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schaffte sich diese Entwicklung eine<br />

Institution.<br />

Es entsteht also, neben dem Markt, die<br />

öffentliche Meinung als neuer Anlehnungskontext,<br />

ohne die das Kunstsystem<br />

nicht zum Abschluss gekommen wäre.<br />

Um den Abschied von der Hofkunst, sowie<br />

von der zunftmäßigen Kunstproduktion<br />

zu markieren, hat Oskar Bätschmann<br />

den Begriff vom „Ausstellungskünstler“<br />

eingeführt. f Nicht mehr Fürst und Auftraggeber,<br />

sondern die Öffentlichkeit ist<br />

erster Adressat eines neuen Künstlertyps.<br />

Er arbeitet zwar wie der Auftragskünstler<br />

für den Markt, doch das Marktregulativ<br />

bilden jetzt nicht mehr die diskreten Regeln<br />

der Fernpatronage, wie zu Zeiten<br />

Poussins, sondern die öffentliche Kritik.<br />

Mit dem Ausstellungkünstler betreten die<br />

Künste die Arena der Massenmedien.<br />

Die Idee öffentlicher Ausstellungen stand<br />

aber noch Jahrzehnte lang im Widerstreit<br />

mit dem Selbstbild der Künstler, die sich<br />

als Hofleute verstanden. Sie sahen es<br />

unter ihrer Würde, ihre Werke zu Markte<br />

zu tragen, wie die kunsthandwerklichen<br />

Zünftler. Den Mitgliedern der Académie<br />

royale de Peinture et de Sculpture war<br />

zunächst jede Ausflucht recht, sich der<br />

kränkenden Massnahme eines gegenseitigen<br />

Wettbewerbs zu entziehen. Im<br />

Gegensatz zu Frankreich, wo der König<br />

Gastgeber des öffentlichen Salon war,<br />

entstand in England ein Ausstellungsbetrieb<br />

auf privater Initiative und kommerzieller<br />

Basis. Diese moderne Ausgangslage<br />

verdankt England dem historischen<br />

Umstand, dass sich seit der Enthauptung<br />

von König Karl I. im Jahr 1640 keine<br />

absolutistische Hofkultur gegen das<br />

vorherrschend puritanische Klima ausbilden<br />

konnte. Die Mitglieder der 1768<br />

gegründeten Royal Academy verstanden<br />

sich als Unternehmer und Geschäftsleute<br />

in Sachen Kunst. Die englischen Akademiker<br />

finanzierten ihre Ausstellungen mit<br />

einer Maßnahme, die französische Kollegen<br />

nur mit indigniertem Kopfschütteln<br />

aufgenommen hätten: Sie erhoben eine<br />

Eintrittsgebühr. Dass man dem Betrachter<br />

von Kunstwerken Geld abnimmt, war<br />

einem Kunstsystem, das über den Ehrenkodex<br />

des Hofkünstlers herangewachsen<br />

war, äußerst gewöhnungsbedürftig. Nun,<br />

6<br />

es sollte auch äußerst erfolgreich werden.<br />

Eine englische Spezialität war das exhibition<br />

piece: ein Historiengemälde,<br />

das gegen Bezahlung einer Gebühr öffentlich<br />

betrachtet werden konnte. Als<br />

Ausstellungsbilder eigneten sich Themen<br />

von allgemein politischem Interesse.<br />

Im Rahmen der Vermarktung wurde ein<br />

Verfahren angewendet, das dem heutigen<br />

merchandizing entspricht: Das Ausstellungsbild<br />

lag vor Ort zugleich vervielfältigt<br />

und verkleinert als Druck vor, der<br />

vom Besucher erworben werden konnte.<br />

Mit den exhibition pieces gelangt das<br />

Kunstsystem an einen Grenzfall, der auf<br />

dem Weg zur autopoietischen Selbstregulierung<br />

abgestoßen werden musste. Denn<br />

diese Gemälde waren klar von einem<br />

Massengeschmack diktiert, welcher<br />

das moderne Gesetz formaler Neuheit<br />

behinderte. Es handelte sich beim Ausstellungsbild<br />

um eine visuell vermittelte<br />

Botschaft und nicht um ein Kunstwerk,<br />

das ‘Kunst’ war. Künstler, die auf diesem<br />

Markt tätig wurden, sind finanziell<br />

durchwegs gescheitert. Das prominenteste<br />

Beispiel ist der in London tätige<br />

Schweizer Maler Heinrich Füssli, dessen<br />

