Artheon Nr. 26 bis Seite 27.indd
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theorie, Frankfurt: Fischer 1905 (Studienausgabe<br />
V), S. 37-146, S. 76 (GW V, 67).<br />
o) Freud, Sigmund: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie,<br />
Frankfurt: Fischer 1905 (Studienausgabe<br />
V), S. 37-146, S. 100.<br />
p) „Im allgemeinen kann man von den kindlichen<br />
Sexualtheorien aussagen, daß sie Abbilder<br />
der eigenen sexuellen Konstitution des Kindes<br />
sind und trotz ihrer grotesken Irrtümer von mehr<br />
Verständnis für die Sexualvorgänge zeugen, als<br />
man ihren Schöpfern zugemutet hätte“ Freud,<br />
Die documenta 12 im Rückblick<br />
Michael Reuter imGespräch mit Bernhard Balkenhol<br />
Michael Reuter (MR): Die Kernthese<br />
Roger Buergels „Migration der Form“<br />
schließt sich der aktuellen Radikalisierung<br />
der Pluralität in der Welt und der<br />
Weltkunst an. Lokales und Globales sollten<br />
sich durchdringen, sich zum Transnationalen<br />
mischen und so die enorme<br />
Vielfalt und die großen Zusammenhänge<br />
der vernetzten Welt spiegeln. Ist es der<br />
Ausstellung gelungen, Schneisen durch<br />
die Komplexität zu schlagen?<br />
Bernhard Balkenhol (BB): Die d12 bot<br />
weder in der Auswahl der Exponate<br />
noch im Aufbau der Ausstellung eine<br />
Systematik, große Zusammenhänge der<br />
vernetzten Welt zu spiegeln, Überblick<br />
zu gewinnen oder ein Hauptstraßennetz<br />
zu erkennen. Das war auch nicht ihr Anspruch.<br />
Vielmehr ging es ihr um einzelne<br />
Fäden, die sie aufgegriffen hat, an denen<br />
man sich festhalten oder entlang hangeln<br />
konnte. Interessant an der „Migration<br />
der Form“ ist für mich auch weniger das<br />
Aufzeigen von Verbindungen, die sich<br />
auf diese Weise transnational und interkontinental<br />
nachverfolgen lassen – das<br />
ist nicht neu –, als vielmehr der Perspektivwechsel,<br />
der mit diesem Begriff möglich<br />
ist. Die Konzentration auf die bloße<br />
Form macht es nämlich möglich, deren<br />
Erscheinung, Wirkung und Gebrauch<br />
zunächst ohne ideologischen Kontext<br />
wahrzunehmen, deren Wanderung also<br />
als einen roten Faden zu verstehen, aus<br />
dem heraus sich ästhetische Kultur entwickelt<br />
hat. Damit wird der Form ästhetischer<br />
Kultur eine Macht gegeben, die so<br />
<strong>bis</strong>her nur in der Musik herausgearbeitet<br />
16<br />
Sigmund: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie,<br />
Frankfurt: Fischer 1905 (Studienausgabe V),<br />
S. 37-146, S. 102.<br />
q) Wisstrieb produziert also auch Distanz und<br />
macht es nötig, diese aushalten zu können. KJP.<br />
r) Es bleiben„zwei Elemente unbekannt […] die<br />
Rolle des befruchtenden Samens und die Existenz<br />
der weiblichen Geschlechtsöffnung – die nämlichen<br />
Punkte übrigens, in denen die infantile Organisation<br />
noch rückständig ist“. Freud, Sigmund:<br />
Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Frankfurt:<br />
worden ist. Und weil dieser Perspektivwechsel<br />
ein ständiger ist und nicht nur<br />
die Ebenen Form und Politik, sondern<br />
auch Technologie, Wissenschaft, Ethik<br />
und nicht zuletzt das „bloße Leben“ be-<br />
trifft, wird die Komplexität eher größer<br />
als kleiner.<br />
MR: Auf der documenta-Tagung der<br />
Evangelischen Akademie Hofgeismar<br />
sprachen Sie im Hinblick auf die<br />
