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Untitled - Schwabenakademie Irsee

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Gerd Haeffner<br />

den haben. In ‚Zeit‘, ‚tide‘, ‚time‘, ‚tempus‘ (und den Ableitungen ‚temps‘,<br />

‚tempo‘ usw.) beispielsweise steckt das Bild des Schneidens und so des Abschnitts;<br />

einen Abschnitt aber kann es allein gar nicht geben; ein Abschnitt ist<br />

immer einer unter mehreren. Aber auch in den Wurzeln ganz anderer Wörter<br />

mit der Bedeutung ‚Zeit‘ ist eine Pluralität konnotiert, wie z.B. im russischen<br />

Wort ‚vremja‘ (= was jetzt [Stück für Stück] fließt). Wenn man neben der<br />

Etymologie der Wörter auch deren Gebrauch betrachtet, so zeigt sich, daß in<br />

der Antike die Ausdrücke für ‚Zeit‘ eher im Plural als im Singular vorkommen.<br />

So etwa im griechischen Ausdruck chrónoi kai kairoì 2 und auch im<br />

Sprachgebrauch des hl. Augustinus im XI. Buch seiner Confessiones, wo<br />

‚tempus‘ nicht von vornherein ein singulare tantum ist, sondern der Singular<br />

von ‚tempora‘. 3<br />

Was sind nun diese verschiedenen ‚Zeiten‘, die da ins Bewußtsein und in<br />

die Sprache drängen? Betrachten wir einige Beispiele, und besinnen wir uns<br />

dann auf das, was da jeweils ‚Zeit‘ heißt!<br />

Beispiele für solche Zeiten sind: Tag und Nacht, Morgen und Abend,<br />

Sommer und Winter, Feiertag und Werktag, Kriegszeit und Friedenszeit,<br />

‚gute und böse Tage‘, Lehrjahre und Herrenjahre, Erdbeerenzeit und Spargelzeit<br />

oder auch die Kindheit, die Jugend und das Alter. Oft treten diese Zeiten<br />

als Gegensatzpaare auf. Viele von diesen Paaren (wie die vier ersten unserer<br />

Aufzählung) wiederholen sich mehrfach. Andere Zeiten (wie die drei folgenden<br />

Paare samt den vielen Sorten von Zeiten des Typs ‚Erdbeerenzeit‘) können,<br />

müssen sich aber nicht wiederholen. Die Lebenszeiten sind unwiederholbar;<br />

sie können nur einmal durchlaufen werden, wie die Frist des Lebens<br />

selbst nur einmal gewährt ist.<br />

Im Hinblick worauf werden nun die aufgeführten ‚Zeiten‘ unterschieden?<br />

Wenn wir das wissen, sehen wir auch, in welchem Sinn hier überhaupt von<br />

‚Zeit‘ die Rede ist. Was ist das? Es ist die tiefgehende Verschiedenheit der<br />

Lebensumstände, wobei ‚Leben‘ einerseits soviel wie ‚Erleben‘ heißt und<br />

meint, wie es einem geht, und andererseits soviel wie ‚Handeln‘. Über das<br />

Kommen und Gehen dieser Lebensumstände haben wir keine Macht. Wir<br />

sind vielmehr ihrer Macht, die man die Übermacht ‚der Zeit‘ nennt, unterworfen,<br />

mindestens so, daß sich unsere Erwartungen und Aktivitäten den Bedingungen<br />

der jeweiligen Zeiten anpassen müssen, wenn sie nicht scheitern sollen.<br />

Gleichzeitig aber gibt es unter der Herrschaft dieser Macht auch<br />

Gelegenheiten (die in der griechischen Sprache kairoì heißen), die man nützen<br />

kann und die man zu ihrer Zeit nützen muß, weil sie vorbeigehen. So z.B.<br />

muß man, was man nur in der Jugend tun kann, auch in der Jugend tun; denn<br />

2 Vgl. z.B. in 1 Thess 5,1.<br />

3 Vgl. GERD HAEFFNER, Bemerkungen zur augustinischen Frage nach dem Wesen der Zeit<br />

im XI. Buch der ‚Confessiones‘, in: Theologie und Philosophie 63 (1988) 569–578.

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