Bürgerschaftliches Engagement - CDU Deutschlands
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37 – Drucksache 14/8900<br />
wird die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der<br />
Gesellschaftsgestaltung „zuallererst aus dem Blickwinkel<br />
ihres Nutzens für je unterschiedliche Ziele und Präferenzen“<br />
(Evers 1999: 54) thematisiert. Individuen engagieren<br />
sich in diesem Verständnis entweder aufgrund von subjektiven<br />
Kosten-Nutzen-Kalkülen oder zur individuellen<br />
Sinngebung und persönlichen Befriedigung. Dass die<br />
Geltung allgemein geteilter Vorstellungen vom Guten entsprechende<br />
sozialmoralische Normen und Pflichten auch<br />
gegenüber der Gesellschaft nach sich zieht, wird in diesem<br />
Diskurs, der Individualisierung gerade als Freisetzung<br />
von Bindungen begrüßt, sehr kritisch betrachtet.<br />
Im liberal-individualistischen Diskurs wird die Bürgerschaft<br />
stärker als grundrechtlich gesicherte Verbindung<br />
von Individuen und Gruppen verstanden, die jeweils ihre<br />
Interessen verfolgen, dies aber durchaus verantwortlich<br />
im Hinblick auf das gemeine Wohl. Der Begriff des aufgeklärten<br />
Eigeninteresses steht daher im Mittelpunkt einer<br />
liberalen Konzeption der Bürgerschaft.<br />
Aus der Perspektive einer „modernen liberalen Gesellschaft“<br />
erscheinen viele Formen des <strong>Engagement</strong>s in Gemeinschaften<br />
und spezifischen Milieus eher als Relikt<br />
früherer Gesellschaftsverhältnisse, und man ist äußerst<br />
skeptisch gegenüber jeder Verpflichtung, die dem Einzelnen<br />
jenseits von Gesetzestreue und Steuerpflicht vom politischen<br />
Gemeinwesen auferlegt wird. <strong>Engagement</strong> sollte<br />
unbedingt freiwillig sein, eine Sache individueller Entscheidungen<br />
und Präferenzen bleiben. Der liberale Diskurs<br />
lehnt verpflichtende Anforderungen von Staat und<br />
Politik an die Bürgerinnen und Bürger – z.B. ein soziales<br />
Pflichtjahr – eher ab. Die Betonung der Freiwilligkeit und<br />
der Pluralismus sind – neben der Garantie individueller<br />
Grundrechte – der spezifische Beitrag des liberalen Denkens<br />
zum Verständnis bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s.<br />
Im republikanischen Diskurs dagegen stehen die Begriffe<br />
Gemeinwohl und Bürgersinn im Mittelpunkt. <strong>Bürgerschaftliches</strong><br />
<strong>Engagement</strong> wird hier als Bestandteil politischer<br />
Handlungsfreiheit im Gemeinwesen verstanden.<br />
Damit verbunden sind Anforderungen an die Handlungsbereitschaft<br />
und -kompetenz der Individuen, die über die<br />
liberalen Anforderungen hinausgehen. In diesem Diskurs<br />
werden auch Fragen der Beteiligungsmöglichkeiten von<br />
Organisationen diskutiert und in der politischen Kultur<br />
verbindende Wert- und Pflichtmotive gesucht, die <strong>Engagement</strong>bereitschaft<br />
erzeugen und stabilisieren (vgl.<br />
Evers 2000b: 31ff.). In diesem Diskurs geht es einerseits<br />
um <strong>Engagement</strong> im Rahmen von Gemeinschaften und<br />
freiwilligen Zusammenschlüssen, denen die Individuen<br />
angehören, andererseits um das politische Gemeinwesen.<br />
Gemeinsinn und Gemeinwohlorientierung als Ausdruck<br />
bürgerschaftlicher Zugehörigkeit können dabei unterschiedlich<br />
stark akzentuiert werden. Sie können unmittelbar<br />
in die Gestaltung bürgerschaftlicher Belange eingehen,<br />
aber auch mittelbar als Korrektiv bei der Vertretung<br />
von Einzel- oder Gruppeninteressen wirksam werden.<br />
Verfolgt man die Wurzeln und Traditionen des politischen<br />
und sozialen Denkens, die den Begriff der „Bürgerschaft“<br />
