenteil: Die Arbeitsgesellschaft hat sich in unserem Leben<br />

sehr viel stärker durchgesetzt und befindet sich nun in<br />

einem Stadium, in dem nahezu alle Tätigkeiten – angelehnt<br />

an die industrielle Erwerbsarbeit – als Arbeit bezeichnet<br />

werden. Damit ist die Gefahr verbunden, dass bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> immer häufiger einer Nutzenabwägung<br />

und ökonomischen Rationalität unterworfen wird,<br />

die nicht zum Eigensinn des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

passt (vgl. Jakob 2001b).<br />

Vor allem in den 1970er Jahren hat es eine weitere Form<br />

der Entgrenzung gegeben. Ausgelöst durch einen generellen<br />

Professionalisierungsschub hat eine Verberuflichung<br />

insbesondere des sozialen <strong>Engagement</strong>s stattgefunden:<br />

Freiwillige und unentgeltliche Tätigkeiten wurden zunehmend<br />

durch reguläre Beschäftigungsverhältnisse ersetzt –<br />

aus bürgerschaftlichem <strong>Engagement</strong> ist Erwerbsarbeit geworden.<br />

Dies war ein ambivalenter Prozess. Einerseits<br />

wurden somit im Bereich der Sozialen Arbeit zahlreiche<br />

Arbeitsplätze geschaffen, und es wurde ein hoher Professionalisierungsgrad<br />

erreicht. Dieser hat zu einer verlässlichen<br />

Versorgung mit sozialen Dienstleistungen geführt.<br />

Für das bürgerschaftliche <strong>Engagement</strong> waren diese Prozesse<br />

andererseits damit verbunden, dass das freiwillige

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