Artheon Nr. 26 bis Seite 27.indd
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tik zum Gleitmittel, um auch ohne eigene<br />
oder fremde Erregung reinzukommen.<br />
Der Effekt der Schönheit ergibt sich<br />
meist über eine Distanz, die diese spürbar<br />
attraktiv und unüberwindbar imaginieren<br />
lässt. Sie tritt als Kraft auf, tritt<br />
in Kraft, in Wirkung als laute oder stille<br />
Überraschung, durch etwas, das schneller<br />
ist als die alten Vorurteile, Annahmen,<br />
Erfahrungen, Wissen – rasch, überrasch.<br />
Sie wirkt vielleicht schon in Präsenz, auf<br />
die Stimmung. Sie wirkt über Sinne und<br />
Hirn, Hirnsinnlichkeit.<br />
Schönheit inkludiert also ein Erlebnis<br />
der Trennung und der Unvollständigkeit,<br />
Differenz, eventuell sogar Spaltung. Sie<br />
hat zu tun mit Überraschung, mit erreichbarer,<br />
vorübergehender, partieller Ganzheit<br />
anderswo, außer sich oder in sich<br />
oder an sich oder durch jemand anders.<br />
Und wenn man dann nicht mit dem Kopf<br />
durch die Wand oder die Spiegeloberfläche<br />
will, dann erst entsteht Schönheit als<br />
Ideal, die immer etwas Schmerzliches<br />
hat, ein Pathos, Leiden und Leidenschaft,<br />
ein Zappeln der offenen Enden. Diese<br />
Beunruhigung macht Bildung notwendig.<br />
Um das zu erreichen braucht es Intelligenz,<br />
ansonsten wird man in der Nachbarschaft<br />
der Schönheit enden, dem<br />
Hübschen, dem Kitsch oder der Überwältigung.<br />
Weder Schönheit, noch das Hübsche, der<br />
Kitsch oder die Überwältigung sind Substanzen<br />
– sie sind Relationen. Schönheit<br />
macht das Relationale noch in dem Sinne<br />
deutlich, dass sie (immer) vom anderen<br />
her aktiviert wird: Auch Narziss braucht<br />
einen Spiegelnden, eine Spiegelfläche,<br />
den Spiegel.<br />
Die Schönheit ist nun nicht einfach<br />
schön, sie kann auch „nicht-mehrschön“<br />
c sein; vielleicht ist sie immer<br />
nicht mehr schön oder hat etwas davon.<br />
Sie kann in einem anderen Feld spielen<br />
als dem der Moral. Und da hängt sie mit<br />
der Intelligenz zusammen.<br />
Tod<br />
Intelligenz und Schönheit entstehen<br />
durch eine Auseinandersetzung mit<br />
dem Tod. Es kann dabei nicht um ein<br />
bestimmtes Ziel gehen. Die Auseinan-<br />
10<br />
dersetzung erzeugt eine grundlegende<br />
Abstraktionsfähigkeit. Dass es den Tod<br />
gibt, muss man wohl zur Kenntnis nehmen;<br />
dass es ihn auf absehbare Zeit für<br />
jeden Menschen gibt, auch. Und dann<br />
kann man einen Syllogismus greifen lassen,<br />
der einen selbst ergreift, subsumiert<br />
– aber nie ganz. Denn im strengen Sinne<br />
denken von dem, der denkt, lässt der Tod<br />
sich nicht: Er ist nicht vorstellbar, immer<br />
nur vom anderen her.<br />
Wenn man nun hier Eindeutigkeit und<br />
Harmonie schaffen will, dann geht das<br />
nur über irgendeine Form von Verblödung.<br />
Akzeptiert man die Ambivalenz,<br />
dann geht es durch gelebtes Differenzierungsvermögen,<br />
die Fähigkeit dazwischen<br />
zu lesen, durch Intelligenz eben.<br />
Und diese braucht geistige, emotionale<br />
und für Handlungen geöffnete Räume,<br />
die sie immer wieder aufpäppeln, aufladen;<br />
Aufenthaltsräume, Gelegenheiten,<br />
die die Lust an der Differenz aushaltbar<br />
machen und ein wenig Trost bieten, ein<br />
wenig Melancholie und das Aufwecken<br />
daraus, also die Unterbrechung eines<br />
unendlichen Genießens der Passivität<br />
und der Unschuld, denn das brächte einen<br />
um.<br />
Im Hinblick auf Bildung ist festzuhalten:<br />
Schönheit ist ein Spaltprodukt der An-<br />
<strong>Artheon</strong>-Mitteilungen <strong>Nr</strong>. <strong>26</strong><br />
erkenntnis des Todes. Bildung ist ohne<br />
Schönheit nicht nur nicht denkbar, sondern<br />
auch nicht existent. Schönheit und<br />
Intelligenz sind zwei <strong>Seite</strong>n des krisenhaften<br />
Prozesses der Bildung. Der<br />
Reiz der Schönheit liegt spätestens seit<br />
der Moderne in ihrer Abspaltung von der<br />
Moral und in der Auseinandersetzung mit<br />
dem Ekel. Alles andere ist Kitsch.<br />
Und jetzt haben Sie genau die Konstellation<br />
zusammen, die es so schwierig und<br />
reizvoll macht in der Auseinandersetzung<br />
mit Kunst Bildung wahrscheinlich zu<br />
machen. – Ich nehme nun einen zweiten<br />
Anlauf.<br />
Das nackte/bloße Leben<br />
Ich verwende diesen Begriff mindestens<br />
genauso frei als Bruchstück aus den<br />
Erörterungen Agambens wie dies in den<br />
Leitmotiven Roger Buergels geschieht.<br />
Ich nehme ihn alltäglicher und dann vielleicht<br />
doch nicht so weit entfernt von der<br />
Struktur des Begriffs bei Agamben.<br />
Nacktes Leben 1<br />
Roger Buergel hat bei einem Vortrag in<br />
Hamburg in etwa diesen Ausschnitt aus<br />
einem Gemälde Rembrandts gezeigt. Er<br />
sprach von einem Beispiel in der Kunst<br />
für die Darstellung der Bedrohung, von<br />
Rembrand, „Die Opferung Isaaks“ 1636, Öl auf Leinwand 195 x 132,3 cm (und Ausschnitt) aus Dekiert.<br />
Marcus: Rembrandt. Die Opferung Isaaks, München: Bayerische Staatsgemäldesammlungen 2004<br />
(Monographien der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen)