Almanah 2015
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almanah<br />
<strong>2015</strong> / 2016 Jahrbuch für<br />
Integration<br />
in Wirtschaft,<br />
Politik und<br />
Gesellschaft<br />
lmanah *<br />
* bosnisch/kroatisch/serbisch für »Almanach/Jahrbuch«<br />
AKTUELLE ENTWICKLUNGEN<br />
Kulturschock für Syrer<br />
Sexismus in der Schule<br />
Aufstieg der Arbeiterkinder<br />
MEINUNGEN<br />
Rapid-Trainer Zoran Barišić<br />
Außenminister Sebastian Kurz<br />
Jihad-Experte Olivier Roy<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 1
almanah<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
Zwei dieser drei Journalisten sind als Flüchtlinge nach Österreich<br />
gekommen. Simon Kravagna, Melisa Erkurt und Amar Rajković<br />
„Egal ob NGOs,<br />
Unternehmen, Polizei<br />
oder freiwillige Helfer:<br />
Die Flüchtlingskrise<br />
hat ungeahnte<br />
Kräfte frei gesetzt.<br />
Gleichzeitig ist die<br />
Bevölkerung tief<br />
gespalten und die<br />
Helfer sind erschöpft“<br />
Alexandra Stanić<br />
Zoran Barišić, Trainer des Rekordmeisters SK Rapid,<br />
erklärt den internationalen Erfolg seiner Mannschaft<br />
so: „Unsere miese Wirtschaftslage hat mich gezwungen,<br />
auf junge Spieler zu setzen“. Schwierige Situationen<br />
setzen oft ungeahnte Kräfte frei und eröffnen neue<br />
Möglichkeiten. So war es vor vier Jahren beim Amtsantritt<br />
von Barišić, so war es auch im Jahr <strong>2015</strong>, dem Jahr,<br />
in dem Politik und Medien oft nur ein Thema kannten:<br />
Die Flucht.<br />
Egal ob NGOs, Unternehmen, Polizei, das Heer oder<br />
freiwillige Helfer. Die Flucht tausender Menschen<br />
durch und nach Österreich hat neue Kräfte mobilisiert.<br />
Gleichzeitig ist die Bevölkerung tief gespalten und bei<br />
den „Asylgegnern“ haben viele Politiker und Medien an<br />
Glaubwürdigkeit verloren.<br />
In dieser Spezial-Ausgabe beschreiben biber-Redakteure<br />
mit welchen sexistischen Frauenbildern viele<br />
junge Migranten heranwachsen, mit welchen Kulturschocks<br />
syrische Flüchtlinge in Österreich konfrontiert<br />
sind aber auch wie sich die afghanische TV-Journalistin<br />
Tanya Kayhan einen Platz in der heimischen<br />
Medienszene erarbeitet. Der Jihad-Experte Olivier Roy<br />
benennt die Versäumnisse bei der Integration junger<br />
Muslime. Manager wie Rewe-Chef Frank Hensel oder<br />
T-Mobile CEO Andreas Bierwirth erklären, was Unternehmen<br />
für Flüchtlinge tun können. In einem Gastkommentar<br />
erläutert Außen- und Integrationsminister<br />
Sebastian Kurz, warum der Kampf gegen den politischen<br />
Islam auf seiner Agenda 2016 steht.<br />
Übrigens: Der Begriff „<strong>Almanah</strong>“ ist kein Schreibfehler,<br />
sondern heißt auf Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und in<br />
anderen slawischen Sprachen Almanach, also Jahrbuch.<br />
Simon Kravagna<br />
Herausgeber und Chefredakteur das biber<br />
Amar Rajković<br />
Stv. Chefredakteur, Redaktionsleitung <strong>Almanah</strong><br />
Melisa Erkurt<br />
Chefin vom Dienst, Redaktionsleitung <strong>Almanah</strong><br />
* Amar Rajković und Melisa Erkurt kamen vor 20 Jahren als<br />
Kriegsflüchtlinge aus Bosnien nach Österreich.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 3
almanah<br />
INHALT<br />
Susanne Einzenberger<br />
Christoph Liebentritt<br />
Zoran Barišić<br />
ist Trainer von Österreichs<br />
Fußball-Rekordmeister<br />
Rapid. Im Interview spricht<br />
er über Nachwuchsarbeit, die<br />
Zukunft seines Vereins und die<br />
Flüchtlingskrise.<br />
42<br />
Aufstieg der Arbeiterkinder<br />
Es ist seit Jahren bekannt und wird<br />
trotzdem oft ignoriert. Bildung wird<br />
in Österreich praktisch vererbt.<br />
Gastarbeiterkinder erzählen, wie<br />
sie trotzdem den Aufstieg geschafft<br />
haben.<br />
28<br />
Militär-Imam<br />
Adbulmedzid Sijamhodzic ist<br />
Österreichs erster Militär-Imam.<br />
Der Jurist über seine Zeit im Krieg,<br />
Grundwehrdiener mit Bart und<br />
warum der wahre Islam nicht nur<br />
bei Muslimen zu finden ist.<br />
50<br />
SOZIALE VERANTWORTUNG<br />
UNTER DEM REWE-BOGEN<br />
MARTIN HAIDERER<br />
Gründer der Wiener Tafel. Sorgt dafür,<br />
dass die Lebensmittel der REWE Group<br />
heute noch zu den 10.000 Bedürftigen<br />
in über 80 Sozialeinrichtungen kommen.<br />
4<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
INHALT<br />
GESELLSCHAFT & POLITIK<br />
Flucht in Zahlen. 6<br />
Kulturschock für Flüchtlinge. In Österreich<br />
ist alles anders als Zuhause. 10<br />
Politologe Olivier Roy über den Islamischen<br />
Staat und die Rolle, die Jugendliche<br />
dabei spielen 16<br />
Frauenfeindlichkeit an Wiener Schulen:<br />
Im Zuge des biber-Schulprojekts hat<br />
unsere Redakteurin am eigenen Leib<br />
erfahren, wie frauenfeindlich männliche<br />
Jugendliche sind. 20<br />
MARKT & KARRIERE<br />
Außenminister Sebastian Kurz 24<br />
Österreichs Spitzenmanager darüber,<br />
was Wirtschaft und Politik ihrer Meinung<br />
nach für Flüchtlinge leisten müssen. 32<br />
CEO des Personaldienstleistungsunternehmens<br />
Trenkwalder Károly Pataki<br />
über die Integration von arbeitswilligen<br />
Flüchtlingen. 36<br />
SPORT, MEDIEN,<br />
RELIGION & KULTUR<br />
Rapid-Trainer Zoran Barisic über die<br />
Bad-Boys unter seinen Kickern und worüber<br />
in der Umkleide so geredet wird. 42<br />
Die afghanische Journalistin und<br />
biber-Akademie-Absolventin Tanya<br />
Kayhan über die Angriffe auf die Meinungsfreiheit<br />
in ihrer Heimat. 46<br />
Made by biber: Ein Jahresüberblick über<br />
die biber-Akademie, die Jungjournalisten<br />
mit internationalem Background auf die<br />
Medienlandschaft vorbereitet. 48<br />
Take me to church! Farbenfrohe Gewänder,<br />
glitzernde Handtaschen und überdimensionaler<br />
Kopfschmuck – so gehen<br />
Afro-Österreicherinnen zur Kirche. 54<br />
Unsere tunesische Redakteurin Nour verrät,<br />
wie man aus Couscous ein energiereiches<br />
Dessert macht. 58<br />
UNTERNEHMEN &<br />
INSTITUTIONEN<br />
Was österreichische Firmen und Institutionen<br />
für ein besseres Zusammenleben<br />
tun. 62<br />
Impressum 65<br />
Todors letzte Worte 66<br />
NICOLE DÖRING<br />
MERKUR-Marktleiterin. Kümmert sich<br />
persönlich darum, dass regelmäßig<br />
Lebensmittel an die Wiener Tafel<br />
und andere soziale Organisationen<br />
ausgegeben werden.<br />
Gemeinsam für ganz Österreich.<br />
Mit unseren Lebensmittelspenden<br />
für tausende Menschen.<br />
Gemeinsam unter<br />
dem REWE-BOGEN.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 5
almanah<br />
Flucht<br />
in<br />
Zahlen<br />
Asylanträge Österreich<br />
Im Jahr <strong>2015</strong> haben bis November 20.441 Menschen aus Syrien um<br />
Asyl angefragt. Gefolgt von 16.549 afghanischen Staatsbürgern und<br />
11.190 Menschen aus dem Irak. Sonstige nennenswerte Herkunftsländer<br />
sind Pakistan (2.900), Kosovo (2447), Iran (2052), Somalia<br />
(1850), Nigeria (1.135) und die Russische Föderation (1.440), zu der<br />
auch Tschetschenien gehört.<br />
68.589 ASYLANTRÄGE BIS NOVEMBER<br />
SYRIEN 30%<br />
AFGHANISTAN 24%<br />
IRAK 16%<br />
PAKISTAN 4%<br />
KOSOVO 4%<br />
IRAN 3%<br />
SOMALIA 3%<br />
STAATENLOS 3%<br />
NIGERIA 2%<br />
RUSSISCHE FÖDERATION 2%<br />
SONSTIGE 9%<br />
DAVON 7.155 UNTER 18 JAHREN<br />
7.155 Menschen, die im Laufe des Jahres nach Österreich flüchteten,<br />
sind unter 18 Jahre alt. Sie werden in Statistiken als „unbegleitete<br />
Minderjährige“ bezeichnet. 6.696 davon sind 14-18 Jahre alt. Rund<br />
6% sind sogar jünger als 14 Jahre (459).<br />
Quellen:<br />
BMI<br />
http://data.unhcr.org/mediterranean<br />
6<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
3.592<br />
802.786<br />
almanah<br />
Fluchtweg Mittelmeer<br />
Männer/Frauen/Kinder<br />
Im Jahr <strong>2015</strong> haben 950.617 Menschen die Flucht über das<br />
Mittelmeer nach Europa gewagt. Zum Vergleich: 2014 waren es<br />
216.054 Menschen. Dies entspricht einer Steigerung von 440%.<br />
Die meisten Flüchtlinge kamen in Griechenland an (802.786),<br />
gefolgt von Italien (149.400) und Spanien (3592). Offizielle Zahlen<br />
sprechen von 3.605 verunglückten Menschen, die auf überfüllten<br />
Booten kenterten und ertranken. 2014 waren es unwesentlich<br />
weniger Opfer. (3.500)<br />
Die meisten der nach Europa geflüchteten Menschen sind Männer<br />
(60%). Dies ist der lebensgefährlichen Reise geschuldet, die<br />
erwachsene Männer am besten verkraften können. 16% der<br />
Flüchtlinge sind Frauen und 24% Kinder.<br />
FR AUEN<br />
2014<br />
<strong>2015</strong><br />
+440%<br />
MÄNNER<br />
16%<br />
60% 24%<br />
KINDER<br />
149.900<br />
SPANIEN<br />
ITALIEN<br />
3.605 IM MITTELMEER ERTRUNKEN<br />
GRIECHENLAND<br />
GEFLÜCHTETE KINDER<br />
LINZ<br />
228.148 198.181<br />
Die Gesamtzahl der geflüchteten<br />
Kinder nach Europa beträgt 228.148!<br />
Zum Vergleich: Die drittgrößte Stadt<br />
Österreichs, Linz, zählt 198.181<br />
Einwohner (Quelle: www.linz.at)<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 7
almanah<br />
Flüchtlinge auf arabisch<br />
8<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
GESELLSCHAFT & POLITIK<br />
Migration bedeutet nicht nur Zuwachs an neuen Arbeitskräften und<br />
kultureller Vielfalt. Migration bringt auch oft radikale Ideologien mit<br />
sich – ob in Form von Dschihadisten oder dem Machogehabe männlicher<br />
Jugendlicher. Österreichs Politik und Gesellschaft muss sich mit<br />
diesen Problemen auseinandersetzen.<br />
S. 10-14<br />
KULTURSCHOCK<br />
Was vor allem arabische Flüchtlinge in Österreich<br />
erwartet, ist die Mutter aller Kulturschocks: Halbnackte<br />
Frauen, leere Straßen und Palatschinken auf dem Teller.<br />
Marko Mestrović, HANS KLAUS TECHT / APA / picturedesk.com, bereitgestellt<br />
S. 16–19<br />
JUNGE DSCHIHADISTEN<br />
Politologe Olivier Roy spricht im Interview über Europas<br />
Dschihadisten, das Schweigen ihrer Eltern und Wege aus<br />
der Radikalität.<br />
S. 20–22<br />
FRAUENFEINDLICHKEIT IN DER SCHULE<br />
Jungen Burschen fehlt es oft an männlichen Vorbildern.<br />
Die Folge: Machogehabe und Frauenfeindlichkeit. Ein<br />
erschreckender Einblick in Wiener Klassenzimmer.
almanah<br />
Der Schock<br />
nach der<br />
Flucht<br />
Sie<br />
T E X T :<br />
Simone Egarter<br />
FOTO:<br />
Susanne Einzenberger<br />
fliehen vor Krieg, Elend und Tod<br />
nach Europa. Was vor allem arabische<br />
Flüchtlinge in Österreich erwartet,<br />
ist die Mutter aller Kulturschocks.<br />
Halbnackte Frauen auf Plakaten,<br />
hilfsbereite Polizisten, leergefegte<br />
Straßen nach Feierabend und<br />
Palatschinken auf dem Teller.<br />
Verzweifelte Menschen auf der<br />
Flucht sind seit diesem Sommer<br />
das dominante Thema in den<br />
österreichischen Medien. Bilder von freiwilligen<br />
Helfern auf dem Westbahnhof<br />
machten genauso die Runde wie die tägliche<br />
Berichterstattung vom Grenzübergang<br />
Nickelsdorf. Das Flüchtlingsthema<br />
diktierte sogar die regionalen Wahlen in<br />
OÖ und Wien. Laut dem Innenministerium<br />
passierten im Jahr <strong>2015</strong> bis jetzt schätzungsweise<br />
300.000 Flüchtlinge die österreichische<br />
Grenze. Alleine im September<br />
waren es an die 200.00 Menschen. Die<br />
meisten der traumatisierten Flüchtlinge<br />
kommen aus den Bürgerkriegsländern wie<br />
Irak, Afghanistan oder Syrien. Und obwohl<br />
eine große Anzahl an Flüchtlingen Merkels<br />
Einladung nach Deutschland folgt, bleiben<br />
viele vertriebene Menschen in Österreich<br />
zurück. Rund 20.000 Asylanträge von<br />
Syrern gingen beim Innenministerium seit<br />
2011 ein.<br />
Unsere arabischsprechende Autorin war<br />
drei Wochen lang mit syrischen Familien<br />
unterwegs und hörte genau hin. Wie sieht<br />
deren Alltag aus? Womit haben sie zu<br />
kämpfen? An welche Dinge müssen sie<br />
sich gewöhnen? Herausgekommen sind<br />
sechs Anekdoten, die das Ankommen von<br />
syrischen Flüchtlingen beschreiben, ohne<br />
sie zu verurteilen. Eine Anleitung, um<br />
unsere zukünftigen Mitbürger besser zu<br />
verstehen.<br />
„Wieso ist um sechs Uhr abends<br />
alles ausgestorben?“<br />
Der 25-jährige Ali H. lebt heute im oberösterreichischen<br />
Braunau. Er lernt fleißig<br />
Deutsch und versucht möglichst viele<br />
österreichischen Freunde zu finden. Nach<br />
anfänglichem Unbehagen in der neuen<br />
Umgebung hat er sich gut eingelebt. Wenn<br />
es geht, möchte Ali am liebsten in Braunau<br />
bleiben und arbeiten. Der kontaktfreudige<br />
Mann aus Aleppo genießt seine neugewonnene<br />
Freiheit.<br />
Nur, Kontakte knüpfen in Braunau fällt<br />
ihm schwer. „Wieso ist das Land um sechs<br />
Uhr abends wie ausgestorben?“, fragt er<br />
uns. Ali fährt fort: „In Syrien ging man in<br />
ein Café nach der Arbeit, rauchte Shisha<br />
und traf Freunde.“ Er denkt oft an die<br />
friedliche Zeit in Syrien. Damals, bevor der<br />
Bürgerkrieg über das Land herfiel und bis<br />
heute an die 250.000 Menschen das Leben<br />
kostete.<br />
10<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
HANS KLAUS TECHT / APA / picturedesk.com<br />
Nicht nur für österreichische Männer einen genauen Blick wert – Dessous-Werbung auf Plakaten.<br />
Zeit zum Erinnern hat er genug. In<br />
Braunau gibt es keine einzige Shisha-Bar<br />
und niemanden, der mit ihm nach der<br />
Arbeit über Fußball oder Frauen redet.<br />
Noch nicht jedenfalls.<br />
„Küsschen links, Küsschen rechts.“<br />
Selbst das Händeschütteln zwischen Männern<br />
und Frauen ohne Verwandtschaftsverhältnis<br />
ist in Syrien unüblich. Bei<br />
Daham aus Aleppo merkt man gerade bei<br />
der Begrüßung eine innere Unruhe. Es sind<br />
peinliche Sekunden, in denen er zu überlegen<br />
scheint, mir die Hand zu reichen. Oder<br />
eben nicht zu reichen. Er wartet ab, ob ich<br />
ihm die Hand anbiete, dann legt er seine<br />
rechte Hand auf die Brust, nickt und flüstert<br />
einen leisen Gruß.<br />
Während mich seine Frau mit herzlichen<br />
Küssen begrüßt, ist es für ihren Mann<br />
sogar schwer vorstellbar, seinem weiblichen<br />
Gast beim Gespräch in die Augen zu<br />
schauen. Das hat er so gelernt. Befremdlich<br />
für die meisten Österreicher, für Daham ein<br />
höflicher Umgangston.<br />
Selbst der Spaziergang durch die Wiener<br />
Innenstadt offenbart reichlich unangenehme<br />
Situationen für den Familienvater.<br />
Nackte Haut, soweit das Auge reicht.<br />
Leichtbekleidete Frauen auf Plakaten<br />
säumen die Straßen und schmücken die<br />
U-Bahn-Stationen. Dem warmen Sommer<br />
ist es geschuldet, dass selbst Ende September<br />
viele junge Frauen in Rock und hautengem<br />
Top an der Familie vorbeimarschieren.<br />
Daham blickt jedes Mal respektvoll zu<br />
Boden, wenn eine sommerlich gekleidete<br />
Frau an ihm vorbei geht.<br />
„Immer zugunsten der Frauen.“<br />
Mustafa M. beklagt sich in der Facebook-Gruppe<br />
„Syrer in Österreich“ über<br />
die „steigende Zahl“ an Scheidungsfällen<br />
unter syrischen Flüchtlingen in Europa.<br />
Er berichtet über einen Fall in Kopenhagen.<br />
Ein syrischer Flüchtling wartet auf<br />
den Flug aus Istanbul, nachdem es ihm<br />
gelang nach langen Behördengängen seine<br />
Frau und Tochter endlich nach Dänemark<br />
zu holen. Am Flughafen dann die überraschende<br />
Wende! „Seine Frau begrüßt<br />
ihn nicht und bittet um Schutz vor ihrem<br />
Mann“, erzählt Mustafa mit weit aufgerissenen<br />
Augen. Laut Shierhan C. sei dies kein<br />
Einzelfall. In vielen Flüchtlingsunterkünften<br />
käme es zu Scheidungen, weil manche<br />
Frauen sich die schlechte Behandlung<br />
durch ihre Partner nicht mehr gefal- ‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 11
almanah<br />
len lassen wollen, erzählt uns der syrische<br />
Künstler. Die Frauen wissen, dass sie im<br />
Falle einer Scheidung in Europa nicht auf<br />
der Straße landen und man ihnen auch die<br />
Kinder zuspricht, so Shierhan. Mustafa M.<br />
sieht das Problem in der westlichen Moral<br />
begraben. „In Europa gibt es keine Tradition<br />
der Ehe und Frauen wollen sich nicht<br />
mit ungemütlichen Lebensbedingungen in<br />
der Ehe arrangieren“, ist er noch immer<br />
aufgebracht.<br />
Auch das Justizsystem macht Mustafa<br />
Sorgen, denn dieses sei „immer zugunsten<br />
der Frauen“ ausgelegt. Um seine Aussagen<br />
zu bekräftigen, nennt er das Beispiel<br />
eines Mannes, der nach Syrien zurückgeschickt<br />
wurde, weil er angeblich seine Frau<br />
geschlagen hatte. Das Innenministerium<br />
konnte diese Behauptung nicht bestätigen.<br />
Bemerkte aber: „Straffälligkeit führt zu<br />
einer Beschleunigung des Asylverfahrens.“<br />
Mustafa hat den Glauben an seine Landsfrauen<br />
verloren, denn „wenn sie nicht<br />
mehr in ihrem Heimatland sind, zeigen sie<br />
ihr wahres Gesicht.“<br />
„Du musst sie bezahlen, damit sie<br />
etwas unternehmen.“<br />
In einem ehemaligen Hotel in einer Marktgemeinde<br />
in Oberösterreich leben heute 37<br />
junge, syrische Flüchtlinge. Die Dorfbewohner<br />
machen einen großen Bogen um<br />
die Gäste aus dem kriegsgebeutelten Land.<br />
Kontakt mit Österreichern haben die Syrer<br />
nur, wenn die Betreuerinnen der Diakonie<br />
oder Polizei zu Besuch kommen. Der<br />
Anblick und die Begegnung mit der Polizei<br />
wirkten anfangs befremdlich für die<br />
jungen Männer. Der syrische Kameramann<br />
Ciwan D. kennt nur korrupte Polizisten<br />
aus Syrien. „Wenn du bestohlen wirst und<br />
die Polizei rufst, dann musst du sie erst<br />
