Bürgerschaftliches Engagement - CDU Deutschlands
Bürgerschaftliches Engagement - CDU Deutschlands
Bürgerschaftliches Engagement - CDU Deutschlands
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 47 – Drucksache 14/8900<br />
lich in sozialen Rechten und institutionell im wohlfahrtsstaatlichen<br />
Arrangement aus. Dieses wohlfahrtsstaatliche<br />
Arrangement gerät heute – aus verschiedenen Gründen –<br />
an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Wenn die Bürgerinnen<br />
und Bürger dem Sozialstaat als Klientinnen und<br />
Klienten gegenüberstehen, gibt es nur für ein soziales,<br />
aber unpolitisches <strong>Engagement</strong> Raum, z.B. im Bereich<br />
der sozialen Fürsorge. Hier wird ein neues staatliches<br />
Handeln notwendig, indem er als ermöglichender Staat<br />
differenziert auf die zivilgesellschaftlichen Potenziale<br />
und Eigenheiten eingeht. Die Bedeutung des bürgerschaftlichen<br />
<strong>Engagement</strong>s wird für den Sozialstaat neu<br />
entdeckt:<br />
– In der Diskussion um die Bürgergesellschaft als Gemeinwesen,<br />
in dem sich die Bürgerinnen und Bürger<br />
individuell und kollektiv an der Gestaltung des Sozialen<br />
beteiligen, gewinnt das Subsidiaritätsprinzip im<br />
Sinne einer „gelebten Subsidiarität“ ein neues Gewicht.<br />
– Die demokratische Frage – Mitbestimmung und Mitgestaltung<br />
– ist eng mit der sozialen Frage verbunden.<br />
Es müssen bestimmte Mindestbedingungen erfüllt<br />
sein, damit sich die Bürgerinnen und Bürger engagieren.<br />
Sozialpolitik wird zu einer „bürgerschaftlichen<br />
Gemeinschaftsaufgabe“ (Frankenberg 1996: 202).<br />
– Die Diskussion um die „Krise des Sozialstaates“ wird<br />
meist als Finanzkrise, als Überbeanspruchung des<br />
Staates verstanden. <strong>Bürgerschaftliches</strong> <strong>Engagement</strong><br />
wird in diesem Zusammenhang als Lückenfüller oder<br />
Einsparpotenzial ins Spiel gebracht – eine Indienstnahme,<br />
die bei vielen im sozialen Bereich Tätigen<br />
Misstrauen schafft. Dabei gelangt der Sozialstaat nicht<br />
nur an quantitative, sondern auch an qualitative Grenzen<br />
einer professionellen, nicht selten anonymen Versorgung<br />
mit personenbezogenen Dienstleistungen. In<br />
der Diskussion um die Qualität von Sozialpolitik ist<br />
bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> kein preiswerter Ersatz<br />
für nicht mehr finanzierbare Leistungen, sondern<br />
bringt seine eigene Produktivität in die Verbesserung<br />
der Qualität von Pflege und Jugendhilfe, von Kinderbetreuung<br />
und Schule ein.<br />
– Die Diskussion um den ermöglichenden Staat, in der<br />
es um eine Neubestimmung des kooperativen Verhältnisses<br />
zwischen dem Staat und den Einzelnen geht,<br />
stützt sich in zweierlei Hinsicht auf Beiträge aus bürgerschaftlichem<br />
<strong>Engagement</strong>: Bürgerinnen und Bürger<br />
sollen sich an politischen Entscheidungen beteiligen,<br />
aber auch bei der Erbringung von Leistungen<br />
mitwirken. Auch in diesem Zusammenhang ist bürgerschaftliches<br />
<strong>Engagement</strong> eine eigenständige, gesellschaftlich<br />
produktive Tätigkeit.<br />
Eine verbreitete Schlussfolgerung aus den Problemen des<br />
Sozialstaats ist die Rücknahme staatlicher Verantwortung<br />
zugunsten von Marktprozessen. Die Betrachtung des<br />
Sozialstaats aus der Perspektive bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />
zeigt eine Alternative auf: <strong>Bürgerschaftliches</strong><br />
<strong>Engagement</strong> ist die lebendige Seite des Sozialstaats.<br />
