Materialsynthese
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<strong>Materialsynthese</strong><br />
Prof. Klaus Ruhland<br />
Kunststoffe, W. Keim<br />
Makromolekulare Chemie, B. Tieke<br />
Polymerchemie kompakt, M. Brahm<br />
Makromolekulare Chemie, M. D. Lechner<br />
Hybrid Materials, G. Kickelbick<br />
Synthesis of Inorganic Materials, U. Schubert,<br />
Reactions and Characterization of Solids, S. E. Dann<br />
Inorganic Materials Synthesis and Fabrication, J. N. Lalena<br />
Principles of Inorganic Materials Design, J. N. Lalena<br />
Combinatorial Materials Synthesis, X.-D. Xiang<br />
Physics of Functional Materials, H. Frederiksson<br />
Inorganic and Organometallic Macromolecules, A. S. Abd-El-Aziz<br />
Technische Chemie, E. Fitzer<br />
1<br />
1
1. Einleitung<br />
<strong>Materialsynthese</strong> beschäftigt sich mit der gezielten und vorhersagbaren Veränderung der<br />
Zusammensetzung von Materialien, mit dem Ziel das Eigenschaftsprofil des Materials gezielt<br />
zu verbessern.<br />
Wir wollen die Materialien zunächst einmal in drei große Gruppen unterteilen.<br />
Ein Großteil der Vorlesung wird sich mit rein anorganischen Materialien und deren Synthese<br />
beschäftigen. Unter ihnen wird es auch rein anorganische Polymere geben, die besprochen<br />
werden, genauso wie anorganisch-organische Hybridmaterialien, die sowohl aus<br />
anorganischen als auch aus organischen Bestandteilen zusammengesetzt sind und einen<br />
immer bedeutenderen Einfluß innerhalb der Materialwissenschaften einnehmen. Über<br />
niedermolekulare rein organische Materialien werden wir uns am Ende nur kurz im<br />
Zusammenhang mit chemischer Syntheseplanung beschäftigen, da dieses Gebiet recht speziell<br />
und eher für Diplom-Chemiker wichtig ist. Beginnen wollen wir mit der Synthese von rein<br />
organischen Polymeren (Hybridpolymere gibt es auch, und sie werden im Zusammenhang mit<br />
den anorganischen Polymeren angesprochen).<br />
2
Für jedes Material kann man ein weiteres Klassifizierungsdreieck einführen:<br />
Herstellung Charakterisierung<br />
Synthese,<br />
Prozessierung<br />
Auf die Herstellung des Materials nimmt nicht nur die chemische Reaktion Einfluß sondern<br />
(manchmal zu einem viel erheblicheren Anteil) auch die Prozessführung, mit der wir uns<br />
deshalb zumindest grundlegend ebenfalls beschäftigen müssen. Stets einher mit der Planung<br />
einer Synthese sollte in den Gedanken eines Materialwissenschaftlers die geplante<br />
Anwendung des Materials und Möglichkeiten der Charakterisierung des Materials gehen,<br />
obwohl diese beiden Aspekte nicht im Vordergrund dieser Vorlesung stehen.<br />
2. Organische Polymere<br />
2.1 Wichtigkeit organischer Polymere<br />
Material<br />
Eigenschaften,<br />
Performance<br />
Anwendung<br />
Organische Polymere nehmen einen breiten und großen Anwendungsbereich gerade in der<br />
Verpackungsindustrie (PE, PET) aber auch als Verbrauchsgegenstände (PP, PVC) oder in der<br />
Bauindustrie (PS) ein. Auch Hochleistungspolymere wie Carbonfasern, die als<br />
Polymerprecursoren PAN verwenden scheinen in einigen Bereichen (Transportindustrie) aus<br />
dem Schattendasein als Nischenprodukt herauszutreten.<br />
Zusammensetzung,<br />
Struktur<br />
Der Verbrauch organischer Polymere im Vergleich zu anderen Materialen (Rohstahl:<br />
3%/Jahr; Papier und Pappe: 1%/Jahr) ist stärker wachsend (10%/Jahr), was die Wichtigkeit<br />
dieser Materialgruppe auch für die Zukunft unterstreicht. ¾ der Weltproduktion gehen auf PE<br />
3<br />
3
(25%), PP (16%), PET (12%), PVC (11%) und PS (10%) zurück. Etwa 10% des Hausmülls<br />
ist auf Kunststoffe zurückzuführen.<br />
2.2 Einteilung organischer Polymere<br />
2.2.1 Nach Anwendung<br />
Bezüglich ihrer Anwendung unterscheidet man organische Polymer insbesondere funktional<br />
in Plastiken (Gebrauchsgegenstände, Verpackungen), Elastomere (Reifen, Gummistiefel,<br />
Lauf- und Förderbänder), Fasern (Kleidung, Carbonfaser), Folien (Beschichtungsmaterialien),<br />
Schäume (Polster- und Dämm-Marterialien) und Klebstoffe. Hier steht als ordnendes Element<br />
neben der Anwendung nicht zuletzt auch die Verarbeitung des Rohpolymers im Vordergrund<br />
(Plastiken: Pellets mit Formgebung durch Extrusion oder Injection Molding; Elastomere:<br />
Folien oder Filme durch Kalandrierung mit Vulkanisation zur permanenten Formgebung;<br />
Fasern: Faserbildung des Rohpolymers über Spinnerets; Folien: Blow-molding oder<br />
Kalendrierung). Zur Mülltrennung und –wiederverwertung findet man Recyclingsymbole auf<br />
den verschiedenen Gebrauchsgegenständen, die im täglichen Leben auftauchen. Diese geben<br />
Aufschluß über das verwendete Rohpolymer und stellen somit eine weitere Klassifizierung<br />
nach Anwendung dar.<br />
Die „1― im Recyclierdreieck steht dabei für Polyethylenterephthalat (Getränkeverpackungen).<br />
Die „2― steht für High-density-Polyethylen (hochschmelzende billige Gebrauchsgegenstände).<br />
―3― weist auf Polyvinylchlorid hin, das immer noch weit verbreitet ist. „4― markiert Low-<br />
density-Polyethylen, das einen niedrigeren Schmelzpunkt als HDPE aufweist und damit in<br />
4
seiner Anwendung eingeschränkt aber in der Herstellung billiger ist. „5― ist das Label für<br />
Polypropylen, das wegen seines Schmelzpunktes oberhalb von 100°C im Unterschied zu PE<br />
und PVC für Anwendungen im Küchenbereich geeignet ist. Polystyrol (Dämm- und<br />
Verpackungsmaterial) hat mit der Nummer „6― ebenfalls eine eigene Markierung erhalten.<br />
Die Einteilung nach Recycliersymbolen spiegelt die Häufigkeit des Auftretens dieser<br />
Materialien im täglichen Leben wieder.<br />
2.2.2 Nach thermischem Verhalten<br />
Eine weitere gebräuchliche Möglichkeit, organische Polymere zu ordnen, ist nach ihrem<br />
thermischen Verhalten.<br />
Temperature increases<br />
Fluidoplast<br />
viscous solid<br />
fluid<br />
fluid<br />
T F<br />
no melt transition<br />
T C<br />
Thermoplast Elastoplast Elastomer Thermoset<br />
solid<br />
(amorphous or semicristalline)<br />
Viscous solid<br />
melt<br />
Das obere Schaubild zeigt die unterschiedlichen Kategorien und den chemisch-physikalischen<br />
Ursprung für das Verhalten in Abhängigkeit der Temperatur.<br />
T g<br />
T m<br />
T C<br />
Chain fixation increases<br />
solid<br />
(cristalline block domains)<br />
melt<br />
no glass transition<br />
Fluidoplaste sind niedermolekulare unvernetzte viskose Öle, die im gesamten relevanten<br />
Temperaturbereich flüssig sind (bei sehr niedrigen Temperaturen werden diese natürlich auch<br />
Tg<br />
T m<br />
solid solid<br />
elastomer elastomer solid<br />
T C<br />
T g<br />
no melt transition<br />
elastomer<br />
solid<br />
no melt transition<br />
T F: fluid temperature, T g: glass temperature, T m: melt temperature, T c:ceiling temperature, T D: decomposition temperature<br />
T D<br />
T D<br />
Room<br />
temp.<br />
23<br />
5
irgendwann fest). Folgerichtig gibt es keinen Schmelzübergang für diese Gruppe von<br />
organischen Polymeren. Anstelle dessen weisen diese Materialien eine<br />
Fluidisiersungstemperatur auf, oberhalb derer sie Newtonsches Fließverhalten zeigen<br />
(Viskosität unabhängig von der Schergeschwindigkeit).<br />
Die anwendungstechnisch wichtigste Gruppe von organischen Polymeren bezüglich ihres<br />
thermischen Verhaltens sind die Thermoplaste. Dies sind hochmolekulare unvernetzte<br />
Polymere. Sie können insbesondere geschmolzen und im flüssigen Zustand verformt werden.<br />
Eine weitere entscheidende Temperatur ist der Glasübergang, oberhalb von dem<br />
intramolekulare Rotationen eingeschaltet werden (als Faustregel gilt, daß Tg ≈ ⅔ Tm).<br />
Bezüglich ihrer Verarbeitung ist diese charakteristische Temperatur aber noch wichtiger für<br />
Elastoplaste und Elastomere, da nur oberhalb der Glastemperatur die Entropie-elastischen<br />
Eigenschaften letzterer Materialen auftreten.<br />
Elastomere sind hochmolekulare schwach chemisch vernetzte Polymere mit einer<br />
Glastemperatur tiefer als Raumtemperatur.<br />
Radikalische Vernetzung. PE kann durch Zugabe von Radikalinitiatoren (werden unten noch<br />
genauer besprochen) über Rekombination vernetzt werden.<br />
Init 2<br />
H 2<br />
C<br />
Wärme<br />
h<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
2 Init<br />
H 2<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
2 Init-H<br />
Vulkanisation. Die klassische Vernetzung von Polybutadien und Polyisopren geschieht durch<br />
Vulkanisation über Schwefelbrücken. Dies kann kalt mit S2Cl2 oder warm mit elementarem<br />
Schwefel ablaufen. Letztere Methode ist die gebräuchlichere, weil erstere wegen der<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
6
egrenzten Diffusion des Reaktanden bei tiefen Temperaturen nur auf dünne Werkstoffe<br />
beschränkt ist.<br />
HC<br />
S<br />
S<br />
H<br />
C CH 2<br />
Cl<br />
Cl<br />
CH CH CH 2<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
Kaltvulkanisation<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
S 2Cl 2<br />
H<br />
C<br />
S<br />
S<br />
CH<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H<br />
C<br />
S<br />
S<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H 2<br />
C CH CH<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
-2 HCl<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
Cl<br />
Cl<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
Heißvulkanisation<br />
Chloropren kann mittels MgO über die reaktiven vinylischen Chlorsubstituenten vulkanisiert<br />
werden.<br />
Comonomervernetzung. Eine weitere Möglichkeit, vernetztes PE herzustellen, ist durch die<br />
Copolymerisation von PE mit einem -Dien (z. B. 1,5-Hexadien; EPDM,<br />
Ethylen/Propylen/Dien/Monomere). Hier wird bereits während der Polymersynthese die<br />
Vernetzung mit eingebaut.<br />
Photovernetzung. Auch durch Bestrahlung kann über eine [2+2]-Cycloaddition eine<br />
Vernetzung chemisch herbeigeführt werden.<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
S x<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
S 8<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
S x<br />
H<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
130°C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2S<br />
H 2<br />
C<br />
-H 2S<br />
H<br />
C<br />
CH<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
7<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H 2<br />
C<br />
H 2<br />
C
H 2N<br />
Durch Bestrahlung mit einer zweiten spezifischen Frequenz n2 kann die Vernetzung wieder<br />
gelöst werden (Photo-Schalter).<br />
Ionische Vernetzung. Durch Copolymerisation von Ethen mit Acrylsäure, gefolgt von<br />
Neutralisation der Säure, also z. B. Überführung der –COOH-Funktionalität in eine –COONa-<br />
Funktionalität, können Vernetzungen über ionische Wechselwirkungen erzeugt werden, die<br />
dann pH- und Lösemittel-abhängig ein- und ausgeschaltet werden können.<br />
COO -<br />
COO -<br />
+ Na+<br />
Na<br />
COO -<br />
COO -<br />
+ Na+<br />
Na<br />
H +<br />
OH -<br />
COOH<br />
COOH<br />
COOH COOH<br />
Physikalische Vernetzung. Eine weitere Möglichkeit der Vernetzung ist die über physikalische<br />
Van-der-Waals-Wechselwirkung. Dies gelingt in ausreichend starkem Maße meist nur über<br />
Kristallisationsblöcke, wie unten bei den Elastoplasten näher beschreiben ist.<br />
Harzbildung. Harzbildung ist eine engmaschige chemische Vernetzung häufig mit<br />
Formaldehyd als vernetzendes Reagenz.<br />
N<br />
NH 2<br />
N<br />
N<br />
NH 2<br />
O<br />
H 2C O N<br />
HO<br />
HO<br />
N<br />
O<br />
O<br />
OH<br />
O<br />
N<br />
N<br />
OH<br />
N<br />
N<br />
h<br />
h<br />
OH<br />
OH<br />
N<br />
OH<br />
O<br />
O<br />
OH H +<br />
N<br />
O<br />
O<br />
-H 2O<br />
OH -<br />
N N<br />
N N<br />
O<br />
8
Einer der bekanntesten Vertreter vernetzter organischer Polymere ist das durch Schwefel-<br />
Vulkanisation zu etwa 2% vernetzte Polybutadien, das als Copolymer mit Isopren, Styrol und<br />
Acrylnitril als Comonomere in der Reifenindustrie eingesetzt wird. Typisch für Elastomere ist<br />
ein Glasübergang niedriger als Raumtemperatur und das Fehlen eines Schmelzpunktes wegen<br />
der chemischen Vernetzung. Elastomere müssen also vor der Vulkanisation in ihre spätere<br />
Form gebracht werden, da durch die Vulkanisation die thermoplastischen Eigenschaften<br />
verloren gehen. Durch die geringe Vernetzung (ca. 3%) folgenden die Entropie-elastischen<br />
Eigenschaften.<br />
Elastoplaste stellen das Bindeglied zwischen Thermoplasten und Elastomeren dar. In diesen<br />
hochmolekularen Polymeren liegt ebenfalls eine geringfügige Vernetzung vor, allerdings<br />
nicht über chemische Bindungen sondern über physikalische Van-der-Waals- oder<br />
Wasserstoffbrückenbindung (wie oben bereits erwähnt), so daß es nur schwache<br />
Vernetzungspunkte sind, die thermisch überwunden werden können. Auch diese Materialien<br />
müssen einen Glasübergang niedriger als Raumtemperatur haben. Sie sind allerdings wie die<br />
Thermoplaste durch Schmelzen, Umformen und abkühlen thermoverformbar (verlieren bei<br />
den hohen Temperaturen aber natürlich auch ihre Entropie-elastischen Eigenschaften.<br />
Ataktisches Polypropylen mit isotaktischen Blöcken als Kristallisationsanker ist ein Beispiel<br />
für einen elastoplastischen Werkstoff. Wir werden uns noch ansehen, wie man diese recht<br />
spezielle Kettenstruktur synthetisch hinbekommt.<br />
Thermodure letztlich sind stark vernetzte hochmolekulare Verbindungen (siehe Harzbildung<br />
oben). Wegen der starken inneren chemischen Vernetzung besitzen diese Materialien weder<br />
Glas- noch Schmelztemperatur und sind daher besonders für Langzeit-stabile Anwendungen<br />
geeignet. Das in Zahnfüllungen verwendete Material (stark vernetztes PMMA) ist ein Beispiel<br />
für einen thermoduren Werkstoff. Über Formaldehyd stark vernetzte Harze wie UF (Harnstoff<br />
und Formaldehyd) oder PF (Phenol und Formaldehyd) sind weitere bekannte Vertreter. Eines<br />
der ersten kommerziellen Polymere, das Bakelit, gehört auch in diese Gruppe.<br />
Egal welche der vorherigen Gruppen wir betrachten: ab einer bestimmten Temperatur, der<br />
Ceiling-Temperatur, zeigen durch Polymerisation oder Polyaddition hergestellte Polymere<br />
(nicht aber durch Polykondensation hergestellte; die Reaktionstypen werden später noch<br />
erklärt) eine Depolymerisation in die Monomere (es gibt ganz wenige Ausnahmen von<br />
Monomeren/Polymeren, die ein Floor-Temperatur besitzen, also umgekehrt zur Ceiling-<br />
Temperatur bei Temperaturen niedriger als dieser Floor-Temperatur depolymerisieren (ein<br />
Beispiel ist 1,5,9-Cyclododeca-trien/1,4-Polybutadien), was man auch chemisch begründen<br />
kann, hier aber zu weit führen würde).<br />
9
Der chemische Grund für die im Allgemeinen gefundene Ceiling-Temperatur liegt im<br />
Entropieverlust bei der Polymerisation, die im Normalfall durch die stark exotherme<br />
Polymerisationsenthalpie überkompensiert wird. Wegen der Gibbs/Helmholtz-Gleichung gibt<br />
es aber eine Grenztemperatur (eben die Ceiling-Temperatur), oberhalb derer der Entropieterm<br />
dominant ist und nicht mehr durch den Enthalpieterm (der weitgehend temperaturunabhängig<br />
ist) überwunden werden kann.<br />
2.2.3 Nach chemischer Funktionalität<br />
Neben der Kategorisierung von organischen Polymeren nach Anwendung und thermischem<br />
Verhalten ist die Einordnung nach der chemischen Funktionalität, die zur Polymerbildung<br />
führt, üblich.<br />
Die wichtigste Gruppe bei dieser Einordnung stellen die Polyvinyle dar. Chemische<br />
Funktionalität ist hier eine Doppelbindung im Monomer.<br />
Zu dieser Gruppe gehören Polyethylen (PE), Polypropylen (PP), Polyvinylchlorid (PVC),<br />
Polymethacrylsäure (PMA) und ihre Derivate sowie Polyacrylnitril (PAN), um nur einige zu<br />
nennen.<br />
melt<br />
COOMe COOMe COOMe<br />
T c<br />
Depolymerization:<br />
H p, S p<br />
T c = 60°C<br />
T c = H p / S p<br />
COOMe COOMe COOMe<br />
Since S p is negative, H p must be exothermic for a polymerization,<br />
to be thermodynamically feasable ( G p
Polyester sind eine weitere wichtige Gruppe. Sie werden repräsentiert durch die<br />
Esterfunktionalität, die die Kette zusammenhält.<br />
Bei der Bildung der polymeren Kette reagieren Alkohole mit carboxylanalogen Gruppen<br />
(O=C X; X=OH, Cl, OR) unter Abspaltung von HX.<br />
Polyethylenterephthalat (PET) ist einer der wichtigsten Vertreter dieser Gruppe.<br />
PET<br />
Polyamide (PA) sind eine dritte wichtige Gruppe. Sie zeichnen sich folgerichtig durch eine<br />
Amid-Funktionalität aus.<br />
Bei der Bildung der polymeren Kette reagieren Amine mit carboxylanalogen Gruppen unter<br />
Abspaltung von HX.<br />
Sie finden besonders Anwendung als Kunstfaser in der Textilindustrie. Kevlar ist ein<br />
Spezialkunststoff, der durch seine Festigkeit hervorsticht und das Material für z. B.<br />
kugelsichere Westen stellt.<br />
O<br />
O<br />
O<br />
R 1<br />
R 1<br />
O<br />
O<br />
O R 2<br />
HN R 2<br />
O<br />
Kevlar<br />
H<br />
N<br />
O<br />
O<br />
H 2<br />
C<br />
C<br />
H 2<br />
n<br />
H<br />
N<br />
n<br />
11
Polycarbonate (PC) haben besonders deswegen an Wichtigkeit gewonnen, weil sie das<br />
Material sind, aus dem CD- und DVD-Rohlinge hergestellt werden. Dies liegt an ihrer<br />
mechanischen und thermischen Stabilität. Unten gezeigt ist die Carbonat-Funktion.<br />
Bei der Bildung der polymeren Kette reagieren Alkohole mit Phosgen (Cl C(=O) Cl) unter<br />
Abspaltung von HCl oder mit einem Carbonatester (R–O–CO–O–R) unter Abspaltung von<br />
HO–R.<br />
Der bekannteste Vertreter ist das Makrolon.<br />
Makrolon<br />
Polyurethane (PUR), insbesondere als Schäume werden als Dämm- und Verpackungsmaterial<br />
eingesetzt (auch in der Möbelindustrie als Polster). Unten ist die Urethan-Funktionalität<br />
gezeigt.<br />
Bei der Bildung der polymeren Ketten reagieren Alkohole mit Isocyanat-Gruppen (-N=C=O).<br />
Ebenfalls vorhandenes Wasser in geringer Menge reagiert auch mit den Isocyanatgruppen,<br />
wobei zunächst eine –NH-COOH-Einheit gebildet wird, die aber nicht stabil ist und zu einem<br />
Amin und CO2 zerfällt. Das Amin kann wiederum mit dem Isocyanat zu einer Harnstoff-<br />
analogen R-NH-(C=O)-NH-R-Funkton weiterreagieren. Das gebildete CO2 dient gleichzeitig<br />
als schaumbildendes Gas.<br />
R 1<br />
R 1<br />
N<br />
H<br />
O O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
Damit eine polymere Kette bei den obigen Reaktionen entsteht, müssen jeweils mindestens<br />
zwei der genannten miteinander reagierenden Funktionalitäten in einem Molekül durch einen<br />
organischen Linker chemisch miteinander verknüpft sein (bei den Vinylpolymere stehen die<br />
O<br />
O<br />
R 2<br />
R 2<br />
n<br />
12
eiden vorhandenen Elektronen der Doppelbindung formal als die zwei polymerisierbaren<br />
Funktionalitäten, die durch chemischen Linker (die Einfachbindung) verknüpft sind).<br />
2.3 Synthese organischer Polymere<br />
Die Synthese von Polymeren kann allgemein auf die folgende Formel gebracht werden:<br />
Synthese = Polyreaktion + Prozessführung + Reaktorwahl<br />
Alle drei Einzelfaktoren nehmen Einfluß auf die Synthesevariablen und damit auf die<br />
Eigenschaften des Produktes, die im Folgenden dargestellt werden. Die Einzelfaktoren<br />
werden sodann in Unterkapiteln besprochen.<br />
2.3.1 Variablen bei der Synthese von Polymeren<br />
Durch eine gezielte Synthese von organischen Polymeren sollen bestimmte Eigenschaften im<br />
Material manifestiert werden. Dies geschieht durch möglichst geplante Einstellung<br />
verschiedener Parameter des polymeren Materials, die in diesem Unterkapitel kurz vorgestellt<br />
werden sollen.<br />
polymerization<br />
isomers<br />
(CH 2) 5 (CH 2) 6<br />
constitution isomers<br />
(different types of bonds)<br />
sequence<br />
isomers<br />
Isomerism<br />
(same stoichiometry, different structure)<br />
diastereomers<br />
configurational isomers<br />
(superimposition only with bond cleavage)<br />
chiral isomers<br />
C<br />
D<br />
enantiomers<br />
(mirror images)<br />
A<br />
A<br />
B D C<br />
B<br />
stereo isomers<br />
(same type of bonds, different orientation)<br />
geometric<br />
isomers<br />
conformational isomers<br />
(superimposition by rotation about bond)<br />
synperiplanar<br />
R R<br />
synclinal<br />
R<br />
R<br />
anticlinal<br />
R<br />
R<br />
antiperiplanar<br />
R<br />
R<br />
13
Der scheinbar am einfachsten zu bewältigende und kontrolliert zu beherrschende Einfluß<br />
geschieht durch die Auswahl des Monomers, das für die Synthese und damit für die<br />
Erzeugung des angestrebten Eigenschaftsprofils herangezogen wird. Jedoch können bereits<br />
bei Einsatz nur eines einzigen Monomers schon zahlreiche Isomere im Produktgemisch<br />
entstehen, die natürlich entscheidend die Eigenschaften des polymeren Materials bestimmen.<br />
Nehmen wir als Beispiel 1,3-Butadien als Monomer für die Herstellung von Polybutadien, so<br />
müssen wir erkennen, daß aus nur einem Monomer zumindest einmal zwei<br />
Konstitutionsisomere (1,2-Polybutadien und 1,4-Polybutadien) entspringen und für das 1,4-<br />
Polybutadien noch einmal zusätzlich zwei geometrische Isomere (cis und trans) möglich<br />
werden.<br />
Diese unterschiedlichen isomeren Formen haben erhebliche Auswirkungen auf die<br />
Eigenschaften des Polymers, was im folgenden Eigenschaftsdreieck verdeutlicht wird.<br />
1,2-<br />
spröde<br />
amorph<br />
Luft- und Wärmeempfindlich<br />
(<br />
(<br />
( )<br />
hochkristallin<br />
energie-elastisch<br />
thermostabil<br />
luftstabil<br />
1,4-trans<br />
BR<br />
)<br />
)<br />
1,4-cis<br />
gummiartig<br />
visko-elastisch<br />
thermostabil<br />
luftstabil<br />
1,4-cis<br />
1,4-trans<br />
1,2-<br />
14
Wählt man Propen als Monomer für die Herstellung von Polypropylen, dann tritt eine<br />
ähnliche Komplikation nur durch Isomerisierung bei der Polyreaktion auf. Hier hat man<br />
erneut mit zwei Konstitutionsisomeren zu kämpfen (head/head und head/tail) und zusätzlich<br />
mit mehreren zu unterscheidenden Stereoisomeren (isotaktisch/syndiotaktisch/ataktisch).<br />
Auch hier haben besonders die Stereoisomere entscheidenden Einfluß auf die Eigenschaften<br />
des Polymers.<br />
Selbst bei einem noch simpleren Monomer wie Ethen zur Herstellung von Polyethylen tritt<br />
durch mögliche Verzweigung eine Konstitutionsisomerie auf (die natürlich auch noch<br />
Stereozentren erzeugt), die eine Unterscheidung in LDPE, HDPE, LLDPE notwendig und<br />
sinnvoll macht.<br />
head, head<br />
head, tail<br />
ataktisch<br />
amorph<br />
Sp.: 120-130<br />
geringe Dichte<br />
klebrig<br />
kristallisiert nur langsam<br />
Sp.: 155-160°C<br />
Dichte: 0.89 g/cm 3<br />
syndiotaktisch<br />
PP<br />
a-<br />
syndio-<br />
iso-<br />
isotaktisch<br />
40-70% kristallin<br />
Sp.:165-175°C<br />
Dichte: 0.93 g/cm 3<br />
15
linear<br />
verzweigt<br />
Konformere<br />
LDPE<br />
langkettenverweigt<br />
40-55% kristallin<br />
Sp.: 110°C<br />
Dichte:0.915-0.940<br />
kurzkettenverzweigt<br />
Sp.: 95-120°C<br />
Dichte: 0.93-0.94 g/cm 3<br />
LLDPE<br />
PE<br />
HDPE<br />
kaum verzweigt<br />
55-75% kristallin<br />
Sp.:135°C<br />
Dichte: 0.940-0.965 g/cm 3<br />
16
Wir werden die einzelnen PE-Formen und deren Herstellung noch detaillierter besprechen.<br />
Zusätzlich kommt selbst bei ideal linearem PE noch eine Isomerisierung über die<br />
unterschiedlichen möglichen Konformere hinzu, die zu einer Verknäuelung der Kettenstruktur<br />
führt. Die Art der Verknäuelung kann vorhergesagt werden (abhängig von den<br />
intramolekularen Wechselwirkungen zwischen den Monomereinheiten und dem Lösemittel),<br />
was aber sehr komplex ist und über diese Vorlesung hinausgeht.<br />
Dies ist das Geschehen, solange nur ein Monomer zur Synthese zugelassen wird. Bereits beim<br />
Einsatz von zwei unterschiedlichen Comonomeren, die zu einem Copolymerisat umgesetzt<br />
werden sollen, wird die Situation nochmals komplizierter. Hier stellt sich die zusätzliche<br />
Frage, wieviele der beiden Comonomere eingebaut werden. Keineswegs muß dies der<br />
eingewogenen Menge an jeweiligem Comonomer entsprechen, wenn ein Monomer bevorzugt<br />
vor dem anderen reagiert, egal welches aktive Kettenende vorliegt. Gibt es hier keine<br />
Bevorzugung wird man eine rein statistische Verteilung erwarten dürfen. Reagiert ein<br />
Monomer als aktives Kettenende bevorzugt mit dem jeweils artfremden anderen Comonomer,<br />
so wird dies zu einer alternierend aufgebauten Kette führen. Reagiert ein Monomer als aktives<br />
Kettenende bevorzugt mit sich selbst, so wird dies zu blockartigen Sequenzen innerhalb der<br />
polymeren Kette führen.<br />
A<br />
A<br />
A<br />
A<br />
A<br />
B<br />
A<br />
B<br />
A<br />
B<br />
A<br />
B<br />
ABBAAABABBA<br />
AB<br />
A<br />
B<br />
AAAAAAAAAB<br />
AAAAAAAAAB<br />
statistisch<br />
ABABABABA<br />
A<br />
B<br />
A<br />
B<br />
alternierend<br />
AAAAAAAAABAAAA A bevorzugt<br />
AAAAAAAAABBBBBBB<br />
Block-bildend<br />
17
Bei allen Polymersynthesen sind zwei wichtige Parameter noch der mittlere<br />
Polymerisationsgrad des Materials und die Molmassenverteilung. Obwohl es im Realfall für<br />
letztere praktisch keine Einschränkungen gibt (von monomodal/monodispers bis polymodal<br />
(also mit mehreren Maxima in der Verteilung)), lassen sich viele Materialien durch eine von<br />
zwei Verteilungen recht gut beschreiben. Dies sind die Poisson-Verteilung und die Most<br />
probable distribution oder Schulz/Flory-Verteilung. Erstere erhält man bei lebender<br />
Polymerisation unter sehr kontrollierten Bedingungen. Letztere erhält man zumindest immer<br />
im Gleichgewichtszustand von Stufenreaktionen (Polykondensationen/Polyadditionen), die<br />
unten noch eingeführt werden.<br />
Ein Maß für die Einheitlichkeit der Molmassenverteilung ist der Polydispersitätsindex<br />
Mw/Mn. Für Poisson-Verteilungen liegt dieser nahe bei 1, für Schulz/Flory-Verteilungen nahe<br />
bei 2.<br />
Schließlich ist auch die Partikelgröße und –form wichtig für das Einsatzgebiet des Materials.<br />
Diese wird weniger durch die chemische Reaktion (obwohl in manchen Fällen auch) als viel<br />
mehr durch die Prozeßführung determiniert, wie unten noch beschreiben wird. Auch die<br />
Einstellung der Porosität durch Schäumung des Materials ist in diesem Zusammenhang zu<br />
nennen.<br />
Molecular Weight<br />
0.35<br />
0.3<br />
0.25<br />
0.2<br />
0.15<br />
0.1<br />
0.05<br />
M n = n i M i / n i<br />
M w = n i M i 2 / ni M i<br />
Most probable distribution (Schulz/Flory)<br />
0.4<br />
Mn M w<br />
0<br />
0 100 200 300 400 500 600 700 800<br />
degree of polymerization<br />
Mw M<br />
= 2 -<br />
1<br />
n Pn<br />
Polymerization „isomers―<br />
2 = ni (M i-M n) 2 / n i = M n (M w - M n) : standard deviation of distribution<br />
Poisson distribution (living polymerization)<br />
M ol e c ul a r w e i gh t<br />
0 . 0 45<br />
0 . 04<br />
0 . 0 35<br />
0 . 03<br />
0 . 0 25<br />
0 . 02<br />
0 . 0 15<br />
0 . 01<br />
0 . 0 05<br />
M nM w<br />
Mw M = 1 +<br />
1<br />
n Pn<br />
0<br />
0 100 2 00 300 40 0 5 00 600 70 0 800<br />
d e gr e e o f p ol y m e r i za ti on<br />
18
2.3.2 Einteilung der Polyreaktion<br />
Die chemische Reaktion, die zur Bildung des Polymers führt, wird als Polyreaktion<br />
bezeichnet.<br />
Es gibt genau zwei große Gruppen derartiger Reaktionen, die unterschieden werden müssen,<br />
die Kettenwachstumsreaktion und die Stufenwachstumsreaktion. Beide können hinsichtlich<br />
der vier Elementarreaktion Initiation, Kettenwachstum, Kettenübertragung und Kettenabbruch<br />
klassifiziert und wie in der unterer Tabelle unterscheiden werden.<br />
Elementarreaktion Einfluß Kettenwachstum<br />
Initiation mittlerer<br />
Wachstumsreaktion Mittlerer<br />
Polymerisationsgrad<br />
Polymerisationsgrad<br />
Kettenübertragung Molmassenverteilung,<br />
Vernetzung<br />
Kettenabbruch Mittlerer<br />
Klassifizierung von Polyreaktionen<br />
bifunctional monomer<br />
Stufenwachstumsreaktion:<br />
Alle Komponenten im System reagieren simultan<br />
Polykondensation<br />
Polyaddition<br />
Polymerisationsgrad,<br />
Molmassenverteilung<br />
Polyrekombination<br />
Polyreaktion<br />
monofunctional monomer<br />
Vinyl-<br />
Polymerisation<br />
Vinylpolymerisat. Ringöffnende Polymeris.<br />
Stufenwachstum<br />
+ + -<br />
+<br />
nur aktivierte<br />
Kettenenden<br />
wachstumsaktiv<br />
+<br />
gesamte Kette kann<br />
attackiert werden,<br />
Verzweigung möglich<br />
Kettenwachstumsreaktion:<br />
wachsende Kette reagiert nur mit Monomer<br />
Ringöffnende<br />
Polymerisation<br />
+<br />
nur aktivierte<br />
Kettenenden<br />
wachstumsaktiv<br />
+<br />
nur funktionelle<br />
Verknüpfungspunkte<br />
können attackiert werden<br />
(keine Verzweigung)<br />
Polyeliminierung<br />
anionisch radikalisch kationisch insertion grouptransfer<br />
anionisch Insertion<br />
kationisch<br />
+<br />
alle Kettenenden<br />
wachstumsaktiv<br />
+<br />
nur funktionelle<br />
Verknüpfungspunkte können<br />
attackiert werden (keine<br />
Verzweigung)<br />
+ - -<br />
5<br />
19
Bei der Kettenwachstumsreaktion werden zu Beginn der Polymerbildung einige wenige<br />
Monomere durch Initiatoren aktiviert. Nur diese wenigen aktivierten Monomere können mit<br />
weiteren Monomeren zu längeren Ketten weiterreagieren. Für das Kettenwachstum ist also<br />
nur die Reaktion zwischen den aktivierten Ketten und den Monomeren wirksam. Eine<br />
Reaktion zwischen zwei aktivierten Ketten (wenn diese überhaupt möglich ist) hingegen wirkt<br />
als Abbruchreaktion dieser Polyreaktion. Formal kann man bei den<br />
Kettenwachstumsreaktionen zwischen Vinylpolymerisation, ringöffnender Polymerisation<br />
und Polyeliminierung unterscheiden. Bei der Ringöffnenden Polymerisation ist die<br />
thermodynamische Triebkraft für die Polymerisation häufig Abbau von Ringspannung, so<br />
dass 5- und 6-Ringe als Monomere ausscheiden und im Allgemeinen 3-, 4-, 7- oder größere<br />
Ringe eingesetzt werden. Streng genommen kann auch die Vinylpolymerisation als<br />
Spezialfall einer ringöffnenden Polymerisation angesehen werden, wenn man die<br />
Doppelbindung in den Vinylmonomeren als 2-Ring auffasst.<br />
H 2C CHCl<br />
Vinylchlorid<br />
Diese Betrachtungsweise ist aber eher unüblich.<br />
O<br />
NH<br />
-Caprolactam<br />
Die radikalische Vinylpolymerisation ist vermutlich die am häufigsten angewandte<br />
Polyreaktion. Die Initiation erfolgt durch Reaktion des Monomers mit Radikalen. Der<br />
Radikalstarter erzeugt die notwendigen Radikale für den Kettenstart. Dies kann thermisch,<br />
photo-induziert oder redox-induziert erfolgen.<br />
20
Thermisch:<br />
H 3C<br />
NC<br />
O O<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
O O<br />
O O<br />
N N<br />
Photo-induziert:<br />
H 3C<br />
H 3C<br />
O<br />
RedOx-induziert:<br />
HO OH OH OH<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
h<br />
CH 3<br />
CN<br />
H 3C<br />
Fe 2+<br />
CH 3<br />
H 3C<br />
NC<br />
O O<br />
O O<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
HO OH OH OH<br />
Fe 3+<br />
O<br />
h<br />
O O<br />
N N<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
CN<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
-e<br />
R COO R COO R CO2 -<br />
C<br />
O<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
O O<br />
C C<br />
O O<br />
O O<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
CH 3<br />
21
Die Anzahl der eingebrachten Radikale beeinflusst den zu erreichenden mittleren<br />
Polymerisationsgrad. Die Halbwertszeit der Radikalbildung nimmt Einfluß auf die<br />
Molmassenverteilung. Die Wachstumsreaktion findet dann zwischen der initiierten Kette und<br />
dem Monomeren statt.<br />
Die Wachstumsreaktion verläuft bevorzugt in head/tail-Manier, wobei die Diskreminierung<br />
zu head/head-Isomerisierung geringer ausfällt als bei der ionischen Polymerisation und<br />
deshalb derartige Fehlstellen häufiger auftauchen als bei den ionischen Polymerisationen.<br />
O O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
Für Diene wird man bezüglich der trans/cis-Isomerisierung eine Gleichgewichtsverteilung<br />
(also 83% trans zu 17% cis bei RT) erwarten. Bezüglich der 1,2- zu 1,4-Isomerisierung<br />
besteht zumindest keine klare Bevorzugung, so dass beide Formen in erheblichem Maße<br />
statistisch im Polymer zu erwarten sind.<br />
O<br />
Initiation<br />
head/tail<br />
head/head<br />
O<br />
O O<br />
O<br />
O O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
Wachstum<br />
O<br />
O O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
22
Es kann weiterhin zum Kettenabbruch durch Rekombination oder Disproportinierung<br />
kommen. Die Rekombination als Abbruchreaktion ist einzigartig für die radikalische<br />
Polymerisation und kann bei der ionischen Polymerisation nicht auftreten.<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H H<br />
I<br />
Übertragung<br />
I<br />
I<br />
H<br />
1,2- 1,4-cis<br />
1,2-<br />
H<br />
Disproportionierung<br />
Eine Übertragung des aktiven Zentrums kann entweder intramolekular durch back-biting<br />
erfolgen oder intermolekular zwischen zwei Ketten (sollte die Polymerisation in einem<br />
Lösemittel stattfinden, kann auch Übertragung auf das Lösemittel erfolgen). Tritt als<br />
Abbruchreaktion nur Disproportionierung auf, so wird man für die Molmassenverteilung eine<br />
H<br />
H H<br />
Recombination<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H H<br />
H<br />
H<br />
backbiting<br />
I<br />
I<br />
1,4-trans<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H H<br />
23
Schulz-Flory-Verteilung mit Mw/Mn = 2 erwarten. Spielt die Rekombination als Abbruch eine<br />
entscheidende Rolle, so zeigen kinetische Betrachtungen, dass Mw/Mn in Richtung 1.5 kleiner<br />
wird.<br />
Schauen wir uns die Kinetik der radikalischen Vinylpolymerisation etwas genauer an:<br />
Wir haben die Erzeugung der Radikale mit der Geschwindigkeit vi:<br />
vi = ki [I2]<br />
Wir haben ferner die Wachstumsreaktion vw für die Polymerkette:<br />
vw = kw [M] [P . ]<br />
Wir gehen davon aus, daß jeder Initiator I . auch eine Polymerkette P . initiiert.<br />
Als letztes müssen wir noch die Abbruchreaktionen mit der Abbruchgeschwindigkeit vab<br />
berücksichtigen:<br />
vab = kab [P . ] 2<br />
Wir nehmen jetzt an, daß die Bildung von Radikalen in der Initiation gleich schnell verläuft,<br />
wie das Verschwinden durch die Abbruchreaktion:<br />
vi = vab<br />
Daraus ergibt sich für die Konzentration an wachsender Kette [P . ]<br />
[P . ] = (ki/kab) 1/2 [I2] 1/2<br />
Mit dieser Gleichung können wir nun in die Wachstumsgleichung gehen und erhalten<br />
vw = kw [M] (ki/kab) 1/2 [I2]t 1/2<br />
woraus zu erkennen ist, daß das Kettenwachstum 1. Ordnung in der Monomerkonzentration<br />
