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Almanah 2015

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almanah<br />

<strong>2015</strong> / 2016 Jahrbuch für<br />

Integration<br />

in Wirtschaft,<br />

Politik und<br />

Gesellschaft<br />

lmanah *<br />

* bosnisch/kroatisch/serbisch für »Almanach/Jahrbuch«<br />

AKTUELLE ENTWICKLUNGEN<br />

Kulturschock für Syrer<br />

Sexismus in der Schule<br />

Aufstieg der Arbeiterkinder<br />

MEINUNGEN<br />

Rapid-Trainer Zoran Barišić<br />

Außenminister Sebastian Kurz<br />

Jihad-Experte Olivier Roy<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 1


almanah<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

Zwei dieser drei Journalisten sind als Flüchtlinge nach Österreich<br />

gekommen. Simon Kravagna, Melisa Erkurt und Amar Rajković<br />

„Egal ob NGOs,<br />

Unternehmen, Polizei<br />

oder freiwillige Helfer:<br />

Die Flüchtlingskrise<br />

hat ungeahnte<br />

Kräfte frei gesetzt.<br />

Gleichzeitig ist die<br />

Bevölkerung tief<br />

gespalten und die<br />

Helfer sind erschöpft“<br />

Alexandra Stanić<br />

Zoran Barišić, Trainer des Rekordmeisters SK Rapid,<br />

erklärt den internationalen Erfolg seiner Mannschaft<br />

so: „Unsere miese Wirtschaftslage hat mich gezwungen,<br />

auf junge Spieler zu setzen“. Schwierige Situationen<br />

setzen oft ungeahnte Kräfte frei und eröffnen neue<br />

Möglichkeiten. So war es vor vier Jahren beim Amtsantritt<br />

von Barišić, so war es auch im Jahr <strong>2015</strong>, dem Jahr,<br />

in dem Politik und Medien oft nur ein Thema kannten:<br />

Die Flucht.<br />

Egal ob NGOs, Unternehmen, Polizei, das Heer oder<br />

freiwillige Helfer. Die Flucht tausender Menschen<br />

durch und nach Österreich hat neue Kräfte mobilisiert.<br />

Gleichzeitig ist die Bevölkerung tief gespalten und bei<br />

den „Asylgegnern“ haben viele Politiker und Medien an<br />

Glaubwürdigkeit verloren.<br />

In dieser Spezial-Ausgabe beschreiben biber-Redakteure<br />

mit welchen sexistischen Frauenbildern viele<br />

junge Migranten heranwachsen, mit welchen Kulturschocks<br />

syrische Flüchtlinge in Österreich konfrontiert<br />

sind aber auch wie sich die afghanische TV-Journalistin<br />

Tanya Kayhan einen Platz in der heimischen<br />

Medienszene erarbeitet. Der Jihad-Experte Olivier Roy<br />

benennt die Versäumnisse bei der Integration junger<br />

Muslime. Manager wie Rewe-Chef Frank Hensel oder<br />

T-Mobile CEO Andreas Bierwirth erklären, was Unternehmen<br />

für Flüchtlinge tun können. In einem Gastkommentar<br />

erläutert Außen- und Integrationsminister<br />

Sebastian Kurz, warum der Kampf gegen den politischen<br />

Islam auf seiner Agenda 2016 steht.<br />

Übrigens: Der Begriff „<strong>Almanah</strong>“ ist kein Schreibfehler,<br />

sondern heißt auf Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und in<br />

anderen slawischen Sprachen Almanach, also Jahrbuch.<br />

Simon Kravagna<br />

Herausgeber und Chefredakteur das biber<br />

Amar Rajković<br />

Stv. Chefredakteur, Redaktionsleitung <strong>Almanah</strong><br />

Melisa Erkurt<br />

Chefin vom Dienst, Redaktionsleitung <strong>Almanah</strong><br />

* Amar Rajković und Melisa Erkurt kamen vor 20 Jahren als<br />

Kriegsflüchtlinge aus Bosnien nach Österreich.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 3


almanah<br />

INHALT<br />

Susanne Einzenberger<br />

Christoph Liebentritt<br />

Zoran Barišić<br />

ist Trainer von Österreichs<br />

Fußball-Rekordmeister<br />

Rapid. Im Interview spricht<br />

er über Nachwuchsarbeit, die<br />

Zukunft seines Vereins und die<br />

Flüchtlingskrise.<br />

42<br />

Aufstieg der Arbeiterkinder<br />

Es ist seit Jahren bekannt und wird<br />

trotzdem oft ignoriert. Bildung wird<br />

in Österreich praktisch vererbt.<br />

Gastarbeiterkinder erzählen, wie<br />

sie trotzdem den Aufstieg geschafft<br />

haben.<br />

28<br />

Militär-Imam<br />

Adbulmedzid Sijamhodzic ist<br />

Österreichs erster Militär-Imam.<br />

Der Jurist über seine Zeit im Krieg,<br />

Grundwehrdiener mit Bart und<br />

warum der wahre Islam nicht nur<br />

bei Muslimen zu finden ist.<br />

50<br />

SOZIALE VERANTWORTUNG<br />

UNTER DEM REWE-BOGEN<br />

MARTIN HAIDERER<br />

Gründer der Wiener Tafel. Sorgt dafür,<br />

dass die Lebensmittel der REWE Group<br />

heute noch zu den 10.000 Bedürftigen<br />

in über 80 Sozialeinrichtungen kommen.<br />

4<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

INHALT<br />

GESELLSCHAFT & POLITIK<br />

Flucht in Zahlen. 6<br />

Kulturschock für Flüchtlinge. In Österreich<br />

ist alles anders als Zuhause. 10<br />

Politologe Olivier Roy über den Islamischen<br />

Staat und die Rolle, die Jugendliche<br />

dabei spielen 16<br />

Frauenfeindlichkeit an Wiener Schulen:<br />

Im Zuge des biber-Schulprojekts hat<br />

unsere Redakteurin am eigenen Leib<br />

erfahren, wie frauenfeindlich männliche<br />

Jugendliche sind. 20<br />

MARKT & KARRIERE<br />

Außenminister Sebastian Kurz 24<br />

Österreichs Spitzenmanager darüber,<br />

was Wirtschaft und Politik ihrer Meinung<br />

nach für Flüchtlinge leisten müssen. 32<br />

CEO des Personaldienstleistungsunternehmens<br />

Trenkwalder Károly Pataki<br />

über die Integration von arbeitswilligen<br />

Flüchtlingen. 36<br />

SPORT, MEDIEN,<br />

RELIGION & KULTUR<br />

Rapid-Trainer Zoran Barisic über die<br />

Bad-Boys unter seinen Kickern und worüber<br />

in der Umkleide so geredet wird. 42<br />

Die afghanische Journalistin und<br />

biber-Akademie-Absolventin Tanya<br />

Kayhan über die Angriffe auf die Meinungsfreiheit<br />

in ihrer Heimat. 46<br />

Made by biber: Ein Jahresüberblick über<br />

die biber-Akademie, die Jungjournalisten<br />

mit internationalem Background auf die<br />

Medienlandschaft vorbereitet. 48<br />

Take me to church! Farbenfrohe Gewänder,<br />

glitzernde Handtaschen und überdimensionaler<br />

Kopfschmuck – so gehen<br />

Afro-Österreicherinnen zur Kirche. 54<br />

Unsere tunesische Redakteurin Nour verrät,<br />

wie man aus Couscous ein energiereiches<br />

Dessert macht. 58<br />

UNTERNEHMEN &<br />

INSTITUTIONEN<br />

Was österreichische Firmen und Institutionen<br />

für ein besseres Zusammenleben<br />

tun. 62<br />

Impressum 65<br />

Todors letzte Worte 66<br />

NICOLE DÖRING<br />

MERKUR-Marktleiterin. Kümmert sich<br />

persönlich darum, dass regelmäßig<br />

Lebensmittel an die Wiener Tafel<br />

und andere soziale Organisationen<br />

ausgegeben werden.<br />

Gemeinsam für ganz Österreich.<br />

Mit unseren Lebensmittelspenden<br />

für tausende Menschen.<br />

Gemeinsam unter<br />

dem REWE-BOGEN.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 5


almanah<br />

Flucht<br />

in<br />

Zahlen<br />

Asylanträge Österreich<br />

Im Jahr <strong>2015</strong> haben bis November 20.441 Menschen aus Syrien um<br />

Asyl angefragt. Gefolgt von 16.549 afghanischen Staatsbürgern und<br />

11.190 Menschen aus dem Irak. Sonstige nennenswerte Herkunftsländer<br />

sind Pakistan (2.900), Kosovo (2447), Iran (2052), Somalia<br />

(1850), Nigeria (1.135) und die Russische Föderation (1.440), zu der<br />

auch Tschetschenien gehört.<br />

68.589 ASYLANTRÄGE BIS NOVEMBER<br />

SYRIEN 30%<br />

AFGHANISTAN 24%<br />

IRAK 16%<br />

PAKISTAN 4%<br />

KOSOVO 4%<br />

IRAN 3%<br />

SOMALIA 3%<br />

STAATENLOS 3%<br />

NIGERIA 2%<br />

RUSSISCHE FÖDERATION 2%<br />

SONSTIGE 9%<br />

DAVON 7.155 UNTER 18 JAHREN<br />

7.155 Menschen, die im Laufe des Jahres nach Österreich flüchteten,<br />

sind unter 18 Jahre alt. Sie werden in Statistiken als „unbegleitete<br />

Minderjährige“ bezeichnet. 6.696 davon sind 14-18 Jahre alt. Rund<br />

6% sind sogar jünger als 14 Jahre (459).<br />

Quellen:<br />

BMI<br />

http://data.unhcr.org/mediterranean<br />

6<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


3.592<br />

802.786<br />

almanah<br />

Fluchtweg Mittelmeer<br />

Männer/Frauen/Kinder<br />

Im Jahr <strong>2015</strong> haben 950.617 Menschen die Flucht über das<br />

Mittelmeer nach Europa gewagt. Zum Vergleich: 2014 waren es<br />

216.054 Menschen. Dies entspricht einer Steigerung von 440%.<br />

Die meisten Flüchtlinge kamen in Griechenland an (802.786),<br />

gefolgt von Italien (149.400) und Spanien (3592). Offizielle Zahlen<br />

sprechen von 3.605 verunglückten Menschen, die auf überfüllten<br />

Booten kenterten und ertranken. 2014 waren es unwesentlich<br />

weniger Opfer. (3.500)<br />

Die meisten der nach Europa geflüchteten Menschen sind Männer<br />

(60%). Dies ist der lebensgefährlichen Reise geschuldet, die<br />

erwachsene Männer am besten verkraften können. 16% der<br />

Flüchtlinge sind Frauen und 24% Kinder.<br />

FR AUEN<br />

2014<br />

<strong>2015</strong><br />

+440%<br />

MÄNNER<br />

16%<br />

60% 24%<br />

KINDER<br />

149.900<br />

SPANIEN<br />

ITALIEN<br />

3.605 IM MITTELMEER ERTRUNKEN<br />

GRIECHENLAND<br />

GEFLÜCHTETE KINDER<br />

LINZ<br />

228.148 198.181<br />

Die Gesamtzahl der geflüchteten<br />

Kinder nach Europa beträgt 228.148!<br />

Zum Vergleich: Die drittgrößte Stadt<br />

Österreichs, Linz, zählt 198.181<br />

Einwohner (Quelle: www.linz.at)<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 7


almanah<br />

Flüchtlinge auf arabisch<br />

8<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


GESELLSCHAFT & POLITIK<br />

Migration bedeutet nicht nur Zuwachs an neuen Arbeitskräften und<br />

kultureller Vielfalt. Migration bringt auch oft radikale Ideologien mit<br />

sich – ob in Form von Dschihadisten oder dem Machogehabe männlicher<br />

Jugendlicher. Österreichs Politik und Gesellschaft muss sich mit<br />

diesen Problemen auseinandersetzen.<br />

S. 10-14<br />

KULTURSCHOCK<br />

Was vor allem arabische Flüchtlinge in Österreich<br />

erwartet, ist die Mutter aller Kulturschocks: Halbnackte<br />

Frauen, leere Straßen und Palatschinken auf dem Teller.<br />

Marko Mestrović, HANS KLAUS TECHT / APA / picturedesk.com, bereitgestellt<br />

S. 16–19<br />

JUNGE DSCHIHADISTEN<br />

Politologe Olivier Roy spricht im Interview über Europas<br />

Dschihadisten, das Schweigen ihrer Eltern und Wege aus<br />

der Radikalität.<br />

S. 20–22<br />

FRAUENFEINDLICHKEIT IN DER SCHULE<br />

Jungen Burschen fehlt es oft an männlichen Vorbildern.<br />

Die Folge: Machogehabe und Frauenfeindlichkeit. Ein<br />

erschreckender Einblick in Wiener Klassenzimmer.


