Bürgerschaftliches Engagement - CDU Deutschlands
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241 – Drucksache 14/8900<br />
defizite sozialstaatlicher Institutionen verantwortlich zu<br />
machen. Solche Probleme seien durch qualitative Weiterentwicklung<br />
– also etwa durch die Realisierung einer<br />
„bürgernahen Verwaltung“ sowie durch eine stärkere Dezentralisierung<br />
und Kommunalisierung der Leistungserbringung<br />
zu beheben (vgl. hierzu Kaufmann/Forschungsverbund<br />
Bürgernahe Gestaltung der Sozialen<br />
Umwelt 1979).<br />
Hinsichtlich des Verhältnisses von Sozialstaat und bürgerschaftlichem<br />
<strong>Engagement</strong> sind diese Debatten und<br />
Reformbewegungen der 1970er und frühen 1980er Jahre<br />
von erheblicher Bedeutung: Nachdem in früheren Phasen<br />
der sozialstaatlichen Entwicklung alle Reformenergien<br />
auf die Durchsetzung neuer und die Ausweitung<br />
bestehender Leistungen konzentriert worden waren, wurden<br />
nun zum ersten Mal neben den positiven, wohlfahrtssteigernden<br />
auch die negativen Wirkungen sozialstaatlichen<br />
Handelns erkennbar. Damit wurde es auch<br />
möglich und erforderlich, die Rolle des Nutzers, Kunden<br />
bzw. Empfängers sozialpolitischer Leistungen neu zu<br />
thematisieren. Ausgehend von der grundlegenden Einsicht,<br />
dass bei der Erbringung personenbezogener sozialer<br />
Dienstleistungen der Nutzer bzw. Konsument nicht<br />
lediglich ein passiver Empfänger, sondern vielmehr ein<br />
aktiver Koproduzent der Leistung ist, wird nun die besondere<br />
Bedeutung der Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie<br />
Dispositionen potenzieller Leistungsempfänger für<br />
die Produktivität sozialpolitischer Leistungen erkennbar.<br />
Wenn aber der Adressat einer sozialpolitischen Leistung<br />
zu einer wichtigen „Produktivitätsreserve“ wird, dann<br />
kommt es darauf an, bei der Ausgestaltung sozialer<br />
Dienste und Einrichtungen die Motivationen, Eigenbeiträge,<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten potenzieller<br />
Adressaten und Nutzer durch geeignete Rahmenbedingungen<br />
zu berücksichtigen und zu stärken. An diese<br />
– zunächst theoretische – Einsicht schließen sich in<br />
den Folgejahrzehnten vielfältige Bemühungen an, die<br />
„Macht der Konsumenten“ sozialpolitischer Leistungen<br />
in Klienten- und Patientenrechtsorganisationen zu organisieren<br />
sowie den Gedanken des Verbraucher- bzw.<br />
Konsumentenschutzes in neuer Weise in die Ausgestaltung<br />
des sozialpolitischen Leistungssystems einzubringen.<br />
Auch basieren letztlich alle Bemühungen und<br />
Reformbestrebungen, die Selbsthilfefähigkeiten, Leistungsbeiträge<br />
und <strong>Engagement</strong>motive der Bürgerinnen<br />
und Bürger zur qualitativen Verbesserung der Leistungen<br />
zu nutzen, auf diesem Koproduktionstheorem.<br />
Dennoch ist auffällig, dass es trotz solcher Einsichten und<br />
Befunde weder der Selbsthilfebewegung noch der alternativen<br />
Initiativen- und Projekteszene bis heute gelungen<br />
ist, dass bestehende System bürokratisierter und professionalisierter<br />
Leistungserbringung in Richtung einer Stärkung<br />
von Klienten- bzw. Patientenrechten und des Einbaus<br />
des Selbsthilfegedankens spürbar zu verändern.<br />
Letztlich wurde den vielfältigen neuen Spielarten einer<br />
selbstorganisierten sozialen Aktion bestenfalls ein Platz<br />
an den Rändern und in den Nischen des bestehenden sozialpolitischen<br />
Institutionensystems und damit eine marginale<br />
Position zugewiesen.<br />
Die Aufwertung von Markt und Wettbewerb im sozialpolitischen<br />
Institutionensystem<br />
Seitdem haben sich die sozialpolitischen Rahmenbedingungen<br />
für die Vielfalt unterschiedlicher Formen des bürgerschaftlichen<br />
<strong>Engagement</strong>s erneut radikal verändert. Mit<br />
der Ausdehnung sozialpolitischer Institutionen und Leistungen<br />
stieg auch die Sensibilität für die unerwünschten<br />
Folgen dieses sozialpolitischen Arrangements. Der Sozialstaat<br />
wurde zum ersten Mal nicht nur in seiner Eigenschaft<br />
als „Problemlöser“, sondern nun auch in seiner möglichen<br />
Eigenschaft als „Problemerzeuger“ erkannt und kritisiert.<br />
Darüber hinaus trug die anhaltende Massenarbeitslosigkeit<br />
zu wachsenden Ausgabenanforderungen und sinkenden<br />
Einnahmen und damit zu einer Finanzkrise des Sozialstaates<br />
bei, die durch die generelle Knappheit öffentlicher Finanzen<br />
noch gesteigert wurde. In Folge dessen wandelten<br />
sich bereits in den 1980er Jahren in der Bundesrepublik<br />
– wie in vielen anderen westlichen Ländern auch – die vorherrschenden<br />
Leitbilder einer Gesellschafts- und Sozialreform.<br />
Das Leitbild eines umfassenden „Versorgungsstaates“<br />
hatte angesichts der Grenzen staatlichen Handelns und<br />
veränderter finanzieller Handlungsspielräume an Überzeugungskraft<br />
verloren. Konzepte marktorientierten Denkens<br />
waren in allen europäischen Ländern auf dem Vormarsch.<br />
Mit dieser Neubewertung des Marktmechanismus setzte<br />
sich ein „minimalistisches“ Staatsverständnis durch, das<br />
darauf hinauslief, staatliches Handeln auf seine Kernaufgaben<br />
zu beschränken und die Selbstregulierungskräfte des<br />
Marktes zu stärken.<br />
Unter dem Leitkonzept des „schlanken Staates“ wurde zu<br />
Beginn der 1990er Jahre im öffentlichen Sektor mit<br />
der Entwicklung und Erprobung von Modellen einer<br />
– zunächst kommunalen – Verwaltungsreform begonnen<br />
(vgl. Naschhold/Bogumil 2000). Angeleitet durch die<br />
Philosophie des New Public Management wurden betriebswirtschaftliches<br />
Denken in den Bereich der öffentlichen<br />
Verwaltung übertragen und marktähnliche Strukturen<br />
auch innerhalb des professionell-bürokratischen<br />
Leistungssystems verankert. Diese zielten darauf ab,<br />
durch den Einbau marktförmiger Elemente und neuer Anreizstrukturen<br />
in das öffentliche Versorgungssystem Effizienz-<br />
und Qualitätsgewinne zu ermöglichen. Vor dem<br />
Hintergrund eines Aufgabenwandels des Staates sind seitdem<br />
Bestrebungen zu beobachten, im Bereich sozialer<br />
Dienste und Leistungen so genannte Quasi-Märkte einzuführen,<br />
bei denen der Staat soziale Leistungen nicht mehr<br />
selbst erbringt, sondern bei privaten (gemeinnützigen wie<br />
gewinnorientierten) Anbietern einkauft, die miteinander<br />
um die Erteilung staatlicher Aufträge konkurrieren. Darüber<br />
hinaus wird marktorientiertes Denken direkt in den<br />
Wohlfahrtssektor – also sowohl in die Sozialverwaltungen<br />
und öffentlichen Einrichtungen und Dienste als auch<br />
in die Einrichtungen und Strukturen der freien Wohlfahrtspflege<br />
– eingeführt; damit werden die bislang<br />
vorherrschenden administrativen und professionellen<br />
Kulturen durch Unternehmenskulturen überlagert und<br />
verdrängt.<br />
Mit der Einführung marktorientierter Gestaltungsprinzipien<br />
änderte sich auch die Beziehung zwischen öffentlichen und