Bürgerschaftliches Engagement - CDU Deutschlands
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 35 – Drucksache 14/8900<br />
Jürgen Habermas hat in seinen Schriften ein Modell<br />
deliberativer Öffentlichkeit entworfen, das den zivilgesellschaftlichen<br />
Erfordernissen entgegenkommt (vgl.<br />
Habermas 1992). Deliberative Öffentlichkeit bedeutet,<br />
dass sich Bürgerinnen und Bürger in zivilgesellschaftlichen<br />
Foren argumentativ zu bestimmten Themen und<br />
Sachfragen begegnen. Aktive Bürgerinnen und Bürger<br />
benötigen mehr als nur Informationen. Sie verlangen auch<br />
nach Möglichkeiten, sich mit ihren Argumenten und Erfahrungen<br />
in der Öffentlichkeit bemerkbar machen zu<br />
können. Das Modell der deliberativen Öffentlichkeit sieht<br />
mehr Sprecher vor als nur die Massenmedien. In ihr können<br />
sich auch bürgerschaftlich Engagierte und zivilgesellschaftliche<br />
Vereinigungen zu Wort melden und ihre<br />
Anliegen und Interessen vertreten. Als wichtigstes Kennzeichen<br />
dieser deliberativen Öffentlichkeit hat Habermas<br />
das Kriterium der Diskursivität genannt. Diskursivität bedeutet,<br />
dass für Aussagen Gründe benannt werden und<br />
dialogische Verfahren eingehalten werden. Während im<br />
Repräsentativmodell eher die politischen Eliten und die<br />
gewählten Repräsentanten zu Wort kommen, umschließt<br />
das deliberative Modell auch die Gruppierungen der Bürgergesellschaft.<br />
In vielen Fällen – gerade im Bereich des politisch-sozialen<br />
<strong>Engagement</strong>s – schaffen bürgerschaftlich Engagierte<br />
durch ihr Handeln erst Öffentlichkeit. Durch Protestaktionen,<br />
Versammlungen, Kundgebungen, Unterschriftensammlungen<br />
etc. wird ein öffentlicher Raum geschaffen,<br />
in dem vielfältige Stimmen und Argumente<br />
wahrnehmbar werden können. Vielfach werden dadurch<br />
neue, drängende Themen erst auf die Agenda gesetzt und<br />
es kann sich beispielsweise eine Streitkultur entfalten, in<br />
der bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> auf seine Gemeinwohlbezüge<br />
hin befragt werden kann.<br />
Unzivile Formen der Bürgergesellschaft<br />
Es gibt auch unzivile Formen des <strong>Engagement</strong>s. Helmut<br />
Dubiel unterscheidet vier Grundformen unziviler Gesellschaft:<br />
Despotismus/Totalitarismus, Korruption, ethnozentrischer<br />
Nationalismus und Barbarei (vgl. Dubiel 2001;<br />
Keane 1998). Hinzu kommen politisch und religiös motivierter<br />
Fundamentalismus, Gewaltbereitschaft, Intoleranz<br />
und viele Formen der sozialen und politischen Ausgrenzung.<br />
Diese unzivilen Formen missbrauchen die Möglichkeiten<br />
der Bürgergesellschaft und bekämpfen ihre<br />
Prinzipien. Sie beanspruchen dabei, Teil der Vielfalt des<br />
bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s zu sein. Der Begriff der<br />
Bürgergesellschaft weist jedoch nicht nur auf die Vielfalt<br />
der <strong>Engagement</strong>formen hin, die ein Gemeinwesen erst<br />
lebendig werden lassen. Er enthält zugleich einen normativen<br />
Anspruch, mit dem unzivile Formen des <strong>Engagement</strong>s<br />
kenntlich gemacht werden können. Unzivile Formen<br />
des <strong>Engagement</strong>s verstoßen gegen die Prinzipien der<br />
Öffentlichkeit, der Transparenz, der Achtung der Menschenwürde,<br />
der Toleranz, der Meinungsfreiheit, der<br />
Gleichheit, der Solidarität und der Gewaltlosigkeit. Diese<br />
und andere Prinzipien – Rechtsstaatlichkeit, Verfassung,<br />
Demokratie, Sozialstaat – kennzeichnen seit mehr als<br />
zwei Jahrhunderten die politische Ordnung der west-<br />
lichen Demokratien13 . Auf diesen Prinzipien beruht auch<br />
die Bürgergesellschaft.<br />
Zweifellos ist die Bürgergesellschaft heute bereits ein<br />
