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Untitled - Schwabenakademie Irsee

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Gerd Haeffner<br />

Auf unser Beispiel bezogen, sieht das so aus: Erstens die Erkenntnis, daß<br />

die Folge ‚Sattsein – Hunger – Sättigung – Sattsein‘ mehrmals und immer<br />

wieder eingetreten ist, und so vielleicht auch in der Zukunft sich wiederholen<br />

wird. Gleichzeitig mit diesem Wiedererkennen derselben Folge von subjektiven<br />

Zuständen ergibt sich aber zweitens eine ganz formale Strukturvorstellung<br />

von zeitlichen Folgen überhaupt, ungeachtet ihres Inhalts: Immer ist da<br />

die Folge ‚zuerst, dann, dann, zuletzt‘ oder, anders ausgedrückt: Jedes Jetzt<br />

hat ein anderes, das ihm vorausgeht, und wieder ein anderes, das ihm folgt.<br />

Diese Form von zeitlicher Folge bleibt zunächst freilich ganz implizit. Sie ist<br />

in dieser Hinsicht den einfachen Regeln der Grammatik ähnlich, die ein Kind<br />

lange schon befolgt, bevor es sie in der Schule kennenlernt – nur noch viel<br />

elementarer.<br />

1.3. Sprachfähigkeit<br />

Die Sprachfähigkeit ist das neuartige Ausdrucksvermögen, das dieser neuen<br />

Stufe des Zeitbewußtseins entspricht. Der je gegenwärtige Zustand des<br />

Wohlbehagens oder des Leidens läßt sich hinreichend durch einen unartikulierten<br />

Laut ausdrücken, der zugleich ein einfaches Signal an die Mutter ist.<br />

Aber eine Folge von Empfindungen oder gar von Wahrnehmungen läßt sich<br />

so nicht mehr ausdrücken. Dazu braucht es ein Ausdrucksmittel, das die<br />

Laute nach Regeln artikuliert. Es braucht die Sätze der Lautsprache. In unserem<br />

Beispiel heißt das, daß einer ausdrücken kann: Jetzt habe ich Hunger; ich<br />

will wieder satt werden.<br />

Die Zeit ist im Gerüst des Satzbaus durch mindestens zwei tragende Elemente<br />

vertreten. Das erste Element ist die Unterscheidung von Subjekt und<br />

Prädikat: Während das Subjekt gleich bleibt, können sich die Prädikate ändern:<br />

Fritz ist jetzt blond, später weiß. Zeit impliziert ja immer, daß etwas in<br />

einer Hinsicht sich gleich bleibt und in anderer Hinsicht sich ändert; wo alles<br />

sich gleich bleibt, kann es ebenso wenig zum Bewußtsein von Zeit kommen<br />

wie da, wo nur Wechsel herrscht. Das andere tragende Element besteht aus<br />

der Mehrzahl der Tempora, der ‚Zeitformen‘: Anna läuft, ist gelaufen, wird<br />

laufen; etwas war, ist und wird sein.<br />

Wenn man beachtet, daß die Sprache in ihren elementaren Formen ursprünglich<br />

nicht nur der nachträgliche Ausdruck eines schon fertigen Denkens<br />

oder Bewußtseins ist, sondern daß Bewußtsein und Denken sich im engen<br />

Zusammenhang mit dem Erwerb der Sprachkompetenz realisieren, dann<br />

kann man vermuten, daß die Beherrschung der Formen des Zeitbewußtseins<br />

an die Beherrschung der Formen der Sprache geknüpft ist.<br />

Wo stehen wir am Ende dieses ersten Teils unserer Überlegungen? Wir<br />

haben die Grundstruktur des Zeitbewußtseins dargestellt, nach ihrer subjektiven<br />

und nach ihrer objektiven Seite. Die subjektive Seite betraf die Fähigkeit,<br />

sich der Zeit bewußt zu werden, indem man sich des Wechsels bewußt wird;

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