ist. Gleichzeitig erkannt man die Abhängigkeit der Wachstumsgeschwindigkeit von der<br />
Initiatorkonzentration, die sich mit der Zeit verändert: [I2]t=[I2]0 e -k i t<br />
24
Wir führen nun eine mittlere kinetische Kettenlänge xn ein, die sich daraus ergibt, daß wir die<br />
mittlere Menge eingebauter Monomere in eine Kette mit der Anzahl der vorhandenen Ketten<br />
jeweils pro Zeiteinheit miteinander ins Verhältnis setzen:<br />
xn = vw / vi<br />
xn = kw [M] (ki/kab) 1/2 [I2] 1/2 / (ki [I2])<br />
xn = kw/(kab ki) 1/2 [M]t / [I2]t 1/2<br />
Folglich erhöht sich die Kettenlänge mit Erhöhung der Monomerkonzentration und je<br />
schneller die Wachstumsreaktion im Vergleich zur Abbruchreaktion verläuft<br />
(Geschwindigkeitskonstanten), und sie erniedrigt sich mit Erhöhung der<br />
Initiatorkonzentration.<br />
Gegenüber der radikalischen Vinylpolymerisation verläuft die Wachstumsreaktion der<br />
anionische Vinylpolymerisation in mehrerlei Hinsicht kontrollierter. Sie ist beschränkt auf<br />
Monomere mit vinylischen Substituenten an der Doppelbindung, die negative Ladung<br />
stabilisieren kann.<br />
Typische Initiatoren sind metallorganische Verbindungen wie Butyllithium, die stark<br />
nukleophile Carbanionen enthalten.<br />
Head/head- bzw. tail/tail-Isomerie finden bei dieser Polyreaktion nicht statt, weil die für die<br />
eingebrachte anionische Ladung unabdingbare Mesomerie-Stabilisierung nur in der tail-<br />
Position erfolgen kann.<br />
Z<br />
Trivialerweise können Rekombinationsreaktionen bei der anionischen Polymerisation nicht<br />
auftreten, da die gleichnamigen Ladungen sich abstoßen. Auch Kettenübertragung<br />
(einschließlich zum Lösemittel) spielt bei der anionischen Polymerisation keine Rolle. Dies<br />
liegt daran, daß höher substituierte Carbanionen weniger stabil sind (+I-Effekt der Alkyl-<br />
Z<br />
COOR<br />
CN<br />
CH=CH 2<br />
COOR COOR COOR COOR COOR COOR<br />
COOR COOR COOR COOR COOR COOR<br />
25
Gruppen) als weniger substituierte Carbanionen. Verzweigung wird deshalb bei der<br />
anionischen Vinylpolymerisation nicht auftreten.<br />
Da also keine wirkungsvollen Abbruch- oder Übertragungsreaktionen erfolgen, ist die<br />
Wachstumsreaktion neben der Initiation die einzige stattfindende Reaktion. Wenn die<br />
Initiation viel schneller erfolgt als die Wachstumsreaktion, kann man durch Wahl der<br />
anionischen Vinylpolymerisation als Polyreaktion daher sehr enge Molmassenverteilungen<br />
erzeugen, da alle Ketten in etwa dieselbe Kettenlänge aufweisen. Wenn das aktive anionische<br />
Zentrum stabil genug ist, daß es auch nach Umsetzung aller vorhandenen Monomere als<br />
solches bestehen bleibt (und man z. B. ein weiteres anderes Monomer nachdosieren kann)<br />
spricht man von lebender Polymerisation. Sie beinhaltet die Möglichkeit, Block-Copolymere<br />
zu synthetisieren.<br />
Initiation:<br />
O O<br />
O O<br />
Um die vielen Nebenreaktionen bei der radikalischen Vinylpolymerisation einzudämmen<br />
wurde eibenfalls eine chemische Strategie entwickelt, die zur der Bezeichnung lebende<br />
radikalische Vinylpolymerisation geführt hat. Die chemische Strategie dabei ist, schwache<br />
Inhibitoren in das System einzubringen, die reversibel mit den aktiven radikalischen Zentren<br />
rekombinieren, bevor diese Abbruchreaktionen oder Übertragungsreaktionen eingehen<br />
können.<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
head/tail<br />
head/head<br />
O O<br />
O<br />
O O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O O<br />
O<br />
O<br />
26
Im schlafenden rekombinierten Zustand sind die reaktiven radikalischen Zentren daher etwas<br />
geschützt. Da die Initiation bei der radikalischen Vinylpolymerisation aber nicht schneller<br />
O O<br />
erfolgt als die Wachstumsreaktion und die Eindämmung der Nebenreaktionen trotz der<br />
erwähnten chemischen Schutzmaßnahme nicht perfekt ist, wird man bei dieser Art der<br />
Polymerisation zwar engere Molmassenverteilungen erzwingen als bei der nicht-lebenden<br />
radikalischen Vinylpolymersation jedoch nicht so eng wie bei der anionischen<br />
Vinylpolymerisation.<br />
O<br />
O<br />
Wachtum<br />
Die einzige wirklich relevante Abbruchreaktion bei der anionischen Vinylpolymerisation ist<br />
die Reaktion des aktiven anionischen Zentrums mit Spuren an Wasser oder anderen<br />
protischen Quellen im Reaktionsmedium, so daß sehr hohe Anforderungen an die Reinheit<br />
der Lösemittel bei dieser Reaktionsführung gestellt werden (deutlich höher als bei der<br />
radikalischen Vinylpolymerisation).<br />
Bzüglich der 1,2- und 1,4-Isomerisierung sowie der cis/trans-Isomerisierung bei der<br />
anionischen Polymerisation von Butadien scheint sich zunächst kein Vorschritt gegenüber<br />
einer bevorzugten Bildung einer Form im Vergleich zur radikalischen Vinylpolymerisation<br />
anzudeuten, wenn man nur eine Monomereinheit berücksichtigt.<br />
I<br />
O<br />
I<br />
I<br />
O<br />
O O<br />
Wachtum<br />
1,2- 1,4-cis<br />
1,2-<br />
O<br />
O<br />
O<br />
N<br />
Schutz durch<br />
temporäre<br />
Rekombination<br />
I<br />
I<br />
O O<br />
1,4-trans<br />
O<br />
O<br />
N<br />
O<br />
27
Tatsächlich führt die anionische Vinylpolymerisation von Butadien bevorzugt zum 1,2-BR.<br />
Dies wird verständlich, wenn man die wachsende Polymerkette auf die beiden letzten<br />
Monomereinheiten ausdehnt und das zwangsläufig vorhandene Kation mit einbezieht<br />
(Nachbargruppeneffekt).<br />
Die kationische Vinylpolymerisation verläuft konsequenterweise mit inversem<br />
Elektronenbedarf gegenüber der anionischen Vinylpolymerisation ab.<br />
Z<br />
Als Initiatoren fungieren starke Säuren wie HBF4 oder starke Lewissäuren wie BF3. Durch<br />
den Elektronenbedarf ist die Anzahl an möglichen Monomeren sehr beschränkt. Das mit<br />
Abstand wichtigste Monomere ist Isobutylen (H2C=C(CH3)2).<br />
1,4-<br />
1,4-<br />
Li<br />
Li<br />
Z<br />
Li<br />
1,2-<br />
Li<br />
1,2-<br />
OR<br />
CH 3 (nur mit 2 Methylgruppen möglich)<br />
28
Eine Abweichung von der head/tail Struktur ist nicht nur aus elektronischen Gründen (höher<br />
substituierte Carbokationen sind stabiler als weniger substituierte) sondern auch aus<br />
sterischen Gründen praktisch ausgeschlossen. Weil höher substituierte Carbokationen stabiler<br />
sind als weniger substituierte (+-I-Effekt) sind auch Kettenübertragungsreaktionen wenig<br />
wichtig.<br />
Wiederum sind Reaktionen mit Spuren an Wasser im verwendeten Lösemittel die wichtigste<br />
Abbruchreaktion und Rekombination kann erneut trivialerweise ausgeschlossen werden, so<br />
daß auch für die kationische Vinylpolymerisation im besten Fall eine lebende Polymerisation<br />
erwartet werden kann. Allerdings ist im Allgemeinen eine zur Disproportionierung analoge<br />
Reaktion als wirksamer Abbruch aktiv.<br />
F<br />
F<br />
B<br />
F<br />
Initiation<br />
F<br />
F<br />
F<br />
F<br />
B<br />
F<br />
B<br />
F<br />
tail/tail<br />
F<br />
B<br />
F<br />
F<br />
head/tail<br />
C<br />
H<br />
CH 2<br />
H<br />
H<br />
H<br />
29
Eine überaus wichtige Polyreaktion für die Herstellung von Polyolefinen ist die vinylische<br />
Insertionspolymerisation. Befassen wir uns kurz mit der Wechselwirkung von<br />
Doppelbindungen mit Übergangsmetall-Zentren, denn diese werden als Initiatoren und<br />
Steuerverbindungen verwendet.<br />
M<br />
Die Doppelbindung koordiniert an das Übergangsmetallzentrum. Elektronendichte wird vom<br />
Übergangsmetall in ein antibindendes Orbital der Doppelbindung verfrachtet. Die<br />
Bindungsordnung der Doppelbindung wird damit in Richtung 1 verringert. Gleichzeitig wird<br />
durch die Koordination der Doppelbindung Elektronendichte aus dem bindenden -Orbital<br />
der Doppelbindung auf das Übergangsmetall verschoben, was ebenfalls die Bindungsordnung<br />
der Doppelbindung verringert und diese damit für die Polymerisation aktiviert. Damit die<br />
Wechselwirkung der Doppelbindung mit dem Übergangsmetallzentrum nicht zu stark wird<br />
und die Doppelbindung also weiterreagieren kann, werden im Allgemeinen kationische (im<br />
Periodensystem) frühe Übergangsmetallzentren mit wenigen d-Elektronen verwendet.<br />
M<br />
R<br />
R<br />
Dies schwächt die erste (im Allgemeinen dominante) Art der Wechselwirkung zwischen dem<br />
Übergangsmetallzentrum und der Doppelbindung.<br />
:<br />
d-Elektronendichte -Elektronendichte<br />
Elektronendichte in<br />
anti-bindendes Orbital<br />
der Doppelbindung<br />
Verringerung der Bindungsordnung<br />
Aktivierung!<br />
:<br />
Elektronendichte aus<br />
bindendem Orbital<br />
der Doppelbindung<br />
Verringerung der Bindungsordnung<br />
Aktivierung!<br />
d-Elektronendichte -Elektronendichte<br />
Elektronendichte in<br />
anti-bindendes Orbital<br />
der Doppelbindung<br />
Verringerung der Bindungsordnung<br />
Aktivierung!<br />
Elektronendichte aus<br />
bindendem Orbital<br />
der Doppelbindung<br />
Verringerung der Bindungsordnung<br />
Aktivierung!<br />
30
Um die Polymerisation zu initiieren, muß das Übergangsmetallzentrum als einen weiteren<br />
Liganden noch eine Alkylgruppe tragen (z. B. –CH3).<br />
Ligandenhülle<br />
M<br />
Alk<br />
Durch die zusätzlich im Übergangsmetallkomplex vorhandene Ligandenhülle (mit der wir uns<br />
noch vertieft beschäftigen werden) wird die Stereochemie der bei der Insertion stattfindenden<br />
Wachstumsreaktion erzeugten chiralen Zentren kontrolliert (was bei den bisherigen<br />
Polyreaktionen nicht möglich war).<br />
M<br />
Alk<br />
Man spricht bei der Abfolge der Stereozentren entlang der Kette von der Taktizität, und man<br />
unterscheidet verschiedene Formen von Taktizitäten, wie in der folgenden Abbildung<br />
verdeutlicht werden soll.<br />
R<br />
Ligandenhülle<br />
Ligandenhülle<br />
R<br />
M<br />
Alk<br />
Wachstum<br />
durch<br />
Insertion<br />
R<br />
Wachstum<br />
durch<br />
Insertion<br />
head/tail<br />
M<br />
Alk<br />
R<br />
Ligandenhülle<br />
M<br />
Ligandenhülle<br />
M<br />
Ligandenhülle<br />
R<br />
*<br />
R<br />
*<br />
M<br />
Ligandenhülle<br />
tail/tail M Alk<br />
Alk<br />
Alk<br />
R<br />
R<br />
Alk<br />
31
Wir wollen nun verstehen, wie man durch geschickte Wahl der Ligandenumgebung des<br />
Übergangsmetallkomplexes die einzelnen Taktizitäten in die Polymerkette implementieren<br />
kann. Das Block-isotaktische PP etwa ist ja eines der wenigen Beispiele für ein<br />
elastoplastisches Material.<br />
Wir werden uns auf Metallocen-Initiatoren der Gruppe 14 (Ti, Zr, Hf) konzentrieren, weil<br />
diese am besten erforscht sind. Die Stereokontrolle wird hierbei rein sterisch erzwungen.<br />
Welche Stereochemie in der wachsenden Kette entsteht, wird durch die Symmetrie des<br />
Metallocen-Komplexes festgelegt.<br />
M<br />
C s<br />
M<br />
P<br />
M<br />
C 2<br />
P<br />
M<br />
C 2v<br />
M M M<br />
P<br />
M<br />
P<br />
M<br />
M<br />
P<br />
32
Für ein Cs-symmetrisches Ligandengerüst resultiert syndiotaktisches PP, einfach unter der<br />
Annahme, dass die Methylgruppe des koordinierenden Propylens vor der Insertion sich so<br />
ausrichtet, dass sie am meisten sterischen Platz hat (im unten dargestellten Fall also nach<br />
oben).<br />
Da die Insertion immer als migratorische 1,2-Insertion erfolgt (das heißt, dass die<br />
Alkylgruppe jeweils wandert), verändert sich bei jedem Einbau die Richtung der<br />
Methylgruppe relativ zur letzten, so dass die syndiotaktische Beziehung zwischen den<br />
Methylgruppen daraus entspringt.<br />
Im Falle eines C2-symmetrischen Ligandengerüsts wechselt bei jedem Insertionsschritt zwar<br />
auch die Alkylgruppe ihren Platz, aber gleichzeitig wechselt auch die Ausrichtung der<br />
Methylgruppe des Propylens von oben nach unten, so dass insgesamt isotaktisches PP<br />
gebildet wird.<br />
M<br />
M<br />
M<br />
P<br />
M<br />
M<br />
P<br />
P<br />
P<br />
1. Syndiotacitic PP by „C s ― symmetric Initiators<br />
M<br />
M<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
M<br />
M<br />
M<br />
M<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
M<br />
M<br />
M<br />
33
M<br />
Gibt es in der Ligandenhülle keine sterische Vorzugsausrichtung für die Methylgruppe des<br />
Propylens (C2v-symmetrisches Ligandengerüst), resultiert folgerichtig ataktisches PP:<br />
M<br />
M<br />
M<br />
M<br />
M<br />
P<br />
M<br />
M<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
M<br />
M<br />
P<br />
P<br />
P<br />
2. Isotacitic PP by „C 2 ― symmetric Initiators<br />
M<br />
M<br />
P<br />
P<br />
P<br />
Hemisotaktisches PP kann man synthetisch erzwingen, indem man nur auf einer Seite des<br />
Ligandengerüstes eine sterische Differenzierung zulässt. Wegen des migratorischen<br />
P<br />
M<br />
M<br />
M<br />
M<br />
3. Atactic PP by „C 2v ― symmetric Initiators<br />
M<br />
M<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
M<br />
M<br />
M<br />
M<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
M<br />
M<br />
M<br />
M<br />
M<br />
M<br />
34
Charakters der Insertion, wird dann nur bei jedem zweiten Einbau eine Vorzugsrichtung<br />
gewährt, die immer in dieselbe Richtung weist.<br />
Besonders trickreich ist die chemische Strategie, um ein isotaktisch/ataktisches Block-<br />
Copolymer zu synthetisieren, das, wie oben schon angedeutet, elastoplastische Eigenschaften<br />
hat.<br />
M<br />
M<br />
M<br />
P<br />
M<br />
M<br />
P<br />
P<br />
P<br />
4. Hemisotactic PP by mixing case 2 and 3<br />
M<br />
M<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
5. Blockcopolymer it/at by temporarely switching between case 2 and 3<br />
C 2 symmetric<br />
M<br />
P<br />
M<br />
M<br />
M<br />
M<br />
C 2v symmetric<br />
isotactic block atactic block<br />
M<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
P<br />
M<br />
M<br />
M<br />
35
Dies geschieht dadurch, dass man eine Beweglichkeit innerhalb der Ligandenhülle erlaubt,<br />
indem die ansa-Verbrückung zwischen den beiden Cp-analogen Liganden weggelassen wird.<br />
Nun können diese Cp-Liganden um ihre Bindungsachse drehen (die Geschwindigkeit dieses<br />
Drehprozesses ist Temperatur-abhängig), so dass der Komplex zeitweilig C2-Symmetrie<br />
aufweist und während dieser Zeit die Kette isotaktisch wächst, und zeitweilig der Komplex<br />
C2v-Symmetrie aufweist und in diesem Zeitinterval die(selbe) Kette ataktisch wächst. Wie<br />
lang die jeweiligen Blöcke werden, kann durch die relative Stabilität der beiden Symmetrien<br />
über Substituenten am Cp-Ring eingestellt werden und zusätzlich durch die<br />
Reaktionstemperatur gesteuert werden.<br />
Die Polymerisation von 1,3-Butadien durch Insertionspolymerisation erzielt hauptsächlich das<br />
in der Reifenindustrie erwünschte cis-1,4-BR. Dies kann chemisch durch die Wechselwirkung<br />
des Diens mit dem Übergangsmetall verstanden werden (ist aber schon nicht mehr ganz so<br />
trivial, weil die MO-Theorie dafür benötigt wird).<br />
Alk<br />
M<br />
M<br />
:<br />
:<br />
d-Elektronendichte -Elektronendichte<br />
Elektronendichte in<br />
anti-bindendes Orbital<br />
der Doppelbindung<br />
Verringerung der Bindungsordnung<br />
Aktivierung!<br />
Elektronendichte aus<br />
bindendem Orbital<br />
der Doppelbindung<br />
Verringerung der Bindungsordnung<br />
Aktivierung!<br />
d-Elektronendichte -Elektronendichte<br />
Keine symmetrisch<br />
passenden d-Orbitale am<br />
Metallzentrum<br />
In der s-cis-Konfiguration kann das 1,3-Butadien über zwei Elektronenpaare am stärksten mit<br />
dem Übergangsmetallzentrum wechselwirken. In der s-trans-Konfiguration ist die<br />
„Rückbindung― vom Metall zum Dien aus Symmetriegründen nicht möglich. Bei der<br />
Koordination nur über eine Doppelbindung wird ensprechend nur ein Elektronenpaar zur<br />
cis-1,4<br />
trans-1,4<br />
Elektronendichte aus<br />
bindendem Orbital<br />
der Doppelbindung<br />
Verringerung der Bindungsordnung<br />
Aktivierung!<br />
Alk<br />
Alk<br />
M<br />
M<br />
36
Wechselwirkung eingesetzt (deshalb ist die 1,2-BR-Bildung im Vergleich zur cis-1,4-BR-<br />
Bildung benachteiligt.<br />
Vinylische Group-Transfer-Polymerisation. Eine spezielle und durchaus gewitzte vinylische<br />
Polymerisation ist die Group-Transfer-Polymerisation:<br />
O<br />
O<br />
Die Group-Transfer-Polymerisation läßt von vornherein nur ein head/tail-Wachstum zu.<br />
Abbruch- und Kettenübertragungsreaktionen gibt es nicht, so daß diese Reaktion zu den<br />
lebenden Polymerisationen gehört. Sie ist bezüglich der einsetzbaren Funktionalitäten aber<br />
sehr eingeschränkt und auch die Stereochemie des erzeugten chiralen Zentrums kann bei<br />
dieser Reaktionsführung nicht kontrolliert werden.<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
Wachstum<br />
Me 3Si<br />
R<br />
O<br />
Base, Me 3SiCl<br />
Initiator<br />
SiMe 3<br />
O O<br />
Me 3Si<br />
O<br />
O<br />
R<br />
O O<br />
O<br />
SiMe 3<br />
O O<br />
initiation<br />
Die ringöffnende Polymerisation unterscheidet sich von der Vinylpolymerisation<br />
insbesondere in der Wahl der Monomeren. Die später in der polymeren Kette auftauchenden<br />
Funktionalitäten wie Ester oder Amide liegen im Monomer cyclisch gebunden vor. Triebkraft<br />
für die Polyreaktion (sie muß wegen des Entropieverlustes bei der Kettenbildung wieder<br />
exotherm sein: Gibbs/Helmholtz-Gleichung) ist das Aufheben von Ringspannung bei der<br />
Ringöffnung. Bezüglich der entstehenden polymeren Ketten stellt die ringöffnende<br />
Polymerisation den Brückenschlag zu den Stufenreaktionen dar, die über einen anderen<br />
O<br />
R<br />
O<br />
SiMe 3<br />
O O<br />
O<br />
Me 3Si<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
SiMe 3<br />
Me 3Si<br />
O<br />
O<br />
SiMe 3<br />
O O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
37
Mechanismus dieselben Kettenverknüpfungen erzielen können, wobei in beiden Fällen<br />
Unterschiede in der Molmassenverteilung bei gleicher prinzipieller Kettenverknüpfung<br />
resultieren.<br />
Anionische ringöffnende Polymerisation. Ein typisches Beispiel für die anionische<br />
ringöffnende Polymerisation ist die Polymerisation von -Caprolactam.<br />
O<br />
O<br />
NH<br />
NH<br />
O<br />
Initiation:<br />
Wachstum:<br />
O<br />
O<br />
NH<br />
Übertragung:<br />
O<br />
O<br />
NH<br />
NH<br />
O<br />
NH<br />
O<br />
O CH 3<br />
O<br />
NH<br />
Ein back-biting ist ebenfalls möglich und kann als spezielle Form der Übertragungsreaktion<br />
aufgefasst werden, bei der die Übertragung nicht inter- sondern intra-molekular erfolgt.<br />
O<br />
O<br />
NH<br />
H<br />
N<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
NH<br />
O<br />
O<br />
NH<br />
NH<br />
O<br />
O<br />
O<br />
NH<br />
NH<br />
38
ack-biting:<br />
O<br />
O<br />
NH<br />
NH<br />
O<br />
Die Existenz der back-biting-Reaktion macht noch einmal deutlich, warum 5- und 6-Ringe als<br />
Monomere für die ringöffnende Polymerisation ungeeignet sind, da diese durch entropisch<br />
sehr günstiges ständiges back-biting rückgebildet würden, ohne dass polymere Kette<br />
entstehen könnten.<br />
Die einzige Abbruchreaktion ist eine Reprotonierung des aktiven anionischen Zentrums.<br />
Wegen der hohen Konkurrenz zwischen Wachstum und back-biting erhält man aber bei der<br />
anionischen ringöffnenden Polymerisation im Allgemeinen keine so enge<br />
Molmassenverteilung wie bei der anionischen Vinylpolymerisation, bei der kein back-biting<br />
auftritt. Man bekommt eine breite Verteilung mit polymeren Ketten und oligomeren Ringen.<br />
Insertionsunterstützte ringöffnende Polymerisation. Die insertionsunterstützte ringöffnende<br />
Polymerisation findet man insbesondere bei der Herstellung von Polyestern, bei denen Lewis-<br />
acide Verbindungen wie Zinnalkoholate (M = Sn im unteren Schaubild) Einsatz finden.<br />
Die Steuerung der Stereochemie ist wegen des achiralen Charakters der Ester-Funktion<br />
sekundär und im Falle von weiter entfernten Stereozentren problematisch.<br />
Kationische ringöffnende Polymerisation. Die kationische ringöffnende Polymerisation<br />
gleicht in ihren Reaktionen und deren Konsequenzen auf die Produkteigenschaften der<br />
anionischen ringöffnenden Polymerisation mit entsprechend inversem Elektronenbedarf.<br />
O<br />
O<br />
NH<br />
NH<br />
O<br />
39
Epoxide sind ein typisches Beispiel für die kationische ringöffnende Polymerisation mittels<br />
Protonen als Initiatoren zur Synthese von Polyethern.<br />
Initiation:<br />
O<br />
Wachstum:<br />
O<br />
H<br />
H +<br />
O<br />
H<br />
O<br />
H<br />
O O<br />
Ringöffnende Metathesepolymerisation (ROMP). Eine spezielle aber heute bereits sehr<br />
wichtige Reaktion ist die ringöffnende Metathesereaktion, die auf einer speziellen Reaktion<br />
einer Doppelbindung mit einem Übergangsmetallkomplex beruht.<br />
M M M<br />
Ausgehend von 1,5-cis,cis-Cyclooctadien kann über diese Methode 1,4-Polybutadien erhalten<br />
werden. Das cis/trans-Verhältnis wird dabei thermodynamisch gesteuert und erzielt daher<br />
immer recht hohe trans-Anteile. 1,2-BR-Einheiten können auf diese Weise verhindert werden.<br />
40
Ein weiteres wichtiges Monomer für die ringöffnende Metathesepolymerisation ist<br />
Norbornen. Dieses wird unter anderem im Bereich selbstheilender Materialien eingesetzt.<br />
Self-healing Materials<br />
Release of healing agent<br />
Polyeliminierung. Die Polyeliminierung stellt eine eigenständige Kettenwachstumsreaktion<br />
dar, die mit der ringöffnenden Polymerisation eng verwandt ist. Es gibt nur wenige Beispiele<br />
für diesen Reaktionstyp. Technisch spielt diese Polyreaktion keine große Rolle.<br />
R<br />
HN<br />
O<br />
O<br />
O<br />
+ OH<br />
HO<br />
O<br />
Initiation<br />
R O<br />
N<br />
H<br />
HO<br />
R<br />
O<br />
NH<br />
O<br />
C<br />
R<br />
O<br />
N<br />
H<br />
O<br />
O<br />
Eliminierung<br />
Eliminierung<br />
HO<br />
O<br />
HO<br />
O<br />
Wachstum<br />
R O<br />
Stufenreaktionen. Die Stufenreaktion zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass alle im<br />
System vorhandenen Moleküle gleichzeitig wachstumsaktiv sind. Dies führt zu der breiten<br />
N<br />
H<br />
R<br />
175<br />
R<br />
NH<br />
R<br />
O<br />
HN<br />
H<br />
N<br />
C<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
41
Molmassenverteilung, die als Schulz/Flory-Verteilung bezeichnet wird und für die der<br />
Polydispersionsgrad Mw/Mn = 2 ist. Polyaddition und Polykondensation sind mit Abstand die<br />
wichtigsten Vertreter dieser Gruppe.<br />
Polyaddition. Das klassische Beispiel für Polyadditionen bilden die Polyurethane, bei denen<br />
Diole an Bis-Isocyanate addiert werden.<br />
H O<br />
N<br />
C<br />
O<br />
N<br />
C<br />
O<br />
H O<br />
O H<br />
H<br />
O<br />
H<br />
C<br />
O<br />
N<br />
O<br />
O<br />
H<br />
Eine häufige Nebenreaktion bei dieser Polyaddition ist die Reaktion des Isocyanat-Monomers<br />
mit Spuren an vorhandenem Wasser.<br />
O<br />
C<br />
N<br />
C<br />
O<br />
N<br />
C<br />
O<br />
H O<br />
H<br />
H<br />
O<br />
H<br />
O<br />
C<br />
O<br />
H<br />
N<br />
freies<br />
Urethan<br />
H<br />
N<br />
N C<br />
H<br />
O<br />
HN<br />
C<br />
O<br />
N<br />
NH<br />
H<br />
N C O<br />
H<br />
O HN<br />
C<br />
O<br />
Das dabei sich bildende freie unsubstituierte Urethan ist instabil gegenüber der Eliminierung<br />
von CO2, und das entstehende Amin reagiert seinerseits analog zum Alkohol mit den<br />
Isocyanat-Funktionen unter Ausbildung einer harnstoffanalogen Gruppierung. Das bei dieser<br />
Reaktion freigesetzte CO2 wird häufig gleichzeitig als Schäumungsgas verwendet, wenn<br />
Polyurethanschäume das Zielprodukt sind.<br />
Polykondensation. Im Unterschied zur Polyaddition werden bei der Verknüpfungsreaktion im<br />
Falle der Polykondensation kleine Moleküle abgespalten. Dies wird auch zur Erzeugung<br />
hoher Polymerisationsgrade ausgenutzt, indem die kleinen Moleküle im Vakuum dem<br />
Gleichgewicht entzogen werden und dieses dann auf die Seite der polymeren Kette<br />
gezwungen wird.<br />
N<br />
H<br />
C O<br />
N<br />
H<br />
O<br />
NH C<br />
H<br />
O<br />
O<br />
C O<br />
O<br />
H<br />
O H<br />
42
H O<br />
O<br />
O<br />
H OH<br />
C<br />
HO<br />
C O<br />
H O<br />
H O<br />
O H<br />
O<br />
O<br />
O<br />
H H<br />
Polyamide (die in einigen Fällen auch über ringöffnende Polymerisation hergestellt werden<br />
können) sind eine typische Gruppe von Polymeren, die durch Polykondensation synthetisiert<br />
werden können.<br />
Bei der Polykondensation (wie auch bei der Polyaddition) gibt es allgemein zwei Typen von<br />
Reaktionen, abhängig davon, wie die zur Polymerisation notwendigen beiden<br />
Funktionalitäten A und B auf die Monomere verteilt sind. Typ I wird für die Benennung der<br />
Verteilung A-R-B in einem Monomer verwendet. Als Typ II bezeichnet man die Situation, bei<br />
der zwei unterschiedliche Monomere A-R-A und B-R-B (durch die Polyreaktion erzwungen)<br />
streng alternierend miteinander die Kette aufbauen.<br />
n<br />
n<br />
n<br />
Typ I:<br />
H 2N COOH N H<br />
Typ II:<br />
HOOC COOH<br />
H 2N NH 2<br />
C<br />
O<br />
H<br />
C O<br />
H O<br />
C<br />
O H<br />
H OH<br />
HO<br />
H<br />
(<br />
(<br />
n<br />
C C<br />
O<br />
HN<br />
O<br />
n<br />
NH<br />
O<br />
+ (n-1) H 2O<br />
+ (n-1) H 2O<br />
Die Benennung der Polyamide erfolgt nach der Anzahl der die beiden Funktionalitäten<br />
verknüpfenden C-Atome innerhalb der Monomers, also für ein PA des Types I mit –<br />
NH(CH2)5CO- Einheiten wird die Bezeichnung PA-6 verwendet. Für ein PA des Types II mit<br />
–NH(CH2)6NHCO(CH2)4CO- Einheiten wird der Name PA-6,6 gesetzt (die erste 6 für das<br />
eine Comonomer und die zweite 6 für das zweite Comonomer).<br />
Die Konnektivität innerhalb der polymeren Kette hat entscheidenden Einfluß auf die<br />
Eigenschaften des polymeren Produktes. Hierbei ist wichtig, wie effektiv sich intermolekulare<br />
Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Amid-Funktionalitäten ausbilden können. Je<br />
mehr dieser Bindungen möglich sind, desto fester und höher schmelzend wird das Polyamid<br />
sein.<br />
43
So beträgt der Schmelzpunkt von PA-6,6 265°C im Vergleich zu PA-6 mit 225°C.<br />
Andererseits ist die Wasser(Feuchtigkeits-)aufnahmefähigkeit von PA-6 wegen der<br />
vorhandenen freien Amid-Funktionalitäten deutlich größer als die von PA-6,6. Die<br />
Wasseraufnahmefähigkeit kann neben der Verringerung an freien Amid-Funktionen auch<br />
durch die Erhöhung des hydrophilen Charakters durch Verlängerung der (-CH2-)-Einheiten<br />
erniedrigt werden.<br />
Eine Situation zwischen Typ I und Typ II stellt die acyclische Dienmetathese (ADMET) dar,<br />
weil hier die Funktionalität A gleich der Funktionalität B ist und somit keine Unterscheidung<br />
zwischen Typ I und Typ II möglich wird.<br />
n<br />
Übergangsmetall-<br />
Komplex<br />
n<br />
+ (n - 1) Ethen<br />
44
Polyrekombination.<br />
Eine weniger wichtige Form der Stufenreaktion ist die Polyrekombination. Der spezielle<br />
Elektronenbedarf lässt von vorn herein nur wenige Monomere als Kandidaten für diese<br />
Reaktion zu.<br />
Alle Stufenreaktionen können bezüglich ihres Umsatzes einheitlich und erträglich einfach<br />
quantitativ beschreiben werden, indem die Verknüpfungswahrscheinlichkeit, p eingeführt<br />
wird (Wahrscheinlichkeit, daß zwei funktionelle Gruppen unter Verknüpfung miteinander<br />
reagiert haben). Für die Wahrscheinlichkeit P(n), dass sich ein Polymerisationsgrad mit n<br />
eingebauten Monomeren ergibt, gilt dann:<br />
P(n) = p n-1 (1-p)<br />
Physikalisch bedeutet diese Gleichung, dass eine Verknüpfung (n-1)-mal stattgefunden hat<br />
und beim n-ten Mal nicht mehr. Der mittlere Polymerisationsgrad ist der Erwartungswert des<br />
Polymerisationsgrades.<br />
Pn = n=1 n=∞ p n-1 (1-p) n = (1-p) n=1 n=∞ n p n-1<br />
= (1-p) / n n=1 n=∞ p n-1 = (1-p) / n 1/(1-p) = 1/(1-p) = Pn<br />
Dies zeigt, dass man bei Stufenreaktionen erst bei sehr hohen Umsätzen hohe<br />
Polymerisationsgrade erhalten kann (Umsatz U = p; bei Umsatz 0 ist die Wahrscheinlichkeit,<br />
daß zwei funktionelle Gruppen miteinander reagiert haben, null und bei Umsatz 1 ist die<br />
Wahrscheinlichkeit, daß zwei funktionelle Gruppen miteinander reagiert haben, eins).<br />
45
Das oben stehende Diagramm vergleicht die Entwicklung des mittleren Polymerisationsgrad<br />
als Funktion des Umsatzes bei einer Stufenreaktion (a) mit den Verläufen bei einer<br />
anionischen Vinylpolymerisation (b) und einer radikalischen Vinylpolymerisation. Eine<br />
weitere gravierende Auswirkung auf den erreichbaren mittleren Polymerisationsgrad bei der<br />
Stufenreaktion eines Typ II-Systems ist ein (schon geringer) Unterschied an im System<br />
vorhandenen A- und B-Gruppen.<br />
q = NA/NB mit NA < NB<br />
Pn = (1 + q) / [(2q (1-p) + 1-q)]<br />
(Herleitung in der Übung)<br />
Schon ein 1%iger Überschuß an B lässt mittlere Polymerisationsgrade nur noch von etwa 200<br />
erwarten.<br />
Bei der Polykondensation ist darüber hinaus das Entfernen der erzeugten niedermolekularen<br />
Nebenkomponente für das Erzielen von hohen Polymerisationsgraden wichtig:<br />
n AH + n BX → (-AB-)n + n HX<br />
K = [AB] [HX] / [AH] [BX]<br />
= p [HX] / (1-p) 2<br />
K/[HX] = p/(1-p) 2 =<br />
p = 1/(2 ) (1 + 2 - (1 + 4 )<br />
Pn = 2 / [ (1 + 4 ) -1]<br />
Pn ≈ für 2<br />
46
Geht man davon aus, daß die Gleichgewichtskonstante einen Wert um 10 besitzt, muß die<br />
Konzentration an niedermolekularer Komponente kleiner als 10 -5 mol/L sein, damit<br />
Polymerisationsgrade jenseits von 1000 erzielt werden können.<br />
Chemische und Physikalische Modifizierung von Polymeren. Weiterhin gibt es chemische<br />
Reaktionen und Physikalische Manipulationen, die nach Vollendung der Polyreaktion<br />
angewandt werden:<br />
Polymeranaloge Reaktionen (Kohlefaser, Polyvinylalkohol)<br />
O<br />
O<br />
O O O O<br />
CN CN CN CN CN<br />
Vernetzung (siehe oben)<br />
O<br />
Faser-verstärken (Glasfaser, Carbonfaser zumischen)<br />
O<br />
H 2O<br />
HO<br />
O<br />
O<br />
OH OH OH OH<br />
O<br />
HO HO HO<br />
N N N N<br />
Legieren (Mischen verschiedener Polymere Polymer Blends)<br />
Zumischen von Additiven<br />
Additives<br />
Plasticizers Stabilizers Fillers Antistatic<br />
agents<br />
-act as "poor solvent" for<br />
the polymer<br />
-decrease the operating<br />
temperature for shaping<br />
flame<br />
retardant<br />
internal extinguishers:<br />
Al(OH) 3 H 2O<br />
XBr n n Br<br />
XP n "PO" coating<br />
O<br />
Blowing<br />
agents<br />
thermal light mechanic atmosphere active inactive<br />
heat<br />
Leadorganyls<br />
UVabsorbers<br />
absorbe heat by decomposing<br />
into lessreactive<br />
products<br />
Fibers<br />
oxygen moisture<br />
Antioxidants<br />
hydrophobics<br />
color pigments<br />
anti-shrinking<br />
self-healing<br />
extenders:<br />
fill volume<br />
lower the price<br />
47
Additive sollen die Eigenschaften des Kunststoffes verbessern. Weichmacher sind<br />
niedermolekulare aber immer noch recht hochsiedende Komponenten, die als mäßig gutes<br />
Lösemittel die intermolekularen Wechselwirkungen verringern. Stabilisatoren sollen den<br />
Kunststoff langlebiger machen. Gegenüber Entflammbarkeit schützen Additive, die im Falle<br />
eines Brandes entweder Wasser freisetzen, Sauerstoff binden oder Abfänger-Radikale<br />
erzeugen, die die Weiterreaktion des Brandes hemmen. Gegen Hitze schützen Additive, die<br />
selbst unter Wärmeeinfluß zerfallen und die Wärmeenergie dabei verbrauchen. Für<br />
mechanischen Schutz sorgen Fasern als Additive (Glasfasern oder Carbonfasern). Gegen UV-<br />
Licht schützen UV-absorbierende Additive, gegen Luftsauerstoff Antioxidantien und gegen<br />
Luftfeuchtigkeit Additive mit hydrophoben Eigenschaften. Bei Schäumen können Additive<br />
durch Freisetzung gasförmiger Bestandteile die Schaumbildung fördern oder überhaupt erst<br />
bewirken. Es gibt aber auch Additive, die einfach nur Volumen füllen und den Preis des<br />
Produktes senken.<br />
2.3.3 Prozeßführung<br />
Während die Polyreaktion den entscheidenden Einfluß auf die Mikrostruktur der polymeren<br />
Kette nimmt, ist die Prozessführung wichtig für die Reinheit des Produktes und dessen<br />
Isolierung, die Produktionsrate und die Leichtigkeit, mit der die Reaktionswärme abgeführt<br />
werden kann und die Viskosität ansteigt, sowie welche Partikelgröße entsteht.<br />
Polymer Reaktionsenthalpie in kJ/mol[Monomer]<br />
PP -89<br />
PE -108<br />
Polybut-1-en -106<br />
PS -73<br />
PVC -71<br />
Man unterscheidet insbesondere 5 verschiedene Prozessführungen, die im Folgenden<br />
dargestellt und verglichen werden.<br />
2.3.3.1 Substanzpolymerisation<br />
Die Substanzpolymerisation kann auch als eine spezielle Form der Lösungspolymerisation<br />
aufgefaßt werden, nämlich für den Fall, daß das Polymere im Monomeren löslich ist.<br />
Zusätzliche lösende Komponenten sind nicht anwesend, so daß man sehr reine Produkte<br />
48
erhält. Als Fremdkörper sind nur die Initiatoren oder Katalysatoren anwesend, die nicht selten<br />
in so geringer Menge eingesetzt werden können, daß eine Nachreinigung des polymeren<br />
Produktes nicht nötig ist. Wegen der hohen Konzentration an Monomerem ist die<br />
Reaktionsgeschwindigkeit sehr hoch. Dies führt zu Schwierigkeiten bei der Wärmeabfuhr der<br />
Reaktionswärme; nicht zuletzt weil die Viskosität des Reaktionsmediums mit steigendem<br />
Umsatz stark ansteigt, so daß für sehr effektive äußere Kühlung gesorgt werden muß (in<br />
einigen Fällen auch durch Verdampfungskühlung des Monomeren). Bei der radikalischen<br />
Polymerisation wird eine Reaktion mit dem Lösemittel durch dessen Nicht-Existenz<br />
ausgeschlossen. Mit dieser Prozessführung können sehr dickwandige Formteile hergestellt<br />
werden, da im gewünschten Falle ein riesiges Polymerpartikel gebildet werden kann.<br />
(Vorteil: Reines Polymerprodukt, keine Nachreinigung nötig, hohe<br />
Reaktionsgeschwindigkeit, dickwandige Werkstoffe können hergestellt werden<br />
Nachteil: Wärmeabfuhr schwierig; Viskosität steigt stark an)<br />
2.3.3.2 Lösungspolymerisation<br />
Die Bezeichnung Lösungspolymerisation wird im Allgemeinen nur verwendet, wenn ein<br />
fremdes Lösemittel (nicht das Monomere selbst) zum Reaktionsprozess beigefügt wird. Durch<br />
die Anwesenheit des Lösemittels wird eine Übertragung auf dieses als Nebenreaktion<br />
möglich. Auch sinkt durch die Verdünnung die Reaktionsgeschwindigkeit, was häufig gewollt<br />
ist, um die Reaktionswärme besser beherrschten zu können, die darüber hinaus durch<br />
Verdampfungskühlung des Lösemittels abgeführt werden kann. Dadurch, daß das gebildete<br />
Polymere in Lösung entsteht, ist der Anstieg der Viskosität des Reaktionsmediums auch<br />
moderater und gewährleistet eine recht unproblematische Reaktionsführung bis hin zu hohen<br />
Umsätzen. Ein Nachteil ist in vielen Fällen, daß das Lösemittel nach der Reaktion entfernt<br />