Stück weit Wirklichkeit, wie die Vielzahl der Engagierten<br />
und die Vielfalt der organisatorischen Formen des <strong>Engagement</strong>s<br />
zeigen. Sie stellt aber die dauerhafte Aufgabe, stets<br />
ihre Gefährdung sensibel wahrzunehmen und sich gegen<br />
den Mißbrauch ihrer Möglichkeiten zur Wehr zu setzen.<br />
Extremistische Gewalt verfügt auch über „<strong>Engagement</strong>“.<br />
Sie nährt sich durch soziale Netzwerke und bildet „soziales<br />
Kapital“. Mit diesen Formen werden allerdings andere<br />
Bürgerinnen und Bürger ausgeschlossen und öffentliche<br />
Räume zerstört, in denen sich alle ungehindert bewegen<br />
und artikulieren können. So sprechen z.B. rechtsextremistische<br />
Gruppen ihren politischen Gegnern vielfach die<br />
Bürgerrechte ab. Sie nutzen das <strong>Engagement</strong>, um soziale<br />
Kontrolle und latente offene Gewalt gegenüber bestimmten<br />
Gruppen der Bevölkerung auszuüben.<br />
Auch Korruption nutzt soziale Netzwerke. Bei Korruption<br />
wird öffentliche oder anvertraute Macht für privaten<br />
Nutzen missbraucht. Absprachen werden mündlich getroffen,<br />
Schmiergelder bar übergeben und die Beteiligten<br />
vereinbaren Verschwiegenheit. Korruption ist vor allem<br />
in den Sektoren anzutreffen, in denen öffentliche Aufträge,<br />
Konzessionen, Genehmigungen und Erlaubnisse<br />
vergeben oder politische Entscheidungen getroffen werden.<br />
Dort vollzieht sich die Vorteilsnahme der Mitglieder<br />
der korrupten sozialen Netze meist zu Lasten Dritter, der<br />
Steuer- und Gebührenzahler. Korruption verletzt das Gebot<br />
der Transparenz und der sparsamen Mittelverwendung.<br />
Nicht zuletzt ist in der Geschichte der Bundesrepublik<br />
Deutschland Korruption im Zusammenhang mit der<br />
Finanzierung von Parteien aufgetreten14 . Mit korrupten<br />
13 Sondervotum des sachverständigen Mitglieds Prof. Dr. Roland<br />
Roth: Diese Aussage ist, wird sie beschreibend verstanden, unzutreffend.<br />
Da sich Deutschland nach dem Intermezzo der Weimarer Republik<br />
erst nach dem Zweiten Weltkrieg bzw. dem Ende der DDR im<br />
Kreise der westlichen Demokratien befindet, kann seine Geschichte<br />
besonders für potenzielle und aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen<br />
in westlichen Demokratien sensibilisieren, die demokratisch bürgerrechtliche<br />
Normen verletzen. Bürgergesellschaft meint im historischen<br />
Rückblick und angesichts gegenwärtiger Entwicklungen noch<br />
stets einen Sollzustand, der in der Verfassungswirklichkeit mehr oder<br />
weniger unterschritten wurde bzw. wird. Quellen unziviler Entwicklungen<br />
liegen dabei nicht nur in der Zivilgesellschaft selbst, sondern<br />
auch in der Dynamik „kreativer Selbstzerstörung“ kapitalistisch verfasster<br />
Ökonomien und der Staatsgewalt, deren bürgerrechtliche Zivilisierung<br />
keineswegs garantiert ist: „Wie der allmähliche Abbau der<br />
verfassungsmäßigen Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland<br />
zeigt, sind sie auch beim demokratischen Staat, dem das Grundgesetz<br />
ihre Garantie anvertraut, keineswegs in den besten Händen“<br />
(Reinhard 2000: 479).<br />
14 Sondervotum des sachverständigen Mitglieds Prof. Dr. Roland<br />
Roth: Die Suche nach einer demokratischen Normen entsprechenden<br />
Parteienfinanzierung und die Skandalierung von mehr oder weniger<br />
systematischen Verstößen gegen jeweils geltende Parteiengesetze<br />
sind ein Dauerthema in der politischen Kultur der Bundesrepublik<br />
Deutschland. Wir verdanken ihr Begriffe wie „Spendenwaschanlage“,<br />
„politische Landschaftspflege“, „System Kohl“, „Kölner Klüngel“<br />
und Einblicke in grenzüberschreitende organisierte Kriminalität,<br />
aber auch eine gesteigerte Parteienverdrossenheit.