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Untitled - Schwabenakademie Irsee

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Gerd Haeffner<br />

nen. Mit dieser Interpretation ist das uralte Band zwischen dem Himmel und<br />

der Zeit im Prinzip, wenngleich noch nicht de facto, zerschnitten. Der Weg<br />

zur Orientierung der Zeitmessung an den Schwingungen des Cäsiumatoms ist<br />

eröffnet!<br />

Zweitens zum Verhältnis von Zeit und Zahl: Zeit ist bestimmt durch ihre<br />

Quantifizierbarkeit. Die Ordnung des Zahlhaften aber ist von universaler<br />

Anwendbarkeit. Alle, ja sogar alle möglichen Prozesse, Vorgänge, Ereignisse<br />

sind hinsichtlich ihrer Dauer vergleichbar und relativ zueinander eindeutig<br />

situierbar – freilich nur dann, wenn für jeweils zwei von ihnen von vornherein<br />

eindeutig entschieden werden kann, ob sie gleichzeitig sind oder einander (in<br />

dieser oder jener Richtung) folgen.<br />

Drittens muß erstaunlicherweise noch vom Verhältnis von Zeit und Seele<br />

die Rede sein: Im Vergleich von Zeiten wird noch von einer anderen, völlig<br />

andersartigen ‚Gleichzeitigkeit‘ Gebrauch gemacht, nämlich von der ‚Gleichzeitigkeit‘<br />

des wahrnehmenden und zählenden Geistes, der mit allen vorgestellten<br />

Ereignissen insofern gleichzeitig ist, als keines von ihnen für ihn ferner<br />

oder näher ist: Alle sind sie auf dem gleichen Tableau aufgereiht. Daß der<br />

Mensch, dessen Geist sich die universale Zeit hier vor Augen hält, nicht immer,<br />

sondern nur gerade jetzt lebt und denkt und vom Jetzt aus sich erinnert,<br />

hebt diese Präsenzmacht seines Geistes nicht auf. Kraft ihrer erhebt er sich<br />

über das jeweilige Jetzt auf alle vorherigen und nachherigen, und kann sich<br />

sogar in ein früheres Jetzt versetzen, so daß das jetzige Jetzt, das einzig wahre<br />

Jetzt, als ein bloß mögliches unter vielen anderen vor dem Auge seiner Vorstellung<br />

steht. Dem scharfen Blick des Aristoteles ist diese Tatsache nicht<br />

entgangen. Ohne eine Instanz, die ihrer selbst bewußt jeweils jetzt lebt und<br />

von da aus die Dauer zwischen zwei Jetzten empfindet, die sie im Vergleich<br />

mit anderen Dauern (auf dem Weg über die Wege der Ortsbewegung) bestimmt,<br />

kann es keine Zeit geben. Diese Instanz ist die menschliche Seele,<br />

insofern sie Verstand hat. 22 Ohne Seele scheint es also das, was wir Zeit nennen,<br />

ebensowenig geben zu können wie ohne eine Zweiheit von Bewegungen.<br />

Beide Male wird eine Grenze für die Tendenz sichtbar, die Zeit zu einem Absolutum<br />

zu machen.<br />

Ein solcher Versuch jedoch scheint, fast 2000 Jahre später, bei Isaac<br />

Newton vorzuliegen. In seinem Hauptwerk Philosophiae naturalis principia<br />

mathematica (1687) findet sich nämlich (als Scholium zu Definition VIII) der<br />

Satz:<br />

„Tempus absolutum, verum, et mathematicum, in se et natura sua, sine relatione<br />

ad externum quodvis, aequabiliter fluit, alioque nomine dicitur Duratio; Relativum,<br />

apparens, et vulgare est sensibilis et externa quaevis duratio per motum<br />

mensurata (seu accurata seu inaequabilis) qua vulgo vice veri temporis utitur, ut<br />

hora, dies, mensis, annus.“ – Auf deutsch: „Die absolute, wahre und mathemati-<br />

22 Vgl. ebd. 223 a 16–17.

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