almanah<br />

Der Schock<br />

nach der<br />

Flucht<br />

Sie<br />

T E X T :<br />

Simone Egarter<br />

FOTO:<br />

Susanne Einzenberger<br />

fliehen vor Krieg, Elend und Tod<br />

nach Europa. Was vor allem arabische<br />

Flüchtlinge in Österreich erwartet,<br />

ist die Mutter aller Kulturschocks.<br />

Halbnackte Frauen auf Plakaten,<br />

hilfsbereite Polizisten, leergefegte<br />

Straßen nach Feierabend und<br />

Palatschinken auf dem Teller.<br />

Verzweifelte Menschen auf der<br />

Flucht sind seit diesem Sommer<br />

das dominante Thema in den<br />

österreichischen Medien. Bilder von freiwilligen<br />

Helfern auf dem Westbahnhof<br />

machten genauso die Runde wie die tägliche<br />

Berichterstattung vom Grenzübergang<br />

Nickelsdorf. Das Flüchtlingsthema<br />

diktierte sogar die regionalen Wahlen in<br />

OÖ und Wien. Laut dem Innenministerium<br />

passierten im Jahr <strong>2015</strong> bis jetzt schätzungsweise<br />

300.000 Flüchtlinge die österreichische<br />

Grenze. Alleine im September<br />

waren es an die 200.00 Menschen. Die<br />

meisten der traumatisierten Flüchtlinge<br />

kommen aus den Bürgerkriegsländern wie<br />

Irak, Afghanistan oder Syrien. Und obwohl<br />

eine große Anzahl an Flüchtlingen Merkels<br />

Einladung nach Deutschland folgt, bleiben<br />

viele vertriebene Menschen in Österreich<br />

zurück. Rund 20.000 Asylanträge von<br />

Syrern gingen beim Innenministerium seit<br />

2011 ein.<br />

Unsere arabischsprechende Autorin war<br />

drei Wochen lang mit syrischen Familien<br />

unterwegs und hörte genau hin. Wie sieht<br />

deren Alltag aus? Womit haben sie zu<br />

kämpfen? An welche Dinge müssen sie<br />

sich gewöhnen? Herausgekommen sind<br />

sechs Anekdoten, die das Ankommen von<br />

syrischen Flüchtlingen beschreiben, ohne<br />

sie zu verurteilen. Eine Anleitung, um<br />

unsere zukünftigen Mitbürger besser zu<br />

verstehen.<br />

„Wieso ist um sechs Uhr abends<br />

alles ausgestorben?“<br />

Der 25-jährige Ali H. lebt heute im oberösterreichischen<br />

Braunau. Er lernt fleißig<br />

Deutsch und versucht möglichst viele<br />

österreichischen Freunde zu finden. Nach<br />

anfänglichem Unbehagen in der neuen<br />

Umgebung hat er sich gut eingelebt. Wenn<br />

es geht, möchte Ali am liebsten in Braunau<br />

bleiben und arbeiten. Der kontaktfreudige<br />

Mann aus Aleppo genießt seine neugewonnene<br />

Freiheit.<br />

Nur, Kontakte knüpfen in Braunau fällt<br />

ihm schwer. „Wieso ist das Land um sechs<br />

Uhr abends wie ausgestorben?“, fragt er<br />

uns. Ali fährt fort: „In Syrien ging man in<br />

ein Café nach der Arbeit, rauchte Shisha<br />

und traf Freunde.“ Er denkt oft an die<br />

friedliche Zeit in Syrien. Damals, bevor der<br />

Bürgerkrieg über das Land herfiel und bis<br />

heute an die 250.000 Menschen das Leben<br />

kostete.<br />

10<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

HANS KLAUS TECHT / APA / picturedesk.com<br />

Nicht nur für österreichische Männer einen genauen Blick wert – Dessous-Werbung auf Plakaten.<br />

Zeit zum Erinnern hat er genug. In<br />

Braunau gibt es keine einzige Shisha-Bar<br />

und niemanden, der mit ihm nach der<br />

Arbeit über Fußball oder Frauen redet.<br />

Noch nicht jedenfalls.<br />

„Küsschen links, Küsschen rechts.“<br />

Selbst das Händeschütteln zwischen Männern<br />

und Frauen ohne Verwandtschaftsverhältnis<br />

ist in Syrien unüblich. Bei<br />

Daham aus Aleppo merkt man gerade bei<br />

der Begrüßung eine innere Unruhe. Es sind<br />

peinliche Sekunden, in denen er zu überlegen<br />

scheint, mir die Hand zu reichen. Oder<br />

eben nicht zu reichen. Er wartet ab, ob ich<br />

ihm die Hand anbiete, dann legt er seine<br />

rechte Hand auf die Brust, nickt und flüstert<br />

einen leisen Gruß.<br />

Während mich seine Frau mit herzlichen<br />

Küssen begrüßt, ist es für ihren Mann<br />

sogar schwer vorstellbar, seinem weiblichen<br />

Gast beim Gespräch in die Augen zu<br />

schauen. Das hat er so gelernt. Befremdlich<br />

für die meisten Österreicher, für Daham ein<br />

höflicher Umgangston.<br />

Selbst der Spaziergang durch die Wiener<br />

Innenstadt offenbart reichlich unangenehme<br />

Situationen für den Familienvater.<br />

Nackte Haut, soweit das Auge reicht.<br />

Leichtbekleidete Frauen auf Plakaten<br />

säumen die Straßen und schmücken die<br />

U-Bahn-Stationen. Dem warmen Sommer<br />

ist es geschuldet, dass selbst Ende September<br />

viele junge Frauen in Rock und hautengem<br />

Top an der Familie vorbeimarschieren.<br />

Daham blickt jedes Mal respektvoll zu<br />

Boden, wenn eine sommerlich gekleidete<br />

Frau an ihm vorbei geht.<br />

„Immer zugunsten der Frauen.“<br />

Mustafa M. beklagt sich in der Facebook-Gruppe<br />

„Syrer in Österreich“ über<br />

die „steigende Zahl“ an Scheidungsfällen<br />

unter syrischen Flüchtlingen in Europa.<br />

Er berichtet über einen Fall in Kopenhagen.<br />

Ein syrischer Flüchtling wartet auf<br />

den Flug aus Istanbul, nachdem es ihm<br />

gelang nach langen Behördengängen seine<br />

Frau und Tochter endlich nach Dänemark<br />

zu holen. Am Flughafen dann die überraschende<br />

Wende! „Seine Frau begrüßt<br />

ihn nicht und bittet um Schutz vor ihrem<br />

Mann“, erzählt Mustafa mit weit aufgerissenen<br />

Augen. Laut Shierhan C. sei dies kein<br />

Einzelfall. In vielen Flüchtlingsunterkünften<br />

käme es zu Scheidungen, weil manche<br />

Frauen sich die schlechte Behandlung<br />

durch ihre Partner nicht mehr gefal- ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 11


almanah<br />

len lassen wollen, erzählt uns der syrische<br />

Künstler. Die Frauen wissen, dass sie im<br />

Falle einer Scheidung in Europa nicht auf<br />

der Straße landen und man ihnen auch die<br />

Kinder zuspricht, so Shierhan. Mustafa M.<br />

sieht das Problem in der westlichen Moral<br />

begraben. „In Europa gibt es keine Tradition<br />

der Ehe und Frauen wollen sich nicht<br />

mit ungemütlichen Lebensbedingungen in<br />

der Ehe arrangieren“, ist er noch immer<br />

aufgebracht.<br />

Auch das Justizsystem macht Mustafa<br />

Sorgen, denn dieses sei „immer zugunsten<br />

der Frauen“ ausgelegt. Um seine Aussagen<br />

zu bekräftigen, nennt er das Beispiel<br />

eines Mannes, der nach Syrien zurückgeschickt<br />

wurde, weil er angeblich seine Frau<br />

geschlagen hatte. Das Innenministerium<br />

konnte diese Behauptung nicht bestätigen.<br />

Bemerkte aber: „Straffälligkeit führt zu<br />

einer Beschleunigung des Asylverfahrens.“<br />

Mustafa hat den Glauben an seine Landsfrauen<br />

verloren, denn „wenn sie nicht<br />

mehr in ihrem Heimatland sind, zeigen sie<br />

ihr wahres Gesicht.“<br />

„Du musst sie bezahlen, damit sie<br />

etwas unternehmen.“<br />

In einem ehemaligen Hotel in einer Marktgemeinde<br />

in Oberösterreich leben heute 37<br />

junge, syrische Flüchtlinge. Die Dorfbewohner<br />

machen einen großen Bogen um<br />

die Gäste aus dem kriegsgebeutelten Land.<br />

Kontakt mit Österreichern haben die Syrer<br />

nur, wenn die Betreuerinnen der Diakonie<br />

oder Polizei zu Besuch kommen. Der<br />

Anblick und die Begegnung mit der Polizei<br />

wirkten anfangs befremdlich für die<br />

jungen Männer. Der syrische Kameramann<br />

Ciwan D. kennt nur korrupte Polizisten<br />

aus Syrien. „Wenn du bestohlen wirst und<br />

die Polizei rufst, dann musst du sie erst<br />

bezahlen, damit sie etwas unternehmen“,<br />

so Ciwan. Und jetzt soll er den Männern<br />

in Uniform vertrauen? Leichter gesagt als<br />

getan.<br />

Auch der Kurde Ali hat manchmal<br />

Angst, wenn er mit der Polizei zu tun<br />

hat. Vertrauen zu den österreichischen<br />

Ordnungshütern zu finden fällt allen<br />

Kriegsflüchtlingen schwer. Als einmal Alis<br />

„Die Nachbarn reden<br />

kaum mit uns, wir<br />

können nur warten<br />

und schlafen“<br />

Ali H., 25<br />

12<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Post in seinem ersten eigenen Apartment<br />

in Braunau verschwand, wollte er das nicht<br />

zur Anzeige bringen. Zu groß war die Angst<br />

vor der Exekutive. Für uns nicht vorstellbar,<br />

für unsere syrischen Gäste schwer aus<br />

dem Kopf zu verdrängen.<br />

„Bei uns musst du die<br />

Polizei erst bezahlen,<br />

damit sie etwas<br />

unternehmen.“<br />

Ciwan D., 27<br />

„Du kannst ja auf einem Esel nach Syrien<br />

reiten.“<br />

Der neunjährige Rasool sitzt zusammengekauert<br />

auf den Polsterkissen. Irgendwo<br />

in Simmering. Seit September besucht<br />

der syrische Junge die Volksschule im 11.<br />

Bezirk. Freunde hat er bis auf seinen älteren<br />

Bruder, Yazan, noch keine gefunden. Auf<br />

die Frage, ob er Heimweh habe, antwortet<br />

Rasool geknickt: „Ich will später zurück<br />

nach Syrien, in mein Land.“ Dass dort<br />

Krieg herrscht, scheint ihn nicht zu stören.<br />

Die Eltern versuchen ihr Kind von diesem<br />

Vorhaben abzubringen. „Ich muss für mein<br />

Land kämpfen“, antwortet der Neunjährige<br />

immer wieder. Sein größerer Bruder<br />

schlägt ihm zynisch vor: „Du kannst ja auf<br />

einem Esel nach Syrien reiten“.<br />

In der Schule war Rasool noch nie. Seit er<br />

sechs Jahre alt ist, wird seine Heimatstadt<br />

Homs vom Assad-Regime bombardiert.<br />

Die neue Sprache und Umgebung scheinen<br />

den Jungen einzuschüchtern. Er sehnt sich<br />

nach dem Leben in Syrien - obwohl seine<br />

Heimatstadt und das Elternhaus in Schutt<br />

und Asche liegen.<br />

Die Eltern können ihren zwei ältesten<br />

Söhnen in der Schule kaum helfen. Der<br />

fünffache Vater Daham, 29, Tapezierer, und<br />

seine Frau Seham lernen selbst Deutsch.<br />

Das Gefühl, ihren Kindern nicht helfen zu<br />

können, zermürbt die jungen Eltern. Auch<br />

der Gedanke, dass Rasool eines Tages nicht<br />

mehr wissen wird, wo er herkommt, nagt<br />

an ihnen. Aus diesem Grund ist der Vater<br />

stolz, wenn der Sohn von Syrien spricht.<br />

Er möchte, dass das friedliche Syrien für<br />

immer im Herzen seiner Kinder bleibt.<br />

„Die sind ja gar nicht hungrig.“<br />

Die Ängste und Schicksale der Flüchtlinge<br />

unterscheiden sich stark voneinander.<br />

Doch die syrische Küche vermissen<br />

sie alle: Hummus, Falafel, Kibbe oder ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 13


almanah<br />

Dahams Familie<br />

weiß nicht, was sie<br />

von österreichischen<br />

Mehlspeisen<br />

halten soll.<br />

Die siebenköpfige Familie empängt Biber herzlich in ihrem Wohnzimmer in Wien Simmering<br />

Schisch-Kebab. Die jungen Männer in der „Coca Cola würde ich niemals kaufen, in<br />

Unterkunft der Diakonie in Oberösterreich<br />

kochen zusammen Gerichte aus ihrer befürchtet Daham.<br />

Österreich ist da Schweinefleisch drinnen“,<br />

Heimat. Ali veranstaltet zusammen mit Bei einem Caféhausbesuch in Wien<br />

seinen Freunden ein „Flüchtlingsfest“ und probiert Dahams Familie zum ersten Mal<br />

tischt seine Leibspeisen auf. Daham und Kaiserschmarrn und Marillenknödel. Sie<br />

Seham verpflegen ihre Kinder ausschließlich<br />

mit Lebensmitteln, die sie auch aus reichischen Mehlspeisen halten sollen.<br />

wissen nicht, was sie von diesen öster-<br />

Syrien kennen.<br />

Die Skepsis überwiegt die Neugierde. Für<br />

Für viele Muslime unter den syrischen Stephan Waldner von der Caritas keine<br />

Flüchtlingen ist die Einhaltung der religiösen<br />

Speisevorschrift wichtig. Daham<br />

Überraschung: „Als Italiener würde ich in<br />

bezieht sein Fleisch von einem türkischen<br />

Metzger, um sicher zu stellen, dass das<br />

Fleisch „halal“ geschlachtet wurde. Das<br />

sei ein häufiger Brauch unter Flüchtlingen,<br />

erzählt uns die Volkshilfe in Oberösterreich.<br />

Schuld am Misstrauen sind unterschiedliche<br />

Gerüchte, die im Internet kursieren.<br />

England auch keine blauen Nudeln essen,<br />

egal wie hungrig ich bin“, versucht er<br />

die Zurückhaltung der Syrer in kulinarischen<br />

Fragen zu erklären. Das kann auch<br />

zu Missverständnissen führen. Als am<br />

Westbahnhof eine Frau ihre selbstgemachten<br />

Palatschinken an Flüchtlinge verteilen<br />

will, trauen sich die meisten nicht, diese<br />

seltsamen, süßen Fladen zu probieren. „Die<br />

sind ja gar nicht hungrig“, keift die Dame,<br />

als ihre gutgemeinte Spende verschmäht<br />

wird.<br />

All diese Geschichten aus dem Alltag<br />

zeigen: Syrische Flüchtlinge sind nicht<br />

nur traumatisiert und erschöpft, sondern<br />

haben auch mit den kulturellen Unterschieden<br />

ihrer neuen Heimat zu kämpfen.<br />

Kein Wunder. Erinnere dich an deinen<br />

ersten Trip in die USA. „Warum sind die<br />

alle so freundlich?“, hast du dich bestimmt<br />

gefragt. Oder die schiefen Blicke in Japan,<br />

weil du dich gerade in der Öffentlichkeit<br />

geschnäuzt oder zu laut gelacht hast. Für<br />

uns unvorstellbar, woanders völlig normal.<br />

Und natürlich müssen unsere syrischen<br />

Reisenden ein Stück Heimat hinter sich<br />

lassen, oder wie es ein altes arabisches<br />

Sprichwort sagt:<br />

„Du wirst nicht in einem anderen Land<br />

ankommen, solange deine Gedanken,<br />

Gefühle und deine Seele noch in einem<br />

anderen Land verwurzelt sind.“<br />

Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />

November-Ausgabe <strong>2015</strong><br />

14<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Fotos: Bundesheer/Harald Minich/Julia Fenyvesi<br />

Hubschrauberpilot<br />

Soldat<br />

im Auslandseinsatz<br />

Truppenärztin<br />

Panzergrenadier<br />

Entminungsdienstexperte<br />

Textiltechnikerin<br />

Grundwehrdiener<br />

bei der ABC-Abwehr<br />

Milizsoldat<br />

Gebirgsjäger<br />

Lehrling<br />

Heeresleistungssportler<br />

Pionier<br />

Unser Heer<br />

hat viele Gesichter<br />

Die Menschen sind die größte Stärke und das wertvollste<br />

Gut des Bundesheeres. Ihre Qualität, Professionalität und<br />

Motivation sind ausschlaggebend für die Erfüllung der<br />

Aufträge und Aufgaben des Bundesheeres.<br />

www.facebook.com/bundesheer<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 15


almanah<br />

„Hier revoltiert<br />

die Jugend,<br />

nicht der<br />

Islam“<br />

16<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION<br />

bereitgestellt


almanah<br />

Politologe Olivier Roy spricht im Interview über<br />

Europas Dschihadisten, das Schweigen ihrer Eltern<br />

und Wege aus der Radikalität.<br />

T E X T :<br />

Michael Hesse, Frankfurter Rundschau<br />

Professor Roy, Sie gelten als der beste Kenner<br />

des europäischen Islam. Wie besiegt man<br />

den sogenannten Islamischen Staat (ISIS)?<br />

Die Radikalisierung in Europa ist nicht<br />

eine Folge der Existenz von ISIS im Nahen<br />

Osten. Wir erleben seit Jahren eine Radikalisierung<br />

einer bestimmten Kategorie<br />

von Jugendlichen in Europa. Diese Jugend,<br />

die sich radikalisiert, sucht einen globalen<br />

Dschihad. Zunächst war dies Al-Kaida.<br />

Nachdem sie an Bedeutung verloren haben,<br />

ist es nun ISIS. Sie instrumentalisieren und<br />

nutzen diese Radikalen. Aber sie schaffen<br />

sie nicht bzw bringen sie nicht erst hervor.<br />

ISIS ist ein Phänomen per se, es ist nicht<br />

eine Folge der Radikalisierung der Jugend<br />

im Westen, sondern beruht auf lokalen<br />

Faktoren im Mittleren Osten. Die Stärke<br />

von ISIS besteht darin, die lokalen Gegebenheiten<br />

mit dem globalen Phänomen der<br />

Radikalisierung der Jugend zu verknüpfen.<br />

Es gibt einen Kampf an zwei Fronten?<br />

Exakt. ISIS im Nahen Osten zu bekämpfen<br />

ist eine gute Sache, aber sie wird nicht<br />

dazu führen, die Radikalisierung unter den<br />

Jugendlichen in Europa zu beenden. Selbst<br />

wenn wir die Jugend hier entradikalisieren,<br />

wird dies nicht ISIS insgesamt zerstören<br />

oder schwächen. Wir müssen also in den<br />

Kategorien von zwei Fronten denken. Wir<br />

haben es mit einem globalen Dschihadismus<br />

zu tun, der alles bekämpfen will. Wir<br />

haben es mit zwei verschiedenen Phänomenen<br />

zu tun, die miteinander verbunden<br />

sind.<br />

Aber was wäre ein erster erfolgreicher Schritt,<br />

wenn wir in den Nahen Osten blicken. Wir<br />

„ISIS hat in einem<br />

territorialen Sinne<br />

sein Limit erreicht.“<br />

erinnern uns, die USA waren mit ihrem Kampf<br />

gegen den Terrorismus in Afghanistan nicht<br />

sehr erfolgreich.<br />

Das ist absolut richtig. Und in einem gewissen<br />

Sinne ist ISIS eine Folge der militärischen<br />

Intervention der USA im Irak im Jahr<br />

2003. Es war die Zerstörung des Zentrums<br />

des irakischen Staates und die Verschiebung<br />

der Macht auf die Seite der Schiiten,<br />

die die sunnitischen Araber radikalisiert<br />

hat und zu den Attacken von ISIS geführt<br />

hat.<br />

Wie bekämpft man ISIS im Nahen Osten?<br />

Das Problem ist, dass niemand sie wirklich<br />

bekämpfen will – außer den Franzosen.<br />

Sie stehen ziemlich allein da. Die lokalen<br />

Akteure haben jeder für sich schlimmere<br />

Feinde als ISIS. Die Kurden haben<br />

die Türken, für Baschar al-Assad ist es die<br />

eigene Opposition, also die Rebellen, für<br />

die Schiiten im Allgemein sind es die Sunniten,<br />

für die Iraner ist es Saudi-Arabien<br />

und für die Saudis ist es der Iran. Keiner<br />

ist bereit, Truppen zu schicken und Rakka<br />

oder Falludscha, die Hochburgen von ISIS,<br />

einzunehmen. Das ist das große Problem.<br />

Und der amerikanische Einsatz hilft nicht?<br />

Die US-Strategie der Bombardierung macht<br />

nur dann Sinn, wenn es auch Bodentruppen<br />

gibt. Es müssen keine amerikanischen<br />

Truppen sein, sondern lokale Soldaten.<br />

Mit Luftschlägen kann man Bodentruppen<br />

gut unterstützen, aber man muss sie erst<br />

einmal haben. Die Amerikaner kämpfen<br />

jedoch immer nur zu eigenen Bedingungen.<br />

Ich denke nicht, dass die Amerikaner dies<br />

tun werden. Es sei denn, es würde einen<br />

großen Terroranschlag in den USA geben.<br />

Man benötigt 100 000 Soldaten am Boden,<br />

um ISIS zu besiegen. Der Wille hierzu ist in<br />

den USA nicht vorhanden.<br />

Aber was folgt daraus?<br />

Das ist ganz einfach. Wenn keiner Truppen<br />

schicken will, wie will man dann ISIS<br />

bekämpfen? Man braucht stattdessen eine<br />

politische Koalition. Es geht darum, einen<br />

Kompromiss zwischen den lokal handelnden<br />

Akteuren zu finden, mit Rücksichtnahme<br />

auf die jeweiligen Probleme.<br />

Und davon gibt es jede Menge. So muss<br />

die Türkei mit den türkischen Kurden zu<br />

einer politischen Übereinkunft kommen,<br />

die ja schon auf den Weg gebracht war vor<br />

dem Auftreten von ISIS. Früher oder später<br />

müssen auch die Iraner und Saudis miteinander<br />

reden.<br />

Es sind zwei Todfeinde.<br />

Ja, aber die Iraner können nicht mehr<br />

erreichen als sie jetzt schon haben. Sie<br />

haben Teheran, sie haben Bagdad, sie<br />

haben Damaskus. Sie haben viel zu verlieren.<br />

Die Saudis haben das Problem, dass sie<br />

Truppen nach außen gesandt haben ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 17


almanah<br />

um sie zurückzuholen. Das ist völlig anders<br />

als bei der Attacke auf das Satiremagazin<br />

„Charlie Hebdo“.<br />

Inwiefern?<br />

Viele Muslime und nebenbei gesagt auch<br />

viele Katholiken mögen „Charlie Hebdo“<br />

nicht. Der Papst selbst sagte: „Ich bin nicht<br />

Charlie.“ Es gab einen gewissen Riss in der<br />

französischen Bevölkerung. Viele demonstrierten<br />

für das Magazin, aber viele andere<br />

wie die Muslime, lehnten die Unterstützung<br />

für die Kartons ab. Aber in der letzten<br />

Attacke gibt es diesen Riss nicht. Die<br />

Terroristen attackierten die französische<br />

Gesellschaft als ganze. Es gab kein Ziel<br />

einer bestimmten Gesellschaftsgruppe. Die<br />

Menschen wollten zu einem Fußballspiel<br />

gehen, ein demokratischeres Publikum<br />

gibt es nicht. Das ist ein klares Zeichen<br />

dafür, dass die Jugend genau diese Gesellschaft<br />

bekämpfen will.<br />

wie in den Jemen und feststellen müssen,<br />

dass dies nicht besonders gut läuft. Es<br />

gibt im Establishment der Saudis und der<br />

Iraner vermehrt Stimmen, die sagen: Es<br />

ist Zeit miteinander zu verhandeln. Diese<br />

Verhandlungen der lokalen Gruppierungen<br />

wäre der erste Schritt.<br />

„Der Salafismus ist<br />

der Kitt, um sich<br />

den eigenen Islam<br />

zu basteln.“<br />

Die Jugend der Ausgeschlossenen.<br />

Es ist eindeutig, wenn wir ihnen zuhören,<br />

diese französische Jugend revoltiert gegen<br />

die ganze Gesellschaft. Diese Jungen gehören<br />

zwei Kategorien an. Die einen zählen<br />

zur zweiten Generation der Muslime in<br />

Frankreich. Und die anderen sind Kon-<br />

Ja, aber das wird dauern.<br />

vertiten. Die Zahl der Konvertiten ist sehr,<br />

So ist es. Die Vorstellung, ISIS in den nächs-<br />

sehr hoch. Und es gibt einige Konvertiten<br />

ten sechs Monaten zerstören zu wollen, ist<br />

Narrativ für den Erfolg des Dschihad. Aber<br />

in der Terrorgruppe, die Paris attackierten.<br />

purer Unsinn.<br />

sie bringen die Jugend nicht dazu, in den<br />

Es gab Attacken, in denen die Terroristen<br />

Dschihad zu ziehen.<br />

hauptsächlich aus Konvertiten bestanden.<br />

Gibt es auch gute Nachrichten?<br />

Die Konvertiten haben einen anderen sozi-<br />

Durchaus. ISIS hat sein Limit erreicht. Dies<br />

Die Frage ist, wer ist die Jugend, die sich so<br />

alen Hintergrund als die Muslime zweiter<br />

in einem territorialen Sinne. Die Bevölke-<br />

radikalisiert?<br />

Generation.<br />

rung, die sie nun noch erreichen können,<br />

Es handelt sich um eine Jugendrevolte.<br />

lehnen ISIS ab. Die Schiiten, die Kurden,<br />

Aber es ist keine Radikalisierung der mus-<br />

Was aber verbindet sie?<br />

die Alawiten wollen sie nicht. Die Libane-<br />

limischen Bevölkerung in Europa als sol-<br />

Es gibt etwas Gemeinsames: Der Islam, den<br />

sen und Jordanier haben eine gegensätz-<br />

cher. Woher wir das wissen? Der Rand<br />

sie erwählt haben, ist nicht der überlieferte<br />

liche Haltung zu ISIS. Der Islamische Staat<br />

der Radikalen sind alles junge Menschen.<br />

Islam. Es ist nicht der kulturelle Islam,<br />

wird früher oder später von der Bildfläche<br />

Es gibt keine Militanten, die älter als 35<br />

nicht der traditionelle Islam. Sie sprin-<br />

verschwinden, wir wissen nur nicht, wann.<br />

Jahre wären. Und es gibt ein neues Phäno-<br />

gen in eine Religion, die sie selbst erdacht<br />

Und dennoch: Steckt ISIS die Jugend im Westen<br />

nicht an?<br />

Ich würde sagen, dass die Radikalisierung<br />

der Jugend keine Konsequenz der Existenz<br />

von ISIS ist, einfach weil sie älter als ISIS<br />

ist. Sie liefern zwar ein wirkungsvolles<br />

men. Die Eltern sind gegen den Dschihad.<br />

Das ist anders als noch einige Jahre zuvor.<br />

Jetzt hören wir von den Eltern, die zur<br />

Polizei gehen, sie machen Aufrufe, damit<br />

ihre Kinder aus dem Dschihad zurückkehren<br />

sollen. Sie verurteilen die Taten ihrer<br />

Kinder und fahren mitunter nach Syrien,<br />

haben. Es ist ihr eigener Islam, dem sie<br />

folgen. Ich meine den Salafismus. Er ist der<br />

Kitt, um sich den eigenen Islam zu basteln.<br />

Es handelt sich um einen dekulturierten<br />

Islam, der keiner seiner Ausprägungen in<br />

irgendeiner Gesellschaft enspricht und<br />

auch zu keiner Gemeinschaft. Diese soziale<br />

Justin Tang/PA/picturedesk.com<br />

18<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Bewegung ist meiner Meinung nach daher<br />

keine generelle Auflehnung der Muslime.<br />

Sondern?<br />

Eine individuelle Revolte, die auf Frustration<br />

beruht und auf Menschen, die sich<br />

als Verlierer fühlen und Gewinner werden<br />

wollen. Es ist bekannt, dass eine große Zahl<br />

der Terroristen keine Ausbildung hat, sie<br />

sind nicht als gute Muslime bekannt gewesen,<br />

sie tranken Wein, hatten Mädchen,<br />

usw. Doch dann gab es einen Wendepunkt<br />

der Jugend hin zu einer Radikalisierung. Es<br />

läuft also nicht so, dass sie stetig religiöser<br />

und fundamentalistisch werden und dann<br />

zu Dschihadisten werden. Vielmehr werden<br />

sie Fundamentalisten und Dschihadisten<br />

zur selben Zeit.<br />

Lassen sie sich mit Terrorgruppen der Vergangenheit<br />

vergleichen?<br />

Diese Gruppen ähneln keinen klassischen<br />

Untergrundbewegungen. Sie bestehen<br />

vielmehr aus Freunden und Verwandten.<br />

Sie treffen sich in der Nachbarschaft, in<br />

Gefängnissen. Sie befreunden sich. Und es<br />

ist ein klassisches Muster, dass einer die<br />

Schwester des neuen Freundes heiratet.<br />

Es gibt eine Menge von Brüderpaaren, die<br />

in den Dschihad ziehen. Denken Sie an die<br />

Kouachis oder Abaaouds. Das ist sehr familiär<br />

gebunden und die Familien verlieren<br />

drei oder vier Mitglieder, wenn sie getötet<br />

werden oder Selbstmordattentate verüben.<br />

Das sind keine politischen Organisationen.<br />

Es sind keine islamistischen Untergrundbewegungen.<br />

Zusammengefasst: Es gibt gute und schlechte<br />

Neuigkeiten.<br />

Ja. Die gute Nachricht ist, dass wir es nicht<br />

mit einem Aufstand der europäischen Muslime<br />

zu tun haben. Wir haben es mit einer<br />

Revolte der an den Rand gedrängten Jugend<br />

zu tun, von Muslimen und Nicht-Muslimen.<br />

Die Haupterklärung, warum es der<br />

Islam ist, liegt an dem Mangel an Übermittlung<br />

des Islam. Und nebenbei gesagt<br />

gibt es einen gemeinsamen Punkt mit der<br />

Rote Armee Fraktion, es ist das Schweigen<br />

der Eltern.<br />

„Wenn ein junger<br />

Mann sich dazu<br />

entschließt, auf die<br />

andere Seite zu gehen,<br />

wird man ihn nicht<br />

aufhalten können.“<br />

Das bezog sich aber auf die braune Vergangenheit.<br />

Nun sind es die Fragen: Warum sind wir in<br />

Europa? Warum leben wir in dem Milieu<br />

der Migranten? Die Eltern können ihren<br />

Kindern nicht erklären, was sie getan<br />

haben. Ihr Argument ist: Wir sind für ein<br />

besseres Leben hierher gekommen. Aber<br />

die Kinder fragen: Was für ein besseres<br />

Leben? Wir haben kein gutes Leben. Die<br />

Eltern sind hilflos. Das war schon bei den<br />

algerischen Familien so, die sehr nationalistisch<br />

waren, aber 1962 nach Frankreich<br />

kamen. Sie konnten diesen Schritt ihren<br />

Kindern nicht erklären.<br />

Einige Politiker fürchten, dass mit den Flüchtlingen<br />

auch Terroristen kommen?<br />

Es ist wahr. Auch wenn es Sicherheitsmaßnahmen<br />

gibt, werden die Terroristen immer<br />

durchkommen. Wenn 10 000 Flüchtlinge<br />

auf einer griechischen Insel festgehalten<br />

werden, wird der einzige Terrorist unter<br />

ihnen den Weg finden, hierher zu kommen.<br />

Er hat Geld, er hat die Unterstützung, er<br />

spricht die Sprache. So können sie anonym<br />

hierher kommen. Aber diese Jungs sind<br />

keine Syrer, die hierher kommen, sondern<br />

hier radikalisierte Menschen. Sie gingen<br />

nach Syrien zum Training und Kampf<br />

und versuchen so unerkannt wie möglich<br />

zurückzukehren.<br />

Wie kann man die radikalisierten Menschen<br />

davon abringen, andere zu töten?<br />

Wenn ein junger Mann sich dazu entschließt,<br />

auf die andere Seite zu gehen,<br />

wird man ihn nicht aufhalten können. Man<br />

muss den Menschen hier zeigen, dass sie<br />

Olivier Roy<br />

ist französischer Politikwissenschaftler.<br />

Das Besondere: Er ging in den 80ern nach<br />

Afghanistan und beteiligte sich – mit der<br />

Waffe in der Hand – am Kampf gegen die<br />

sowjetischen Invasoren.<br />

in Europa als normale und gute Muslime<br />

leben können. Man muss sie von der Story<br />

befreien, dass der Islam in Europa eine<br />

unterdrückte Religion sei, das Muslime<br />

Opfer seien. Man muss den also den moderaten<br />

Islam unterstützen, um den radikalen<br />

Islam zu bekämpfen. Die Jungs werden<br />

sich nicht radikalisieren, wenn sie einen<br />

modernen und glaubwürdigen Islam vorfinden.<br />

Die Menschen können so Muslim<br />

und stolz in Europa sein. Wir müssen den<br />

Islam normalisieren.<br />

Wie ist es aber an den Orten der Radikalisierung?<br />

Wir wissen, dass es eine enorme Radikalisierung<br />

in den Gefängnissen gibt. Dort<br />

befinden sich die Gefangenen in engen<br />

Kreisen, wenn darin einer über den Islam<br />

spricht, dann wirkt das. Wir brauchen<br />

muslimische Kaplane in den Gefängnissen,<br />

um uns um die spirituellen Bedürfnisse der<br />

Muslime dort zu kümmern. Wir müssen<br />

den Radikalen die Argumente entziehen. <br />

Dieser Artikel erschien das erste Mal in der<br />

Frankfurter Rundschau am 21. November <strong>2015</strong><br />

bereitgestellt<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 19


almanah<br />

„Alles<br />

Schlampen.“<br />

Drei Monate, 150 Schüler und oft ein Thema: Frauenfeindlichkeit.<br />

Im Zuge des „Newcomer“-Projekts hat biber-Redakteurin Melisa<br />

Erkurt am eigenen Leib erfahren, dass männliche Jugendliche oft<br />

ein Problem mit Frauen haben.<br />

20<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

T E X T :<br />

Melisa Erkurt<br />

FOTO:<br />

M a r k o M e s t r o v i ć<br />

Das ist nicht dasselbe, Sie sind eine<br />

Frau“, Salih * ,13, macht mir deutlich<br />

klar, wieso er den Anweisungen<br />

meines Kollegen Amar folgt und meine<br />

Worte ignoriert. Als ich ihn zur Rede stellen<br />

will, fallen mir Salihs Mitschülerinnen ins<br />

Wort: „Lassen Sie ihn, er redet immer so mit<br />

Frauen.“ Darauf lachen die Burschen: „Er<br />

hat eh Recht“, grölen sie.<br />

In den letzten Monaten waren mein<br />

Kollege Amar Rajković und ich an verschiedenen<br />

Wiener Schulen und haben mit dem<br />

biber-Schulprojekt „Newcomer“ jeweils in<br />

einer Woche versucht, rund 150 Jugendlichen<br />

einen Einblick in den Journalismus<br />

zu gewähren. Im Gegenzug dazu haben sie<br />

uns einen exklusiven Einblick in ihre Welt<br />

gegeben. Alles, was sie bewegt, wurde zum<br />

Thema gemacht – zocken, shishn und –<br />

leider oft auch - Frauen dissen.<br />

Natürlich schreibe ich hier nicht vom<br />

Akademischen Gymnasium oder der Schottenbastei.<br />

Wir haben uns für unsere mobile<br />

Redaktion bewusst Schulen ausgesucht,<br />

die von Kindern aus sozial benachteiligten<br />

Elternhäusern besucht werden. In einer<br />

dieser Schulen gibt es in einer Klasse zwei<br />

getrennte Listen, eine mit den Namen der<br />

Mädchen, eine mit denen der Jungen. Auch<br />

im Sportunterricht werden die Geschlechter<br />

- wie üblich - getrennt. „Mädchen sind<br />

sowieso unsportlich“, erklärt der 14-jährige<br />

Mirko * , warum er den getrennten Turnunterricht<br />

besser findet. „Das stimmt nicht“,<br />

ruft Nina * , wird aber sofort von Mirko<br />

ausgebremst: „Sei leise, was weißt du<br />

schon?“, bringt er sie zum Schweigen.<br />

Mein Vater sagt...<br />

Mirko und die anderen Jungs aus der<br />

Klasse nehmen nicht ernst, was die Mädchen<br />

sagen, sie nehmen auch nicht ernst,<br />

was ich als erwachsene Frau sage. In einem<br />

Gespräch mit ihnen wird schnell klar,<br />

woher ihr negatives Frauenbild kommt.<br />

„Mein Vater sagt auch, dass Frauen nichts<br />

wert sind“, rechtfertigt der kleine Mirko<br />

seine frauenfeindlichen Äußerungen. Seine<br />

Mitschülerinnen haben aufgegeben sich<br />

darüber aufzuregen.<br />

Die 13-jährige Azra kennt das alles auch<br />

von zuhause. Sie darf sich nur mit ihren<br />

Freundinnen treffen, wenn ihr Bruder<br />

dabei ist. „Wozu gehen Frauen raus? Nur<br />

um einen Mann aufzureißen, alles Schlampen!“,<br />

erklärt Azras Bruder. Im Haushalt<br />

muss Azra mithelfen, während ihr Bruder<br />

„Mein Vater sagt<br />

auch, dass Frauen<br />

nichts wert sind.“<br />

vor der Playstation hockt oder sich mit<br />

seiner Freundin trifft. Wenn Azra einen<br />

Freund hätte, wäre zuhause die Hölle los.<br />

Schockiert<br />

Als ich aus einer dieser Klassen zurück in<br />

die Redaktion komme, bin ich noch immer<br />

fassungslos. Ich hätte nicht gedacht, dass<br />

es heute noch junge Männer, eigentlich<br />

sind es ja fast noch Kinder, gibt, die derartige<br />

Sprüche von sich geben. Zur Klarstellung:<br />

Ich bin nicht in einer Hietzinger<br />

Akademikerfamilie aufgewachsen, sondern<br />

komme aus einer bosnischen Arbeiterfamilie<br />

mit muslimischem Background.<br />

Ich kenne also das, was man in Medien die<br />

„bildungsferne Schicht“ nennt. Trotzdem<br />

haben mich die Aussagen vieler Burschen<br />

schockiert.<br />

Ein paar meiner männlichen biber-Kollegen<br />

finden, dass ich übertreibe: „Als ich<br />

in dem Alter war, fand ich Mädchen auch<br />

total blöd“, verharmlost ein Redakteur das<br />

Ganze. Doch die Art und Weise, wie diese<br />

„Wozu gehen Frauen<br />

raus? Nur um einen<br />

Mann aufzureissen,<br />

alles Schlampen.“<br />

Kids über Frauen sprechen, liegt auf einer<br />

ganz anderen Ebene.<br />

Sie finden Mädchen nicht blöd, sind aber<br />

heimlich in sie verliebt, wie es bei meinem<br />

Kollegen früher der Fall war. Im Gegenteil,<br />

sogar zum Thema Liebe zwischen Mann<br />

und Frau haben die Jungs aus einer der<br />

Klassen eine radikale Sichtweise: „Wenn<br />

eine Frau mehrere Freunde hatte, ist sie<br />

in meinen Augen eine Schlampe“, sagt der<br />

14-jährige Ahmi * .<br />

Jungfrau<br />

Er selber hat natürlich schon viele Freundinnen<br />

gehabt: „Die würde ich aber alle<br />

nicht heiraten, meine Frau muss nämlich<br />

Jungfrau sein“, fügt er hinzu. Er schaut mir<br />

direkt in die Augen, als er das sagt - keine<br />

Spur von schlechtem Gewissen, er hält<br />

das, was er sagt, für richtig, er steht hinter<br />

seinen Worten. Ein paar Meter weiter steht<br />

Vanessa * . Ahmi und sie waren drei Monate<br />

lang ein Paar. Sie hat seine Worte mitangehört<br />

und blickt die ganze Zeit beschämt<br />

zu Boden.<br />

Unterwerfung<br />

Die 18-jährige Matura-Schülerin Sila *<br />

kennt Burschen wie Ahmi. Sila besucht ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 21


almanah<br />

die letzte Klasse, mit der wir für dieses<br />

Semester unser Schulprojekt durchführen.<br />

Als ich ihr und ihren Mitschülerinnen von<br />

den frauenfeindlichen Aussagen der vorherigen<br />

Klassen berichte, sind die Jugendlichen<br />

nicht überrascht. Alle Mädchen aus<br />

der Klasse haben schon öfters frauenfeindliche<br />

Aussagen erfahren. Auch Sila musste<br />

lernen, sich selbst zu behaupten. Sie war<br />

mit einem Jungen zusammen, der die Auffassung<br />

vertrat, dass sie als Frau nicht<br />

alleine mit ihren Freundinnen rausgehen<br />

darf. Acht Monate machte sie seine Verbote<br />

mit, bis sie nicht mehr konnte und mit<br />

ihm Schluss machte. Darauf beschimpfte er<br />

Sila als Hure, weil sie sich ihm, dem Mann,<br />

nicht unterwerfen wollte.<br />

„Wenn ich in der<br />

Disco aufs Klo gehe,<br />

spüre ich auf dem<br />

Weg hundert Hände<br />

auf meinem Körper.“<br />

„Selber Schuld!“<br />

Silas Klassenkollegin Anastasia * kennt<br />

das Gefühl, wenn Männer sich mächtig<br />

fühlen wollen: „Wenn ich in der Disco aufs<br />

Klo gehe, spüre ich auf dem Weg dorthin<br />

hundert Hände auf meinem Körper.“<br />

Der 18-Jährigen haben schon oft fremde<br />

Männer auf den Arsch gefasst.<br />

„Selber Schuld“, meint der pubertierende<br />

Ahmi, „Wieso gehen Frauen<br />

überhaupt fort?“, erklärt er sich Situationen<br />

wie die von Anastasia. Frauen sind ihm<br />

zufolge selbst schuld, wenn sie belästigt<br />

werden, sie haben es provoziert, indem sie<br />

einen tiefen Ausschnitt tragen oder auch<br />

einfach nur alleine aus dem Haus gehen.<br />

Diskriminierung<br />

Ich habe in den Schulen erlebt, dass die<br />

frauenfeindlichen Aussagen nicht nur von<br />

Schülern mit Migrationshintergrund oder<br />

gar dem Islam als Religionsbekenntnis,<br />

wie man ja sonst oft liest, kommen. Die<br />

Jungs, die diese Aussagen tätigen haben<br />

ALLE EINE Gemeinsamkeit: Sie kommen<br />

aus sozial benachteiligten Familien, fühlen<br />

sich in Österreich diskriminiert und sehen<br />

für sich keine große Zukunft. Sie erleben,<br />

dass sie in unserer ach so liberalen Gesellschaft<br />

als Ahmed oder Ali keine große Rolle<br />

spielen werden und fragen sich offenbar,<br />

warum sie dann unsere Werte auch zu<br />

ihren machen sollten.<br />

Männliche Vorbilder<br />

Spürbar ist bei den Burschen zudem eine<br />

dringende Suche nach männlichen Vorbildern,<br />

die ihnen ihre Väter offenbar nicht<br />

ausreichend sein können. So wird mein<br />

Kollege Amar von allen Jungs verehrt. Sie<br />

machen Fotos von ihm, lachen über seine<br />

Scherze und ist er einmal nicht da, fragen<br />

sie im Minutentakt, wann Amar endlich<br />

kommt. Zuerst hat mich das gestört, doch<br />

ich begriff langsam, dass das gut war. Sie<br />

hatten in Amar ein Vorbild gefunden und<br />

als er ihnen erzählte, wie wichtig die Rolle<br />

der Frau in der Gesellschaft ist und dass<br />

er mit keinem von ihnen befreundet sein<br />

möchte, wenn sie schlecht über Frauen<br />

reden, nahmen sie sich das wirklich zu<br />

Herzen.<br />

Gabalier & Tradition<br />

Ich mache mir keine Illusionen, in einer<br />

Woche kann man ihre Anschauung nicht<br />

komplett ändern. Aber wir haben einige<br />

Burschen zum Nachdenken gebracht<br />

und auch die Mädchen in diesen Klassen<br />

gestärkt. Das wurde mir erst im Nachhinein<br />

bewusst, weil mir das die Schülerinnen<br />

später gesagt haben. Zudem wurde mir<br />

bewusst, wie wichtig der Kampf für Gleichberechtigung<br />

ist. In einer Gesellschaft, in<br />

der Andreas Gabalier gefeiert wird, weil<br />

er sich weigert die Bundeshymne durch<br />

die Töchter zu ergänzen, in der Frauen für<br />

dieselbe Tätigkeit um 23 Prozent weniger<br />

verdienen als Männer – da erwartet man<br />

gerade von den Jüngsten, die das alles mitkriegen<br />

und sich selbst am Abstellgleis<br />

sehen, gendersensibel zu sein?<br />

<br />

* Name von der Redaktion geändert<br />

TIPP:<br />

Flash<br />

Mädchencafé<br />

Im flash Mädchencafé in der Zieglergasse<br />

im siebten Wiener Bezirk, können Mädchen<br />

von 10 bis 21 Jahren untereinander<br />

sein, sich beraten lassen und an Selbstbehauptungsworkshops<br />

teilnehmen.<br />

Mobil: +43 (0)676 897 060 308<br />

Telefon: +43 (0)1 890 30 60<br />

Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />

Juni-Ausgabe <strong>2015</strong><br />

22<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Das kann ELGA<br />

ELGA ist …<br />

… ein informationssystem, das<br />

ihnen und ihren behandelnden<br />

Ärztinnen und Ärzten, spitälern,<br />

Pflegeeinrichtungen und apotheken<br />

den Zugang zu ihren gesundheitsdaten<br />

erleichtert. Elga steht für<br />

»elektronische gesundheitsakte«.<br />

ELGA startet …<br />

… schrittweise ab Dezember<br />

<strong>2015</strong> in öffentlichen spitälern<br />

der steiermark und Wien. Zug<br />

um Zug nehmen danach weitere<br />

Krankenhäuser in den anderen<br />

Bundesländern an Elga<br />

teil. Kassen ordinationen und<br />

apotheken folgen. Zunächst<br />

werden Entlassungs briefe,<br />

labor- und Radiologie befunde<br />

von den spitälern über Elga<br />

verfügbar gemacht. sobald es<br />

dann Elga-Befunde von ihnen<br />

gibt, können sie diese Befunde<br />

auch selbst online abrufen.<br />

EntgE ltlichE Einschaltung<br />

ELGA bringt …<br />

… mehr Zeit, Überblick und erspart Mehrfachuntersuchungen. in ihre persönliche<br />

Elga gelangen sie über das Elga-Portal auf www.gesundheit.gv.at nach<br />

anmeldung mit handysignatur oder Bürgerkarte. Dort können sie ihre eigenen<br />

Befunde einsehen, ausdrucken oder abspeichern. Egal, wann und egal, wo<br />

sie gerade sind. auch ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte, spitäler und<br />

Pflegeeinrichtungen erhalten mit Elga rasch wichtige informationen für<br />

Diagnose und therapie. somit leistet die elektronische gesundheitsakte Elga<br />

einen wertvollen Beitrag zur Erhöhung der Patientensicherheit.<br />

Für allgemeine Fragen und Fragen zur Elga-teilnahme steht ihnen die Elga-serviceline<br />

unter der telefonnummer 050 124 4411 werktags von Montag bis Freitag von 07.00 – 19.00<br />

uhr zur Verfügung. Weitere informationen erhalten sie online unter www.gesundheit.gv.at<br />

(Zugang Elga-Portal) oder unter www.elga.gv.at.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 23


almanah<br />

Wir<br />

stehen<br />

erst am<br />

Anfang<br />

Flüchtlingsstrom<br />

reduzieren, Menschen,<br />

die da sind, integrieren.<br />

Das sind die Ziele, die<br />

wir 2016 verfolgen. Ein<br />

Gastkommentar von<br />

Sebastian Kurz.<br />

Österreich stand <strong>2015</strong> ganz im Zeichen<br />

der Flüchtlingskrise. Dabei<br />

geht es mir um zwei Ziele: Einerseits<br />

müssen wir den Flüchtlingsstrom<br />

reduzieren, andererseits die Menschen, die<br />

nun da sind, integrieren. Denn neben hunderttausenden<br />

Transitflüchtlingen suchten<br />

rund 80.000 bis 90.000 Menschen in Österreich<br />

um Asyl an. Es ist davon auszugehen,<br />

dass davon rund die Hälfte langfristig in<br />

Österreich bleiben wird. Und hier dürfen<br />

wir keinesfalls die Fehler der Vergangenheit<br />

wiederholen und die Menschen sich<br />

selbst überlassen. Frühzeitige Integrationsmaßnahmen,<br />

vor allem im Bereich der<br />

Arbeitsmarktintegration, der schnellstmögliche<br />

Spracherwerb und eine Vermittlung<br />

der österreichischen Grundwerte sind<br />

entscheidend.<br />

Die Rahmenbedingungen für eine<br />

erfolgreiche Integration sind heute aber<br />

besser als bei früheren Migrationen.<br />

Österreich hat aus seinen Erfahrungen<br />

und seinen Fehlern aus der Vergangenheit<br />

gelernt und verfügt nunmehr über einen<br />

Plan und über Strukturen, um Flüchtlingen<br />

in Österreich ein selbstbestimmtes Leben<br />

zu ermöglichen. Wir müssen jedoch auch<br />

klar festhalten, dass diese Strukturen<br />

derzeit an ihre Grenzen stoßen. Sollte<br />

der Flüchtlingsstrom im Frühling wieder<br />

anwachsen und keine gesamteuropäische<br />

Lösung gefunden werden, würde die<br />

Aufnahme- und Integrationsfähigkeit<br />

Österreichs überfordert werden. Und wir<br />

müssen sehen, dass schon jetzt die Integration<br />

eine riesige Herausforderung sein<br />

wird. Allein die Arbeitsmarktintegration<br />

wird angesichts der Qualifikationsstruktur<br />

der Flüchtlinge alles andere als leicht. Im<br />

AMS rechnet man, dass in den kommenden<br />

fünf Jahren nur 50 Prozent der Flüchtlinge<br />

einen Job bekommen werden. Im Spracherwerb<br />

müssen wir das Angebot steigern.<br />

Im letzten Jahr haben wir die Mittel von<br />

40 Millionen für rund 30.000 Deutschkursplätze<br />

auf über 50 Millionen für rund<br />

50.000 Plätze steigern können. Darüber<br />

hinaus kommen viele Menschen aus<br />

anderen Kulturkreisen. Ich betone, dass das<br />

überhaupt nicht heißt, dass sie schlechte<br />

Menschen sind, darüber sagt das nichts<br />

aus. Aber es heißt einfach nur, dass sie aus<br />

Kulturkreisen kommen, die von anderen<br />

Anschauungen oder Werten geprägt sind.<br />

Wir werden daher Werteschulungen bzw.<br />

Orientierungskurse machen, in denen<br />

„Wir müssen klar<br />

festhalten, dass unsere<br />

Strukturen derzeit an<br />

ihre Grenzen stoßen.“<br />

Geschichte, Geographie und Grundwerte<br />

wie Demokratie, Rechtsstaat oder Gleichberechtigung<br />

näher gebracht werden.<br />

Ich plädiere dabei dafür, dass wir<br />

zusätzlich jetzt einen Schritt weiter gehen<br />

als bisher, hin zu einer Integrationspflicht.<br />

Es ist zwar davon auszugehen, dass die<br />

Masse der Leute, die zu uns gekommen<br />

ist, bereit ist, sich zu integrieren. Aber wir<br />

müssen trotzdem die Integration als Pflicht<br />

24<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

einfordern, in den Bereichen Sprache,<br />

Arbeit und Werte. Wer nicht bereit ist, die<br />

Sprache zu lernen, Arbeitsbereitschaft zu<br />

zeigen oder Wertkurse zu machen, dem soll<br />

als Sanktion die Mindestsicherung gekürzt<br />

werden.<br />

Das zweite große Thema, das uns derzeit<br />

beschäftigt, ist die Prävention von Radikalisierung.<br />

Neben erforderlichen restriktiven<br />

Maßnahmen durch Polizei und Justiz<br />

bei Verherrlichung von oder Mitwirkung<br />

an terroristischen Aktivitäten braucht<br />

Außen- und<br />

Integrationsminister<br />

Sebastian Kurz sieht im<br />

politischen Islam die<br />

wahre Herausforderung:<br />

„Bei dieser Aufgabe<br />

stehen wir erst am<br />

Anfang.“<br />

Die Ablehnung<br />

unserer Gesellschaft<br />

und unserer Werte<br />

dürfen nicht toleriert<br />

werden.“<br />

es langfristige Präventionsmaßnahmen.<br />

Österreich hat hier in den vergangenen<br />

Monaten gute Arbeit geleistet und eine<br />

Vielzahl an Programmen implementiert.<br />

Ganz wichtig ist für mich aber, dass wir<br />

ganz klar und strikt trennen müssen.<br />

Zunächst den Islam als Religion, für den<br />

selbstverständlich die Religionsfreiheit<br />

entlang weltlicher Gesetze in Österreich<br />

gilt und wo wir uns um den Dialog<br />

und das Zusammenleben der Religionen<br />

bemühen. Davon ganz klar zu trennen sind<br />

Terror und Jihadismus, hier geht es um<br />

Verbrechen und Kriminalität als Aufgaben<br />

für Verfassungsschutz, Polizei oder gar<br />

Militär. Es gibt aber noch einen dritten<br />

Bereich, der stärker in den Fokus geraten<br />

soll: Der politische Islam, der Islamismus.<br />

Hier handelt es sich weder um Religion<br />

noch um Terror, sondern um eine politische<br />

Bewegung, wo die Trennung zwischen<br />

Scharia und weltlichem Gesetz nicht mehr<br />

deutlich ist und wo wir die Augen vor realen<br />

Problemen nicht verschließen werden.<br />

Die Ablehnung unserer Gesellschaft und<br />

unserer Werte, die Abwertung anderer<br />

Religionen und die bewusste Abschottung<br />

dürfen nicht toleriert werden. Bei dieser<br />

Aufgabe stehen wir erst am Anfang. <br />

Zach - Kiesling Roman / Verlagsgruppe News / picturedesk.com<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 25


almanah<br />

mtazamo<br />

Perspektive auf swahili<br />

26<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


MARKT & KARRIERE<br />

Kinder von Akademikern werden Akademiker, Kinder von Arbeitern<br />

bleiben Arbeiter. Laut OECD-Berichten ist der soziale Aufstieg fast<br />

nirgends so schwer wie in Österreich. Der Migrationshintergrund<br />

spielt dabei nach wie vor eine entscheidende Rolle. Drei Migranten der<br />

zweiten Generation erzählen, wie sie den Aufstieg dennoch geschafft<br />

haben und Österreichs Spitzenmanager erklären, was Politik und<br />

Wirtschaft tun müssen, damit dies den neu ankommenden Flüchtlingen<br />

auch gelingt.<br />

S. 28–30<br />

AUFSTIEG DER ARBEITERKINDER<br />

Soziale Ungleichheit ist nach wie vor ein großes Thema<br />

in Österreich. Dabei wäre vor allem in Bezug auf Bildung<br />

Chancengleichheit entscheidend. Drei Arbeiterkinder<br />

erzählen, wie hart sie sich ihren sozialen Aufstieg<br />

erkämpfen mussten.<br />

S. 32-36<br />

WIRTSCHAFT FÜR FLÜCHTLINGE<br />

„Die Wirtschaft spielt eine wesentliche Rolle bei der Integration<br />

– durch Arbeits- und Ausbildungsplätze.“ Gerhard<br />

Drexel von SPAR und andere Top-Manager erzählen,<br />

wie ihre Unternehmen Flüchtlingen helfen.<br />

Zoe Opratko, Spar<br />

S. 38-39<br />

ARBEIT FÜR ASYLWERBER<br />

Károly Pataki vom Personaldienstleistungsunternehmen<br />

Trenkwalder ist dafür, dass Asylwerber sofort arbeiten<br />

sollen. Deutschkenntnisse sind für ihn nicht in jeder<br />

Branche zwingend.


almanah<br />

Der Aufstieg der<br />

Arbeiterkinder<br />

Laut OECD-Berichten ist die Chance<br />

auf den sozialen Aufstieg fast nirgends<br />

so gering wie in Österreich. Natasa<br />

(15), Melisa (24) und Halil Ibrahim<br />

(27) haben es trotzdem geschafft. Drei<br />

Arbeiterkinder über ihren Aufstieg.<br />

T E X T :<br />

Melisa Erkurt<br />

Es ist seit Jahren bekannt und wird trotzdem ignoriert. Bildung<br />

wird in Österreich praktisch „vererbt“. Die Kinder von<br />

Akademikern werden in der Regel Akademiker. Die Kinder<br />

von Arbeitern bleiben oft Arbeiter. Das heimische Bildungssystem<br />

schafft es aufgrund jahrzehntelanger Versäumnisse<br />

nicht, die sozialen Unterschiede auszugleichen und wirkliche<br />

Chancengleichheit zu garantieren. Oft ist es eine einzelne<br />

und engagierte Lehrerin, die über den Bildungsweg eines<br />

Flüchtlingskindes entscheidet, so wie im Fall von biber-Redakteurin<br />

Melisa. Oder es ist einfach der innere Antrieb, sich<br />

nach oben zu boxen – auch gegen den Willen der Eltern, wie<br />

bei Schülerin Natasa oder Master-Student Halil Ibrahim.<br />

Es ist Zeit für einen Neustart im Bildungssystem. Damit die<br />

Zukunft jedes Kindes gefördert und in keinem einzigen Fall<br />

blockiert wird.<br />

28<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Marko Mestrović, Philipp Tomsich<br />