besonders stark besetzen, so findet man vor allem „kommunitaristisch“<br />
und „republikanisch“ geprägte Auffassungen.<br />
Im kommunitaristischen Diskurs stehen die vielen kleinen<br />
Gemeinschaften im Mittelpunkt, die ihren Zusammenhalt<br />
in ethischen und religiösen Überzeugungen finden.<br />
Die kommunitaristische Sichtweise betont vor allem<br />
die gemeinschaftlichen Bindungen, das, was der Einzelne<br />
den jeweiligen Gemeinschaften schuldet, in denen er<br />
heranreift und lebt. <strong>Engagement</strong> ist hier eine selbstverständliche<br />
Verpflichtung im Rahmen der Familie und<br />
Verwandtschaft, der kulturellen Gemeinschaft, der Nachbarschaft<br />
oder der Schule. Das kommunitaristische Gesellschaftskonzept<br />
betont das Recht auf kulturellen<br />
Schutz und Autonomie der Gemeinschaften, die den Regenerationsraum<br />
der politischen Gesellschaft bilden.<br />
Die heute stark von angelsächsischen Beiträgen<br />
(Pocock 1975; Pettit 1997), in der Bundesrepublik<br />
Deutschland von Hannah Arendt (1958) und heute von<br />
Herfried Münkler (Röhr 2001) geprägte Theorietradition<br />
des Republikanismus stellt demgegenüber die politische<br />
Gemeinschaft in den Vordergrund, die sich den unterschiedlichen<br />
Lebenskonzeptionen und Bekenntnissen gegenüber<br />
möglichst neutral verhält. Hier geht es primär um<br />
politische Werte und Tugenden. Im politischen Gemeinwesen,<br />
wie es sich beispielsweise in den antiken Stadtstaaten<br />
oder den Stadtrepubliken Italiens entwickelt hat,<br />
werden Politik und Verantwortung für das Gemeinwohl<br />
nicht vorrangig mit Staatlichkeit identifiziert, sondern<br />
gelten als Produkt der Teilhabe aller Gesellschaftsmitglieder<br />
als aktive politische Bürger. Stärker als in anderen<br />
Denktraditionen fordert der Republikanismus, Bürgerengagement<br />
als vorrangig gegenüber anderen Loyalitäten<br />
und Mitgliedschaften anzusehen.<br />
Gegenüber liberalen politischen Denktraditionen hat die<br />
republikanische Sichtweise ein anspruchsbestimmtes<br />
Bild von Bürgerinnen und Bürgern als handelnden Mitgliedern<br />
eines politischen Gemeinwesens. Nach dieser<br />
Auffassung sollten sie nicht nur Rechte, sondern auch Tugenden<br />
und Pflichten kennen, akzeptieren und erlernen –<br />
auf dem Wege des <strong>Engagement</strong>s in Nahbereichen, aber<br />
auch in der lokalen und ‚großen‘ Politik.<br />
Im Mittelpunkt eines republikanisch-kommunitaristischen<br />
Konzeptes von Bürgerschaft steht eine – ebenfalls<br />
grundrechtlich abgesicherte – stärker wertorientierte politische<br />
Gemeinschaft. Dies ist insofern bedeutsam, weil<br />
hier Werte wie Solidarität oder gar bestimmte Auffassungen<br />
des „guten Lebens“ verbindlich werden können. Solche<br />
Wertorientierungen können sich auch in einer Hochschätzung<br />
bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s ausdrücken.<br />
Vor dem Hintergrund beider Diskurse ist die Betonung<br />
bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s mehr als eine Anpassung<br />
an einen Trend. Es kommt darin zum Ausdruck, dass<br />
<strong>Engagement</strong> über individuelle Lebensstilentwürfe hinaus<br />
als wichtiger Aspekt des gesellschaftlichen Wertekanons<br />
angesehen wird. Aus einem kommunitaristisch-republikanischen<br />
Verständnis heraus ist es zudem legitim, dass<br />
die Bürgerschaft in Gestalt ihrer politischen Vertretung<br />
Ansprüche an Beteiligung formuliert, die vom Einzelnen<br />
durchaus auch als Zumutung erfahren werden können.<br />
Im „arbeitsgesellschaftlichen Diskurs“ steht schließlich<br />
nicht das politische Gemeinwesen, sondern das Konzept