bezahlen, damit sie etwas unternehmen“,<br />
so Ciwan. Und jetzt soll er den Männern<br />
in Uniform vertrauen? Leichter gesagt als<br />
getan.<br />
Auch der Kurde Ali hat manchmal<br />
Angst, wenn er mit der Polizei zu tun<br />
hat. Vertrauen zu den österreichischen<br />
Ordnungshütern zu finden fällt allen<br />
Kriegsflüchtlingen schwer. Als einmal Alis<br />
„Die Nachbarn reden<br />
kaum mit uns, wir<br />
können nur warten<br />
und schlafen“<br />
Ali H., 25<br />
12<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Post in seinem ersten eigenen Apartment<br />
in Braunau verschwand, wollte er das nicht<br />
zur Anzeige bringen. Zu groß war die Angst<br />
vor der Exekutive. Für uns nicht vorstellbar,<br />
für unsere syrischen Gäste schwer aus<br />
dem Kopf zu verdrängen.<br />
„Bei uns musst du die<br />
Polizei erst bezahlen,<br />
damit sie etwas<br />
unternehmen.“<br />
Ciwan D., 27<br />
„Du kannst ja auf einem Esel nach Syrien<br />
reiten.“<br />
Der neunjährige Rasool sitzt zusammengekauert<br />
auf den Polsterkissen. Irgendwo<br />
in Simmering. Seit September besucht<br />
der syrische Junge die Volksschule im 11.<br />
Bezirk. Freunde hat er bis auf seinen älteren<br />
Bruder, Yazan, noch keine gefunden. Auf<br />
die Frage, ob er Heimweh habe, antwortet<br />
Rasool geknickt: „Ich will später zurück<br />
nach Syrien, in mein Land.“ Dass dort<br />
Krieg herrscht, scheint ihn nicht zu stören.<br />
Die Eltern versuchen ihr Kind von diesem<br />
Vorhaben abzubringen. „Ich muss für mein<br />
Land kämpfen“, antwortet der Neunjährige<br />
immer wieder. Sein größerer Bruder<br />
schlägt ihm zynisch vor: „Du kannst ja auf<br />
einem Esel nach Syrien reiten“.<br />
In der Schule war Rasool noch nie. Seit er<br />
sechs Jahre alt ist, wird seine Heimatstadt<br />
Homs vom Assad-Regime bombardiert.<br />
Die neue Sprache und Umgebung scheinen<br />
den Jungen einzuschüchtern. Er sehnt sich<br />
nach dem Leben in Syrien - obwohl seine<br />
Heimatstadt und das Elternhaus in Schutt<br />
und Asche liegen.<br />
Die Eltern können ihren zwei ältesten<br />
Söhnen in der Schule kaum helfen. Der<br />
fünffache Vater Daham, 29, Tapezierer, und<br />
seine Frau Seham lernen selbst Deutsch.<br />
Das Gefühl, ihren Kindern nicht helfen zu<br />
können, zermürbt die jungen Eltern. Auch<br />
der Gedanke, dass Rasool eines Tages nicht<br />
mehr wissen wird, wo er herkommt, nagt<br />
an ihnen. Aus diesem Grund ist der Vater<br />
stolz, wenn der Sohn von Syrien spricht.<br />
Er möchte, dass das friedliche Syrien für<br />
immer im Herzen seiner Kinder bleibt.<br />
„Die sind ja gar nicht hungrig.“<br />
Die Ängste und Schicksale der Flüchtlinge<br />
unterscheiden sich stark voneinander.<br />
Doch die syrische Küche vermissen<br />
sie alle: Hummus, Falafel, Kibbe oder ‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 13
almanah<br />
Dahams Familie<br />
weiß nicht, was sie<br />
von österreichischen<br />
Mehlspeisen<br />
halten soll.<br />
Die siebenköpfige Familie empängt Biber herzlich in ihrem Wohnzimmer in Wien Simmering<br />
Schisch-Kebab. Die jungen Männer in der „Coca Cola würde ich niemals kaufen, in<br />
Unterkunft der Diakonie in Oberösterreich<br />
kochen zusammen Gerichte aus ihrer befürchtet Daham.<br />
Österreich ist da Schweinefleisch drinnen“,<br />
Heimat. Ali veranstaltet zusammen mit Bei einem Caféhausbesuch in Wien<br />
seinen Freunden ein „Flüchtlingsfest“ und probiert Dahams Familie zum ersten Mal<br />
tischt seine Leibspeisen auf. Daham und Kaiserschmarrn und Marillenknödel. Sie<br />
Seham verpflegen ihre Kinder ausschließlich<br />
mit Lebensmitteln, die sie auch aus reichischen Mehlspeisen halten sollen.<br />
wissen nicht, was sie von diesen öster-<br />
Syrien kennen.<br />
Die Skepsis überwiegt die Neugierde. Für<br />
Für viele Muslime unter den syrischen Stephan Waldner von der Caritas keine<br />
Flüchtlingen ist die Einhaltung der religiösen<br />
Speisevorschrift wichtig. Daham<br />
Überraschung: „Als Italiener würde ich in<br />
bezieht sein Fleisch von einem türkischen<br />
Metzger, um sicher zu stellen, dass das<br />
Fleisch „halal“ geschlachtet wurde. Das<br />
sei ein häufiger Brauch unter Flüchtlingen,<br />
erzählt uns die Volkshilfe in Oberösterreich.<br />
Schuld am Misstrauen sind unterschiedliche<br />
Gerüchte, die im Internet kursieren.<br />
England auch keine blauen Nudeln essen,<br />
egal wie hungrig ich bin“, versucht er<br />
die Zurückhaltung der Syrer in kulinarischen<br />
Fragen zu erklären. Das kann auch<br />
zu Missverständnissen führen. Als am<br />
Westbahnhof eine Frau ihre selbstgemachten<br />
Palatschinken an Flüchtlinge verteilen<br />
will, trauen sich die meisten nicht, diese<br />
seltsamen, süßen Fladen zu probieren. „Die<br />
sind ja gar nicht hungrig“, keift die Dame,<br />
als ihre gutgemeinte Spende verschmäht<br />
wird.<br />
All diese Geschichten aus dem Alltag<br />
zeigen: Syrische Flüchtlinge sind nicht<br />
nur traumatisiert und erschöpft, sondern<br />
haben auch mit den kulturellen Unterschieden<br />
ihrer neuen Heimat zu kämpfen.<br />
Kein Wunder. Erinnere dich an deinen<br />
ersten Trip in die USA. „Warum sind die<br />
alle so freundlich?“, hast du dich bestimmt<br />
gefragt. Oder die schiefen Blicke in Japan,<br />
weil du dich gerade in der Öffentlichkeit<br />
geschnäuzt oder zu laut gelacht hast. Für<br />
uns unvorstellbar, woanders völlig normal.<br />
Und natürlich müssen unsere syrischen<br />
Reisenden ein Stück Heimat hinter sich<br />
lassen, oder wie es ein altes arabisches<br />
Sprichwort sagt:<br />
„Du wirst nicht in einem anderen Land<br />
ankommen, solange deine Gedanken,<br />
Gefühle und deine Seele noch in einem<br />
anderen Land verwurzelt sind.“<br />
Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />
November-Ausgabe <strong>2015</strong><br />
14<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Fotos: Bundesheer/Harald Minich/Julia Fenyvesi<br />
Hubschrauberpilot<br />
Soldat<br />
im Auslandseinsatz<br />
Truppenärztin<br />
Panzergrenadier<br />
Entminungsdienstexperte<br />
Textiltechnikerin<br />
Grundwehrdiener<br />
bei der ABC-Abwehr<br />
Milizsoldat<br />
Gebirgsjäger<br />
Lehrling<br />
Heeresleistungssportler<br />
Pionier<br />
Unser Heer<br />
hat viele Gesichter<br />
Die Menschen sind die größte Stärke und das wertvollste<br />
Gut des Bundesheeres. Ihre Qualität, Professionalität und<br />
Motivation sind ausschlaggebend für die Erfüllung der<br />
Aufträge und Aufgaben des Bundesheeres.<br />
www.facebook.com/bundesheer<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 15
almanah<br />
„Hier revoltiert<br />
die Jugend,<br />
nicht der<br />
Islam“<br />
16<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION<br />
bereitgestellt
almanah<br />
Politologe Olivier Roy spricht im Interview über<br />
Europas Dschihadisten, das Schweigen ihrer Eltern<br />
und Wege aus der Radikalität.<br />
T E X T :<br />
Michael Hesse, Frankfurter Rundschau<br />
Professor Roy, Sie gelten als der beste Kenner<br />
des europäischen Islam. Wie besiegt man<br />
den sogenannten Islamischen Staat (ISIS)?<br />
Die Radikalisierung in Europa ist nicht<br />
eine Folge der Existenz von ISIS im Nahen<br />
Osten. Wir erleben seit Jahren eine Radikalisierung<br />
einer bestimmten Kategorie<br />
von Jugendlichen in Europa. Diese Jugend,<br />
die sich radikalisiert, sucht einen globalen<br />
Dschihad. Zunächst war dies Al-Kaida.<br />
Nachdem sie an Bedeutung verloren haben,<br />
ist es nun ISIS. Sie instrumentalisieren und<br />
nutzen diese Radikalen. Aber sie schaffen<br />
sie nicht bzw bringen sie nicht erst hervor.<br />
ISIS ist ein Phänomen per se, es ist nicht<br />
eine Folge der Radikalisierung der Jugend<br />
im Westen, sondern beruht auf lokalen<br />
Faktoren im Mittleren Osten. Die Stärke<br />
von ISIS besteht darin, die lokalen Gegebenheiten<br />
mit dem globalen Phänomen der<br />
Radikalisierung der Jugend zu verknüpfen.<br />
Es gibt einen Kampf an zwei Fronten?<br />
Exakt. ISIS im Nahen Osten zu bekämpfen<br />
ist eine gute Sache, aber sie wird nicht<br />
dazu führen, die Radikalisierung unter den<br />
Jugendlichen in Europa zu beenden. Selbst<br />
wenn wir die Jugend hier entradikalisieren,<br />
wird dies nicht ISIS insgesamt zerstören<br />
oder schwächen. Wir müssen also in den<br />
Kategorien von zwei Fronten denken. Wir<br />
haben es mit einem globalen Dschihadismus<br />
zu tun, der alles bekämpfen will. Wir<br />
haben es mit zwei verschiedenen Phänomenen<br />
zu tun, die miteinander verbunden<br />
sind.<br />
Aber was wäre ein erster erfolgreicher Schritt,<br />
wenn wir in den Nahen Osten blicken. Wir<br />
„ISIS hat in einem<br />
territorialen Sinne<br />
sein Limit erreicht.“<br />
erinnern uns, die USA waren mit ihrem Kampf<br />
gegen den Terrorismus in Afghanistan nicht<br />
sehr erfolgreich.<br />
Das ist absolut richtig. Und in einem gewissen<br />
Sinne ist ISIS eine Folge der militärischen<br />
Intervention der USA im Irak im Jahr<br />
2003. Es war die Zerstörung des Zentrums<br />
des irakischen Staates und die Verschiebung<br />
der Macht auf die Seite der Schiiten,<br />
die die sunnitischen Araber radikalisiert<br />
hat und zu den Attacken von ISIS geführt<br />
hat.<br />
Wie bekämpft man ISIS im Nahen Osten?<br />
Das Problem ist, dass niemand sie wirklich<br />
bekämpfen will – außer den Franzosen.<br />
Sie stehen ziemlich allein da. Die lokalen<br />
Akteure haben jeder für sich schlimmere<br />
Feinde als ISIS. Die Kurden haben<br />
die Türken, für Baschar al-Assad ist es die<br />
eigene Opposition, also die Rebellen, für<br />
die Schiiten im Allgemein sind es die Sunniten,<br />
für die Iraner ist es Saudi-Arabien<br />
und für die Saudis ist es der Iran. Keiner<br />
ist bereit, Truppen zu schicken und Rakka<br />
oder Falludscha, die Hochburgen von ISIS,<br />
einzunehmen. Das ist das große Problem.<br />
Und der amerikanische Einsatz hilft nicht?<br />
Die US-Strategie der Bombardierung macht<br />
nur dann Sinn, wenn es auch Bodentruppen<br />
gibt. Es müssen keine amerikanischen<br />
Truppen sein, sondern lokale Soldaten.<br />
Mit Luftschlägen kann man Bodentruppen<br />
gut unterstützen, aber man muss sie erst<br />
einmal haben. Die Amerikaner kämpfen<br />
jedoch immer nur zu eigenen Bedingungen.<br />
Ich denke nicht, dass die Amerikaner dies<br />
tun werden. Es sei denn, es würde einen<br />
großen Terroranschlag in den USA geben.<br />
Man benötigt 100 000 Soldaten am Boden,<br />
um ISIS zu besiegen. Der Wille hierzu ist in<br />
den USA nicht vorhanden.<br />
Aber was folgt daraus?<br />
Das ist ganz einfach. Wenn keiner Truppen<br />
schicken will, wie will man dann ISIS<br />
bekämpfen? Man braucht stattdessen eine<br />
politische Koalition. Es geht darum, einen<br />
Kompromiss zwischen den lokal handelnden<br />
Akteuren zu finden, mit Rücksichtnahme<br />
auf die jeweiligen Probleme.<br />
Und davon gibt es jede Menge. So muss<br />
die Türkei mit den türkischen Kurden zu<br />
einer politischen Übereinkunft kommen,<br />
die ja schon auf den Weg gebracht war vor<br />
dem Auftreten von ISIS. Früher oder später<br />
müssen auch die Iraner und Saudis miteinander<br />
reden.<br />
Es sind zwei Todfeinde.<br />
Ja, aber die Iraner können nicht mehr<br />
erreichen als sie jetzt schon haben. Sie<br />
haben Teheran, sie haben Bagdad, sie<br />
haben Damaskus. Sie haben viel zu verlieren.<br />
Die Saudis haben das Problem, dass sie<br />
Truppen nach außen gesandt haben ‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 17
almanah<br />
um sie zurückzuholen. Das ist völlig anders<br />
als bei der Attacke auf das Satiremagazin<br />
„Charlie Hebdo“.<br />
Inwiefern?<br />
Viele Muslime und nebenbei gesagt auch<br />
viele Katholiken mögen „Charlie Hebdo“<br />
nicht. Der Papst selbst sagte: „Ich bin nicht<br />
Charlie.“ Es gab einen gewissen Riss in der<br />
französischen Bevölkerung. Viele demonstrierten<br />
für das Magazin, aber viele andere<br />
wie die Muslime, lehnten die Unterstützung<br />
für die Kartons ab. Aber in der letzten<br />
Attacke gibt es diesen Riss nicht. Die<br />
Terroristen attackierten die französische<br />
Gesellschaft als ganze. Es gab kein Ziel<br />
einer bestimmten Gesellschaftsgruppe. Die<br />
Menschen wollten zu einem Fußballspiel<br />
gehen, ein demokratischeres Publikum<br />
gibt es nicht. Das ist ein klares Zeichen<br />
dafür, dass die Jugend genau diese Gesellschaft<br />
bekämpfen will.<br />
wie in den Jemen und feststellen müssen,<br />
dass dies nicht besonders gut läuft. Es<br />
gibt im Establishment der Saudis und der<br />
Iraner vermehrt Stimmen, die sagen: Es<br />
ist Zeit miteinander zu verhandeln. Diese<br />
Verhandlungen der lokalen Gruppierungen<br />
wäre der erste Schritt.<br />
„Der Salafismus ist<br />
der Kitt, um sich<br />
den eigenen Islam<br />
zu basteln.“<br />
Die Jugend der Ausgeschlossenen.<br />
Es ist eindeutig, wenn wir ihnen zuhören,<br />
diese französische Jugend revoltiert gegen<br />
die ganze Gesellschaft. Diese Jungen gehören<br />
zwei Kategorien an. Die einen zählen<br />
zur zweiten Generation der Muslime in<br />
Frankreich. Und die anderen sind Kon-<br />
Ja, aber das wird dauern.<br />
vertiten. Die Zahl der Konvertiten ist sehr,<br />
So ist es. Die Vorstellung, ISIS in den nächs-<br />
sehr hoch. Und es gibt einige Konvertiten<br />
ten sechs Monaten zerstören zu wollen, ist<br />
Narrativ für den Erfolg des Dschihad. Aber<br />
in der Terrorgruppe, die Paris attackierten.<br />
purer Unsinn.<br />
sie bringen die Jugend nicht dazu, in den<br />
Es gab Attacken, in denen die Terroristen<br />
Dschihad zu ziehen.<br />
hauptsächlich aus Konvertiten bestanden.<br />
Gibt es auch gute Nachrichten?<br />
Die Konvertiten haben einen anderen sozi-<br />
Durchaus. ISIS hat sein Limit erreicht. Dies<br />
Die Frage ist, wer ist die Jugend, die sich so<br />
alen Hintergrund als die Muslime zweiter<br />
in einem territorialen Sinne. Die Bevölke-<br />
radikalisiert?<br />
Generation.<br />
rung, die sie nun noch erreichen können,<br />
Es handelt sich um eine Jugendrevolte.<br />
lehnen ISIS ab. Die Schiiten, die Kurden,<br />
Aber es ist keine Radikalisierung der mus-<br />
Was aber verbindet sie?<br />
die Alawiten wollen sie nicht. Die Libane-<br />
limischen Bevölkerung in Europa als sol-<br />
Es gibt etwas Gemeinsames: Der Islam, den<br />
sen und Jordanier haben eine gegensätz-<br />
cher. Woher wir das wissen? Der Rand<br />
sie erwählt haben, ist nicht der überlieferte<br />
liche Haltung zu ISIS. Der Islamische Staat<br />
der Radikalen sind alles junge Menschen.<br />
Islam. Es ist nicht der kulturelle Islam,<br />
wird früher oder später von der Bildfläche<br />
Es gibt keine Militanten, die älter als 35<br />
nicht der traditionelle Islam. Sie sprin-<br />
verschwinden, wir wissen nur nicht, wann.<br />
Jahre wären. Und es gibt ein neues Phäno-<br />
gen in eine Religion, die sie selbst erdacht<br />
Und dennoch: Steckt ISIS die Jugend im Westen<br />
nicht an?<br />
Ich würde sagen, dass die Radikalisierung<br />
der Jugend keine Konsequenz der Existenz<br />
von ISIS ist, einfach weil sie älter als ISIS<br />
ist. Sie liefern zwar ein wirkungsvolles<br />
men. Die Eltern sind gegen den Dschihad.<br />
Das ist anders als noch einige Jahre zuvor.<br />
Jetzt hören wir von den Eltern, die zur<br />
Polizei gehen, sie machen Aufrufe, damit<br />
ihre Kinder aus dem Dschihad zurückkehren<br />
sollen. Sie verurteilen die Taten ihrer<br />
Kinder und fahren mitunter nach Syrien,<br />
haben. Es ist ihr eigener Islam, dem sie<br />
folgen. Ich meine den Salafismus. Er ist der<br />
Kitt, um sich den eigenen Islam zu basteln.<br />
Es handelt sich um einen dekulturierten<br />
Islam, der keiner seiner Ausprägungen in<br />
irgendeiner Gesellschaft enspricht und<br />
auch zu keiner Gemeinschaft. Diese soziale<br />
Justin Tang/PA/picturedesk.com<br />
18<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Bewegung ist meiner Meinung nach daher<br />
keine generelle Auflehnung der Muslime.<br />
Sondern?<br />
Eine individuelle Revolte, die auf Frustration<br />
beruht und auf Menschen, die sich<br />
als Verlierer fühlen und Gewinner werden<br />
wollen. Es ist bekannt, dass eine große Zahl<br />
der Terroristen keine Ausbildung hat, sie<br />
sind nicht als gute Muslime bekannt gewesen,<br />
sie tranken Wein, hatten Mädchen,<br />
usw. Doch dann gab es einen Wendepunkt<br />
der Jugend hin zu einer Radikalisierung. Es<br />
läuft also nicht so, dass sie stetig religiöser<br />
und fundamentalistisch werden und dann<br />
zu Dschihadisten werden. Vielmehr werden<br />
sie Fundamentalisten und Dschihadisten<br />
zur selben Zeit.<br />
Lassen sie sich mit Terrorgruppen der Vergangenheit<br />
vergleichen?<br />
Diese Gruppen ähneln keinen klassischen<br />
Untergrundbewegungen. Sie bestehen<br />
vielmehr aus Freunden und Verwandten.<br />
Sie treffen sich in der Nachbarschaft, in<br />
Gefängnissen. Sie befreunden sich. Und es<br />
ist ein klassisches Muster, dass einer die<br />
Schwester des neuen Freundes heiratet.<br />
Es gibt eine Menge von Brüderpaaren, die<br />
in den Dschihad ziehen. Denken Sie an die<br />
Kouachis oder Abaaouds. Das ist sehr familiär<br />
gebunden und die Familien verlieren<br />
drei oder vier Mitglieder, wenn sie getötet<br />
werden oder Selbstmordattentate verüben.<br />
Das sind keine politischen Organisationen.<br />
Es sind keine islamistischen Untergrundbewegungen.<br />
Zusammengefasst: Es gibt gute und schlechte<br />
Neuigkeiten.<br />
Ja. Die gute Nachricht ist, dass wir es nicht<br />
mit einem Aufstand der europäischen Muslime<br />
zu tun haben. Wir haben es mit einer<br />
Revolte der an den Rand gedrängten Jugend<br />
zu tun, von Muslimen und Nicht-Muslimen.<br />
Die Haupterklärung, warum es der<br />
Islam ist, liegt an dem Mangel an Übermittlung<br />
des Islam. Und nebenbei gesagt<br />
gibt es einen gemeinsamen Punkt mit der<br />
Rote Armee Fraktion, es ist das Schweigen<br />
der Eltern.<br />
„Wenn ein junger<br />
Mann sich dazu<br />
entschließt, auf die<br />
andere Seite zu gehen,<br />
wird man ihn nicht<br />
aufhalten können.“<br />
Das bezog sich aber auf die braune Vergangenheit.<br />
Nun sind es die Fragen: Warum sind wir in<br />
Europa? Warum leben wir in dem Milieu<br />
der Migranten? Die Eltern können ihren<br />
Kindern nicht erklären, was sie getan<br />
haben. Ihr Argument ist: Wir sind für ein<br />
besseres Leben hierher gekommen. Aber<br />
die Kinder fragen: Was für ein besseres<br />
Leben? Wir haben kein gutes Leben. Die<br />
Eltern sind hilflos. Das war schon bei den<br />
algerischen Familien so, die sehr nationalistisch<br />
waren, aber 1962 nach Frankreich<br />
kamen. Sie konnten diesen Schritt ihren<br />
Kindern nicht erklären.<br />
Einige Politiker fürchten, dass mit den Flüchtlingen<br />
auch Terroristen kommen?<br />
Es ist wahr. Auch wenn es Sicherheitsmaßnahmen<br />
gibt, werden die Terroristen immer<br />
durchkommen. Wenn 10 000 Flüchtlinge<br />
auf einer griechischen Insel festgehalten<br />
werden, wird der einzige Terrorist unter<br />
ihnen den Weg finden, hierher zu kommen.<br />
Er hat Geld, er hat die Unterstützung, er<br />
spricht die Sprache. So können sie anonym<br />
hierher kommen. Aber diese Jungs sind<br />
keine Syrer, die hierher kommen, sondern<br />
hier radikalisierte Menschen. Sie gingen<br />
nach Syrien zum Training und Kampf<br />
und versuchen so unerkannt wie möglich<br />
zurückzukehren.<br />
Wie kann man die radikalisierten Menschen<br />
davon abringen, andere zu töten?<br />
Wenn ein junger Mann sich dazu entschließt,<br />
auf die andere Seite zu gehen,<br />
wird man ihn nicht aufhalten können. Man<br />
muss den Menschen hier zeigen, dass sie<br />
Olivier Roy<br />
ist französischer Politikwissenschaftler.<br />
Das Besondere: Er ging in den 80ern nach<br />
Afghanistan und beteiligte sich – mit der<br />
Waffe in der Hand – am Kampf gegen die<br />
sowjetischen Invasoren.<br />
in Europa als normale und gute Muslime<br />
leben können. Man muss sie von der Story<br />
befreien, dass der Islam in Europa eine<br />
unterdrückte Religion sei, das Muslime<br />
Opfer seien. Man muss den also den moderaten<br />
Islam unterstützen, um den radikalen<br />
Islam zu bekämpfen. Die Jungs werden<br />
sich nicht radikalisieren, wenn sie einen<br />
modernen und glaubwürdigen Islam vorfinden.<br />
Die Menschen können so Muslim<br />
und stolz in Europa sein. Wir müssen den<br />
Islam normalisieren.<br />
Wie ist es aber an den Orten der Radikalisierung?<br />
Wir wissen, dass es eine enorme Radikalisierung<br />
in den Gefängnissen gibt. Dort<br />
befinden sich die Gefangenen in engen<br />
Kreisen, wenn darin einer über den Islam<br />
spricht, dann wirkt das. Wir brauchen<br />
muslimische Kaplane in den Gefängnissen,<br />
um uns um die spirituellen Bedürfnisse der<br />
Muslime dort zu kümmern. Wir müssen<br />
den Radikalen die Argumente entziehen. <br />
Dieser Artikel erschien das erste Mal in der<br />
Frankfurter Rundschau am 21. November <strong>2015</strong><br />
bereitgestellt<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 19
almanah<br />
„Alles<br />
Schlampen.“<br />
Drei Monate, 150 Schüler und oft ein Thema: Frauenfeindlichkeit.<br />
Im Zuge des „Newcomer“-Projekts hat biber-Redakteurin Melisa<br />
Erkurt am eigenen Leib erfahren, dass männliche Jugendliche oft<br />
ein Problem mit Frauen haben.<br />
20<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
T E X T :<br />
Melisa Erkurt<br />
FOTO:<br />
M a r k o M e s t r o v i ć<br />
Das ist nicht dasselbe, Sie sind eine<br />
Frau“, Salih * ,13, macht mir deutlich<br />
klar, wieso er den Anweisungen<br />
meines Kollegen Amar folgt und meine<br />
Worte ignoriert. Als ich ihn zur Rede stellen<br />
will, fallen mir Salihs Mitschülerinnen ins<br />
Wort: „Lassen Sie ihn, er redet immer so mit<br />
Frauen.“ Darauf lachen die Burschen: „Er<br />
hat eh Recht“, grölen sie.<br />
In den letzten Monaten waren mein<br />
Kollege Amar Rajković und ich an verschiedenen<br />
Wiener Schulen und haben mit dem<br />
biber-Schulprojekt „Newcomer“ jeweils in<br />
einer Woche versucht, rund 150 Jugendlichen<br />
einen Einblick in den Journalismus<br />
zu gewähren. Im Gegenzug dazu haben sie<br />
uns einen exklusiven Einblick in ihre Welt<br />
gegeben. Alles, was sie bewegt, wurde zum<br />
Thema gemacht – zocken, shishn und –<br />
leider oft auch - Frauen dissen.<br />
Natürlich schreibe ich hier nicht vom<br />
Akademischen Gymnasium oder der Schottenbastei.<br />
Wir haben uns für unsere mobile<br />
Redaktion bewusst Schulen ausgesucht,<br />
die von Kindern aus sozial benachteiligten<br />
Elternhäusern besucht werden. In einer<br />
dieser Schulen gibt es in einer Klasse zwei<br />
getrennte Listen, eine mit den Namen der<br />
Mädchen, eine mit denen der Jungen. Auch<br />
im Sportunterricht werden die Geschlechter<br />
- wie üblich - getrennt. „Mädchen sind<br />
sowieso unsportlich“, erklärt der 14-jährige<br />
Mirko * , warum er den getrennten Turnunterricht<br />
besser findet. „Das stimmt nicht“,<br />
ruft Nina * , wird aber sofort von Mirko<br />
ausgebremst: „Sei leise, was weißt du<br />
schon?“, bringt er sie zum Schweigen.<br />
Mein Vater sagt...<br />
Mirko und die anderen Jungs aus der<br />
Klasse nehmen nicht ernst, was die Mädchen<br />
sagen, sie nehmen auch nicht ernst,<br />
was ich als erwachsene Frau sage. In einem<br />
Gespräch mit ihnen wird schnell klar,<br />
woher ihr negatives Frauenbild kommt.<br />
„Mein Vater sagt auch, dass Frauen nichts<br />
wert sind“, rechtfertigt der kleine Mirko<br />
seine frauenfeindlichen Äußerungen. Seine<br />
Mitschülerinnen haben aufgegeben sich<br />
darüber aufzuregen.<br />
Die 13-jährige Azra kennt das alles auch<br />
von zuhause. Sie darf sich nur mit ihren<br />
Freundinnen treffen, wenn ihr Bruder<br />
dabei ist. „Wozu gehen Frauen raus? Nur<br />
um einen Mann aufzureißen, alles Schlampen!“,<br />
erklärt Azras Bruder. Im Haushalt<br />
muss Azra mithelfen, während ihr Bruder<br />
„Mein Vater sagt<br />
auch, dass Frauen<br />
nichts wert sind.“<br />
vor der Playstation hockt oder sich mit<br />
seiner Freundin trifft. Wenn Azra einen<br />
Freund hätte, wäre zuhause die Hölle los.<br />
Schockiert<br />
Als ich aus einer dieser Klassen zurück in<br />
die Redaktion komme, bin ich noch immer<br />
fassungslos. Ich hätte nicht gedacht, dass<br />
es heute noch junge Männer, eigentlich<br />
sind es ja fast noch Kinder, gibt, die derartige<br />
Sprüche von sich geben. Zur Klarstellung:<br />
Ich bin nicht in einer Hietzinger<br />
Akademikerfamilie aufgewachsen, sondern<br />
komme aus einer bosnischen Arbeiterfamilie<br />
mit muslimischem Background.<br />
Ich kenne also das, was man in Medien die<br />
„bildungsferne Schicht“ nennt. Trotzdem<br />
haben mich die Aussagen vieler Burschen<br />
schockiert.<br />
Ein paar meiner männlichen biber-Kollegen<br />
finden, dass ich übertreibe: „Als ich<br />
in dem Alter war, fand ich Mädchen auch<br />
total blöd“, verharmlost ein Redakteur das<br />
Ganze. Doch die Art und Weise, wie diese<br />
„Wozu gehen Frauen<br />
raus? Nur um einen<br />
Mann aufzureissen,<br />
alles Schlampen.“<br />
Kids über Frauen sprechen, liegt auf einer<br />
ganz anderen Ebene.<br />
Sie finden Mädchen nicht blöd, sind aber<br />
heimlich in sie verliebt, wie es bei meinem<br />
Kollegen früher der Fall war. Im Gegenteil,<br />
sogar zum Thema Liebe zwischen Mann<br />
und Frau haben die Jungs aus einer der<br />
Klassen eine radikale Sichtweise: „Wenn<br />
eine Frau mehrere Freunde hatte, ist sie<br />
in meinen Augen eine Schlampe“, sagt der<br />
14-jährige Ahmi * .<br />
Jungfrau<br />
Er selber hat natürlich schon viele Freundinnen<br />
gehabt: „Die würde ich aber alle<br />
nicht heiraten, meine Frau muss nämlich<br />
Jungfrau sein“, fügt er hinzu. Er schaut mir<br />
direkt in die Augen, als er das sagt - keine<br />
Spur von schlechtem Gewissen, er hält<br />
das, was er sagt, für richtig, er steht hinter<br />
seinen Worten. Ein paar Meter weiter steht<br />
Vanessa * . Ahmi und sie waren drei Monate<br />
lang ein Paar. Sie hat seine Worte mitangehört<br />
und blickt die ganze Zeit beschämt<br />
zu Boden.<br />
Unterwerfung<br />
Die 18-jährige Matura-Schülerin Sila *<br />
kennt Burschen wie Ahmi. Sila besucht ‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 21
almanah<br />
die letzte Klasse, mit der wir für dieses<br />
Semester unser Schulprojekt durchführen.<br />
Als ich ihr und ihren Mitschülerinnen von<br />
den frauenfeindlichen Aussagen der vorherigen<br />
Klassen berichte, sind die Jugendlichen<br />
nicht überrascht. Alle Mädchen aus<br />
der Klasse haben schon öfters frauenfeindliche<br />
Aussagen erfahren. Auch Sila musste<br />
lernen, sich selbst zu behaupten. Sie war<br />
mit einem Jungen zusammen, der die Auffassung<br />
vertrat, dass sie als Frau nicht<br />
alleine mit ihren Freundinnen rausgehen<br />
darf. Acht Monate machte sie seine Verbote<br />
mit, bis sie nicht mehr konnte und mit<br />
ihm Schluss machte. Darauf beschimpfte er<br />
Sila als Hure, weil sie sich ihm, dem Mann,<br />
nicht unterwerfen wollte.<br />
„Wenn ich in der<br />
Disco aufs Klo gehe,<br />
spüre ich auf dem<br />
Weg hundert Hände<br />
auf meinem Körper.“<br />
„Selber Schuld!“<br />
Silas Klassenkollegin Anastasia * kennt<br />
das Gefühl, wenn Männer sich mächtig<br />
fühlen wollen: „Wenn ich in der Disco aufs<br />
Klo gehe, spüre ich auf dem Weg dorthin<br />
hundert Hände auf meinem Körper.“<br />
Der 18-Jährigen haben schon oft fremde<br />
Männer auf den Arsch gefasst.<br />
„Selber Schuld“, meint der pubertierende<br />
Ahmi, „Wieso gehen Frauen<br />
überhaupt fort?“, erklärt er sich Situationen<br />
wie die von Anastasia. Frauen sind ihm<br />
zufolge selbst schuld, wenn sie belästigt<br />
werden, sie haben es provoziert, indem sie<br />
einen tiefen Ausschnitt tragen oder auch<br />
einfach nur alleine aus dem Haus gehen.<br />
Diskriminierung<br />
Ich habe in den Schulen erlebt, dass die<br />
frauenfeindlichen Aussagen nicht nur von<br />
Schülern mit Migrationshintergrund oder<br />
gar dem Islam als Religionsbekenntnis,<br />
wie man ja sonst oft liest, kommen. Die<br />
Jungs, die diese Aussagen tätigen haben<br />
ALLE EINE Gemeinsamkeit: Sie kommen<br />
aus sozial benachteiligten Familien, fühlen<br />
sich in Österreich diskriminiert und sehen<br />
für sich keine große Zukunft. Sie erleben,<br />
dass sie in unserer ach so liberalen Gesellschaft<br />
als Ahmed oder Ali keine große Rolle<br />
spielen werden und fragen sich offenbar,<br />
warum sie dann unsere Werte auch zu<br />
ihren machen sollten.<br />
Männliche Vorbilder<br />
Spürbar ist bei den Burschen zudem eine<br />
dringende Suche nach männlichen Vorbildern,<br />
die ihnen ihre Väter offenbar nicht<br />
ausreichend sein können. So wird mein<br />
Kollege Amar von allen Jungs verehrt. Sie<br />
machen Fotos von ihm, lachen über seine<br />
Scherze und ist er einmal nicht da, fragen<br />
sie im Minutentakt, wann Amar endlich<br />
kommt. Zuerst hat mich das gestört, doch<br />
ich begriff langsam, dass das gut war. Sie<br />
hatten in Amar ein Vorbild gefunden und<br />
als er ihnen erzählte, wie wichtig die Rolle<br />
der Frau in der Gesellschaft ist und dass<br />
er mit keinem von ihnen befreundet sein<br />
möchte, wenn sie schlecht über Frauen<br />
reden, nahmen sie sich das wirklich zu<br />
Herzen.<br />
Gabalier & Tradition<br />
Ich mache mir keine Illusionen, in einer<br />
Woche kann man ihre Anschauung nicht<br />
komplett ändern. Aber wir haben einige<br />
Burschen zum Nachdenken gebracht<br />
und auch die Mädchen in diesen Klassen<br />
gestärkt. Das wurde mir erst im Nachhinein<br />
bewusst, weil mir das die Schülerinnen<br />
später gesagt haben. Zudem wurde mir<br />
bewusst, wie wichtig der Kampf für Gleichberechtigung<br />
ist. In einer Gesellschaft, in<br />
der Andreas Gabalier gefeiert wird, weil<br />
er sich weigert die Bundeshymne durch<br />
die Töchter zu ergänzen, in der Frauen für<br />
dieselbe Tätigkeit um 23 Prozent weniger<br />
verdienen als Männer – da erwartet man<br />
gerade von den Jüngsten, die das alles mitkriegen<br />
und sich selbst am Abstellgleis<br />
sehen, gendersensibel zu sein?<br />
<br />
* Name von der Redaktion geändert<br />
TIPP:<br />
Flash<br />
Mädchencafé<br />
Im flash Mädchencafé in der Zieglergasse<br />
im siebten Wiener Bezirk, können Mädchen<br />
von 10 bis 21 Jahren untereinander<br />
sein, sich beraten lassen und an Selbstbehauptungsworkshops<br />
teilnehmen.<br />
Mobil: +43 (0)676 897 060 308<br />
Telefon: +43 (0)1 890 30 60<br />
Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />
Juni-Ausgabe <strong>2015</strong><br />
22<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Das kann ELGA<br />
ELGA ist …<br />
… ein informationssystem, das<br />
ihnen und ihren behandelnden<br />
Ärztinnen und Ärzten, spitälern,<br />
Pflegeeinrichtungen und apotheken<br />
den Zugang zu ihren gesundheitsdaten<br />
erleichtert. Elga steht für<br />
»elektronische gesundheitsakte«.<br />
ELGA startet …<br />
… schrittweise ab Dezember<br />
<strong>2015</strong> in öffentlichen spitälern<br />
der steiermark und Wien. Zug<br />
um Zug nehmen danach weitere<br />
Krankenhäuser in den anderen<br />
Bundesländern an Elga<br />
teil. Kassen ordinationen und<br />
apotheken folgen. Zunächst<br />
werden Entlassungs briefe,<br />
labor- und Radiologie befunde<br />
von den spitälern über Elga<br />
verfügbar gemacht. sobald es<br />
dann Elga-Befunde von ihnen<br />
gibt, können sie diese Befunde<br />
auch selbst online abrufen.<br />
EntgE ltlichE Einschaltung<br />
ELGA bringt …<br />
… mehr Zeit, Überblick und erspart Mehrfachuntersuchungen. in ihre persönliche<br />
Elga gelangen sie über das Elga-Portal auf www.gesundheit.gv.at nach<br />
anmeldung mit handysignatur oder Bürgerkarte. Dort können sie ihre eigenen<br />
Befunde einsehen, ausdrucken oder abspeichern. Egal, wann und egal, wo<br />
sie gerade sind. auch ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte, spitäler und<br />
Pflegeeinrichtungen erhalten mit Elga rasch wichtige informationen für<br />
Diagnose und therapie. somit leistet die elektronische gesundheitsakte Elga<br />
einen wertvollen Beitrag zur Erhöhung der Patientensicherheit.<br />
Für allgemeine Fragen und Fragen zur Elga-teilnahme steht ihnen die Elga-serviceline<br />
unter der telefonnummer 050 124 4411 werktags von Montag bis Freitag von 07.00 – 19.00<br />
uhr zur Verfügung. Weitere informationen erhalten sie online unter www.gesundheit.gv.at<br />
(Zugang Elga-Portal) oder unter www.elga.gv.at.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 23
almanah<br />
Wir<br />
stehen<br />
erst am<br />
Anfang<br />
Flüchtlingsstrom<br />
reduzieren, Menschen,<br />
die da sind, integrieren.<br />
Das sind die Ziele, die<br />
wir 2016 verfolgen. Ein<br />
Gastkommentar von<br />
Sebastian Kurz.<br />
Österreich stand <strong>2015</strong> ganz im Zeichen<br />
der Flüchtlingskrise. Dabei<br />
geht es mir um zwei Ziele: Einerseits<br />
müssen wir den Flüchtlingsstrom<br />
reduzieren, andererseits die Menschen, die<br />
nun da sind, integrieren. Denn neben hunderttausenden<br />
Transitflüchtlingen suchten<br />
rund 80.000 bis 90.000 Menschen in Österreich<br />
um Asyl an. Es ist davon auszugehen,<br />
dass davon rund die Hälfte langfristig in<br />
Österreich bleiben wird. Und hier dürfen<br />
wir keinesfalls die Fehler der Vergangenheit<br />
wiederholen und die Menschen sich<br />
selbst überlassen. Frühzeitige Integrationsmaßnahmen,<br />
vor allem im Bereich der<br />
Arbeitsmarktintegration, der schnellstmögliche<br />
Spracherwerb und eine Vermittlung<br />
der österreichischen Grundwerte sind<br />
entscheidend.<br />
Die Rahmenbedingungen für eine<br />
erfolgreiche Integration sind heute aber<br />
besser als bei früheren Migrationen.<br />
Österreich hat aus seinen Erfahrungen<br />
und seinen Fehlern aus der Vergangenheit<br />
gelernt und verfügt nunmehr über einen<br />
Plan und über Strukturen, um Flüchtlingen<br />
in Österreich ein selbstbestimmtes Leben<br />
zu ermöglichen. Wir müssen jedoch auch<br />
klar festhalten, dass diese Strukturen<br />
derzeit an ihre Grenzen stoßen. Sollte<br />
der Flüchtlingsstrom im Frühling wieder<br />
anwachsen und keine gesamteuropäische<br />
Lösung gefunden werden, würde die<br />
Aufnahme- und Integrationsfähigkeit<br />
Österreichs überfordert werden. Und wir<br />
müssen sehen, dass schon jetzt die Integration<br />
eine riesige Herausforderung sein<br />
wird. Allein die Arbeitsmarktintegration<br />
wird angesichts der Qualifikationsstruktur<br />
der Flüchtlinge alles andere als leicht. Im<br />
AMS rechnet man, dass in den kommenden<br />
fünf Jahren nur 50 Prozent der Flüchtlinge<br />
einen Job bekommen werden. Im Spracherwerb<br />
müssen wir das Angebot steigern.<br />
Im letzten Jahr haben wir die Mittel von<br />
40 Millionen für rund 30.000 Deutschkursplätze<br />
auf über 50 Millionen für rund<br />
50.000 Plätze steigern können. Darüber<br />
hinaus kommen viele Menschen aus<br />
anderen Kulturkreisen. Ich betone, dass das<br />
überhaupt nicht heißt, dass sie schlechte<br />
Menschen sind, darüber sagt das nichts<br />
aus. Aber es heißt einfach nur, dass sie aus<br />
Kulturkreisen kommen, die von anderen<br />
Anschauungen oder Werten geprägt sind.<br />
Wir werden daher Werteschulungen bzw.<br />
Orientierungskurse machen, in denen<br />
„Wir müssen klar<br />
festhalten, dass unsere<br />
Strukturen derzeit an<br />
ihre Grenzen stoßen.“<br />
Geschichte, Geographie und Grundwerte<br />
wie Demokratie, Rechtsstaat oder Gleichberechtigung<br />
näher gebracht werden.<br />
Ich plädiere dabei dafür, dass wir<br />
zusätzlich jetzt einen Schritt weiter gehen<br />
als bisher, hin zu einer Integrationspflicht.<br />
Es ist zwar davon auszugehen, dass die<br />
Masse der Leute, die zu uns gekommen<br />
ist, bereit ist, sich zu integrieren. Aber wir<br />
müssen trotzdem die Integration als Pflicht<br />
24<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
einfordern, in den Bereichen Sprache,<br />
Arbeit und Werte. Wer nicht bereit ist, die<br />
Sprache zu lernen, Arbeitsbereitschaft zu<br />
zeigen oder Wertkurse zu machen, dem soll<br />
als Sanktion die Mindestsicherung gekürzt<br />
werden.<br />
Das zweite große Thema, das uns derzeit<br />
beschäftigt, ist die Prävention von Radikalisierung.<br />
Neben erforderlichen restriktiven<br />
Maßnahmen durch Polizei und Justiz<br />
bei Verherrlichung von oder Mitwirkung<br />
an terroristischen Aktivitäten braucht<br />
Außen- und<br />
Integrationsminister<br />
Sebastian Kurz sieht im<br />
politischen Islam die<br />
wahre Herausforderung:<br />
„Bei dieser Aufgabe<br />
stehen wir erst am<br />
Anfang.“<br />
Die Ablehnung<br />
unserer Gesellschaft<br />
und unserer Werte<br />
dürfen nicht toleriert<br />
werden.“<br />
es langfristige Präventionsmaßnahmen.<br />
Österreich hat hier in den vergangenen<br />
Monaten gute Arbeit geleistet und eine<br />
Vielzahl an Programmen implementiert.<br />
Ganz wichtig ist für mich aber, dass wir<br />
ganz klar und strikt trennen müssen.<br />
Zunächst den Islam als Religion, für den<br />
selbstverständlich die Religionsfreiheit<br />
entlang weltlicher Gesetze in Österreich<br />
gilt und wo wir uns um den Dialog<br />
und das Zusammenleben der Religionen<br />
bemühen. Davon ganz klar zu trennen sind<br />
Terror und Jihadismus, hier geht es um<br />
Verbrechen und Kriminalität als Aufgaben<br />
für Verfassungsschutz, Polizei oder gar<br />
Militär. Es gibt aber noch einen dritten<br />
Bereich, der stärker in den Fokus geraten<br />
soll: Der politische Islam, der Islamismus.<br />
Hier handelt es sich weder um Religion<br />
noch um Terror, sondern um eine politische<br />
Bewegung, wo die Trennung zwischen<br />
Scharia und weltlichem Gesetz nicht mehr<br />
deutlich ist und wo wir die Augen vor realen<br />
Problemen nicht verschließen werden.<br />
Die Ablehnung unserer Gesellschaft und<br />
unserer Werte, die Abwertung anderer<br />
Religionen und die bewusste Abschottung<br />
dürfen nicht toleriert werden. Bei dieser<br />
Aufgabe stehen wir erst am Anfang. <br />
Zach - Kiesling Roman / Verlagsgruppe News / picturedesk.com<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 25
almanah<br />
mtazamo<br />
Perspektive auf swahili<br />
26<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
MARKT & KARRIERE<br />
Kinder von Akademikern werden Akademiker, Kinder von Arbeitern<br />
bleiben Arbeiter. Laut OECD-Berichten ist der soziale Aufstieg fast<br />
nirgends so schwer wie in Österreich. Der Migrationshintergrund<br />
spielt dabei nach wie vor eine entscheidende Rolle. Drei Migranten der<br />
zweiten Generation erzählen, wie sie den Aufstieg dennoch geschafft<br />
haben und Österreichs Spitzenmanager erklären, was Politik und<br />
Wirtschaft tun müssen, damit dies den neu ankommenden Flüchtlingen<br />
auch gelingt.<br />
S. 28–30<br />
AUFSTIEG DER ARBEITERKINDER<br />
Soziale Ungleichheit ist nach wie vor ein großes Thema<br />
in Österreich. Dabei wäre vor allem in Bezug auf Bildung<br />
Chancengleichheit entscheidend. Drei Arbeiterkinder<br />
erzählen, wie hart sie sich ihren sozialen Aufstieg<br />
erkämpfen mussten.<br />
S. 32-36<br />
WIRTSCHAFT FÜR FLÜCHTLINGE<br />
„Die Wirtschaft spielt eine wesentliche Rolle bei der Integration<br />
– durch Arbeits- und Ausbildungsplätze.“ Gerhard<br />
Drexel von SPAR und andere Top-Manager erzählen,<br />
wie ihre Unternehmen Flüchtlingen helfen.<br />
Zoe Opratko, Spar<br />
S. 38-39<br />
ARBEIT FÜR ASYLWERBER<br />
Károly Pataki vom Personaldienstleistungsunternehmen<br />
Trenkwalder ist dafür, dass Asylwerber sofort arbeiten<br />
sollen. Deutschkenntnisse sind für ihn nicht in jeder<br />
Branche zwingend.
almanah<br />
Der Aufstieg der<br />
Arbeiterkinder<br />
Laut OECD-Berichten ist die Chance<br />
auf den sozialen Aufstieg fast nirgends<br />
so gering wie in Österreich. Natasa<br />
(15), Melisa (24) und Halil Ibrahim<br />
(27) haben es trotzdem geschafft. Drei<br />
Arbeiterkinder über ihren Aufstieg.<br />
T E X T :<br />
Melisa Erkurt<br />
Es ist seit Jahren bekannt und wird trotzdem ignoriert. Bildung<br />
wird in Österreich praktisch „vererbt“. Die Kinder von<br />
Akademikern werden in der Regel Akademiker. Die Kinder<br />
von Arbeitern bleiben oft Arbeiter. Das heimische Bildungssystem<br />
schafft es aufgrund jahrzehntelanger Versäumnisse<br />
nicht, die sozialen Unterschiede auszugleichen und wirkliche<br />
Chancengleichheit zu garantieren. Oft ist es eine einzelne<br />
und engagierte Lehrerin, die über den Bildungsweg eines<br />
Flüchtlingskindes entscheidet, so wie im Fall von biber-Redakteurin<br />
Melisa. Oder es ist einfach der innere Antrieb, sich<br />
nach oben zu boxen – auch gegen den Willen der Eltern, wie<br />
bei Schülerin Natasa oder Master-Student Halil Ibrahim.<br />
Es ist Zeit für einen Neustart im Bildungssystem. Damit die<br />
Zukunft jedes Kindes gefördert und in keinem einzigen Fall<br />
blockiert wird.<br />
28<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Marko Mestrović, Philipp Tomsich<br />
„Meine Eltern<br />
konnten nie in der<br />
Schule helfen.“<br />
Meine Mama ist Putzfrau und mein Vater<br />
Fensterreiniger. 2005 kam mein Vater nach<br />
Österreich. Meine Mutter, Schwester und<br />
ich folgten ein Jahr später. Ich kam direkt<br />
in die Volksschule, obwohl ich kein Wort<br />
Deutsch konnte. Doch ich lernte fleißig,<br />
denn meine Eltern hatten schon genug<br />
Sorgen, ich wollte sie mit meinen guten<br />
Noten glücklich machen. Meine Eltern<br />
konnten mir nie bei der Hausübung helfen,<br />
wie die Eltern meiner Klassenkollegen. Ich<br />
machte immer alles alleine. Wenn meine<br />
Mama erschöpft nach Hause kam, eilte ich<br />
ihr entgegen, um ihr die Sachen abzunehmen.<br />
Sie war so müde und hatte keine Kraft<br />
sich meine Geschichten aus der Schule<br />
anzuhören.<br />
Ich war ein sehr ehrgeiziges Kind, ging<br />
von der Schule immer direkt nach Hause,<br />
um zu lernen. In der Schule wurde ich<br />
deswegen gemobbt und als Klugscheißerin<br />
beschimpft, weil ich gerne Fremdworte<br />
verwendete, die sie gar nicht<br />
kannten. Unser Vermieter hatte uns sein<br />
volles Bücherregal dagelassen, daraus<br />
nahm ich mir meinen Lesestoff und die<br />
ganzen neuen Wörter. Ich meldete mich<br />
auch alleine in der Bibliothek an, meine<br />
Eltern hatten keine Zeit dafür.<br />
Ich begann zusätzlich Klavier zu<br />
spielen und träumte von einem weißen<br />
Piano. Doch leider reichte das Geld nach<br />
sechs Jahren Klavierunterricht nur für<br />
ein elektrisches Wandpiano um 450<br />
Euro.<br />
Meinem Vater geht es auch nicht so<br />
gut, er kommt von der Baustelle, wo<br />
er zurzeit arbeitet, immer kaputt nach<br />
Hause und haut sich vor den Fernseher.<br />
Er hat keine Zeit für uns Kinder. Ich<br />
beneide meine Klassenkollegen, deren<br />
Eltern auf Schulausflüge mitkommen<br />
und sich mit ihnen am Esstisch über<br />
Politik unterhalten.<br />
Auf Elternabenden schäme ich mich<br />
für das Deutsch und die Berufe meiner<br />
Eltern. Ich merke, wie genervt die Lehrer<br />
werden, wenn sie mit ihnen reden.<br />
Meine Eltern lesen eher serbische<br />
Zeitungen, ich dagegen bin immer<br />
überglücklich, wenn jemand den<br />
Standard in der U-Bahn liegen lässt<br />
oder wir ihn in der Schule ausgeteilt<br />
bekommen. Ich liebe es, Zeitungen zu<br />
lesen. Vielleicht werde ich später sogar<br />
Journalistin. Mein Vater ist von dieser<br />
Idee nicht begeistert, er möchte, dass ich<br />
nach der Schule gleich arbeiten gehe und<br />
die Familie finanziell unterstütze. Er<br />
sagt, wir sollen froh sein, mit dem was<br />
wir haben. Aber ich will mehr.<br />
Natasa Stojanović (15), Schülerin am<br />
Gymnasium Henriettenplatz<br />
„Ich beneide<br />
Klassenkollegen,<br />
die sich mit ihren<br />
Eltern über Politik<br />
unterhalten.“<br />
Natasa (15)<br />
„Viel lernen ist<br />
nichts für dich.“<br />
Ich kam mit zwei Jahren nach Österreich.<br />
Im Kindergarten sprach ich kein Wort, weil<br />
ich verängstigt war: geflohen aus dem Bosnienkrieg<br />
in ein völlig neues Leben. Die<br />
Kindergärtnerinnen dachten schon damals,<br />
aus mir würde nichts werden. In der Volksschule<br />
blieb ich weiterhin das schüchterne<br />
Mädchen, alle dachten, ich könnte<br />
nicht gut genug Deutsch, dabei lernte ich<br />
zuhause das Findefix Wörterbuch auswendig,<br />
ich kannte jedes Wort, ich war einfach<br />
nur zurückhaltend. In der vierten Klasse<br />
mussten sich meine Eltern entscheiden:<br />
Gymnasium oder Hauptschule. „Hauptschule“,<br />
sagte mein Vater: „Viel lernen ist<br />
nichts für dich.“<br />
Doch meine Volksschullehrerin riet<br />
meiner Mutter, mich im Gymnasium<br />
anzumelden, sie sah Potential in mir. Sie<br />
hat mir damit meine Zukunft gerettet.<br />
Im Gymnasium bekam ich eine Drei<br />
auf die erste Deutschschularbeit. Ich<br />
weinte den ganzen Nachhauseweg.<br />
Deutsch war mein Lieblingsfach, ich<br />
tat in meiner Freizeit nichts anderes<br />
als zu lesen und zu schreiben. Vielleicht<br />
hätte ich auf meinen Vater hören sollen,<br />
vielleicht war das alles wirklich nichts<br />
für mich.<br />
In meiner ganzen Klasse waren<br />
Kinder, deren Eltern Anwälte, Architekten<br />
und Oberärzte waren. Mein Vater war<br />
Reifenhändler und meine Mutter hatte<br />
eine Lehre als Apothekerin abgeschlossen.<br />
Wir haben eine Wohnung, in der<br />
man jedes Geräusch hört. Beim Lernen<br />
und Hausübungen schreiben stopfte ich<br />
mir Ohropax rein, um den Fernseher im<br />
Wohnzimmer nicht zu hören. In meiner<br />
Freizeit habe ich nur gelesen. Mein Vater<br />
wurde wütend, wenn er mich vertieft in<br />
meine Bücher sah. „Lern lieber etwas<br />
Nützliches! Was willst du mit den<br />
Büchern, damit kannst du keine Miete<br />
bezahlen!“ Er versteckte meine Bücher,<br />
ich las heimlich in der Bibliothek. Lesen<br />
war für ihn Zeitverschwendung. Er<br />
selbst hat in seinem Leben vielleicht<br />
fünf Bücher gelesen.<br />
‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 29
almanah<br />
„Ich stopfte mir beim<br />
Lernen Ohropax rein,<br />
um den Fernseher<br />
nicht zu hören.“<br />
Melisa (24)<br />
Ich verfasse gerade meine Magisterarbeit<br />
in Neuerer Deutscher Literatur und<br />
arbeite für biber. Mit Lesen und Schreiben<br />
zahle ich tatsächlich meine Miete,<br />
Papa.<br />
Melisa Erkurt (24), angehende Deutsch-<br />
Lehrerin und biber-Redakteurin<br />
Doch dass Lesen sich lohnt, bewies<br />
mein Zeugnis: Ich hatte nur Einsen und<br />
gehörte in einer sehr leistungsstarken<br />
Klasse zu den Besten. Dass ich anders als<br />
meine Klassenkollegen war, zeigte sich<br />
nur an Elternsprechtagen und Schulfeiern.<br />
Acht Jahre lang kam nur meine<br />
Mutter. Mein Vater hat mein Gymnasium<br />
noch nie von innen gesehen. Er kam<br />
nicht einmal zur Maturafeier. Er sprach<br />
schlecht Deutsch, er fühlte sich dort<br />
nicht wohl, das war nicht seine Welt.<br />
Doch Bildungsinstitutionen waren<br />
total meine Welt. Die Schule war mein<br />
Lieblingsort. Als ich maturierte, wusste<br />
ich, ich werde wieder zurückkommen.<br />
An der Uni tat ich mir leicht, arbeitete<br />
nebenbei, ich musste mir mein Studium<br />
selbst finanzieren – schließlich war es<br />
meine Entscheidung gewesen auf die Uni<br />
zu gehen. Dieses Jahr habe ich mit 24<br />
mein Deutsch, Psychologie und Philosophie<br />
Lehramtsstudium abgeschlossen.<br />
„Mein Vater war so<br />
kaputt, dass er mein<br />
Maturazeugnis nicht<br />
einmal anschaute.“<br />
Mein Vater ist Fernfahrer und kommt<br />
nur alle zwei Wochen nach Hause, meine<br />
Mutter ist Hilfsarbeiterin und arbeitet ab<br />
sechs Uhr in der Früh. Als Kind habe ich in<br />
einem kleinen Dorf in Niederösterreich am<br />
Feld mitgearbeitet. Die Arbeit war hart und<br />
ich wusste, ich muss zur Schule gehen, um<br />
irgendwann einen besseren Job zu bekommen.<br />
Ich hatte gute Noten, nur in Deutsch<br />
tat ich mir schwer. Ich schaffte es von<br />
der Hauptschule in die HTL, fuhr jeden<br />
Morgen eineinhalb Stunden zur Schule.<br />
Ich schrieb 15 Bewerbungen für Pflichtpraktika<br />
und bekam keine einzige<br />
Zusage. Mein Name war ausländisch und<br />
meine Eltern hatten keine Connections.<br />
Ich wusste, um die fehlenden Praktika<br />
auszugleichen, musste ich gute Noten<br />
schreiben und tatsächlich maturierte ich<br />
mit ausgezeichnetem Erfolg.<br />
Zu meiner Maturafeier kam nur mein<br />
Bruder, meine Eltern mussten arbeiten.<br />
Mein Vater legte eine Pause an einer<br />
Tankstelle ein und ich eilte zu ihm, um<br />
ihm mein Maturazeugnis zu zeigen.<br />
Mein Vater war so kaputt, dass er mein<br />
Maturazeugnis nicht einmal anschaute<br />
und gleich zur Seite legte. Von da an<br />
wusste ich: Ich muss das für mich selbst<br />
machen und nicht für die Anerkennung<br />
anderer.<br />
Als ich nach Wien ging, um mich an<br />
der Technischen Universität zu inskribieren,<br />
hatten meine Eltern keine<br />
Ahnung, was das bedeutete. Meine<br />
Mutter war besorgt, sie sagte, dass ich<br />
mir das gut überlegen sollte. Ich suchte<br />
mir im Alleingang eine Wohnung und<br />
meine Eltern realisierten die ersten<br />
paar Monate gar nicht, was ich da jetzt<br />
eigentlich in Wien machte. Hier kannte<br />
ich niemanden, hatte anfangs keinen<br />
einzigen Freund. Auch musste ich mir<br />
mein Studium selbst finanzieren, arbeitete<br />
Teilzeit, im Sommer immer Vollzeit.<br />
Trotz Bachelor in Maschinenbau, glaubt<br />
mein Vater nicht, dass ich mich in<br />
meinem Gebiet auskenne: „Was weißt<br />
du schon, du bist nur Student“, sagt er,<br />
wenn ich von meinem Schwerpunkt, der<br />
Energietechnik, erzähle.<br />
Zurzeit schreibe ich an meiner<br />
Masterarbeit über alternative Energie<br />
und möchte danach in die Forschung.<br />
Ich bin der Erste aus meiner Familie mit<br />
Uniabschluss. Mit Titel werde ich hierzulande<br />
viel besser behandelt als meine<br />
Eltern. Ich werde auch viel weniger als<br />
meine Eltern arbeiten müssen, aber<br />
deutlich mehr verdienen. Mein erstes<br />
Gehalt werde ich meiner Mutter geben,<br />
das habe ich ihr damals versprochen.<br />
Dann werden meine Eltern auch sehen,<br />
dass sich studieren gelohnt hat.<br />
Halil Ibrahim Candeğer (27),<br />
Masterstudent an der TU<br />
Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />
Juni-Ausgabe <strong>2015</strong><br />
30<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Jetzt Green Points App herunterladen und Umweltprojekte fördern.<br />
Informationen zum Projekt unter oebb.at/greenpoints<br />
Paradies für Amphibien ist ein gemeinsames Projekt von ÖBB und WWF Österreich.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 31
almanah<br />
„Wir packen<br />
mit an“<br />
Gratis-WLAN-Zugang,<br />
Rechtsberatung,<br />
Lehrstellen und Millionen<br />
an Spenden. Österreichs<br />
Konzerne haben in der<br />
Flüchtlingskrise Flagge<br />
gezeigt und Flüchtlingen<br />
schnell und unbürokratisch<br />
geholfen. Top-Manager<br />
geben Auskunft über ihre<br />
Beweggründe, konkreten<br />
Projekte und was die Politik<br />
jetzt tun sollte.<br />
T E X T :<br />
Melisa Erkurt<br />
Andreas Bierwirth<br />
CEO T-Mobile<br />
„Als internationales<br />
Unternehmen ist T-Mobile seit<br />
jeher Chancengleichheit und<br />
Diversität in der Personalpolitik<br />
verpflichtet, für Menschen jeder<br />
Herkunft. Die Menschen, die<br />
in den letzten Monaten zu uns<br />
geflüchtet sind, sind auch ein<br />
Teil der Zukunft unseres Landes.<br />
Wir unterstützen daher nicht nur<br />
seit 2010 jugendliche Flüchtlinge<br />
bei ihrer Suche nach Lehrplätzen, sondern haben<br />
vor einigen Monaten eine große Hilfsaktion namens<br />
#ConnectRefugees gestartet. Mit rund 50.000 Euro<br />
zur Schaffung dringend benötigten Wohnraums für<br />
asylsuchende Menschen sowie mit unentgeltlichen<br />
Internetverbindungen für Flüchtlingsquartiere ebenso<br />
wie für Smartphones unterstützt T-Mobile Austria<br />
die Flüchtlingshilfe der Caritas. Mehrere hundert<br />
Internetanschlüsse mit WLAN-Zugang werden von der<br />
Caritas in Wohnquartieren in ganz Österreich eingesetzt<br />
werden. Darüber hinaus fördert T-Mobile auch das<br />
