Artheon Nr. 26 bis Seite 27.indd
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Geschichten, vermitteln kann. Er schrieb:<br />
„Die Alten lehren ihre Weisheit durch<br />
andeutende Gleichnisrede, und ich denke<br />
da an Orpheus, Linos, Musaios, Hpmeros,<br />
Hesiodos und all die Wissenden<br />
dieser Art. Für die Menge der Vielen war<br />
ihre dichterische Psychogagie wie ein<br />
verhüllender Teppich.“ Dass er die alten<br />
Weisen „Wissende“ nennt, macht deutlich,<br />
dass er diese Tradition respektiert<br />
und es erstaunt, dass Orpheus als reale<br />
Person verstanden wird, neben Homer<br />
und Hesiod. Wichtig aber ist ihm, dass<br />
man diese alten Poesien erst verstehen<br />
kann, wenn sie entschlüsselt werden,<br />
wenn sie – durch den heiligen Geist aufgehellt<br />
– ihre wahre Botschaft zu erkennen<br />
geben. In einem seiner Hauptwerke,<br />
der „Mahnrede an die Heiden“, versucht<br />
dann Klemens, die verborgene Schicht<br />
der mythischen Erzählung aufzuzeigen.<br />
„Komm, ich will Dir den Logos zeigen<br />
und die Mysterien des Logos, und ich<br />
will sie Dir erklären in Bildern, die Dir<br />
vertraut sind.“ Das Altvertraute bekommt<br />
plötzlich eine neue Sinnspitze, so kann<br />
er sagen: „Alle Träume und Sinnbilder<br />
sind für Menschen nur undeutlich, damit<br />
das Suchen sich bemühe, in den Sinn des<br />
Rätselhaften einzudringen und so zum<br />
Finden der Wahrheit aufzusteigen.“<br />
Am Beispiel der antiken Sänger will<br />
dann Klemens deutlich machen, dass<br />
die Heroen eigentlich nur die Vorläufer<br />
und Künder eines anderen Heros und<br />
eines größeren Sängers waren, dass also<br />
Christus der ‚wahre Orpheus’ verstanden<br />
werden soll. „Ein Künstler aus Thrakien<br />
(Orpheus also) zähmte durch bloßen<br />
Gesang die wilden Tiere; ja sogar die<br />
Bäume, die Eichen, verpflanzte er durch<br />
seine Musik.“ Und dann führt er ‚seinen<br />
Orpheus’ in einer allegorischen Rede ein,<br />
der den alten Orpheus bei weitem übertrifft.<br />
„Mein Sänger ist gekommen, um<br />
binnen kurzem die bittere Knechtschaft<br />
der tyrannischen Dämonen zu zerstören;<br />
und indem er uns zu dem sanften und<br />
menschenfreundlichen Joche der Frömmigkeit<br />
hinführt, ruft er die auf die Erde<br />
Geschleuderten zum Himmel zurück [...].<br />
Alle die wilden Tiere und die harten Steine<br />
verwandelte das himmlische Lied in<br />
sanfte Menschen [...]. Sieh, was das neue<br />
Lied vollbrachte: Menschen hat es aus<br />
Steinen, Menschen aus Tieren gemacht.<br />
22<br />
Uwe Oldenburg, fatale Schläfrigkeit, 2007, Acryl auf Leinwand, Klebestreifen<br />
Und die sonst wie tot waren und keinen<br />
Anteil hatten, sie wurden wieder lebendig,<br />
sobald sie nur Hörer des Gesanges<br />
waren.“<br />
Wenn man diesen hermeneutischen<br />
Ansatz bedenkt, wird nachvollziehbar,<br />
dass in den römischen Katakomben, in<br />
denen die Christen ihre Toten bestatteten,<br />
Wandmalereien angebracht wurden,<br />
die Orpheus mit der phrygischen Mütze<br />
zeigen, der von wilden Tieren umgeben<br />
ist, von Löwen und Schlangen. Hier ist<br />
aus Orpheus ein Typos für Christus geworden.<br />
<strong>Artheon</strong>-Mitteilungen <strong>Nr</strong>. <strong>26</strong><br />
VI<br />
Auch in den folgenden Jahrhunderten, in<br />
der Spätantike und im Mittelalter wurde<br />
häufig auf Orpheus zurückgegriffen.<br />
Boethius in seinem „Trost der Philosophie“<br />
weist darauf hin, dass „alles von<br />
dem Lied besiegt“ wurde und selbst die<br />
Herren der Schattenwelt „über den neuen<br />
Sang“ staunen. Und er betont, dass die<br />
Geschichte uns meint: wir sollen nicht<br />
zurückschauen (wie Orpheus im Hades),<br />
sondern nach oben:<br />
„Diese Fabel, sie gilt für euch,<br />
Die ihr aufwärts zum höchsten Tag