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Erkenntnistheorie 19<br />
Arbeiten Thomas von Aquins (1225–1274), Duns Scotus (1266–1308), Wilhelm von Ockhams (1285–1349) oder<br />
Nicolaus Cusanus (1401–1464). Die Philosophie der Neuzeit übernahm hier letztlich zentrale Zielvorgaben des<br />
Nachdenkens: Die Theorie eines einheitlichen weltumspannenden an Universitäten gelehrten, von Wissenschaften<br />
produzierten Wissens, die Suche nach einer letzten „Weltformel“ sind nicht das Erbe der Antike, sondern des<br />
Mittelalters. Die entscheidenden Erwägungen, wie mit geschlossenen Weltsystemen in neuer Radikalität zu denken<br />
ist, bahnten sich mit spätmittelalterlicher Philosophie an. Ockhams Rasiermesser ist eines dieser Prinzipien,<br />
Vorläufer der positivistischen Denkbewegung. Das Universalienproblem mit seinen Grundpositionen von Realismus,<br />
Konzeptualismus und Nominalismus lässt sich von der Scholastik bis in die Gegenwart verlängern. Die<br />
Positionsaufteilung, die für die Moderne bestimmend wurde, hat ihre Wurzeln am Ende in der Epoche, von der im<br />
17. und 18. Jahrhundert die dezidierte Distanzierung stattfand.<br />
Die Verlagerung theologischer Debatten: Erkenntnistheorie in der Frühen<br />
Neuzeit<br />
Der Buchdruck, der sich in den 1470er und 1480er Jahren in Europa<br />
ausbreitete, sorgte in den Wissenschaften für einen umfassenden<br />
Traditionsbruch. Mittelalterliche Handschriften der klassischen<br />
Autoritäten wurden in den Druck gebracht. Die Perspektive auf ihre<br />
Werke veränderte sich mit den textkritischen Ausgaben, an denen nun<br />
gearbeitet werden konnte. Jede einzelne dieser Ausgaben erreichte als<br />
identisch vervielfältigter Text die Kritik in allen europäischen<br />
Wissenschaftsstandorten. Wissenschaftliche Journale setzten sich ab<br />
dem 17. Jahrhundert als neue Diskussionsplattform durch, und waren<br />
ihrerseits grenzüberschreitend lesbar. Die Konstruktion getreuer<br />
Ausgaben des aus der Antike überlieferten Wissens wurde das erste<br />
Programm. Die Neuauflagen arbeiteten an der Objektivierungen der<br />
textlichen Überlieferung und der Annäherung an die verlorenen<br />
Originaltexte und schufen historische Distanz. Die Suche nach dem<br />
aktuellen Stand der Wissenschaft wurde im Lauf des 17. Jahrhunderts<br />
das Projekt der wissenschaftlichen Debatte. Ihr trug die<br />
wissenschaftliche Fachzeitschrift als aktuelles und die<br />
Literaturgeschichte als auf die Vergangenheit gerichtetes Medium<br />
Rechnung (das Wort Literatur stand noch für die Wissenschaften, nicht<br />
Robert Fudds Abbildung der unterschiedlichen<br />
Arten menschlicher Erkenntnis (1619)<br />
für Poesie und Fiktionen). Auf dem neuen wissenschaftlichen Markt gelang es der Erkenntnistheorie,<br />
• die Philosophie als konfessionell unabhängiges, grundlegende Wahrheit suchendes System von Forschung zu<br />
etablieren,<br />
• sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts erfolgreich politischen Interessengruppen anzubieten, die nach Argumenten<br />
suchten, mit denen sich die Religion neuen staatlichen Organisationsformen unterordnen ließ,<br />
• sich als Teil der Naturwissenschaften anzubieten, mit denen sie dann ab den 1760ern im Prozess der<br />
Industrialisierung und ab den 1790ern im Aufbau der europäischen Nationalstaaten neue Bedeutung gewann.<br />
Was hier erreicht wurde, ist im Rückblick beträchtlich: Die Theologie wurde entmachtet, die Wissenschaften wurden<br />
schließlich im 19. Jahrhundert umstrukturiert vom System, in dem es Theologie, Jurisprudenz, Medizin und<br />
Philosophie gab, zum neuen System, in dem Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften,<br />
Gesellschaftswissenschaften und Ingenieurwissenschaften nebeneinander bestanden, Felder zwischen denen die<br />
Theologie verschwand, und die allesamt eigene erkenntnistheoretische Grundlagen erhielten.