Ausstellung von Gemälden zum Thema<br />

von Miltons “Paradise Lost”, eröffnet in<br />

Pall Mall am 20. Mai 1799, nach zwei<br />

Monaten wegen ausbleibendem Publikum<br />

schließen musste. Der Unternehmer<br />

von Bildausstellungen konnte sich auf<br />

dem Markt nur durchsetzen, wenn er<br />

seinen Anspruch als Künstler aufgab und<br />

sich neuen Medien öffnete. Ein trendsetter<br />

in dieser Richtung war Robert Barker,<br />

der mit seinem “Panorama von London”<br />

(1792) die neue Gattung des illusionistischen<br />

Rundgemäldes entwickelte, das<br />

während des ganzen 19. Jahrhunderts als<br />

beliebtes Spektakel das Publikum auf<br />

Kriegsschauplätze, historische Stätten<br />

und vor erhabene Aussichten entführte.<br />

Das Unterhaltungsmedium Panorama<br />

verließ das Kunstsystem; es begründete<br />

ein neues System visueller Unterhaltungsindustrie,<br />

das im Kino kulminieren<br />

sollte. Der Film entfaltet, was in den<br />

exhibition pieces des 18. Jahrhunderts<br />

in nuce angelegt war: Eine Produktion,<br />

die nicht das Original, sondern dessen<br />

Schaustellung vermarktet, eine Konsumtion,<br />

die vom Publikum öffentlich und<br />

kollektiv vollzogen wird; eine Distri-<br />

<strong>Artheon</strong>-Mitteilungen <strong>Nr</strong>. <strong>26</strong><br />

bution, die den Besucher am nicht verfügbaren<br />

Werk in Form von käuflichen<br />

Souvenirs teilhaben lässt.<br />

Während das Patronagesystem nach der<br />

französischen Revolution zerfiel, kam<br />

in den deutschen Fürstentümern ein<br />

eigentlicher Kunstmarkt nur zögernd in<br />

Gang, gefördert von bürgerlichen Kunstvereinen.<br />

Ganz anders das Kunstleben in<br />

Paris: Hier hat die Einrichtung des Salon<br />

eine kritische Öffentlichkeit herangebildet,<br />

vor der Künstler in die Arena treten,<br />

die ihr Metier dank einer soliden Akademietradition<br />

beherrschen.<br />

Beschleunigung, fast ruckartig, kommt<br />

im Paris des Zweiten Kaiserreichs auf. In<br />

nur zwei Jahrzehnten läuft der Kunstbetrieb<br />

auf eine Rotationsgeschwindigkeit<br />

hoch, die selbst von der Kunst unserer<br />

Gegenwart kaum noch unterboten wird.<br />

Das ausdifferenzierte Bewegungsgesetz<br />

des modernen Stilwandels hat folgende<br />

Merkmale:<br />

1. Kunstproduktion und Kunstkritik<br />

ändern ihre Richtung alle acht <strong>bis</strong> fünf<br />

Jahre. Es besteht die Tendenz zu einer<br />

antagonistischen Struktur des Neuen,<br />

vergleichbar dem Drehgesetz der Mode.<br />

Das Neue ist das Gegenteil des Alten.<br />

2. Nicht das gediegene Werk, sondern<br />

der Zeitvorsprung seiner Originalität<br />

wird bewertet. Der beste Künstler ist<br />

der, der zuerst ist. “Il faut”, nach Baudelaire,<br />

“être absolument moderne”.<br />

Das verkannte Genie gibt es nur als literarische<br />

Figur, nachzulesen in Balzacs<br />

“Chef d’oeuvre inconnu” oder Zolas<br />

“L’Oeuvre”.<br />

3. Eine neue Richtung bricht sich Bahn<br />

im direkten Schlagabtausch mit der<br />

Kunstkritik, die in der Regel die griffigen<br />

Kampfparolen prägt. So auffallend<br />

wie der neue Stil, so knallig ist der dazu<br />

passende nom de guerre; er funktioniert<br />

als Kode, der die Aufmerksamkeit des<br />

Publikums gleich mit dem ersten Auftritt<br />

über die rituelle Prozedur des épater le<br />

bourgeois programmiert. Die Nachhaltigkeit<br />

der öffentlichen Wahrnehmung<br />

bemisst sich nach der Heftigkeit, mit der<br />

sich ein Kunstskandal ausbreitet, der,<br />

bei aller Lautstärke der Polemik, nur der<br />

Erheiterung des Publikums dient.

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