Bürgerinnen und Bürger erscheinen als kooperative<br />
Mitgestalterinnen und Mitgestalter sozialstaatlicher Leistungen.<br />
In dieser Konzeption ist der Sozialstaat nicht mehr umfassender<br />
Versorgungsstaat, sondern kooperativer Partner im<br />
Rahmen eines „Wohlfahrtspluralismus“ (Evers/Olk 1996),<br />
gekennzeichnet von einer „gemischten Wohlfahrtsproduktion“<br />
(Kaufmann 1994). Dabei steht nicht die individuelle<br />
Eigenbeteiligung wie im Marktmodell sozialer<br />
Versorgung im Mittelpunkt, sondern die Leistungen – und<br />
die sozialpolitische Unterstützung – von Netzwerken und<br />
selbstorganisierten Zusammenschlüssen. Diejenigen, die<br />
auf diese Ressourcen nicht zurückgreifen können, bleiben<br />
jedoch weiterhin auf den Sozialstaat angewiesen, der aus<br />
seiner Verantwortung für Sicherheit, Teilhabe und Integration<br />
somit keineswegs entlassen wird.<br />
<strong>Bürgerschaftliches</strong> <strong>Engagement</strong> als lebendige Seite des<br />
Sozialstaates benötigt Handlungsräume, Gestaltungsrechte<br />
und Akzeptanz, die in der Tradition des Sozialstaats<br />
als „väterlicher Versorgungsstaat“ erst aufgebaut werden<br />
müssen. Sozialstaatliche Institutionen fühlen sich in ihrer<br />
Funktionsweise durch bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />
häufig eher gestört als gestärkt. Die sozialstaatlichen Institutionen<br />
müssen sich gegenüber den Bürgerinnen und<br />
Bürgern öffnen und deren Beteiligung möglich machen,<br />
aber auch einfordern. Im Rahmen der Modernisierung<br />
sozialstaatlicher Institutionen ist dies ein notwendiger<br />
Aspekt des Umgestaltungsbedarfs.<br />
<strong>Bürgerschaftliches</strong> <strong>Engagement</strong> entfaltet sich in Netzwerken,<br />
vor allem auf lokaler Ebene. Eine Sozialpolitik,<br />
die das Potenzial bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s für Bereiche<br />
wie Schule, Gesundheit und Stadtentwicklung<br />
nutzbar machen will, wird den Aufbau von Netzwerken<br />
und Kooperationsstrukturen auf kommunaler Ebene unterstützen.<br />
Erst durch diese Ermöglichung bekommt Subsidiarität<br />
konkrete Gestalt und Leistungsfähigkeit.<br />
Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an sozialen<br />
Leistungen wird ohne Mitwirkungsrechte nicht zu<br />
verwirklichen sein. Hier liegt eine Verbindung zwischen<br />
Bürgergesellschaft und Sozialstaat. Mitverantwortung,<br />
Mitsprache und Mitgestaltung bedingen sich gegenseitig.<br />
Auch der Sozialstaat ist in der Bürgergesellschaft ein<br />
ermöglichender Staat. Er ist nicht frei von seiner Verantwortung<br />
für soziale Sicherung und Integration, denn soziale<br />
Sicherheit ist eine Voraussetzung für bürgerschaftliches<br />
<strong>Engagement</strong>. Vielmehr wird die Gestaltung des<br />
Sozialen zur kooperativen Aufgabe von Bürgerinnen und<br />
Bürgern, gesellschaftlichen Organisationen, Wirtschaftsunternehmen<br />
und dem Staat. In diesem Kooperationsverhältnis<br />
sind alle Beteiligten Partner. Alle tragen Verantwortung,<br />
wobei die jeweiligen Rollen bei der Produktion<br />
öffentlicher Güter immer wieder in Aushandlungsprozessen<br />
bestimmt werden müssen.<br />
Vier Querschnittsdimensionen<br />
Alle bestehenden gesellschaftlichen Regelungen sind Ergebnis<br />
historischer Entwicklungen. Die Traditionslinien<br />
in den Bereichen der Bürgergesellschaft, der Erwerbsarbeit<br />
und des Sozialstaats, wie sie eben kurz skizziert wurden,<br />
haben in mancherlei Hinsicht zu Benachteiligungen<br />
und Ausschlüssen geführt: