Bürgerschaftliches Engagement - CDU Deutschlands
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 49 – Drucksache 14/8900<br />
ihrer internen Zusammensetzung auch anwaltschaftliche<br />
Elemente enthalten: Personen mit besonderer politischer<br />
Erfahrung, speziellem Wissen und Organisationsgeschick<br />
helfen die Anliegen der Gruppen zur Sprache zu bringen,<br />
die (noch) daran gehindert sind für sich selbst zu sprechen.<br />
Das können schwache und bedrohte Gruppen sein,<br />
Gruppen von alten Menschen oder Kindern, aber auch<br />
von Diskriminierung betroffene „Randgruppen“.<br />
Zusammengenommen heißt das, die Forderung nach einer<br />
stärkeren Rolle von <strong>Engagement</strong> als gesellschaftlichen<br />
und politischen Bezugswert nicht durch den Verweis auf<br />
soziale Ungleichheiten zu relativieren. Vielmehr soll den<br />
Unterschieden in der Ausstattung mit sozialem Kapital<br />
und in den Zugangsmöglichkeiten zum <strong>Engagement</strong> mehr<br />
Bedeutung zugemessen werden. Diese Unterschiede können<br />
Ausgangspunkt für Strategien zu ihrer Minderung und<br />
Bekämpfung sein. Strategien zur Überwindung von Ungleichheit<br />
im städtischen Raum wären z.B. nicht allein<br />
Konzepte der besseren materiellen Ausstattung „unterprivilegierter“<br />
Gruppen, sondern Ansätze, die es verstehen,<br />
den betreffenden Gruppen mehr individuelles und kollektives<br />
Selbstbewusstsein zurückzugeben. Dies ist soziales<br />
Kapital in Form von Möglichkeiten der Gesellung, der<br />
Organisierung und der sozialen wie politischen Vertretung.<br />
Der oft und gern gebrauchte Begriff der „Hilfe zur<br />
Selbsthilfe“ verweist auf die Strategie, ungleich verteilte<br />
<strong>Engagement</strong>chancen zum Ansatzpunkt für die Thematisierung<br />
und Bekämpfung von Ungleichheit überhaupt zu<br />
machen.<br />
A3. <strong>Bürgerschaftliches</strong> <strong>Engagement</strong>:<br />
Analysen<br />
Die bisherige Analyse des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />
hat dessen Vielfalt empirisch und typologisch<br />
deutlich gemacht und so zu einem weiten und gleichzeitig<br />
qualifizierten Begriff bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />
geführt. In den nun folgenden weiteren analytischen<br />
Blicken auf dieses Phänomen treten gesellschaftliche<br />
Aspekte in den Vordergrund. Dabei werden zunächst<br />
Prozesse des Strukturwandels auf der Makroebene in den<br />
Blick genommen. Eng verbunden damit sind Veränderungen<br />
der Organisationsformen bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />
auf der Mesoebene und – auf der Mikroebene –<br />
Veränderungen der Motive und biografischen Muster der<br />
Engagierten. Diese Veränderungen verweisen auf aktuelle<br />
Herausforderungen für politische Konzeptionen zur Förderung<br />
des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s.<br />
1. Strukturwandel des bürgerschaftlichen<br />
<strong>Engagement</strong>s<br />
Bei der Darstellung der empirischen Befunde ist bereits<br />
deutlich geworden, dass bezüglich der Entwicklung der<br />
Formen und Rahmenbedingungen bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />
in den letzten Jahrzehnten noch Forschungsbedarf<br />
besteht. Ob die neuen Entwicklungen einen<br />
Strukturwandel nahelegen oder eher Trends bezeichnen,<br />
darüber herrscht Uneinigkeit. Die meisten Einschätzungen<br />
stimmen allerdings darin überein, dass es in der Nachkriegszeit<br />
eine Modernisierung des bürgerschaftlichen<br />
<strong>Engagement</strong>s gegeben hat.<br />