werden muß, was teuer ist. Einige Anwendungen (Lacke und Klebstoffe) erfordern allerdings<br />
Polymerlösungen als vermarktbares Endprodukt.<br />
(Vorteil: gute Wärmeabfuhr, Senkung der Viskosität, einige Anwendungen erfordern<br />
Polymerlösungen Nachteil: Abtrennung des Lösemittels kostspielig)<br />
2.3.3.3 Fällungspolymerisation<br />
Notwendige Bedingung für eine Fällungspolymerisation ist, daß das polymere Produkt als<br />
Feststoff ausfällt. Dies bringt zwei entscheidende Vorteile. Zum einen steigt die Viskosität<br />
des Reaktionsmediums wegen des Ausfallens des Polymers nicht. Zum anderen ist die<br />
Abtrennung und Isolierung des Produktes durch einfache Filtration möglich. Gleichzeitig ist<br />
49
die Abführung der Reaktionswärme durch Verdampfungskühlung des Fällungsmittels einfach<br />
realisierbar. Durch die Wahl des Fällungsmittels und der (geringen) Löslichkeit des<br />
Polymeren darin kann die Partikelgröße eingestellt werden.<br />
Beispiele: PVC-Synthese in VC; Isobutylen-Synthese in Methylenchlorid; PAN-Synthese in<br />
Wasser.<br />
(Vorteil: Leichte Abtrennung, keine Viskositätserhöhung im Laufe der Reaktion; möglicher<br />
Einfluß auf Partikelgröße Nachteil: Unlöslichkeit des Polymers im Monomer nur<br />
selten gegeben)<br />
2.3.3.4 Suspensionspolymerisation<br />
Der Name Suspensionspolymerisation beschreibt eigentlich die Endphase dieser<br />
Prozessführung (fest/flüssig-Mischung). Bei ihr werden Monomertröpfchen in einer<br />
Flüssigkeit (meist Wasser) dispergiert. Zur kinetischen Stabilisierung der Monomertröpfchen<br />
wird ein Dispergator (z. B. CaCO3 oder BaSO4; elektrostatische Abstoßung der<br />
Monomertröpfchen) gegeben. Zum Start der Polyreaktion wird ein im Monomertröpfchen<br />
(nicht aber in der Dispergierflüssigkeit) löslicher Initiator zugegeben (z. B.<br />
Peroxodibenzoesäure). Die Polymerisation findet dann in den Monomertröpfchen analog wie<br />
bei in Substanzpolymerisation statt. Nur kann die Reaktionswärme leichter durch<br />
Verdampfungskühlung der Dispergierflüssigkeit abgeführt werden und die Partikelgröße kann<br />
durch die Rührgeschwindigkeit und die Menge an zugesetztem Dispergator reguliert werden.<br />
Man erkauft sich diese Vorteile durch den Nachteil, daß der Dispergator als Verunreinigung<br />
aus dem Produkt gewaschen werden muß. Das als Dämm-Material bekannte, aus kleinen<br />
Kügelchen bestehende PS ist ein Beispiel, bei dem diese Prozessführung verwendet wird.<br />
(Vorteil: Partikelgröße kann eingestellt werden, Wärmeabfuhr günstig Nachteil:<br />
untere Grenze für Partikelgröße, Suspensionsmittel müssen aus dem Produkt entfernt werden)<br />
2.3.3.5 Emulsionspolymerisation<br />
Die Emulsionspolymerisation ähnelt in mehrerlei Hinsicht der Suspensionspolymerisation,<br />
weist aber auch deutliche Unterschiede zu letzterer auf.<br />
50
Wie bei der Suspensionspolymerisation wird das Monomere in einem Emulsionsmittel<br />
dispergiert. Und auch hier werden oberflächenaktive Auxiliare (Emulgatoren) zugegeben. Ein<br />
entscheidender Unterschied besteht in der Konzentration der oberflächenaktiven Auxiliare,<br />
dem Ort der Wachstumsreaktion und dem Aufenthaltsort der Initiatoren. Im Unterschied zur<br />
Suspensionspolymerisation werden Initiatoren eingesetzt, die im Emulsionsmittel (nicht aber<br />
im Monomertropfen) löslich sind. Der Emulgator wird in einer derartigen Menge in das<br />
System gegeben, daß die kritische Micellenkonzentration überschritten wird. Oberhalb dieser<br />
Konzentration finden sich mehrere Emulgatormolekule zu größeren Agglomeraten, den<br />
Micellen, zusammen und liegen nicht mehr molekulardispers vor. Die Oberflächenspannung<br />
des Systems sinkt oberhalb dieses Punktes. Obwohl die Monomertröpfchen um ein Vielfaches<br />
größer sind als die Micellen, liegen letztere in realen Fällen in um mehrere Größenordnungen<br />
(10 8 ) höheren Mengen vor, so daß der Hauptreaktionsweg nicht über die Monomertröpfchen<br />
erfolgt (die Initiatoren sind ja nicht in ihnen löslich), sondern nach Diffusion der Monomere<br />
von den Reservoirtröpfchen in die Micellen in letzteren stattfindet. Die Kinetik einer üblichen<br />
Emulsionspolymerisation kann in drei Phasen unterteilt werden, wie im unteren Diagramm<br />
veranschaulicht ist.<br />
In der ersten Phase steigt die Polymerisationsgeschwindigkeit, während die<br />
Oberflächenspannung der Mischung niedrig bleibt. Der physikalische Grund dafür ist, daß<br />
Monomere aus den Reservoirtröpfchen in die Micellen wandern. Dadurch steigt die<br />
Konzentration an Monomeren in den Micellen. Auf dem Weg von den Monomertröpfchen in<br />
die Micellen werden einige Monomere durch Reaktion mit dem Initiator aktiviert, und diese<br />
starten dann die Wachstumsreaktion in den Micellen.<br />
Die zweite Phase zeichnet sich dadurch aus, daß die Wachstumsgeschwindigkeit konstant<br />
bleibt, während die Oberflächenspannung des Systems sprunghaft ansteigt. Der Physikalische<br />
Grund: durch das Einwandern von Monomeren in die Micellen dehnen sich dies aus. Um als<br />
Micellen weiter existieren zu können, müssen zusätzliche Emulgator-Moleküle angelagert<br />
51
werden. Dadurch verringert sich die Konzentration an Emulgator im System, so daß die<br />
kritische Micellenkonzentration unterschritten wird, was zum Anstieg der<br />
Oberflächenspannung führt. Ein weiteres Wachstum der Micellen unter zusätzlichem<br />
Einlagern von Monomeren ist jetzt nicht mehr möglich. Gleichzeitig stellt sich ein stationärer<br />
Zustand von abreagierenden Monomeren in den Micellen und nachdiffundierenden<br />
Monomeren aus den Reservoirtröpfchen ein, so daß die Wachstumsgeschwindigkeit gleich<br />
bleibt.<br />
In der dritten Phase sinkt die Wachstumsgeschwindigkeit wieder gegen null bei<br />
gleichbleibender Oberflächenspannung des Systems. Dies liegt daran, daß die<br />
Reservoirtröpfchen aufgebraucht sind und die noch in den Micellen vorhandenen Monomere<br />
abreagieren. Die Konzentration an Monomeren in den Micellen sinkt daher stetig und mit ihr<br />
auch die Wachstumsreaktion. Durch genaue Abstimmung der Emulgatormenge und der<br />
Monomermenge kann gezielt Einfluß auf die Partikelgröße genommen werden. Die<br />
Molmassenverteilung und der mittlere Polymerisationsgrad wird, wie bereits unter der<br />
Polyreaktion erwähnt, entscheidend durch die Wahl und Menge des Initiators bestimmt. Ein<br />
großer Nachteil der Emulsionspolymerisation ist, daß die Emulgatoren selten vollständig<br />
entfernt werden können.<br />
(Vorteil: Partikelgröße kann beeinflusst werden, sehr kleine Partikel möglich, hohe<br />
Polymerisationsgrade mit hoher Reaktionsgeschwindigkeit Nachteil:<br />
Emulsionsmittel können im Allgemeinen nicht restlos entfernt werden; Reinheit des<br />
Produktes geringer als bei Suspensionspolymerisation)<br />
52
Das obige Diagramm vergleicht noch einmal, wie man durch die Prozessführung<br />
insbesondere die Partikelgröße entscheidend einstellen kann.<br />
2.3.4 Reaktorwahl (Reaktoren beschreiben und vergleichen)<br />
Man kann zunächst einmal drei generelle Reaktortypen voneinander unterscheiden, indem<br />
man sich die zeitliche und örtliche Entwicklung der reagierenden Komponente in diesen<br />
Reaktoren ansieht. Dies sind der diskontinuierliche ideale Rührkessel, das ideale<br />
Strömungsrohr und der kontinuierliche ideale Rührkessel.<br />
Im idealen diskontinuierlichen Rührkessel nimmt die reagierende Komponente (z. B. das<br />
Monomere) zeitlich ab, bleibt aber räumlich zu jedem Zeitpunkt isotrop gleichförmig verteilt.<br />
Im idealen Strömungsrohr liegen die Verhältnisse genau komplementär. An jedem Ort im<br />
Strömungsrohr ist die Konzentration der reagierenden Komponente konstant. Entlang des<br />
Rohres nimmt die Konzentration jedoch örtlich mehr und mehr ab.<br />
Im idealen kontinuierlichen Rührkessel ist die Konzentration an reagierender Komponente<br />
sowohl zeitlich als auch örtlich konstant.<br />
Kontinuierliche Reaktorführung ist, wo immer das verfahrenstechnisch möglich ist, aus<br />
wirtschaftlichen Gesichtspunkten immer erstrebenswerter, da Totzeiten zum Be- und<br />
Entfüllen entfallen.<br />
53
Bezüglich der Beeinflussung der Produkteigenschaften durch die Reaktorwahl ist<br />
insbesondere das Verweilzeitspektrum des Inhalts von Bedeutung, weil dieses bei Polymeren<br />
sich mit der Molmassenverteilung überlagert. Je breiter das Verweilzeitspektrum des Inhaltes<br />
desto breiter wird auch die Molmassenverteilung des polymeren Produktes (auch wenn die<br />
Polyreaktion eine lebende Polymerisation ist).<br />
Die obige Darstellung zeigt ein Beispiel für eine reale Verweilzeitverbreiterung. Verglichen<br />
wird eine Substanz (etwa eine mit roter Farbe eingefärbte Flüssigkeit), die zu einem Zeitpunkt<br />
0 in den Reaktor gegeben wird mit dem Bruchteil der roten Flüssigkeit, die den Reaktor nach<br />
der Zeit t wieder verlassen hat.<br />
In einem idealen Strömungsrohr kommt es zu keiner Verweilzeitverbreiterung. In einem<br />
diskontinuierlichen Rührkessel trivialerweise auch nicht. Anders ist dies beim kontinuierlich<br />
betriebenen Idealkessel. Für ihn gilt<br />
54
dcaus/dt = cein/ – caus/ mit : mittlere Verweilzeit<br />
dcaus/(cein-caus) = dt/<br />
caus = cein (1 – e -t/ )<br />
In einem idealen diskontinuierlich betriebenen Rührkessel wird man also eine deutliche<br />
Verbreiterung der Molmassenverteilung durch das Verweilzeitspektrum des Reaktors<br />
erwarten.<br />
Einen schrittweisen Übergang von diskontinuierlich betriebenem idealem Rührkessel zum<br />
idealen Strömungsrohr bekommt man durch Hintereinanderschaltung mehrerer<br />
diskontinuierlich betriebenen idealen Rührkessel zu einer Kaskade.<br />
Eine Form des Kompromisses zwischen einem diskontinuierlichem idealen Rührkessel und<br />
einem kontinuierlich betriebenen idealen Rührkessel stellt der Schleifenreaktor dar.<br />
Bei ihm wird ein Hauptteil der Reaktionsmasse im ständig rückgeführt (in der Schleife<br />
gefahren) und nur ein geringer Anteil entnommen.<br />
2.3.5 Beispiele für die Herstellung wichtiger organischer Polymere<br />
Wenden wir nun unser bisher Gelerntes einmal auf das Beispiel der Synthese von Polyethylen<br />
an. Die Jahresproduktion an PE liegt bei etwa 60 Mt/a, wobei die Produktion seit Jahren<br />
steigend ist. PE macht etwa 25% der Weltproduktion bezogen auf alle Polymere aus und ist<br />
damit mengenmäßig das wichtigste organische Polymere. Wir hatten bereits angesprochen,<br />
55
daß es verschiedene Arten an PE gibt, die sich insbesondere in ihrer Dichte, letztendlich aber<br />
natürlich in ihrer Mikrostruktur unterscheiden.<br />
HDPE besitzt eine Dichte größer als 0.941 g/mL. Diese ist auf eine lineare Kette ohne jede<br />
Verzweigung zurückzuführen. LDPE hat eine Dichte von kleiner als 0.930 g/mL, bedingt<br />
durch zahlreiche Kurzkettenverzweigungen mit Seitenkettenlänge 4 und 5 und einige<br />
Langkettenverzweigungen. LLDPE (linear low density PE) weist ebenfalls eine geringere<br />
Dichte als 0.930 g/mL auf, hat aber keinerlei Langkettenverzweigungen, lediglich<br />
Kurzkettenverzweigungen, die nicht auf 4- und 5-Seitenketten beschränkt sind (im<br />
Allgemeinen werden es 8-Ketten sein, wie später noch erklärt wird).<br />
56
Neben der Mikrostruktur, die hauptsächlich durch die Wahl der Polyreaktion hervorgebracht<br />
wird, spielen natürlich auch die Molmassenverteilung und der mittlere Polymerisationsgrad<br />
eine entscheidende Rolle für das Eigenschaftsprofil. Diese werden vorwiegend durch die<br />
Prozessierungs- und Reaktorwahl bestimmt. Der MFR ist ein Schmelz/Fließ-Index, der<br />
Auskunft über die Viskosität und damit über die mittlere Molmasse des Polymers gibt (je<br />
kleiner dieser Wert ist, desto größer ist die Viskosität/Molmasse des Polymers).<br />
Die einzelnen oben vorgestellten PE-Arten entstehen nicht zufällig sondern durch unsere<br />
gezielte Wahl der Polyreaktion, der Prozeßführung und des Reaktors<br />
LD-PE. Low density PE wird in Substanz im Hochdruckverfahren (1500-3500 bar) bei 200°C<br />
bis 330°C insbesondere im Rohrreaktorverfahren durch radikalische Polymerisation<br />
hergestellt.<br />
Die vielen kurzkettigen Verzweigungen im Produkt werden durch die Back-biting Reaktion<br />
bewirkt. Wegen der Bevorzugung von 5- und 6-Ringen bei dieser Reaktion (wie unter dem<br />
Unterpunkt radikalische Vinylpolymerisation dargestellt) entstehen Übertragungen der<br />
reaktiven Zentren an Positionen, die bei weiterem Wachstum dann Seitenketten der Länge 4<br />
und 5 entstehen lassen. Die ebenfalls, aber weniger häufig auftretende intermolekulare<br />
Übertragung des radikalischen Zentrums ins innere einer anderen Kette führt zu den<br />
Langkettenverzweigungen. Die große Anzahl an Seitengruppen wiederum bedingt die geringe<br />
Dichte des Materials. Es wird in Substanz gearbeitet, damit keine Übertragung auf das<br />
Lösemittel erfolgen kann. Die Schwierigkeit der Abführung der Reaktionswärme wird durch<br />
Vorkühlung des monomeren Gases eingedämmt. Durch die Polyreaktion wird eine<br />
monomodale Molmassenverteilung mit einem Polydispersionsindex zwischen 1.5 und 2<br />
erzeugt.<br />
57
Der Rohrreaktor verändert daran nur wenig. Für die weitere Verarbeitung (Schmelzpunkt)<br />
und die mechanischen Eigenschaften des Produktes ist diese recht breite<br />
Molmassenverteilung günstig und gewollt.<br />
HD-PE. High density PE wird durch Insertionspolymerisation in Suspension, Lösung oder<br />
Substanz (Gasphasenreaktion) in Schleifenreaktoren oder Kesselkaskaden in<br />
Niederuckverfahren (zwischen 10 und 100 bar) durchgeführt.<br />
58
Durch die Polyreaktion sind Übertragungsreaktionen nicht möglich, genauso wenig wie back-<br />
biting. Es gibt deshalb keine Verzweigungen, woraus die hohe Dichte des Materials resultiert.<br />
Dies Suspensionspolymerisation erlaubt zu hohen Polymerisationsgraden zu gehen, da die<br />
Wärmeabfuhr über Siedewärme des Suspensionsmittels möglich ist und die Viskosität in<br />
geregelten Bahnen gehalten werden kann. Über den Kaskadenreaktor können multimodale<br />
Molmassenverteilungen gezielt erzeugt werden, indem in den einzelnen Kesseln Initiator<br />
nachdosiert wird. Auch der Comonomeranteil (kurzkettige 1-Olefine) kann von Kessel zu<br />
Kessel variiert werden.<br />
LLD-PE. Zwischen der Herstellung von HD-PE und LLD-PE gibt es im Prinzip keine<br />
Unterschiede. Die Unterschiede in den Eigenschaften der beiden Produkte entstehen dadurch,<br />
daß bei der Synthese von LLD-PE eine beachtliche Menge an Co-Monomeren (1-Octen)<br />
zugegeben wird. Dies führt zu künstlich in das Produkt eingeführte Seitengruppen, die die<br />
Dichte des Polymers erniedrigen. Dies kann durch die Menge an Co-Olefin und die Länge<br />
seiner Alkylkette gezielt gesteuert und eingestellt werden. Die Polyreaktion selbst erzeugt<br />
keine Verzweigungen. Indem -Diolefine beigemischt werden, erzeugt man Vernetzungen<br />
zwischen den Ketten. Das Produkt wird dann EPDM (Ethylen, Propylen, Dien monomer)<br />
Elastomer genannt.<br />
2.3.6 Wiederverwertung von organischen Polymermaterialien<br />
Es gibt drei Arten der Wiederverwertung von organischen Polymeren, die sich bezüglich ihrer<br />
Intensität der Wiederverwertung unterscheiden. Dies sind in abnehmender Intensität das<br />
komplette Werkstoffrecycling, das Rohstoffrecycling und die Energiegewinnung.<br />
2.3.6.1 Wiederverwertung durch Werkstoffrecycling<br />
Das Ideal der Wiederverwertung ist der erneute Einsatz des Gesamtwerkstoffes unter Einsatz<br />
möglichst geringer Energie. Dies sollte bei Thermoplasten theoretisch möglich sein. Jedoch<br />
geht die thermische Behandlung selbst dieser Stoffgruppe nicht spurlos an den Materialien<br />
vorbei, so dass ein erneutes Schmelzen und Umformen mit einem Qualitätsverlust verbunden<br />
ist. Im Allgemeinen lässt sich diese ideale Form der Wiederverwertung nur bei<br />
Überschußmaterial ein und desselben Types bei der Formbildung und Maßschneiderung<br />
innerhalb eines Produktionsprozesses anwenden. Gesammelte Polymere aus dem Hausmüll<br />
weisen praktisch nie die notwendige Reinheit für einen erneuten thermoplastischen Einsatz<br />
auf.<br />
59
2.3.6.2 Wiederverwertung durch Rohstoffrecycling<br />
Weniger reine Polymere können in einigen Fällen zumindest wieder in ihre Monomere zerlegt<br />
werden. Hierbei spielt die Ceiling-Temperatur von Polymerisaten eine wichtige Rolle,<br />
oberhalb von der thermisch Depolymerisation eintritt (Thermolyse). Im Falle der<br />
Polykondensation kann die Hydrolyse durch Zugabe der kleinen abgespaltenen Moleküle im<br />
Überschuß (im Allgemeinen Wasser) und Erwärmen wieder in die Monomere gespalten<br />
werden. Für Polyamide und Polyester wird dies praktiziert. Im Falle von Polylactiden wird<br />
die Hydrolysefähigkeit zur Bioabbaubarkeit des Polymers genutzt.<br />
(n+1)<br />
HO<br />
O<br />
OH<br />
- n H 2O<br />
+ n H 2O<br />
2.3.6.3 Wiederverwertung durch Energiegewinnung<br />
Die niedrigste Form des Recyclierens ist das Nutzen des Energieinhaltes der organischen<br />
polymeren Materialien. Polyethylen etwa enthält praktisch so viel Energy wie Erdöl, aus dem<br />
es letztlich hervorging. Nicht nur im Hinblick auf den ungünstigen CO2-Haushalt bei der<br />
Verbrennung ist diese Form der Wiederverwertung kritisch zu sehen sondern auch durch das<br />
Entstehen giftiger Nebenprodukte insbesondere wenn Chlor in den Polymeren enthalten ist<br />
(PVC). Hierbei entsteht neben HCl, das teilweise wieder in Produktionsprozesse eingebracht<br />
werden kann, hoch chlorierte aromatische Verbindungen mit zum Teil außerordentlich hoher<br />
Toxizität.<br />
HO<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
H<br />
n<br />
60
3. Metalle<br />
Metalle stellen wegen ihrer herausragenden elektrischen und wärmeleitfähigen Eigenschaften<br />
eine wichtige Materialgruppe dar. Weitere wichtige Eigenschaften sind der Glanz (also die<br />
Reflektivität gegenüber für den Menschen sichtbarem Licht) und die mechanische Festigkeit<br />
dieser Werkstoffe. Eingeteilt werden können Metalle nach verschiedenen Gesichtspunkten.<br />
Zwei gängige Kriterien sind die Dichte (Schwer/Leichtmetalle, größer oder kleiner als 5<br />
g/cm 3 ) und das Red/Ox-Standardpotential (Edele/unedele Metalle, größer oder kleiner als 0 V<br />
versus H2).<br />
61
Die Synthese von Metallen kann allgemein in die drei Phasen Anreicherung, Reduktion und<br />
Raffination unterteilt werden. Wir werden uns in dieser Vorlesung vorwiegend auf die<br />
Reduktion als Metall-erzeugende chemische Reaktion konzentrieren.<br />
Anreicherung. Der Anreicherungsschritt dient zum Aufkonzentrieren der Metallatome in<br />
natürlich vorkommenden Lagerstätten. Zwei technisch wichtige Anreicherungsmethoden sind<br />
die Cyanidlaugerei für Münzmetalle wie Silber und Gold und das Bayerverfahren bei<br />
Aluminium. Wir werden diese beiden Verfahren kurz ansprechen.<br />
Bei der Cyanidlaugerei wird das im Gestein verteilte gediegene Silber oder Gold durch<br />
Behandlung mit einer wässrigen mit Luft gesättigten Cyanidlösung herausgelöst. Chemisch<br />
funktioniert dies durch das Erzeugen eines sehr stabilen Bis(cyanido)metallat(I)-Komplex, der<br />
wasserlöslich ist. Wegen der sehr hohen Stabilität dieses Komplexes reicht Sauerstoff aus der<br />
Luft als Oxidationsmittel für die Edelmetalle aus!<br />
4 Ag + 8 CN - + O2 + 2 H2O 4 [Ag(CN)2] - + 4 OH -<br />
Die so erhaltenen Lösungen werden so dann mit Zn-Pulver gemischt, wodurch die<br />
Edelmetalle wieder reduziert werden und in konzentrierter metallischer Form aus der<br />
wässrigen Lösung ausscheiden, während gleichzeitig ein ebenfalls sehr stabiler<br />
wasserlöslicher Tetra(cyanido)zinkat(II)-Komplex entsteht.<br />
2 [Ag(CN)2] - + Zn 2 Ag + [Zn(CN)4] 2-<br />
Beim Bayer-Verfahren wird Bauxit AlO(OH), ein natürliches Aluminiummineral, das aber<br />
große Mengen an Eisenoxiden enthält, mit Natronlauge angereichert.<br />
AlO(OH) + Fe2O3(s) + H2O + OH - [Al(OH)4] - (aq) + Fe2O3(s)<br />
Wegen der amphoteren Eigenschaften des Aluminiumions (kann sowohl als Lewis-Säure wie<br />
auch als Lewis-Base fungieren) löst sich das Aluminium als Tetra(hydroxo)aluminat(III) in<br />
der Natronlauge, während das Eisenoxid nicht in Lösung geht und durch Filtration abgetrennt<br />
werden kann. Durch Verdünnen der mit Aluminat angereicherten Natronlauge wird das<br />
Gleichgewicht in Richtung auf das schwer lösliche Al(OH)3 verschoben, das wiederum durch<br />
Filtration gewonnen werden kann.<br />
62
[Al(OH)4] - (aq) Al(OH)3(s) + OH -<br />
Nach Entwässern des Al(OH)3 in der Hitze zu Al2O3 kann durch Schmelzflußelektrolyse<br />
metallisches Aluminium hergestellt werden.<br />
Reduktion. Wir werden 8 verschiedene Arten der Reduktion vorstellen die untere Darstellung<br />
zeigt, welche Reduktionsart für welches elementare Metall verwendet wird.<br />
Group<br />
Period<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
1<br />
1<br />
H<br />
E<br />
3<br />
Li<br />
S<br />
11<br />
Na<br />
S<br />
19<br />
Sr<br />
S<br />
37<br />
Rb<br />
S<br />
55<br />
Cs<br />
S<br />
87<br />
Fr<br />
S<br />
*Lanthanoids<br />
**Actinoids<br />
2<br />
4<br />
Be<br />
S<br />
12<br />
Mg<br />
S<br />
20<br />
Ca<br />
S<br />
38<br />
Sr<br />
S<br />
56<br />
Ba<br />
S<br />
88<br />
Ra<br />
S<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
*<br />
3<br />
21<br />
Sc<br />
S<br />
39<br />
Y<br />
MT<br />
71<br />
Lu<br />
.<br />
103<br />
Lr<br />
-<br />
57<br />
La<br />
S<br />
89<br />
Ac<br />
.<br />
4<br />
22<br />
Ti<br />
MT<br />
40<br />
Zr<br />
MT<br />
72<br />
Hf<br />
MT<br />
104<br />
Rf<br />
-<br />
58<br />
Ce<br />
.<br />
90<br />
Th<br />
.<br />
5<br />
23<br />
V<br />
MT<br />
41<br />
Nb<br />
C<br />
73<br />
Ta<br />
MT<br />
105<br />
Db<br />
-<br />
59<br />
Pr<br />
.<br />
91<br />
Pa<br />
.<br />
6<br />
24<br />
Cr<br />
MT<br />
42<br />
Mo<br />
H<br />
74<br />
W<br />
H<br />
106<br />
Sg<br />
-<br />
60<br />
Nd<br />
.<br />
92<br />
U<br />
.<br />
7<br />
Metallherstellung<br />
S: Schmelzflußelektrolyse<br />
L: Cyanid-Laugerei<br />
E: wässrige Elektrolyse<br />
H: Reduktion mit Wasserstoff<br />
C: Reduktion mit Kohlenstoff<br />
Z: Zementation<br />
MT: Metallothermisch<br />
T: Teilröstung<br />
25<br />
Mn<br />
MT<br />
43<br />
Tc<br />
-<br />
75<br />
Re<br />
H<br />
107<br />
Bh<br />
-<br />
61<br />
Pm<br />
.<br />
93<br />
Np<br />
.<br />
26<br />
Fe<br />
C, H<br />
44<br />
Ru<br />
H<br />
76<br />
Os<br />
H<br />
108<br />
Hs<br />
-<br />
62<br />
Sm<br />
.<br />
94<br />
Pu<br />
.<br />
Eine wichtige Modifizierung der Metallerze vor der Reduktion stellt das Rösten und das<br />
Calcinieren dar.<br />
27<br />
Co<br />
C,<br />
MT<br />
45<br />
Rh<br />
H<br />
77<br />
Ir<br />
H<br />
109<br />
Mt<br />
-<br />
63<br />
Eu<br />
.<br />
95<br />
Am<br />
.<br />
46<br />
Pd<br />
.<br />
78<br />
Pt<br />
.<br />
110<br />
Ds<br />
-<br />
64<br />
Gd<br />
.<br />
96<br />
Cm<br />
.<br />
29<br />
Cu<br />
T<br />
47<br />
Ag<br />
L, Z<br />
79<br />
Au<br />
L, Z<br />
111<br />
Rg<br />
-<br />
65<br />
Tb<br />
.<br />
97<br />
Bk<br />
.<br />
30<br />
Zn<br />
C, E<br />
48<br />
Cd<br />
E, Z,<br />
C<br />
80<br />
Hg<br />
T<br />
112<br />
Uub<br />
-<br />
66<br />
Dy<br />
.<br />
Rösten: 2 MS + 3 O2 2 MO + 2 SO2<br />
z. B.: PbS + 3 O2 2 PbO + 2 SO2<br />
28<br />
Ni<br />
C<br />
Calcinieren: MCO3 MO + CO2<br />
z. B.: CaCO3 CaO + CO2<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
12<br />
98<br />
Cf<br />
.<br />
13<br />
5<br />
B<br />
-<br />
13<br />
Al<br />
S<br />
31<br />
Ga<br />
Z, C,<br />
H<br />
49<br />
In<br />
Z, C,<br />
H<br />
81<br />
Tl<br />
Z, C,<br />
H<br />
113<br />
Uut<br />
-<br />
67<br />
Ho<br />
.<br />
99<br />
Es<br />
.<br />
14<br />
6<br />
C<br />
-<br />
14<br />
Si<br />
C<br />
32<br />
Ge<br />
H<br />
50<br />
Sn<br />
C<br />
82<br />
Pb<br />
C, Z<br />
114<br />
Uuq<br />
-<br />
68<br />
Er<br />
.<br />
100<br />
Fm<br />
.<br />
15<br />
7<br />
N<br />
-<br />
15<br />
P<br />
-<br />
33<br />
As<br />
H<br />
51<br />
Sb<br />
C, Z<br />
83<br />
Bi<br />
C, Z<br />
115<br />
Uup<br />
-<br />
69<br />
Tm<br />
.<br />
101<br />
Md<br />
.<br />
16<br />
8<br />
O<br />
-<br />
16<br />
S<br />
-<br />
34<br />
Se<br />
-<br />
52<br />
Te<br />
-<br />
84<br />
Po<br />
-<br />
116<br />
Uuh<br />
-<br />
70<br />
Yb<br />
.<br />
102<br />
No<br />
.<br />
17<br />
9<br />
F<br />
-<br />
17<br />
Cl<br />
-<br />
35<br />
Br<br />
-<br />
53<br />
I<br />
-<br />
85<br />
At<br />
-<br />
117<br />
Uus<br />
-<br />
18<br />
2<br />
He<br />
-<br />
10<br />
Ne<br />
-<br />
18<br />
Ar<br />
-<br />
36<br />
Kr<br />
-<br />
54<br />
Xe<br />
-<br />
86<br />
Rn<br />
-<br />
118<br />
Uuo<br />
-<br />
11<br />
63
Die Erze werden dadurch in die besser handhabbaren Oxide überführt.<br />
Schmelzflußelektrolyse. Bei der Schmelzflußelektrolyse werden Salze der betreffenden<br />
Metalle (im Allgemeinen Halogenide oder Oxide) geschmolzen und in flüssiger Form der<br />
Elektrolyse unterworfen. Diese Methode wird für die sehr unedlen Metalle verwendet, die<br />
nicht in wässriger Lösung elektrolysiert werden können, weil sie metallische mit dem Wasser<br />
unter Oxidation und Freisetzung von H2 reagieren würden. Andererseits sind sie wegen ihres<br />
sehr unedlen Charakters durch andere Reduktionsmethoden nicht zugänglich. Zu dieser<br />
Gruppe gehören die Alkali- und Erdalkalimetalle sowie Aluminium.<br />
Bei der Schmelzflußelektrolyse von Al2O3 wird metallisches Aluminium an der Kathode<br />
( Reduktion) gebildet. An der Anode ( Oxidation) werden O 2- -Anionen oxidiert. Diese<br />
reagieren mit der aus Kohlenstoff bestehenden Anode zu CO, so dass die Anode sich<br />
verbraucht und kontinuierlich frische Kohleanoden nachgeliefert werden müssen.<br />
Wässrige Elektrolyse. Nicht zu unedle Metalle wie Co und Ni können durch Elektrolyse der<br />
wässrigen Lösungen der Salze erhalten werden, da das entstehende Metall nicht mit dem<br />
Wasser reagiert. Der Vorteil hierbei ist, dass Röstprozesse nicht vorgeschaltet werden<br />
müssen. Allerdings muß das sehr teuere Reduktionsmittel „elektrischer Strom― eingesetzt<br />
werden.<br />
64
Reduktion mit Kohlenstoff. Die Reduktion von Metalloxiden mittels Kohlenstoff stellt (wo<br />
sie möglich ist) die billigste Reduktionsmethode dar. Die technisch wichtigste<br />
Metalldarstellung mittels Kohle ist der Hochofenprozess zur Synthese von Eisen.<br />
Der Hochofenprozess besteht aus einer mittelbaren Reduktion des Eisens durch CO, das<br />
seinerseits durch Reaktion des Kohlenstoffs mit Luftsauerstoff entsteht.<br />
Fe2O3 + 3 CO 2 Fe + 3 CO2<br />
Gleichzeitig findet (temperaturabhängig) in anderen Bereichen des Hochofens auch die<br />
direkte Reduktion durch Kohlenstoff statt.<br />
2 Fe2O3 + 3 C 4 Fe + 3 CO2<br />
Beide Prozesse stehen über das Boudouard-Gleichgewicht miteinander in Beziehung:<br />
C + CO2 2 CO<br />
Reduktion mit Wasserstoff oder Hydriden. Einige Metalle, insbesondere Übergangsmetalle<br />
der Gruppe 14 bis 17 bilden sehr stabile Carbide, so dass die Reduktion mit Kohlenstoff (die<br />
denkbar billigste Methode) nicht angewendet werden kann. In diesem Fällen wird stattdessen<br />
Wasserstoff als Reduktionsmittel eingesetzt oder Metallhydride (in letzterem Fall wird die<br />
Reaktion Salzmetathese genannt).<br />
z. B: TiO2 + 2 CaH2 Ti + CaO + 2 H2<br />
z. B.: WO3 + 3 H2 W + 3 H2O<br />
65
Zementation. Zementation ist die Abscheidung eines Metalls aus wässriger Lösung unter<br />
Zugabe pulverförmiger unedlerer Metalle.<br />
Cu 2+ (aq) + Zn(s) Cu(s) + Zn 2+ (aq)<br />
Die unten noch vorgestellte Niederschlagsarbeit und die oben bereits erwähnte<br />
Cyanidlaugerei sind zwei Spezialfälle für eine Zementation.<br />
Metallothermische Reaktion. Bei der metallothermischen Reduktion werden Oxide oder<br />
Halogenide des entsprechenden Metalls mit sehr elektropositiven elementaren Metallen (Ca,<br />
Mg, Al), die als Oxid- oder Halogenid-Akzeptor fungieren, zur Reaktion gebracht. Am<br />
wichtigsten ist die Alumothermie, die folgerichtig Al als reduzierendes Metall einsetzt.<br />
Cr2O3 + Al Cr + Al2O3<br />
Oben ist die Verschweißung zweier Eisenbahnschienen mittels Fe2O3 und Al gezeigt.<br />
Man verwendet diese Methode bei Metallen, die durch Kohlenstoff oder Wasserstoff noch<br />
nicht reduziert werden können, für die es aber andererseits schon Metalle gibt die noch<br />
elektropositiver sind als das zu synthetisierende Metall und damit als Oxid-Akzeptoren<br />
wirksam sein können.<br />
Teilröstung. Diese Spezielle Form der Reduktion findet man nur bei Kupfer und Quecksilber.<br />
Als Sulfid gebundener Schwefel fungiert hierbei als Reduktionsmittel. Das teilgeröstete<br />
Sulfid wird mit sich selbst zur Reaktion gebracht.<br />
66
CuS + 3 O2 CuO + SO2<br />
2 CuO + CuS 3 Cu + SO2<br />
Fällungsarbeit. Einige Metalle (Pb, Co) können direkt mit elementarem Eisen aus ihren<br />
Sulfiden hergestellt werden.<br />
PbS + Fe Pb + FeS<br />
Die Triebkraft für diese Reaktion ist das sehr stabile entstehende Eisensulfid.<br />
Raffination von Kupfer. Die Feinreinigung von Kupfer erfolgt, indem eine Rohkupferanode<br />
mit einer Reinstkupferkathode in einer wässrigen CuSO4-Lösung elektrolysiert wird. Das<br />
Rohkupfer löst sich dabei auf und schlägt sich als Reinstkupfer an der Kathode nieder. Edlere<br />
Verunreinigungen werden nicht oxidiert und sammeln sich im Anodenschlamm.<br />
67
4. Keramiken<br />
Keramiken sind Werkstoffe, die aus anorganischen, nichtmetallischen Komponenten<br />
bestehen. Im Unterschied zu den organischen Polymeren, in denen polare kovalente<br />
chemische Bindungen den inneren Zusammenhalt erzeugen und im Unterschied zu Metallen,<br />
die durch die metallische chemische Bindung zusammengehalten werden, liegen in<br />
keramischen Werkstoffen ionische chemische Bindungen vor.<br />
Keramische Werkstoffe zeichnen sich deshalb durch hohe mechanische Festigkeit und Härte<br />
sowie Abriebfestigkeit (im Vergleich zu Metallen bei niedriger Massendichte) aus. Sie sind<br />
Langzeit-Temperatur-beständig, allerdings labil gegen schnelle Temperaturwechsel.<br />
Hinsichtlich ihrer Leitfähigkeit für Wärme und elektrischen Strom sind die meisten<br />
Keramiken Isolatoren (zum Teil sogar hervorragende), obwohl man bei geeigneter<br />
Zusammensetzung sehr wohl eine hohe Leitfähigkeit für Wärme und Strom erzeugen kann<br />
(werden wir noch besprechen). Keramiken sind darüber hinaus korrosionsbeständige spröde<br />
Werkstoffe. Es ist sinnvoll Keramiken nach den in ihnen vorhandenen Anionen zu<br />
klassifizieren, da diese sowohl den Grad der rein ionischen Bindung festlegen<br />
(Elektronegativität) als auch die Grundstruktur des sich bildenden Ionengitters prägen.<br />
Die Silicatkeramiken werden als solche aus der Erdrinde abgebaut und im Allgemeinen nicht<br />
künstlich hergestellt, so daß wir sie trotz ihrer mengenmäßigen Wichtigkeit vernachlässigen<br />
wollen.<br />
68
4.1 Synthese von Oxidkeramiken<br />
Wegen der hohen Elektronegativität des Sauerstoffs ist der reine Ionenbindungsanteil in<br />
oxidischen Keramiken sehr hoch. Einher damit geht eine besonders hohe Temperaturstabilität<br />
und ein besonders hoher Schmelzpunkt der Materialien.<br />
4.1.1 Einfache Oxide<br />
Einfache Oxide werden durch Reaktion des Metalles mit Sauerstoff erhalten. Die einfachen<br />
Oxide der weniger edlen Metalle liegen häufig bereits als solche in der Natur vor oder können<br />
aus den Sulfiden durch Rösten oder den Carbonaten durch Calcinieren erhalten werden (wie<br />
bereits bei den Metallen beschreiben).<br />
4.1.2 Mischoxide<br />
Die einfachste und am häufigsten angewandte Methode zur Synthese von Mischoxiden ist die<br />
keramische Hochtemperatursynthese. Bei ihr werden die einfachen Metalloxide<br />
stöchiometrisch zusammengemischt und dann je nach gewünschtem Oxidationszahlenzustand<br />
der Metallzentren im Produkt unter reduzierender, neutraler oder oxidierender Atmosphäre<br />
bei hohen Temperaturen über lange Zeiträume erhitzt.<br />
oxidierend<br />
Luft, O 2<br />
Oxide in hohen Ox-Stufen<br />
Na 4 FeO 4<br />
BaFe 2 O 3<br />
Reaktionsatmosphären<br />
neutral<br />
Ar, N 2 , Vakuum<br />
Wasserfreie Verbindungen<br />
CoCl 2 (wasserfrei)<br />
FeCl 2 (wasserfrei)<br />
reduzierend<br />
H 2 , NH 3 , CO; CH 4 ; H 2 S<br />
Verbindungen in niedrigen<br />
Ox-Stufen<br />
Eu 2+ , Fe 2+ , Ni 0 , Pd 0<br />
Eine oxidierende Atmosphäre wird durch Luft (21% Sauerstoff) oder noch 61 stärker durch<br />
reinen Sauerstoff erzeugt und führt zu hohen Oxidationszahlen an den kationischen Zentren.<br />
Eine neutrale Atmosphäre wird trivialerweise durch Hochvakuum erzeugt, aber auch<br />
insbesondere durch Arbeiten unter Argon. In einzelnen Fällen kann auch elementarer<br />
Stickstoff als Schutzgas fungieren, obwohl gerade bei hohen Temperaturen die Gefahr der<br />
Nitridbildung besteht (oxidierende Wirkung). Man wird eine neutrale Atmosphäre für die<br />
69
Synthese wählen, wenn man die Oxidationszahlen der kationischen Zentren der<br />
Ausgangsoxide beibehalten will.<br />
Eine reduzierende Atmosphäre erzielt man durch Arbeiten unter elementarem Wasserstoff,<br />
Ammoniak, Methan oder Schwefelwasserstoff. Man wird diese Art der Atmosphäre wählen,<br />
wenn man niedrige Oxidationsstufen der Kationen (z. B. Fe 2+ oder Eu 2+ ) während der<br />
Synthese stabilisieren möchte.<br />
Die Erdatmosphäre (Luft) ist heute wegen des hohen Anteils an Sauerstoff oxidierend (und<br />
das ist der Grund, warum wir leben können). Dies war keinesfalls immer so. Im<br />
Anfangsstadium der Entwicklung der Erde war die Atmosphäre stark reduzierend (H2, CH4,<br />
NH3; auf einigen Planeten unseres Sonnensystems [Saturn→H2, Uranus und Neptun→H2,<br />
NH3, CH4] ist sie dies übrigens immer noch). Unter diesen reduzierenden Bedingungen war<br />
Eisen in der Natur in der Oxidationsstufe +II stabil. Als nun einige Lebewesen (nämlich die<br />
Pflanzen) begannen, bei ihrem Stoffwechsel einen garstigen hochreaktiven Stoff (nämlich O2)<br />
freizusetzen, der für alle anderen damals lebenden Organismen ein starkes Gift darstellte, war<br />
dies zunächst nicht gravierend für die Biosphäre, weil dieses Abfallprodukt fast vollständig<br />
gebunden wurde, indem FeO zu Fe2O3 umgewandelt wurde. Diese Pufferzeit ist der Grund,<br />
daß sich Pflanzen evolutionär haben ausbreiten und entwickeln können. Ohne diesen<br />
Oxidationspuffer hätte sich die Biosphäre möglicherweise binnen kurzer Zeit selbst vergiftet<br />
und wir hätten uns nie entwickeln können. Nachdem alles Fe II oxidiert war, hatten sich die<br />
Pflanzen schon so gut etabliert und sich zusätzliche Ausgleichsysteme eingestellt, daß das nun<br />