„Meine Eltern<br />

konnten nie in der<br />

Schule helfen.“<br />

Meine Mama ist Putzfrau und mein Vater<br />

Fensterreiniger. 2005 kam mein Vater nach<br />

Österreich. Meine Mutter, Schwester und<br />

ich folgten ein Jahr später. Ich kam direkt<br />

in die Volksschule, obwohl ich kein Wort<br />

Deutsch konnte. Doch ich lernte fleißig,<br />

denn meine Eltern hatten schon genug<br />

Sorgen, ich wollte sie mit meinen guten<br />

Noten glücklich machen. Meine Eltern<br />

konnten mir nie bei der Hausübung helfen,<br />

wie die Eltern meiner Klassenkollegen. Ich<br />

machte immer alles alleine. Wenn meine<br />

Mama erschöpft nach Hause kam, eilte ich<br />

ihr entgegen, um ihr die Sachen abzunehmen.<br />

Sie war so müde und hatte keine Kraft<br />

sich meine Geschichten aus der Schule<br />

anzuhören.<br />

Ich war ein sehr ehrgeiziges Kind, ging<br />

von der Schule immer direkt nach Hause,<br />

um zu lernen. In der Schule wurde ich<br />

deswegen gemobbt und als Klugscheißerin<br />

beschimpft, weil ich gerne Fremdworte<br />

verwendete, die sie gar nicht<br />

kannten. Unser Vermieter hatte uns sein<br />

volles Bücherregal dagelassen, daraus<br />

nahm ich mir meinen Lesestoff und die<br />

ganzen neuen Wörter. Ich meldete mich<br />

auch alleine in der Bibliothek an, meine<br />

Eltern hatten keine Zeit dafür.<br />

Ich begann zusätzlich Klavier zu<br />

spielen und träumte von einem weißen<br />

Piano. Doch leider reichte das Geld nach<br />

sechs Jahren Klavierunterricht nur für<br />

ein elektrisches Wandpiano um 450<br />

Euro.<br />

Meinem Vater geht es auch nicht so<br />

gut, er kommt von der Baustelle, wo<br />

er zurzeit arbeitet, immer kaputt nach<br />

Hause und haut sich vor den Fernseher.<br />

Er hat keine Zeit für uns Kinder. Ich<br />

beneide meine Klassenkollegen, deren<br />

Eltern auf Schulausflüge mitkommen<br />

und sich mit ihnen am Esstisch über<br />

Politik unterhalten.<br />

Auf Elternabenden schäme ich mich<br />

für das Deutsch und die Berufe meiner<br />

Eltern. Ich merke, wie genervt die Lehrer<br />

werden, wenn sie mit ihnen reden.<br />

Meine Eltern lesen eher serbische<br />

Zeitungen, ich dagegen bin immer<br />

überglücklich, wenn jemand den<br />

Standard in der U-Bahn liegen lässt<br />

oder wir ihn in der Schule ausgeteilt<br />

bekommen. Ich liebe es, Zeitungen zu<br />

lesen. Vielleicht werde ich später sogar<br />

Journalistin. Mein Vater ist von dieser<br />

Idee nicht begeistert, er möchte, dass ich<br />

nach der Schule gleich arbeiten gehe und<br />

die Familie finanziell unterstütze. Er<br />

sagt, wir sollen froh sein, mit dem was<br />

wir haben. Aber ich will mehr.<br />

Natasa Stojanović (15), Schülerin am<br />

Gymnasium Henriettenplatz<br />

„Ich beneide<br />

Klassenkollegen,<br />

die sich mit ihren<br />

Eltern über Politik<br />

unterhalten.“<br />

Natasa (15)<br />

„Viel lernen ist<br />

nichts für dich.“<br />

Ich kam mit zwei Jahren nach Österreich.<br />

Im Kindergarten sprach ich kein Wort, weil<br />

ich verängstigt war: geflohen aus dem Bosnienkrieg<br />

in ein völlig neues Leben. Die<br />

Kindergärtnerinnen dachten schon damals,<br />

aus mir würde nichts werden. In der Volksschule<br />

blieb ich weiterhin das schüchterne<br />

Mädchen, alle dachten, ich könnte<br />

nicht gut genug Deutsch, dabei lernte ich<br />

zuhause das Findefix Wörterbuch auswendig,<br />

ich kannte jedes Wort, ich war einfach<br />

nur zurückhaltend. In der vierten Klasse<br />

mussten sich meine Eltern entscheiden:<br />

Gymnasium oder Hauptschule. „Hauptschule“,<br />

sagte mein Vater: „Viel lernen ist<br />

nichts für dich.“<br />

Doch meine Volksschullehrerin riet<br />

meiner Mutter, mich im Gymnasium<br />

anzumelden, sie sah Potential in mir. Sie<br />

hat mir damit meine Zukunft gerettet.<br />

Im Gymnasium bekam ich eine Drei<br />

auf die erste Deutschschularbeit. Ich<br />

weinte den ganzen Nachhauseweg.<br />

Deutsch war mein Lieblingsfach, ich<br />

tat in meiner Freizeit nichts anderes<br />

als zu lesen und zu schreiben. Vielleicht<br />

hätte ich auf meinen Vater hören sollen,<br />

vielleicht war das alles wirklich nichts<br />

für mich.<br />

In meiner ganzen Klasse waren<br />

Kinder, deren Eltern Anwälte, Architekten<br />

und Oberärzte waren. Mein Vater war<br />

Reifenhändler und meine Mutter hatte<br />

eine Lehre als Apothekerin abgeschlossen.<br />

Wir haben eine Wohnung, in der<br />

man jedes Geräusch hört. Beim Lernen<br />

und Hausübungen schreiben stopfte ich<br />

mir Ohropax rein, um den Fernseher im<br />

Wohnzimmer nicht zu hören. In meiner<br />

Freizeit habe ich nur gelesen. Mein Vater<br />

wurde wütend, wenn er mich vertieft in<br />

meine Bücher sah. „Lern lieber etwas<br />

Nützliches! Was willst du mit den<br />

Büchern, damit kannst du keine Miete<br />

bezahlen!“ Er versteckte meine Bücher,<br />

ich las heimlich in der Bibliothek. Lesen<br />

war für ihn Zeitverschwendung. Er<br />

selbst hat in seinem Leben vielleicht<br />

fünf Bücher gelesen.<br />

‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 29


almanah<br />

„Ich stopfte mir beim<br />

Lernen Ohropax rein,<br />

um den Fernseher<br />

nicht zu hören.“<br />

Melisa (24)<br />

Ich verfasse gerade meine Magisterarbeit<br />

in Neuerer Deutscher Literatur und<br />

arbeite für biber. Mit Lesen und Schreiben<br />

zahle ich tatsächlich meine Miete,<br />

Papa.<br />

Melisa Erkurt (24), angehende Deutsch-<br />

Lehrerin und biber-Redakteurin<br />

Doch dass Lesen sich lohnt, bewies<br />

mein Zeugnis: Ich hatte nur Einsen und<br />

gehörte in einer sehr leistungsstarken<br />

Klasse zu den Besten. Dass ich anders als<br />

meine Klassenkollegen war, zeigte sich<br />

nur an Elternsprechtagen und Schulfeiern.<br />

Acht Jahre lang kam nur meine<br />

Mutter. Mein Vater hat mein Gymnasium<br />

noch nie von innen gesehen. Er kam<br />

nicht einmal zur Maturafeier. Er sprach<br />

schlecht Deutsch, er fühlte sich dort<br />

nicht wohl, das war nicht seine Welt.<br />

Doch Bildungsinstitutionen waren<br />

total meine Welt. Die Schule war mein<br />

Lieblingsort. Als ich maturierte, wusste<br />

ich, ich werde wieder zurückkommen.<br />

An der Uni tat ich mir leicht, arbeitete<br />

nebenbei, ich musste mir mein Studium<br />

selbst finanzieren – schließlich war es<br />

meine Entscheidung gewesen auf die Uni<br />

zu gehen. Dieses Jahr habe ich mit 24<br />

mein Deutsch, Psychologie und Philosophie<br />

Lehramtsstudium abgeschlossen.<br />

„Mein Vater war so<br />

kaputt, dass er mein<br />

Maturazeugnis nicht<br />

einmal anschaute.“<br />

Mein Vater ist Fernfahrer und kommt<br />

nur alle zwei Wochen nach Hause, meine<br />

Mutter ist Hilfsarbeiterin und arbeitet ab<br />

sechs Uhr in der Früh. Als Kind habe ich in<br />

einem kleinen Dorf in Niederösterreich am<br />

Feld mitgearbeitet. Die Arbeit war hart und<br />

ich wusste, ich muss zur Schule gehen, um<br />

irgendwann einen besseren Job zu bekommen.<br />

Ich hatte gute Noten, nur in Deutsch<br />

tat ich mir schwer. Ich schaffte es von<br />

der Hauptschule in die HTL, fuhr jeden<br />

Morgen eineinhalb Stunden zur Schule.<br />

Ich schrieb 15 Bewerbungen für Pflichtpraktika<br />

und bekam keine einzige<br />

Zusage. Mein Name war ausländisch und<br />

meine Eltern hatten keine Connections.<br />

Ich wusste, um die fehlenden Praktika<br />

auszugleichen, musste ich gute Noten<br />

schreiben und tatsächlich maturierte ich<br />

mit ausgezeichnetem Erfolg.<br />

Zu meiner Maturafeier kam nur mein<br />

Bruder, meine Eltern mussten arbeiten.<br />

Mein Vater legte eine Pause an einer<br />

Tankstelle ein und ich eilte zu ihm, um<br />

ihm mein Maturazeugnis zu zeigen.<br />

Mein Vater war so kaputt, dass er mein<br />

Maturazeugnis nicht einmal anschaute<br />

und gleich zur Seite legte. Von da an<br />

wusste ich: Ich muss das für mich selbst<br />

machen und nicht für die Anerkennung<br />

anderer.<br />

Als ich nach Wien ging, um mich an<br />

der Technischen Universität zu inskribieren,<br />

hatten meine Eltern keine<br />

Ahnung, was das bedeutete. Meine<br />

Mutter war besorgt, sie sagte, dass ich<br />

mir das gut überlegen sollte. Ich suchte<br />

mir im Alleingang eine Wohnung und<br />

meine Eltern realisierten die ersten<br />

paar Monate gar nicht, was ich da jetzt<br />

eigentlich in Wien machte. Hier kannte<br />

ich niemanden, hatte anfangs keinen<br />

einzigen Freund. Auch musste ich mir<br />

mein Studium selbst finanzieren, arbeitete<br />

Teilzeit, im Sommer immer Vollzeit.<br />

Trotz Bachelor in Maschinenbau, glaubt<br />

mein Vater nicht, dass ich mich in<br />

meinem Gebiet auskenne: „Was weißt<br />

du schon, du bist nur Student“, sagt er,<br />

wenn ich von meinem Schwerpunkt, der<br />

Energietechnik, erzähle.<br />

Zurzeit schreibe ich an meiner<br />

Masterarbeit über alternative Energie<br />

und möchte danach in die Forschung.<br />

Ich bin der Erste aus meiner Familie mit<br />

Uniabschluss. Mit Titel werde ich hierzulande<br />

viel besser behandelt als meine<br />

Eltern. Ich werde auch viel weniger als<br />

meine Eltern arbeiten müssen, aber<br />

deutlich mehr verdienen. Mein erstes<br />

Gehalt werde ich meiner Mutter geben,<br />

das habe ich ihr damals versprochen.<br />

Dann werden meine Eltern auch sehen,<br />

dass sich studieren gelohnt hat.<br />

Halil Ibrahim Candeğer (27),<br />

Masterstudent an der TU<br />

Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />

Juni-Ausgabe <strong>2015</strong><br />

30<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Jetzt Green Points App herunterladen und Umweltprojekte fördern.<br />

Informationen zum Projekt unter oebb.at/greenpoints<br />

Paradies für Amphibien ist ein gemeinsames Projekt von ÖBB und WWF Österreich.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 31


almanah<br />

„Wir packen<br />

mit an“<br />

Gratis-WLAN-Zugang,<br />

Rechtsberatung,<br />

Lehrstellen und Millionen<br />

an Spenden. Österreichs<br />

Konzerne haben in der<br />

Flüchtlingskrise Flagge<br />

gezeigt und Flüchtlingen<br />

schnell und unbürokratisch<br />

geholfen. Top-Manager<br />

geben Auskunft über ihre<br />

Beweggründe, konkreten<br />

Projekte und was die Politik<br />

jetzt tun sollte.<br />

T E X T :<br />

Melisa Erkurt<br />

Andreas Bierwirth<br />

CEO T-Mobile<br />

„Als internationales<br />

Unternehmen ist T-Mobile seit<br />

jeher Chancengleichheit und<br />

Diversität in der Personalpolitik<br />

verpflichtet, für Menschen jeder<br />

Herkunft. Die Menschen, die<br />

in den letzten Monaten zu uns<br />

geflüchtet sind, sind auch ein<br />

Teil der Zukunft unseres Landes.<br />

Wir unterstützen daher nicht nur<br />

seit 2010 jugendliche Flüchtlinge<br />

bei ihrer Suche nach Lehrplätzen, sondern haben<br />

vor einigen Monaten eine große Hilfsaktion namens<br />

#ConnectRefugees gestartet. Mit rund 50.000 Euro<br />

zur Schaffung dringend benötigten Wohnraums für<br />

asylsuchende Menschen sowie mit unentgeltlichen<br />

Internetverbindungen für Flüchtlingsquartiere ebenso<br />

wie für Smartphones unterstützt T-Mobile Austria<br />

die Flüchtlingshilfe der Caritas. Mehrere hundert<br />

Internetanschlüsse mit WLAN-Zugang werden von der<br />

Caritas in Wohnquartieren in ganz Österreich eingesetzt<br />

werden. Darüber hinaus fördert T-Mobile auch das<br />

freiwillige Engagement seiner Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter durch einen Sonderurlaubstag. Zusätzlich<br />

unterstützen wir die „hallo App Deutsch“. Mit diesen<br />

kostenfreien Deutsch-Lernapps können Kinder auf<br />

Smartphones und Tablets schnell den Grundwortschatz<br />

der deutschen Sprache aufbauen.“<br />

Wolfgang Eder<br />

Vorstandvorsitzender<br />

der voestalpine AG<br />

„Als international tätiger Konzern<br />

sehen wir es als Teil unserer<br />

Verantwortung angesichts der<br />

Flüchtlingskatastrophe aktiv Hilfe<br />

zu leisten – wir unterstützen<br />

daher Maßnahmen in den am<br />

stärksten betroffenen Ländern<br />

im Nahen Osten als auch bei<br />

uns in Österreich. Neben der<br />

Ersthilfe sehen wir den größten<br />

Handlungsbedarf in den Bereichen Bildung und<br />

Integration junger Menschen. Die Eingliederung von<br />

Asylwerbern muss beschleunigt werden, denn wir<br />

können es uns einfach nicht leisten, drei oder vier Jahre<br />

lang zu warten, sie in den Arbeitsprozess zu bringen.“<br />

Handlungsbedarf<br />

bei Bildung und<br />

Integration junger<br />

Menschen<br />

32<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Frank Hensel<br />

Vorstandsvorsitzender der<br />

REWE International AG<br />

„Die Flüchtlingssituation kann Unternehmen<br />

nicht kalt lassen. Die Wirtschaft muss ihrer<br />

Verantwortung nachkommen und nach ihren<br />

Möglichkeiten mit anpacken. Wir haben uns<br />

nach Gesprächen mit der Caritas entschlossen,<br />

die Unterbringung und Begleitung von Kindern<br />

und jugendlichen Flüchtlingen zu finanzieren -<br />

mit einer Spende von 500.000 Euro. Das ist für<br />

uns ein logischer nächster Schritt, nachdem wir<br />

seit 5 Jahren gemeinsam mit der Caritas und<br />

der WU jungen Flüchtlingen die Chance auf Bildung und Integration<br />

im Rahmen der Initiative ‚Lernen macht Schule‘ geben. Mittelfristig<br />

wird es vor allem darum gehen, wie man Flüchtlinge – durch Bildung<br />

und Beschäftigung – an unserer Gesellschaft teilhaben lassen kann.<br />

Als einer der größten Arbeitgeber und Ausbildner des Landes ist es<br />

unsere Verantwortung, Lehrstellen für junge Flüchtlinge – natürlich<br />

jene die das möchten – zur Verfügung zu stellen. Angesichts der<br />

neuen Situation haben wir die Erfahrungen unserer Handelsfirmen<br />

genutzt, um das Angebot zu intensivieren. Per 30. November haben<br />

18 Flüchtlinge eine Lehrstelle bei uns angetreten, sie sind erfolgreich<br />

aus einem umfassenden Rekrutierungsprozess hervorgegangen.“<br />

Lehrstellen für<br />

Flüchtlinge<br />

Peter Bucher<br />

CEO Western Union International Bank<br />

Foto Wilke, T-Mobile, voestalpine, REWE<br />

Hilfe in den<br />

Krisengebieten<br />

„Das Thema Migration liegt uns sehr am Herzen:<br />

Einerseits sind viele unserer Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter selbst Migrantinnen bzw. Migranten,<br />

genauso wie der überwiegende Teil unserer Kundinnen<br />

und Kunden. Deshalb unterstützen wir eine Reihe<br />

unterschiedlicher Aktivitäten. In Österreich sind<br />

dies etwa von der Caritas geleitete Wohnprojekte für<br />

unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Deutschkurse<br />

oder die Initiative ‚Vielfalter for refugees‘. Besonders<br />

wichtig ist es uns, nachhaltig zu helfen. Konkret sind<br />

zudem folgende Punkte entscheidend: Europa muss<br />

die Menschen in ihren Heimatländern oder den umliegenden Ländern<br />

unterstützen. Hilfe vor Ort bedeutet, dass Menschen in ihrer Region bleiben<br />

können und nicht die gefährliche Wanderschaft nach Europa antreten müssen.<br />

Zweitens muss Europa die Einwanderer schnellstens integrieren. Das<br />

heißt auch, den Menschen und nicht seine Herkunft in den Fokus zu<br />

stellen. Erfolgreich integrierte Einwanderer stellen schon aus demographischen<br />