Pluralisierung des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s:<br />
Menschen engagieren sich nicht nur im Verband oder<br />
Verein<br />
Ein erster wichtiger Aspekt des Wandels ist, dass sich das<br />
bürgerschaftliche <strong>Engagement</strong> pluralisiert hat. Neben die<br />
klassische Form des Vereins sind andere Formen und Zusammenschlüsse<br />
getreten. Insbesondere in den Bereichen<br />
Ökologie und Kultur, Schule, Kindergarten, Gesundheit,<br />
Geschlecht und sexuelle Ausrichtung sowie im sozialen<br />
Nahbereich (wie z.B. in der Nachbarschaftshilfe) haben<br />
sich neue informelle Formen der Organisation des bürgerschaftlichen<br />
<strong>Engagement</strong>s entwickelt. Hier schaffen<br />
sich Menschen ihre eigenen Strukturen und greifen nicht<br />
auf bestehende Verbände oder Vereine zurück.<br />
Dies bedeutet jedoch keinesfalls eine Verdrängung oder<br />
gar Ablösung ‚alter‘ Organisationsformen des Verbandes<br />
oder Vereins; auch das ‚klassische’ Ehrenamt ist durch<br />
diese Entwicklung kaum zurückgedrängt worden. Die<br />
Pluralisierung deutet allerdings darauf hin, dass eine<br />
Vielzahl neu entstehender Belange nicht durch die alten,<br />
klassischen Strukturen abgedeckt sind oder dass ein <strong>Engagement</strong><br />
in bestehenden Organisationsstrukturen auf<br />
Widerstand stößt. Oft verzichten die Engagierten ganz bewusst<br />
auf die Bildung formaler Strukturen und streben die<br />
größere Flexibilität und die flacheren Hierarchien informeller<br />
Zusammenschlüsse an. Der Strukturwandel erschöpft<br />
sich jedoch nicht in der Entstehung neuer Formen:<br />
Auch das <strong>Engagement</strong> in den Verbänden und Vereinen hat<br />
sich vielfach modernisiert. Traditionelle Organisationen<br />
entwickeln Möglichkeiten der Mitarbeit, die nicht an Mitgliedschaft,<br />
langfristige Verbindlichkeit und Ämterübernahme<br />
gebunden sind. Insofern folgt der Strukturwandel<br />
sowohl den veränderten Bedürfnislagen der Menschen als<br />
auch den gesellschaftlichen Anforderungen einer sich entfaltenden<br />
Bürgergesellschaft.<br />
Informelle Strukturen bieten ein hohes Maß an Beweglichkeit<br />
und Gestaltungsmöglichkeiten. Mit der Pluralisierung<br />
und Ausdifferenzierung der Organisationsformen<br />
des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s erweitert sich also<br />
nicht nur das Spektrum, sondern auch die Gestalt vieler<br />
Organisationsformen. Informelle Strukturen werfen jedoch<br />
ein Problem auf: Die bewusst „andere“ Institutionalisierung<br />
führt dazu, dass diese Formen kaum einer<br />
rechtlichen Regulierung (und damit auch kaum einer steuerlichen<br />
oder haftungsrechtlichen Begünstigung) zugänglich<br />
sind.<br />
Allerdings umfassen informelle Zusammenschlüsse nach<br />
den jüngsten Erhebungen nur etwa 13 % der erfassten<br />
freiwilligen Tätigkeiten (vgl. BMFSFJ 2000). Trotz ihrer<br />
noch geringen quantitativen Ausprägung könnten sie aber<br />
Vorboten einer neuen Zeit sein, in der informelle, individuell<br />
zu gestaltende Strukturen bedeutsamer werden.<br />
Schließlich sehen sich auch die alten Verbände und Vereine<br />
genötigt, sich mit neuen Motiven und Erwartungen<br />
der Engagierten auseinander zu setzen und gegebenenfalls<br />
ihre Organisationsstrukturen im Sinne neuer institutioneller<br />
Passungen zu verändern. Auch wird zu beobachten<br />
sein, ob die auf formale Strukturen abgestellten<br />
rechtlichen Rahmenbedingungen den neuen Anforderungen<br />
noch genügen.