langsame Ansteigen der Sauerstoffkonzentration verkraftet werden konnte und von den sich<br />
entwickelnden höheren Lebewesen, die viel Energie für ihre Mobilität benötigten, genutzt<br />
werden konnte und somit ein neuer dauerhafterer O2-Regulator geschaffen war.<br />
Die experimentelle Vorgehensweise bei der keramischen Hochtemperatursynthese ist die<br />
folgende:<br />
Die notwendigen Mengen an Ausgangsoxiden wird eingewogen und mit Mörser und Pistell<br />
feingemahlen. Von dem feinen Pulver wird ein Pellet gepreßt. Dieser wird meist über mehrere<br />
Tage bei hohen mindestens dreistelligen Celsiusgraden unter der notwendigen Atmosphäre<br />
geheizt. Dieser Vorgang des Vermahlens, Pellet-Pressens und Heizens muß unter Umständen<br />
mehrmals wiederholt werden.<br />
70
Keramische Methoden<br />
Diese Vorgehensweise ist zwar vom experimentellen Aufwand leicht, aber leider immer<br />
Energie- und Zeit-intensiv. Der physikalische Grund dafür ist, daß die Reaktion durch<br />
Festkörperdiffusion herbeigeführt wird.<br />
AO BO<br />
Hierbei dienen die gemeinsamen Oxid-Ionen der unterschiedlichen Ausgangsoxide als<br />
„Verbindungsmatrix― über die die Kationen durch Diffusion ineinander wandern. Nehmen wir<br />
ein Metalloxid AO das über eine Grenzfläche F in Kontakt mit einem Metalloxid BO steht.<br />
Wegen des Konzentrationsgradienten an der Grenzfläche zwischen AO und BO kommt es zur<br />
Diffusion von A-Kationen in die BO-Phase und von B-Kationen in die AO-Phase. Die<br />
Diffusionsprozesse können über das erste und zweite Ficksche Gesetz beschrieben werden.<br />
dnA/B/dt = F DA/B dnA/B/dx<br />
fest/fest<br />
A/BO<br />
A 2+<br />
cA cB<br />
x<br />
B 2+<br />
59<br />
71
Aus dem ersten Fickschen Gesetz kann man ablesen, daß die Reaktionsgeschwindigkeit um<br />
so größer ist desto größer die Kontaktfläche F ist (deshalb das Pellet-Pressen) und je größer<br />
der Diffusionskoeffizient D der wandernden Kationen ist. Und mit dieser Größe beginnt das<br />
Dilemma der keramischen Hochtemperaturmethode als Fest/Fest-Reaktion. In einem Gas<br />
besitzt der Diffusionskoeffizient die Größenordnung 10 -1 cm 2 /s. In einer Flüssigkeit hat er<br />
immer noch die Größenordnung 10 -5 cm 2 /s. Aber in einem Feststoff sinkt die Größe des<br />
Diffusionskoeffizienten auf 10 -20 cm 2 /s. Das zweite Ficksche Gesetz erlaubt uns, eine<br />
Abschätzung zu machen, was dies für die Wanderungsgeschwindigkeit der Kationen im<br />
Festkörper bei Raumtemperatur bedeutet.<br />
dcA/B/dt = DA/B d 2 cA/B/dx 2<br />
dcA/B/dt = DA/B c0 2 A/B/x 2<br />
1/ (DA/B c0,A/B) = t/x 2<br />
x 2 ~ DA/B t<br />
In einer Minute legt in einer Flüssigkeit ein Molekül also in etwa 0.02 cm zurück,<br />
wohingegen im Feststoff in derselben Zeit nur eine Fortbewegung von etwa 0.1 Å zu erwarten<br />
ist. Dies ist ein entscheidender Grund für die notwendigen sehr hohen Temperaturen, denn der<br />
Diffusionskoeffizient zeigt eine exponentielle Temperaturabhängigkeit.<br />
D(T) = D0 exp[-EA/(RT)]<br />
Dabei ist EA die Aktivierungsenergie für einen Platzwechsel.<br />
Diffusionskoeffizient<br />
1<br />
0,9<br />
0,8<br />
0,7<br />
0,6<br />
0,5<br />
0,4<br />
0,3<br />
0,2<br />
0,1<br />
0<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50<br />
Temperatur<br />
72
Bezüglich der hohen Temperaturen ist als Merkregel Tamanns Regel wichtig, die besagt, daß<br />
eine keramische Hochtemperatursynthese nur erfolgreich ist, wenn die Temperatur<br />
mindestens ⅔ des Schmelzpunktes eines Reaktionsteilnehmers erreicht.<br />
Da sehr hohe Temperaturen für die Reaktion notwendig sind, muß man sich genau überlegen,<br />
welche Reaktionsgefäße für die Umsetzung verwendet werden dürfen. Die nachfolgende<br />
Tabelle zeigt die kritischen Temperaturen verschiedener Materialien. Neben der kritischen<br />
Temperatur muß auch im Auge behalten werden, daß das Gefäßmaterial nicht als ungewollter<br />
Reaktand bei der Reaktion fungieren kann.<br />
Damit eine Ionenwanderung innerhalb des Festkörpers überhaupt möglich wird, müssen<br />
Fehlstellen oder vakante Leerstellen im Ionengitter vorhanden sein, so daß wir uns für einen<br />
Moment mit diesen Fehlstellen im Festkörper beschäftigen wollen. Zunächst soll betont<br />
werden, daß es Fehlstellen-freie Festkörper nicht gibt. Dies kann mit Hilfe der Gibbs-<br />
Helmholtz-Gleichung verdeutlicht werden.<br />
G = H – T S<br />
Ein System wird im thermodynamischen Gleichgewicht immer den Zustand mit minimaler<br />
freier Enthalpie anstreben. Je geordneter (Fehler-freier) das Ionengitter ist desto effektiver<br />
73
werden sich die Wechselwirkungen zwischen den Gitterpunkten ausbilden können, desto<br />
exothermer wird damit also der Enthalpieanteil, aber desto kleiner wird der Entropieanteil. Je<br />
mehr Fehlstellen es im Festkörper gibt, desto größer wird der Entropieterm und desto<br />
endothermer der Enthalpieterm. Irgendwo zwischen diesen beiden Extrema (gar keine<br />
Fehlstellen vs sehr viele Fehlstellen) gibt es ein Minimum für die freie Enthalpie. Es ist also<br />
thermodynamisch immer günstig, einige Fehlstellen in den Festkörper einzubauen.<br />
Man unterscheidet zwei große Gruppen von Defekten in Ionengittern, und zwar extrinsische<br />
und intrinsische Defekte. Intrinsische Gitterdefekte sind stöchiometrisch und können nicht<br />
einfach an der Summenformel für das Ionengitter erkannt werden. Es gibt zwei<br />
unterschiedliche intrinsische Defekttypen.<br />
Gitterdefekte<br />
intrinsisch extrinsisch<br />
nicht-stöchimetrische Verbindungen<br />
Schottky Frenkel<br />
Überschuß<br />
Anion<br />
AB 1+x ,<br />
VO 1+x<br />
Bei Schottky-Defekten werden formal eine gleiche Menge an Kationen und Anionen aus dem<br />
Gitterverband entfernt. Es entstehen somit nicht besetzte Leerstellen innerhalb der<br />
Gitterstruktur. Auch wenn diese Leerstellen an unterschiedlichen Stellen innerhalb des Gitters<br />
entstehen können, gesellen sich meist Kationenleerstellen und Anionenleerstellen zu Clustern<br />
räumlich zusammen (sie müssen, wie gesagt, in gleicher Menge auftreten). Dies liegt daran,<br />
daß Kationenleerstellen eine erhöhte negative Ladungskonzentration aufweisen und<br />
Anionenleerstellen entsprechend eine erhöhte positive Ladungskonzentration zeigen, so daß<br />
sich diese Defekte aus elektrostatischen Gründen anziehen.<br />
Oxidation Reduktion<br />
Unterschuß<br />
Kation<br />
A 1-x B,<br />
Fe 1-x O<br />
Unterschuß<br />
Anion<br />
AB 1-x ,<br />
ZrS 1-x<br />
Überschuß<br />
Kation<br />
A 1+x B,<br />
Zn 1+x O<br />
Frenkel-Defekte entstehen dadurch, daß zwar alle Gitterstellen besetzt sind aber einige der<br />
(im Allgemeinen) Kationen auf interstitielle Positionen ausweichen, anstelle sich auf den<br />
43<br />
74
Hauptgitterplätzen zu befinden. Dadurch entstehen auf den Hauptgitterplätzen Leerstellen. In<br />
der nachfolgenden Darstellung sind die beiden Defekttypen im Bild gezeigt.<br />
Bezüglich dieser beiden Defekttypen unterscheidet man drei Wandermechanismen der<br />
Kationen durch den Festkörper.<br />
Gitterdefekte<br />
intrinsisch<br />
Schottky Frenkel<br />
Diffusions-Mechanismen<br />
3.<br />
• Fehlstellen+interstitieller Mechanismus (1.)<br />
• Fehlstellen-Mechanismus (2.)<br />
• Interstitieller Mechanismus (r(host) 0.85 r(guest)) (3.)<br />
2.<br />
1.<br />
Beim Fehlstellenmechanismus wandern Kationen von einem besetzten Gitterplatz auf eine<br />
Leerstelle, wobei an der vorher besetzten Stelle eine neue Fehlstelle entsteht. Beim<br />
45<br />
44<br />
75
interstitiellen Mechanismus erfolgt die Wanderung über die interstitiellen „virtuellen― leeren<br />
Gitterplätze. Dies ist aus räumlichen Gründen nur möglich, wenn das wandernde Kation um<br />
mindesten 15% kleiner ist als die Anionen der Gittermatrix. Beim gemischten<br />
interstitiellen/Fehlstellen-Mechanismus schließlich geschieht beides gleichzeitig: ein regulärer<br />
Gitterplatz wird durch Ausweichen auf einen interstitiellen Platz freigeräumt und von einem<br />
anderen nachrückenden Kation neu besetzt. Experimentell ist es häufig schwierig, zwischen<br />
den Mechanismen eindeutig zu unterscheiden.<br />
Das Vorhandensein von extrinsischen Fehlstellen kann bereits aus der Summenformel des<br />
Salzes und den rechnerisch auftretenden gebrochenen Oxidationszahlen der Kationen und den<br />
auftretenden gebrochenen stöchiometrischen Koeffizienten abgelesen werden (z. B. Fe0.9O).<br />
In den Gittern wirkt sich der Defekt so aus, daß im Unterschied zu den intrinsischen<br />
Fehlstellen nicht gleich viele Kationen wie Anionen im regulären Gitter fehlen. In Fe0.9O<br />
beispielsweise sind einige Eisen-Kationenplätze leer, ohne daß dies durch Fehlen von<br />
Anionenplätzen ausgeglichen würde. Da die Verbindung natürlich nach außen elektrisch<br />
neutral sein muß, führt dies dazu, daß einige Eisenzentren (und zwar genau so viele wie<br />
Kationenfehlstellen vorhanden sind) in der Oxidationsstufe +III vorliegen, neben den meisten<br />
Eisenzentren in Oxidationsstufe +II. In ZnO0.9 sind andererseits einige Anionenzentren<br />
unbesetzt. An ihrer Stelle sind freie Elektronen im Gitterverband gebunden, so daß das<br />
Ionengitter insgesamt wieder elektrisch neutral wird. Derartige Anionenfehlstellen erlauben<br />
das Wandern von Anionen (im Allgemeinen wandern ja, wie erwähnt, praktisch<br />
ausschließlich die kleinen Kationen in der Anionenmatrix). Diese Art der Fehlstellen wird<br />
zum Beispiel bei der -Sonde im Dreiwege-Katalysator eingesetzt.<br />
76
Dadurch, daß das ZrO2-x extrinsische Anionenfehlstellen aufweist, wird es leitfähig für Oxid-<br />
Ionen. Es kann damit als leitfähiger Elektrolyt fungieren, mit dem die Sauerstoff-<br />
Konzentration im Auspuffgas mit der in der Umgebungsluft elektrochemisch verglichen<br />
werden kann.<br />
Diskutieren wir als nächsten einmal als Fallbeispiel den Reaktionsmechanismus bei der<br />
Herstellung von Ca2Fe2O5 aus FeO und CaO.<br />
Chemische Reaktion:<br />
Reaktions-Mechanismus<br />
Fe2+ O2 2 Fe 2+ + 0.5 O 2 2 Fe 3+ + O 2-<br />
dx/dt = const. bei p(O 2 )= const.<br />
FeO Ca2Fe2O5 CaO<br />
Fe3+ O2- 2 CaO + 2 FeO + 0.5 O 2 Ca 2Fe 2O 5<br />
Diese reale Umsetzung ist etwas komplizierter als das von uns am Anfang des Kapitels<br />
angenommene reine Diffusionsmodell, weil noch zusätzlich eine RedOx-Reaktion<br />
hinzukommt (die Oxidation von Fe 2+ zu Fe 3+ durch Luft-Sauerstoff).<br />
Wir müssen also folgende Einzelprozesse berücksichtigen:<br />
Diffusion der Ca 2+ -Ionen in Richtung FeO-Phase<br />
Diffusion von Fe 2+ -ionen in Richtung CaO-Phase<br />
Oxidation des Fe 2+ zu Fe 3+ durch Luft-Sauerstoff<br />
Einbau der entstehenden Oxid-Ionen in die CaO/FeO-Mischphase<br />
x<br />
Um festzustellen, welcher dieser Schritte geschwindigkeitsbestimmend ist, hat man die<br />
Kinetik der Entstehung der Produktphase Ca2Fe2O5 verfolgt. Als Maß dafür nahm man die<br />
Ausbreitungslänge x, für die man fand, daß sich x mit √t ausbreitet. Wäre die RedOx-<br />
Reaktion geschwindigkeitsbestimmend, dann hätte man erwartet, daß x proportional zu t<br />
anwächst. Die Wurzelabhängigkeit von der Zeit kann als Indikator gewertet werden, daß die<br />
Ca 2+<br />
Diffusion:<br />
dx/dt = D/x<br />
46<br />
77
Diffusionsprozesse für die Gesamtumsetzung geschwindigkeitsbestimmend sind. In<br />
Anbetracht dessen, was vorher über die Größe der Diffusionskoeffizienten bei Fest/fest-<br />
Reaktionen gesagt wurde, kommt dieses Ergebnis nicht überraschend.<br />
Einen entscheidenden Faktor bei der keramischen Hochtemperatursynthese haben wir bisher<br />
allerdings noch komplett vernachlässigt. Dies ist der Reaktionswiderstand an der Oberfläche<br />
der miteinander reagierenden Oxidphasen. Dieser Reaktionswiderstand wird um so<br />
gravierender sein je größer die strukturelle Veränderung an dieser Phasengrenze ausfällt. Um<br />
dies besser einschätzen zu können, müssen wir uns noch einmal mit den Grundlagen der<br />
Ionengitter beschäftigen. Es gibt grundsätzlich zwei dichteste Kugelpackungen für die Oxid-<br />
Anionen-Matrix, die kubisch dichteste und die hexagonal dichteste Kugelpackung.<br />
Beide unterscheiden sich nur in der Ausrichtung der jeweils dritten dichtesten Lage von Oxid-<br />
Ionen. Bei der kubisch dichtesten Kugelpackung hat man diesbezüglich eine ABA-Abfolge.<br />
Bei der hexagonal dichtesten Kugelpackung ergibt sich eine ABC-Folge der dichtesten<br />
78
Kugelebenen. Innerhalb beider dichtesten Kugelpackungen ergeben sich zwei Arten von<br />
Lücken für die wandernden Kationen, Tetraederlücken und Oktaederlücken.<br />
Dabei erzeugen n Kugeln in beiden dichtesten Kugelpackungen 2n Tetraederlücken und n<br />
Oktaederlücken.<br />
Zwischen einer Phase mit hexagonal dichtesten Kugelpackung und einer kubisch dichtesten<br />
Kugelpackung ist bezüglich der Anionenmatrix also prinzipiell ein reibungsloser (und damit<br />
energiearmer) Übergang möglich, der noch nicht einmal sehr unwahrscheinlich ist, wenn eine<br />
A- oder B- Schicht der kubisch dichtesten Phase auf eine entsprechende A- oder B-Schicht<br />
der hexagonal dichtesten Kugelpackung trifft. Eine solche zweidimensionale Verwandtschaft,<br />
die nur auf die Oberfläche der Phasengrenze beschränkt ist, wird als epitaktische Beziehung<br />
bezeichnet. Geht eine hexagonal dichteste Kugelpackung in eine andere ebenfalls hexagonal<br />
dichteste Kugelpackung in der zweiten Phase über, so hat die Anionenmatrix im besten Fall<br />
eine dreidimensionale Verwandtschaft. Dies bezeichnet man dann als topotaktische<br />
Beziehung.<br />
Bezüglich der Mischoxide sind besonders die mit der Zusammensetzung ABO3 und AB2O4<br />
wichtig. Sie werden im einfachsten Fall durch keramische Hochtemperatursynthese der<br />
einfachen Oxide AO und BO2 und AO und B2O3 hergestellt. Schauen wir uns für diese<br />
Synthesen die zu erwartenden Reaktionswiderstände an der Phasengrenze zwischen den<br />
einfachen Oxiden näher an:<br />
79
AO AO2 ABO3 AB2O4<br />
rA/rO: 0.225-0.414 ZnS Cristobalit (SiO2) Perovskit für A>B normales<br />
O2-: KFZ O2-:KFZ<br />
rA/rO: 0.414-0.732 NaCl Rutil (TiO2) Ilminit für A≈B B(AB)O4<br />
O2-:KFZ O2-:hex O2-:hex O2-:KFZ<br />
rA/rO: 0.732-1 CsCl Fluorit (CaF2) Korund für A=B inverses<br />
O2-:KP O2-: KFZ O2-:hex Spinell<br />
KFZ: kubisch flächenzentriert<br />
hex: hexagonal dichteste Packung<br />
KP: Kubisch primitive Packung<br />
Die Spinellstruktur AB2O4 ist in der nächsten Abbildung angedeutet.<br />
Die Anionenmatrix als kubisch flächenzentrierte Kugelpackung ist blau dargestellt. Ein<br />
Viertel der Oktaederlücken sind periodisch mit A-Kationen belegt und ein Viertel der<br />
Tetraederlücken sind periodisch mit B-Kationen besetzt.<br />
Für die Mischoxidzusammensetzung ABO3 ist die Perovskit-Struktur die wichtigste. Sie ist in<br />
dem folgenden Bild näher veranschaulicht:<br />
coordination number for B = 6<br />
(octaeder)<br />
ABO 3<br />
Hier sind die oxidischen Anionen schwarz dargestellt.<br />
coordination number for A = 12<br />
(cuboctaeder)<br />
80
Das folgende Schaubild zeigt die Phasengrenzen bei der Erzeugung des Spinells ZnCr2O4 aus<br />
ZnO und Cr2O3.<br />
ZnO kristallisiert in einer kubisch flächenzentrierten Packung. Das Cr2O3 in der Korund-<br />
Struktur mit hexagonal dichtester Kugelpackung der Oxidionen. An der ZnO/Spinell-<br />
Grenzschicht besteht eine topotaktische Verwandtschaft der Phasen. Der<br />
Durchtrittsreaktionswiderstand ist entsprechend als gering einzustufen. An der Spinell/Cr2O3-<br />
Grenzschicht gibt es hingegen nur eine epitaktische Verwandtschaftsbeziehung zwischen den<br />
Oxidionengittern. Es ist mehr Umorganisationsarbeit notwendig und ein höherer<br />
Reaktionswiderstand ist zu erwarten. Wie schnell sich die Spinellphase in die beiden<br />
Ausgangsphasen bewegt, hängt von den Diffusionskoeffizienten der beiden Kationen ab. Je<br />
stärker das Verhältnis der Diffusionskoeffizienten der Kationen von 1 abweicht, desto<br />
unsymmetrischer relativ zum Berührungspunkt der beiden einfachen Oxide am Anfang der<br />
Reaktion erfolgt das Wachstum der Produktphase.<br />
Die MgAl2O4-Spinell-Synthese zeigt ähnliche Strukturbeziehungen wie gerade beschreiben<br />
(topotaktische Bezieung zwischen MgO und Spinell und epitaktische Beziehung zwischen<br />
Spinell und Al2O3).<br />
x = Dt<br />
36<br />
81
Als nächste Abbildung ist das Beispiel der Synthese des ZnTiO3-Perovskits aus ZnO Und<br />
TiO2 gezeigt. Hier findet man eine epitaktische Beziehung zwischen ZnO und ZnTiO3 und<br />
keine Beziehung zwischen ZnTiO3 und TiO2.<br />
Nukleation von MgAl 2 O 4 auf (a) MgO und (b) Al 2 O 3<br />
3-D-Beziehung<br />
� topotaktisch<br />
epitaktisch<br />
Synthesebeispiel Perovskit<br />
ZnTiO 3<br />
Al (oct)<br />
TiO 2<br />
2-D-Beziehung<br />
� epitaktisch<br />
Es sollten also bei der Synthese von oxidischen Keramiken nach der Hochtemperaturmethode<br />
aus den einfachen Oxiden erhebliche Reaktionswiderstände durch den Phasendurchtritt und<br />
die gehemmte Diffusion entspringen, die hohe Temperaturen und lange Reaktionszeiten<br />
erfordern. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß die erhaltenen Produkte praktisch nie<br />
37<br />
38<br />
82
nachgereinigt werden können, so daß hohe Anforderungen an die Reinheit und das Wissen<br />
über die Stöchiometrie der eingesetzten Edukte gestellt werden. Im Falle einiger sehr<br />
hygroskopischer Oxide wie BaO oder CaO ist es daher einfacher, von anderen Precuroren als<br />
den einfachen Oxiden auszugehen, die ohne hygroskopische Eigenschaften definiert<br />
eingewogen werden können und durch Wärme unter Freisetzung gasförmiger Produkte<br />
definiert in die einfachen Oxide überführt werden können. Eine Reihe wichtiger<br />
Zersetzungsreaktionen ist in dem nächsten Schema aufgezeigt.<br />
Insbesondere Carbonate und Oxalate (C2O4 2- ) sind beliebte Precursoren für<br />
Zersetzungsreaktionen. Bei edlen späten Übergangsmetallen kann die Zersetzungsreaktion<br />
unter Umständen auch zum elementaren Metall führen. Im Zusammenhang mit<br />
Zersetzungsreaktionen kann man die beiden Begriffe nicht-rekonstruktive und rekonstruktive<br />
Reaktion einführen, die auch bei den später noch zu erwähnenden Interkalationsverbindungen<br />
noch einmal wichtig werden.<br />
Eine nicht-rekonstruktive Reaktion findet statt, wenn sich die Atome der Tochter- (Produkt-)<br />
phase sich kaum oder gar nicht gegenüber der Mutter- (Edukt-)phase räumlich verschoben<br />
haben.<br />
Zersetzungsreaktionen<br />
Carbonate, Hydroxide, Oxalate, Ammonium-Salze, Hydrate, Nitrate, Formiate<br />
M n+<br />
CO 3 2-<br />
OH -<br />
C2O 2-<br />
4 MC2O4 M2 (C2O4 ) 3<br />
MC2O4 HCO 2 -<br />
A B + C<br />
MCO 3<br />
M(OH) 2<br />
2 M(OH) 3<br />
M(HCO2 ) 2<br />
M(HCO2 ) 2<br />
Rekonstruktive Reaktionen sind solche, bei denen es zu erheblichen Umorganisationen der<br />
Atomlagen in der Tochterphase im Vergleich zur Mutterphase kommt.<br />
Zersetzungsreaktionen verlaufen häufig rekonstruktiv.<br />
MO + CO 2<br />
MO + H2O M2O3 + 3 H2O MO + CO2 + CO (frühe Ü-Metalle)<br />
M2O3 + 3 CO2 + 3 CO<br />
M + 2 CO2 (späte Ü-Metalle)<br />
MO + CO2 + CO + H2 M + 2 CO2 + H2 62<br />
83
Es sei noch darauf hingewiesen, daß die Reaktionsenergie für die keramische<br />
Hochtemperatursynthese nicht nur thermisch sondern auch durch mechanische Energie<br />
(mechanisches Legieren)<br />
Keramische Methoden<br />
Teilchengröße; Mechanisches Legieren<br />
oder auch durch Mikrowellenbestrahlung zugeführt werden kann.<br />
Damit die Mikrowellenenergie möglichst die gesamte Probe durchdringt, ist es im<br />
Allgemeinen günstig, nicht Energie auf dem Absorptionsmaximum der Probe einzustrahlen,<br />
sondern eher eine schwächer von der Probe absorbierte Strahlung zu verwenden.<br />
Wir hatten bereits Tamanns angesprochen, die einen Hinweis auf die untere Schranke der<br />
Reaktionstemperatur bei keramischen Hochtemperatursynthesen gibt. Man könnte nun<br />
denken, daß es sinnvoll wäre (um auf der sicheren Seite zu sein) die angestrebten Stoffe so<br />
hoch zu erhitzen, daß sie schmelzen und dann die Reaktion in der flüssigen Phase<br />
69<br />
84
durchführen, in der ja die Diffusion auch gleich um mehrere Größenordnungen schneller<br />
erfolgen sollte. Die Schwierigkeit hierbei ist, daß beim Phasenübergang fest/flüssig,<br />
darauffolgender Durchführung der Reaktion und Wiedererstarren der Produkte durch<br />
Abkühlen andere Zusammensetzungen (Peritektikum; Eutektikum) entstehen können (und<br />
meistens auch entstehen), als man durch die Einwaage erhalten wollte. Um dies besser zu<br />
verstehen, müssen wir uns mit Phasendiagrammen beschäftigen.<br />
Phasendiagramme sind temperaturabhängige Darstellungen der Zusammensetzung von<br />
Mischungen. Im einfachsten Falle wie oben handelt es sich um binäre Mischungen, also<br />
Mischungen zwischen zwei Komponenten. Bei den beiden Komponenten A und B kann es<br />
sich etwa um die beiden einfachen Oxide AO und BO handeln. Das obige Phasendiagramm<br />
ist noch insofern speziell, als daß es eine definierte stöchiometrische Verbindung AB gibt.<br />
Wir wollen uns zwei Fragen stellen, um die Phasendiagramme und den Umgang mit ihnen<br />
besser verstehen zu können. Zum einen soll hinterfragt werden, wie die<br />
Phasendiagrammlinien entstehen. Zum anderen soll erklärt werden, wie man mit den<br />
Phasendiagrammen die Zusammensetzung des Systems bei verschiedenen Temperaturen<br />
vorhersagen kann. Letzteres läßt dann erkennen, daß das Arbeiten über die Schmelze (neben<br />
der Schwierigkeit der hohen Temperaturen) nur wenige definierte thermodynamische<br />
Zusammensetzungen ergibt.<br />
1<br />
A B<br />
2<br />
3<br />
C D<br />
4<br />
5<br />
Versuchen wir zuerst zu klären, wie man mit Phasendiagrammen arbeiten kann. Wir werden<br />
uns am obigen Beispiel eines binären Phasendiagramms orientieren. Wir können zwei Pfaden<br />
folgen. Der erste Pfad ist, bei konstanter Zusammensetzung die Temperatur zu ändern. Dies<br />
85
ist entlang der nummerierten Punkte 1 bis 5. Der zweite Pfad folgt bei konstanter Temperatur<br />
einer Veränderung der Zusammensetzung der binären Mischung und verläuft entlang der<br />
Buchstabenreihe A bis D.<br />
Folgen wir zunächst den Punkten 1 bis 5. An Punkt 1 hat das System bei der Temperatur T1<br />
die ungefähre Zusammensetzung 60% A und 40% B. Bei dieser Temperatur erhält man für<br />
die Mischung eine homogene Schmelze, die genau dieser Zusammensetzung an A und B<br />
entspricht. An Punkt 2 trifft man auf die Gleichgewichtslinie zwischen homogener Schmelze<br />
aus A und B und definiertem Feststoff AB. An diesem Punkt liegt praktisch nur homogene<br />
Schmelze der Zusammensetzung A/B 60/40 vor. An Punkt 3 zerfällt das System auch<br />
makroskopisch in ein Zweiphasengemisch, bestehend aus homogener Schmelze und<br />
definiertem ausgefallenem Feststoff AB. Die Schmelze verändert allerdings ihre<br />
ursprüngliche Zusammensetzung von Punkt 1 und 2. Man wird eine Schmelze der ungefähren<br />
Zusammensetzung 66% A (also Anreicherung an A) und 34% B neben dem definierten AB-<br />
Feststoff finden. Auch die Mengen der beiden Phasen können vorhergesagt werden. Man wird<br />
etwa 63% der 66/34 A/B-Schmelze neben etwa 37% definiertem AB-Feststoff bei dieser<br />
Temperatur finden. Bereits hier zeigt sich, daß eine eingangs eingewogene Zusammensetzung<br />
sich während des Abkühlprozesses gravierend ändern kann und meistens auch wird. Aber<br />
warum findet man diese relative Zusammensetzung 63/37 zwischen Schmelze und<br />
definiertem Feststoff? Dies ist letztlich eine Konsequenz der Massenerhaltung. Die<br />
anfängliche Zusammensetzung 100% Schmelze aus 60% A und 40% B erzwingt natürlich,<br />
daß auch an Punkt 3 weiterhin insgesamt 60% A und 40% B vorhanden sind. Daraus ergeben<br />
sich die folgenden Bestimmungsgleichungen<br />
0.6 = xA,gesamt = vSchmelze xA, Schmelze + wFest ½ = vSchmelze 0.66 + wFest ½<br />
0.4 = xB,gesamt = vSchmelze xB, Schmelze + wFest ½ = vSchmelze 0.34 + wFest ½<br />
Daraus erhält man für vSchmelze = 0.625 und für wFest = 0.375. Das Verhältnis 62.5/37.5 ergibt<br />
sich immer aus dem Schwerpunktsatz der Strecken 3C/B3 in dem obigen Phasendiagramm<br />
(bei anderen Temperaturen analog die Schnittpunkte mit den Gleichgewichtskurven). Bei<br />
Punkt 4 beginnt sich ein Gleichgewicht zwischen den definierten Feststoff A und AB<br />
einzustellen. Die Menge an A und AB ergibt sich wieder aus dem Schwerpunktsatz:<br />
0.6 = xA,gesamt = vFest;A xA, Fest + wFest ½ = vSchmelze 1 + wFest ½<br />
0.4 = xB,gesamt = vFest,A xB, Fest + wFest ½ = vSchmelze 0 + wFest ½<br />
86
und daraus vFest,A = 0.2 und für wFest = 0.8. Diese Zusammensetzung verändert sich bei<br />
weiterem Abkühlen der anfänglichen homogenen 60/40 A/B-Schmelze bei Punkt 5 nicht<br />
mehr. Man würde also bei Fahren der Hochtemperatursynthese der homogenen 60/40 A/B-<br />
Schmelze keinen 60/40 A/B-Feststoff erhalten sondern eine Mischung aus 80% AB Feststoff<br />
und 20% A-Feststoff.<br />
Schauen wir uns noch die Punkte A bis D an, die bei konstanter Temperatur und Veränderung<br />
der Zusammensetzung erhalten wird. Bei Punkt A liegt bereits ein Zweiphasengemisch vor.<br />
Dieses besteht aus etwa 60% A-Feststoff und 40% eine Schmelze aus A und B<br />
(Schwerpunktsatz) mit der relativen Zusammensetzung von etwa 80% A und 20% B. Bei<br />
Punkt B haben wir eine Schmelze der relativen Zusammensetzung von etwa 66% A und 34%<br />
B, die in Gleichgewicht mit einer minimalen Menge von definiertem Feststoff AB steht. Bei<br />
Puntk C liegt praktisch 100% AB-Feststoff vor. Würde man entlang dieser speziellen<br />
Zusammensetzung abkühlen, so könnte man die Reaktion in der Schmelze führen und würde<br />
im abgekühlten Feststoff dieselbe Zusammensetzung wie in der Schmelze finden. Punkt D<br />
letztendlich entspricht einer homogenen Schmelze von etwa 75% B und 25% A. Würde man<br />
letztere Schmelze zum Feststoff abkühlen, so erhielte man eine 50/50 Mischung aus AB und<br />
B-Feststoff und nicht den womöglich angestrebten A0.25B0.75-Feststoff. Wir verstehen jetzt<br />
einigermaßen, wie man mit Phasendiagrammen arbeiten kann. Die zweite grundsätzliche<br />
Frage ist, warum sie so aussehen, wie sie aussehen. Dazu müssen wir uns ansehen, wie sich<br />
die freie Mischungsenthalpie in Abhängigkeit der Temperatur und der Zusammensetzung für<br />
den Feststoff und die Schmelze ändert, denn sie allein bestimmen die Lage der<br />
Gleichgewichtskurven im Phasendiagramm.<br />
Thermodynamisch wird sich immer diejenige Phase bilden, mit der die niedrigste freie<br />
Enthalpie für das System verwirklicht werden kann. Diese setzt sich nach der<br />
Gibbs/Helmholtz-Gleichung aus einem enthalpischen (Wechselwirkungs-) Anteil und einem<br />
entropischen (statistischen) Anteil zusammen.<br />
G = H – T S<br />
Wir wollen versuchen, allgemeine Ausdrücke für H und S einer binären Mischung zu<br />
bekommen, wobei wir zunächst vernachlässigen, ob die Mischung fest oder in der Schmelze<br />
ist.<br />
87
S 0,A = n A k ln(V A / v 0,A)<br />
A<br />
V A = n A v 0,A<br />
S mix = (S mix;A + S mix,B) - (S 0,A + S 0,B) =<br />
= -k n [ A ln( A) + B ln( B)] =<br />
= -k n[ A ln( A) + (1 - A) ln(1 - A)]<br />
Mischen<br />
Annahmen:<br />
V = V A + V B<br />
v 0A = v 0B = v 0<br />
V B = n B v 0,B<br />
Komplette Phasentrennung in zwei Komponenten<br />
Komplette homogene Mischung der zwei Komponenten<br />
S 0,B = n B k ln(V B / v 0,B)<br />
V: makroskopisches Volumen<br />
n: Anzahl der kleinsten Teilchen (z. B. Ionen)<br />
v 0: Volumen der kleinsten Einheiten (z. B. Ionen)<br />
: Stoffmengenanteil n A/B/(n A + n B) = V A/B/V<br />
S V = VA + VB mix,A = nA k ln(V / v0) S n = nA + nB mix,B = nB k ln(V / v0) Das obige Schaubild zeigt, wie man eine relativ einfache Formel für die Mischungsentropie<br />
eines Systems aus zwei Komponenten erhalten kann. Man ermittelt die Entropie der<br />
getrennten Komponenten und die Entropie der homogenen Mischung und Subtrahiert beide<br />
voneinander. Im Mischungszustand wird es immer mehr Mikrozustände geben als in der<br />
getrennten Situation der beiden Komponenten, so daß die Mischungsentropie immer positiv<br />
ist. Dies drückt sich in der Formel für Smix auch aus. Da A/B zwischen 0 und 1 liegt wird<br />
ln( A/B) negativ und damit die Mischungsentropie positiv.<br />
mixS<br />
0,8<br />
0,7<br />
0,6<br />
0,5<br />
0,4<br />
0,3<br />
0,2<br />
0,1<br />
B<br />
S mix = -R [ ln( ) + (1- ) ln(1- )]<br />
0<br />
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1<br />
Stoffmengenatiel<br />
88
VA = nA v0,A VB = nB v0,B H0,A = 0.5 n uAA H0,B = 0.5 n<br />
u B uBB AA uBB<br />
Komplette Phasentrennung der zwei Komponenten<br />
H mix = n [u u u ] A B<br />
= n [u u u ] A(1 - A)<br />
Mischung<br />
Annahme:<br />
V = V A + V B = v 0<br />
V = V A + V B<br />
v 0A = v 0B = v 0<br />
Komplette homogene Mischung der beiden Komponenten<br />
u AA, u BB. u AB<br />
H mix = n u AA A 2 +<br />
Im Falle kompletter Phasentrennung erhalten wir<br />
V: Makroskopisches Volumen<br />
n: Anzahl der kleinsten Teilchen (z. B. Ionen)<br />
u XY: Wechselwirkungsenergie zwischen x und y<br />
v 0: Voleumen der kleinsten Einheiten (z. B. Ionen)<br />
: Stoffmengenanteil V A/B / V = n A/B / n<br />
u BB B 2 + uAB A B ]<br />
HA,0 = 0.5 nA uAA and HB,0 = 0.5 nB uBB<br />
Der 0.5 Faktor resultiert daraus, daß sonst alle AA und BB doppelt gezählt würden. Für die<br />
komplette homogene Mischung ergibt sich<br />
Hmix = n [0.5 uAA A 2 + 0.5 uBB B 2 + uAB A B]<br />
Wir können dann die Mischungsenthalpie bestimmen:<br />
Hmix = Hmix – [ HA,0 + HB,0] =<br />
= n [0.5 uAA A 2 + 0.5 uBB B 2 + uAB A B] – [0.5 nA uAA + 0.5 nB uBB] =<br />
= n [0.5 uAA A 2 + 0.5 uBB B 2 + uAB A B] – n [0.5 uAA + 0.5 uBB] =<br />
= n [0.5 uAA ( A 2 – A)+ 0.5 uBB ( B 2 – B) + uAB A B] =<br />
= n [0.5 uAA A ( A – )+ 0.5 uBB B ( B – ) + uAB A B] =<br />
89
mixH<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
-10<br />
-20<br />
-30<br />
Wenn uAB<br />
= n [0.5 uAA A ( A – )+ 0.5 uBB B ( B – ) + uAB A (1 - A)] =<br />
= n [0.5 uAA (- A) (1 - A)+ 0.5 uBB (1 - A) (- A) + uAB A (1 - A)] =<br />
= n A (1 - A) [uAB<br />
uAA + uBB)]<br />
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1<br />
uAA + uBB), dann ist die Mischung exotherm und die Mischungsenthalpie<br />
wird durch die grüne Kurve im obigen Diagramm repräsentiert. Wenn uAB<br />
uAA +<br />
uBB), hat man den Fall einer athermalen Mischung und die Mischungsenthalpie ist null<br />
(rote Kurve im obigen Schaubild). Wenn uAB<br />
uAA + uBB), ist die Mischungsenthalpie<br />
endotherm. Dies entspricht der oberen blauen Kurve im obigen Schaubild.<br />
Für den Gesamtmischungsprozess (sowohl im Feststoff wie auch in der Schmelze) müssen<br />
Enthalpie- und Entropie-Einflüsse gemeinsam betrachtet werden.<br />
mixG = k T n [ A ln( A) + (1 - A) ln(1 - A) ] + n A (1 - A) [uAB<br />
uAA + uBB)]<br />
Für den Fall eines nicht endothermen Mischungsvorgangs ist die Situation (und das damit<br />
verbundene Phasendiagramm) wenig spektakulär, denn der Mischvorgang ist über den<br />
gesamten Mischungs- und Temperaturraum exergonisch (negative freie<br />
Mischungsenthalpie). Wir müssen drei Fälle unterscheiden, bei denen eine endotherme<br />
Mischungsenthalpie vorkommt.<br />
Stoffmengenanteil<br />
90
A. H > T S<br />
Wenn H viel größer ist als T S wird (bis auf die Ausnahme sehr kleiner<br />
Stoffmengenanteile an A und B ( A → 0 and B → 0)) keine Mischung auftreten und man<br />
erhält die komplett getrennten Stoffe A und B.<br />
Die Mischbarkeit bei sehr kleinen Stoffmengenanteilen A und B erkennt man bei<br />
Betrachtung der ersten Ableitungen der Entropie und der Enthalpie nach den<br />
Stoffmengenanteilen an den Grenzbereichen A → 0 and 1 - A → 0.<br />
- T d mixS / d A = k T [ / NA ln( A) + 1 / NA - 1 / NB ln(1 - A) – 1/NB ]<br />
[- T d mixS / d A] A → 0 = - ∞<br />
[- T d mixS / d A] A → 1 = + ∞<br />
d Hmix / d A = [uAB uAA + uBB)] (1 - A) - [uAB uAA + uBB)] A<br />
[d mixH / d A] A → 0 = [uAB<br />
[d mixH / d A] A → 1 = - [uAB<br />
uAA + uBB)] < ∞<br />
uAA + uBB)] > -∞<br />
Dies bedeutet, dass bei sehr kleinen Stoffmengenanteilen an A und B immer der<br />
Entropieterm dominant ist und eine (sehr geringe) Mischbarkeit erzwingt.<br />
B. H ≈ T S<br />
freie Mischungsenthalpie<br />
3<br />
2.5<br />
2<br />
1.5<br />
1<br />
0.5<br />
-0.5<br />
Mischungsenthalpie<br />
Mischungsentropie<br />
freie Mischungsenthalpie<br />
0<br />
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1<br />
Stoffmengenanteil<br />
Wenn die Mischungsenthalpie und –entropie von gleicher Größenordnung sind, entsteht<br />
eine komplette Mischungslücke im Zentrum des Mischungsraumes.<br />
91
An den Grenzen des Mischungsraumes entstehen zwei Bereiche kompletter Mischbarkeit<br />
der beiden Phasen.<br />
C. H < T S<br />
0.25<br />
0.2<br />
0.15<br />
0.1<br />
0.05<br />
-0.1<br />
-0.15<br />
-0.2<br />
Der für uns wichtigste Fall ist, wenn der Entropiebeitrag zum Mischungsprozess größer ist<br />
als der Enthalpiebeitrag.<br />
Es gibt keine komplette Mischungslücke mehr im Mischungsraum, weil die freie<br />
Mischungsenthalpie negativ über den gesamten Mischungsraum ist. Dennoch gibt es drei zu<br />
unterscheidende Fälle.<br />
freie Mischungsenthalpie<br />
Mischungsenthalpie<br />
Mischungsentropie<br />
freie Mischungsenthalpie<br />
0<br />
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1<br />
-0.05<br />
Stoffmengenanteil<br />
freie Msichungsenthalpie<br />
0.2<br />
0.15<br />
0.1<br />
0.05<br />
0<br />
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1<br />
-0.05<br />
Stoffmengenanteil<br />
-0.1<br />
-0.15<br />
-0.2<br />
-0.25<br />
Mischungsenthalpie<br />
Mischungsentropie<br />
freie Mischungsenthalpie<br />
92
freie Mischungsenthalpie<br />
0<br />
-0.01<br />
-0.02<br />
-0.03<br />
-0.04<br />
-0.05<br />
-0.06<br />
-0.07<br />
Stoffmengenanteil<br />
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1<br />
Wenn die Mischungsentropie nur geringfügig größer ist als der Beitrag der (endothermen)<br />
Mischungsenthalpie, erhält man ein lokales Maximum der freien Mischungsenthalpie (die<br />
aber über den gesamten Mischungsbereich negativ bleibt) im Zentrum des<br />
Mischungsraumes (blaue Kurve im oberen Diagramm). Es gibt einen Grenzfall, bei dem<br />
die drei Extrema (die zwei Minima und das Maximum der freien Mischungsenthalpie)<br />
zusammenfallen (lila Kurve im obigen Schaubild). Alle Fälle mit größerem Beitrag T S<br />
als dem Grenzfall zeigen eine komplette Mischbarkeit der beiden Phasen über den<br />
gesamten Mischungsraum (grüne Kurve im obigen Schaubild). Die blaue Kurve steht also<br />
für kleine Entropiebeiträge (wie man sie im Feststoff eher findet). Die grüne Kurve steht<br />
für größere Entropiebeiträge (wie man sie eher in der Schmelze findet). Der<br />
Entropiebeitrag ist darüber hinaus wegen T S auch noch temperaturabhängig.<br />
93
