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Bürgerschaftliches Engagement - CDU Deutschlands

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 25 – Drucksache 14/8900<br />

Subsidiarität bietet für Bürgerinnen und Bürger und für zivilgesellschaftliche<br />

Organisationen die Chance, staatliche<br />

Aufgaben zu übernehmen. Bürgergesellschaft als Leitbild<br />

und Bezugsrahmen verweist auch darauf, dass politische<br />

Gestaltung nicht nur eine Aufgabe von Verwaltung, Staat<br />

und professioneller Politik ist, sondern auch und gerade<br />

eine Angelegenheit der Bürgerinnen und Bürger selbst.<br />

In der Bürgergesellschaft geht es um die Qualität des<br />

sozialen, politischen und kulturellen Zusammenlebens,<br />

um gesellschaftlichen Zusammenhalt und ökologische<br />

Nachhaltigkeit. So verstanden, bildet das bürgerschaftliche<br />

<strong>Engagement</strong> in der Bundesrepublik Deutschland einen<br />

zentralen Eckpfeiler in einer Vision, in der die demokratischen<br />

und sozialen Strukturen durch die aktiv<br />

handelnden, an den gemeinschaftlichen Aufgaben teilnehmenden<br />

Bürgerinnen und Bürger mit Leben erfüllt,<br />

verändert und auf zukünftige gesellschaftliche Bedürfnisse<br />

zugeschnitten werden. Bürgergesellschaft beschreibt<br />

eine gesellschaftliche Lebensform, in der sowohl den bürgerschaftlich<br />

Engagierten als auch ihren vielfältigen Formen<br />

und Vereinigungen mehr Raum für Selbstbestimmung<br />

und Selbstorganisation überlassen wird. Dieses<br />

Modell verlangt auch, dass sich staatliche Institutionen,<br />

Verbände und Wirtschaftsunternehmen so verändern, dass<br />

sie bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> unterstützen, bürgerschaftliche<br />

Verantwortung teilen und mittragen3 .<br />

Für das Zustandekommen von Partnerschaften und Netzwerken<br />

sind eine beteiligungsorientierte Organisationskultur<br />

und Kooperationsbereitschaft entscheidende Faktoren.<br />

Nur wenn Organisationen engagementfreundlich<br />

umgestaltet werden, können die Potenziale der Mitwirkung<br />

und des <strong>Engagement</strong>s freigesetzt werden.<br />

Da bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> auf liberalen, vom<br />

Staat zu gewährleistenden Rechtspositionen basiert und<br />

die Bürgergesellschaft ohne staatliche Rahmensetzung<br />

nicht auskommt, richtet sich der Blick auch auf eine sich<br />

verändernde Staatlichkeit. Diese Veränderung wird in den<br />

letzten Jahren unter den Begriffen „ermöglichender“, „ermunternder“<br />

oder „aktivierender Staat“ diskutiert. Mit<br />

diesen Begriffen sind unterschiedliche Verständnisse der<br />

Wechselbeziehung von Bürgergesellschaft und Staat ausgedrückt.<br />

Mit Aktivierung ist die Vorstellung verbunden,<br />

3 Sondervotum des sachverständigen Mitglieds Rupert Graf<br />

Strachwitz: Die Begriffe Bürgergesellschaft und Zivilgesellschaft<br />

dürfen nicht synonym verwendet werden, wie dies der Bericht in der<br />

Folge auch vermeidet. Die Diskussion um diese Begriffe ist zwar<br />

noch im Fluss, aber es schält sich in der Wissenschaft ein unterscheidbarer<br />

Gebrauch heraus. Während Bürgergesellschaft die Vision<br />

einer Gesellschaft beschreibt, in der Bürgerinnen und Bürger ihre<br />

Rechte und Pflichten im Sinne von citoyens voll ausleben können,<br />

kennzeichnet der Begriff Zivilgesellschaft den Ausschnitt der gesellschaftlichen<br />

Wirklichkeit, der die selbstermächtigten, selbstorganisierten<br />

und selbstverantwortlichen Tätigkeiten und Körperschaften<br />

beinhaltet. Nur so ist die internationale Diskussion um civil society<br />

– gebraucht als englische Übersetzung von Zivilgesellschaft – verständlich.<br />

