Zabel_ueber_Bloch_plus_Info_dt_engl - Omnia vincit Amor
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Erkenntnistheorie 39<br />
Arbeiten über Sexualität relativierten die vermeintlich biologische Funktion als essenziell kulturelles Konstrukt, das<br />
unsere Gesellschaften zu ihrer Organisation benutzen.<br />
Eine grundlegende Denkbewegung aller hier agierenden Autoren wurde die – kultur- und ideologiekritisch wirkende<br />
– Dekonstruktion. Sie geschieht in den verschiedenen Untersuchungen in der Regel im gezielten Blick auf die<br />
Konstruktion von Bedeutung in der Gesellschaft. In dem Moment, in dem klar ist, wie klar eine bestimmte<br />
Bedeutung konstruiert wurde, zeigt sich diese selbst auseinandergenommen, in ihren Konstruktionsanstrengungen<br />
dekonstruiert. Das hat politische und weltanschauliche Sprengkraft, überall dort, wo Bereichen menschlichen<br />
Zusammenlebens eine naturgegebene Ordnung oder (wie im Marxismus) die Ordnung am Ende eines<br />
zwangsläufigen historischen Prozesses zugesprochen wird. Ideen von „natürlicher“ und „widernatürlicher“ Sexualität<br />
bestehen, sobald man sie so ansprechen kann, als kulturelle Konstrukte. Es gibt, solange das der Fall ist, erst einmal<br />
keinen Grund, sie für unabdingbar zu halten.<br />
Von der Ideologiekritik des Marxismus, wie sie im Ostblock fortbestand, und der traditionellen bürgerlichen<br />
Geschichtsphilosophie entfernte sich die hier betriebene Épistémologie gleich weit. Beide Felder klassischer<br />
Erkenntnis- und Gesellschaftstheorie drangen auf eine fortschreitende Objektivierung des Wissens, auf dessen<br />
Annäherung an die Realität, auf Endpunkte einer logischen Entwicklung. Mit den postmodernen,<br />
poststrukturalistischen Angeboten eines Nachdenkens über Wissensformationen in ihren historischen Prämissen<br />
wurde unklar, wie etwas anderes als spezifische historisch begründete Wissensformationen überhaupt denkbar sein<br />
soll. Postmodern war unter derselben Fragestellung, dass keiner einzelnen Kultur an dieser Stelle ein besonderes<br />
Recht auf Allgemeingültigkeit ihrer Sicht mehr zugesprochen werden kann. Einzelne historischen<br />
Wissensformationen bargen ihre je eigene Plausibilität. Innerhalb jeder Gesellschaft bilden sich bei eingehenderer<br />
Betrachtung Subsysteme aus, Gruppen mit eigenen Perspektiven, die sehr unterschiedlich Anschluss an bestehende<br />
Diskurse suchen. Das fand sich mit Jean-François Lyotards La condition postmoderne (1979), deutsch Das<br />
postmoderne Wissen am Ende als eigene Bedingung des Wissens in postmodernen pluralistischen Gesellschaften<br />
reklamiert.<br />
Systemtheorie<br />
Strukturalismus und Poststrukturalismus waren stark auf kulturell tradierte Formationen von (beanspruchtem)<br />
Wissen ausgerichtete Theorieansätze. Die Systemtheorie rezipiert auch einige Elemente des Strukturalismus. Dabei<br />
analysiert sie sämtliche Gegenstandsbereiche als „Systeme“. Ein „System“ wird dabei als durch Operationen der<br />
Unterscheidung und Beobachtung erzeugt verstanden. Systemtheoretische Ansätze beziehen Anregungen aber nicht<br />
nur aus strukturalistischen Theorien, sondern verschiedensten Forschungsbereichen. Darunter zählen besonders die<br />
„Allgemeine Systemtheorie“ und die Theorie „Komplexer adaptiver Systeme“ in den Naturwissenschaften (Ludwig<br />
von Bertalanffy, John H. Holland, Murray Gell-Mann) sowie die Genetische Epistemologie Jean Piagets, die<br />
Kybernetik (William Ross Ashby, Norbert Wiener, Heinz von Foerster), verschiedene andere logische bzw.<br />
mathematische Impulse (etwa die Kalküle von Gotthard Günther und George Spencer-Brown), einige informations-<br />
(etwa von Gregory Bateson) und ingenieurswissenschaftliche sowie wirtschaftswissenschaftliche Grundideen. Als<br />
soziologische Theorie wurde die moderne Systemtheorie von Talcott Parsons begründet und von Niklas Luhmann<br />
ausgearbeitet, der wichtige Teilsysteme der funktionsteiligen modernen Gesellschaft analysierte und dies zu einer<br />
allgemeinen Theorie der Gesellschaft fortführte.<br />
In eine spezifisch deutschsprachige Konkurrenz zu französischen Diskurstheorien traten vor allem Luhmann und<br />
seine Nachfolger. Zentral sind Unterscheidungs- und Beobachtungsoperationen. Zunächst einmal unterscheidet sich<br />
ein System von seiner jeweiligen Umwelt – durch eine Unterscheidungsoperation, welche dieses System selbst<br />
hervorbringt. In Folgeschritten bildet ein System dann weitere Unterscheidungen aus. Unterscheidungen besitzen<br />
eine zweiseitige Form. Pro Unterscheidung wird jeweils eine der beiden Seiten akzentuiert. An dieser kann dann<br />
fortgefahren werden, zu unterscheiden. Beispielsweise kann ein System seine Umwelt feinkörniger unterscheiden.<br />
Dabei werden stets nur eigene Unterscheidungsformen angewendet und sich auf eigene Unterscheidungsleistungen<br />
bezogen. Dieser Autonomie (siehe auch Autopoiesis) entspricht eine konstruktivistische erkenntnistheoretische