19.01.2013 Aufrufe

Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg

Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg

Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Im Fokus 9<br />

Satztechnisch wird dies umgesetzt durch:<br />

I. Diffuses Stimmengeflecht<br />

II. Dualität von Bass und beruhigenden Wiederholungsgesten<br />

in den anderen Stimmen<br />

III. Sich bis zur Homophonie konsolidierenden<br />

Satz<br />

Auch der Tonvorrat wird sukzessiv erweitert:<br />

I. Alle Töne außer gis, fis und cis<br />

II. Einführung von gis und fis<br />

III. Einführung von cis, ab T. 13 Reduktion des<br />

Tonmaterials auf den C-Dur Vorrat, ausgenommen<br />

bleibt der Ton f, was wiederum einen<br />

sinnfälligen Text-inhaltlichen Bezug zu T. 9 und<br />

10 schafft.<br />

Eine solch detaillierte Darlegung der einzelnen<br />

Phänomene dieser äußerlich so kleinen Motette<br />

mag den Eindruck erwecken, sie sei überladen<br />

oder wirke unorganisch. Nichts weniger als das!<br />

Die vermittelnden Kräfte einer einheitlichen Tonsprache<br />

lassen diesen ersten Teil von opus 12.7 als<br />

ein homogenes Ganzes erscheinen.<br />

Ein Epigramm des Glaubens<br />

Die lapidar anmutende Zweiteiligkeit von op. 12.7<br />

erinnert nun an die in der Barockdichtung so beliebten<br />

Epigramme (siehe Totentanz), in denen zwei<br />

kurze antithetisch angelegte Sätze auf eine zugespitzte,<br />

zuweilen unerwartete Schlusspointe hinsteuern.<br />

So ist der sich anschließende Choralsatz<br />

sozusagen der ruhende Gegenpol zum ersten Abschnitt<br />

und formuliert die Bitten des Individuums im<br />

Blick auf den Tod. In seiner Schlichtheit fängt er<br />

stilsicher die Volkslied-Atmosphäre ein, die diesen<br />

Choral umgibt. Eine gewisse Nähe zum bekannten<br />

„Inns-bruck, ich muss dich lassen“ ist sowohl textlich<br />

(Bild des Hinfahrens) als auch melodisch (Choralzeile<br />

zwei und Schluss) wahrnehmbar. Die Melodie<br />

folgt dem Schema A B C B C D E. Bei aller<br />

Schlichtheit der Vertonung akzentuiert Distler mit<br />

wenigen kompositorischen Handgriffen die persönliche<br />

Ausrichtung des Textes. Alt und Tenor gehen<br />

bis über die Mitte des Chorals hinaus quasi „Hand<br />

in Hand“ in gleichen Notenwerten – ein Bild <strong>für</strong> Je-<br />

su Geleit der sterbenden Seele – ein Bild ganz aus<br />

dem Geist eines J. S. Bach. Wie in Distlers Choralsätzen<br />

häufig festzustellen, greift die Bassstimme<br />

an wenigen Stellen aktiv in die Auslegung des Textes<br />

ein. In diesem Beispiel geschieht dies zum einen<br />

durch den von T. 24 bis 31 fast permanent<br />

erklingenden Ton h, der sinnfällig das Gehaltensein<br />

durch Jesus und die daraus erwachsende Sicherheit<br />

im Sterben ins Bild setzt, zum anderen erinnert<br />

die Stimmführung der zweiten und vierten Choralzeile<br />

mit den beiden Tritonussprüngen f-h / h-f daran,<br />

dass dieses „Hinfahren“ wohl doch nicht nur ein<br />

sanftes Hinübergleiten ist, sondern auch die Angst<br />

vor dem Verlassensein impliziert. Zugleich wird eine<br />

inhaltliche Korrespondenz zwischen den beiden<br />

oben beschriebenen identischen Choralzeilen B<br />

hergestellt. Überdies ist der betende Mensch des<br />

Chorals durch das chromatisch eingeführte b in T.<br />

27 sowie den sich anschließenden Sextsprung auf<br />

„nicht“ ein vom Tod ergriffenes, flehend rufendes<br />

Individuum. Die Zeile D endet im leeren Oktavklang<br />

– ein Bild der Verlassenheit.<br />

„… du wollst<br />

sie mir<br />

bewahren“<br />

In der Vertonung<br />

der letzten drei<br />

Choralzeilen verlässt<br />

Distler zunehmend die ruhig einherschreitende,<br />

weitgehend homophone Setzweise und lockert<br />

den Satz motettisch auf. Dabei zieht besonders die<br />

Alt-Stimme mit ihrem Recitativo, ihren eindringlichen<br />

Tonrepetitionen die Aufmerksamkeit auf sich,<br />

sodann mit dem ersten Melisma des Chorals<br />

(„Händ“), welches sich in wunderbarer Bogenform<br />

über den Sopran erhebt, bis sie schließlich in T. 32<br />

in intensiver persönlicher Anrede auf dem synkopisch<br />

wiederholten Wort „du“ den objektivierenden<br />

Charakter eines Chorals verlässt. Hier wird deutlich,<br />

woher Distler den Trost <strong>für</strong> eine von „Welt-Angst“<br />

gepeinigte Seele erhoffte: von der Hand Jesu, welche<br />

sie im und über den Tod hinaus bewahrt.<br />

KMD Prof. Bernd Stegmann

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!