Bürgergesellschaft ist nicht Zustands- oder Lebensumstandsbeschreibung,<br />

sondern die Vision einer Gesellschaftsverfassung als Gegenmodell<br />

zum gegenwärtigen Versorgungs- und Verwaltungsstaat. Leitidee<br />

einer bürgerschaftlichen Vision ist aus liberaler Sicht die<br />

gesellschaftliche Selbstorganisation.<br />

Menschen in die Lage zu versetzen, eigene Bedürfnisse<br />

zu artikulieren und an ihrer Befriedigung mitzuwirken.<br />

Aktive Bürger brauchen einen aktiven Staat4 . Der aktivierende<br />

Staat schafft bessere Zugangschancen für Benachteiligte<br />

und kann so Ungleichheit abbauen. Der Begriff<br />

„aktivierender Staat“ impliziert jedoch nicht, dass der<br />

Staat die Bürgergesellschaft als Objekt betrachtet und<br />

instrumentalisiert, dass dem aktivierenden Staat die Vorstellung<br />

einer überwiegend passiven Gesellschaft zugrunde<br />

liegt.<br />

Mit dem Begriff „ermöglichender Staat“ wird ein Staat<br />

bezeichnet, der Gelegenheitsstrukturen für <strong>Engagement</strong><br />

schafft und der Bürgergesellschaft Gestaltungsräume öffnet.<br />

Er ermöglicht die Selbstorganisation und die Eigenverantwortlichkeit<br />

der Bürgergesellschaft und lässt damit<br />

soziales Kapital zur Entfaltung kommen. Wird aber der<br />

ermöglichende Staat nur als ein Angebotsstaat betrachtet,<br />

dann ist es ihm gleichgültig, ob seine „Gelegenheitsstrukturen“<br />

angenommen werden oder nicht. Mit ermöglichender<br />

Staat ist mehr gemeint als bloß „schlanker Staat“, der<br />

sich lediglich selbst zurücknimmt, um eine sich selbst regulierende<br />

Gesellschaft von Bürgerinnen und Bürgern zur<br />

Entfaltung kommen zu lassen.<br />

Weiterführend sind vielmehr solche Konzepte eines „aktivierenden“<br />

oder „ermöglichenden“ Staates, die von einer<br />

gleichberechtigten Wechselbeziehung eines aktivierenden,<br />

ermöglichenden Staates und einer aktiven und<br />

Verantwortung übernehmenden Bürgergesellschaft ausgehen.<br />

Damit ist aber mehr gemeint als nur Chancen für<br />

bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> zu eröffnen. Ermöglichen<br />

wird durch Aktivieren ergänzt: Teilhabechancen sollen<br />

auch genutzt werden. Mit diesem Begriff kann die Rolle<br />

des ermöglichenden Staates in der Bürgergesellschaft –<br />

die Förderung und Ermunterung selbstbestimmter Handlungsformen,<br />

die Übernahme von Verantwortung durch<br />

die Einzelnen und von Organisationen – in seinen unterschiedlichen<br />

Dimensionen beschrieben werden. Dieser<br />

Begriff entspricht auch mehr der Vorstellung der Bürgerinnen<br />

und Bürger als Mitglieder eines Gemeinwesens,<br />

die sich von Tugenden wie Gemeinsinn, Solidarität und<br />

Verantwortungsbereitschaft leiten lassen. Verbunden damit<br />

ist auch eine neue Aufgabenteilung zwischen Staat<br />

und Bürgergesellschaft. Beide sollen bei der Erledigung<br />

öffentlicher Aufgaben eng zusammenarbeiten. Für den ermöglichenden<br />

Staat bedeutet diese aktive Gestaltung der<br />

Zusammenarbeit eine neue Form der Teilung und Stufung<br />

der Verantwortung.<br />

4 Sondervotum des sachverständigen Mitglieds Prof. Dr. Roland<br />

Roth: Mit dem insgesamt heterogenen Konzept des „aktivierenden<br />

Staates“ (Lamping u.a. 2002) werden oft Vorstellungen verbunden,<br />

die das Gegenteil von freiwilligem Bürgerengagement bedeuten. Dies<br />

gilt besonders für neue Formen des Arbeitszwangs und schlecht bezahlter<br />

Arbeit für die Bezieher sozialer Transferleistungen, die mit der<br />

Parole „fordern und fördern“ „aktiviert“ werden sollen. Solche international<br />

populären „workfare“-Strategien (Peck 2001) konzentrieren<br />

sich auf arme und arbeitslose Bevölkerungsgruppen. „Aktivieren“<br />

heißt dabei nicht selten, dass die sozialen und zivilen Bürgerrechte der<br />

Betroffenen durch verstärkten staatlichen Zwang ausgehöhlt werden.<br />

Als „Bürger zweiter Klasse“ sind sie damit faktisch aus der Bürgergesellschaft<br />

ausgeschlossen. Wer solche diskriminierenden Formen<br />

staatlicher Aktiviverung nicht will, sollte den Begriff „aktivierender<br />

Staat“ meiden.

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