Wie im obigen Schaublid dargestellt, lassen sich auf dieser Basis unterschiedliche<br />
Konstellationen der Entwicklung der freien Mischungsenthalpie F in Abhängigkeit der<br />
Zusammensetzung im Festkörper (S: solid) und in der Schmelze (L: liquid) bei<br />
unterschiedlichen Temperaturen verwirklichen, die dem Phasendiagramm letztendlich<br />
seine Gestalt verleihen.<br />
Liegt die Kurve der freien Mischungsenthalpie der Schmelze im gesamten Mischungsraum<br />
unterhalb derjenigen für den Feststoff, so findet man über den gesamten Mischungsraum<br />
bei dieser Temperatur eine homogene Schmelze (erstes Diagramm oben links im<br />
Schaubild). Gibt es einen Schnittpunkt zwischen der Festkörperkurve der freien<br />
Msichungsenthalpie und der Schmelzkurve, dann führt dies zu einem komplexeren<br />
Phasenverhalten im Mischungsraum. Tatsächlich bekommt man nicht einfach zwei zu<br />
unterscheidende Phasenbereiche (einer, in dem der Festkörper als homogene Mischung<br />
komplett stabiler ist und einer, bei dem die Schmelze als homogene Mischung komplett<br />
stabiler ist), sondern drei. In einem Zwischenbereich ist es für das System<br />
thermodynamisch stabiler nicht entweder nur als Feststoff oder nur als Schmelze zu<br />
existieren sondern als teilweiser Feststoff im Gleichgewicht mit der Schmelze. Dieser<br />
Bereich wird dadurch abgegrenzt, dass man eine Tangente entlang der beiden Kurven für<br />
die freie Enthalpie ziehen kann (Diagramm für T2 im obigen Schaubild). Dieses<br />
Tangentenverhalten hat mit dem chemischen Potential zu tun und mit der notwendigen<br />
Bedingung, dass zwei Phasen nur dann miteinander im Gleichgewicht stehen können,<br />
wenn ihr chemisches Potential gleich ist. Das chemische Potential eines Stoffes wiederum<br />
ist die erste Ableitung der freien Enthalpie nach der Stoffmenge (daher die Tangente als<br />
Steigung im Treffpunkt mit den Kurven). Immer wenn derartige Tangenten eingezeichnet<br />
werden können, wird es einen Bereich im Mischungsraum geben, bei dem zwei Phasen<br />
nebeneinander im Gleichgewicht koexistieren. Die Mengenverhältnisse können dann über<br />
den Schwerpunktsatz im Phasendiagramm ermittelt werden. Das obige Phasendiagramm<br />
ist ein Beispiel für ein eutektisches Verhalten (es gibt einen Punkt, bei dem die Schmelze<br />
mit dem A-Feststoff und dem B-Feststoff im Gleichgewicht steht). Bei dieser speziellen<br />
eutektischen Zusammensetzung kann die Schmelze ohne Veränderung ihrer<br />
Zusammensetzung abgekühlt und in den Feststoff gleicher Zusammensetzung überführt<br />
werden, was für die keramische Hochtemperatursynthese vorteilhaft wäre. Leider weisen<br />
viele Gemische einfacher Oxide kein eutektisches sondern ein peritektisches<br />
Phasendiagramm auf, wie im nachfolgenden Schaubild verdeutlicht werden soll.<br />
94
Cermets und Ormocers als Überschneidungsmaterialien<br />
Peritektisches Verhalten tritt auf, wenn die Schmelzpunkte der beiden Komponenten deutlich<br />
unterschiedlich sind, so dass eine Mischungslücke im Festen zwischen den beiden Oxiden im<br />
Phasendiagramm erhalten bleibt bis zum Erreichen der Schmelztemperatur. Bei derartigen<br />
peritektischen Systemen können die einfachen Oxide nicht einfach zusammengemischt und<br />
geschmolzen werden. Die Zusammensetzung wird sich beim Abkühlen aus der Schmelze<br />
erheblich verändern und die reinen einfachen Oxide werden partiell wieder als entmischte<br />
Phasen aus diesem Prozess hervorgehen.<br />
Wir haben bis hier hin die klassische keramische Hochtemperatursynthese kennengelernt und<br />
besprochen. Neben ihrer sehr einahen Durchführbarkeit, die sie so attraktiv im praktischen<br />
gebrauch macht, besitzt sie aber auch mehrere Nachteile. Diese sind<br />
die Beschränkung auf thermodynamisch stabile Phasen<br />
das Erreichen einer homogenen Verteilung erst nach langen Reaktionszeiten trotz sehr<br />
hoher Temperaturen<br />
die Schwierigkeit der in-situ-Reaktionsverfolgung<br />
Die Unmöglichkeit der Nachreinigung des Produktes.<br />
95
ES gibt deshalb insbesondere Strategien, die langen Reaktionszeiten und die hohen<br />
Reaktionstemperaturen zu umgehen. Hierbei handelt es sich um Verfahren, die von vorn<br />
herein eine Vermischung der Edukte auf molekularer Ebenen ermöglichen, so daß die<br />
Diffusionswege dramatisch verkürzt werden. Dies sind die Co-Fällung und die Precursor-<br />
Methode. Eine andere Schiene benutzt Reaktionspfade, bei denen ein Produkt derart<br />
bereitwillig entsteht, daß seine exotherme Bildung die notwendigen hohen Temperaturen<br />
automatisch beisteuern. Dies sind die Feststoff-Metathese und die Metallothermische bzw.<br />
Carbothermische Reaktionsführung.<br />
Bei der Co-Fällung werden die im Mischoxid angestebten Kationen in der richtigen<br />
Stöchiometrie in Form von löslichen Salzen gemeinsam in Lösung gebracht und dann mit<br />
einem Fällungsmittel (Oxalat, Carbonat, Citrat) gemeinsam ausgefällt. Hierbei ist notwendig,<br />
daß das Löslichkeitsprodukt der einzelnen Kationen mit dem Fällungsmittelanion etw gleich<br />
groß ist, so daß sich Mischsalze der Kationen mit dem Fällungsmittelanion bilden und die<br />
Kationen damit bereits auf molekularer Ebene und in der richtigen Stöchiometrie<br />
zusammengebracht werden. Als Fällungsmittel werden solche Anionen verwendet, die bereits<br />
bei den Zersetzungsreaktionen erwähnt wurden und durch thermische Behandlung in<br />
gemischte Oxide und gasförmige Produkte übergehen.<br />
Co-Fällung<br />
SrCO 3 + Bi 2 O 3 + Ta 2 O 5<br />
1100°C<br />
SrBi 2 Ta 2 O 9 + CO 2<br />
Oxalsäure<br />
750°C<br />
Sr(CH3COO) 2 + 2 Bi(NO3 ) 2 + 2 TaCl5 Sr(Bi2 )(Ta2 )(Oxalat) SrBi2Ta2O9 ZnO + Fe 2 O 3<br />
ZnFe 2 O 4<br />
Oxalsäure<br />
ZnSO4 + 2 FeCl3 ZnFe2 (C2O4 ) 4 ZnFe2O4 + 4 CO2 + 4 CO<br />
Y 2 O 3 + BaCO 3 + CuO YBa 2 Cu 3 O 7-x<br />
Zitronensäure<br />
Y(NO 3 ) 3 + 2 Ba(NO 3 ) 2 + 3 Cu(NO 3 ) 2 Y(Ba 2 )(Cu 3 )(Citrat) YBa 2 Cu 3 O 7-x<br />
BaO + CaO Ba(Ca)O<br />
Na2CO3 Ba(CH3COO) 2 + Ca(CH3COO) 2 Ba(Ca)CO3 Ba(Ca)O<br />
Einige Beispiele für Co-Fällungen sind oben im Vergleich zur Vorgehensweise bei der<br />
keramischen Hochtemperaturmethode aufgeführt. Kritisch bei dieser Methode ist, daß häufig<br />
die Ähnlichkeit des Löslichkeitsproduktes zwischen den einzelnen Kationen nicht<br />
78<br />
96
gewährleistet ist. In dem Falle würden die einzelnen gefällten Salze stufenweise und getrennt<br />
von einander ausfallen, so daß keine Vermischung auf molekularer Ebenen erfolgen würde.<br />
Carbonate:<br />
BaCO3 1.6 10-9 CdCO3 5.2 10-12 CaCO3 4.7 10-9 CuCO3 2.5 10-10 FeCO3 2.1 10-11 PbCO3 1.5 10-15 MgCO3 1.0 10-5 MnCO3 8.8 10-11 NiCO3 1.4 10-7 SrCO3 7.0 10-10 2.0 10-10 ZnCO 3<br />
Anstelle einer Co-Fällung kann das Zusammenmischen der Kationen auf molcularer Ebene<br />
auch durch Sol/Gel-Verfahren erzielt werden. Dies ist etwa eine schonendere Möglichkeit den<br />
Hochtemperatursupraleiter YBCO herzustellen. Dabei werden Mehrzentenkomplexe über<br />
polydentate Liganden hergestellt. Die Liganden können in der Hitze zu gasförmigen Produten<br />
abgebaut werden und steuern gleichzeitig die Anionen (Oxidionen) bei.<br />
3 Cu(NO3)2 + 2 C6H8O7 Cu3(C6H5O7)2 + 6 HNO3<br />
3 Ba(NO3)2 + 2 C6H8O7 Ba3(C6H5O7)2 + 6 HNO3<br />
3 Y(NO3)3 + 2 C6H8O7 Y3[C6H5O7)2(OH)3]<br />
O<br />
H 2O<br />
H 2O<br />
Co-Fällung<br />
Chromate:<br />
BaCrO4 8.5 10-11 PbCrO4 2.0 10-16 SrCrO4 3.6 10-5 Oxalate:<br />
BaC 2 O 4 1.5 10 -8<br />
CaC 2 O 4 1.3 10 -9<br />
PbC 2 O 4 8.3 10 -12<br />
MgC 2 O 4 8.6 10 -5<br />
SrC 2 O 4 5.6 10 -8<br />
FeC 2 O 4 3.2 10 -7<br />
ZnC 2 O 4 2.7 10 -8<br />
Y 2 (C 2 O 4 ) 3 5.3 10 -29<br />
Eu 2 (C 2 O 4 ) 3 5.0 10 -28<br />
HO<br />
O<br />
Cu<br />
OH 2<br />
O<br />
C<br />
O<br />
C<br />
O<br />
O<br />
OH 2<br />
Cu<br />
O<br />
OH 2<br />
OH 2<br />
C<br />
O O<br />
C<br />
H2O Cu<br />
O<br />
H2O OH2 O<br />
C<br />
O<br />
Hydroxide:<br />
Al(OH) 3 5.0 10 -33<br />
Ba(OH) 2 5.0 10 -3<br />
Cd(OH) 2 2.0 10 -14<br />
Ca(OH) 2 1.3 10 -6<br />
Cr(OH) 3 6.7 10 -31<br />
Co(OH) 2 2.5 10 -16<br />
Co(OH) 3 2.5 10 -43<br />
Cu(OH) 2 1.6 10 -19<br />
Fe(OH) 2 1.8 10 -15<br />
Fe(OH) 3 6.0 10 -38<br />
Pb(OH) 2 4.2 10 -15<br />
Mg(OH) 2 8.9 10 -12<br />
Mn(OH) 2 2.0 10 -13<br />
Ni(OH) 2 1.6 10 -14<br />
Sr(OH) 2 3.2 10 -4<br />
Sn(OH) 2 3.0 10 -27<br />
Zn(OH) 2 4.5 10 -17<br />
OH<br />
Sulfide:<br />
CdS 1.0 10 -28<br />
CoS 5.0 10 -22<br />
CuS 8.0 10 -37<br />
FeS 4.0 10 -19<br />
PbS 7.0 10 -29<br />
MnS 7.0 10 -16<br />
HgS 1.6 10 -54<br />
NiS 3.0 10 -21<br />
SnS 1.0 10 -26<br />
ZnS 2.5 10 -22<br />
79<br />
97
HO<br />
OH<br />
Cu<br />
OH<br />
Ba<br />
OH<br />
Y<br />
OH<br />
OH<br />
OH<br />
Kondensation<br />
HO<br />
Bei der Precursor-Methode werden die für das Mischoxid angestrebten Kationen in<br />
Mischverbindungen (Mischsalze, Koordinationsmischverbindungen, Chromate) eingebracht,<br />
in denen die Kationen wie bei der Co-Fällung auf molekularer Ebene bereits nahe beisammen<br />
sind. Hierbei wird eine Kationenart in anionischer Form (z. B. das Chrom als Chromat oder<br />
Aluminium als Aluminat Al(OR)4 - ) in die Mischverbindung eingebaut.<br />
Precursor-Methode<br />
NH 4 Mg(CrO 4 ) 2<br />
MgCr 2 O 4 + N 2 + 4 H 2 O<br />
Diese Synthese erfordert, daß die Zusammensetzung der Mischverbindung derjenigen<br />
Zusammensetzung entspricht, die man sich für das Produkt-Mischoxid wünscht, was ihren<br />
Einsatz einschränkt.<br />
OH<br />
HO<br />
Cu<br />
Sol<br />
OH<br />
OH<br />
Ba<br />
OH OH<br />
HO<br />
Y<br />
Koagulation<br />
OH<br />
O<br />
O<br />
Cu<br />
Cu<br />
O<br />
OH<br />
Ba<br />
OR<br />
OR<br />
Cu<br />
RO<br />
HO<br />
O<br />
O<br />
Gel<br />
Ba<br />
O<br />
Y<br />
Heat<br />
-CO 2<br />
-H 2O<br />
O<br />
O<br />
Cu<br />
80<br />
Cu<br />
O<br />
Ba<br />
O<br />
Cu<br />
O<br />
O<br />
98<br />
Ba<br />
O<br />
Y
4.2 Synthese von Nichtoxidkeramiken<br />
Nichtoxidkeramiken werden nicht durch keramische Hochtemperatursynthese sondern durch<br />
Feststoffmetathese, Carbothermische oder Metallothermische Synthese hergestellt. Dies liegt<br />
insbesondere daran, daß die Verbindungen mit Anionen wie Carbiden, Siliciden, Boriden aber<br />
auch Nitriden gegenüber den Oxiden nicht stabil sind und man eine Zusatztriebkraft für ihre<br />
Bildung einbauen muß, die bei den Oxiden wegen deren Stabilität nicht notwendig ist.<br />
Carbothermische Reduktionen<br />
Carbide:<br />
2 Al 2 O 3 + 9 C Al 4 C 3 + 6 CO<br />
WO 3 + 3 C WC + 3 CO<br />
Boride:<br />
Al 2 O 3 + 12 B 2 O 3 + 39 C 2 AlB 12 + 39 CO<br />
TiO 2 + B 2 O 3 + 5 C TiB 2 + 5 CO<br />
Nitride:<br />
Al 2 O 3 + N 2 + 3 C 2 AlN + 3 CO<br />
3 SiO 2 + 2 N 2 + 6 C Si 3 N 4 + 6 CO<br />
Das Carbothermische Verfahren wird zur Herstellung zahlreicher Carbide, Boride und Nitride<br />
verwendet. Die Triebkraft ist das Entstehen und Entweichen von Kohlenmonoxid CO. SiC ist<br />
ein wichtiges abriebfestes Material, das in Bremsscheiben eingesetzt wird. Es wird nach dem<br />
Acheson-Verfahren Carbothermisch hergestellt. Diese Reaktion ist recht gut untersucht und<br />
zeigt, daß es sich (wie beim Hochofenprozess auch) nicht um eine einfache<br />
Festkörperreaktion zwischen SiO2 und Kohlenstoff handelt, sondern dass die Reaktion durch<br />
die Beteiligung gasförmiger Zwischenprodukte (CO und SiO) erleichtert wird. An der<br />
Kontaktstelle der beiden Festkörper C und SiO2 entstehen zunächst die Gase CO und SiO.<br />
Das SiO reagiert an der Kohlenstoffoberfläche zu SiC und weiterem CO. Das CO-Gas setzt<br />
sich mit SiO2 zu den Gasen SiO und CO2 um. Zwischen C, CO und CO2 bildet sich das auch<br />
beim Hochofenprozeß wichtige Boudouardgleichgewicht mit seiner typischen<br />
Temperaturabhängigkeit (hohe T: viel CO, niedrige T: viel CO2) aus.<br />
fest/fest<br />
82<br />
99
Materialtransport im Acheson-Prozess<br />
Das Carbothermische Verfahren ist kein klassisches keramisches Verfahren,<br />
da Reaktionen zwischen Gasen und Feststoffen involviert sind.<br />
Die Reaktionsabläufe sind in dem obigen Schaubild zusammengefaßt. Daß die Reaktion nicht<br />
einfach als Fest/fest-Reaktion abläuft erkennt man schon daran, daß sich die Produktschicht<br />
an Stellen bildet, die keine Kontaktstellen der beiden Eduktfeststoffe darstellen.<br />
Die Reaktion eines Festkörperkerns mit einem gasförmigen Reaktionspartner wie im Falle des<br />
Achesonverfahrens kann mit Hilfe des Models des schrumpfenden Kerns mechanistisch recht<br />
detailliert beschreiben und untersucht werden. Es werden dabei fünf Prozeßschritte im<br />
einzelnen berücksichtigt:<br />
1. Durchtritt des gasförmigen Reaktionspartners A durch die Gasgrenzschicht, die sich<br />
um das reagierende Teilchen ausbildet.<br />
2. Diffusion des gasförmigen Reaktionspartners A durch die Schicht des gebildeten<br />
Reaktionsproduktes zur Oberfläche des Eduktkernes.<br />
3. Chemische Reaktion zwischen dem gasförmigen Reaktionspartner A und der<br />
Oberfläche des Eduktkernes.<br />
4. Diffusion des gasförmigen Reaktionsproduktes durch die Schicht des gebildeten<br />
Reaktionsproduktes.<br />
5. Diffusion des gasförmigen Reaktionsproduktes durch die Gasgrenzschicht in die<br />
Hauptmasse der Gasphase.<br />
fest/fest<br />
83<br />
100
Modell des schrumpfenden Kerns<br />
dnA - =<br />
dt<br />
fest/gas<br />
1. Massendurchtritt durch Gasgrenzschicht<br />
2. Diffusion durch Produktschicht<br />
3. Chemische Reaktion an der Oberfläche<br />
4 R k 2 cA,F<br />
1/k react + 1/ R k 2 /Rs 2 + Rk /D (1- R k /R s )<br />
Widerstand<br />
der chemischen<br />
Reaktion<br />
Widerstand<br />
des Durchtritts<br />
durch die<br />
Gasschicht<br />
Widerstand<br />
der Diffusion<br />
durch die<br />
Produktschicht<br />
Bei diesem Modell wird davon ausgegangen, dass die Eduktpartikel als Kugeln mit dem<br />
Startradius RS vorliegen, dass während der Reaktion die Kugelform erhalten bleibt (mit<br />
kleiner werdendem Radius natürlich). Das Gesamtvolumen (Produkt plus Edukt) soll erhalten<br />
bleiben.<br />
Wir wollen nun versuchen, eine quantitative Beziehung für das Schrumpfen des Eduktkernes<br />
mit der Zeit zu erarbeiten. Dazu müssen wir die ersten drei oben formulierten Schritte<br />
mathematisch beschreiben.<br />
1. Durchtritt des gasförmigen Reaktionspartners A durch die Gasgrenzschicht, die sich um<br />
das reagierende Teilchen ausbildet.<br />
-dnA/dt = 4 RS 2 (cA,F – cA,S) (A)<br />
Hierbei wird angenommen, daß die Gasphasengrenzschicht sehr dünn ist, so daß als<br />
Durchtrittsfläche der Gasmoleküle von A die Oberfläche des Gesamtkernes verwendet<br />
werden darf. Ferner wird ein linearer Abfall der Konzentration an A innerhalb der<br />
Gasphasengrenzschicht angenommen. cA,F ist die Konzentration des gasförmigen<br />
Reaktionspartners A in der Hauptmasse der Gasphase. cA,S ist die Konzentration des<br />
gasförmigen Reaktionspartners A an der Oberfläche des Gesamtkerns. ist der<br />
Phasendurchtrittskoeffizient mit der Einheit [m/s].<br />
84<br />
101
2. Diffusion des gasförmigen Reaktionspartners A durch die Schicht des gebildeten<br />
Reaktionsproduktes zur Oberfläche des Eduktkernes.<br />
-dnA/dt = (RS + RK) 2 D dcA/dR<br />
Die Diffusion von A durch die Produktschicht wird über das 1. Ficksche Gesetz beschrieben.<br />
Hierbei wird wiederum angenommen, daß als mittlere Durchtrittsfläche die Oberfläche in der<br />
Mitte zwischen dem Gesamtkern und dem Eduktkern (RS + RK)/2 verwendet werden kann. D<br />
ist der Diffusionskoeffizient des gasförmigen Reaktionspartners A in der Produktphase.<br />
Der Gradient dcA/dR kann über das 2. Ficksche Gesetz unter Annahme stationärer<br />
Bedingungen für die Konzentration cA (also dcA/dt = 0) weiter bearbeitet werden. In<br />
Kugelkoordinaten erhält man für das 2. Ficksche Gesetz<br />
dcA/dt = D d 2 cA/dR 2 + 2/R dcA/dR = 0<br />
Daraus erhält man nach längerer Rechnung (versuchen wir in den Übungen)<br />
und für die erste Ableitung<br />
cA = cA,K + (cA,S – cA,K) (1 – RK/R)/(1 – RK/RS)<br />
dcA/dR = (cA,S – cA,K) / (1 – RK/RS) RK/R 2<br />
Verwenden wir wieder den mittleren Radius (RS + RK)/4 für den Diffusionsprozeß, dann<br />
erhalten wir für die Ausgangsgleichung des Stofftransportes<br />
-dnA/dt = 4 RK D (cA,S – cA,K) / (1 – RK/RS) (B)<br />
3. Chemische Reaktion zwischen dem gasförmigen Reaktionspartner A und der Oberfläche<br />
des Eduktkernes.<br />
-dnA/dt = 4 RK 2 k cA,K (C)<br />
Bei der chemischen Reaktion nehmen wir der Einfachheit halber eine Reaktion 1. Ordnung<br />
an. K ist oberflächenbezogene Geschwindigkeitskonstante in[m/s].<br />
102
Aus den Gleichungen (A), (B) und (C) erhält man nach längerer Rechnung dann für die<br />
Gesamtabnahme von A mit der Zeit die Gleichung<br />
-dnA/dt = 4 RK 2 / [1 / k + 1/ (RK/RS) 2 + RK/D ( 1 – RK/RS)] cA,F<br />
Die drei Term im Nenner spiegeln dabei die drei durch das Modell eingeführten<br />
Reaktionswiderstände dar. Der erste (blaue) Term ist der Reaktionswiderstand an der<br />
Oberfläche des Eduktkerns. Der zweite (rote) Term ist der Durchtrittswiderstand durch die<br />
Gasphasengrenzschicht. Der dritte (grüne) Term ist der Diffusionswiderstand durch die<br />
Produktschicht.<br />
Wir sind immer noch nicht am Ende unserer Herleitung angekommen. Makroskopisch wird<br />
man nämlich weniger die Veränderung von nA mit der Zeit leicht beobachten können sondern<br />
viel eher (wie ja auch schon bei der keramischen Hochtemperatursynthese angedeutet) das<br />
Voranschreiten der Reaktionsfront, also das Schrumpfen des Eduktkerns. Daher müssen wir<br />
Ausschau halten nach einer Beziehung zwischen dnA/dt und dRK/dt. Wenn B unser Edukt ist,<br />
können wir für den Verbrauch von B mit der Zeit schreiben<br />
-dnB/dt = B/MB dVB/dt = B/MB dVB/dRK dRK/dt = 4 RK 2 B/MB dRK/dt<br />
Dabei ist B die Dichte von B und MB die Molmasse. Gehen wir der Einfachheit davon aus,<br />
daß ein Equivalent A mit einem Equivalent von B zum Produkt C reagiert (also etwas SiO +<br />
C → SiC + CO), dann bekommt man die einfache Beziehung<br />
Damit bekommen wir<br />
-dnA/dt = -dnB/dt = 4 RK 2 B/MB dRK/dt<br />
dRK/dt = (MB/ B) / [1 / k + 1/ (RK/RS) 2 + RK/D ( 1 – RK/RS)] cA,F<br />
Diese Gleichung kann nun integriert werden, und man erhält nach längerer Rechnung<br />
t = RS/(MB k cA,F) [1/k (1–RK/RS) + 1/(3 ) (1–RK 3 /RS 3 ) + RS/D (1/6–½(RK 2 /RS 2 )+⅓(RK 3 /RS 3 ))]<br />
103
Aus der Zeitabhängigkeit des Schrumpfens (also der Zeitabhängigkeit von RK kann man<br />
damit experimentell die einzelnen Reaktionswiderstände quantifizieren und ihren relativen<br />
Beitrag zum Gesamtreaktionsgeschehen ermitteln.<br />
Eine andere Möglichkeit für die Synthese von Nichtoxidkeramiken besteht in der<br />
Feststoffmetathese. Wir hatten die Metathesereaktion schon kurz im Zusammenhang mit der<br />
ringöffnenden Polymerisation kennengelernt. Metathese bedeutet ganz allgemein<br />
„wechselseitiger Austausch―. Bei der ringöffnenden Polymerisation werden die Alkyliden<br />
Substituenten einer Doppelbindung gegenseitig ausgetauscht. Bei der Feststoffmetathese<br />
werden die Ionen der zugrunde liegenden Salze gegenseitig ausgetauscht.<br />
Feststoff-Metathesen<br />
Carbide:<br />
TiCl3 + CaC2 ZrCl4 + Al4C3 Ta2O5 + CaC2 TiC + CaCl2 ZrC + AlCl3 TaC + CaO<br />
Nitride:<br />
GaI3 + Li3N GaN + LiI<br />
NaBF4 + NaN3 BN + NaF<br />
Boride:<br />
VCl 3 + MgB 2<br />
Silicide:<br />
V 2 O 5 + CaSi 2<br />
VB 2 + MgCl 2<br />
VSi 2 + CaO<br />
Chalcogenide:<br />
ZrCl4 + Na2O ZrO2 + NaCl<br />
MnCl2 + Na2S2 MnS + NaCl<br />
Oben sind einige Beispiele für Feststoff-Metathesen aufgeführt. Die Triebkraft für die<br />
Bildung der Nichtoxidkeramiken ist dabei die Bildung eines sehr stabilen „Opfersalzes―, TiC<br />
etwa durch die gleichzeitige Bildung des sehr stabilen CaCl2. Ein qualitatives Maß, wie stabil<br />
ein Opfersalz relativ zu einem anderen ist, stellt die Elektronegativitätsdifferenz zwischen<br />
Kation und Anion bereit. Eine Tabelle mit den Elektronegativitäten der Elemente ist unten<br />
angeführt. Daraus kann man qualitativ vorausberechnen und planen, ob eine<br />
Festkörpermetathese thermodynamisch erfolgreich sein wird oder nicht.<br />
fest/fest<br />
86<br />
104
Feststoff-Metathese-Reaktionen<br />
E M + M' X X M + M' E<br />
1<br />
2<br />
H<br />
2.20<br />
He<br />
-<br />
3 4 5 6 7 8 9 10<br />
Li Be B C N O F Ne<br />
0.98 1.57<br />
2.04 2.55 3.04 3.44 3.98 -<br />
11 12 13 14 15 16 17 18<br />
Na Mg<br />
Al Si P S Cl Ar<br />
0.93 1.31<br />
1.61 1.90 2.19 2.58 3.16 -<br />
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36<br />
K Ca<br />
0.82 1.00<br />
Sc Ti<br />
1.36 1.54<br />
V Cr Mn<br />
1.63 1.66 1.55<br />
Fe<br />
1.9<br />
Co<br />
1.88<br />
Ni Cu<br />
1.91 1.90<br />
Zn<br />
1.65<br />
Ga<br />
1.81<br />
Ge As<br />
2.01 2.18<br />
Se Br<br />
2.55 2.96<br />
Kr<br />
3.00<br />
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54<br />
Rb Sr<br />
0.82 0.95<br />
Y Zr<br />
1.22 1.33<br />
Nb Mo Tc<br />
1.60 1.80 1.90<br />
Ru Rh<br />
2.20 2.28<br />
Pd Ag<br />
2.20 1.93<br />
Cd In<br />
1.90 1.78<br />
Sn Sb<br />
1.90 2.05<br />
Te I<br />
2.10 2.66<br />
Xe<br />
2.60<br />
55 56 57 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86<br />
Cs Ba<br />
0.79 0.89<br />
La Hf<br />
1.10 1.30<br />
Ta<br />
1.50<br />
W Re<br />
1.70 1.90<br />
Os<br />
2.20<br />
Ir<br />
2.20<br />
Pt<br />
2.28<br />
Au<br />
2.54<br />
Hg<br />
2.00<br />
Tl<br />
1.80<br />
Pb Bi<br />
1.90 2.02<br />
Po At<br />
2.00 2.20<br />
Rn<br />
-<br />
87 88 89<br />
Fr Ra<br />
0.70 0.90<br />
Ac<br />
1.10 Pauling-Electronegativity<br />
85<br />
In der folgenden Tabelle sind noch einmal alle Reaktionstypen zusammengestellt, die bisher<br />
besprochen wurden.<br />
Keramische Reaktionstypen<br />
•Additionsreaktionen: A + B D<br />
•Metathese-Reaktionen AX + BY AB + XY<br />
•Verbrennungsreaktion A + O 2 AO x<br />
•Thermit-Verfahren AO x + M A + MO x<br />
•Carbothermische Reduktionen AO x + C AC + x CO<br />
•Zersetzungsreaktionen D A + B<br />
•Precursor-Methode ABX ABY + Z<br />
•Co-Fällung AX + BX A(B)X<br />
•Mechanisches Legieren<br />
•Mikrowellensynthese<br />
fest/fest<br />
fest/fest<br />
81<br />
105
5. Sintern<br />
Unter Sintern versteht man das Erwärmen von pulverförmigem Material knapp unterhalb<br />
dessen Schmelztemperatur. Die Folge ist ein Zusammenbacken der Pulverkörner zu einem<br />
geschlossenem Festkörper. Die thermodynamische Triebkraft dafür eine Verringerung der<br />
Oberfläche, also eine Minimierung der freien (Oberflächen)Energie. Drei Transportprzesse<br />
sind beim Sintern aktiv:<br />
Transportvorgang Triebkraft Weg<br />
Verdampfung/Rekondensation Unterschied im Dampfdruck Interpartikulär<br />
Diffusion Konzentrationsdifferenz Intrapartikulär<br />
Konvektion Druckdifferenz innerhalb der Partikel Intrapartikulär<br />
Lösung/Fällung Unterschied im Löslichkeitsprodukt Interpartikulär<br />
A. Verdampfung/Verflüssigung und Rekondensation/Verfestigung:<br />
Da die Oberflächenspannung einen Druck in das Innere der Körner ausübt, erhält man bei<br />
konvexen Oberflächen vektoriell eine leichte Erhöhung des Innenraumes des Pulverkorns, so<br />
dass dessen Dampfdruck leicht erhöht ist. An konkaven Oberflächenstellen hat man diese<br />
Erhöhung des Dampfdrucks nicht. Insgesamt resultiert daraus eine Wanderung über die<br />
Gasphase in Richtung der konkaven Oberfläche auf Kosten der konvexen Bereiche.<br />
p D<br />
p D'<br />
p D > p D'<br />
p D<br />
106
B. Diffusion:<br />
Wegen des nach innen gerichteten Druckes an konvexen Oberflächen zieht sich das Volumen<br />
innerhalb dieser Oberflächen leicht zusammen. Die Konzentration der im Volumen sich<br />
befindlichen Teilchen steigt damit leicht gegenüber Bereichen mit konkaven Oberflächen an.<br />
Dieser geringe Konzentrationsgradient induziert eine intrapartikuläre Wanderungsrichtung zu<br />
den konkaven Bereichen durch Diffusion.<br />
C. Konvektion:<br />
c A c A' c A<br />
c A > c A'<br />
An konvexen Oberflächenstellen baut sich durch die nach innen gerichtete Kraft ein Druck<br />
auf, der bei Kontakt mit konkaven Oberflächenbereichen nicht vektoriell kompensiert wird.<br />
Es resultiert ein durch Druckgradient hervorgebrachter Fluß in Richtung auf die konkaven<br />
Oberflächenbereiche.<br />
D. Lösung/Fällung:<br />
Auch das Löslichkeitsprodukt ist leicht abhängig davon, ob die Oberfläche konvex oder<br />
konkav gekrümmt ist. Wenn an konvexen Oberflächen eine Fällung geschieht und sich<br />
weiterer Feststoff auf der Oberfläche abscheidet neue Bereiche mit konkaver Oberfläche und<br />
hoher Oberflächenenergie erzeugt, so dass hier das Löslichkeitsprodukt etwas größer ist als an<br />
konkaven Oberflächenbereichen, denn bei diesen wird durch Ablagerung von ausgefallenem<br />
Feststoff die Oberflächenenergie erniedrigt (Umwandlung von konkaver in konvexe<br />
107
Oberfläche). Insgesamt resultiert dadurch eine Auflösung/Wiederausfällung in Richtung auf<br />
die konkaven Oberflächenbereiche auf Kosten von konvexen Oberflächen.<br />
K L > K L'<br />
K L K L'<br />
Im unteren Diagramm sind noch einmal die vier unterschiedlichen Transportprozesse<br />
gemeinsam dargestellt. Sie führen insgesamt zum Verkleben der Partikelkörner, also zum<br />
Sintern.<br />
2.5 Sinterprozesse<br />
Unter Sintern versteht man einen Vorgang, bei dem ein kompaktes pulverförmiges<br />
Material bis kurz unterhalb des Schmelzpunktes erhitzt wird.<br />
Merkmale: Zusammenbacken einzelner Pulverkörner zu einem Festkörper<br />
Antrieb: Freie Oberflächenenergie wird minimiert.<br />
Da es sich bei allen Prozessen um Vorgänge mit Aktivierungsenergie handelt und die<br />
jeweilige Triebkraft nur gering ist, sind die hohen Temperaturen nahe dem Schmelzpunkt<br />
notwendig.<br />
fest/fest<br />
90<br />
108
Stufen im Sinterprozess<br />
Die Ausbildung von Mikrostrukturen beim Sinterprozess kann in drei<br />
Stufen eingeteilt werden:<br />
(1) „Neck growth“: Materialtransport von konvexen zu konkaven OF<br />
Porenvolumen bleibt relativ konstant: Schrumpfung ~ 4 - 5 %<br />
relative Dichte ~ 50-60% (gemessene Dichte/theoretische Dichte)<br />
(2) Zwischenstadium: Wachstum der Korngrenzenflächen<br />
Porenvolumen nimmt deutlich ab: Schrumpfung ~ 5 - 20 %<br />
relative Dichte ~ 95 %<br />
(3) Endstadium: Isolierte Poren nur an dreifach-Punkten (triple<br />
points)<br />
Man unterscheidet, wie oben veranschaulicht, insbesondere zwei Phasen während des<br />
Sinterprozesses. In der ersten Phase bilden sich Kontaktstellen zwischen den Pulverkörnern<br />
aus, ohne dass sich die Dichte des Materials entscheidend verändert. In der zweiten Phase<br />
nicht das freie Volumen zwischen den Pulverkörnern deutlich ab, so dass hier die Dichte des<br />
Materials messbar ansteigt.<br />
fest/fest<br />
91<br />
109
6. Interkalationsverbindungen<br />
Interkalationverbindungen bestehen aus einem Wirtfeststoff A, der einen Gast B aufnehmen<br />
und abgeben kann. Der Gast B hat dabei molekularen Charakter.<br />
Interkalationsverbindungen<br />
Die Interkalationsverbindungen können nach der Ladung des Gastes eingeteilt werden in<br />
kationische, neutrale und anionische Interkalationsverbindungen. Ionische<br />
Interkalationsverbindungen finden eine Anwendung als Ionenaustauscher. Bei ionischen<br />
Interkalationsverbindungen ist der Wirt nie ohne einen Gast stabil. Der Wirtsfeststoff stellt<br />
hierbei an seiner Kontaktfläche zu den Gästen entsprechend entgegengesetzt geladene Ionen<br />
zur Elektroneutralität bereit. Ein typisches Beispiel für kationische<br />
Interkalationsverbindungen sind Tonminerale. Die wichtigste Klasse anionischer<br />
Interkalationsverbindungen sind die „Layered Double Hydroxides (LDH‘s)―, die später noch<br />
vorgestellt werden. Neutrale Interkalationsverbindungen können weiter in redox-aktive und<br />
redox-inaktive Interkalationsverbindungen unterteilt werden. Die redox-inaktiven<br />
Interkalationsverbindungen wie Ceolite und Metal Organic Frameworks (MOF’s) finden<br />
ihren Einsatz in der Katalyse und der Speicherung von Gasen. Redox-aktive<br />
Interkalationsverbindungen können weiter unterteilt werden in oxidierende und reduzierende<br />
Interkalationsverbindungen, wobei sich oxidierend und reduzierend wiederum auf den Gast<br />
bezieht. Redox-aktive Interkalationsverbindungen (Graphit, MX2, MOX (werden unten noch<br />
vorgestellt)) werden insbesondere als Elektrodenmaterial in Akkumulatoren eingesetzt.<br />
A<br />
B<br />
A<br />
B<br />
93<br />
110
Ionenaustausch<br />
Tonmineralien<br />
2+ 2+ 2+ 2+ 2+ 2+ 2+<br />
2+ 2+ 2+ 2+ 2+ 2+ 2+<br />
+<br />
2+<br />
2+ 2+ 2+ 2+ 2+ 2+<br />
+ + + +<br />
2+ 2+ 2+ 2+ 2+ 2+<br />
Interkalationsverbindungen<br />
kationisch neutral anionisch<br />
+<br />
+ + + + + + +<br />
+ + + + + + +<br />
+ - - - - - - -<br />
Speicherung/Katalyse<br />
Ceolite, MOF‘s<br />
Red/Ox<br />
inaktiv<br />
Red/Ox<br />
aktiv<br />
oxidierend reduzierend<br />
- - - - - - -<br />
Ionenaustausch<br />
-<br />
-<br />
Elektrodenmaterial<br />
Graphit, MX 2 , MOX<br />
LDH‘s<br />
- - - - - - -<br />
+ + + + + + +<br />
Die meisten Interkalationsverbindungen sind keramische Materialien. Eine wichtige Gruppe<br />
von neutralen Redox-aktiven Interkalationswirten sind MX2-Dichalcogenid-Verbindungen.<br />
Diese Feststoffe sind wegen ihrer Schichtstruktur, die wir im Folgenden näher anschauen<br />
werden, als Interkalationswirt prädestiniert. Die dreidimensionale Struktur in<br />
Dichalcogeniden baut sich über verbrückend koordinierte Chalcogenid-Liganden auf. Bei<br />
linearen Grundeinheiten MX2 führt dies in drei Dimensionen zu einem trigonalen Antiprisma<br />
als kleinste Wiederholungseinheit. Bei gewinkelter Grundeinheit MX2 erhält man trigonale<br />
Prismen als kleinste Wiederholungseinheit im Festkörper. In beiden Fällen ergeben sich<br />
Schichten zwischen den MX2-Blöcken, die nur durch Van der Waals-Kärfte<br />
zusammengehalten werden und in die daher Gastmoleküle interkalieren können.<br />
94<br />
111
Nicht alle Verbindungen MX2 bilden automatisch derartige Schichtstrukturen. Dies hängt von<br />
der Größe der Van-der-Waalswechselwirkungen und der beteiligten Ionenradien ab.<br />
So bildet TiS2 etwa die vorher erklärte Schichtstruktur, zusammengehalten durch Van-der<br />
Waals-Kräfte. Im Falle von TiO2 ist der Ionenanteil der Bindung und damit die negative<br />
Ladung am Sauerstoff bereits derart groß, das die Coulombabstoßung nicht durch die Van-<br />
der-Waalskräfte überkompensiert werden können. TiO2 kristallisiert daher in einer Struktur<br />
ohne aufeinander gerichtete Sauerstoff und daher ohne Schichten und kann nicht als<br />
Interkalationsverbindungen verwendet werden.<br />
Koordination des Metallkations in Dichalkoniden<br />
O<br />
+IV Ti<br />
-II<br />
O<br />
O<br />
-II<br />
+IV<br />
Ti<br />
elektrostatische Abstossungen<br />
überwiegen<br />
Van der Waals Anziehung<br />
keine Schichtstruktur,<br />
keine Interkalation<br />
O<br />
S<br />
+IV Ti<br />
-II<br />
S<br />
S<br />
-II<br />
+IV<br />
Ti<br />
S<br />
elektrostatische Abstossungen<br />
und Van der Waals Anziehung<br />
halten sich etwa die Waage<br />
leicht interkalierbare<br />
Schichtstruktur<br />
Se<br />
+IVTi<br />
-II<br />
Se<br />
Se<br />
-II<br />
Ti +IV<br />
Se<br />
Te<br />
Van der Waals Anziehung<br />
überwiegt<br />
elektrostatische Abstossungen<br />
schwer interkalierbare<br />
Schichtstruktur<br />
Ti<br />
+II<br />
-I<br />
Te<br />
Te<br />
-I<br />
Ti +II<br />
Te<br />
Die Wechselwirkung zwischen<br />
den Tellurzentren wird so stark,<br />
daß ein RedOx-Prozess einsetzt<br />
Schichtstruktur, die nicht mehr<br />
aufzubrechen ist,<br />
keine Interkalation<br />
104<br />
112
Wie entscheidend die Balance zwischen abstossender Coulomb-Wechselwirkung und<br />
anziehender Van-der-Waals-Wechselwirkung ist, zeigt sich bei einem Vergleich der<br />
Verbindungen TiO2, TiS2, TiSe2 und TiTe2 entlang einer Gruppe der Chalcogenide. Während<br />
bei TiO2 die ionischen Coulombwechselwirkungen überwiegen, und dieser Stoff keine<br />
Schichtstruktur und damit auch keine Interkalationseigenschaften zeigt, ist die Balance<br />
zwischen beiden Wechselwirkungsarten in TiS2 ausgewogen, so dass eine Schichtstruktur<br />
erhalten wird, die noch dazu nicht zu schwer eine Aufweitung der Schichtabstände bei einer<br />
Interkalation ermöglicht. Bei TiSe2 überwiegen schwach die anziehenden Van-der-Waals-<br />
Wechselwirkungen. Die Folge ist zwar eine Schichtstruktur. Der Interkalationsvorgang ist<br />
aber schwieriger, weil es mehr Energie erfordert, die Schichtstruktur zu stören. Im Falle von<br />
TiTe2 letztlich ist die Wechselwirkung zwischen den Tellurzentren so stark, dass man die<br />
Bindungssituation besser als kovalente chemische Bindung zwischen den Schichten durch Te-<br />
Te-Bindung beschreibt als durch einfache Dipolwechselwirkungen. Folgerichtig gibt es bisher<br />
kein Beispiel bei dem eine Interkalation in Ditelluride erfolgen würde, da dafür eine<br />
chemische Bindung gespalten werden müsste.<br />
MOX<br />
Ähnliche Schichtstrukturen wie die Dichalcogenide bilden MOX-Feststoffe, wobei X hier ein<br />
Halogenid ist (z. B. FeOCl). Die prinzipielle Struktur ist in der obigen Abbildung dargestellt.<br />
Die Van-der-Waals-Schichten entstehen hierbei zwischen den Halogeniden X.<br />
105<br />
113
Kationische Interkalationsverbindungen sind insbesondere die natürlich vorkommenden<br />
Tonmineralien. Hier wird die für Interkalationsverbindungen notwendige Schichtstruktur<br />
durch Schichtalumosilikate aufgebaut, die als Six/Al1-x(OH)4 (1-x)- unkompensierte negative<br />
Ladung tragen, die durch Kationen in der Schichtlücke ausgeglichen werden. Die<br />
Schichtlücke enthält dabei immer auch Wasser, so dass der Einsatz von Tonmineralien als<br />
ionenleitfähiges Elektrolyt-Material in Lithiumionenbatterien nicht möglich ist (Reaktion des<br />
Wassers mit dem Lithium).<br />
Exkurs III: Schichtsilikate, Tonmineralien<br />
Der typische Schichtaufbau von Tonmineralien ist in der obigen Abbildung angedeutet.<br />
Anionische Interkalationsverbindungen sind insbesondere die double-layered hydroxides<br />
(LDH’s).<br />
107<br />
114
LDH‘s:<br />
Layered double hydroxides<br />
M 2+ x M3+ (1-x) (OH- ) 2 Y - (1-x)<br />
LDH’s besitzen (nicht unerwartet) eine deutliche Ähnlichkeit zu den Schichtsilikaten, nur mit<br />
inversem Elektronenbedarf (Six/Al1-x(OH)4 (1-x)- versus Mgx/Al1-x(OH)2 (1-x)+ ). Diese Art von<br />
Interkalationsverbindungen wurde unter anderem erfolgreich zur Trennung von isomeren<br />
Dicarbonsäuren eingesetzt. Während ortho-Benzoldicarbonsäure nicht interkaliert (keine<br />
Wechselwirkung mit beiden Schichtoberflächen möglich), kann para-Benzol-dicarbonsäure<br />
selektiv interkaliert und so abgetrennt werden (Wechselwirkung zwischen beiden<br />
Schichtoberflächen gleichzeitig möglich).<br />
Anwendungsaspekte<br />
Generelle Formulierung von neutralen Interkalationsreaktionen:<br />
