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Weines und der rauschhaften Feste. Der<br />

Name Orpheus hängt mit ‚orphne‘ zusammen,<br />

mit Dunkelheit, was sowohl auf<br />

den Hades hinweist, aber auch auf die<br />

Mysterien, die Geheimlehren, die auch<br />

nur im Dunklen weitergegeben werden<br />

dürfen. – So steht er also zwischen dem<br />

Gott des Lichtes, der Ordnung und der<br />

Künste und dem Gott der orgiastischen<br />

Ausgelassenheit.<br />

Die Traditionen aus der Antike sind<br />

bruchstückhaft und unsystematisch. Was<br />

sich aber herauskristallisiert, ist seine<br />

herausragende Rolle als Sänger, dessen<br />

Stimme eine unbezwingbare Schönheit<br />

gehabt haben soll. Er repräsentiert eine<br />

musikalische Welt, die durch ihren Klang<br />

Ordnung und Harmonie heraufführt. So<br />

wird erzählt, ganze Scharen von Vögeln<br />

hätten über seinem Kopf gekreist, wenn<br />

er sang; die Fische sprangen ihm aus<br />

dem Meer entgegen, so wirksam waren<br />

seine Klänge. Er konnte sogar allein<br />

durch seine Stimme Steine bewegen,<br />

dass sie sich zu einer geordneten Mauer<br />

fügten, und ebenso setzten sich Bäume<br />

in Bewegung. Das Wilde und Chaotische<br />

besänftigt sich, das Zerstörerische<br />

verliert seine Bosheit und verwandelt<br />

sich. Wenn er im Wald war, kamen selbst<br />

die wilden Tiere aus ihrem Versteck,<br />

versammelten sich um ihn im Kreis, um<br />

seinen Liedern zu lauschen. Es muss<br />

eine Kraft des Wohlwollens und der<br />

liebenden Zuneigung von ihm ausgegangen<br />

sein, sodass Jason ihn mit auf die<br />

Argonautenfahrt nahm. Er sollte nicht<br />

kämpfen, sondern mit seinen besonderen<br />

Gaben den Gefährten beistehen. Und<br />

tatsächlich erwies sich seine Teilnahme<br />

als hilfreich: Unter den Argonauten war<br />

ein gefährlicher Streit ausgebrochen, der<br />

zu eskalieren drohte. Da fing Orpheus an,<br />

ein Lied von der Entstehung der Schöpfung<br />

zu singen, wie sich Erde, Meer und<br />

Himmel auf einen gefährlichen Streit<br />

einließen, sich dann aber wieder befrieden<br />

ließen. Das Wunder geschah: Alle<br />

Helden lauschten dem Gesang erhobenen<br />

Hauptes, ließen sich vom Wohlklang<br />

bezaubern, um darin wieder Frieden<br />

einkehren zu lassen. Auch das goldene<br />

Vlies konnten sie nur gewinnen, weil<br />

das Lied des Orpheus den entsetzlichen<br />

Drachen, der als Wächter aufgestellt war,<br />

in Schlummer versetzte, sodass ihm die<br />

20<br />

Augen zufielen und der Weg frei war.<br />

Schließlich gelang es ihm auch noch, den<br />

Gesang der Sirenen zu übertönen, sodass<br />

auch diese Gefährdung bestanden werden<br />

konnte.<br />

II<br />

Ein Ereignis im Leben des Orpheus hat<br />

sich aber noch viel gravierender ins Gedächtnis<br />

der Menschheit eingegraben:<br />

sein Gang in den Hades.<br />

Orpheus war offenbar erst kurz mit der<br />

Hirtin Eurydike verheiratet, als sie ihm<br />

auch schon wieder entrissen wurde.<br />

Aristaios, ein Bienenzüchter, stellte der<br />

jungen Ehefrau nach, die sich gegen den<br />

Zudringlichen zur Wehr setzte und davonlief.<br />

Dabei stürzte sie und eine Schlange<br />

<strong>bis</strong>s sie in den Knöchel. Als Orpheus<br />

seiner Frau zu Hilfe kommen wollte, war<br />

sie schon tot und auf dem Weg in den<br />

Hades. Mit wehklagendem Gesang eilte<br />

er ihr nach, durch ganz Griechenland, <strong>bis</strong><br />

er zur südlichsten Spitze des Peloponnes<br />

kam, nach Tainaron, wo man den Zugang<br />

zum Hades annahm. Und nun geschah<br />

das Unerhörte: er stieg hinab, darauf<br />

vertrauend, dass sein Leierspiel und sein<br />

Gesang auch im Schattenreich wirksam<br />

sein könne. Der Fährmann Charon war<br />

so hingerissen von den wundersamen<br />

Klängen, dass er Orpheus auf das andere<br />

Ufer brachte und dem Sänger nachlief,<br />

um herauszufinden, ob ihm sein Unterfangen<br />

gelingen würde. Und dann wird<br />

erzählt, dass der Höllenhund Kerberos<br />

nicht mehr bellte und nicht zu<strong>bis</strong>s, dass<br />

Ixion von dem Rad nicht mehr gequält<br />

wurde, die Leber des Tityos wurde nicht<br />

mehr zerfleischt, die Danaiden, die immerzu<br />

mit löchrigen Eimern Wasser zu<br />

tragen haben, hörten mit ihrem sinnlosen<br />

Tun auf und lauschten der Stimme.<br />

Sisyphos wälzte nicht mehr den Stein,<br />

sondern setzte sich darauf; und selbst<br />

Tantalos spürte keinen Hunger und<br />

keinen Durst mehr und die mitleidlosen<br />

Erinnyen wurden vom Erbarmen<br />

ergriffen, während die Totenrichter zu<br />

weinen anfingen. Eine große Anzahl von<br />

Seelen umstanden Orpheus und stimmten<br />

flehend in seinen Klagegesang ein.<br />

Auch Persephone, die Totengöttin, war<br />

tief bewegt und rief Eurydike herbei.<br />

Orpheus fasste schon ihre Hand, ohne sie<br />

aber anzusehen. In der Totenwelt ist das<br />

<strong>Artheon</strong>-Mitteilungen <strong>Nr</strong>. <strong>26</strong><br />

Anschauen untersagt, allein die Stimme<br />

hat hier noch eine Möglichkeit.<br />

Das Wunder geschah: Hades, der dunkle<br />

Bruder des Zeus, gab Orpheus die Frau<br />

zurück: Sie sollte hinter ihm hergehen,<br />

und er musste darauf vertrauen, dass<br />

sie ihm wirklich folgte, denn umdrehen<br />

durfte er sich nicht. Als er schon beinahe<br />

wieder in die Lichtwelt zurückgekehrt<br />

war, hielt er es nicht mehr aus: um sich<br />

zu vergewissern, schaute er rückwärts<br />

– und verlor sie dadurch endgültig. Hermes,<br />

der Seelenbegleiter, führte sie wieder<br />

in die Schattenwelt zurück. Ein zweites<br />

Mal wurde Orpheus nicht mehr in<br />

den Hades eingelassen, Charon war nicht<br />

bereit, ihn wieder überzusetzen. Sieben<br />

Monate soll er an der Mündung des makedonischen<br />

Flusses Strymon trauernd<br />

zugebracht haben, dann kehrte er wieder<br />

in seine thrakische Heimat zurück.<br />

III<br />

Hier endet aber Orpheus‘ Geschichte<br />

nicht, es wird vielmehr erzählt, dass er<br />

sich nun ganz der Verehrung der Sonne<br />

verschrieben habe. In der Nacht stieg<br />

er auf das Pangaiongebirge hinauf, um<br />

bei der aufgehenden Sonne den Apollon<br />

zu verehren. Er hatte mittlerweile einen<br />

Abscheu gegenüber dem Dionysos entwickelt<br />

und lehnte es ab, an dionysischen<br />

Orgien teilzunehmen. Er wurde zum Verehrer<br />

des Lichtes und der harmonischen<br />

Ordnung. Und weil er sich auch von den<br />

Frauen abgewandt hatte, zog er sich den<br />

Hass der Mänaden zu, der Anhängerinnen<br />

des Dionysos. Da lauerten ihm die<br />

Bacchantinnen auf und zerrissen ihn in<br />

Stücke. Die zornwütigen Weiber warfen<br />

seine Körperteile in den Fluss. Den Kopf<br />

konnten sie nicht mehr zerreißen, auch<br />

er wurde in den Fluss geworfen, wo<br />

er hinuntertrieb und immer noch sang.<br />

Auch seine Leier klang weiter, als sie<br />

flussabwärts trieb. Manche erzählen, das<br />

Haupt des Orpheus sei <strong>bis</strong> nach Meles<br />

bei Smyrna geschwemmt worden, dort<br />

habe man ein Heroon errichtet, in das<br />

keine Frau eintreten durfte. Nach anderen<br />

Überlieferungen wurde das Haupt<br />

von der Meeresströmung <strong>bis</strong> nach Lesbos<br />

getrieben und dort bestattet. Deshalb<br />

wurde diese Insel die liederreichste und<br />

klangvollste. Am Grab des Orpheus nisteten<br />

mit Vorliebe die Nachtigallen, die

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