freiwillige Engagement seiner Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter durch einen Sonderurlaubstag. Zusätzlich<br />
unterstützen wir die „hallo App Deutsch“. Mit diesen<br />
kostenfreien Deutsch-Lernapps können Kinder auf<br />
Smartphones und Tablets schnell den Grundwortschatz<br />
der deutschen Sprache aufbauen.“<br />
Wolfgang Eder<br />
Vorstandvorsitzender<br />
der voestalpine AG<br />
„Als international tätiger Konzern<br />
sehen wir es als Teil unserer<br />
Verantwortung angesichts der<br />
Flüchtlingskatastrophe aktiv Hilfe<br />
zu leisten – wir unterstützen<br />
daher Maßnahmen in den am<br />
stärksten betroffenen Ländern<br />
im Nahen Osten als auch bei<br />
uns in Österreich. Neben der<br />
Ersthilfe sehen wir den größten<br />
Handlungsbedarf in den Bereichen Bildung und<br />
Integration junger Menschen. Die Eingliederung von<br />
Asylwerbern muss beschleunigt werden, denn wir<br />
können es uns einfach nicht leisten, drei oder vier Jahre<br />
lang zu warten, sie in den Arbeitsprozess zu bringen.“<br />
Handlungsbedarf<br />
bei Bildung und<br />
Integration junger<br />
Menschen<br />
32<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Frank Hensel<br />
Vorstandsvorsitzender der<br />
REWE International AG<br />
„Die Flüchtlingssituation kann Unternehmen<br />
nicht kalt lassen. Die Wirtschaft muss ihrer<br />
Verantwortung nachkommen und nach ihren<br />
Möglichkeiten mit anpacken. Wir haben uns<br />
nach Gesprächen mit der Caritas entschlossen,<br />
die Unterbringung und Begleitung von Kindern<br />
und jugendlichen Flüchtlingen zu finanzieren -<br />
mit einer Spende von 500.000 Euro. Das ist für<br />
uns ein logischer nächster Schritt, nachdem wir<br />
seit 5 Jahren gemeinsam mit der Caritas und<br />
der WU jungen Flüchtlingen die Chance auf Bildung und Integration<br />
im Rahmen der Initiative ‚Lernen macht Schule‘ geben. Mittelfristig<br />
wird es vor allem darum gehen, wie man Flüchtlinge – durch Bildung<br />
und Beschäftigung – an unserer Gesellschaft teilhaben lassen kann.<br />
Als einer der größten Arbeitgeber und Ausbildner des Landes ist es<br />
unsere Verantwortung, Lehrstellen für junge Flüchtlinge – natürlich<br />
jene die das möchten – zur Verfügung zu stellen. Angesichts der<br />
neuen Situation haben wir die Erfahrungen unserer Handelsfirmen<br />
genutzt, um das Angebot zu intensivieren. Per 30. November haben<br />
18 Flüchtlinge eine Lehrstelle bei uns angetreten, sie sind erfolgreich<br />
aus einem umfassenden Rekrutierungsprozess hervorgegangen.“<br />
Lehrstellen für<br />
Flüchtlinge<br />
Peter Bucher<br />
CEO Western Union International Bank<br />
Foto Wilke, T-Mobile, voestalpine, REWE<br />
Hilfe in den<br />
Krisengebieten<br />
„Das Thema Migration liegt uns sehr am Herzen:<br />
Einerseits sind viele unserer Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter selbst Migrantinnen bzw. Migranten,<br />
genauso wie der überwiegende Teil unserer Kundinnen<br />
und Kunden. Deshalb unterstützen wir eine Reihe<br />
unterschiedlicher Aktivitäten. In Österreich sind<br />
dies etwa von der Caritas geleitete Wohnprojekte für<br />
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Deutschkurse<br />
oder die Initiative ‚Vielfalter for refugees‘. Besonders<br />
wichtig ist es uns, nachhaltig zu helfen. Konkret sind<br />
zudem folgende Punkte entscheidend: Europa muss<br />
die Menschen in ihren Heimatländern oder den umliegenden Ländern<br />
unterstützen. Hilfe vor Ort bedeutet, dass Menschen in ihrer Region bleiben<br />
können und nicht die gefährliche Wanderschaft nach Europa antreten müssen.<br />
Zweitens muss Europa die Einwanderer schnellstens integrieren. Das<br />
heißt auch, den Menschen und nicht seine Herkunft in den Fokus zu<br />
stellen. Erfolgreich integrierte Einwanderer stellen schon aus demographischen<br />
Gründen eine große Chance dar. Plus: Etwa drei von vier unserer<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit haben einen Migrationshintergrund<br />
– und wir sehen täglich, wie dies unser Unternehmen bereichert.“<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 33
almanah<br />
Andreas Schmidlechner<br />
Geschäftsführer McDonald’s Österreich<br />
Arbeitsplätze<br />
schaffen<br />
„Für uns ist es seit jeher selbstverständlich,<br />
Integration im Alltag zu leben. Bei McDonald’s<br />
Österreich arbeiten Menschen aus 60, 70<br />
unterschiedlichen Nationen, und diese Vielfalt<br />
bereichert unser Arbeiten jeden Tag. Integration<br />
heißt für mich, dass wir als Wirtschaft durch<br />
das Angebot von Arbeitsplätzen und durch<br />
eine pragmatische Unterstützung im Alltag<br />
dazu beitragen, dass sich Menschen, die nach<br />
Österreich kommen, hier schnell zu Hause<br />
und zugehörig fühlen. Es geht darum, im<br />
täglichen Leben Integration zu unterstützen. Daher engagieren wir<br />
uns auch seit vielen Jahren im Verein Wirtschaft für Integration und<br />
unterstützen die Initiative „Zusammen Österreich“. Für uns zählt<br />
nicht, woher jemand kommt. Sondern, dass jemand Interesse und<br />
Leidenschaft für eine Aufgabe mitbringt und ein Teamworker ist.<br />
Dann bieten wir bei uns jede Möglichkeit, auch einen sehr schnellen<br />
Aufstieg ins Management.<br />
Ich denke, dass das auch die Aufgabe der Politik ist:<br />
Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Menschen in Österreich<br />
schnell eine Möglichkeit zur Integration finden, und dass<br />
Unternehmen diese Möglichkeiten auch bieten können.“<br />
Peter Huber<br />
Managing Partner CMS Austria<br />
„Die vergangenen Monate haben gezeigt,<br />
welch große Bedeutung das Recht auf<br />
Menschlichkeit hat. Gemeinsam ist es<br />
der Bevölkerung, sozialen Einrichtungen<br />
und Österreichs Wirtschaft gelungen, die<br />
in Österreich Hilfe suchenden Menschen<br />
schnell und unkompliziert zu versorgen<br />
sowie mit Respekt und Wärme aufzunehmen.<br />
Wie viele andere Unternehmen hat sich<br />
auch unsere Rechtsanwaltssozietät neben<br />
Sach- und Geldspenden dazu entschieden,<br />
Zeit zu spenden und mehr als 300 Stunden kostenloser Vor-Ort-<br />
Rechtsberatung für Flüchtlinge auf den Wiener Bahnhöfen zu<br />
leisten. Langfristig betrachtet müssen jedoch auch sensible Fragen<br />
betreffend das Recht auf Arbeit, das Recht auf Sozialleistungen und<br />
das Recht auf Bildung beantwortet werden. Letzteres versuchen<br />
wir bei CMS, durch gezielte Unterstützung von Einzelinitiativen in<br />
den Mittelpunkt zu rücken. So sehen wir in Stipendienprogrammen<br />
wie „START“ große Chancen: START ermöglicht engagierten<br />
Jugendlichen mit Migrationshintergrund den Maturaabschluss<br />
und bietet den Stipendiaten am Weg dorthin materielle und ideelle<br />
Förderung durch persönliche Betreuung.“<br />
Unterstützung von<br />
Einzelinitiativen<br />
McDonalds, CMS Austria<br />
34<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 35
almanah<br />
Gerhard Drexel<br />
Vorstandsvorsitzender Spar<br />
„Wir befinden uns in einer Zeit großer<br />
Umbrüche, die bei vielen Menschen<br />
große Verunsicherung hervorruft. Viele<br />
erleben den Einfluss anderer Kulturen als<br />
Bedrohung. Damit müssen wir uns auseinandersetzen,<br />
um in Zukunft miteinander<br />
gut leben zu können. Die – zugegeben<br />
schwierige – Aufgabe von Politik ist es, zu<br />
ermöglichen, dass ein Miteinander von<br />
Einheimischen und neu Angekommenen gut<br />
möglich ist. Neben einer Erstversorgung<br />
von Flüchtlingen und einer akzeptablen Unterbringung, muss<br />
dafür gesorgt sein, dass sich die neuen ÖsterreicherInnen gut<br />
und schnell integrieren können. Das kann man nicht einfach nur<br />
erwarten, dafür müssen die Bedingungen geschaffen werden. Hier<br />
gilt: Weg mit zu viel Bürokratie – hin zu flexiblen Möglichkeiten.<br />
Die Wirtschaft wiederum kann direkt helfen. SPAR hat die Caritas<br />
mit einem hohen Geldbetrag unterstützt und vielen, vielen<br />
Projekten bei der Flüchtlingsbetreuung geholfen. Die Wirtschaft<br />
spielt eine wesentliche Rolle bei der Integration - durch Arbeitsund<br />
Ausbildungsplätze. Ein gutes Beispiel ist die SPAR-Akademie:<br />
Jugendliche aus 36 Ländern, mit 32 Sprachen und 12 Religionen<br />
werden hier für den Lebensmittelhandel ausgebildet. Das von<br />
SPAR entwickelte Lehrfach „Interkulturelles Miteinander“ könnte<br />
ein Lehrbeispiel darstellen, wie gemeinsames Leben funktionieren<br />
kann.“<br />
Interkulturelles<br />
Miteinander<br />
lehren<br />
Davor Sertic<br />
Spartenobmann Transport und Verkehr<br />
Deutschkurse<br />
während des<br />
Asylverfahrens<br />
„Die aktuelle Flüchtlingssituation<br />
betrifft uns alle und wir müssen<br />
die Problematik aus der Warte aller<br />
Beteiligten sehen. In Wien herrscht<br />
zurzeit eine Rekordarbeitslosigkeit.<br />
Eine generelle Öffnung der Grenzen<br />
würde die enorm angespannte<br />
Situation am Arbeitsmarkt massiv<br />
verschlechtern. Wir sehen aber<br />
durchaus den Personalbedarf in<br />
Mangelberufen, wo wir sinnvoll das<br />
Arbeitskräftepotential von Flüchtlingen nützen sollten.<br />
Ganz im Sinne eines Integrationsprozesses wäre es<br />
wichtig, Deutschkurse bereits während des Asylverfahrens<br />
anzubieten und Talente-Screenings zur Erkennung der<br />
Qualifikationen durchzuführen.“<br />
SPAR, WKO<br />
36<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
mehr<br />
w en<br />
zum<br />
leben.<br />
Ihre Lebensqualität ist<br />
unsere Aufgabe.<br />
Kultur, Immobilien, Logistik, Medien und Umwelt:<br />
Die Wien Holding schafft Lebensqualität für unsere<br />
Stadt. 365 Tage im Jahr zu jeder Zeit an jedem Ort.<br />
Für alle Wienerinnen und Wiener.<br />
www.wienholding.at<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 37
almanah<br />
INTERVIEW:<br />
Karoly Pataki<br />
„Nicht nach Herkunft<br />
differenzieren.“<br />
Das Personaldienstleistungs<br />
unternehmen<br />
Trenkwalder vermittelt<br />
Arbeitskräfte an Unternehmen.<br />
CEO Karoly Pataki<br />
über die Integration von<br />
Flüchtlingen, wie viel<br />
Deutsch im Job notwendig<br />
ist und warum Asylwerber<br />
sofort arbeiten sollten.<br />
TEXT:<br />
Onur Kas<br />
F O T O :<br />
Zoe Opratko<br />
38<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Herr Pataki, die Arbeitslosigkeit ist auf dem<br />
höchsten Stand seit Bestehen der Zweiten<br />
Republik. Glauben Sie, dass Flüchtlinge in<br />
dieser schwierigen Zeit in den Arbeitsmarkt<br />
integriert werden können?<br />
Da Österreich an der Grenze zum Osten<br />
liegt, hat es insbesondere nach der Wende<br />
von den Ostmigranten profitiert. Es handelt<br />
sich um hochqualifizierte Leute, die zum<br />
größten Teil unter ihrem Niveau beschäftigt<br />
sind. Das sind Uniabsolventen, die als<br />
Kebabverkäufer oder Taxifahrer arbeiten.<br />
Bei den Flüchtlingen muss man sich erst<br />
Mal fragen, wo es glaubwürdige Statistiken<br />
über ihre Qualifikationen gibt. Diejenigen,<br />
die in Österreich einen Asylantrag stellen,<br />
müssen für einen Kompetenzcheck herangezogen<br />
werden.<br />
Viele ÖsterreicherInnen befürchten durch den<br />
Zuzug von weiteren Flüchtlingen die Verschärfung<br />
der Arbeitsmarktsituation und den daraus<br />
resultierenden Verdrängungswettbewerb.<br />
Es wird eher im unteren Arbeitsmarktsektor<br />
zu einem Verdrängungswettbewerb<br />
kommen, weil es dort an Deutschkenntnissen<br />
fehlt. Festzuhalten ist aber: Wenn<br />
Flüchtlinge nach Österreich kommen,<br />
die einen positiven Asylbescheid erlangen,<br />
werden sie sicherlich in den ersten<br />
Monaten Arbeitslos sein. Solange sie keine<br />
Deutschkenntnisse haben, bekommen sie<br />
auch keine Beschäftigungsbewilligung.<br />
Was ist mit heimischen hochqualifizierten<br />
Arbeitskräften? Müssen die sich vor einem<br />
syrischen Arzt oder Ingenieur fürchten?<br />
Nur dann, wenn sie sich nicht weiterbilden.<br />
Hier darf man nicht nach der Herkunft<br />
differenzieren, sondern nach der<br />
Qualifikation. Wenn Sie etwa mit fließenden<br />
Deutschkenntnissen und einem<br />
Hochschulabschluss aus der Türkei nach<br />
Österreich einwandern, um einen Job zu<br />
bekommen, dann verdrängen sie höchstwahrscheinlich<br />
jemanden, der eine geringere<br />
Qualifikation besitzt. Aber dafür sind<br />
nicht Sie, sondern der Niedrigqualifizierte<br />
verantwortlich, weil er sich nicht weitergebildet<br />
hat.<br />
Es existieren trotzdem hohe Hürden für<br />
arbeitswillige Flüchtlinge, die am liebsten vom<br />
ersten Tag an arbeiten wollen.<br />
Ich habe den 50-Punkte-Plan des Integrationsrates<br />
für den Arbeitsmarkt gelesen.<br />
Der Plan sieht ein Stufensystem vor.<br />
Flüchtlinge sollen erst einmal die deutsche<br />
Sprache lernen und erst danach vom AMS<br />
in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden.<br />
So etwas dauert ein Jahr und ist in der Tat<br />
sehr langwierig. Mein Vorschlag: Ich würde<br />
diese Maßnahmen parallel erfolgen lassen.<br />
Solange der Asylantrag bearbeitet wird, soll<br />
der Asylwerber schon in den Arbeitsmarkt<br />
vermittelt werden dürfen und gleichzeitig<br />
Deutsch lernen.<br />
„Wir schicken<br />
den Bewerber in<br />
einen Sprachkurs,<br />
gleichzeitig suchen<br />
wir einen für das<br />
Deutschniveau<br />
geeigneten Job<br />
für ihn.“<br />
Integrationsminister Sebastian Kurz droht mit<br />
Sanktionen, wenn sich Flüchtlinge weigern,<br />
Deutsch zu lernen. Ist das ein richtiger Ansatz<br />
oder kennen Sie einen besseren Weg, Flüchtlingen<br />
die Sprache beizubringen?<br />
Drohungen würde ich nicht verwenden,<br />
eher die Chancen in den Vordergrund<br />
stellen. Es fehlt im Integrations-Plan die<br />
Unterstützung für die spätere detaillierte<br />
Umsetzung durch die Beamten. Wohin soll<br />
er sie für Deutsch-Kurse schicken? Welches<br />
Deutsch-Niveau benötigt welcher Beruf?<br />
Wie soll ein Beamter für einen syrischen<br />
Maurer einen Integrationsplan erstellen?<br />
Bei Bauarbeitern müssen beispielsweise<br />
nicht alle Arbeiter Deutsch können.<br />
In Gesundheitsberufen wiederum sind<br />
Deutsch-Kenntnisse sehr wichtig.<br />
In welchen Berufen werden KEINE Deutschkenntnisse<br />
benötigt?<br />
Man braucht schon minimale Deutschkenntnisse,<br />
um zumindest mit dem Chef<br />
zu kommunizieren. Ich war 20 Jahre im<br />
Industriesektor tätig und habe dort mit<br />
vielen Ausländern zu tun gehabt. Auch<br />
mit jenen, die kein Deutsch konnten. Die<br />
haben sich dann in Gruppen zusammengefügt<br />
und einen bestimmt, der die deutsche<br />
Sprache beherrscht. Man kann davon<br />
halten was man will, aber sie hatten<br />
zumindest einen Job, verdienten ihr Geld<br />
und lernten Deutsch.<br />
Ab wann ist das Deutschniveau ausreichend?<br />
Das ist unterschiedlich. Ein Taxifahrer<br />
wird weniger Deutschkenntnisse benötigen<br />
als ein Krankenpfleger. Wie man<br />
damit erfolgreich umgeht, zeigen uns die<br />
Norweger. Sie haben sich zunächst angeschaut,<br />
wo Fachkräftemangel herrscht.<br />
Dann wurde analysiert, in welchen Berufen<br />
welcher Wortschatz benötigt wird, um den<br />
Zuwanderern die Sprache gezielt und nicht<br />
willkürlich zu vermitteln. Das geschieht<br />
mit Hilfe eines Pyramidensystems, etwa<br />
dass ab 1000 Wörtern Beruf X ausgeübt<br />
werden kann und ab 5000 Wörtern Beruf<br />
Y. Das könnte man auch in Österreich einführen.<br />
Welche Schritte unternimmt Trenkwalder konkret,<br />
um Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu<br />
integrieren?<br />
Wenn jemand schon migriert ist, versuchen<br />
wir einen Kompetenzcheck mit dem<br />
Bewerber zu machen. Nachdem wir sein<br />
Deutschniveau einschätzen können, schicken<br />
wir die Person in einen entsprechenden<br />
Sprachkurs. Gleichzeitig suchen wir<br />
einen für das Deutschniveau geeigneten<br />
Job für den Bewerber. Dadurch verdient er<br />
ein erstes Gehalt, mit dem er seine Familie<br />
ernähren kann. In Zusammenarbeit mit<br />
dem AMS, mit der Trenkwalder-Akademie<br />
und diversen Bildungsinstituten bilden wir<br />
den Bewerber weiter aus, damit er nach<br />
einigen Monaten einen höherqualifizierten<br />
Job annehmen kann.<br />
<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 39
almanah<br />
производителност<br />
Leistung auf bulgarisch<br />
40<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
SPORT, RELIGION, MEDIEN & KULTUR<br />
Das Flüchtlingsthema wird auch in der Umkleide des SK Rapid<br />
diskutiert, erzählt Teamchef Zoran Barišić im Interview und auch in<br />
der biber-Akademie, die Jungjournalisten ausbildet, dominiert die<br />
Flüchtlingsthematik. Die Journalistin Tanya Kayhan ist aus Afghanistan<br />
geflohen, weil sie bedroht wurde. Heute ist sie Absolventin der biber-<br />
Akademie und arbeitet beim Nachrichtensender W24.<br />
S. 42-44<br />
RICHTIGE TYPEN IM FUSSBALL<br />
Rapid-Coach Zoran Barišić spricht im Interview über den<br />
Fußball-Nachwuchs, Trainer-Vorbilder und die Bad Boys<br />
unter den Kickern.<br />
S. 46-47<br />
GEFLOHEN VOR DEN TALIBAN<br />
Sie war das Nachrichtengesicht im afghanischen Staatsfernsehen.<br />
Die Journalistin Tanya Kayhan hat die<br />
Biber-Akademie absolviert und arbeitet inzwischen beim<br />
Stadtsender „W24“.<br />
bereitgestellt, Susanne Einzenberger, Florian Rainer<br />
S. 54–57<br />
TAKE ME TO CHURCH!<br />
Für viele Afro-Österreicher ist der sonntägliche Besuch<br />
der Kirche ein Muss. Ein Blick in den Kirchensaal verrät:<br />
Mode ist wichtig. Festliche Kostüme und opulenter Kopfschmuck<br />
wohin das Auge reicht.
INTERVIEW:<br />
Zoran Barisic<br />
almanah<br />
42<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
TEXT:<br />
Amar Rajković<br />
F O T O :<br />
Susanne Einzenberger<br />
„Die Rotzpippen wird<br />
es immer geben.“<br />
Der Rapid-Coach und<br />
Freistoßgott Zoran Barišić über<br />
Emotionen am Spielfeldrand,<br />
richtige Typen im Fußball und<br />
warum er anfangs gezwungen<br />
war auf junge Spieler zu setzen.<br />
Am Spieltag oder am Tag nach dem Spiel rede ich mit<br />
dem Spieler nicht. Ansonsten ist meine Tür immer<br />
für alle Fragen der Spieler offen.<br />
Weil du gerade von Emotionen gesprochen hast: Jürgen<br />
Klopp zeigt sie offen am Platz, Trainer der alten Schule<br />
wie Van Gaal lässt sich während des Spiels nichts anmerken.<br />
Was für ein Typ bist du?<br />
Wichtig ist es, die Emotionen zu kontrollieren und<br />
sachlich zu bleiben. Das Fachliche setze ich voraus.<br />
Es gilt eine gewisse Balance zu finden, um auf einer<br />
sachlichen Ebene wertfrei und emotionslos zu coachen.<br />
„Du musst<br />
den Spielern<br />
das Gefühl<br />
geben, den<br />
Weg zum Ziel<br />
zu kennen.“<br />
Wie formt man aus über 20 Spielern eine Einheit?<br />
Es ist wichtig, dass du von einem gut funktionierenden<br />
Trainer- und Betreuerteam umgeben<br />
bist. Das sind diejenigen, mit denen du den gleichen<br />
Weg mit gleichen Zielen gehen solltest. Dann hast<br />
du 25-30 Spieler, die alle einen anderen Charakter<br />
haben, und die zu einem Team zu formen, ist ganz<br />
schwierig.<br />
Wo fängt man an?<br />
Es ist wichtig, Regeln aufzustellen. Und es reicht<br />
nicht, nur ein Ziel vorzugeben. Du musst den Spielern<br />
das Gefühl geben, den Weg zu diesem Ziel zu<br />
kennen. Während dieser Zeit muss ich die Motivation<br />
der Spieler hochhalten, egal ob sie gerade zur<br />
Stammelf gehören oder nicht. Das ist alles andere als<br />
einfach. Aber die Basis für die erfolgreiche Zusammenarbeit<br />
ist vor allem Respekt!<br />
Wann erfährt es ein Spieler von dir, dass er nicht im Kader<br />
für das nächste Match steht?<br />
Viele deiner Spieler sind jung, talentiert und werden nicht<br />
ewig beim SK Rapid bleiben. Wie schaffst du es, immer<br />
wieder die wichtigsten Stützen des Teams zu ersetzen,<br />
ohne dass die Mannschaft in ein Loch hineinfällt?<br />
Genau dieser Gedanke bereitet mir jeden Tag Kopfschmerzen<br />
und sorgt dafür, dass ich Magengeschwüre<br />
bekomme. Einerseits willst du die Spieler<br />
verbessern und freust dich, dass sie so einen Leistungssprung<br />
gemacht haben und eine super Karriere<br />
hinlegen. Auf der anderen Seite musst du dir schon<br />
den Ersatz für sie überlegen.<br />
Stichwort Nachwuchsarbeit. Soll Rapid in der Zukunft<br />
ausschließlich junge Talente formen und teuer verkaufen<br />
oder können sich die Fans des österreichischen Rekordmeisters<br />
auch über sportliche Erfolge freuen?<br />
Unsere Philosophie, junge Spieler von der U13 bis in<br />
die Kampfmannschaft zu führen, zeigt Erfolge. Da<br />
geht es darum, gewisse Fähigkeiten zu vermitteln,<br />
die sowohl früh in der Karriere als auch später in<br />
der Kampfmannschaft wichtig sind: Spielan- ‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 43
almanah<br />
lage, taktisches Verständnis, Anforderungsprofil für<br />
einzelne Positionen. Man darf aber nicht vergessen,<br />
dass die bescheidene Wirtschaftslage des Vereins<br />
mich beim Amtsantritt gezwungen hat, auf junge,<br />
unbekannte Spieler zu setzen.<br />
Ist der Erfolg des SK-Rapid eng verbunden mit dem der<br />
Nationalmannschaft?<br />
Das ist nicht generell der Verdienst von Rapid, sondern<br />
ist der guten Fußballausbildung in Österreich<br />
„geschuldet“. Es sind Akademien im ganzen Land<br />
entstanden, in denen Spieler professionell betreut<br />
und entwickelt werden.<br />
Oliver Kahn konstatierte kürzlich nach einem CL-Match,<br />
die Spieler heutzutage hätten das Kämpfen verlernt. Der<br />
ehemalige Weltklasse-Goalie vermisst Typen wie Stefan<br />
Effenberg, Mario Basler oder österreichische Pendants<br />
wie Peter Stöger oder Didi Kühbauer. Gibt es keine richtigen<br />
Kerle mehr im Fußball?<br />
Er (Anm.: Oliver Kahn) hat nie eine Mannschaft<br />
geführt, er geht keinen Management-Tätigkeiten<br />
nach, er ist nur Analytiker und glaubt, gescheit<br />
zu sein. Ich sage immer: „Zeiten ändern sich, der<br />
Mensch bleibt gleich.“<br />
Also gibt es noch immer die Bad-Boys in der Kabine?<br />
Ja, nur können sich die Jungs heutzutage gar nichts<br />
mehr erlauben. Zu meinen Zeiten konnte man einfach<br />
mal ausbrechen, auf den Putz hauen und keiner<br />
hat es erfahren. Heute wirst du auf Schritt und<br />
Tritt beobachtet, mit dem Handy beim Biertrinken<br />
gefilmt. Die „Schlingel“ und „Rotzpippen“ gibt es<br />
noch immer, nur feiern die im Stillen.<br />
Nenad Bjelica, Ex-Trainer der FAK Austria, sagte nach<br />
seinem Amtsantritt, sein großes Ziel sei Deutschland.<br />
Falls Zoki Barišić eines Tages mal Hütteldorf verlassen<br />
sollte, welcher Verein würde ihn reizen?<br />
Ich bin weit davon entfernt zu sagen, mein Ziel<br />
ist nach Deutschland zu wechseln. Wenns kommt,<br />
kommts. Wenn nicht, nicht!<br />
Als Freistoßspezialist kannst du das am besten beurteilen:<br />
Wer kann den Ball am schönsten über die Mauer zirkeln?<br />
Für mich ist es ganz klar Miralem Pjanić von der AS<br />
Roma.<br />
Zoran Barišić<br />
Zoki, wie ihn Fans<br />
nennen, ist ein<br />
Rapid-Urgestein durch<br />
und durch. Nach seiner<br />
erfolgreichen Karriere<br />
als Kicker, trainierte<br />
Barisic zuerst die<br />
Nachwuchsmannschaften<br />
bevor er 2013<br />
ins erste Trainerglied<br />
rückte.<br />
„Zeiten<br />
ändern sich,<br />
der Mensch<br />
bleibt gleich.“<br />
Zum Flüchtlingsthema: In wieweit ist es Thema in der<br />
Rapid-Umkleide?<br />
Natürlich diskutieren wir darüber in der Kabine.<br />
Solange die Menschen keinen Job, Ausbildung und<br />
Perspektive in ihrer Heimat haben, werden sie in ein<br />
Land ziehen, wo sie das alles vorfinden können. Und<br />
solange diese Probleme in den Herkunftsländern<br />
ungelöst sind, werden die Menschen kommen.<br />
Was macht der Verein konkret in dieser Causa?<br />
Wir laden Flüchtlinge zu unseren Heimspielen ein.<br />
Das ist ein wichtiges Zeichen.<br />
Hast du Vorbilder unter Trainern?<br />
Richtige Vorbilder sind es nicht. Aber mir gefällt die<br />
Art und Weise, wie Pep Guardiola spielen lässt. Er hat<br />
natürlich die besten Mannschaften zur Verfügung.<br />
Mir gefällt Arsene Wengers Arbeit beim FC Arsenal,<br />
vor allem, wie er Spieler entwickelt. Das gleiche galt<br />
für den zurückgetretenen Alex Ferguson von Manchester<br />
United. So lange Zeit trotz enormen Erfolgsdrucks<br />
und der Erwartungshaltung erfolgreich zu<br />
sein, ist was Besonderes.<br />
Hast du noch Kontakt zu deinen Verwandten in Ex-Jugoslawien?<br />
Sehr wenig. Mein Vater ist bosnischer Kroate, meine<br />
Mutter Serbin. Sie sind seit 1967 zusammen, aber<br />
nicht verheiratet. Ich habe den Namen von meinem<br />
Vater, das Religionsbekenntnis von meiner Mutter.<br />
Meine Familie ist breit verstreut. Unsere Familie ist<br />
ein Mischmasch.<br />
<br />
44<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 45
almanah<br />
T E X T :<br />
Tanya Kayhan<br />
„Die Feinde<br />
waren nicht nur<br />
die Taliban.“<br />
Sie war das Nachrichtengesicht im<br />
afghanischen Fernsehen. Die Biber-<br />
Akademie-Absolventin Tanya Kayhan<br />
erzählt mit welchen Angriffen sie auf<br />
die Meinungsfreiheit in ihrer Heimat<br />
konfrontiert war.<br />
bereitgestellt<br />
Kurz nach den Attentaten in Paris<br />
zeigte sich die Welt vereint. Das<br />
hat mich an die Mediensituation in<br />
meinem Land erinnert – an Afghanistan.<br />
Ich war dort Journalistin, ein bekanntes<br />
Gesicht im nationalen Fernsehen und eine<br />
der wenigen Frauen, die sich für diesen<br />
Beruf entschieden hat. In meinem Land<br />
werden jährlich Journalisten ermordet.<br />
Das Attentat auf das Satiremagazin<br />
„Charlie Hebdo“ war ein Anschlag auf<br />
die Meinungsfreiheit. Mehrere Millionen<br />
Menschen gingen auf die Straße, westliche<br />
mit östlichen Politikern. Die deutsche<br />
Kanzlerin Angela Merkel, der israelische<br />
Minister-Präsident Benjamin Netanyahu,<br />
Königin Rania von Jordanien, Ibrahim<br />
Boubacar, der Präsident von Mali und<br />
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas<br />
gingen Arm in Arm mit der französischen<br />
Spitze. Sie gedachten nicht nur der Opfer,<br />
sondern setzten ein politisches Zeichen<br />
gegen den Terror. In Afghanistan wurden<br />
im letzten Jahr 8 Journalisten umgebracht<br />
und 58 Angriffe auf Journalisten verzeichnet.<br />
Aber niemand erhob seine Stimme.<br />
Nie werde ich vergessen, wie der afghanische<br />
Reporter Ajmal Naqshbandi von<br />
der Taliban im Jahr 2007 in der Helmand<br />
Provinz enthauptet wurde, nachdem es der<br />
Regierung nicht gelang, ihn erfolgreich zu<br />
befreien. Das ist der Unterschied zwischen<br />
einer echten und einer Scheindemokratie.<br />
Die westlichen Journalisten werden von<br />
dem System ihres Landes unterstützt. Aber<br />
in einem scheindemokratischen System<br />
wie in Afghanistan können Journalisten<br />
nicht viel erwarten.<br />
Journalistin nur mit Pseudonym<br />
Ich erinnere mich noch an einen meiner<br />
ersten Jobs im „killid“-Radio. Es war vor<br />
meiner Zeit als TV-Journalistin bei „Voice<br />
of America“ und „1TV“, damals war ich<br />
noch nicht bekannt. Die Hörer des Senders<br />
kannten mich nur als „Tamana Tabisch“<br />
– einem Pseudonym, das ich aus Sicherheitsgründen<br />
erhielt. Es war das Jahr 2008.<br />
Sechs Jahre nach dem Fall der Taliban.<br />
Trotzdem war die Gesellschaft nicht bereit<br />
für eine Frau als Journalistin. In dieser Zeit<br />
erhielten viele Frauen Pseudonyme bei den<br />
46<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Radio-Sendern.<br />
Journalismus in Afghanistan zu machen<br />
ist sehr gefährlich, speziell für Frauen.<br />
Journalistinnen haben mit Frauenfeindlichkeit,<br />
Belästigung auf der Straße und der<br />
Unmöglichkeit alleine reisen zu können zu<br />
tun. Und nicht zuletzt bezahlen sie ihren<br />
Beruf auch mit ihrem Leben. Im September<br />
letzten Jahres wurde die Journalistin<br />
Palwasha Tokhi in ihrer Wohnung getötet.<br />
Als ich 2005 mein Studium in der<br />
Journalismus-Fakultät der Universität von<br />
Kabul begann, war mir nicht bewusst,<br />
welch schwierige Zukunft ich einmal<br />
haben werde. Erst nachdem ich beim<br />
nationalen Fernsehen zu einem bekannten<br />
Gesicht als Nachrichtenjournalistin<br />
geworden war, verstand ich, wie hart es für<br />
eine Frau in Afghanistan ist diesen Beruf<br />
auszuüben. Ich konnte weder frei auf der<br />
Straße gehen, alleine mit dem Taxi fahren,<br />
noch mit dem Bus in abgelegene Gebiete<br />
reisen. Ich konnte nicht einmal mehr Parks<br />
oder öffentliche Plätze besuchen, nachdem<br />
ich bekannt war. Die Belästigungen auf der<br />
„Die Taliban nehmen<br />
Journalisten gern<br />
als Geiseln, um sie<br />
gegen ihre Kämpfer<br />
einzutauschen.“<br />
„Die Gesellschaft war für eine Frau als Journalistin nicht bereit.“, Tanya Kayhan aus Kabul.<br />
Straße hinderten mich daran in die Öffentlichkeit<br />
zu gehen und die Angst vor Geiselnahmen<br />
von der Taliban ließ mich nicht zu<br />
abgelegenen Gebieten reisen. Die Taliban<br />
nehmen Journalisten gern als Geiseln, um<br />
sie gegen ihre Kämpfer einzutauschen.<br />
Nicht nur die Taliban waren die Feinde.<br />
Meine fünf Jahre als Journalistin in Afghanistan<br />
waren für mich ein Kampf gegen<br />
die Feinde der Meinungsfreiheit. Und die<br />
Feinde waren nicht nur die Taliban. Sondern<br />
auch ihre Kultur, die sie in unserer<br />
Gesellschaft hinterlassen haben. Afghanistan<br />
steht laut der Organisation SAFMA<br />
(South Asian Free Media Association) in<br />
Punkto Gewalt gegen Journalisten 2014 an<br />
dritter Stelle. Es ist nicht allein die Taliban,<br />
die das Leben von Journalisten gefährden.<br />
Auch das politische System scheute<br />
nicht selten davor jeden in Gewahrsam zu<br />
nehmen, dessen Recherchen zu „unangenehm“<br />
wurden. Die Journalisten wurden<br />
vom Regierungspersonal verhaftet oder<br />
geschlagen, damit sie Fakten nicht aufdecken.<br />
Im letzten Jahr gab es 125 Gewaltfälle<br />
auf Journalisten: 8 wurden getötet, 9 verletzt,<br />
20 verhaftet, 38 geschlagen und 50<br />
Journalisten wurde gedroht. Zu 80% gingen<br />
diese Angriffe auf die Regierung zurück, zu<br />
11% auf die Taliban und zu 5% auf die NATO.<br />
Medien nach Ideologie<br />
Doch nicht nur die permanente Lebensbedrohung<br />
macht den Beruf des Journalisten<br />
in Afghanistan so schwer. Es gibt noch ein<br />
anderes Problem: Viele Journalisten sind<br />
arbeitslos, obwohl es genügend Medien im<br />
Land gibt. Wir haben 150 Radio-Kanäle, 50<br />
Fernsehsender und mehr als 100 Printmedien.<br />
Ich erinnere mich an einen meiner<br />
Kollegen bei 1TV, der von unserem Nachrichtenchef<br />
entlassen wurde. Er hatte den<br />
persischen Führer Ahmad-Shah Masood<br />
der Mujahidin-Regierung, welcher 2001<br />
durch ein Terrorattentat umkam, bloß als<br />
militärischen Kommandanten bezeichnet<br />
und nicht als „Volkshelden“. Da mein<br />
1TV-Nachrichtenleiter ein Anhänger von<br />
Masood’s Ideologie war, erwartete den<br />
Kollegen im Handumdrehen seine Kündigung.<br />
Dies zeigt auch ein anderes Problem<br />
der Mediensituation in Afghanistan: die<br />
sprachliche und ethnische Trennung der<br />
Medien. Viele Journalisten werden nach<br />
ihrem ethnischen oder ideologischem<br />
Background ausgewählt – oder eben entlassen.<br />
Verschiedene Länder finanzieren<br />
die afghanischen Medien, um die Zwietracht<br />
zwischen den Afghanen zu provozieren.<br />
So wird der Fernsehsender „Noor“<br />
vom Iran (den Unterstützern der Perser<br />
im Land) und der Sender „Shamshad“ von<br />
Pakistan (den Unterstützern der Pashtunen)<br />
finanziert.<br />
Ob in meinem Land oder in einem Land<br />
wie Frankreich, die Meinungsfreiheit steht<br />
unter Beschuss des Terrors. Aber das Glück,<br />
das die Medien in westlichen Ländern<br />
haben, ist ihr demokratisches System.<br />
Dieses System schützt die Meinungsfreiheit<br />
mehr als in meinem Land und<br />
ermutigt den Journalisten den Stift weiter<br />
in der Hand zu halten. Diese Unterstützung<br />
seitens der Regierung und der Bevölkerung<br />
in Europa ermutigt mich den Stift in<br />
meine Hand zu nehmen und noch einmal<br />
in die Journalismus-Welt einzutreten. Hier,<br />
in Österreich.<br />
Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />
Februar-Ausgabe <strong>2015</strong><br />
bereitgestellt<br />
<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 47
almanah<br />
Made by biber<br />
Sie sind jung, haben internationale Wurzeln und wollen schreiben.<br />
Die biber-Akademie bildet Jungjournalisten aus und bereitet sie<br />
auf die österreichische Medienlandschaft vor. Wir haben drei<br />
Absolventen um ein Resümee ihres biber-Stipendiums gebeten.<br />
Nour Khelifi, 21 Arman Bobeta, 28 Maida Dedagic, 30<br />
„Ich habe die Akademie 2013 besucht und<br />
„Nach meinem Master in Politikwissen-<br />
Die Biber-Akademie hat mir damals ver-<br />
dort wichtiges journalistisches Know-how<br />
schaft, habe ich mich als Erstes bei der<br />
schlossene Türen in die Medienwelt geöff-<br />
erlernt. Seither hat sich viel bei mir getan.<br />
biber-Akademie beworben. BIBER sollte<br />
net. Ich konnte die wichtigsten Kontakte<br />
Die Extraportion Ehrgeiz und das Gespür<br />
mein Einstieg in die österreichische Medi-<br />
knüpfen, nämlich die ersten. Bei Aus-<br />
für gute Geschichten habe ich meiner Men-<br />
enwelt sein. Von Anfang an wurde ich<br />
flügen besuchten wir Redaktionen von<br />
torin Marina Delcheva zu verdanken. Ich<br />
sowohl in den Gestaltungsprozess des<br />
Tageszeitungen oder Fernsehstationen,<br />
veröffentliche Texte bei der Wiener Zei-<br />
Magazins als auch bei der Themenauswahl<br />
wo uns Top-Redakteure Einblicke in ihren<br />
tung, bei Progress, Südwind und natür-<br />
für die Website mit einbezogen. Man lernt<br />
Arbeitsalltag gewährten. Spitzenpolitiker<br />
lich bei BIBER. Außerdem habe ich auch<br />
ab dem ersten Moment, was es heißt, wie<br />
standen uns Rede und Antwort. Unsere<br />
bei etlichen ORF-Reportagen und Dokus<br />
ein Journalist zu denken und zu arbeiten.<br />
Akademieleiter haben uns spitze betreut.<br />
mitgearbeitet. Neben den Printmedien<br />
Der gegenseitige Respekt und das famili-<br />
Gleich am ersten Tag in der Akademie<br />
wollte ich unbedingt in ein neues Genre<br />
äre Miteinander in der Redaktion machen<br />
habe ich gelernt, was schon mal keine<br />
hineinschnuppern – das Radio. Deswegen<br />
die BIBER-Akademie für mich zu etwas<br />
Geschichte. „Mit den Menschen reden, auf<br />
habe ich im September ein Praktikum bei<br />
ganz Besonderem. Momentan bin ich bei<br />
die Straßen rausgehen, Sprecher abtelefo-<br />
Hitradio Ö3 absolviert. Dort habe ich unter<br />
der Consulting-Firma „SMJ“ beschäftigt.<br />
nieren – auf dem Bildschirm warten keine<br />
Anderem das Einsprechen und Anmoderie-<br />
Als Junior Consultant ist es meine Aufgabe<br />
Geschichten“, predigten sie immer und<br />
ren gelernt. Weil das Praktikum so erfolg-<br />
Podiumsdiskussionen und Meetings zu<br />
brachten uns bei die Leser zu unterhalten.<br />
reich verlief, werde ich ab Februar 2016<br />
organisieren. Hier kommt es mir zu Gute,<br />
Neben interessanten Persönlichkeiten mit<br />
für weitere vier Monate bei Ö3 tätig sein.<br />
Geschichten erzählen, Menschen neue<br />
Perspektiven eröffnen und coolen Leuten<br />
begegnen - das ist Journalismus.<br />
dass ich in der biber-Akademie gelernt<br />
habe, unter Zeitdruck gute Arbeit abzuliefern.“<br />
spannenden Blickwinkeln, die ich bei Biber<br />
kennenlernen durfte und schätze, konnte<br />
ich erstmals in der Medienwelt Fuß fassen.<br />
Und heute schreibe ich für Österreichs<br />
größte Tageszeitung, die Kronen Zeitung.<br />
Alexandra Stanić, Marko Mestrović<br />
48<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Sponsoren der biber-Akademie:<br />
Felicitas Matern<br />
„Mir ist eine Versachlichung der Integrationsdebatte sehr wichtig. Dabei können Journalisten<br />
mit Migrationsbackground viel dazu beitragen und daher unterstützen wir die<br />
biber-Akademie. Zudem geht es mir aber auch einfach darum, dass Integration gelebt<br />
wird und auch möglichst viele Menschen mit unterschiedlichsten Lebensgeschichten im<br />
Journalismus beschäftigt sind.“<br />
SEBASTIAN KURZ, Bundesminister für Europa, Äußeres und Integration<br />
„Wir sind ein internationaler Öl- und Gaskonzern, in dem mehr als 60 verschiedene<br />
Nationen an einem Strang ziehen. Das macht uns erfolgreich und stark. Integration wird<br />
bei uns gelebt und gespürt, einer von uns ist immer in einem unserer 30 Länder neu. Und<br />
dabei hat uns, als OMV, die Idee der biber-Akademie sofort begeistert. Wir wünschen viel<br />
Erfolg und freuen uns auf die neue Kommunikationsgeneration!“<br />
MICHAELA HUBER, Senior Vice President Corporate Communications & Sustainability OMV<br />
Weinwurm<br />
„Damit Diversity und Inklusion keine Slogans bleiben, müssen beide Begriffe mit Leben<br />
erfüllt werden. Daher ist es wichtig, dass engagierte JungjournalistInnen mit migrantischen<br />
Wurzeln ihre Talente und Fähigkeiten einbringen und die Sichtweisen der Medien<br />
erweitern. Gerade der Start in der Medienbranche ist oftmals schwierig. Die Wirtschaftskammer<br />
Wien unterstützt die Biber-Akademie, um diese Generation der neuen ÖsterreicherInnen<br />
auf ihrem Weg zu fördern und zu stärken.“<br />
WALTER RUCK, Wiener Wirtschaftskammer-Präsident<br />
„Die Zahl der jungen Menschen mit Migrationshintergrund steigt stetig und sie sind<br />
ein fester Bestandteil der Berichterstattung in der österreichischen Medienlandschaft.<br />
Die biber-Akademie gibt diesen jungen Menschen die Möglichkeit, das nötige Handwerk<br />
zu erlernen, um diese Berichterstattung selbst mitzugestalten – durch ihre persönliche<br />
Betroffenheit, ihr Wissen und ihr Engagement. Wir von der Wiener Städtischen Versicherung<br />
freuen uns, dieses Projekt, das viel zur Integration und zu einem verständnisvolleren<br />
Miteinander beiträgt, zu unterstützen.“<br />
JUDIT HAVASI, Generaldirektor-Stellvertreterin der Wiener Städtischen Versicherung<br />
Ian Ehm OMV<br />
Google<br />
„Die biber-Akademie ist eines der großartigsten journalistischen Nachwuchs-Projekte<br />
Österreichs. Gerade die Vielfalt in der Zusammensetzung und die Internationalität der<br />
Beteiligten machen auch die Qualität der Zeitschrift und der Redaktion aus. Wir freuen<br />
uns sehr hier einen Beitrag leisten zu können und wünschen der nächsten Generation<br />
von Jungjournalistinnen und -journalisten eine spannende Ausbildung und eine erfolgreiche<br />
Karriere in den Top-Medien des Landes.“<br />
WOLFGANG FASCHING-KAPFENBERGER,<br />
Communications & Public Affairs Manager, Google Austria GmbH<br />
Die ÖBB sind eines der öffentlichsten Unternehmen Österreichs. Mehr als 25.000 Zeitungsartikel<br />
erscheinen über uns, aber auch in den neuen Medien und Sozialen Netzwerken<br />
spielen wir eine große Rolle. Junge Medien-Talente auf ihrem Berufsweg zu<br />
unterstützen, liegt also nahe. Die biber-Akademie mit ihrem innovativen Ausbildungsansatz<br />
hat uns sofort überzeugt. Wir wünschen allen Teilnehmern viel Erfolg!<br />
KRISTIN HANUSCH-LINSER, Head of Corporate Communications and Marketing, ÖBB-Holding<br />
AG<br />
Sabine Hauswirth<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 49
almanah<br />
Wer ist er<br />
Name: Abdulmedzid Sijamhodzic<br />
Wurzeln: Bosnien<br />
Studium: Rechtswissenschaften<br />
Reichtum: Hat vier Töchter<br />
50<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
INTERVIEW:<br />
Adbulmedzid Sijamhodzic<br />
„Nur Gott weiß, wer<br />
wirklich gläubig ist.“<br />
Adbulmedzid Sijamhodzic ist der erste Imam des österreichischen<br />
Bundesheeres. Der studierte Jurist über seine Zeit im Krieg,<br />
Grundwehrdiener mit Bart und warum der wahre Islam nicht nur bei<br />
Muslimen zu finden ist.<br />
„Den<br />
Zeigefinger<br />
zu heben,<br />
bedeutet nicht,<br />
dass man<br />
radikal ist.“<br />
TEXT:<br />
Simon Kravagna,<br />
Sümeyee Özmen<br />
F O T O :<br />
Christoph Liebentritt<br />
Rund jeder fünfte Grundwehrdiener in Wien<br />
ist Muslim. Anders als für katholische,<br />
evangelische oder orthodoxe Soldaten gab<br />
es für Muslime im Bundesheer aber bisher keine<br />
Seelsorge. Nach langer Suche nach einem geeigneten<br />
Kandidaten ist Adulmedzid Sijamhodciz seit<br />
kurzem der erste Militär-Imam des Bundesheeres.<br />
In der k.u.k. Armee gab es übrigens bis 1918 – dem<br />
Ende der Habsburger-Monarchie - Militär-Imame.<br />
So wie die damaligen k.u.k. Imame stammt auch<br />
Sijamhodzic aus Bosnien.<br />
Herr Sijamhodzic, kennen Sie den Krieg?<br />
Ich habe als 16-Jähriger in Bosnien erlebt, was Krieg<br />
bedeutet. Mein Vater war Soldat, zwei Brüder meiner<br />
Mutter sind getötet worden und wir waren 1200 Tage<br />
vom Feind eingekesselt. Ich weiß daher nur zu gut,<br />
wie schrecklich Krieg ist.<br />
Sie haben Jus studiert, warum sind Sie jetzt Imam?<br />
Ich glaube daran, dass das von Gott so gelenkt wurde.<br />
Nachdem ich die islamische Schule abgeschlossen<br />
hatte, wollte ich aus dem geistlichen Bereich herauskommen<br />
und habe nach dem Krieg in Bosnien Jus<br />
studiert. Später habe ich mein Studium in Österreich<br />
fertig gemacht und auch das Gerichtsjahr absolviert.<br />
Allerdings wollte mir damals niemand einen Job als<br />
Jurist geben. Ich begann also, als Religionslehrer zu<br />
arbeiten und als Imam zu wirken.<br />
Was macht ein Militär-Imam?<br />
So wie meine katholischen und evangelischen Kollegen<br />
bin ich für die Sorgen, Anliegen und Orientierung<br />
junger Rekruten da. Ich bin erst seit kurzem im<br />
Amt und kann daher noch nicht genau sagen, was<br />
alles auf mich zukommt. Jetzt in der Anfangszeit<br />
hatte ich oft mit Rekruten zu tun, die eine Bestätigung<br />
brauchen, dass sie ‚besonders streng gläubig’<br />
sind, damit sie einen Bart tragen oder fünf Mal am<br />
Tag beten dürfen.<br />
Wer stellt so eine Bestätigung aus?<br />
Die Islamische Glaubensgemeinschaft.<br />
Wir nehmen an, Sie sind ebenfalls streng gläubig. Trotzdem<br />
tragen Sie keinen Bart.<br />
Wer entscheidet letztendlich, wer streng gläubig<br />
ist? Wenn wir davon ausgehen, dass der Glaube<br />
im Herzen ruht, kann nur Gott wissen, wer wirklich<br />
streng gläubig ist. Aber das sind eben einige<br />
äußere Merkmale, die vom Gesetzgeber so festgelegt<br />
wurden.<br />
Bei der Unterzeichnung Ihres Vertrages gab es einige ‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 51
almanah<br />
muslimische Soldaten, die Ihren Zeigefinder demonstrativ<br />
in die Höhe hielten. Da in Österreich viele diese Geste<br />
nur von IS-Terroristen kennen, gab es gleich viel Aufregung.<br />
Ich habe das vor Ort gar nicht bemerkt. Aber den Zeigefinger<br />
zu heben, bedeutet nicht, dass man radikal<br />
ist. Denn das macht man auch beim Beten, dadurch<br />
bekennt ein Muslim sich zum Glauben an den einen<br />
Gott. Es gibt auch Fußballer, die das machen, wenn<br />
sie ein Tor schießen, wie früher Zinedine Zidane. Es<br />
ist oft auch ein Zeichen von Freude oder Stolz. Diese<br />
IS-Extremisten sind eine Katastrophe – für Syrien,<br />
den Irak und die Welt, aber auch für das Bild des<br />
Islams. Ich habe hier eine klare Sicht der Dinge: Es<br />
gibt keinen Widerspruch zwischen der islamischen<br />
Lebensweise und dem Gefühl der Zugehörigkeit zu<br />
Österreich. Das heißt, dass ich ein guter Moslem<br />
und gleichzeitig auch ein guter loyaler Bürger dieses<br />
Landes sein kann. Dieses Bild möchte ich auch im<br />
Bundesheer vertreten.<br />
Warum sind radikale Strömungen im Islam so attraktiv?<br />
Viele junge Menschen haben soziale und gesellschaftliche<br />
Probleme. Sie fallen oft falschen Gelehrten<br />
in die Hände, die eine eindimensionale Lehre<br />
predigen. Es gibt zudem sehr viel Unwissen oder<br />
oberflächliches Wissen über den Islam. Zudem haben<br />
wir auch ein Problem mit Konvertiten, die gleich mal<br />
in den Dschihad ziehen wollen. Wir können nur in<br />
den Familien, in den Schulen, in der Islamischen<br />
Glaubensgemeinschaft und in staatlichen Institutionen<br />
dagegen ankämpfen.<br />
Islam bedeutet Hingabe und Frieden. Sie sind im Bundesheer<br />
beschäftigt. Ein Widerspruch?<br />
Gott besagt im Koran: „Allah liebt diejenigen, die<br />
Ordnung stiften.“ Wenn ich jetzt beim Bundesheer<br />
oder bei der Polizei tätig bin, sorge ich für Ordnung<br />
und Sicherheit. Das ist kein Problem.<br />
Wie ist der Dialog mit der katholischen, evangelischen<br />
und orthodoxen Militärseelsorge?<br />
Wir unternehmen alles gemeinsam. Wir sind<br />
gemeinsam bei der Angelobung und unterrichten<br />
auch gemeinsam.<br />
Die syrischen Flüchtlinge sind überwiegend Muslime.<br />
Warum helfen die Golfstaaten weniger als Deutschland<br />
oder Österreich?<br />
Man muss unterscheiden. Viele muslimische Länder<br />
wie die Türkei oder Jordanien haben die meisten<br />
syrischen Flüchtlinge im Land. Auch die Muslime<br />
„Diese IS-<br />
Extremisten<br />
sind eine<br />
Katastrophe<br />
– für Syrien,<br />
den Irak und<br />
die Welt,<br />
aber auch für<br />
das Bild des<br />
Islams.“<br />
in Österreich sind sehr stark engagiert. Aber mich<br />
wundert ebenfalls sehr, dass die reichen Golfstaaten<br />
so wenig tun. Da fällt mir ein Sprichwort von einem<br />
Gelehrten ein. Imam Al-Ghazali hat einmal gesagt:<br />
„Ich komme von Muslimen, wo es keinen Islam gibt<br />
und gehe zu Nichtmuslimen, wo es den Islam gibt.“<br />
Dafür helfen Deutschland und Österreich den Flüchtlingen.<br />
Deutschland und Österreich haben bei diesem<br />
Thema jedenfalls die Prüfung bestanden. Ich selbst<br />
war auch Flüchtling und bin Österreich für immer<br />
sehr dankbar. Alle bosnischen Flüchtlinge, die nach<br />
Österreich gekommen sind, hatten die Möglichkeit<br />
ihr Leben hier weiterzuführen. Viele von diesen<br />
Leuten haben sich in Österreich gut gefunden und<br />
ihren Beitrag für die Gesellschaft geleistet. Deshalb<br />
denke ich auch, dass jetzt diese Flüchtlinge würdig<br />
behandelt werden sollten. Wir müssen ihnen helfen.<br />
Wir sollten auch nicht vergessen. Wenn ich einem<br />
Menschen Gutes tue, dann habe ich auch mir Gutes<br />
getan. <br />
Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />
Sommer-Ausgabe <strong>2015</strong><br />
52<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
Eine Botschaft<br />
von Ihrer Botschaft...<br />
Ein aufregender Urlaub?<br />
Eine individuelle Reise?<br />
Und dann ein Krisenfall!<br />
Doch wie kann Ihre<br />
Botschaft Sie erreichen?<br />
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dann können wir Sie im Fall des Falles<br />
kontaktieren und besser unterstützen.<br />
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Bitte beachten Sie: Die Reiseregistrierung ersetzt nicht die Eigenverantwortung!<br />
Reiseinformation und Reisewarnungen des Außenministeriums finden Sie unter www.reiseinformation.at<br />
Bei Notfällen im Ausland sind wir jederzeit unter +43-1-90115-4411 für Sie erreichbar.
almanah<br />
Praise the Lord<br />
Farbenfrohe Gewänder,<br />
glitzernde Handtaschen<br />
und überdimensionaler<br />
Kopfschmuck! African<br />
style meets church!<br />
TEXT:<br />
Gladys Akinyosoye und<br />
Marie-Noel Ntwa<br />
F O T O :<br />
Florian Rainer<br />
54<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
Praise the Lord! “Und jeden Sonntag aufs Neue! Für<br />
viele Afro-Österreicher/innen und ihre Familien<br />
ist der sonntägliche Besuch der Kirche ein unerlässlicher<br />
Termin, so auch für die Mitglieder im Vienna<br />
Christian Center. Ein Ort der Freundschaft und Begegnung,<br />
ein Ort, an dem Brücken zwischen den Generationen<br />
aufgebaut werden. Aber noch bevor die energische<br />
Rede des Pfarrers beginnt, fällt eines sofort auf: das<br />
prächtige Farbenspiel der Gewänder, in die sich die Besucher<br />
Innen gehüllt haben. Es wird begleitet von auffälligem<br />
Schmuckwerk. In diesem Fall scheint wirklich alles<br />
Gold was glänzt. Die Betrachter/innen tauchen in ein<br />
Meer aus Farben, Prints und Mustern. Afrikanische Kostüme<br />
und ihre ausgefallenen Schnitte zieren die Körper<br />
der Frauen, Männer und Kinder. Besonders auffällig sind<br />
die Stoffe, aus denen die festliche Kleidung geschneidert<br />
wird. Afrikanische Waxprint-Stoffe, so werden<br />
sie bezeichnet, werden bevorzugt in Westafrika getragen.<br />
Die Oberfläche der Stoffe besteht aus einer Kunstharzmischung<br />
(früher Wachs), was dazu führt, dass die<br />
Gewänder oftmals als sehr glänzend erscheinen. Dadurch<br />
wirken auch die Farben noch intensiver.<br />
Die Waxprint-Baumwollstoffe sind schick, aber frau<br />
benötigt schon ein wenig Übung, die Kleider selbständig<br />
anzuziehen. Die Kopfbedeckung, ein absolutes Muss,<br />
‣<br />
55
ist die größte Herausforderung bei der Anprobe und behält<br />
meist nicht länger als zwei Stunden ihre Form. „ Unsere<br />
Kopfdeckung ist ein bisschen kompliziert, da brauche ich<br />
schon ein wenig mehr Zeit. Aber es gibt immer eine „<br />
Aunty“ ( Tante), die sie mir in der Kirche zurecht zupft“,<br />
sagt eine Kirchgängerin. Die Kopfbedeckung hat hier<br />
keine Bedeutung, auch keine religiöse. Sie wird wie eine<br />
Art Kopfschmuck betrachtet. „Es gehört einfach dazu, so<br />
wie eine Krawatte zu einem Anzug.“ Man bemerkt sofort,<br />
dass hier Mode Spaß macht. Taschen und Schuhe, meist<br />
glitzernd und glänzend, werden im Set gekauft und aus<br />
demselben Material gefertigt. Made in Italy. Die junge<br />
Generation der Afro-Österreicher/innen trägt was gefällt<br />
– einen Mix aus traditionell und modern. Ein Blick in den<br />
Kirchensaal verrät eines sicher: Mode ist wichtig. Gibt sie<br />
doch auch Auskunft über die Kultur und Geschichte ihrer<br />
afrikanischen Vorfahren. Der Kirchenbesuch ist einer der<br />
festlichen Anlässe, der es ihnen erlaubt, mit ihren Kostümen<br />
ein kulturelles Statement zu setzen. „Wir sehen das<br />
hier nicht als Fashion Show, sondern als Teil unserer<br />
Kultur und unseres Erbes.<br />
<br />
Dieser Artikel erschien das erste Mal in der Fresh - Black Austrian<br />
Lifestyle, Fruhlingsausgabe <strong>2015</strong>. Die Kollegen haben den Anerkennungspreis<br />
des „Intercultural Achievement Award“ des<br />
Außenministeriums gewonnen. Gratulation!<br />
www.freshzine.at<br />
56
57
almanah<br />
T E X T :<br />
Nour Khelifi<br />
FOTO:<br />
Christoph Liebentritt<br />
Couscous<br />
zum Dessert<br />
Das Lieblingsessen der Veganer, Kult für<br />
die Hipster und Haupt nahrungsmittel der<br />
Tunesier – die Rede ist von Couscous. Die<br />
kleinen Weizenkügelchen eignen sich perfekt<br />
für pikante, aber auch süße Gerichte. Gesund,<br />
lecker, leistbar. Unsere tunesische Redakteurin<br />
Nour verrät euch, wie man Couscous in<br />
ein energiereiches Dessert verwandelt.<br />
58<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Zutaten für süßen Couscous<br />
(5 Personen)<br />
40ml Blütenessenz oder Rosenwasser<br />
(im türkischen Supermarkt erhältlich)<br />
2EL Olivenöl und Butter<br />
(wahlweise Margarine)<br />
Datteln nach Belieben dosieren<br />
Mandel<br />
nach Belieben dosieren<br />
Feigen<br />
nach Belieben dosieren<br />
Pinienkerne<br />
nach Belieben dosieren<br />
Rosinen<br />
nach Belieben dosieren<br />
1 Granatapfel<br />
300gr Couscous (Couscous nimmt<br />
wie Nudeln oder Reis die doppelte<br />
Menge beim Kochen an)<br />
1<br />
Zum Dampfgaren des Couscous am besten einen zweiteiligen Topf verwenden.<br />
Der untere wird mit Wasser befüllt, der obere sieht wie ein Sieb aus. Oben kommt<br />
der Couscous rein und wird vom Wasserdampf des unteren Gefäßes gegart.<br />
5<br />
2<br />
3<br />
4<br />
1 Die Rosinen und Feigen im kochenden Wasser einweichen. So schmecken sie<br />
dann süßlicher und ihr tut euch leichter beim Schneiden. Danach Wasser für den<br />
Couscous aufsetzen.<br />
2 Granatapfel halbieren und entkernen. Vorsichtig sein, denn es kann etwas<br />
spritzen. Life Hack: Am besten eine Schüssel mit Wasser füllen und den Granatapfel<br />
unter dem Wasser entkernen. So bleiben Küche und Kleidung sauber.<br />
3 Den Couscous mit dem kochenden Wasser übergießen, ein paar Mal umrühren<br />
und das Wasser abgießen. Danach mit einigen Esslöffeln Olivenöl den Couscous<br />
kräftig durchmischen und sofort in den gesiebten Topf schütten. Für 20–25 Minuten<br />
dampfgaren, ab und zu umrühren nicht vergessen! Wichtig: Couscous muss<br />
im Dampf gegart werden, nur für ein paar Minuten im heißen Wasser aufquellen<br />
lassen ist ein No-Go in der maghrebinischen Kultur!<br />
4 In der Zwischenzeit sind unsere Feigen und Rosinen schon weich genug. Das<br />
Obst kurz kalt abspülen und zusammen mit den Datteln klein würfeln.<br />
5 Die Mandeln, Walnüsse und Pinienkerne mit etwas Butter in der Pfanne rösten.<br />
Jedoch nicht zu viel Fett verwenden, die Nüsse sind schon reichhaltig genug.<br />
Danach die Datteln und Rosinen in Butter schwenken.<br />
6 Unser Couscous ist schon fertig und wird in einer großen Schüssel mit einigen<br />
Esslöffeln Olivenöl vermengt. So erhält er einen feinen Geschmack und klumpt<br />
auch nicht.<br />
7 Einen Esslöffel Zucker in der Blütenessenz auflösen und das Gemisch über die<br />
Granatäpfel träufeln.<br />
8 Die gerösteten Nüsse mit dem Couscous vermengen, danach das gewürfelte<br />
Trockenobst, dazwischen immer kräftig umrühren. Am Schluss noch die duftenden<br />
Granatäpfel hinzufügen.<br />
Jetzt heißt´s schön anrichten, Foto für Instagram machen und dann genießen!<br />
#foodporn<br />
6<br />
7<br />
8<br />
Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber November-Ausgabe <strong>2015</strong><br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 59
almanah<br />
Desarrollo<br />
Entwicklung auf spanisch<br />
60<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Good News<br />
Schlechte Nachrichten gibt es<br />
genug. Das Jahr <strong>2015</strong> hat zum<br />
Glück auch positive Schlagzeilen<br />
geliefert. Ein Überblick.<br />
voestalpine, Train of Hope, Simone Egarter, Daniel Auer, SVEN HOPPE / EPA / picturedesk.com, Ralph Peters / ChromOrange / picturedesk.com<br />
Voest spendet<br />
Der Linzer Stahlkonzern hat ein<br />
Hilfsprogramm gestartet und spendet<br />
1,5 Millionen Euro für Projekte sowohl in<br />
Österreich als auch in Krisengebieten. Die<br />
Hälfte des Geldes fließt in Wohnungen,<br />
Deutsch- und Alphabetisierungskurse.<br />
Auch ein viermonatiger Lehrgang für mehr<br />
als 150 Jugendliche, die ohne Begleitung<br />
geflüchtet sind, soll auf die Beine gestellt<br />
werden. Mit dem gespendeten Geld<br />
kann ein Jahr lang 100.000 Menschen<br />
mit Medikamenten geholfen werden.<br />
Konzernsprecher Peter Felsbach<br />
teilte zudem mit, dass voestalpine 30<br />
jugendlichen Flüchtlingen, die alleine<br />
nach Österreich geflüchtet sind, eine<br />
Ausbildung anbieten werde: „Die Lehrlinge<br />
sollen so rasch wie möglich mitarbeiten<br />
können. Die Lehrstellen werden zusätzlich<br />
angeboten und betreffen das reguläre<br />
Lehrlingsangebot der voestalpine nicht“,<br />
so Felsbach.<br />
Bart hilft<br />
Langer Bart, bunter Turban, Lächeln auf<br />
den Lippen. So wie der Begründer des<br />
Sikh-Glaubens, Guru Nanak, handelten<br />
dessen Jünger 500 Jahre später auf<br />
dem Wiener Hauptbahnhof. Sie halfen<br />
Menschen in Not.<br />
Die Anhänger der monotheistischen<br />
Religion, die ihren Ursprung in Pakistan<br />
hat, nehmen die religiöse Pflicht sehr<br />
ernst. Das in einem Tempel im 22.<br />
Bezirk zubereitete Essen fand täglich<br />
viele hungrige Flüchtlinge, die am<br />
Hauptbahnhof ankamen. „Es wird vegan<br />
gekocht, verträglich für alle Gläubige und<br />
auch für Kinder und Allergiker“, so Manjit<br />
Aulakh, pensionierter UNO-Mitarbeiter<br />
in einem Standard-Interview. Wir sagen<br />
„Chapeau“ und bevor wir uns den Zorn<br />
der Götter einhandeln: Die Freiwilligen<br />
der katholischen Caritas und der<br />
„Muslimischen Jugend Österreich“ (MJÖ)<br />
freuen sich über jede helfende Hand. Mehr<br />
Info unter www.caritas-wien.at<br />
Jungakademiker<br />
Die österreichische Entwicklungszusammenarbeit<br />
(OEZA) setzt mit ihrem<br />
„Junior Professional Officer“- Programm<br />
(JPO) auf Jungakademiker mit<br />
Migrationshintergrund. Österreich<br />
unterstützt in der Entwicklungszusammenarbeit<br />
Länder in Afrika, Asien,<br />
im Osten Europas und der Karibik. Das Ziel<br />
ist die nachhaltige Entwicklung im Bereich<br />
der Armutsbekämpfung, der Friedenssicherung<br />
und des Schutzes der<br />
natürlichen Ressourcen.<br />
Mit der Aktion „Mitmachen Österreich<br />
– weltweit engagiert“ sollen österreichische<br />
Unternehmen, Organisationen und<br />
Einzelpersonen dazu bewegt werden sich<br />
zu engagieren. „Dazu gehören auch die<br />
Menschen mit Migrationshintergrund in<br />
Österreich, die sich oft nicht angesprochen<br />
fühlen“, sagt die aus Serbien stammende<br />
Sanja Mitranic, Projektbetreuerin von<br />
„Mitmachen Österreich“.<br />
Info: www.entwicklung.at<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 61
almanah<br />
Diversity als Chance<br />
Am 23. Oktober <strong>2015</strong> luden im Rahmen<br />
der „fairversity“ über 50 ausstellende<br />
und mitwirkende Organisationen<br />
2.000 Besucher auf die Messe ins MAK<br />
Wien. Unter der Schirmherrschaft des<br />
Sozialministeriums wurde der Fokus<br />
der Messe auf spezifische Zielgruppen,<br />
Kompetenzen und Erfahrungen gelegt.<br />
Divers war nicht nur das Konzept<br />
der Veranstaltung, sondern auch ihre<br />
Angebote: So wurde im Rahmen des<br />
Messeprogramms der „Action-Place“<br />
geschaffen. Dort wurden 15 Kurzvorträge<br />
über vielfältige Themen ohne jegliche<br />
Barrieren für die Besucher gehalten.<br />
Neben den ausstellenden Unternehmen<br />
wie die Erste Bank und Lidl, konnten<br />
Interessierte ihre Lebensläufe kostenlos<br />
einem CV-Check auf Deutsch und Englisch<br />
unterziehen, Bewerbungsfotos von sich<br />
erstellen lassen und auch an einem<br />
VIP-Business-Speed-Dating teilnehmen,<br />
bei dem 40 prominente Persönlichkeiten<br />
anwesend waren.<br />
Die nächste „fairversity“ findet am 11.<br />
Oktober 2016 wieder im MAK Wien statt.<br />
ÖBB:<br />
Lehre für Flüchtlinge<br />
Die ÖBB bilden zurzeit in elf<br />
Lehrwerkstätten 1800 junge Menschen<br />
in 22 verschiedenen Lehrberufen<br />
aus. Bis 2017 soll zusätzlich eine<br />
Zentrallehrwerkstätte am Hebbelplatz<br />
im zehnten Bezirk auf 10.000<br />
Quadratmetern errichtet werden, die<br />
auch Platz für Nächtigungsmöglichkeiten<br />
im Lehrlingsheim, Werkstätten,<br />
Klassenzimmer und Labors beinhalten<br />
soll. Für das Projekt wurden rund 20 Mio.<br />
Euro investiert. Es lohnt sich: Durch das<br />
Projekt entstehen 700 neue Arbeitsplätze<br />
und Österreichs größte Lehrwerkstatt.<br />
Unter den 700 Lehrlingen werden sich<br />
auch einige Flüchtlinge befinden. Die<br />
ÖBB, die bereits im Sommer durch ihr<br />
Engagement für ankommende Flüchtlinge<br />
an den Bahnhöfen aufgefallen sind, setzen<br />
damit ihre Flüchtlings-Arbeit fort.<br />
Train of hope<br />
Die freiwilligen Helfer von „Train of<br />
hope“, die im Sommer unermüdlich am<br />
Hauptbahnhof Flüchtlinge versorgten, die<br />
Menschenmenge koordinierten, Kleidung,<br />
Nahrung und Zugtickets organisierten und<br />
mit den Kindern spielten, haben im<br />
Dezember von der Österreichischen Liga<br />
für Menschenrechte den Menschenrechtspreis<br />
<strong>2015</strong> überreicht bekommen.<br />
„In den letzten Monaten sind wir über<br />
unsere Grenzen hinaus gegangen,<br />
während Regierungen in Europa eifrig<br />
damit beschäftigt waren, Grenzen zu<br />
errichten! Wir haben Verantwortungen<br />
und Aufgaben des Staates übernommen,<br />
als wir die Not erkannten“, so die<br />
Privatinitiative auf ihrer Facebookseite als<br />
Reaktion auf ihre Ehrung.<br />
Mittler weile ist die „Train of Hope“-Küche<br />
vom Hauptbahnhof ins Ferry Dusika<br />
Stadion übersiedelt, da im Winter nicht<br />
mehr so viele Flüchtlinge ankommen.<br />
Info: www.trainofhope.at<br />
voestalpine, Train of Hope, Simone Egarter, Daniel Auer, SVEN HOPPE / EPA / picturedesk.com, Ralph Peters / ChromOrange / picturedesk.com<br />
62<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 63
almanah<br />
Impressum<br />
Medieninhaber:<br />
biber Verlagsgesellschaft m.b.H.<br />
Herausgeber und Chefredakteur:<br />
Simon Kravagna<br />
Redaktionelle Leitung:<br />
Melisa Erkurt, Amar Rajkovic<br />
Redaktion:<br />
Nour Khelifi<br />
Simone Egarter<br />
Onur Kas<br />
Tanya Kayhan<br />
Gastautoren:<br />
Neos-Abgeordneter bietet<br />
Flüchtlingen Schutz<br />
Wiener Nacht der Vielfalt<br />
Im November fand die Nacht der Vielfalt<br />
Michael Hesse (Frankfurter Rundschau)<br />
Gladys Akinyosoye, Marie-Noel Ntwa<br />
(fresh)<br />
Der Salzburger Neos-Parlamentsabgeordnete<br />
Sepp Schellhorn betreute<br />
32 Flüchtlinge in einem Gasthaus in Bad<br />
der Wirtschaftskammer Wien statt. Unter<br />
dem Motto „Diversity“ wurden fünf<br />
Bustouren angeboten, die die Diversität<br />
AD & Grafik:<br />
Dieter Auracher<br />
Gastein. Dort bildete er sie auch gastronomisch<br />
aus. Die humanitäre Verantwortung<br />
zwinge ihn dazu, so Schellhorn. Der<br />
der Stadt Wien widerspiegeln. Oberthemen<br />
waren Inklusion, Queer-Wien oder die<br />
neuen Bilder der Männlichkeit.<br />
Fotoredaktion:<br />
Marko Mestrović<br />
Vertrag mit dem Gasthaus lief jedoch Ende<br />
November aus. Der Bürgermeister in Bad<br />
Gastein sprach sich gegen Schellhorns<br />
Im „Neue Männer braucht das Land“-Bus<br />
ging es beispielsweise in die Männerberatung<br />
im 10.Bezirk. Hier arbeiten 50<br />
Projektkoordination:<br />
Adam Bezeczky<br />
Vorhaben und zwang ihn zum Übersiedeln.<br />
Zum Glück sprang die Heimatgemeinde<br />
des Neos-Sprechers für Energie, Land-<br />
Mitarbeiter. Sie therapieren, beraten und<br />
hören zu. Männer und Burschen, Täter und<br />
Opfer, Scheidungseltern und viele mehr<br />
Lektorat:<br />
Christina Gaal<br />
und Forstwirtschaft, Goldegg, ein. „Dort<br />
herrsche eine Willkommenskultur“,<br />
erklärte der Politiker erleichtert. Die<br />
Politik hätte die Menschen wie Pakete hin<br />
werden von den 40 Männern und 10 Frauen<br />
bei der Männerberatung empfangen.<br />
Alexander von der Männerberatung<br />
erklärt uns: „Auch wenn man denkt,<br />
Druck:<br />
Styria GmbH & Co KG<br />
Styriastraße 20, 8042 Graz<br />
und hergeschickt, so Schellhorn, der die<br />
jungen Asylwerber auf die Zeit vorbereiten<br />
möchte, wenn sie in Österreich gesetzlich<br />
auch arbeiten können. Prominente wie<br />
Vera Kaiser, Robert Menasse, Hans<br />
Peter Haselsteiner und Kabarettist Dirk<br />
Stermann unterstützten das Projekt.<br />
Täter hätten keine Empathie, stimmt das<br />
nicht. Fast jeder Mensch hat Mitgefühl,<br />
nur manche wissen nicht, wie sie damit<br />
umgehen sollen. Dort setzen wir an, denn<br />
Täterberatung ist Opferprävention.“<br />
Auflage:<br />
50.000<br />
Kontakt:<br />
biber Verlagsgesellschaft m.b.H.<br />
Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien<br />
redaktion@dasbiber.at<br />
+43 1 95 77 528<br />
© 2014 biber<br />
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JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 65
almanah<br />
LETZTE WORTE:<br />
Todor Ovtcharov<br />
Dimitre Ovtcharov<br />
Angst<br />
Wie blockt man Hass?<br />
Bruder, ich sterbe vor Angst. Ich<br />
sterbe vor Angst, wenn ich mir<br />
diese Flüchtlinge im Fernsehen<br />
anschaue, die unser Territorium stürmen.<br />
Das ist eine Invasion, Bruder! Aber ich<br />
weiß, wie ich mich schützen kann. Ich bin<br />
ein echter Krieger, Bruder. Wenn mich wer<br />
angreift, dann werde ich ihm das Genick<br />
brechen, Alter! Die depperten Dschihadisten<br />
können mich mal!“ Mario ist sichtlich<br />
angespannt. Die Adern auf seinem breiten<br />
Nacken pulsieren. Mario ist ganz außer<br />
sich. Ich bezweifle, dass er im Stande ist<br />
zur Arbeit zu gehen, um seine Pizzen zu<br />
liefern. Er glättet seine moderne „Kim<br />
Jong Un“-Frisur nach hinten. Auf den<br />
Wänden seiner Ein-Zimmer-Wohnung im<br />
12. Bezirk hängen Poster von verschiedenen<br />
Actionhelden der 90er Jahre. Jean-<br />
Claude Van Damme, Chuck Norris, Arnold<br />
Schwarzenegger. Ich kenne Mario vom<br />
Basketballspielplatz. Wie spielen ab und zu<br />
miteinander.<br />
Einen Tag danach bin ich bei Vlado.<br />
Vlado hat die gleiche moderne Frisur wie<br />
Mario. Wer hätte gedacht, dass der dicke<br />
nordkoreanische Diktator zu so einem<br />
globalen Modetrendsetter werden könnte?<br />
Vlado studiert BWL an der WU. Seine Eltern<br />
wollen, dass er eines Tages ihr Businessimperium<br />
in Bulgarien erbt. Ich höre ihn zum<br />
ersten Mal über Politik sprechen. „Diese<br />
Zigeuner aus Syrien, die hierher kommen,<br />
wenn man mich fragt sollte man sie alle<br />
erschießen! Gib mir nur ein AK47 und ich<br />
werde sie alle erschießen! Sie sollten da<br />
alle im Acker liegen bleiben und verrotten!<br />
Danach hat niemand mehr Angst vor diesen<br />
dreckigen Zigeunern!“<br />
Mario und Vlado<br />
Auf Facebook gibt es die Option, alle<br />
deine Hass verbreitenden „Freunde“ zu<br />
blocken. Was macht man aber im echten<br />
Leben? Ich dachte, ich habe mich immer gut<br />
mit Mario und Vlado verstanden. Mit dem<br />
einen spiele ich Basketball, vom anderen<br />
borge ich mir manchmal Geld. Jetzt aber<br />
weiß ich nicht, was ich sagen soll. Mit den<br />
beiden ist momentan nicht zu scherzen.<br />
Sowohl der muskulöse Mario, als auch der<br />
dürre Vlado sind von der Angst erfasst. Sie<br />
haben beide keine religiösen Gefühle, sie<br />
sind beide Atheisten, aber sie haben Angst<br />
vorm Islam. Und diese Angst transformiert<br />
sich in Aggression.<br />
Wenn ich sie so betrachte, erstarrt auch<br />
mein Lächeln. Ich habe auch Angst. Vor<br />
meinen Freunden. Ich frage mich, was wohl<br />
passieren könnte, wenn das, was sie sagen<br />
nicht nur leere Worte sind, sondern Sachen,<br />
die zu Taten werden könnten. Ist die Kluft<br />
der Verständigung zwischen den Menschen<br />
tatsächlich so groß? Und wie können wir<br />
uns vor der Angst wohl befreien? <br />
Todor Ovtcharov ist Kolumnist der Zeitschrift biber<br />
und FM4.<br />
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JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 67
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