x(Gast) + { } x [Wirt] � (Gast) x [Wirt] mit { } x = freier Gitterplatz<br />
Typische Anwendungen:<br />
x Li + TiS 2 � Li x TiS 2 (Lithium-Ionenbatterien)<br />
x H + WO 3 � H x WO 3 (Elektrochromatische Displays)<br />
(x/2) O 2 + La 2 CuO 4 � La 2 CuO 4+x (Supraleitung)<br />
Weitere Anwendungen (Beispiele):<br />
Chemie/Biologie: Katalysatoren, chemische Sensoren, leitfähige Polymere<br />
(Hybridmaterialien), bioaktive Materialien<br />
Physik: Halbleiter, Ionenleiter, photoaktive Materialien, linear- und<br />
nichtlinear optische Materialien, Nanomaterialien<br />
Einige weitere Anwendungen von Interkalationsverbindungen sollen im Folgenden<br />
angesprochen werden. Eine der wichtigsten Anwendungen ist die in Lithiumionenbatterien,<br />
109<br />
110<br />
115
und zwar als Anode wie auch als Kathode. Als Kathode fungiert eine oxidierende neutrale<br />
Interkalationsverbindung (Wirt: LixCoO2, MnO2, TiS2). CoO2 selbst kann nicht eingesetzt<br />
werden, da es keine stabile Schichtstruktur bildet (Analogie zu TiO2). Daher muß eine<br />
Mindestmenge an Li interkaliert bleiben. Eine vollständige Entladung ist deshalb nicht<br />
möglich. Als Anode wirkt mit Graphit als Wirt eine klassische reduzierende neutrale<br />
Interkalationsverbindung. Der prinzipielle Aufbau einer Lithiumionenbatterie ist in der<br />
nächsten Abbildung verdeutlicht. Zwei große Vorteile der Lithiumbatterien gegenüber<br />
anderen Batterien wie z. B. dem Blei-Akkumulator sind seine hohe Energiedichte (hohe<br />
elektrische Energie pro Masse) und seine hohe maximale Spannung (etwa 3,6 V).<br />
Kathode:<br />
Lithium-Ionen-Zelle<br />
Li CoO + 0.65 Li 0.35 2 + LiCoO 2<br />
+ 0.65 e- laden<br />
Anode:<br />
C Li C + x Li 6 x Graphit +<br />
entladen<br />
Bilanz:<br />
laden<br />
entladen<br />
+ x e -<br />
Li 0.35 CoO 2 + C 6 Li x LiCoO 2 + Graphit<br />
geladen entladen<br />
114<br />
116
Auch bei smarten Fenstern, bei denen ein elektrochromer Effekt ausgenutzt wird, um sie von<br />
transparent zu bläulich sonnlichtabschirmend zu schalten (und Geld für Klimaanlagen zu<br />
sparen), wird ein elektrisch iniziierter Interkalationsvorgang (Wirt: WO3) ausgenutzt.<br />
transform<br />
Perovskites<br />
The magic material makers<br />
Electrochromic effect<br />
VacWO 3 + x e - + x Na + Vac (1-x) Na x WO 3<br />
Pale yellow Deep blue for 0 < x < 0.52<br />
Electric+<br />
optical<br />
Man kann insbesondere 6 Arten unterschiedlicher Interkalationsreaktionen unterscheiden.<br />
117<br />
117
Interkalationsreaktionstypen<br />
1. molekular<br />
ZrS 2 + NH 3<br />
2. ionisch<br />
{NH 3 }ZrS 2<br />
TiS 2 + x Li {Li + } x Zr III/IV S 2<br />
3. Ionenaustausch<br />
NaZrS 2 + LiCl LiZrS 2 + NaCl<br />
4. chemisch unterstützt<br />
TiS 2 + x NH 3<br />
C n + 2 AlCl 3 + Cl 2<br />
5. pseudo<br />
{NH 3 } y {NH 4 + }z Ti III/IV S 2 + q N 2<br />
{AlCl 4 - AlCl3 }C n + + Cl*<br />
MnPS 3 + x LiCl {Li} x Mn 1-x/2 PS 3 + x/2 MnCl 2<br />
Bei einer molekularen Interkalation erfolgt der Einbau in den Wirt ohne zusätzliche<br />
chemische Veränderung weder des Wirtes noch des Gastes. Bei einer ionischen<br />
Interkalationsreaktion ist die Interkalation gekoppelt mit einer Redox-Reaktion. Elektronen<br />
werden also zwischen Wirt und Gast verschoben. Bei einer Ionenaustauschreaktion werden<br />
interkalierte Ionen und Ionen ausserhalb des Wirtes ausgetauscht. Die Wirtsstruktur ändert<br />
sich hierbei im Allgemeinen nur schwach obwohl eine erhebliche Ausdehnung der<br />
Schichtlücke möglich ist (Austausch von Li + gegen Tetrabutylammonium + ). Bei der chemisch<br />
unterstützten Interkalation erfolgt der Einbau des Gastes nur unter Ablauf einer zusätzlichen<br />
chemischen Reaktion, die nicht den Wirt betrifft, und der Bildung von nicht interkalierten<br />
Nebenprodukten. Schließlich spricht man von einer Pseudointerkalation, wenn der Wirt beim<br />
Interkalationsprozess chemisch verändert wird und erst dadurch die Interkalation ermöglich<br />
wird.<br />
7. Hybridmaterialien<br />
7.1 Metal Organic Frameworks (MOF‘s)<br />
Die bisher erwähnten Interkalationsverbindungen haben den Nachteil, daß man sie mit ihrer<br />
gegebenen Schichtstruktur nehmen muß, wie sie sind. Der Spielraum, diese Materialien auf<br />
eine Problemstellung zu optimieren ist sehr begrenzt. Man kann durch Vor-Interkalation von<br />
größeren Spacermolekülen den Schichtabstand in kleinen Grenzen ausdehnen (Pillaring).<br />
121<br />
118
Im Allgemeinen muß aber das Problem auf die gegebenen Schichtstrukturen angepaßt werden<br />
und nicht umgekehrt.<br />
Pillaring<br />
Keramik<br />
Polymer<br />
Diesbezüglich bieten Metal Organic Frameworks (MOF’s) als funktionale poröse<br />
Koordinationspolymere eine schier unendliche Spielwiese für auf spezifische Probleme<br />
einstellbare und im Idealfall sogar schaltbare Gastverbindungen. In unseren Materalienkreisen<br />
(Anorganische Chemie, Organische Chemie, Polymerchemie) sind MOF’s im Zentrum in der<br />
Schnittmenge zwischen anorganischen (Metallzentren), organischen (Liganden) und<br />
polymeren (Koordinationspolymer) Werkstoffen anzusiedeln und gehören damit zu den<br />
128<br />
119
anorganisch organischen Hybridmaterialien.<br />
Die MOF’s bestehen aus Metallzentren, die über polyfunktionale Liganden durch Lewis-<br />
Säure/Base-Wechselwirkung in ein hoch definiertes Raumgitter vernetzt werden, das hoch<br />
definierte und einheitliche Hohlräume für Interkalationsprozesse, katalytische Wirkungen<br />
oder synergistische Spineigenschaften der Metallzentren bereitstellt. Dabei kann das Designen<br />
dieser Materialien im Idealfall wie aus einem Baukasten von kleinsten Steckeinheiten<br />
aufgefaßt werden (obwohl dies in vielen Fällen eine zu optimistische und zu stark<br />
verallgemeinerte Modellvorstellung ist).<br />
Man unterscheidet dabei drei Arten von Steckmodulen:<br />
Die Konnektoren (das sind die Lewis-aciden Metallionenzentren mit einer definierten<br />
Koordinationsgeometrie)<br />
Die Linker (das sind die Lewis-basischen polyfunktionalen Liganden, die durch die<br />
Anzahl an Lewis-basischen Funktionen und deren räumliche Ausrichtung die<br />
Vernetzungsgeometrie bedingen und die Spacerlänge zwischen den Metallionenzentren<br />
einstellen)<br />
Blocker (das sind Lewis-basische monofunktionale Liganden, die einzelne<br />
Koordinationszentren am Metall abdecken, die dann für Vernetzungspunkte nicht mehr<br />
zur Verfügung stehen.<br />
Ausgangspunkt für die Konnektoren sind die in Komplexverbindungen üblichen Geometrien:<br />
120
2 3 4 5 6<br />
180°<br />
120° 90°<br />
Ein Beispiel für lineare Konnektoren sind die d 10 Systeme Ag + oder Au + sowie Hg 2+ . Trigonal<br />
planare Komplexe können aus d 10 -Systemen durch sterische Überfrachtung erzeugt werden (z.<br />
B. Pt(PPh3)3). Quadratisch planare Geometrien erhält man durch d 8 -Konnektoren der zweiten<br />
und dritten Übergangsmetallreihe wie Pd 2+ und Pt 2+ . Tetraedrische Geometrien werden von<br />
d 10 -Systemen mit mittlerer sterischen Belastung (so daß eine oktaedrische Anordnung zu<br />
ungünstig wird) erzwungen (z. B. Zn 2+ oder Cd 2+ ). Trigonal pyramidale Strukturen am<br />
Konnektor erhält man durch sterische Balance in d 10 -Systemen (z. B. Fe(CO)5). Quadratisch<br />
pyramidale Strukturen werden in d 6 -Systemen verwirklicht, wobei ein spezieller Jahn-Teller-<br />
Effekt für die quadratische Verzerrung sorgt (z. B. Ru 2+ und Os 2+ ). Zusätzlich muß in diesen<br />
Systemen durch sterische Maßnahmen eine oktaedrische Struktur verhindert werden.<br />
Unter Zuhilfenahme von Blockern kann eine sehr große Anzahl an verschiedenen<br />
Koordinationsgeometrien allein durch den Konnektor festgelegt werden.<br />
Bifunktionale Konnektoren können entweder gewinkelt oder linear designed werden.<br />
109°<br />
90°, 120°<br />
90°<br />
90°<br />
121
2 3 4 5 6<br />
180°<br />
B<br />
120° 90°<br />
Wie die obige Darstellung zeigt, können unter Einsatz von Blockern insbesondere die Winkel<br />
90°, 109°, 120° und 180° eingestellt werden (B steht dabei für Blocker; die Bogen weisen auf<br />
miteinander chemisch verbundene Blocker hin).<br />
Trifunktionale Konnektoren können wie folgt bereitgestellt werden:<br />
B<br />
109°<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
180° B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
120°<br />
180°<br />
90°<br />
B<br />
180°<br />
3 4 5 6<br />
120° T-förmig<br />
109°<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
90°, 120°<br />
90°<br />
B<br />
T-förmig<br />
T-förmig<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B B<br />
B<br />
B B<br />
B<br />
90°<br />
B B<br />
B<br />
T-förmig<br />
B<br />
90°<br />
B<br />
B B<br />
180°<br />
B<br />
122
Entsprechend kann man die möglichen Geometrien und Komplexformen tetrafunktionaler<br />
Konnektoren ermitteln.<br />
123
Als Linker werden im Allgemeinen sterisch starre multifunktionale Stickstoffliganden<br />
eingesetzt.<br />
Durch genaue Einstellung der Länge der Linker kann die Größe von Kanälen, Hohlräumen<br />
oder Schichtabständen genau eingestellt werden, wobei im Idealfall nur eine einheitliche<br />
Größe von Hohlräumen bereitgestellt wird, die fast beliebig eingestellt werden kann.<br />
124
Eine obere Grenze für die Abstandsgröße ergibt sich daraus, daß die Zwischenräume nicht so<br />
groß werden dürfen, daß interpenetrierende Gitter entstehen können.<br />
Als weitere Spielwiese können auch noch intermolekulare Sekundärwechselwirkungen wie<br />
Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Linkern eingebaut werden, deren Strukturen in<br />
Abhängigkeit äußerer physikalischer Parameter (Druck, Temperatur, pH-Wert) geschaltet<br />
werden können.<br />
7.2 Cermets<br />
Cermets ist die Abkürzung für die englische Bezeichnung ceramics and metals. Bezüglich<br />
unserer drei Bereichskreise befinden wir uns im anorganischen Kreis in der Schnittmenge<br />
zwischen Keramiken und Metallen (wir hatten kurz angesprochen, daß diese Schnittmenge<br />
auch durch Keramiken mit gemischt valenten Zentren über Superexchange betreten werden<br />
kann). Bei Cermets handelt es sich um einen zweiphasigen Verbundstoff mit einer<br />
keramischen und einer metallischen Komponente. Die Kombination der beiden Werkstoffe<br />
125
hat das Ziel, das Eigenschaftsprofil des Verbundstoffes gegenüber den<br />
Ausgangskomponenten zu verbessern. Der keramische Anteil soll den Schmelzpunkt erhöhen,<br />
den Werkstoff mechanisch hart machen und thermostabil. Die<br />
Temperaturwechselbeständigkeit und Schlagfestigkeit sowie elektrische Leitfähigkeit soll<br />
durch das Metall eingebracht werden.<br />
Die Synthese dieser Materialien erfolgt pulvermetallurgisch. Es wird eine physikalische<br />
Mischung des kermischen und metallischen Pulvers bereitet, von der ein Preßling hergestellt<br />
wird, der unter reduzierender Atmosphäre gesintert wird.<br />
Cermets werden angewendet als hartes Überzugsmaterial von Schneidwerkstoffen (z. B. TiC<br />
und Ni/Co) als hochtemperaturbeständige Werkstoffe in Verbrennungskammern (Al2O3/Cr)<br />
oder für Kontaktmaterialien in der Elektrotechnik (CdO/Ag).<br />
7.3 Ormocere<br />
Eine andere Art organisch anorganischer Hybridmaterialien, die wie die MOF’s im zentralen<br />
Schnittmengenbereich der drei Kreise (anorganisch, organisch, polymer) anzusiedeln ist, sind<br />
die Ormocere (organically modified ceramics) . Dies ist ein Hybridmaterial, bei dem ein aus<br />
Ti-O-, Al-O- und Zr-O- bestehender Kermik-Kern mit organischen Gruppen, die über<br />
Siliconpolymere an die Keramikoberfläche fixiert werden, verkleidet ist. Diese Art von<br />
Werkstoff wird als moderne keramsiche Füllung für Zahnkavitäten eingesetzt. Der Keramik-<br />
Kern stellt dabei die mechanische Stabilität der Füllung bereit. Die organische<br />
Polymerverkleidung gewährleistet die stabile Wechselwirkung mit der Zahnoberfläche.<br />
126
7.4 Sol/Gel-Verfahren<br />
Sowohl die eben erwähnten Ormocers als auch einige der MOF’s werden nach einem<br />
speziellen Verfahren, das als Sol/Gel-Verfahren bezeichnet wird, hergestellt.<br />
Der Übergang zwischen einem Sol- und einem Gel-Zustand des Materials ist (fast<br />
wort/wörtlich) fließend. Ein Sol ist eine kolloidale Suspension. Kolloide sind nicht<br />
molekulardisperse Partikel, die durch physikalische oder chemische Wechselwirkung<br />
zusammengehalten werden, aber nicht groß genug sind, als daß Gravitationskräfte sie zum<br />
Ausfallen oder Bilden einer getrennten Phase zwingen könnten. Das Sol besteht daher aus<br />
einer flüssigen Hauptmatrix, in der die kolloiden Partikel einzeln getrennt in einer Mischung<br />
vorliegen. Der Spezialfall, daß die Partikel molekulardispers (das heißt als einzelne Moleküle)<br />
in der flüssigen Matrix vorliegen, ist der Fall einer Lösung. Als Gel wird der Zustand<br />
bezeichnet, bei dem die Matrix nicht länger durch die flüssige Phase gebildet wird sondern<br />
durch Anlagerung der kolloidalen Partikel bereitgestellt wird. In dem Netzwerk aus<br />
kolloidalen Partikeln ist jetzt die Flüssigkeit nur noch als Gast aufzufassen. Die Bildung des<br />
Netzwerkes aus kolloidalen Partikeln kann durch chemische Bindung (Polykondensation),<br />
physikalische Wechselwirkung (Van-der-Waals-Kräfte) oder wie im Falle organischer<br />
Polymere rein mechanisch (Verknäuelung dr polymeren Ketten) erfolgen.<br />
Lösung Sol Gel<br />
Der Sol/Gel-Übergang ist kein definierter thermodynamischer Phasenübergang und wird so<br />
festgelegt, dass die kolloidale Mischung auf äußere mechanische Belastung nicht mehr unter<br />
Fließen sondern wie ein Gesamtfestkörper reagiert. Dies geht im Allgemeinen mit einem<br />
Plateauwert für die Viskosität einher.<br />
Agglomerationsgrad steigt<br />
Diese Synthesemethode ist besonders wichtig für die Herstellung organisch-anorganischer<br />
Hybridmaterialien, insbesondere von organisch modifizierten Siliziumoxid-Netzwerken und<br />
von MOF’s. Sie kann allerdings auch als schonendere Synthesemethode für oxidische<br />
Keramiken verwendet werden. Als molekulare Prekursoren werden am häufigsten Alkoxide<br />
der Form M(O-Alk)n (mit M=Si oder ein Metall) eingesetzt. Der Gesamtprozess besteht aus<br />
mehreren Zeitphasen, insbesondere der Hydrolyse des Prekursors, der Kondensation des<br />
127
molekularen Prekursors zu kolloiden Partikel (Sol-Bildung), dem Sol/Gel-Übergang, der<br />
Alterung des Gels durch interne Kondensation und der Trocknung des Gel, entweder so, daß<br />
das Leervolumen der entfernten flüssigen Phase erhalten bleibt (Aerogel) oder unter<br />
Volumensschrumpfung (Xerogel; xero=trocken). Aerogele sind wegen ihrer porösen Struktur<br />
wertvoll.<br />
R<br />
O R<br />
O<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
O<br />
R<br />
Hydrolyse<br />
H<br />
O R<br />
O<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
O<br />
R<br />
H<br />
H<br />
O H<br />
O<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
O<br />
H<br />
H<br />
O H<br />
O<br />
Si<br />
H<br />
O<br />
O<br />
H<br />
Sol/Gel-Verfahren<br />
Kondensation<br />
H2O O H<br />
O<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
Si(OR) 4<br />
OH<br />
HO<br />
R<br />
O<br />
Keramik<br />
Sintern<br />
HO<br />
O<br />
O<br />
O<br />
Xerogele können durch Behandeln bei höherer Temperatur in oxidische Keramiken<br />
umgewandelt werden, wobei im Gel bereits eine Vororganisation besteht und die<br />
Diffusionswege im Vergleich zur keramischen Hochtemperatursynthese kürzer sind.<br />
R<br />
O R<br />
O<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
O<br />
R<br />
OH<br />
R<br />
R<br />
O Si<br />
O<br />
O<br />
R<br />
O<br />
R<br />
Hydrolyse<br />
H 2O<br />
OH<br />
H<br />
O<br />
R<br />
O R<br />
Si O H<br />
R<br />
O<br />
R<br />
O<br />
O R<br />
O<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
O<br />
R<br />
Base-katalysiert<br />
H<br />
+H 2O<br />
O<br />
O<br />
Sol<br />
OH<br />
OH<br />
Aerogel<br />
O<br />
O<br />
OR<br />
O<br />
O<br />
OR<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O O<br />
OR<br />
OR<br />
RO<br />
Koagulation<br />
Peptisation<br />
OH OH<br />
HO<br />
O<br />
O<br />
Xerogel<br />
Hydrolyse<br />
R<br />
O<br />
H2O Hydrolyse<br />
OH<br />
CO 2(sc)<br />
R<br />
H O<br />
Trocknung<br />
Vakuum<br />
R<br />
O<br />
O<br />
O R<br />
O<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
O<br />
R<br />
OH2 O<br />
R<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
R<br />
O<br />
Elektronendichte am Silizium:<br />
Si-CR 3 > Si-O-CR 3 > Si-O-H > Si-O-Si<br />
O<br />
O<br />
O<br />
OH<br />
O<br />
OR<br />
OR<br />
OR<br />
O<br />
RO<br />
HO<br />
O<br />
O<br />
O<br />
Alterung<br />
O<br />
O<br />
Gel<br />
O<br />
O<br />
147<br />
R<br />
O R<br />
O<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
H<br />
O<br />
R<br />
+H 2O<br />
OH2 R<br />
R<br />
O Si<br />
O<br />
O<br />
R<br />
O<br />
H<br />
R<br />
Säure-katalysiert<br />
148<br />
128
Wir wollen uns die Schritte für die besonders wichtige Herstellung von<br />
Silicuimoxidnetzwerken mittels Sol/Gel-Verfahrens näher ansehen.<br />
Die Hydrolyse der Siliciumalkoxide Si-O-Alk Si-O-H verläuft entweder Säure- oder Base-<br />
katalysiert. Das Reaktionsschema ist oben abgebildet. Im Falle der Säurekatalyse wird das<br />
Alkoxid protoniert und damit in eine bessere Abgangsgruppe verwandelt. Im Falle der<br />
Basenkatalyse lagert sich ein Hydroxidion an das Siliciumzentrum an, und nach Bildung eines<br />
fünffach koordinierten Übergangszustand, der ähnlich dem der säurekatalysierten Reaktion ist<br />
(allerdings mit inversem Elektronenbedarf am Siliciumzentrum), wird ein Alkoxid<br />
abgespalten. Da die Summe der Konzentration an H + und OH — Ionen bei pH = 7 am<br />
niedrigsten ist, zeigt auch die Hydrolysegeschwindigkeit bei pH = 7 ein Minimum. Dies ist<br />
unabhängig von der elektronischen Situation am Silicium. Ob die Säure- oder die Base-<br />
katalysierte schneller verläuft hängt sehr wohl von den weiteren Substituenten am Silicium<br />
und daher von der elektronischen Situation am Silicium ab. Je höher die Elektronendichte am<br />
Silicium desto schneller verläuft die Säure-Katalyse, weil die intermediär gebildete positive<br />
Ladung am Silicium besser abgepuffert wird. Entsprechend langsamer verläuft die<br />
Basenkatalyse, weil das Silicium weniger elektrophil ist. Für die folgende<br />
Kondensationsreaktion zur Bildung der Sol-Partikel stehen nur die bereits hydrolysierten Si-<br />
O-H-Gruppen zur Verfügung. Die Kondensationsreaktion Si-O-H Si-O-Si verläuft vom<br />
Mechanismus her ähnlich wie die Hydrolyse, nur daß für eine schnelle Reaktion protonierte<br />
bzw. deprotonierte Si-OH-Gruppen entscheidend sind anstelle von OH - Ionien und H + -Ionen.<br />
R<br />
O H<br />
O<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
O<br />
R<br />
O<br />
Si<br />
R<br />
R<br />
O Si<br />
O<br />
O<br />
H<br />
O<br />
R<br />
Kondensation<br />
O Si<br />
O<br />
Si<br />
Si O<br />
Si<br />
O<br />
R<br />
O<br />
R<br />
O Si<br />
Si O H<br />
H<br />
O<br />
R<br />
O<br />
Si<br />
O R<br />
O<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
O<br />
R<br />
Kondensation<br />
Si<br />
O<br />
O Si<br />
Si O<br />
Si<br />
O<br />
H<br />
O<br />
H<br />
Kondensation<br />
H<br />
H O<br />
R<br />
O H<br />
O<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
O<br />
R<br />
H<br />
O<br />
Si<br />
O<br />
R<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
R<br />
O<br />
Elektronendichte am Silizium:<br />
Si-CR3 > Si-O-CR3 > Si-O-H > Si-O-Si<br />
R<br />
O<br />
R<br />
O H<br />
Si O<br />
R<br />
O H<br />
H<br />
Si<br />
R<br />
O<br />
O<br />
Si<br />
Si<br />
R<br />
O Si R O<br />
R<br />
O<br />
H<br />
Si<br />
O<br />
O O<br />
O R<br />
R<br />
H<br />
Acidität der OH-Gruppe:<br />
149<br />
CR3-Si-OH < CR3-O-Si-OH < H-O-Si-OH < Si-O-Si-OH<br />
OH Si<br />
O<br />
O<br />
129
Die Hydrolyse steht bei jedem Reaktions-Schritt mit der Kondensation in Konkurrenz. Wenn<br />
die Kondensation schneller als die Hydrolyse verläuft, entstehen eher größere wenig vernetzte<br />
Sol-Partikel, und die gelbildende Vernetzung ist gehemmt. Wenn die Hydrolyse schneller<br />
verläuft als die Kondensation, ist die frühe Vernetzung nur kleiner Partikeln wahrscheinlicher.<br />
Das Verhältnis der beiden Geschwindigkeiten ist abhängig von mehreren Systemparametern:<br />
Elektronische und sterische Situation des Prekursors<br />
Verhältnis Alkoxy-Gruppe/Wasser RW<br />
Art des Katalysators<br />
Art des Lösemittels<br />
Temperatur<br />
pH-Wert<br />
130
Durch Variation der sterischen Größe der Alkylreste im Si(-O-Alk)4-Prekursor kann die<br />
Geschwindigkeit der Hydrolyse unabhängig von der Kondensation beeinflußt werden.<br />
Si(OMe)4 >> Si(OEt)4 > Si(OnPr)4 > Si(OiPr)4<br />
Je kleiner der Alkylrest ist desto schneller wird die Hydrolyse ablaufen und umgekehrt.<br />
Elektronisch induktive Effekte der Substituenten sind ebenfalls sehr wichtig für die<br />
Geschwindigkeit der beiden Reaktionen (Hydrolyse und Kondensation). Die Elektronendichte<br />
am Siliciumatom steigt in folgender Reihenfolge:<br />
Si-O-Si < Si-O-H < Si-O-Alk < Si-Alk<br />
In diesem Zusammenhang sei noch einmal darauf hingewiesen, daß sowohl die Hydrolyse als<br />
auch die Kondensation Säure/Base-katalysiert ablaufen. Die Säure-Katalyse wird (wie bereits<br />
erwähnt) durch eine hohe Elektronendichte am Silicium beschleunigt. Die Basen-Katalyse<br />
wird beschleunigt durch eine geringe Elektronendichte am Silicium. Für den<br />
Kondensationsschritt im Basischen ist darüber hinaus auch entscheidend, wie leicht eine Si-<br />
O-H-Gruppe deprotoniert werden kann. Für die Acidität dieser Gruppe gilt die Reihenfolge:<br />
CR3-Si-OH < CR3-O-Si-OH < H-O-Si-OH < Si-O-Si-OH<br />
Sie verhält sich (nicht wenig überraschend) invers zu der Elektronendichte am Silicium.<br />
In entgegengesetzter Richtung steigt die Nukleophilie des Sauerstoffs am Silicium:<br />
131
CR3-Si-OH > CR3-O-Si-OH > H-O-Si-OH > Si-O-Si-OH<br />
Die pH-Abhängigkeit der Hydrolyse wurde bereits angesprochen. Sie weist ein Minimum bei<br />
pH = 7 auf, da hier die Konzentration des Katalysators am geringsten ist. Für die pH-<br />
Abhängigkeit der Kondensation erhält man einen etwas anderen Verlauf. Für Silikate erhält<br />
man ein Minimum bei etwa pH = 4 und ein Abfallen der Kondensationsgeschwindigkeit bei<br />
sehr hohen pH-Werten. Um dieses Verhalten verstehen zu können, müssen wir uns kurz mit<br />
dem Säure/Base-Verhalten der Sol-Teilchen beschäftigen.<br />
Im Unterschied zur Hydrolyse, wo die Reaktionsgeschwindigkeit am kleinsten ist, wenn die<br />
Summe der Konzentrationen an H + und OH - am geringsten sind, ist die<br />
Kondensationsreaktion am kleinsten, wenn die Summe an protonierten bzw. deprotonierten<br />
Si-OH-Gruppen am kleinsten ist. Die Sol-Teilchen enthalten auf ihrer Oberfläche (und nur die<br />
kommt für die Kondensationsreaktion in Frage) hauptsächlich aus Si-O-Si-OH-Gruppen.<br />
Diese reagieren in Wasser sauer und besitzen einen pKs-Wert von etwa 4. Das bedeutet, daß<br />
ein Minimum an protonierten/deprotoneirten Si-OH-Gruppen genau bei pH 4 erhalten wird.<br />
Hier besteht die Sol-Oberfläche weitgehend aus neutralen Si-OH-Gruppen. Dieser pH-Wert<br />
wird als point of zero charge (PZC) bezeichnet. Bei höheren pH-Werten dissoziiert die Si-<br />
OH-Gruppe zu Si-O - und H + . Bei kleineren pH-Werten wird die OH-Gruppe zu Si-OH2 +<br />
protoniert. Wir erwarten also, daß die Kondensationsgeschwindigkeit ein Minimum am PZC<br />
151<br />
132
durchläuft. Bei sehr hohen pH-Werten sinkt die Kondensationsgeschwindigkeit ebenfalls,<br />
weil dort praktisch alle Si-OH-Gruppen deprotoniert sind und deshalb gleichnamig geladene<br />
Teilchen sich nähern müssen. Für Silikate erhält man damit den Verlauf im obigen<br />
Diagramm. Im stark Sauren ist die Hydrolyse schneller als die Kondensation. Bei mittleren<br />
und leicht erhöhten pH-Werten ist die Kondensationsreaktion größer als die Hydrolyse. Im<br />
stark Basischen werden darüber hinaus wegen ihrer leichteren Deprotonierbarkeit bevorzugt<br />
größere Sol-Teilchen mit Si-O-Si-OH-Gruppen kondensiert im Vergleich zu Prekursoren mit<br />
den weniger aciden Alk-O-Si-OH-Gruppen.<br />
Da die Agglomeriation die Annäherung der Sol-Teilchen bedingt, ist die<br />
Agglomerationsgeschwindigkeit am PZC am größten, da hier die Abstoßung gleichgeladener<br />
Partikel minimal ist (siehe obiges Diagramm).<br />
Besonders interessant wird das Sol/Gel-Verfahren für die Herstellung von<br />
organisch/anorganischen Hybridmaterialien, dadurch dass eine Mischung von modifiziertem<br />
133
Prekursor R-Si(O-Alk)3 und unmodifiziertem Alkoxysilan Si(O-Alk)4 eingesetzt wird.<br />
Hierbei entsteht ein Hybridlmaterial, bei dem die beiden Komponenten (anorganisch und<br />
organisch) chemisch miteinander verbunden sind. Wie bei den Cermets besteht als Alternaitve<br />
auch die Möglichkeit, ein Verbundmaterial aus zwei getrennten Phasen zu erzeugen.<br />
Wegen der unterschiedlichen Elektronendichte der Siliciumatome in den beiden Prekursoren<br />
entstehen unterschiedliche Produkte, je nach dem, on man die Reaktion im Basischen oder im<br />
Sauren durchführt. Bei einem rein aliphatischen Modifikator R wird die Elektronendichte am<br />
Silicium im modifizierten Prekursor gegenüber dem unmodifizierten Prekursor erhöht. Führt<br />
man die Sol/Gel-Synthese mit der Mischung aus beiden Prekursoren im Basischen durch, so<br />
reagiret bevorzugt der unmodifizierte Prekursor. Erst nachdem dieser umgesetzt ist, kann auch<br />
der modifizierte Prekursor kinetisch konkurrieren. Das Resultat ist ein Material mit großen<br />
Silikatpartikeln, die auf der Oberfläche durch den aliphatischen Rest modifiziert sind.<br />
Wird hingegen die Sol/gel-Reaktion im Sauren durchgeführt, so reagieren die modifizierten<br />
Prekursoren schneller als die unmodifizierten. Das Resultat ist ein Material, das aus kleinen<br />
polyhedralen organisch modifizeirten Sesquisiloxanen (R-SiO1.5)n besteht, neben denen<br />
unmodifizerte Silikat-Partikel vorliegen.<br />
134
Durch die Modifikation können die unterschiedlichsten Funktionen im Material etabliert<br />
werden.<br />
Die Modifizierungen können weitere chemische Umsetzungen wie Vernetzung oder<br />
Koordination von Katalysatoren ermöglichen. Sie können auch die Hydrophilie oder<br />
Hydrophobie einstellen oder optische Informationen erzeugen.<br />
Das Alkoxy-Gruppe/Wasser-Verhältnis RW beinflußt die relative Geschwindigkeit von<br />
Hydrolyse und Kondensation. Je kleiner dieser Wert wird (dest höher der Wasseranteil wird)<br />
desto schneller verläuft die Hydrolyse gegenüber der Kondensation.<br />
135
Protische polare Lösemittel stabilisieren durch Wasserstoffbrückenbindung Si-OH-gruppen<br />
und verlangsamen dadurch die Kondenastion im Verhältnis zur Hydrolyse.<br />
Neben Siliciumalkoxiden können auch Metalloxide als Prekursoren eingesetzt werden. Deren<br />
Hydrdolyse erfolgt derart bereitwillig, dass eine Katalyse überflüssig wird.<br />
Si(O-iPr)4
8. Oberflächenreaktivitäten (Aerosol, PVD, CVD, Adsorption, Molecular beam,<br />
Katalyse, poröse Materialen)<br />
Bisher haben wir uns mit der Synthese von Bulkmaterialien beschäftigt. In diesem Kapitel<br />
soll es um Oberflächenreaktivitäten und Oberflächenbeschrichtungsmethoden gehen. Der<br />
Ablauf von Umwandlungen in Zusammenhang mit einer Oberfläche kann über eine<br />
Verlaufsschiene wie im folgenden Diagramm beschreiben werden.<br />
Z (g)<br />
Aerosol-<br />
Methode<br />
PVD<br />
A (g)<br />
Welche Art von Umwandlung stattfindet, hängt davon ab, ob chemische Reaktionen der<br />
Wechselwirkung mit der Oberfläche vor- oder nachgeschaltet sind.<br />
Die Wechselwirkung mit der Oberfläche als zentraler Vorgang erfolgt durch Adsorpotion.<br />
Diese kann physikalisch (Physisorption) oder chemisch (Chemisorption) stattfinden. Ein<br />
gasförmiges Adsorbtiv adsorbiert an der Oberfläche eines festen Adsorbens und bildet dabei<br />
das Adsobat. Die Physisorption basiert auf Van-der-Waals-Wechselwirkungen und ist damit<br />
immer schwächer als die Chemisorption, die mit chemischen Reaktionen (z. B. Dissoziation<br />
von bimolekularen Gasen) einhergeht. Die Adsorptionswärme bei Physisorption ist damit<br />
immer deutlich kleiner (etwa 20 kJ/mol) als bei einer Chemisorption (etwa 200 kJ/mol).<br />
Daher beobachtet man Physisorption im Allgemeinen nur bei tiefen Temperaturen, während<br />
Chemisorption auch bei Raumtemperatur beobachtbar sein kann. Die Physisorption ist immer<br />
reversibel, und es können sich mehrere Adsorptionsschichten bilden. Die Chemisorption ist<br />
auf eine Monoschicht beschränkt und verläuft häufig nicht reversibel. Die Zusammenhänge<br />
und Unterschiede zwischen Physisorption und Chemisorption sind in der nachfolgenden<br />
Tabelle noch einmal zusammengestellt.<br />
A<br />
+ C<br />
CVD<br />
D<br />
+<br />
B<br />
B (g)<br />
Katalyse<br />
143<br />
137
Die Adsorptionsbelegung kann in Abhängigkeit des von außen angelegten Druckes auf das<br />
Adsorbtiv beschreiben werden. Dies geschieht über Adsorptionsisothermen, also Funktionen<br />
des Belegungsgrades der Oberfläche des Adsorbens in Abhängigkeit des Druckes auf das<br />
Adsorbtiv bei konstanter Temperatur. Drei unterschiedliche Adsorptionsisothermen sind<br />
gebräuchlich.<br />
Langmuir:<br />
= K ads p<br />
1 + K ads p<br />
Adsorption<br />
Adsorptionsisothermen<br />
p<br />
135<br />
136<br />
138
Die Freundlich-Isotherme ist rein empirisch und besonders für die Beschreibung bei niedrigen<br />
Drücken und unvollständiger Belegung geeignet.<br />
= a p 1/b<br />
Dabei ist der Belegungsgrad der Oberfläche des Adsorbens und p der angelegte Druck. Die<br />
Parameter a und b sind empirische Variablen. Der Vorteil der Beschreibung des<br />
Adsorptionsverhaltens durch die Freundlich-Isotherme ist, daß ein Belegungsverhalten, das<br />
sich in Abhängigkeit der bereits belegten Oberfläche verändert, beschrieben werden kann und<br />
dass auch das Adsorptionsverhalten von hydrophilen Adsorptiven auf hydrophoben<br />
Adorbensen bzw. hydrophoben Adsorptiven auf hydrophilen Adsorbensen in diesen Fit paßt.<br />
Nachteile sind, daß eine mehrschichtige Adsorption nicht beschreibbar ist und daß es keine<br />
physikalische Berechtigung für die Formel gibt, so daß die Fitparameter a und b physikalisch<br />
aussagelos bleiben (b kann mit der Adsorptionsgleichgewichtskonstante Kads in<br />
Zusammenhang gebracht werden; allerdings ohne zwingende physikalische Herleitung).<br />
Die Langmuirsche Adsorptionsisotherme beruht auf einer kinetischen Herleitung der<br />
Gleichgewichtslage zwischen Adsorption und Desorption, wobei angenommen wird, daß die<br />
Adsorption immer gleichberechtigt erfolgt, egal wie belegt die Oberfläche bereits ist<br />
(Unterschied zu Freundlich). Im Gleichgewicht sind Desorptionsgeschwindigkeit und<br />
Adsorptionsgeschwindigkeit gleich groß:<br />
kd = ka (1- )<br />
Dabei sind ka/d die Geschwindigkeitskonstanten für Adsorption und Desorption. Durch<br />
Umformung erhält man mit Kads = ka/kd der Gleichgewichtskonstanten für die Adsorption<br />
= Kads p / ( 1 + Kads p)<br />
Die Langmuirsche Adsorptionsisotherme beschreibt das Belegungsverhalten bei hohen<br />
Belegungsgraden besser als die Freundlich-Isotherme, weil sie das Sättigungsverhalten richtig<br />
erfaßt. Darüber hinaus stellt der einzige Fitparameter Kads eine physikalisch verständliche<br />
Stystemvariable dar. Allerdings kann eine mehrschichtige Adsorption nicht beschrieben<br />
werden, und eine Abhängigkeit der Adsortionstendenz vom Belegungsgrad wird von vorn<br />
herein ausgeschlossen.<br />
139
Die komplexeste Adsorptionsisotherme ist die BET-Isotherme (nach<br />
Brunauer/Emmett/Teller). Sie stellt eine Erweiterung der Gedankengänge der Langmuirschen<br />
Adsorptionsisotherme auf mehrschichtige Adsorption dar. Diese wird mathematisch<br />
allerdings derart kompliziert, daß hier nur das Ergebnis abgebildet werden soll.<br />
p / (p* - p) = /b + (b – 1)/b p/p*<br />
Dabei ist p* der Sättigungsdampfdruck des reinen Adsorptivs bei ein konstanten Temperatur.<br />
Die Variable b = exp((- adsH+ vH)/RT) erlaubt experimentellen Zugang zu den<br />
Adsorptionsenthalpien.<br />
Für den Mechanismus der Adsorption unterscheidet man drei Arten. Wenn die Affinität des<br />
Adsorptivs zum Adsorbens viel größer ist als zu sich selbst, spricht man vom Stransky-<br />
Frank/Van der Merwe-Mechanismus (Schaubild unten: (a)), bei dem die schrittweise Bildung<br />
von Monoschichten angenommen wird. Ist die Affinität des Adsoptivs zu sich selbst viel<br />
größer als zum Adsorbens, dann spricht man vom Volmer/Weber-Mechanismus (Schaubild<br />
unten: (b)), bei dem eine Bildung von Inseln von Adsorbierten Teilchen angenommen wird.<br />
Wenn die Affinität zwischen Adsorptiv und Adsorbens etwas so groß ist wie die des<br />
Adsorptivs zu sich selbst, nennt man dies Krastanov-Mechanismus (Schaubild unten: (c)), bei<br />
dem sich Monoschicht und Inseln parallel bilden.<br />
Bezüglich ihrer Gestalt unterscheidet man 6 Typen von Adsorptionsisothermen.<br />
140
Typ-I-Adsorptionsisothermen findet man für mikroporöse Materialien mit kleinen äußeren<br />
Oberflächen im Vergleich zu den Porenoberflächen. Man erkennt, dass für derartige Stoffe<br />
sich eine Monoschicht reversibel adsorbiert (kein Hystereseverhalten und nur ein<br />
Sättigungsplateau bei hohen Drücken) und dass die Wechselwirkung des Adsorptivs mit dem<br />
Adsorbens attraktiv ist (Verlauf mit stetig abnehmender Steigung der Adsorptionsfunktion).<br />
Das Verhalten sollte gut durch eine Langmuir-Adsporptionsisotherme beschreibbar sein.<br />
Abweichungen bei niedrigen Drücken würden durch eine Abhängigkeit der Adsorption durch<br />
bereits adsorbierte Nachbarplätze erklärt werden. Die Adsorption erfolgt nach dem Frank/Van<br />
der Merwe-Mechanismus.<br />
Typ-II-Adsorptionsisothermen findet man für Materialien bei denen die äußere Oberfläche<br />
deutlich größer ist als vorhandene Porenoberflächen (nicht-poröse Materialien oder<br />
Makroporen). Man erkennt, dass die Anlagerung an diese Materialien über reversibele<br />
Mehrschichtenadsorption mit hoher Affinität zwischen Adsorptiv und Adsorbens erfolgt. Bei<br />
Punkt B in der oberen Darstellung ist in etwa die Monolage belegt, obwohl der genaue<br />
Übergang zur Belegung weiterer Schichten bei diesen Adsorptionsisothermen im<br />
Allgemeinen nicht sehr genau bestimmt werden kann. Die Beschreibung der<br />
Adsorptionsisotherme wird über die BET-Theorie erfolgen. Als Mechanismus ist der<br />
Stransky/Krastanov-Mechanismus wirksam.<br />
141
Typ-III-Adsoprtionsisothermen werden nur selten gefunden. Sie treten auf, wenn ein<br />
hydrophiles Adsorptiv auf einem hydrophoben Adorbens bzw. hydrophobes Adsorptiv auf<br />
