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Artheon Nr. 26 bis Seite 27.indd

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In wissenschaftlicher Hinsicht hat man<br />

sich deshalb wesentlich an die Agenden<br />

gehalten – an den sicheren Text, den man<br />

vor sich liegen hat –, um Gottesdienste<br />

nach theologischen Kriterien zu beurteilen.<br />

Die Beurteilungskriterien waren<br />

zumeist entweder liturgiehistorischer<br />

Natur – man untersuchte die historische<br />

Richtigkeit des liturgischen Verlaufs und<br />

verurteilte meist alle Neuerungen – oder<br />

sie wurden aus der Systematischen Theologie<br />

gewonnen, denn nun konnte über<br />

die Rechtgläubigkeit der Textaussagen<br />

geurteilt werden. Oftmals wurden sogar<br />

homiletische Kriterien als Maßstab<br />

für die Gottesdienstbeschreibung und<br />

-beurteilung angelegt, wenn man ihn<br />

als evangelisch qualifizieren wollte.<br />

Letztendlich blieben alle diese Versuche<br />

unbefriedigend, weil der gefeierte Gottesdienst<br />

weder allein aus subjektiver<br />

Sicht angemessen beschrieben und beurteilt<br />

werden kann noch die Agenden mit<br />

ihren liturgischen Verlaufsvorschlägen<br />

und den Texten den wirklich gefeierten<br />

Gottesdienst wiedergeben können. Denn<br />

Agenden geben ja nicht Gottesdienste<br />

wieder, sondern stellen eher einen Vorrat<br />

an liturgischen Möglichkeiten dar.<br />

Es ist das in die liturgiewissenschaftliche<br />

Diskussion eingebrachte Interesse an der<br />

Semiotik, das mich bewog, einen Versuch<br />

zu wagen, einen gefeierten Gottesdienst<br />

mithilfe ebendieser Semiotik so zu<br />

beschreiben, dass es sich dabei um mehr<br />

handelt als um eine Wiedergabe subjektiver<br />

Empfindungen oder um eine historische<br />

oder systematisch-theologische<br />

Beurteilung auf eine wie auch immer<br />

behauptete Richtigkeit oder Rechtgläubigkeit<br />

hin.<br />

Darum habe ich eine Videoaufnahme<br />

eines Gottesdienstes am Berliner Dom<br />

durch ein professionelles Kamerateam<br />

veranlasst. Diese Aufnahme habe ich<br />

als Quelle für meine Beschreibung des<br />

Gottesdienstes aufgefasst. Diese Quelle,<br />

die sich aus verbalen und nonverbalen<br />

Sprachebenen zusammensetzt, die semiotisch<br />

gelesen werden können, liegt<br />

meinem Buch als DVD bei und kann von<br />

jedem angesehen werden, sodass meine<br />

Beschreibung und Bewertung nachvollziehbar<br />

und damit auch kritisierbar<br />

28<br />

wird. Solch ein Schritt ist bei subjektiven<br />

Beurteilungen gar nicht möglich, weil<br />

man auf die Darstellung des Gottesdienstes<br />

durch den Autor angewiesen bleibt.<br />

Die Quelle sagt zudem mehr als die<br />

Agende aus, weil hier der Verlauf eines<br />

tatsächlich gefeierten Gottesdienstes<br />

betrachtet werden kann und zugleich,<br />

welche Verläufe und Texte der Liturg, die<br />

Gemeinde oder weitere an der Leitung<br />

des Gottesdienstes Beteiligte ausgewählt<br />

und vollzogen haben. Es wird also das<br />

beschrieben, was alle Gottesdienstfeiernden<br />

erlebt und vollzogen haben, was aus<br />

der Quelle als tatsächliche Handlung seh-<br />

und hörbar ist.<br />

Der Gegenstand, der aus der Quelle, aus<br />

dem Gottesdienst gelesen werden kann,<br />

ist der gefeierte Glaube. Er zeigt sich im<br />

liturgischen Geschehen des Gottesdienstes<br />

– aus dem, was die Menschen verbal<br />

und nonverbal vollziehen. Ich bin der<br />

Meinung, dass nicht subjektive Empfindungen<br />

oder historische und dogmatische<br />

Rechtgläubigkeit Gegenstand der Liturgiewissenschaft<br />

sein sollten, sondern der<br />

– wie auch immer – gefeierte Glaube, der<br />

