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Untitled - Schwabenakademie Irsee

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Gerd Haeffner<br />

jahr des letzten Jahres stattfand, heißt, daß ihre Dauer in die Dauer dieses<br />

Frühjahrs fiel.<br />

Dauer (zeitliche Erstreckung) aber kann einen konkreten und einen abstrakten<br />

Sinn haben: das Andauern und die Dauer. Im ersten Sinn ist damit<br />

das kontinuierliche Währen eines bestimmten Vorgangs oder Zustands gemeint.<br />

Hinsichtlich der Dauer in diesem Sinn können mehrere Vorgänge entweder<br />

(teilweise) gleichzeitig sein oder einander folgen. Und das Andauern<br />

eines einzigen Vorgangs kann gedanklich zerlegt werden als die Folge mehrerer<br />

Phasen des Währens. Im zweiten Sinn, der auf dem ersten aufbaut, ist das<br />

abstrakte Wie-lange (die Quantität) solchen Währens gemeint. Um diese<br />

Dauer zu bestimmen, muß man die bestimmte Dauer einer Bewegung als<br />

Maß nehmen: So kann man sagen, daß die fragliche Dauer das X-fache der<br />

Dauer der privilegierten Bewegung ausmachte. 16<br />

Beide Begriffe von Dauer haben etwas Mathematisches: Das Folgen der<br />

Phasen eines Währens hat eine Verwandtschaft mit dem Folgen der Zahlen<br />

einer Reihe, und das Quantum einer Dauer wird ohnehin durch ein Zahlenverhältnis<br />

angegeben. So steht der Begriff der Zahl im Zentrum der berühmten<br />

Definition, die Aristoteles von der Zeit gibt und die für die Zeitreflexion<br />

unserer westlichen Kultur bestimmend geworden ist: chrónos = arithmòs kinéseos<br />

kata próteron kaì hýsteron 17 : „Zeit ist das, was an einer Bewegung 18<br />

abzählbar ist, wenn man diese unter dem Gesichtspunkt ‚früher‘ und ‚später‘<br />

betrachtet“.<br />

Um deutlich zu machen, welche geistesgeschichtliche Revolution hier geschieht,<br />

müssen wir das Verhältnis von Bewegung, Zahl und Zeit, das hier<br />

statuiert wird, etwas näher bestimmen, sowohl a) negativ wie b) positiv.<br />

a) Negativ ist erstens zu sagen, daß hier die Identifikation der Zeit mit einer<br />

bestimmten Bewegung aufgelöst wird. Denn man kommt auf ‚Zeit‘ gar<br />

nicht, wenn man nur eine Bewegung anstarrt; man muß diese Bewegung in<br />

Beziehung mit einer anderen, gleichzeitigen bringen, die als Maßstab (‚Uhr‘)<br />

genommen wird. Aber auch diese zweite Bewegung ist nicht identisch mit der<br />

Zeit selbst, auch dann nicht, wenn es sich um die Bewegung der erhabenen<br />

Himmelskörper oder um die Drehung des Fixsternhimmels handelt, wie manche<br />

meinten, um die Zeit irgendwie unter dem Seienden unterbringen zu kön-<br />

16 Es geht um die Identität des Begriffs der Dauer: So wie die Anzahl ‚100‘ mit sich gleich<br />

bleibt, ob es sich nun um 100 Pferde oder Menschen handelt, so kann auch die zeitlichquantitative<br />

Bestimmtheit ganz verschiedener Bewegungen dieselbe sein.<br />

17 ARISTOTELES, Physik IV, 12; 219 b 1–2<br />

18 Kínesis, auch übersetzbar als ‚Prozess‘, ‚Vorgang‘ oder ‚Veränderung‘. Aristoteles unterscheidet<br />

drei Arten von ‚Bewegungen‘: das Wachsen bzw. Schrumpfen, das Anderswerden<br />

(die Qualitätsänderung) und die Bewegung von einem Ort zu einem anderen. Obwohl<br />

Aristoteles die Ortsbewegung aus bestimmten Gründen privilegiert, ist für das<br />

Verständnis der Definition m.E. wichtig, sie von allen drei Arten der Bewegung her zu<br />

lesen.

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