einem hydrophilen Adsorbens (also geringer Affinität zwischen Adsorptiv und Adsorbens)<br />
reversibel adsorbiert. Erst bei hohen Drücken kann eine Adsorption erzwungen werden. Bei<br />
diesen hohen Drücken nähert sich die Adsorptionsisotherme dem Verhalten der Typ-II-<br />
Isothermen an. Die Beschreibung der Adsorptionsisotherme muß über den empirischen<br />
Freundlich-Ansatz erfolgen. Bei sehr hohen Drücken kann auch die BET-Gleichung<br />
herangezogen werden. In diesem Fall erfolgt die Adsorption nach einem Volmer/Weber-<br />
Mechanismus.<br />
Typ-IV-Adsorptionsisothermen erhält man für mesoporöse Materialien mit hoher Affinität<br />
zwischen Adsorptiv und Adsorbens. Der erste Teil der Isotherme für niedrige Drücke<br />
entspricht dem Verhalten bei Typ-II-Isothrmen mit Punkt B für die ungefähre Lage einer<br />
Monoschichtbelegung. Das Hysteresverhalten bei hohen Drücken ist auf<br />
Kapillarkondensation in den Mesoporen zurückzuführen. Der Kapillareffekt bewirkt, dass die<br />
Adsorption bei höheren Drucken erfolgt, während die Desorption relativ dazu erst bei<br />
niedrigeren Drücken stattfindet. Der Gesamtverlauf kann durch keine der drei klassischen<br />
Gleichungen für Adsorptionsisothrmen beschrieben werden.<br />
Typ-V-Adsorptionsisothermen findet man für poröse Materialen (nicht zwangsläufig<br />
mesoporös) mit geringer Affinität zwischen Adsobens und Adsoptiv. Erst bei höheren<br />
Drücken kommt eine Adsorption zustande. Da mit steigender Belegung die Oberfläche dem<br />
Adsorptiv ähnlicher wird, erhöht sich die Affinität des Adsorptivs zur Oberfläche (daher auch<br />
das Hystereseverhalten). Bei sehr hohen Drücken sättigen sich die Poren.<br />
Typ-VI-Adsorptionsisothermen findet man für eine schrittweise verlaufende<br />
Mehrschichtadsorption an einer einheitlichen nicht-porösen Oberfläche mit hoher Affinität<br />
zwischen Adsorptiv und Adsorbens. Dieses Verhalten wird nur schlecht über die BET-<br />
Theorie wiedergegeben, weil in dieser Theorie die gleichzeitige (und nicht schrittweise)<br />
Ausbildung von mehreren Adsorptionsschichten angenommen wird. Ein Beispiel für diese<br />
Art von Adsorptionsverhalten ist die Adsorption von Stickstoff an Ruß. Dies ist der Idealfall<br />
für einen Frank/Van der Merwe-Mechanismus der Adsorption.<br />
142
Folgen wir der oben bereits erwähnten Schiene unterschiedlicher Prozesse bei der<br />
Oberflächenabscheidung, dann bezeichnet man den Vorgang, bei dem vor der Adsorption an<br />
der Oberfläche eine chemische Reaktion zur Bildung der Partikel, die sich abscheiden sollen,<br />
stattfindet, als Aerosol-Prozess.<br />
In der obigen Abbildung ist ein spezielles Aerosolverfahren zur Herstellung von SiO2-<br />
Schichten gezeigt, das Aerosilverfahren.<br />
Es gibt zwei zeitliche Entwicklungen für die Entstehung der abzuscheidenden Partikel, die<br />
sich bezüglich der Größenentwicklung der Partikel komplemetär verhalten. Im Gas-to-particle<br />
Verfahren startet man mit molekularen Teilchen in der Gasphase. Diese reagieren ähnlich wie<br />
im Sol/Gelverfahren in der Gasphase zu neuen Produkten, kondensieren und wachsen zu<br />
größeren Partikeln (Aerosol), die vor der Abscheidung weiter agglomerieren können. Im<br />
Spray-pyrolysis-Verfahren startet man mit kleinen Tröpfchen, in denen Prekursoren gelöst<br />
vorliegen. Die Tröpfchen verkleinern sich unter Aufkonzentrierung der Prekursoren im<br />
Tropfen und Verdampfung des Lösemittels. Dies leitet dann die Reaktion in den kleiner<br />
werdenden Tröpfchen ein. Die Reaktionsprodukte scheiden sich dann auf der Obrefläche ab,<br />
während das Lösemittel vollständig verdampft. Dieses Verfahren kann insbesondere auch zur<br />
Abscheidung von gemischten Oxiden auf Oberflächen herangezogen werden, da in den<br />
Tröpfchen die Zusammensetzung der abzuscheidenden Komponenten besser konstant<br />
gehalten werden kann als beim Gas-to-Particle-Verfahren.<br />
144<br />
143
Wenn eine direkte Adsorption aus der Gasphase ohne vorhergeschaltete oder nachgeschaltete<br />
chemische Reaktion stattfindet spricht man von Physical Vapour deposition (PVD). Bei dieser<br />
Methode wird aus einer Materialquelle durch Einwirken von Energie ein molekularer<br />
Prekursor in die Gasphase überführt, der sich dann nach Wanderung in der Gasphase auf dem<br />
Substrat abscheidet. Die Energie kann inform von Wärme (Induktion oder elektrischer<br />
Widerstand) oder durch Einschuß von Elektronen oder Ionen (Sputtering) eingebracht<br />
werden.<br />
Für die Beschreibung des PVC-Vorgangs ist die Größe der mittleren freien Weglänge der<br />
Gasmoleküle wichtig (Herleitung in der Übung). Diese sagt aus, wie lange die Gasmoleküle<br />
sich entlang einer Wegstrecke bewegen können, ohne dass sie mit anderen Gasmolekülen<br />
kollodieren.<br />
= RT / ( 2 d 2 p NA)<br />
Dabei ist d der mittlere Durchmesser der Gasmoleküle ist, NA die Avogadrokonstante und R<br />
die allgemeine Gaskonstante. Über die mittlere freie Weglänge kann dann die Knudsenzahl<br />
Kn definiert werden.<br />
Physical Vapor Deposition<br />
Kn = / L<br />
137<br />
144
Dabei ist L ein Maß für die Entfernung der Gefäßwände. Wenn die Knudsenzahl viel größer<br />
als 1 ist und damit also die mittlere freie Weglänge viel größer als der Abstand der<br />
Gefäßwände, spricht man von molekularem Fluß für die Fortbewegung eines Gasstroms in<br />
einem Gefäß. Impulsübertragung erfolgt praktisch nur zwischen den Gasmolekülen und der<br />
Gefäßwand, aber kaum über den Stoß zwischen zwei Gasmolekülen. Wenn die Knudsenzahl<br />
viel kleiner als 1 ist und damit die mittlere freie Weglänge viel kleiner als der Abstand der<br />
Gefäßwände, spricht man von viskosem oder Hagen/Poisseuille-Fluß. Impulsübertragung<br />
erfolgt praktisch nur über Stoß zwischen Gasmolekülen und kaum durch Stoß mit den<br />
Gefäßwänden. Für Kn ≈ 1 spricht man von Knudsenströmung. Sie stellt den Übergang<br />
zwischen den vorher erwähnten Transportmechanismen dar. Damit man möglichst<br />
monomolekulare Beschichtungen erhält, muß man die PVC bei sehr kleinen Drücken<br />
durchführen (10 -4 torr). Bei diesen geringen Drücken wird die mittlere freie Weglänge sehr<br />
groß und man wird meistens im Bereich molekularer Strömung arbeiten. Dies kann bei nicht<br />
rein ebenen Flächen zur Schwierigkeit des Shadowing (Bild (c) unten) führen.<br />
Im Falle des Sputterings kann man das Shadowing verringern, indem man den Einschuß der<br />
sputternden Ionen bei kleinen Winkeln zur Oberfläche durchführt. Dadurch werden die<br />
herausgelösten Teilchen nicht auf die Zieloberfläche beschleunigt sondern in Richtung auf die<br />
Gefäßwandungen von denen sie dann erst abprallen und schließlich auf der Oberfläche des<br />
Ziels landen, wobei die Richtung des Einfallwinkels sich durch die vorherigen Stöße mit der<br />
Gefäßwand statistisch mittelt, so dass die gleichmäßige Abscheidung (Bild (b) oben)<br />
wahrscheinlicher wird.<br />
145
Den Sputtering-Prozeß kann man auch zur Vorreinigung der Zieloberfläche verwenden, wenn<br />
diese zuerst beschossen wird um eine uneinheitliche Oberfläche zu entfernen und in eine<br />
einheitliche Oberfläche zu verwandeln.<br />
Eine Methode, bei der man gerade die molekulare Strömung ausnutzt, ist die Molecular Beam<br />
Epitaxy.<br />
Physical Vapor Deposition<br />
Molecular beam epitaxy<br />
Bei ihr wird in einer Kammer, die als Knudsen-Zelle bezeichnet wird, ein Element so stark<br />
erhitzt, dass es gasförmig atomar vorliegt. Durch eine Öffnung, die so klein gewählt ist, dass<br />
nur ein Molekül pro Zeit hindurchtreten kann, entweichen die Atome inform eines<br />
139<br />
138<br />
146
Molekularstrahls. Die Gefäßdimensionen sind so gewählt, dass es zu keinen weiteren Stößen<br />
vor der Abscheidung auf der Zieloberfläche kommt. Durch dieses Verfahren kann man<br />
besonders dünne Schichten erzeugen, benötigt aber hohen gerätetechnischen Aufwand, nicht<br />
zuletzt wegen der notwendigen sehr niedrigen Drücke (10 -11 torr). Außerdem ist die<br />
Abscheidungsrate entsprechend klein, und lange Abscheidungszeiten sind meist<br />
unumgänglich.<br />
Wenn der Physisorption eine chemische Umwandlung nachfolgt, die dann die finale<br />
Oberflächenbeschichtung bildet, spricht man von Chemical Vapour Deposition (CVD). Für<br />
diese Methode maskiert man die abzuscheidenden Komponenten in Komplexverbindungen,<br />
mit einer Ligandensphäre, die den Komplex verdampfbar macht und gleichzeitig eine leichte<br />
Umwandlung in die finalen gewünschten Fragmente erlaubt. Die zu verwendenden<br />
Prekursoren sollten im Idealfall die folgenden Eigenschaften besitzen:<br />
eine hohe Flüchtigkeit besitzen<br />
eine hohe thermische Stabilität während des Verdampfens und des Transportes haben<br />
sauber und kontrolliert auf dem Substrat zerfallen<br />
nur Nebenprodukte erzeugen, die leicht entfernt werden können<br />
in hoher Reinheit verfügbar sein bei nicht zu hohen Kosten<br />
nicht toxisch oder pyrophor sein<br />
In der Realität gibt es keinen Prekursor, der alle Kriterien gleichzeitig erfüllt. Um die hohe<br />
Flüchtigkeit zu garantieren, müssen intermolekulare Wechselwirkungen druch die<br />
Ligandenwahl klein gehalten werden. Um Van der Waals-Wechselwirkungen klein zu halten,<br />
müssen die Liganden möglichst kompakt und wenig polarisierbar sein. Daher sind<br />
voluminöse organische Reste wie tBu günstiger als langgestreckte wie nBu und als<br />
Oberflächenatome Fluor-Atome besser als H-Atome und viel besser als andere Halogenide.<br />
tBu > iBu > nBu; CF3 > CH3 >> CCl3<br />
Neben Van der Waals-Wechselwirkungen müssen koordinative kovalente Atombindungen<br />
und Zwei-Elektronen-Dreizentrenbindungen verhindert werden:<br />
Cl<br />
Cl<br />
Al<br />
Cl<br />
Cl<br />
Al<br />
Cl<br />
Cl<br />
H<br />
H<br />
Al<br />
H<br />
H<br />
Al<br />
H<br />
H<br />
147
Um diese Art von intermolekularen Wechselwirkungen zu verhindern, müssen möglichst freie<br />
Koordiantionsstellen abgedeckt werden (sterisch oder elektronisch) und möglichst wenige<br />
Gruppen mit polarisierbaren Donorfunktion (also wieder möglichst Fluor oder, wenn nicht<br />
anders möglich, Wasserstoff). Wir hatten bereits beim Sol/Gel-Verfahren mit Metallalkoxiden<br />
den acac-Liganden (siehe unteres Bild) als günstig für die Abdeckung freier<br />
Koordinationsstellen kennengelernt (einfach negativ geladen, aber zwei Donor-Funktionen),<br />
und tatsächlich findet man derartige Liganden nicht selten in Prekursoren für die CVD, hier<br />
noch speziell fluoriert oder mit tBu-Gruppen, um die Van der Waals-Wechselwirkungen zu<br />
minimieren.<br />
Die acac-Liganden sind aber chemisch schon recht komplex, so daß zwar die notwendige<br />
hohe Flüchtigkeit erreicht wird, aber die saubere Zersetzung mit leicht entfernbaren<br />
Nebenprodukten bei nicht zu hohen Temperaturen Schwierigkeiten bereitet (gerade die<br />
Kontamination mit Kohlenstoff stellt häufig ein größeres Problem dar). Für die saubere<br />
Zersetzung sind insbesondere Liganden geeignet, die stabile gasförmige Nebenprodukte<br />
erzeugen. Typische angestrebte gasförmige Nebenprodukte sind H2, CO, CO2 und Ethen oder<br />
Isobuten sowie Alkane wie Methan. Ansatzweise hatten wir diese Nebenprodukte und damit<br />
in Zusammenhang stehende Liganden kennegelernt bei den Zersetzungsreaktionen als<br />
Methode zur Herstellung von Oxidkeramiken. Solche Liganden sind also insbesondere<br />
Formiate HCO2 - und Oxalate C2O4 2- . Liganden, die Ethen Propen und Isobuten freisetzen,<br />
sind Ethyl, Isopropyl und tBu-Liganden. Dies liegt an einer speziellen Reaktion von<br />
Metallkomlexen, die -Hydrid-Eliminierung genannt wird (bei Hauptgruppenelementen als<br />
Zentralatome findet man diese Reaktion nicht).<br />
M<br />
H<br />
-H-Eliminierung:<br />
M<br />
H<br />
M<br />
H<br />
148
Methyl-Liganden sind daher für die CVD ungünstiger als Ethyl und Isobutyl-Liganden, nicht<br />
nur wegen der geringeren sterischen Abschirmung, die ein Oligomerisierung ermöglicht,<br />
sondern besonders, weil in Methyl-Liganden keine -Wasserstoffe für die -Hydrid-<br />
Eliminierung vorhanden sind. Die entstehenden Metallhydride zersetzen sich im Idealfall<br />
weiter zum abgeschiedenen Metallatom auf der Oberfläche und H2, das in die Gasphase<br />
entweicht. Alkane wie Methan erzeugt man bei Einsatz von Multiple-Source-Prekursuren, bei<br />
denen einige Methyl- und andere Hydrid-Lganden enthalten. Ein Beispiel hierfür ist etwa die<br />
Herstellung von GaAs-Schichten, die in der Halbleitertechnik wichtig sind.<br />
AsH3 kann eingesetzt werden, da es keine freien Koordinationsstellen für die Bildung von<br />
Oligomeren durch Zwei-Elektronen-Dreizentrenbindung über das Hydrid möglich ist. Obwohl<br />
in diesem speziellen Fall die Koordination zwischen den beiden Komponenten die<br />
stöchiometrische Bildung von AsGa fördert, ist bei der Multiple-Source-Methode immer die<br />
Gefahr, das nicht sauber nur eine Stöchiometrie auf der Oberfläche verwirklicht wird. Diese<br />
Problematik kann weiter ausgeschalten werden durch Verwendung von Single-Source-<br />
Prekursoren.<br />
Me<br />
Ga<br />
Et<br />
Et<br />
Me<br />
Me<br />
t-Bu<br />
Ga<br />
t-Bu<br />
Allerdings erfordern Single-Source-Prekursoren auch immer einen höheren synthetischen<br />
Aufwand als die Multiple-Source-Prekursuren.<br />
Die chemische Zersetzung auf dem Substrat erfolgt praktisch immer thermisch (in sehr<br />
wenigen Fällen photochemisch), so daß das Substrat immer geheizt werden muss, um die<br />
chemische Reaktion zu iniziieren. Zwei Arten von Heiztechniken finden dabei Anwendung<br />
und zwar Heißwand– und Kaltwandreaktoren.<br />
As<br />
As<br />
+<br />
H<br />
t-Bu<br />
Ga<br />
t-Bu<br />
Et<br />
Et<br />
As<br />
H<br />
H<br />
Me<br />
H<br />
Ga Me<br />
Me<br />
As<br />
H<br />
H<br />
GaAs + 4 Ethen + 4 Isobuten + 4 H 2<br />
GaAs + 3 CH 4<br />
149
Vorteile für den Heißwandreaktor sind die leichte Handhabung und die Leichtigkeit mit der<br />
konstante Temperaturen für das Substrat gewährleistet werden können. Nachteile sind, daß<br />
die Abscheidung nicht nur auf dem Substrat erfolgt und Kontaminationen (auch für folgende<br />
Synthesen) zu befürchten sind. Auch können bereits unerwünschte Reaktionen in der<br />
Gasphase stattfinden (Areosol-Prozess). Diese Schwierigkeiten werden bei Verwendung eines<br />
Kaltluftreaktors verringert. Allerdings ist dieser schwerer zu handhaben, und der<br />
Temperaturgradient direkt oberhalb des Substrates kann zu Verwirbelungen und damit zur<br />
Veruneinheitlichung der Abscheidung führen.<br />
Das Geschwindigkeitsprofil der CVD durchläuft in Abhängigkeit der Temperatur drei<br />
Phasen, je nach dem, ob die Abscheidung reaktionskontrolliert, diffusionskontrolliert oder bei<br />
sehr hohen Temperaturen desorptionskontrolliert stattfindet.<br />
Im reaktionskontrollierten Regime steigt die Reaktionsgeschwindigkeit mit exp(-Ea/T) nach<br />
der Ahrreniusgleichung, wobei Ea die Aktivierungsenergie der chemischen Reaktion ist. Für<br />
das diffusionskontrollierte Regime ergibt sich eine Temperaturabhängigkeit der<br />
Abscheidungsgeschwindigkeit von T exp(-Ea‘/T), wobei hier die Aktivierungsenergie für den<br />
Impulstransport, also für die Viskosität zu Buche schlägt, die viel kliner ist als die<br />
Aktivierungsenergie für eine chemische Rekaiton. Damit wird auch der exponentielle Einfluß<br />
auf die Temperaturabhängigkeit für die Diffusion kleiner. Bei sehr hohen Temperaturen<br />
nimmt die Reaktionsgeschwindigkeit wieder ab, weil die Desorption dominant wird.<br />
Für Multiple-source-prekursoren, bei denen zwei Reaktanden A und B für die Abscheidung<br />
eingesetzt werden (wie im obigen Beispiel von GaAs) unterscheidet man zwei<br />
Abscheidungsmechanismen, je nachdem, ob die Reaktion zwischen den beiden<br />
Reaktionspartnern so stattfindet, dass beide zunächst adsorbieren müssen<br />
(Langmuir/Hinshelwood-Mechanismus) oder dass nur ein Reaktionspartner adsorbieren muß<br />
150
und der zweite aus der Gasphase reagiert (Elay/Rideal-Mechanismus). Der Elay/Rideal-<br />
Mechanismus stellt also eine Übergangsstufe zwischen Aerosolverfahren und CVD dar.<br />
Langmuir/Hinshelwood:<br />
A + B C<br />
CVD<br />
A = K A p A / (1 + K A p A + K B p B )<br />
B = K B p B / (1 + K A p A + K B p B )<br />
r CVD = k A B<br />
143<br />
CVD<br />
Elay/Rideal:<br />
B (g)<br />
A C<br />
A = K A p A / (1 + K A p A [+ K B p B ])<br />
r CVD = k A p B<br />
Die Kinetik dieser Vorgänge kann über modifizierte Langmuir-Adsorptionsisothermen<br />
beschreiben werden. Aus dem unterschiedlichen kinetischen experimentellen Verhalten kann<br />
dann auf den Mechanismus geschlossen werden.<br />
In der obigen Darstellung sind die beiden zu erwartenden Entwicklungen der<br />
Abscheidungsrate in Abhängigkeit des Verhältnissen der beiden Reaktionspartner A und B<br />
für den Fall (a) Elay/Rideal (A adsorbiert) und (b) Langmuir/Hinshelwood (A und B<br />
adsorbieren gleich gut) aufgezeigt.<br />
Im folgenden werden einige Beispiel für wichtige CVD-Abscheidungen dargestellt.<br />
Bei der Herstellung eines Diamand-Filmes auf einer Oberfläche durch CVD wird das Hydrid<br />
des Kohlenstoffs, also Methan; als Prekursor eingesetzt.<br />
151<br />
143
Dabei muß H2 als Zusatzkomponente eingesetzt werden. Das H2-Gas hat zwei Aufgaben.<br />
Zum ätzt das H2 die Oberfläche an und erzeugt radikalische Ankerpunkte für Methylrdikale.<br />
Zum anderen „versiegelt― das H2 die Oberfläche mit sp 3 -Hybridisierten Kohlenstoffen. Dies<br />
verhindert, daß sich eine thermodynamisch stabilere Graphitschicht einmischt.<br />
Silizium-Atome werden ebenfalls über das Hydrid SiH4 durch CVD abgeschieden. Das<br />
Nebenprodukt ist H2.Wegen der stark vorherrschenden Vierbindigkeit des Siliziums sind 2-<br />
Elektronen-Dreizentren-Bindungen kein Problem. Andererseits spielt -H-Eleminierung keine<br />
Roll, weil Si ein Nichtmetallelement ist. Daher können Ethyl- oder Isopropyl-Liganden nicht<br />
eingesetzt werden. Alternativ könnten die Formiate des Siliziums oder das Oxalat von<br />
Silizium eingesetzt werden, die aber die Gefahr der Sauerstoffkontamination in sich birgen<br />
und deshalb im Allgemeinen nicht eingesetzt werden.<br />
Im Falle einer Aluminiumabscheidung kann das Hydrid nicht eingesetzt werden, da es 2-<br />
Elektronen-Dreizentren bildet und daher oligomer und nicht monomer vorliegt.<br />
Al, Cu, Al2O3, SiO2, Si3N4, TiN<br />
Ein typischer Prekursor ist Al(iBu)3, das über -H-Eliminierung schrittweise in Isobuten und<br />
Al-H-Bindungen zerfällt, die dann zu Al-Atomen und H2 weiterreagieren. Das Al(iBu)3 kann<br />
daher als verkapptes AlH3 angesehen werden, ohne dass das Problem der Oligomerenbildung<br />
besteht. Ein Schwierigkeit ist, dass eine Kontamination mit Kohlenstoff nach erfolgter -<br />
Methyl-Eliminierung anstelle von -H-Eliminierung erfolgen kann (siehe obiges Bild). Dies<br />
kann ausgeschlossen werden über den Prekursor AlH3(NMe3). Hier wird die<br />
Oligomerisierungstendenz durch Abdeckung der freien Koordinationsstelle unterbunden über<br />
152
die schwache Vorkoordination des Trimethylamins, das ohne weitere Zersetzung als<br />
gasförmiges Nebenprodukt entweicht.<br />
Für Kupfer gibt es keine stabilen hydridische oder metallorganische Prekursoren, so daß hier<br />
die acac-Liganden Einsatz finden. Man kann die Prekursoren als Cu(II)-Verbindungen<br />
anbieten. Dann muß man als Reduktionsmittel noch H2-Gas mitdosieren.<br />
Es können auch Cu(I)-Verbindungen eingesetzt werden. Da diese zu Cu(0) und Cu(II)<br />
disproportionieren und die entstehnden Cu(II) Verbindsungen wiederum leicht flüchtig sind,<br />
benötigt man in diesm Falle kein externes Reduktionsmittel.<br />
L ist hierbei ein neutraler Ligand wie PMe3 (nicht NMe3, weil Cu(I) im Vergleich zu Al(III)<br />
ein chemisch weiches Ion ist), der stabil ist und gasförmig entweicht.<br />
Auf die Abscheidung von anorgansichen Halbleiternvom III/V Typ wurde im Zusammenhang<br />
mit GaAs bereits hingewiesen.<br />
Aluminiumoxid kann auf oxidische Oberflächen wie SiO2 über den Prekursor AlMe3<br />
schichtweise aufgetragen werden. Dies geschieht über die auf der Oberfläche vorhandenen Si-<br />
153
O-H-Gruppen. Diese reagieren mit dem Al(Me)3 unter Spaltung der Al-C-Bindung und<br />
Abspaltung von Methan.<br />
Al(Me)3 + H-O-Si Al(Me)2-O-Si + CH4<br />
Nach Behandlung mit Wasser werden neue Al-O-H-Gruppen auf der Oberfläche erzeugt, die<br />
wiederum Schicht für Schicht mit Al(Me)3 zur Reaktion gebracht werden können.<br />
Al(Me)2-O-Si + H2O Al(OH)2-O-Si + 2 CH4<br />
Siliziumdioxid kann durch die Multiple-Source-Prekursoren SiH4 und N2O durch CVD<br />
hergestellt werden. Als Single-source-Prekursor konnte Si(OEt)4 erfolgreich eingesetzt<br />
werden, wobei als Nebenprodukte Ethen und Ethanol nachgewiesen werden konnten.<br />
Die Nitride Siliziumnitrid und Titannitrid können über Multiple-source-Prekursoren durch<br />
CVD abgeschieden werden, wobei als Prekursoren leicht flüchtige Halogenide von Si und Ti<br />
und als Stickstoffquelle Ammoniak eingesetzt werden.<br />
3 H2SiCl2 + 4 NH3 Si3N4 + 6 HCl + 6 H2<br />
6 TiCl4 + 8 NH3 6 TiN + 24 HCl + N2<br />
Der Übergang zwischen CVD und Aerosol-Verfahren ist hierbei fließend und nicht in allen<br />
Fällen leicht abgrenzbar.<br />
154
9. Transportreaktionen<br />
Es ist trivial, daß Materialien räumlich von A nach B transportiert werden können. Im<br />
Allgemeinen wird dieser Transport durch Impulsübertragung bewerkstelligt. Ein Behälter mit<br />
dem Material wird von A nach B bewegt.<br />
Während des Transportes verändert sich das Material nicht, weder physikalisch (außer der<br />
Impulsveränderung) noch chemisch. Im Falle von Fluiden (Flüssigkeiten oder Gase) benötigt<br />
man für den Transport nicht einmal einen Behälter und verläuft durch Diffusion (Triebkraft:<br />
Konzentrationsgradient) oder Konvektion (Triebkraft: Druckgradient oder<br />
Geschwindigkeitsgradient). Es muß allerdings beachtet werden, dass Materie durch Diffusion<br />
nur verstreut (und nicht aufkonzentriert) werden kann und Konvektion ist genau genommen<br />
nur ein Spezialfall des Impulstransportes und kein grundlegend neuer Transportmechanismus.<br />
Materie kann auch durch thermischen Transport bewegt werden. Dies geschieht etwa während<br />
einer Destillation. In diesem Falle finden Phasenübergänge (also eine physikalische<br />
Veränderung) statt.<br />
diffusion<br />
convenction<br />
155
T 1<br />
T 1 > T 2<br />
Eine weitere Möglichkeit, Materie im Raum zu bewegen, ist durch chemischen Transport.<br />
Tatsächlich enthält diese Art des Transportes alle anderen erwähnten Mechanismen und<br />
zusätzlich wie der Name impliziert noch eine chemische Reaktion als Schlüsselschritt und<br />
Haupttriebkraft für den Transport. Im Falle des chemischen Transports wird ein Feststoff mit<br />
einem gasförmigen Reaktionspartner, das Transport-Agens, umgesetzt zu einem gasförmigen<br />
Produkt. Das gasförmige Produkt versetzt sich zurück zu den Edukten an einem anderen<br />
entfernten Ortspunkt, üblicherweise in einer aufgereinigten und hochkristallinen Form. Wir<br />
werden uns für eine Weile auf diesen letzteren Transportmechanismus konzentrieren.<br />
Insbesondere wollen wir herausarbeiten, wie die Reaktionsparameter gewählt werden müssen,<br />
um den chemischen Transport zu iniziieren und was die Triebkraft und Richtung der<br />
Bewegung sein wird. Wir werden in Kürze erkennen, dass die Temperaturabhängigkeit der<br />
Gleichgewichtskonstanten der Motor für den chemischen Transport ist.<br />
Die Temperaturabhängigkeit der Gleichgewichtskonstanten kann beschrieben werden durch<br />
die Beziehung zwischen der Gibbs-Helmholtz Gleichung und der Gleichgewichtskonstanten.<br />
Über diese Gleichung erhalten wir<br />
A<br />
A + B g C g<br />
T 2<br />
G = H – T S = -RT ln K<br />
A<br />
156
ln K = - H / (RT) + S / R<br />
und die Berechnung der ersten Ableitung der Gleichgewichtskonstanten nach der Temperatur<br />
führt uns zu van’t Hoffs Reaktionsisobare<br />
d ln K/dT = H / (RT 2 )<br />
Von dieser Gleichung können wir ableiten, wie die Gleichgewichtskonstante sich mit der<br />
Temperatur verändern wird, in Abhängigkeit der Reaktionsenthalpie. Der Nenner RT 2 ist<br />
zwangsläufig immer positiv. Wenn dT = T2 – T1 > 0 ( Anstieg der Temperatur) und die<br />
Reaktion exotherm ist ( H < 0) dann muß d ln K = ln K(T2) – ln K(T1) kleiner als null<br />
sein. Also: durch einen Temperaturanstieg verringert sich die Gleichgewichtskonstante einer<br />
exothermen Reaktion (ln K ist eine kontinuierlich steigende Funktion wenn ln K(T2) – ln<br />
K(T1) < 0 dann K(T2) – K(T1) < 0). Andererseits wenn die Reaktion endotherm ist und wir die<br />
Temperatur erhöhen, muss die Gleichgewichtskonstante anwachsen. Daher können wir<br />
schlußfolgern<br />
Durch Temperaturerhöhung einer exothermen Reaktion wird die Gleichgewichtskonstante<br />
verringert.<br />
Durch Temperaturerniedrigung einer exothermen Reaktion wird die<br />
Gleichgewichtskonstante erhöht.<br />
Durch Temperaturerhöhung einer endothermen Reaktion wird die<br />
Gleichgewichtskonstante erhöht.<br />
Durch Temperaturerniedrigung einer endothermen Reaktion wird die<br />
Gleichgewichtskonstante verringert.<br />
Dies sind wichtige notwendige Bedingungen, um den chemischen Transport zu verstehen,<br />
aber sie sind noch nicht hinreichend. Da wir für den chemischen Transport die Hin- und<br />
Rückreaktion eines Gleichgewichts verwenden wollen, müssen wir in der Lage sein das<br />
Gleichgewicht von den Edukten zu den Produkten zu verschieben und umgekehrt (das<br />
bedeutet: Veränderung der Gleichgewichtskonstante von Werten größer als 1 zu Werten<br />
kleiner als 1) und zwar nur durch Veränderung der Temperatur.<br />
157
ln K 1 > 0<br />
ln K 2 = 0<br />
ln K 3 < 0<br />
ln K<br />
1/T 1 1/T 2 1/T 3<br />
Daraus entspringt eine notwendige Bedingung für den verwendeten Temperaturgradienten,<br />
damit chemischer Transport möglich wird: Das Temperaturfenster muß die<br />
Inversionstemperatur (T2 im oberen Diagramm) enthalten. Dies bedeutet in anderen Worten,<br />
dass das Gleichgewicht der Reaktion des transportierten Materials mit dem Transport-Agens<br />
nicht zu stark auf einer der beiden Seiten (Produkt oder Edukt) liegen darf, weil sonst das<br />
Temperatur Fenster, um das Gleichgewicht zu invertieren unrealistisch groß wird. Wir<br />
benötigen also Gleichgewichtskonstanten für die Bildung/Zersetzung des Transportzustandes<br />
im mittleren Bereich (10 bis 0.1). Dies limitiert die Auswahl für das Transport-Agens. Wir<br />
können nun ein detaillierteres Bild von den Abläufen beim chemischen Transport zeichnen.<br />
1/T<br />
158
Wir haben eine thermodynamische Achse, und sie wird durch die Temperatur kontrolliert.<br />
Wenn wir chemischen Transport durchführen möchten, muß das Gleichgewicht zwischen zu<br />
transportierender Materie und Transport-Agens bei T1 im oberen Diagramm auf der<br />
Produktseite liegen (Transportzustand), während das Gleichgewicht bei T2 auf der Seite der<br />
Edukte liegen muß. Wenn die Reaktion zwischen transportierter Materie und Transport-Agens<br />
exotherm ist, wird der Transport in Richtung zu höheren Temperaturen stattfinden. Wenn die<br />
Reaktion endotherm ist, wird der Transport in Richtung zu niedrigeren Temperaturen<br />
ablaufen. Die Folge ist, dass bei T1 das Gleichgewicht der Reaktion zwischen zu<br />
transportierender Materie und Transport-Agens auf der Produktseite liegt (Transportzustand)<br />
wie erforderlich, während es bei T2 auf der Seite der Edukte liegt. Dies bedeutet zusätzlich,<br />
dass die Konzentration von AB im Transportzustand bei T1 größer ist als bei T2. Solange der<br />
Temperaturgradient aufrechterhalten bleibt (und noch Material an der Ausgangsposition<br />
vorhanden ist), wird dieser Konzentrationsgradient bleiben. Dieser Konzentrationsgradient<br />
wird eine Diffusion von T1 nach T2 iniziieren (unabhängig von der Enthalpie der<br />
Transportreaktion). Diese Diffusion ist der wahre Transportmechanismus. Die chemische<br />
Transportreaktion ist nur die Grundlage und notwendige Bedingung für den Transport. Auf<br />
der anderen Seite wird die Konzentration des Transport-Agenses (wegen der Lage des<br />
Gleichgewichtes in Abhängigkeit der Temperatur) klein sein bei T1 und groß bei T2. Dies<br />
bewirkt eine Diffusion des Transport-Agenses von T2 nach T1 und damit zurück zur<br />
Startposition. Das ist der Grund, warum das Transport-Agens nur in katalytischer Menge<br />
eingesetzt werden muß.<br />
Man setzt chemischen Transport aus einem von vier Gründen ein:<br />
Reinigung des Material, die auf andere Art nicht möglich oder schwierig ist<br />
Züchtung großer Kristalle für die Charakterisierung über Diffraktionsmethoden<br />
Selbstheilung des Materials durch Rücktransport abgetragener Materie<br />
Synthese neuer Materialien durch Sekundärreaktionen an der Zielposition bei T2<br />
Eine wichtige Anwendung für chemischen Transport ist die Reinigung von Nickel im Mond-<br />
Prozess (nach dem Entdecker L. Mond). Ni wird in der Natur meist zusammen mit Kupfer als<br />
Mischsulfid gefunden. Diese Sulfide werden zu den Oxiden geröstet und dann durch<br />
Wasserstoff reduziert. Um das Nickel dann vom Kupfer zu reinigen, wird die reversible<br />
Bildung/Zersetzung von Ni(CO)4 verwendet.<br />
159
Ni + 4 CO Ni(CO)4<br />
Bei 80°C bildet sich das Metallcarbonyl, und bei 180°C findet die Zersetzung zum gereinigten<br />
Metall statt (ist die Metallcarbonylbildung exotherm oder endotherm?).<br />
Ein sehr lehrreiches, wenn auch nur noch historisches Beispiel für die Anwendung des<br />
chemischen Transportes zur Selbst-Heilung von Materialien ist die klassische Glühbirne.<br />
Wenn ein elektrischer Strom durch einen Festkörper fließt, wird dieser Festkörper erwärmt<br />
und sendet in Abhängigkeit der Temperatur elektromagnetische Strahlung ab gemäß dem<br />
Stephan/Boltzmann Gesetz. In den klassischen Glühbirnen wird nur eine sehr geringe Menge<br />
der eingesetzten elektrischen Energie in sichtbares Licht umgewandelt.<br />
In den ersten Glühbirnen wurde Kohlenstoff als Festkörper eingesetzt, um die hohen<br />
Temperaturen zu erzeugen. Heutzutage wird Wolfram in den Filamentfäden verwendet<br />
(Wolfram ist das Element mit dem höchsten Schmelzpunkt), um die Betriebstemperatur zu<br />
erhöhen und damit auch die Menge an nützlicher elektromagnetischer Strahlung. Trotzdem<br />
verdampft auch Wolfram langsam. Das hat zwei negative Folgen. Zum einen sinkt die Dicke<br />
des Filamentfadens, und damit steigt das Risiko des Durchbrennens. Und zum anderen<br />
kondensiert das verdampfte Wolfram an der kühleren Glasoberfläche der Glühbirne, was dort<br />
einen Grauschleier erzeugt, der zusätzlich Licht abschirmt. Wenn geringe Menge an Iod und<br />
(was erst später erkannt wurde) auch geringe Mengen an O2 der Glühbirnenatmosphäre<br />
zugesetzt wurden, fand man, dass sich die Lebenszeit der Glühbirne erheblich verlängerte.<br />
160
Verantwortlich dafür ist eine chemische Transportreaktion. Bei 600°C reagieren das Iod und<br />
der Sauerstoff mit dem kondensierten Wolfram auf der Glasoberfläche zu WO2I2 (nicht<br />
einfach WI2 wie zunächst vermutet). Auf dem Weg zum heißen Filamentfaden via Diffusion<br />
zersetzt sich das WO2I2 schrittweise in WO2, WO und schließlich W-Atome in der Nähe des<br />
Filaments bei etwa 3000°C. Diese W-Atome rekondensieren dann auf dem Filamentfaden. Da<br />
der letzte Schritt in der Reaktionskaskade nur eine physikalische Kondensation ist, ist der<br />
Gesamtprozeß strenggenommen nicht vollkommen selbstheilend, da das Wolfram bevorzugt<br />
an kühleren Stellen des Filaments kondensiert. Dies sind allerdings die dickeren Stellen und<br />
nicht diejenigen, die durch Verdampfung an Dicke verloren haben. Daher stellt eine<br />
Verlängerung der Lebenszeit von Glühbirnen weiterhin ein sehr herausforderndes Problem<br />
dar.<br />
In der abschliessenden Tabelle sind einige Bespiele für chemische Transportreaktion<br />
aufgelistet.<br />
Transport component A<br />
Cr<br />
CrCl 3<br />
Cr 2 O 3<br />
CoCr 2 O 4<br />
W<br />
Ni<br />
Fe 2 O 3<br />
CoCl 2<br />
Cu 2 O<br />
Cu<br />
Transport reactions<br />
Transport reagent B<br />
I 2<br />
AlCl 3<br />
O 2 /Cl 2<br />
Cl 2<br />
O 2 /I 2<br />
CO<br />
HCl<br />
AlCl 3<br />
HCl<br />
HCl<br />
Gas-phase compound AB<br />
CrI 2<br />
CrAl 3 Cl 12<br />
CrO 2 Cl 2<br />
CrO 2 Cl 2 + CoCl 2<br />
WO 2 I 2<br />
Ni(CO) 4<br />
FeCl 3<br />
CoCAl 2 Cl 8<br />
CuCl + H 2 O<br />
CuCl + H 2<br />
133<br />
161
10. Anorganische Polymere<br />
Anorganische Polymere unterscheiden sich von anderen Polymeren nur dadurch, daß die<br />
Atome, die das Rückgrad der polymeren Kette bilden, ausnahmslos nicht Kohlenstoffatome<br />
sind. Sie benutzen daher Si, N, O, S und P, um die polymere Kette aufzubauen. Alle<br />
anorganischen Polymere können entweder durch Polykondensation oder durch ringöffnende<br />
Polymerisation synthetisiert werden.<br />
R<br />
Si O<br />
R<br />
R<br />
P N<br />
R<br />
Anorganische Polymere<br />
Si O<br />
n n<br />
R<br />
P N<br />
n n<br />
R<br />
R<br />
R<br />
S N S N S N<br />
n n n<br />
B N<br />
n<br />
R<br />
Si Si<br />
R<br />
R<br />
R<br />
n<br />
B N<br />
R<br />
Si C<br />
R<br />
Obwohl die einzelnen Vertreter dieser Materialklasse und insbesondere die wichtigsten<br />
(Polysiloxane und Polyphosphazene) ihre Eigenberichtigung als selbständige Substanzklasse<br />
besitzen, stellen die anorganischen Polymere auch in mehreren Fällen (Polysiloxane/SiO2,<br />
Polycarbosilane/SiC, Polysilazane/Si3N4, Polyborazene/BN) einen Brückenschlag zu den<br />
keramischen Werkstoffen her. Sie werden in dem Fall auch als Prekeramiken bezeichnet.<br />
Durch Pyrolyse des anorganischen Polymers erfolgt der Übergang in den keramischen<br />
Werkstoff. Dabei koppelt man die guten Verarbeitungseigenschaften von Polymeren<br />
insbesondere zur Erzeugung von Filmen, Fasern und Beschichtungen mit den vorteillhaften<br />
mechanischen und thermischen Eigenschaften von Keramiken, die allerdings per se nicht zu<br />
Filmen, Fasern oder Beschichtungen prozessiert werden können. Die erhaltenen Werkstoffe<br />
werden als keramische Filme, keramische Fasern und keramische Beschichtungen bezeichnet.<br />
R<br />
R<br />
n<br />
n<br />
Silicone, Polysiloxane<br />
Polyphosphazane<br />
Bornitrid<br />
Si N<br />
Polysilane Polycarbosilane Polysilazane<br />
R<br />
R<br />
R<br />
n<br />
Polythiazyl<br />
157<br />
162
Die wichtigste Gruppe anorganischer Polymere sind die Polysiloxane oder auch Silicone<br />
[R2Si-O]n.<br />
R<br />
Si O<br />
R<br />
Si O<br />
n n<br />
R<br />
R<br />
Silicone, Polysiloxane<br />
Bei ihnen wird das Rückggrad durch Si-O-Einheiten gebildet. Das Eigenschaftsprofil dieser<br />
Polymere wird in erster Linie durch den Polymerisationsgrad und den Vernetzungsgrad<br />
