der steirer land
der steirer land
der steirer land
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
28<br />
Johann Orell<br />
„Die Ross san hin“.<br />
„Meine frühe Kindheit verbrachte ich in Wagna“,<br />
beginnt Herr Orell seine Erzählung. „Und dort ereignete sich<br />
auch jene Begebenheit, die ich heute noch genauso vor mir<br />
sehe wie anno dazumal, als ich sie erlebt habe. Ich war damals<br />
gerade in die erste Klasse <strong>der</strong> Volksschule gekommen. Wir<br />
hatten ein Haus in Wagna und meine Mutter betrieb ein kleines<br />
Lebensmittelgeschäft vor <strong>der</strong> Landschabrücke. Es war ein<br />
richtiger kleiner Greislerladen, in dem man alles kaufen konnte,<br />
was man zur damaligen Zeit im Alltagsleben so brauchte. Neben<br />
<strong>der</strong> Greislerei befand sich das Gasthaus Meier, welches damals<br />
ein beliebtes Einkehrgasthaus für Fuhrwerker auf ihrem Weg<br />
Richtung Süden war. Die Straßen waren damals noch nicht<br />
asphaltiert und die Landschabrücke aus Holz. Für mich war es<br />
immer ein Erlebnis, nach <strong>der</strong> Schule bei Mutter im Geschäft<br />
zu sein. Viel gab es da zu tun, war doch die heutige B67 schon<br />
damals eine wichtige Handels- und Reisestraße. Es war auch<br />
jene Zeit, in <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Verkehr langsam zu wandeln begann.<br />
Viele Fuhrwerke waren noch auf <strong>der</strong> Straße zu sehen, aber<br />
auch immer mehr Lastkraftwagen wurden zum Warentransport<br />
verwendet. Und so ein LKW war es auch, <strong>der</strong> eine zentrale Rolle<br />
in meiner Erinnerung spielt.<br />
An jenem Tag spielte und tollte ich vor unserem Geschäft<br />
herum. Ein Fuhrwerker mit seinem Pferdegespann und einem<br />
ordentlichen Wagen dahinter lenkte beim Gasthaus Meier ein um<br />
Rast zu machen. Das Fuhrwerk mit samt den Pferden blieb vor<br />
dem Haus stehen und <strong>der</strong> gute Mann begab sich nach drinnen.<br />
Kurz darauf näherte sich aus Süden kommend ein Lastwagen. Er<br />
donnerte über die Landschabrücke und anstatt auf <strong>der</strong> Straße<br />
zu bleiben, donnerte er in voller Fahrt in das dort stehende<br />
Fuhrwerk. Der fürchterliche Lärm des Zusammenstoßes riss<br />
nicht nur mich aus meinem Spiel son<strong>der</strong>n auch alle Leute im<br />
Gasthaus und in <strong>der</strong> Nachbarschaft aus ihren jeweiligen Beschäftigungen.<br />
Mit voller Wucht hatte <strong>der</strong> Lastwagen sowohl<br />
die beiden Pferde wie auch den Anhänger gerammt. Die Tiere<br />
lagen auf <strong>der</strong> Seite und hun<strong>der</strong>te Holzsplitter von Wagen und<br />
Rä<strong>der</strong>n verstreut umher. Der Schock war allen Anwesenden<br />
einschließlich mir selbst ins Gesicht geschrieben. Viele Leute<br />
liefen zusammen und rangen sich um den Schauplatz. Der<br />
Fahrer stieg kreidebleich aus seinem LKW aus und relativ rasch<br />
war klar, dass dieser einen ordentlichen Rausch hatte. „Die<br />
Ross san hin“, hörte ich jemanden sagen. Es wurde geredet<br />
und geschrieen, alles ging darunter und darüber, bis sich dann<br />
irgendjemand aufmachte die Polizei zu holen. Zum Glück<br />
wurden keine Menschen verletzt, aber die beiden toten Pferde<br />
taten mir unendlich leid. Irgendwann später kam endlich ein<br />
Polizist mit dem Fahrrad an und es wurde alles aufgenommen<br />
und auch die Zeugen befragt.<br />
Einige Wochen später<br />
kam es dann vor Ort zu einer Verhandlung. Der Richter<br />
fuhr bereits mit einem Auto vor und alle Zeugen, so auch ich,<br />
mussten das Gesehene nochmals erzählen. Natürlich erhielt <strong>der</strong><br />
betrunkene Lastwagenfahrer eine Strafe, aber diese fiel sehr<br />
milde aus. Seine Trunkenheit wurde damals nämlich noch<br />
als strafmil<strong>der</strong>nd gewertet. Erst Ende <strong>der</strong> 50er – Anfang <strong>der</strong><br />
60er Jahre wurde <strong>der</strong> Alkohol am Steuer als strafverschärfend<br />
gerechnet.<br />
Zwei Jahre später begann <strong>der</strong> Krieg und auch mein Vater<br />
wurde eingezogen. Als dann alles vorüber und Vater wie<strong>der</strong><br />
zu Hause war, begann er in Pistorf sein Geschäft aufzubauen.<br />
Wir handelten mit vielen Waren und ich absolvierte meine<br />
Lehre als Kaufmann. Jahre später übernahmen wir in St. Andrä<br />
ein Geschäft und bekamen auch eine Frächterei dazu. Ein alter<br />
Militärlastwagen diente uns als Transportmittel. Die Hauptstraßen<br />
waren zu jener Zeit schon etwas besser befestigt, aber<br />
Zustellungen in die Gräben o<strong>der</strong> auf den Demmerkogel for<strong>der</strong>ten<br />
von uns und unserem LKW einiges ab. Die Schneeketten<br />
wurden im Sommer weit öfter benötigt als im Winter.<br />
Auf den lehmigen Wegen kam man ohne sie nicht einmal bei<br />
Trockenheit voran, geschweige dann erst bei Regen. Viele Male<br />
mussten wir unseren Lastwagen bei einem Gewitter abstellen,<br />
zu Fuß nach Hause marschieren und am nächsten Tag, wenn<br />
es trocken war, wie<strong>der</strong> holen. Im Winter gab es bis Graz hinauf<br />
eine Schneefahrbahn und viele Gegenden in unserer Region<br />
waren mit dem LKW gar nicht zu erreichen.<br />
Im Jahre 1959 führte mich die Liebe zu meiner Frau nach<br />
Heimschuh. Sie war die Tochter vom damaligen Gasthaus<br />
Loibner und wir beschlossen im Betrieb meiner Schwiegereltern<br />
zu bleiben. Viel wurde gearbeitet und gebaut. Es war eine Zeit,<br />
in <strong>der</strong> man mit Fleiß und Einsatz sehr viel schaffen konnte. Am<br />
15. August 1962 haben wir dann mit <strong>der</strong> Tankstelle begonnen,<br />
die für die kommenden Jahrzehnte auch die Grundlage unserer<br />
Existenz bildete. Auch aus diesen Jahren gäbe es viele<br />
Geschichten zu erzählen, aber jene eine aus meiner Kindheit<br />
hat sich unauslöschlich in mein Gedächtnis eingebrannt.<br />
Mir tun heute noch die beiden Rösser leid, die auf Grund <strong>der</strong><br />
Trunkenheit des Fahrers ihr Leben lassen mussten. Das und<br />
dieses milde Urteil sorgten wohl dafür, dass ich diese Geschichte<br />
niemals vergessen habe.