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Erkenntnistheorie 33<br />
Staaten im 20. Jahrhundert offizielle erkenntnistheoretische Doktrin wurde, geht ein Bekenntnis zur Materie als<br />
Ausgangspunkt aller Erfahrung einher. Abbildungsprozesse schaffen im Bewusstsein ein Bild der materiellen Welt.<br />
Es geht darum, in einem kritischen Prozess dieses Bild fortschreitend zu objektivieren und Vorurteile aus der<br />
Weltsicht zu verbannen, psychologisch zu verstehende individuelle Vorurteile wie solche, die durch<br />
weltanschauliche Setzungen von politisch machtvollen Gruppen produziert werden. Eine größere Geschichtssicht<br />
korrespondierte mit der erkenntnistheoretischen Entscheidung.<br />
Das Plädoyer für die Materie als dem alleinigen Gegenstand unserer empirischen Wahrnehmung verband sich mit<br />
dem Plädoyer für eine Politik, die den materiellen Lebensbedingungen den Wert zugestand, den sie für die<br />
ausgebeuteten Massen haben mussten. Es musste den Materialisten zukommen, die materielle Not der Arbeiter- und<br />
Bauernschaft anzuerkennen und auf die politische Tagesordnung zu holen. Im historischen Prozess des<br />
Klassenkampfes würde, so die Prognose des Marxismus, die Klasse, die die materielle Grundlage des Lebens aller<br />
Schichten der Gesellschaft herstellte, am Ende die Macht übernehmen; sie hatte mit ihrer Arbeitskraft die Macht<br />
effektiv bereits in ihren Händen und war sich dessen allenfalls noch nicht klar bewusst.<br />
Repräsentanten der Kirchen und der bürgerlichen Nationalstaaten sahen im Kommunismus ihr längst gehegtes<br />
Feindbild Gestalt annehmen: die erste dezidiert atheistische Philosophie, die mit der Absage an die Religion und dem<br />
Bekenntnis zum Materiellen eine Verrohung der Massen einleiten würde, denen Macht hier allenfalls versprochen<br />
werde.<br />
Erkenntnistheoretisch heikler war die Kritik, die sich im Positivismus mit der Wende ins 20. Jahrhundert gegenüber<br />
dem Materialismus formierte. Es gab im dialektischen Materialismus Entscheidungen zugunsten der Materie und<br />
eine dezidierte Theorie der Abbildung, die zur objektiven Erkenntnis führe. Das Philosophische Wörterbuch der<br />
DDR gab die Doktrin noch bis zum Zusammenbruch des Sozialismus wieder – so im Artikel „Abbild“, der als<br />
grundlegender gewertet sein wollte:<br />
„Abbild – Grundbegriff jeder materialistischen, insbesondere der marxistisch leninistischen Erkenntnistheorie.<br />
Abbilder sind ideelle Resultate des Widerspiegelungsprozesses, in dem sich die Menschen auf der Grundlage<br />
der gesellschaftlichen Praxis die objektive Realität vermittels des gesellschaftlichen Bewusstseins in<br />
verschiedenen Formen, wie Wissenschaft, Ideologie, Moral, Kunst, Religion, geistig aneignen. Sie entstehen<br />
in einem komplizierten Prozess der Übersetzung und Umsetzung des Materiellen in Ideelles<br />
(Marx/Engels 23, 27) der in seinem Verlauf sowohl durch die Struktur und Wirkungsweise des menschlichen<br />
Sinnes- und Nervensystems wie auch durch den Entwicklungsstand der gesellschaftlichen Praxis bestimmt<br />
wird.“ [27]<br />
Erkenntnistheoretisch betrachtet musste hier erstaunen, was mit der Materie korrespondierte: Ein Bereich des<br />
„Geistes“ und der „Ideen“, für den dieselbe Philosophie bei einer Ausrichtung auf die Materie doch kaum Platz haben<br />
konnte. Tatsächlich fehlt im selben Lexikon der Eintrag „Geist“, wohl weil man sich mit ihm tief in die<br />
Gedankenwelt des deutschen Idealismus begeben müsste. Interessant wurde im 19. Jahrhundert auf dem Gebiet der<br />
Erkenntnistheorie gegenüber dem Materialismus die Entscheidung, weder über die Materie noch über den Geist<br />
„unnötige“ Aussagen zu fällen, und wesentlich dezidierter mit der Wahrnehmung als dem allein gegebenen<br />
umzugehen.