bestimmt und erst in zweiter Linie durch die noch am Silizium vorhandenen organischen<br />
Substituenten. Polysiloxane besitzen mehrere herausragende Eigenschaften, die ihre breite<br />
Anwendung und Wichtigkeit als Werkstoff verständlich machen:<br />
Hohe thermische Stabilität bis zum Teil 300°C<br />
Sehr niedrige Glastemperaturen von bis zu -123°C<br />
Sehr geringe adhäsive Eigenschaften<br />
Wasserabweisend<br />
Ceramics:<br />
high melting point<br />
bulky 3D solid<br />
difficult to process<br />
High thermal stability<br />
Non-inflamability<br />
High mechanic impact resistance<br />
Sehr gute elektrische Isolatoren<br />
Chemische und Physiologische Inertheit<br />
Hohe Gasdurchlässigkeit<br />
Ceramic fiber<br />
Ceramic film<br />
Ceramic layer<br />
Polymers:<br />
Thermoplastic<br />
Film-formation possible<br />
Fiber-formation possible<br />
Layer-formation possible<br />
easy to process<br />
Low thermal stability<br />
inflamable<br />
weak mechanic strength<br />
93<br />
163
Die hohe thermische Stabilität wird durch die sehr stabilen Si-O-Bindungen hervorgebracht<br />
und nur durch die organischen Substiutenten eingeschränkt. Die niedrige Glastemperatur ist<br />
auf die (im Vergleich zu organischen C-X-Bindungen) recht lange Si-O-Bindung und das<br />
Fehlen von sterisch wirksamen Substituenten an jedem zweiten Rückgradatom<br />
zurückzuführen. Sie ist auch ein experimenteller Nachweis dafür, daß etwaige dp-pp-<br />
Wechselwirkungen zwischen Si und Sauerstoff, die die freie Drehbarkeit erheblich<br />
einschränken würden, nur gering ausgeprägt sein können. Polysiloxane können aus vier<br />
unterschiedlichen Grundeinheiten aufgebaut sein, abhängig davon, wieviele Si-O-Bindungen<br />
von dem jeweiligen Silizium-Zentrum ausgehen.<br />
Wenn das Polysiloxan nur aus D- und M-Einheiten aufgebaut wird, entstehen nur<br />
unabhängige polymere Ketten unterschiedlicher Länge. Diese werden als Silikonöle<br />
eingesetzt. Silikonöle sind Fluidoplaste, die als hydraulisches Öl, kompressible Fluide für<br />
„flüssige mechanische Federn― und als Schmiermittel verwendet werden können.<br />
Werden im geringen Prozentbereich auch T-Einheiten eingebaut, so bekommt das Polysiloxan<br />
durch geringe Vernetzung zwischen den polymeren Ketten elastomere Eigenschaften. Man<br />
unterscheidet nach Art der Vernetzung zwischen RTV (room temperature vulcanaizing) and<br />
HTV (high temperature vulcanizing) Silicon-Elastomeren. Die RTV’s können weiter in RTV-<br />
1 und RTV-2 unterteilt werden, je nachdem ob die Vernetzung allein durch das Polymere an<br />
Luftfeuchtigkeit (RTV-1) oder erst nach Zugabe eines zusätzlichen Vernetzungsreagenzes<br />
(RTV-2) herbeigeführt wird. In RTV-Silikonen erfolgt die Vernetzung durch eine<br />
Kondensationsreaktion oder eine Additionsreaktion (Hydrosilylierung).<br />
164
Bei den HTV werden unter Einsatz von Radikalinitiatoren vinylische Gruppen durch<br />
polymerisation vernetzt.<br />
RTV-2-Silikone zeichnen sich neben den elastomeren Eigenschaften durch ihre geringe<br />
Adhesion aus. Sie finden daher Anwendung als Negativ-Form zum Herstellen von<br />
anorganischen (z. B. Tonmaterialien) und organischen (z. B. Polymere) Formteilen sowie<br />
Taschenrechnertastaturen.<br />
165
Erhöht man den Anteil an T-Einheiten und lässt auch Q-Einheiten zu, so führt dies zu stark<br />
vernetzten Siliconharzen. Siliconharze werden als isolierendes Material in elektrischen<br />
Geräten eingesetzt, sowie als Hochtemperaturbeschichtungen in Haushaltsgeräten<br />
(Backformen, Ofen).<br />
Die Synthese von Siliconen erfolgt entweder durch Hydrolyse und darauf folgende<br />
Polykondensation von Silylchloriden (Me3SiCl, Me2SiCl2, MeSiCl3) oder durch ringöffnende<br />
Polymerisation von Octamethylcyclotetra(siloxan) (Me2SiO)4 (D4). In beiden Fällen erhält<br />
man durch die Polyreaktion eine Gleichgewichtsverteilung zwischen Ketten verschiedener<br />
Länge (Schulz/Flory) und zwischen Ringen verschiedener Länge sowie zwischen Ringen und<br />
Ketten.<br />
Die zweitwichtigste Gruppe anorganischer Polymere sind die Polyphosphazene.<br />
R<br />
P N<br />
R<br />
P N<br />
n n<br />
R<br />
R<br />
Polyphosphazane<br />
166
Bei ihnen wird das Rückgrad durch P-N-Einheiten gebildet. Sie sind isoelektronisch zu den<br />
Siliconen. Das Eigenschaftsprofil dieser Polymere wird im Unterschied zu den Siliconen in<br />
erster Linie durch die Substituenten am Phosphor und erst in zweiter Linie durch den<br />
polymerisationsgrad des Rückgrades bestimmt. Diese Substituenten können bei den<br />
Polyphosphazenen im Unterschied zu den Siliconen durch polymeranaloge Reaktion von den<br />
[PCl2N]n Verbindungen sehr leicht variiert und erhalten werden.<br />
167
Obwohl die Bindungslänge zwischen P und N auf einen erheblichen<br />
Doppelbindungscharakter dieser Bindung hindeuten, läßt sich das chemische Verhalten der<br />
Polyphosphazene besser verstehen und erklären, wenn man die ionische mesomere<br />
Grenzstruktur mit Einfachbindungen zur Beschreibung heranzieht (alle P-N-Bindungen in<br />
Phosphazenen sind gleich lang, etwa 1.59 Å). Insbesondere die leichte Drehbarkeit um diese<br />
Bindung verleiht den Polyphosphazenen sehr niedrige Glastemperaturen, vergleichbar zu den<br />
Polysiloxanen. Die Anwendung der Polyphosphazene deckt einen breiten Bereich ab und wird<br />
hauptsächlich durch die Reste am Phosphor variiert. So sind die reinen [PCl2N]n<br />
Polyphosphazane sehr Hydrolyse-empfindlich<br />
Cl<br />
N<br />
O<br />
Cl<br />
P N<br />
Cl<br />
Cl<br />
HO<br />
P N<br />
NH2 Cl<br />
P N<br />
Cl<br />
P N<br />
Cl<br />
Cl<br />
Cl<br />
Durch Einsatz des Restes -NHCH2COOEt anstelle von -Cl kann die Hydrolyse-<br />
Empfindlichkeit des Materials so reguliert werden, daß es als sich selbst auflösender<br />
Nähfaden in der Chirurgie verwendet werden kann. Dabei enstehen nur Glycin Ethanol,<br />
Phosphat und Ammoniak als Abbauprodukte, die alle biokompatibel sind.<br />
P<br />
P<br />
Der Einsatz von Polyfuorierten Alkylresten –OCH2(CF2)nCF3 führt zu einer drastischen<br />
Herabsetzung der adhäsiven Wechselwirkungen, wie bereits beim CVD-Verfahren<br />
angesprochen. Derartige Materialien können daher für künstliche Herzklappen und andere<br />
Organersatzteile verwendet werden. Darüber hinaus sind diese Werkstoffe lösemittelresistent<br />
und können für Benzinleitungen oder als Dichtungsringe eingesetzt werden.<br />
Cl<br />
Cl<br />
Die Synthese von Polyphsphazenen erfolgt wie bei den Polysiloxanen entweder druch<br />
ringöffnende Polymerisation, hier ausgehend von [PCl2N]3, oder durch Polykondensation von<br />
PBrCl2=N-SiMe3 (Abspaltungsprodukt Me3SiBr) in beiden Fällen mit nachfolgender<br />
polymeranaloger Reaktion zur Funktionalisierung der Substituenten am Phosphor.<br />
+H 2O<br />
-HCl<br />
+H 2O<br />
HO<br />
N<br />
O<br />
NH<br />
Cl<br />
P N<br />
Cl<br />
Cl<br />
P N<br />
Cl<br />
P N<br />
Cl<br />
Cl<br />
P<br />
Cl<br />
Tautomerisierung<br />
P N<br />
Cl<br />
Cl<br />
P<br />
Cl<br />
168
Es mag auf den ersten Blick sonderbar erscheinen, daß Hexachlorcyclotriphosphazen als<br />
Monomer für die ringöffnende Polymerisation herangezogen werden kann, da der molekulare<br />
Graph auf eine ähnlich stabile Bindungssituation wie in Benzol hindeutet, so daß wenig<br />
Argumente für die Triebkraft der Ringöffnung bleiben. Tatsächlich sind die<br />
Bindungsverhältnisse aber wegen der Beteiligung von d-Orbitalen anstelle von p-Orbitalen<br />
deutlich verschieden von Benzol und Hexachlorcyclotriphosphazen ist insbesondere kein<br />
Aromat.<br />
Die Delokalisation von -Elektronendichte erfolgt immer nur über drei Zentren P-N-P mit<br />
drei Knotenebenen an jedem Phosphoratom. Daher besteht keine elektronsiche Bevorzugung<br />
des 6-Rings, un d in der polymeren Kette sin die sterischen Abstossungen der Reste am<br />
Phosphor weniger stark ausgeprägt und können daher als Triebkraft für die Polymerisation ins<br />
Feld geführt werden.<br />
Polysilane enthalten nur Siliciumatome im Rückgrad des Polymers. Sie unterscheiden sich<br />
gravierend von den beiden bisher besprochenen anorgansichen Polymeren. Entscheidend<br />
geprägt werden die Eigenschaften der Polysilane durch die -Elektronen-Delokalisierung.<br />
Diese ergibt sich im Vergleich zu organischen Polymeren mit C-C-Bindungen im Rückgrad<br />
daraus, dass die -Bindungen bei Si-Si-Bindungen praktisch ohne Hybridisierung erfolgt und<br />
die 3p-Orbitale, die zur Bindung verwendet werden, darüber hinaus diffuser sind als 3p<br />
Orbitale des Kohlenstoffs.<br />
169
R 2<br />
C<br />
R 2<br />
Si<br />
C<br />
R 2<br />
Si<br />
R 2<br />
R 2<br />
C<br />
R 2<br />
Si<br />
C<br />
R 2<br />
Si<br />
R 2<br />
R 2<br />
C<br />
R 2<br />
Si<br />
Si<br />
R 2<br />
C<br />
R 2<br />
Der - *-Übergang wird damit mit steigender Kettenlänge des Polymers immer kleiner. Die<br />
Polysilane sprechen daher auf UV-Strahlung deutlich mehr an als die vorher erwähnten<br />
anorganischen Polymere, die weitgehend inert gegenüber UV-Strahlung sind. Die<br />
Absorptionswellenlänge der Polysilane ist dierekt von ihrer Kettenlänge abhängig, was durch<br />
die Konjugationslänge der -Bindungen bedingt wird.<br />
Ähnlich wie bei Polyacetylen ist die Konjugation in trans-Polysilanen effektiver als in cis-<br />
Polysilanen, so daß für die effektive Absorptionskettenlänge nur die Länge der trans-Blöcke<br />
in der Kette verantwortlich sind.<br />
R 2Si<br />
R 2<br />
Si<br />
Si<br />
R 2<br />
trans-<br />
SiR 2<br />
R 2<br />
Si<br />
Polysilan<br />
R 2<br />
C<br />
Si<br />
R 2<br />
R 2Si<br />
C<br />
R 2<br />
R 2<br />
Si<br />
R 2<br />
C<br />
Si<br />
R 2<br />
C<br />
R 2<br />
R 2<br />
Si<br />
R 2Si SiR 2<br />
cis-<br />
SiR 2<br />
R 2<br />
C<br />
170
So sinkt die Absorptionswellenlänge mit der Temperatur, weil bei höheren Temperaturen die<br />
Polymerkette sich mehr und mehr verknäult und mehr und mehr cis-Knickstellen entstehen.<br />
Polysilane selbst sind elektrosche Isolatoren, können aber durch Dotierung mit Oxidantien<br />
wie AsF5 analog zu Polyacetylen in Halbleiter überführt werden. Wegen ihrer UV-Aktivität<br />
können Polysilane photochemsich abgebaut werden.<br />
Dies wird in der Microlithigraphie ausgenutzt.<br />
Genau wie bei den bisher erwähnten anorganischen Polymeren können Polysilane entweder<br />
durch Polykondensation oder durch ringöffnende Polymerisation hergestellt werden. Die<br />
171
Polykondensation kann durch Wurtz-analoge Umsetzung von Chlorsilanen mit elementarem<br />
geschmolzenen Natrium durchgeführt werden.<br />
Wegen der drastischen Reaktionsbedingungen erhält man breite Molgewichtsverteilungen.<br />
Eine andere Form der Polykondensation ist die Dehydrierung von Silanen mittels<br />
Metallocenkatalysatoren.<br />
Mit dieser Methode können allerdings nur mit Trisilanen R-SiH3 polymere Ketten erhalten<br />
werden mit Disilanen werden nur Oligomere gebildet. Die kontrollierteste Art, Polysilane zu<br />
synthetisieren, ist über ringöffnende Polymerisation. Hierbei verwendet man ein verkapptes<br />
Silen als Monomer. Im Unterschied zu Alkenen sind Si=Si-Doppelbindungen nicht stabil<br />
(oder nur in sehr speziellen kinetisch inertisierten Fällen). Allerdings kann man ein<br />
abgefangenes Silen für die ringöffnende Polymerisation einsetzen.<br />
Die ringöffnende Polymerisation verläuft dabei lebend.<br />
172
Die Substituenten am Silizium können ähnlich wie bei den Plyphosphazenen aber in einem<br />
weniger breiten Rahmen durch Polymer-analoge Reaktion modifiziert werden. Eine Auswahl<br />
einiger Modifikationsreaktionen ist in der nächsten Tabelle aufgelistet.<br />
Polycarbosilane stehen zwischen den organischen und den anorgansichen Polymeren, da sie<br />
sowohl Kohlenstaoff als auch Silicium im Rückgrad der polymeren Kette aufweisen. Sie<br />
werden insbesondere als Preceramicpolymere für die Herstellung von keramischen Fasern,<br />
Folien und Schichten von Siliciumcarbid verwendet. Die Prozessierungskette läuft dabei wie<br />
im folgenden Verlaufs-Schema.<br />
Die Synthese erfolgt wiederum durch Polykondensation oder ringöffnende Polymerisation.<br />
Zusätzlich besteht noch die Möglichkeit über Kumada-Polyumlagerung Polycarbosilane aus<br />
Polysilanen bei hohen Temperaturen zu erzeugen.<br />
173
Diese Reaktion verläuft aber wenig kontrolliert und selektiv, so daß auch komplexere<br />
vernetzte Substrukturen entstehen.<br />
Kontrollierter kann Polycarbosilan durch Dehalogenierung (Polykondensation) oder<br />
ringöffnende Polymerisation hergestellt werden.<br />
In sehr analoger Weise können Polysilazane behandelt werden. Auch sie werden vorrangig als<br />
keramische Prekursoren, in diesem Falle für Si3N4, eingesetzt. Die Synthese der polysilazane<br />
erfolgt durch Copolykondensation von Chlorsilanen mit primären Aminen bzw.<br />
Hexamethyldisilazan oder durch ringöffnende Polymerisation von Cyclosilazanen.<br />
174
Leitet man gasförmiges S4N4 bei erhöhter Temperatur über metallisches Silber, dann zerfällt<br />
dieses in S2N2.<br />
N<br />
S<br />
N<br />
S<br />
S S<br />
N N<br />
S<br />
N<br />
N S<br />
Während S4N4 ohne Katalysatoreinfluß langzeitstabil ist, wandelt sich S2N2 alngsam durch<br />
ringöffnende Polymerisation in poly-[SN] um.<br />
S<br />
N<br />
S<br />
N<br />
S<br />
Poly-[SN] besitzt interssante elektronische Eigenschaften, zeigt z. B. stark anisotrope<br />
metallische Leitfähigkeit entlang der Kette und wird bei -273 °C zum Supraleiter. Auch wenn<br />
die niedrige kritische Temperatur wenig spektakulär ist, ist doch die Tatsache bemerkenswert,<br />
dass die supraleitfähige Eigenschaft von einem anorganischen Polymer gezeigt wird.<br />
Schwierigkeiten für einen technischen Einsatz des poly-[SN] bereitet seine komplette<br />
Unlöslichkeit und damit das Problem der leichten Prozessierbarkeit und seine Anfälligkeit<br />
gegenüber Oxidation.<br />
Das letzte anorganische Polymere, das im Rahmen dieser Vorlesung erwähnt werden soll, ist<br />
vernetztes Borazen.<br />
Cl<br />
H<br />
H<br />
H<br />
B<br />
N<br />
B<br />
N<br />
H<br />
N<br />
B<br />
H<br />
H<br />
N<br />
B<br />
Cl<br />
B<br />
N<br />
B<br />
N<br />
H<br />
H<br />
Cl<br />
Me 3Si<br />
H<br />
N<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
B<br />
N<br />
B<br />
N<br />
N<br />
H<br />
N<br />
B<br />
B<br />
H<br />
B<br />
N<br />
N<br />
S<br />
B<br />
N<br />
H<br />
N H<br />
B<br />
H<br />
H<br />
R<br />
H<br />
N<br />
B<br />
H<br />
N<br />
HN<br />
SiMe3 B<br />
H<br />
R: Borazylringe<br />
N<br />
B<br />
N<br />
H<br />
H<br />
S<br />
+ H 2<br />
H<br />
N<br />
B<br />
HN<br />
B<br />
N<br />
R<br />
R<br />
N<br />
NH<br />
H<br />
Me 3SiCl<br />
175
Es wird durch Polykondensation aus Borazen oder Co-Kondensation von B-Trichlor-Borazen<br />
mit Hexamethyldisilazan erhalten und findet Anwendung als Prekursor für die Herstellung<br />
von keramischen Fasern, Folien und Schichten aus Bornitrid BN.<br />
176
11. Organische Synthese<br />
Organische Chemie beschäftigt sich mit Verbindungen, die hauptsächlich aus Kohlenstoff,<br />
Wasserstoff, Stickstoff und Sauerstoff aufgebaut sind. Die Vielfalt an Verbindungen, die so<br />
erzeugt werden können, ergibt sich aus den verschiedene Bindungsmodi der Elemente C, N,<br />
O und H, das als Valenzfüller fungiert. Während die Valenz von N und O richtig vorhergesagt<br />
wird auf der Basis ihrer Elektronenkonfiguration, würde Kohlenstoff als nur zweiwertig<br />
eingestuft werden, im Widerspruch zu seinem wahren Verhalten, bei dem es zuverlässig Vier<br />
Bindungen anstrebt.<br />
E<br />
"bivalent" trivalent bivalent monovalent<br />
s<br />
p<br />
s<br />
p<br />
C N O F<br />
Dies kann durch das Hybridisierungsmodell erklärt werden, bei dem angenommen wird, daß<br />
die 2s und 2p elektronischen Zustände der Atome der zweiten Reihe des Periodensystems<br />
nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können, sondern miteinander vermischen.<br />
Dies führt insbesondere zu vier Mischungszuständen sp, sp 2 and sp 3 in Abhängigkeit der<br />
Substituentenumgebung des Kohlnstoffatoms. Diese gemischten Zustände erklären das<br />
sterische und elektronische Verhalten von Kohlenstoff (und darüber hiaus auch von N und O)<br />
in organischen Verbindungen sehr zuverlässig. Im sp-hybridisierten Zustand mischt der 2s<br />
Zustand mit einem der 2p Zustände zu zwei neuen sp Zuständen, die energetisch etwas höher<br />
liegen als der 2s Zustand aber niedriger als der 2p Zustand. Die verbleibenden zwei 2p<br />
Orbitale erhalten ihren reinen 2p Charakter. Im sp 2 -hybridisierten Zustand mischt der 2s<br />
Zustand mit zwei der drei 2p Orbitale zu drei neuen Zuständen, während das dritte 2p Orbital<br />
unberührt bleibt. Im sp 3 -hybridisierten Zustand mischen alle vier Orbitale zusammen und<br />
formen vier neue Orbitale gleicher Energie und Gestalt.<br />
s<br />
p<br />
s<br />
p<br />
177
E<br />
L<br />
L<br />
s<br />
L<br />
90 0<br />
Hybrid orbitals<br />
p p<br />
sp sp 2<br />
L L<br />
180 0<br />
sp<br />
Bonding angle<br />
L<br />
p<br />
L<br />
L<br />
120 0<br />
sp 2<br />
sp 3<br />
L<br />
L<br />
L<br />
109 0<br />
In allen Fällen der Hybridisierung wird das Kohlenstoffatom vierbindig einschließlich der<br />
Mehrfachbindungen, die durch Wechselwirkung der verbleibenden reinen 2p Orbitale (zwei<br />
Substituenten: sp-Hybridisierung mit zwei weiteren Bindungen über reine 2p Orbitale; drei<br />
Substituenten: sp 2 -Hybridisierung mit einer weiteren Bindung über das eine reine 2p Orbital;<br />
vier Substituenten: sp 3 -Hybridisierung). Aus diesen Mischungszuständen resultieren<br />
spezifische Bindungswinkel für die Substituenten, die die hybridisierten Orbitale für ihre<br />
Bindung verwenden (sp: 180°; sp 2 : 120°; sp 3 : 109°). Daher sind in Ethin die<br />
Kohlenstoffatome sp-hybridisiert mit einer Dreifachbindung zwischen den Kohlnstoffatomen<br />
und einem linearen Bindungswinkel. In Ethen sind die Kohlnstoffatome sp 2 -hybridisiert mit<br />
einer Doppelbindung zwischen den Kohlenstoffatomen, so dass das Molekül planar ist mit<br />
einer Rotationsbarriere (elektronsich bedingt) für die C-C Achse und 120° Bindungswinkel<br />
bezüglich HCC. Und in Ethan sind die Koghlenstoffatome sp 3 -hybridisiert mit einer<br />
Einfachbindung zwischen den Kohlenstoffen ohne größere Rotationsbarriere (nur sterisch<br />
bedingt) um die C-C Achse und 109° Bidnungswinkel bezüglich des HCC Fragments.<br />
H<br />
H<br />
C C H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
C<br />
H<br />
C<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
L<br />
H<br />
C<br />
H<br />
H<br />
C<br />
sp 3<br />
H H<br />
H<br />
178
In Allen H2C=C=CH2 sind die zwei CH2-C-Atome sp 2 -hybridisiert und das zentrale C-Atom<br />
ist sp-hybridisiert, wodurch das Gesamtmolekül nicht planar ist im Unterschied zu Ethen.<br />
C C<br />
Andererseits ist 1,3-Butadien planar, weil in diesem Fall die beiden Doppelbindungen einen<br />
zusätzlichen Überlapp via 2p-Orbitale zwischen den beiden zentralen C-Atomen zeigen.<br />
Diese Art an zusätzlichem Überlapp durch reine p-Orbitale wird mesomere Stabilisierung<br />
genannt und ist am besten von Benzol bekannt, wo die sechs reinen 2p-Orbitale der sp 2 -<br />
hybridisierten C-Atome cyclisch miteinander überlappen.<br />
E<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
C<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
179
Entlang von Einfachbindungen können mesomere Effekte im Normalfall nicht transportiert<br />
werden, aber induktive Effekte durch unterschiedliche Elektronegativitäten der<br />
Bindungspartner beeinflussen die Elektronenverteilung, was zu einer Polarisierung der<br />
Bindung führt..<br />
Elektronegativität einiger Elemente, die in der organischen Chemie wichtig sind<br />
H 2.1 He<br />
Li 1.0 Be 1.5 B 2.0 C 2.5 N 3.0 O 3.5 F 4.0 Ne<br />
Na 0.9 Mg 1.2 Al 1.5 Si 1.8 P 2.1 S 2.5 Cl 2.8 Ar<br />
Für Dimethylether kann also folgende Polarisierung formuliert werden.<br />
Wegen der Elektronegativitätsunterschiede trägt eine Methylgruppe Elektronendichte zum<br />
Rest des Moleküls bei. Dies wird +I-Effekt genannt. Ein Sauerstoffatom andererseits entzeiht<br />
Elektronendichte vom Rest des Moleküls über eine Einfachbindung wegen seiner hohen<br />
Elektronegativität, was als –I-Effekt bezeichnet wird. Eine Doppelbindung durch 2p-2p-<br />
Überlapp kann noch besser polarisiert werden als eine Einfachbindung. Das ist besonders bei<br />
Carbonylverbindungen wie Aldehyden wichtig.<br />
Keto form<br />
Enol form<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
+<br />
H<br />
H<br />
H<br />
+<br />
O<br />
O<br />
C<br />
H<br />
+<br />
H<br />
H<br />
-<br />
O<br />
C<br />
H<br />
+<br />
H<br />
H<br />
+<br />
+<br />
+I-effect<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
O<br />
O<br />
-I-effect<br />
H<br />
H<br />
+M-effect<br />
180
Carbonylverbindugnen mit zumindest einem Wasserstoff in -Position können in einer Keto<br />
Form und in einer Enol Form, wie oben dargestellt, existieren. Ein grund dafür ist die starke<br />
Polarisierung sowohl der Einfach- als auch der Doppelbindungen.<br />
Elektronenpaare spielen eine wichtige Rolle in organischen Verbindungen. Sie können<br />
Elektronendichte zum Rest des Moleküls beisteuern, wenn sie an eine Mehrfachbindung<br />
direkt angebunden sind, und aber auch Elektronendichte entziehen, wenn sie konjugiert zu<br />
Mehrfachbinsungen vorliegen.<br />
Electron pair<br />
conjugated to<br />
double bond:<br />
-M-effect<br />
Electron pair<br />
connected to<br />
double bond:<br />
+M-effect<br />
H 2C<br />
Da im Falle des +M-Effekts eine positive Ladung am elektronegativen Sauerstoff auftaucht,<br />
trägt diese mesomere Struktur weniger als die ungeladenen Struktur bei, aber der Beitrag ist<br />
dennoch größer als null. Andererseits im Falle des –M-Effekts ist die Situation genau auders<br />
herum und eine erhebliche positive Ladung wird am terminalen Kohlenstoff gefunden werden<br />
(genauso wie an dem Carbonyl-Kohlenstoff).<br />
H<br />
H<br />
H<br />
O<br />
O<br />
H<br />
H<br />
Eine wichtige Eigenschaft von Carbonylverbindungen, die ihre Reaktivität stark beeinflußt,<br />
ist der Grad der Positivierung des Carbonylkohlenstoffs, weil es einen potentiellen<br />
Angriffspunkt für ein Nukleophil bietet (z. B. ein Amin oder ein Alkohol). Umso stärker<br />
ausgeprägt die Positivierung an dieser Stelle ist, desto höher wird die Reaktivität gegenüber<br />
dem Nukleophil. Auf der Basis der bisher erwähnten elektronischen Effekte können wir<br />
bereits qualitativ die Reaktivität der Carbonylfunktion gegenüber nukleophilem Angriff<br />
einschätzen und eine Rangfolge unterschiedlicher Carbonylverbindungen erstellen.<br />
H 2C<br />
H<br />
H<br />
H<br />
O<br />
O<br />
H<br />
H<br />
-M-effect<br />
+M-effect<br />
181
Caboxylate<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
NR 2<br />
NR 2<br />
Man kann aus dieser Reihe ableiten, daß mesomere Effekte wichtiger sind als induktive<br />
Effekte. Der Starke +M-Effekt in Carboxylate-Amiden und Estern verringert die positive<br />
Ladung des Carbonyl Kohlenstoffs und daher die Reaktivität gegenüber Nukleophilen. Ein<br />
Keton ist als ein Aldehyd, weil eine Alkylgruppe die positive Ladung am<br />
Carbonylkohlenstoff stärker abschwächt mit seinem +I-Effekt als ein Wasserstoffatom es im<br />
Aldehyd vermag. Säurechloride sind am reaktivsten wegen ihres –I-Effektes kombiniert mit<br />
kaum vorhandenem +M-Effekt. Die freine Elektronenpaare sind praktisch vollständig am<br />
Halogenatom lokalisiert. Dies liegt im Falle von Fluor an der hohen Elektronegativität und im<br />
Falle der übrigen Halogene an der größeren Distanz des Elektronenpaars vom<br />
Kohlenstoffatom (längere Bindung C-Hal). Das Säurechlorid is besonders reaktiv, weil<br />
Aspelte zusammenwirken.<br />
Reaktion von Alkoholen mit Aldehyden und Ketonen: Acetalbildung<br />
Der nukleophile Angriff eines Alkohols auf ein Keton oder Aldehyd ist der erste Schritt in der<br />
Bildung eines Acetals, das Endprodukt der Reaktion dieser beiden Verbindungen. Wie im<br />
Reaktionsschema ersichtlich, wird die Reaktion durch Säuren katalysiert und die entstehenden<br />
Acetale sind stabil gegenüber Basen wie OH - .<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
Alk<br />
Alk<br />
reactivity towards nucleophiles increases<br />
Amide Ester Carboxylic acid Anhydride Ketone Aldehyde Acid chloride<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
H<br />
H<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
Alk<br />
O<br />
H<br />
O<br />
182<br />
Cl
O O<br />
Alk<br />
O<br />
O<br />
Alk<br />
-H +<br />
Die Reaktion ist eine Gleichgewichtsreaktion. Triebkraft ist die Freisetzung von Wasser, das<br />
oft abgefangen wird, um das Gleichgewicht auf die Seite des Acetals zu verschieben.<br />
Reaktion von Aminen mit Aldehyden und Ketonen: Imine<br />
Wenn ein primäres (zwei Wasserstoffe gebunden) Amin mit einem Aldehyd oder Keton<br />
reagiert, resultiert daraus ein Imin mit einer C=N Doppelbindung. Ein sekundäres Amin (nur<br />
ein Wasserstoff gebunden) bildet in dieser Reaktion ein Diaminal. Ein tertiäres Amin (kein<br />
Wasserstoff gebunden) zeigt keine sichtbare nukleophile Reaktion mit Ketonen und<br />
Aldehyden, aber es kann mit diesen Funktionalitäten in einer Säure/Basereaktion reagieren,<br />
wie später noch gezeigt wird.<br />
O O<br />
Alk<br />
Alk<br />
Alk<br />
N<br />
N<br />
Alk<br />
-H +<br />
Alk<br />
Alk<br />
Alk<br />
O<br />
O<br />
Alk<br />
N<br />
N<br />
H<br />
H<br />
Alk<br />
H<br />
H<br />
Alk<br />
O<br />
N<br />
H;Alk<br />
Alk<br />
Alk<br />
Alk<br />
Alk<br />
Alk<br />
N<br />
O<br />
H<br />
H<br />
Alk,H<br />
Erneut ist das Entfernen von Wasser notwendig, um das Gleichgewicht auf die Seite der<br />
Produkte zu schieben. Eine C=N ist stabiler als zwei C-N Einfachbindungen. Das ist der<br />
Grund dafür, daß mit primären Aminen keine Diaminale sondern ausschließlich Imine<br />
O<br />
O<br />
Alk<br />
N<br />
O<br />
Alk<br />
H<br />
H<br />
N<br />
O<br />
+H +<br />
Alk<br />
+H +<br />
H,Alk<br />
Alk<br />
Alk;H<br />
O<br />
O<br />
Alk<br />
N<br />
O<br />
Alk<br />
N<br />
O<br />
-H +<br />
N<br />
H<br />
H<br />
Alk<br />
H<br />
H<br />
H,Alk<br />
Alk<br />
Alk<br />
-H +<br />
-H 2O<br />
-H +<br />
-H 2O<br />
O<br />
183<br />
O<br />
Alk<br />
N<br />
O<br />
+H +<br />
O<br />
Alk<br />
O<br />
Alk<br />
N<br />
+H +<br />
O<br />
Alk<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H<br />
H,Alk<br />
H<br />
H<br />
H,Alk
X<br />
OR<br />
Cl<br />
gebildet werden. Wie im Falle der Acetale wird die Bildung der Aminale und Imine durch<br />
Säuren katalysiert. Imine sind recht Hydrolyse-empfindlich.<br />
Reaktion von Alkoholen mit Carboxylischen Carbonyl Functionen: Esterbildung<br />
Wenn eine carboxylische Carbonylverbindung mit einem Alkohol reagiert, unterscheidet sich<br />
das Verhalten von dem für Ketone und Aldehyde. Dies kommt daher, daß im Falle der<br />
carboxylischen Carbonylverbindungen eine potentielle Abgangsgruppe direkt an die<br />
Carbonylfunktion gebunden ist, die in Ketonen und Aldehyden fehlt.<br />
O<br />
X<br />
Diese Reaktion kann durch Säuren (Protonierung des Carbonylsauerstoffs) und durch Basen<br />
(Deprotonierung des Intermediats) katalysiert werden.<br />
Organische Brönsted Säuren und Basen<br />
Brönsted Säuren sind Protonendonoren. Brönsted Basen sind Protonenakzeptoren. Auf der<br />
Absis der elektronsichen Effekte, die bisher aufgezeigt wurden, können wir auf die Acidität<br />
und Basizität organischer Verbindungen schließen. Die Stärke einer Säure kann quantifiziert<br />
werden durch die Gleichgewichtskonstante der Reaktion<br />
AH → A - + H +<br />
O<br />
H<br />
O<br />
Alk<br />
Ein Alkan besitzt leicht positivierte Protonen, aber die Polarisieurng ist nur sehr klein, weil<br />
die Elektronegativitätsdifferenz zwsichen Kohlenstoff und Wasserstoff gering ist. Daher ist es<br />
nicht überraschend, daß das Dissoziationsgleichgewichtskonstante für reine Alkane sehr klein<br />
ausfällt (etwa 10 -70 ). Als quantifizierender Parameter wird die Säurekonstante pKs benutzt,<br />
die der negative dekadische Logarithmus der Dissoziationsgleichgewichtskosntante ist. Für<br />
Alkane beträgt dieser Wert also 70. Eine Stabilisierung von negativer Ladung im gebildeten<br />
Anion verkleinert pKs deutlich. Toluol zum Beispiel hat einen pKs von 40 und<br />
Triphenylmethan sogar von 30. Gruppen mit –I-Effekt wie in Chloroform HCCl3 verringern<br />
den pKs Wert ebenfalls sehr. Wegen des –M-Effekts einer Carbonylgruppe wird eine CH-<br />
Einheit in Nachbarschaft zu einer Carbonylfunktion besonders sauer und das ist sehr wichtig<br />
X<br />
O<br />
O<br />
Alk<br />
H<br />
X<br />
O<br />
O<br />
Alk<br />
H<br />
-H +<br />
184<br />
X<br />
O<br />
O<br />
Alk
H<br />
H H<br />
für die Reaktivität einer solchen Verbindung und für die Bildung neuer C-C-<br />
Einfachbindungen.<br />
Cl<br />
Cl Cl<br />
Wenn das resultierende Anoin durch die Deprotonierung aromatisch wird wie im Falle von<br />
Cyclopentadien, steigt die Acidität der Verbindung besonders stark. Natürlich ist ein Proton,<br />
das direkt an ein elektronegatives Element gebunden ist wie Sauerstoff, sehr acid. Im Falle<br />
eienr Carboxylgruppe verringern der elektronegative Sauerstoff und der –M-Effekt der<br />
benachbarten Carbonylgruppe gemeinsam den pKs Wert einer solchen Funktionalität.<br />
Reaktion von Aldehyden/ketonen mit Aldehyden/Ketonen: Aldol Addition und Aldol<br />
Kondensation<br />
Zwei Aldehyde/Ketone, von denen mindestens eines ein -Wasserstoff besitzt, können in<br />
einer Aldol addition miteinander reagieren und letztendlich, wenn sogar zwei -Wasserstoffe<br />
vorhanden sind, in einer Aldol Kondensation. Diese Reaktion zeigt insbesondere die<br />
Reaktivität von Carbonylverbindungen, un zwar ihre Elektrophilie, gekoppelt mit ihren aciden<br />
Eigenschaften.<br />
H<br />
H<br />
O O<br />
H H<br />
O Alk<br />
O<br />
H H<br />
H H<br />
pK s decreases<br />
O O<br />
O O<br />
O O<br />
O<br />
O -OH -<br />
H<br />
O<br />
Alk O<br />
O<br />
OH<br />
O<br />
O<br />
O<br />
H<br />
H<br />
O Alk<br />
O<br />
185<br />
O<br />
O<br />
OH<br />
OH<br />
OH
X<br />
O<br />
Es hängt von der Menge und Stärke der eingesetzten Basea ab (die in katalytischer Menge<br />
eingesetzt werden kann) und auch von der Reaktionstemperatur, ob die Addition oder die<br />
Kondensation stattfindet. Die Triebkraft dieser Reaktion ist die Bildung zweier konjugierter<br />
Doppelbindungen, die Mesomerie-stabilisiert sind. Wenn ein Aldehyd mit einem Keton<br />
reagiert, fungiert das Aldehyd bevorzugt als Electrophil, während das Keton bevorzugt als<br />
deproniertes Nukleophil fungiert.<br />
.<br />
Reaktion von Estern mit Estern: Claisen Kondensation<br />
Ester mit mindestens einem -Wasserstoff relativ zur Carbonylfunktion reagieren miteinander<br />
in einer Claisen Kondensation. Wie vorher ist die Existenz einer Abgangsgruppe direkt an der<br />
Carbonylfunktion der Grund für ein unterschiedliches Reaktionsverhalten als bei Aldehyden<br />
und Ketonen.<br />
H<br />
H<br />
X<br />
O<br />
H<br />
H 3C<br />
O<br />
O<br />
more reactive<br />
O Alk<br />
X<br />
X<br />
X<br />
H<br />
H 3C<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O O<br />
X<br />
X<br />
Zwei Äquivalente an Base sind notwendig, um das Gleichgewicht uaf die Seite der Profukte<br />
zu schieben. Die Triebkraft ist die Bildung eines Mesomerie-stabilisierten Anions. Also,<br />
O<br />
O<br />
H<br />
H 3C<br />
X<br />
O<br />
O<br />
O<br />
H<br />
more stable<br />
X<br />
O O<br />
X<br />
H<br />
H 3C<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
H<br />
X<br />
O Alk<br />
X<br />
O O<br />
186<br />
O
RO<br />
O O<br />
während zwei Ketone/Aldehyde zu einer 1,3-O=C-C=C Funktion reagieren, erzeugen zwei<br />
Ester eine 1,3-Dicarbonylfunktion.<br />
Wenn die X-Gruppe ein Ester ist, dann kann diese nach der Claisen Kondensation<br />
hydrolysiert werden und die freie Carboxylfunktion in 3-Position zu einer anderen Carbonyl<br />
Function kann thermisch decarboxyliert werden.<br />
H 2O<br />
HOR<br />
Im letzten Schritt findet eine schon vorher erwähnte Keto/Enol-Tautomerisierung statt. Ihr<br />
gleichgewicht liegt praktisch vollständig auf der Seite der Ketoform in fast allen Fällen,<br />
solange keine zusätzliche Stabilisierung der Enolform wie etwa Wasserstoffbrückenbindung<br />
zum Lösemittel oder intramolekular zu anderen Lewisbasen im Molekül auftritt.<br />
Syntheseplanung: der Disconnection approach<br />
Wir wollen jetzt das bisher Erwähnte zusammenfassen und das Wissen nutzen, um größere<br />
Moleküle gezielt herzustellen. Die Konzept wird Disconnection approach genannt. Als erstes<br />
Beispiel versuchen wir, eine Synthese für das folgende Molekül zu finden<br />
Als ersten Schritt haben wir gelernt, das Ester aus Alkoholen und Carboxylgruppen gebildet<br />
werden können. Daher können wir diese Bindung spalten und enden bei einem Alkohol und<br />
einer Cabonsäure.<br />
HO<br />
O O<br />
O<br />
O<br />
O<br />
O O<br />
H<br />
O<br />
O<br />
O<br />
C<br />
O O<br />
H<br />
O O<br />
187<br />
H
Dieser Vorläufer kann weiter vereinfacht werden. Die 1,3-O=C-C=C Funktion sieht<br />
rpädestiniert für eine Aldolkondensation aus. Natürlich muß in diesem Falle die CH acide<br />
Verbindung ein Ester sein und kein Keton, aber wir haben gelernt, Daß Ester bezüglich ihrer<br />
Elektrophilie recht schwach sind und, daher nicht mit einem Keton oder gar einem Aldehyd<br />
konkurrieren können. So vereinfachen wir unseren Prekursor, indem wir unser Wissen über<br />
Aldolkondensationen nutzen..<br />
O<br />
OR<br />
OH<br />
O<br />
Der Ester wird zurückgeführt auf einen Malonsäureester, weil er saurer ist, und wir wissen,<br />
daß die zusätzliche Carboxylfunktion durch Decarboxylierung entfernt werden kann.<br />
Nun müssen wir uns das resultierende Aldehyd mit Alkoholfunktion in 3-Position ansehen.<br />
Dies sieht sehr nach einer Aldoladdition aus. Also schauen wir uns an, wohin uns dieser<br />
Disconnection approach hinführt.<br />
O<br />
Aldol condensation<br />
O<br />
OH<br />
Esterification<br />
Wir erreichen so Formaldehyd und einen einfacheren Aldehyd. Formaldehyd kann nur als<br />
Elektrophil agieren, da es keine -Wasserstoff besitzt. Es ist bezüglich seiner Elektrophilie<br />
reaktiver als Aldehyde mit einer Alkylgruppe mit +I-Effekt. Auf diese Weise konnten wir ein<br />
recht kompliziertes Molekül durch den Disconnenction approach schrittweise auf recht<br />
OR<br />
einfache und leicht zugängliche Ausgangsverbindungen zurückführen.<br />
O<br />
OH<br />
OH<br />
OH<br />
O<br />
OR decarboxylation<br />
RO<br />
O<br />
OR<br />
O<br />
O<br />
H 2C O<br />
O<br />
O<br />
188