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Zabel_ueber_Bloch_plus_Info_dt_engl - Omnia vincit Amor

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Erkenntnistheorie 30<br />

oder auf eine soeben getätigte Wahrnehmung der äußeren Welt zurückgehe? Das lasse sich nur in der größeren<br />

Perspektive auf alle unsere Wahrnehmungen sagen, so der extrem pragmatische Nachsatz: „Ob diese oder jene<br />

vermeinte Erfahrung nicht bloße Einbildung sei, muss nach den besonderen Bestimmungen derselben und durch<br />

Zusammenhaltung mit den Kriterien aller wirklichen Erfahrung, ausgemittelt werden.“<br />

Brisanz gewann Kants Nachdenken in seinem Systemanspruch. Die Kritik der reinen Vernunft untergliederte<br />

Kategorien und Bedingungen des Wissens und seiner Sicherheit im Blick auf die Logik möglicher<br />

Schlussfolgerungen. Über die Grenzen des Wissens ließ sich mit dem neuen Vokabular präziser nachdenken. Zur<br />

Kritik der reinen Vernunft kam die Kritik der praktischen Vernunft als komplementäres Projekt der Ethik. Kant<br />

verband beide Bereiche wiederum mit einem grundlegenden Nachdenken über Ästhetik. Der Philosoph war an selber<br />

Stelle nicht mehr irgendein Parteigänger wie Hobbes oder Locke, noch das Universalgenie in Staatsdiensten, als das<br />

Leibniz für Hannover gearbeitet hatte. Mit Kants Ära gewann das Projekt der Philosophie neuen Status als<br />

akademische Wissenschaft, von der Impulse in alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens ausgehen sollten. Kant<br />

avancierte zur weltlichen Autorität in Sachen Nachdenken, zu einer Stimme, die zu beliebigen Problemen gehört sein<br />

sollte. Das Bild des Philosophen, der einen Vortrag vor russischen Offizieren hielt, war in historischer Perspektive<br />

ein Novum.<br />

Erkenntnistheorie im Zeitalter der Nationalstaaten: 19. und frühes 20.<br />

Jahrhundert<br />

Mit der Wende ins 19. Jahrhundert wurde das Wissenschaftssystem neu organisiert. Bislang gab es an den<br />

Universitäten die drei Fakultäten Theologie, Jurisprudenz und Medizin sowie das philosophische Grundstudium, die<br />

„artes liberales“, zu denen die Sprachen genauso gehörten wie die Naturwissenschaften, die bis dahin als<br />

„Naturphilosophie“, „natural philosophy“ benannt wurden.<br />

Mit dem 19. Jahrhundert wurden die Geisteswissenschaften, die Naturwissenschaften, die<br />

Gesellschaftswissenschaften und die technischen Ingenieurwissenschaften begründet. Die Philosophie kam zu den<br />

Geisteswissenschaften, deren Aufgabenfeld sich nun weitete.<br />

Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein wurden nahezu alle politischen und gesellschaftlichen Debatten auf dem<br />

Gebiet der Theologie geführt. Mit der Wende ins 19. Jahrhundert übernahm der Staat als neue Ordnungsmacht die<br />

Vorherrschaft in den gesellschaftsweiten Diskussionen. Er garantierte seinen Bürgern gleiche Rechte. Fast überall in<br />

Europa kam Religionsfreiheit hinzu – sie bedeutete für die jeweils bislang in jedem Territorium privilegierten<br />

Konfessionen die Rückstufung, bot Minderheiten jedoch Gleichberechtigung. Die Debattenkultur des Nationalstaats<br />

wurde von nun an von den Geisteswissenschaften bestimmt. Ihre Ausbildung durchläuft, wer in den Medien zu Wort<br />

kommt, Kunst und Literatur bespricht und an den Universitäten in den Fächern unterrichtet, in denen diskutiert wird.<br />

Die Philosophie entwickelte sich zur integrativen Wissenschaft innerhalb der Geisteswissenschaften. In ihr finden<br />

die grundlegenden Methodendebatten statt. Philosophische Erkenntnistheorien erlaubten es am Ende, Rechtssysteme<br />

überkonfessionell zu definieren, den Naturwissenschaften Vorgaben zu machen wie dem Bildungssystem.<br />

Erkenntnistheorie verband sich mit der Geschichtsphilosophie und schuf dabei den Rahmen, in dem eine<br />

vollkommen neue Debatte der Zukunft aufkam. Bislang hatte es keine solche gegeben – mit dem späten 18.<br />

Jahrhundert änderte sich dies: Die Staaten entwickelten ein Interesse an Entwicklungsspielräumen. Im Bereich der<br />

Philosophie fanden um 1800 die wichtigsten Diskussionen der Weichenstellungen statt.<br />

Deutschland und Frankreich gaben dabei den Ton an. Frankreich war mit der Revolution von 1789 in die neue<br />

Situation geraten, die Zukunft im Bruch mit der Vergangenheit planen und organisieren zu müssen – der<br />

Positivismus als große Vorstellung einer von den Wissenschaften geordneten Welt entwickelte sich aus der<br />

französischen Revolution heraus. In Deutschland gewann die Zukunft eines weltlichen, säkularen Nationalstaats<br />

Anfang des 19. Jahrhunderts eine sehr viel idealere Komponente. Gesucht wurde das Gegenmodell zu Frankreich<br />

und zur heimischen Zersplitterung in Territorialherrschaften, ein großer Staat, der die einzelnen Länder bei<br />

unterschiedlicher kultureller Tradition in sich aufnahm. In den eröffneten Bereichen versorgte die Philosophie das

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