Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg
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14 Im Fokus<br />
veränderte Zeitbewusstsein des 20. Jahrhunderts zu spiegeln. Zumindest unser theoretisches Wissen um die<br />
Zeit hat sich seit Einstein revolutioniert: Zeit existiert nicht absolut, sondern wird als Tempo von Veränderungen<br />
gemessen. In der Nähe der Lichtgeschwindigkeit dehnt sie sich bis ins Unendliche.<br />
All dies sprengt die menschliche Vorstellungskraft. Trotzdem gehört das Gefühl unterschiedlicher Zeittempi und<br />
schwankender Zeitempfindung durchaus zur Alltagserfahrung und lässt sich insbesondere auch künstlerisch<br />
ausdrücken. 4 Genau dies tut Messiaen mit seiner Musik: Sein großes Interesse <strong>für</strong> extreme Temporelationen<br />
und vertrackte rhythmische Konstruktion beruht auf einem neuen, äußerst differenzierten Zeitempfinden. Bezeichnend<br />
hier<strong>für</strong> sind die sogenannten „Valeurs ajoutés“: Diese einem regelmäßigen Rhythmus oder einem<br />
langen Notenwert hinzugefügten kleinen Werte lassen das Zeitempfinden buchstäblich „aus dem Takt“ geraten,<br />
wie der Anfang des III. Satzes aus „Les Corps glorieux“ zeigt:<br />
Notenbeispiel 3: III. „L’Ange aux parfums“, Anfang<br />
Solche „hinzugefügten Werte“ zwingen den Musiker, einen Rhythmus nicht als Unterteilung längerer Zeitdauern<br />
(vor dem Hintergrund eines regelmäßig pulsierenden Metrums), sondern als Multiplikation kleinster Notenwerte<br />
zu denken. Die Folge ist, dass gerade die z.T. extrem langsamen Tempi Messiaens, welche meist Ewigkeit,<br />
Unendlichkeit ausdrücken (s. Notenbeispiel 2), auch als solche empfunden werden: Man nimmt Langsamkeit<br />
besonders dann als solche war, wenn der eigene „Zeittakt“ schnell bleibt.<br />
Gregorianik und Vogelstimmen<br />
Der Prägung durch die katholische Liturgie verdankt Messiaen seine Vorliebe <strong>für</strong> gregorianische Gesänge, die<br />
er auf eigene und neue Weise in seine Werke integriert. Dies zeigt besonders schön der erste Satz der „Corps<br />
glorieux“ („Subtilité des Corps glorieux“) – das wohl erste einstimmige Orgelstück der Musikgeschichte.<br />
Messiaen verschmilzt hier das gregorianische „Salve Regina“ mit der chromatischen Welt seiner „modes à<br />
transpositions limitées“ und lässt einen fremdartig leuchtenden Mönchsgesang entstehen:<br />
Notenbeispiel 4: „Salve regina“ (aus: Liber usualis, Tournai 1962)<br />
Messiaen, „I. Subtilité des Corps glorieux“, Anfang<br />
Seit den 1940er Jahren findet und entwickelt sich ein weiteres sehr individuelles Element der Messiaenschen<br />
Musik: der Vogelgesang. Bereits im Alter von 15, so Messiaen, habe er versucht, Vogelstimmen zu notieren. 5