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Zabel_ueber_Bloch_plus_Info_dt_engl - Omnia vincit Amor

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Erkenntnistheorie 10<br />

In der Alltagssicht ist das zwar eine bedenkliche Lösung, wir gehen<br />

jedoch bis zu einem bestimmten Punkt tatsächlich von ihr aus: Die<br />

verbreitete Alltagslogik ist es, dass es die Welt gibt und dass wir uns<br />

mittels Sinneswahrnehmungen ein Bild von ihr machen. Wir wissen<br />

jedoch auch, dass wir dieses Bild nie wirklich mit der Welt<br />

vergleichen. Wir können ein Foto mit dem vergleichen, was es<br />

abbildet, nicht aber unser Bild des Raumes mit diesem – wir erhalten<br />

allenfalls fortwährend neue Bilder des uns umgebenden Raums. Unsere<br />

Theorie, dass wir über Bilder der Welt verfügen, basiert –<br />

erkenntnistheoretisch betrachtet – auf Analogieschlüssen und einem<br />

Modell, das wir in Interpretation unserer Wahrnehmungen aufbauen.<br />

Wir beobachten andere Menschen und vermuten, dass diese die Welt<br />

(wie wir) wahrnehmen. Wenn wir uns bewegen, verändert sich unsere<br />

Sicht ähnlich wie das Bild in einem Kameradisplay, wenn man diese<br />

schwenkt. Es liegt nahe, anzunehmen, dass wir uns in der Welt<br />

bewegen und dabei diese spezifischen Veränderungen unserer<br />

Wahrnehmungen erzeugen. Ernst Machs Eröffnungskapitel zu seinem<br />

Buch Analyse der Empfindungen (1900) skizziert das als Ergebnis<br />

eines Modells mit den weiteren Fragen an die Regeln für Modelle, die<br />

Physiker entwickeln.<br />

Die Welt wie ich sie (mit einem Auge) sehe.<br />

Welche Teile dieses Bildes gehören zu „mir“,<br />

welche zur „Außenwelt“, mit welcher<br />

Interpretation der Wahrnehmungen leiste ich die<br />

Zuordnung? Abbildung aus Ernst Mach, Die<br />

Analyse der Empfindungen (1900), S. 15<br />

Ludwig Wittgenstein verwies mit den zitierten Denkspielen darauf, dass im Alltag eigene Bewertungen solcher<br />

Fragen gelten. Die beiden Philosophen zogen es gegenüber dem zufälligen Passanten vor, klarzustellen, dass sie<br />

nicht wirklich an der Existenz von Bäumen zweifelten, sondern „nur philosophierten“. Sie gingen im selben Moment<br />

davon aus, dass der Passant genau wie sie über zwei Kategorien für ein und denselben Zweifel verfügte: Entweder<br />

wird hier philosophiert, oder der Zweifel ist ein Zeichen von Realitätsverlust, wie ihn etwa Unfallopfer in akuten<br />

Belastungsreaktionen mitunter kurzfristig aufweisen, wenn ihnen das Geschehene deutlich unwirklich vorkommt. Im<br />

Fall des Unfallopfers akzeptieren wir die Interpretation, dass nicht wahr ist, was soeben geschah, als<br />

vorübergehendes Ausweichmanöver, als sogenannte Dissoziation. Wenn jemand längerfristig vermutet, seine<br />

Gedanken würden von außen gesteuert, er sei nicht mehr frei in seinen Entscheidungen, er höre Stimmen, seine Welt<br />

werde von Einbildungen bestimmt, wechseln wir im Alltag die Einstufung dieser Sicht. Eine Paranoia kann hier<br />

vorliegen. Unsere Kultur versorgt uns, das wird an diesen Beispielen deutlich, mit keiner einfachen<br />

Erkenntnistheorie – schon gar nicht mit einer in sich schlüssigen: In ein und derselben Kultur kann das Gefühl,<br />

Stimmen im Kopf zu vernehmen, im Verhalten gesteuert zu werden, als krankhaft eingestuft werden und als<br />

religiöse Erfahrung gewürdigt werden. Selbst hier wird man wieder teilen und bestimmte religiöse Erfahrungen<br />

würdigen und andere als religiösen Wahn pathologisieren. Unsere Alltagslogik ist gerade von keiner grundsätzlichen<br />

Erkenntnistheorie bestimmt. Noch weniger sehen wir die Realitätswahrnehmung für einfach subjektiv an. Wir geben<br />

fortwährend <strong>Info</strong>rmationen über unsere eigene Sicht und Empfindung von Situationen, und greifen verantwortlich<br />

ein, wenn jemand in unserem Umfeld nicht mehr kulturell oder persönlich kontrolliert erscheinende Perspektiven<br />

entwickelt.

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