sich durch den Gottesdienst ausdrückt.<br />

Das bedeutet zunächst – bedingt durch<br />

die Semiotik – eine empirische Herangehensweise<br />

an das Phänomen. Meine Untersuchung<br />

soll aber mehr sein als eine<br />

phänomenologische Beschreibung –<br />

denn die Semiotik fragt nach der Bedeutung,<br />

die die Gottesdienstpartizipanten<br />

(damit sind alle an der Gottesdienstfeier<br />

Teilnehmende gemeint: Liturg, Prediger,<br />

Lektor, Organist, „normale“ Gottesdienstbesucher,<br />

etc.) verbalen wie nonverbalen<br />

Vollzügen des Gottesdienstes<br />

zuschreiben. Solche Vollzüge können nur<br />

dann angemessen beschrieben werden,<br />

wenn bei der Beschreibung die historische,<br />

die systematisch-theologische und<br />

die praktisch-theologische Perspektive<br />

berücksichtigt werden.<br />

Den Gottesdienst fasse ich als einen<br />

Text auf, der sich aus verbalen wie nonverbalen<br />

Sprachebenen zusammensetzt.<br />

Im Verlauf des Gottesdienstes, indem er<br />

gefeiert wird, wird sozusagen ein Text<br />

„geschrieben“, der wiederum semiotisch<br />

„gelesen“ werden kann. Der Gottesdienst<br />

wird „als Text“ durch die Feiernden<br />

<strong>Artheon</strong>-Mitteilungen <strong>Nr</strong>. <strong>26</strong><br />

konstruiert und von jenen, die den Gottesdienst<br />

als Videoaufnahme ansehen,<br />

rekonstruiert.<br />

Um diesen Vorgang sachgemäß zu gewährleisten,<br />

werden im ersten Kapitel<br />

meines Buches die Grundlagen gelegt:<br />

Es geht darin um die liturgietheologische<br />

bzw. systematisch-theologische,<br />

dann auch um die historische und praktisch-theologische<br />

Perspektive auf den<br />

Gegenstand der Liturgiewissenschaft:<br />

den Glauben; es geht um den Begriff<br />

des Textes und den Begriff des Gottesdienstes.<br />

Darauf folgt die Darstellung<br />

einiger semiotischer Ansätze und ihrer<br />

Aufnahme in die liturgiewissenschaftliche<br />

Literatur. Daran schließt sich eine<br />

von mir formulierte Teil-Semiotik für die<br />

Liturgiewissenschaft an. Darin werden<br />

die Sprachen und ihre Codes behandelt:<br />

Wortsprachen, Körpersprachen, Klangsprachen,<br />

Objektsprachen, Sozialsprachen.<br />

Es geht um die Sprach-, Sprech-<br />

und Schriftcodes, um die kinetischen,<br />

hodologischen, proxemischen, taktilen<br />

bzw. haptischen, textilen, olfaktorischen,<br />

akustischen, musikalischen Codes, um<br />

die Raumcodes und die ikonischen Codes,<br />

die heortologischen und hierarchischen<br />

Codes. Sie alle arrangieren sich in<br />

Codeparadigmen und in Codesyntagmen.<br />

Insgesamt geht es um das Zeichen – denn<br />

schließlich heißt ja Semiotik die „Lehre<br />

von den Zeichen“; so geht es um die<br />

Zeichengestalt, die Zeichenbedeutung,<br />

es geht um den Referent und dann um<br />

die Semiose, um den Kommunikationsakt<br />

auf den Ebenen der Syntaktik, der<br />

Semantik und der Pragmatik, in denen<br />

Zeichen verwendet werden.<br />

Das zweite Kapitel behandelt die Signifikations-<br />

und Kommunikationsprozesse<br />

des Gottesdienstes. Der von der DVD<br />

„gelesene“ Gottesdienst wird hier semiotisch<br />

beschrieben, wobei die historische,<br />

die systematisch-theologische und praktisch-theologische<br />

Perspektive in die Beschreibung<br />

und Deutung eingehen. Das<br />

dritte Kapitel hält die Ergebnisse fest.<br />

Die Gottesdienstpartizipanten generieren<br />

Sinn durch die Konstruktion des Gottesdiensttextes,<br />

also durch die Feier des<br />

Gottesdienstes. Diese Sinngenerierung<br />

ist theologisch verstanden der Glaube,<br />

der gelesen wird, wenn der Gottesdiensttext<br />

von der DVD gelesen wird. Denn

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