Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg
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34 Interview<br />
schleppt wurde. Mendelssohn spielt eine große<br />
Rolle, historisch mit jüdischen Vorfahren, in der<br />
Nazizeit sozusagen posthum aus Deutschland ausgebürgert.<br />
Dann sind einige Organisten auf die Hugenotten<br />
eingegangen, Protestanten, die aus Frankreich<br />
fliehen mussten. Wir haben einen Film über<br />
eine iranische Familie gezeigt, die flüchten musste<br />
und sich dann irgendwann aus allen Teilen der Welt<br />
trifft – also ein ganz anderes Medium. Das machen<br />
wir seit Jahren so.<br />
D.h., solch ein Thema überschreibt sozusagen<br />
ein ganzes Jahr <strong>Kirchenmusik</strong> und<br />
kommt immer wieder in den Programmen<br />
vor.<br />
Ja. Man muss natürlich sagen, dass sich nicht jedes<br />
Konzert darin unterbringen lässt, aber fast jedes<br />
schon. Das geht bis hin zum „Klangmarathon“, einer<br />
stilistisch bunten Veranstaltung von vier Stunden, in<br />
der ganz ungewöhnliche Sachen kommen können.<br />
In diesem Jahr wählten wir ganz bewusst Spiritual<br />
und Gospel, die Musik der nach Amerika verschleppten<br />
Schwarzen, kombiniert mit Eisler-<br />
Vertonungen von Brecht aus dem Exil; das haben<br />
wir dann, weil es um den Begriff „Heimat“ ging, mit<br />
echter Heimatmusik kombiniert, nämlich fränkischer<br />
Stubenmusik. An Weihnachten machen wir dieses<br />
Jahr „L’Enfance du Christ“ von Berlioz. In diesem<br />
Stück geht es um die Flucht nach Ägypten. Ich denke,<br />
es gibt viele Aufhänger, die schlüssig sind.<br />
Letztes Jahr hatten Sie das Thema „Zahlensymbolik“.<br />
Hatten Sie über die ganzen<br />
Jahre solche Themenkreise?<br />
Früher hatte ich schon mal eine Reihe zum Thema<br />
„Auge und Ohr“ gemacht, aber ganz geballt an drei<br />
Abenden. Es ging damals um Musik und Kunst,<br />
Entsprechungen – Musik, die sich auf Kunst oder<br />
auch Kunst, die sich auf Musik bezieht. Bei Paul<br />
Klee findet man solche Bezüge. Jetzt laufen diese<br />
Themenreihen seit etwa acht Jahren. Da war z.B.<br />
einmal das Thema „Schöpfung“, natürlich mit<br />
Haydns Schöpfung, aber wir hatten auch ein Oratorium<br />
von Bossi wiederaufgeführt, das sich auf „Pa-<br />
radise Lost“ von Milton bezieht. Ein ganzes Jahr<br />
stand unter der Überschrift „Apokalypse“, u.a. mit<br />
der Uraufführung eines Werkes von Martin Torp,<br />
einem <strong>Heidelberg</strong>er Studienkollegen. Das nächste<br />
Jahr war geprägt von tschechischer Musik. Dann<br />
das Thema „Stille und Weite“, da ging es um viel<br />
Mystisches, geografisch orientierten wir uns weit in<br />
den Norden, auch die Gastorganisten kamen meist<br />
aus Norwegen und Schweden. Dann gab es ein<br />
Jahr, das überschrieben war mit „A progenie in progenies<br />
– Von der Tradition“. Es stellte sich die Frage,<br />
was Überlieferung überhaupt ist – einerseits z.B.,<br />
ob historische Aufführungspraxis richtig ist, andererseits<br />
ging es darum, dass sich Dinge im Lauf der<br />
Zeit ja verändern, wenn sie durch bestimmte Filter<br />
laufen. Wir hören heute anders als vor 200 Jahren,<br />
selbst wenn wir es vielleicht genauso aufführen wie<br />
damals. Da kamen dann Werke wie die Cäcilienode<br />
von Händel in der Instrumentierung von Mozart oder<br />
das Ricercare aus dem Musikalischen Opfer in der<br />
Instrumentierung von Webern. Die Gastorganisten<br />
sollten schwerpunktmäßig Bearbeitungen spielen.<br />
Letztes Jahr ging es dann um das Thema „Zahlen,<br />
Chiffren und Symbole“, u.a. natürlich auch die Zahlensymbolik<br />
bei Bach.<br />
Ich brauche immer einen gewissen Impuls von<br />
außen. Ab nächstem Jahr wird die Lorenzkirche<br />
renoviert, d.h. wir werden das Gewölbe nicht mehr<br />
sehen, die Altäre<br />
und das Sakramentshaus<br />
werden<br />
verhüllt. All das, was<br />
in der Kirche schön<br />
ist und uns unmittelbar<br />
anspricht, ist<br />
dann nicht mehr zu<br />
sehen. Da kommt<br />
man zum biblischen<br />
Thomas, der nicht<br />
glaubt, was er nicht<br />
gesehen hat. Wir<br />
wollen uns daher<br />
viele Credo-<br />
Vertonungen in den<br />
Blick nehmen und<br />
sagen: „Selig, der da nicht sieht und doch glaubt“.