19.01.2013 Aufrufe

Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg

Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg

Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

24 Essays<br />

mit Auferstehungs-Thematik und empfahl sie anderen<br />

weiter: Zum einen Henrik Ibsens letztes Drama,<br />

„Wenn wir Toten erwachen“ und zum zweiten noch<br />

einmal Tolstoj: „Auferstehung“. Die Kernaussage<br />

bei Ibsen ist: „Wenn wir Toten erwachen, dann<br />

erkennen wir, dass wir niemals gelebt haben.“ Bei<br />

Tolstoj geht es um die innere Läuterung, um die<br />

moralische Wiedergeburt hin zu einem hohen<br />

Menschheits-Ideal – ein sehr eindrucksvolles Buch,<br />

dessen Lektüre jedem zu empfehlen ist, der in diese<br />

Gedanken- und Gefühlswelt eintauchen will.<br />

(Übrigens musste Tolstoj selbst leidvoll erfahren,<br />

welche Brisanz die Verwendung der Auferstehung<br />

Christi als Metapher <strong>für</strong> die innere Wiedergeburt<br />

besitzt, denn zur Strafe wurde er aus der orthodoxen<br />

Kirche exkommuniziert.)<br />

Es gibt wichtige Parallelen zwischen der Hauptperson<br />

von Ibsens Drama, dem Bildhauer Rubek, und<br />

Reger selbst. Rubek hat eine Skulptur geschaffen:<br />

Der Auferstehungstag als „junges, unberührtes<br />

Weib – [...] zu Licht und Herrlichkeit erwacht“. Er<br />

merkt, dass mit der Trennung von der Frau, die ihm<br />

hier<strong>für</strong> Modell gesessen hatte, seine Schaffenskraft<br />

erlahmt ist. Jetzt bemüht er sich, diese Frau zu<br />

gewinnen und erwartet von ihr, „alle die Thore aufzuschließen,<br />

die in meinem Innern zugefallen sind.“<br />

Das passt sehr zu Regers Werbe-Brief an Elsa: „Ich<br />

weiß es und fühle es so sehr tief, daß ich erst dann<br />

das werde, was ich kraft meiner Anlagen werden<br />

kann, wenn Sie die Meine geworden sind, erst dann<br />

kann ich das schaffen, wozu ich berufen bin!“ 7 Um<br />

genau zu sein, stammt dieser Brief erst von 1902;<br />

Reger hatte aber gerade Anfang 1900, nachdem<br />

Elsa von ihrem ersten Mann geschieden worden<br />

war, einen Werbe-Brief an sie geschrieben, mit dem<br />

er freilich keinen Erfolg hatte, sondern sich im Gegenteil<br />

den Abbruch des Kontakts einhandelte. Wir<br />

wissen nicht, was genau in diesem ersten Brief<br />

stand; es könnte zumindest ähnlich gewesen sein.<br />

Ich denke, diese Hinweise sind zusammenhängend<br />

genug, dass wir einigermaßen sicher festhalten<br />

können, dass das musikalische Programm der<br />

7 Brief an Elsa von Bagenski vom 4.8.1902 in: Max Reger,<br />

Briefe eines deutschen Meisters. Ein Lebensbild, hrsg. v.<br />

E. von Hase-Koehler, Leipzig 1928, S. 98<br />

Phantasien op. 52, insbesondere des zentralen<br />

„Wachet auf“, also eine bildhafte Illustration des<br />

Aufwachens des „Lebenden Leichnams“ aus Verzweiflung,<br />

Depression und Sinnlosigkeit zum wirklichen<br />

Leben ist, zur Lebensfreude und zum sinnvollen<br />

Schaffen. Reger selbst hatte das einmal am<br />

eigenen Leibe erfahren, fiel immer wieder zurück<br />

und sehnte sich nach der „endgültigen Auferstehung“.<br />

Das ist also ein durchaus irdischverständlicher,<br />

nämlich höchst-persönlicher und<br />

subjektiver seelischer Vorgang, und genau dieser<br />

stellt also die gesuchte innerliche Verständnis-<br />

Ebene dar, die dem äußeren Programm seine<br />

Grundlage und Berechtigung gibt.<br />

Faksimile der ersten Seite der Choralfantasie „Wachet auf, ruft uns die<br />

Stimme“, Original im Besitz des Max-Reger-Instituts, Karlsruhe<br />

Es geht bei dieser Musik also nur vordergründig um<br />

die kunstvolle Ausdeutung der Choraltexte und um<br />

die musikalische Schilderung des <strong>für</strong> die meisten<br />

Menschen doch nur eher abstrakt-theoretisch vorstellbaren<br />

Jüngsten Tages. In der Tiefe aber rührt<br />

diese Musik an die wichtigsten Fragen der Sinngebung<br />

unseres Lebens. Dies ist wohl die existentielle<br />

Basis, durch die sie uns so anzurühren und zu packen<br />

vermag.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!