Ausstellung von einer Plattform von<br />
Bezügen, einem Beobachtungs- und Forschungsfeld,<br />
das keine Unterweisungen<br />
biete, weder Wissen noch Identität und<br />
dessen Sprache wir ständig neu lernen<br />
müssten. Gibt es eine immer größer werdende<br />
Kluft zwischen der Kunstrezeption<br />
der Wissenschaft, der Feuilletons und<br />
der normalen Kunstbetrachter, denen nur<br />
eine empathische Annäherung als Weg<br />
zur Kunst bleibt? Und welchen Weg der<br />
Annäherung empfehlen Sie als Kunstdidaktiker?<br />
BB: Die d12 hat wie keine vorher die<br />
Vermittlung in den Vordergrund gestellt,<br />
ja zum eigentlichen Thema gemacht.<br />
Das betraf nicht nur den Vermittlungsdienst,<br />
sondern auch den Betrachter,<br />
der sich ganz auf sich gestellt die Ausstellung<br />
ansehen wollte und erwartete,<br />
dass sich etwas vermittelt. Dazu hat<br />
Buergel betont, dass der Betrachter sich<br />
eben nicht auf die Wissenschaft, Hintergrundinformationen<br />
oder „his masters<br />
voice“ verlassen, sondern wieder mehr<br />
Verantwortung für seine Wahrnehmung<br />
übernehmen sollte. Buergel versteht die<br />
<strong>Artheon</strong>-Mitteilungen <strong>Nr</strong>. <strong>26</strong><br />
Fischer 1905 (Studienausgabe V), S. 37-146,<br />
S. 102.<br />
s) Freud, Sigmund: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie,<br />
Frankfurt: Fischer 1905 (Studienausgabe<br />
V), S. 37-146, S. 102.<br />
t) Freud, Sigmund (1908): Über infantile Sexualtheorien,<br />
S. 169-184, S. 174f.<br />
u) Freud, Sigmund (1907): Zur sexuellen Aufklärung<br />
der Kinder, in: STA, Bd. V, S. 159-168,<br />
S.166.<br />
Besucher seiner d12 allesamt als „Experten“<br />
– nicht (unbedingt) der Kunst, sondern<br />
ihres eigenen „sonstigen“ Lebens,<br />
ihres Berufes, ihrer kulturellen, gesellschaftlichen<br />
und ethischen Identität, ihrer<br />
altersspezifischen Sichtweisen etc. Von<br />
hier aus gilt es, die eigene Wahrnehmung<br />
ernst zu nehmen und der Kunst zu begegnen.<br />
Dabei geht es nicht um gleiche<br />
Augenhöhe, Machtausübung oder Rechthaben,<br />
sondern um einen offenen Dialog.<br />
Unverständnis und spontane Ablehnung<br />
sind dann genauso „die richtige Methode“<br />
wie Empathie, solange sie als ein<br />
„Zugriff“ verstanden werden. Ich halte<br />
es da mit meinem Kollegen Karl Josef<br />
Pazzini, der behauptet: „Kunst existiert<br />
nicht, es sei denn als angewandte.“<br />
MR: Ist das anvisierte Ziel der Palmenhaine<br />
und Zaubergärten, nämlich das<br />
reflektierende Gespräch zwischen den<br />
Besuchern, erreicht worden? Sie haben<br />
selbst zahlreiche Besuchergruppen durch<br />
die Ausstellung geführt: Welche Rolle<br />
wurde der Kunstvermittlung zuerkannt?<br />
Wurde „die Deutungshoheit an den Betrachter<br />
delegiert“ oder haben sich die<br />
Besucher über zu viel Didaktisierung<br />
beschwert?<br />
BB: Zunächst kann man feststellen, dass<br />
das Bedürfnis nach Führung legitim ist,<br />
wenn man blind ist. Auch Hintergründe<br />
zu erfahren, Informationen über Künstler,<br />
Werk und kulturellen Kontext einzuholen<br />
und zu fordern ist legitim. Und wer<br />
das haben wollte, bekam es auch. Aber<br />
neben diesem Service der bezahlten Führung<br />
gab es auch die Möglichkeit, sich<br />
in der meist fremden Gruppe produktiv<br />
mit der Ausstellung und einzelnen Werken<br />
auseinanderzusetzen. Der „Führer“