Gründen eine große Chance dar. Plus: Etwa drei von vier unserer<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit haben einen Migrationshintergrund<br />

– und wir sehen täglich, wie dies unser Unternehmen bereichert.“<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 33


almanah<br />

Andreas Schmidlechner<br />

Geschäftsführer McDonald’s Österreich<br />

Arbeitsplätze<br />

schaffen<br />

„Für uns ist es seit jeher selbstverständlich,<br />

Integration im Alltag zu leben. Bei McDonald’s<br />

Österreich arbeiten Menschen aus 60, 70<br />

unterschiedlichen Nationen, und diese Vielfalt<br />

bereichert unser Arbeiten jeden Tag. Integration<br />

heißt für mich, dass wir als Wirtschaft durch<br />

das Angebot von Arbeitsplätzen und durch<br />

eine pragmatische Unterstützung im Alltag<br />

dazu beitragen, dass sich Menschen, die nach<br />

Österreich kommen, hier schnell zu Hause<br />

und zugehörig fühlen. Es geht darum, im<br />

täglichen Leben Integration zu unterstützen. Daher engagieren wir<br />

uns auch seit vielen Jahren im Verein Wirtschaft für Integration und<br />

unterstützen die Initiative „Zusammen Österreich“. Für uns zählt<br />

nicht, woher jemand kommt. Sondern, dass jemand Interesse und<br />

Leidenschaft für eine Aufgabe mitbringt und ein Teamworker ist.<br />

Dann bieten wir bei uns jede Möglichkeit, auch einen sehr schnellen<br />

Aufstieg ins Management.<br />

Ich denke, dass das auch die Aufgabe der Politik ist:<br />

Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Menschen in Österreich<br />

schnell eine Möglichkeit zur Integration finden, und dass<br />

Unternehmen diese Möglichkeiten auch bieten können.“<br />

Peter Huber<br />

Managing Partner CMS Austria<br />

„Die vergangenen Monate haben gezeigt,<br />

welch große Bedeutung das Recht auf<br />

Menschlichkeit hat. Gemeinsam ist es<br />

der Bevölkerung, sozialen Einrichtungen<br />

und Österreichs Wirtschaft gelungen, die<br />

in Österreich Hilfe suchenden Menschen<br />

schnell und unkompliziert zu versorgen<br />

sowie mit Respekt und Wärme aufzunehmen.<br />

Wie viele andere Unternehmen hat sich<br />

auch unsere Rechtsanwaltssozietät neben<br />

Sach- und Geldspenden dazu entschieden,<br />

Zeit zu spenden und mehr als 300 Stunden kostenloser Vor-Ort-<br />

Rechtsberatung für Flüchtlinge auf den Wiener Bahnhöfen zu<br />

leisten. Langfristig betrachtet müssen jedoch auch sensible Fragen<br />

betreffend das Recht auf Arbeit, das Recht auf Sozialleistungen und<br />

das Recht auf Bildung beantwortet werden. Letzteres versuchen<br />

wir bei CMS, durch gezielte Unterstützung von Einzelinitiativen in<br />

den Mittelpunkt zu rücken. So sehen wir in Stipendienprogrammen<br />

wie „START“ große Chancen: START ermöglicht engagierten<br />

Jugendlichen mit Migrationshintergrund den Maturaabschluss<br />

und bietet den Stipendiaten am Weg dorthin materielle und ideelle<br />

Förderung durch persönliche Betreuung.“<br />

Unterstützung von<br />

Einzelinitiativen<br />

McDonalds, CMS Austria<br />

34<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 35


almanah<br />

Gerhard Drexel<br />

Vorstandsvorsitzender Spar<br />

„Wir befinden uns in einer Zeit großer<br />

Umbrüche, die bei vielen Menschen<br />

große Verunsicherung hervorruft. Viele<br />

erleben den Einfluss anderer Kulturen als<br />

Bedrohung. Damit müssen wir uns auseinandersetzen,<br />

um in Zukunft miteinander<br />

gut leben zu können. Die – zugegeben<br />

schwierige – Aufgabe von Politik ist es, zu<br />

ermöglichen, dass ein Miteinander von<br />

Einheimischen und neu Angekommenen gut<br />

möglich ist. Neben einer Erstversorgung<br />

von Flüchtlingen und einer akzeptablen Unterbringung, muss<br />

dafür gesorgt sein, dass sich die neuen ÖsterreicherInnen gut<br />

und schnell integrieren können. Das kann man nicht einfach nur<br />

erwarten, dafür müssen die Bedingungen geschaffen werden. Hier<br />

gilt: Weg mit zu viel Bürokratie – hin zu flexiblen Möglichkeiten.<br />

Die Wirtschaft wiederum kann direkt helfen. SPAR hat die Caritas<br />

mit einem hohen Geldbetrag unterstützt und vielen, vielen<br />

Projekten bei der Flüchtlingsbetreuung geholfen. Die Wirtschaft<br />

spielt eine wesentliche Rolle bei der Integration - durch Arbeitsund<br />

Ausbildungsplätze. Ein gutes Beispiel ist die SPAR-Akademie:<br />

Jugendliche aus 36 Ländern, mit 32 Sprachen und 12 Religionen<br />

werden hier für den Lebensmittelhandel ausgebildet. Das von<br />

SPAR entwickelte Lehrfach „Interkulturelles Miteinander“ könnte<br />

ein Lehrbeispiel darstellen, wie gemeinsames Leben funktionieren<br />

kann.“<br />

Interkulturelles<br />

Miteinander<br />

lehren<br />

Davor Sertic<br />

Spartenobmann Transport und Verkehr<br />

Deutschkurse<br />

während des<br />

Asylverfahrens<br />

„Die aktuelle Flüchtlingssituation<br />

betrifft uns alle und wir müssen<br />

die Problematik aus der Warte aller<br />

Beteiligten sehen. In Wien herrscht<br />

zurzeit eine Rekordarbeitslosigkeit.<br />

Eine generelle Öffnung der Grenzen<br />

würde die enorm angespannte<br />

Situation am Arbeitsmarkt massiv<br />

verschlechtern. Wir sehen aber<br />

durchaus den Personalbedarf in<br />

Mangelberufen, wo wir sinnvoll das<br />

Arbeitskräftepotential von Flüchtlingen nützen sollten.<br />

Ganz im Sinne eines Integrationsprozesses wäre es<br />

wichtig, Deutschkurse bereits während des Asylverfahrens<br />

anzubieten und Talente-Screenings zur Erkennung der<br />

Qualifikationen durchzuführen.“<br />

SPAR, WKO<br />

36<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

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leben.<br />

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JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 37


almanah<br />

INTERVIEW:<br />

Karoly Pataki<br />

„Nicht nach Herkunft<br />

differenzieren.“<br />

Das Personaldienstleistungs<br />

unternehmen<br />

Trenkwalder vermittelt<br />

Arbeitskräfte an Unternehmen.<br />

CEO Karoly Pataki<br />

über die Integration von<br />

Flüchtlingen, wie viel<br />

Deutsch im Job notwendig<br />

ist und warum Asylwerber<br />

sofort arbeiten sollten.<br />

TEXT:<br />

Onur Kas<br />

F O T O :<br />

Zoe Opratko<br />

38<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Herr Pataki, die Arbeitslosigkeit ist auf dem<br />

höchsten Stand seit Bestehen der Zweiten<br />

Republik. Glauben Sie, dass Flüchtlinge in<br />

dieser schwierigen Zeit in den Arbeitsmarkt<br />

integriert werden können?<br />

Da Österreich an der Grenze zum Osten<br />

liegt, hat es insbesondere nach der Wende<br />

von den Ostmigranten profitiert. Es handelt<br />

sich um hochqualifizierte Leute, die zum<br />

größten Teil unter ihrem Niveau beschäftigt<br />

sind. Das sind Uniabsolventen, die als<br />

Kebabverkäufer oder Taxifahrer arbeiten.<br />

Bei den Flüchtlingen muss man sich erst<br />

Mal fragen, wo es glaubwürdige Statistiken<br />

über ihre Qualifikationen gibt. Diejenigen,<br />

die in Österreich einen Asylantrag stellen,<br />

müssen für einen Kompetenzcheck herangezogen<br />

werden.<br />

Viele ÖsterreicherInnen befürchten durch den<br />

Zuzug von weiteren Flüchtlingen die Verschärfung<br />

der Arbeitsmarktsituation und den daraus<br />

resultierenden Verdrängungswettbewerb.<br />

Es wird eher im unteren Arbeitsmarktsektor<br />

zu einem Verdrängungswettbewerb<br />

kommen, weil es dort an Deutschkenntnissen<br />

fehlt. Festzuhalten ist aber: Wenn<br />

Flüchtlinge nach Österreich kommen,<br />

die einen positiven Asylbescheid erlangen,<br />

werden sie sicherlich in den ersten<br />

Monaten Arbeitslos sein. Solange sie keine<br />

Deutschkenntnisse haben, bekommen sie<br />

auch keine Beschäftigungsbewilligung.<br />

Was ist mit heimischen hochqualifizierten<br />

Arbeitskräften? Müssen die sich vor einem<br />

syrischen Arzt oder Ingenieur fürchten?<br />

Nur dann, wenn sie sich nicht weiterbilden.<br />

Hier darf man nicht nach der Herkunft<br />

differenzieren, sondern nach der<br />

Qualifikation. Wenn Sie etwa mit fließenden<br />

Deutschkenntnissen und einem<br />

Hochschulabschluss aus der Türkei nach<br />

Österreich einwandern, um einen Job zu<br />

bekommen, dann verdrängen sie höchstwahrscheinlich<br />

jemanden, der eine geringere<br />

Qualifikation besitzt. Aber dafür sind<br />

nicht Sie, sondern der Niedrigqualifizierte<br />

verantwortlich, weil er sich nicht weitergebildet<br />

hat.<br />

Es existieren trotzdem hohe Hürden für<br />

arbeitswillige Flüchtlinge, die am liebsten vom<br />

ersten Tag an arbeiten wollen.<br />

Ich habe den 50-Punkte-Plan des Integrationsrates<br />

für den Arbeitsmarkt gelesen.<br />

Der Plan sieht ein Stufensystem vor.<br />

Flüchtlinge sollen erst einmal die deutsche<br />

Sprache lernen und erst danach vom AMS<br />

in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden.<br />

So etwas dauert ein Jahr und ist in der Tat<br />

sehr langwierig. Mein Vorschlag: Ich würde<br />

diese Maßnahmen parallel erfolgen lassen.<br />

Solange der Asylantrag bearbeitet wird, soll<br />

der Asylwerber schon in den Arbeitsmarkt<br />

vermittelt werden dürfen und gleichzeitig<br />

Deutsch lernen.<br />

„Wir schicken<br />

den Bewerber in<br />

einen Sprachkurs,<br />

gleichzeitig suchen<br />

wir einen für das<br />

Deutschniveau<br />

geeigneten Job<br />

für ihn.“<br />

Integrationsminister Sebastian Kurz droht mit<br />

Sanktionen, wenn sich Flüchtlinge weigern,<br />

Deutsch zu lernen. Ist das ein richtiger Ansatz<br />

oder kennen Sie einen besseren Weg, Flüchtlingen<br />

die Sprache beizubringen?<br />

Drohungen würde ich nicht verwenden,<br />

eher die Chancen in den Vordergrund<br />

stellen. Es fehlt im Integrations-Plan die<br />

Unterstützung für die spätere detaillierte<br />

Umsetzung durch die Beamten. Wohin soll<br />

er sie für Deutsch-Kurse schicken? Welches<br />

Deutsch-Niveau benötigt welcher Beruf?<br />

Wie soll ein Beamter für einen syrischen<br />

Maurer einen Integrationsplan erstellen?<br />

Bei Bauarbeitern müssen beispielsweise<br />

nicht alle Arbeiter Deutsch können.<br />

In Gesundheitsberufen wiederum sind<br />

Deutsch-Kenntnisse sehr wichtig.<br />

In welchen Berufen werden KEINE Deutschkenntnisse<br />

benötigt?<br />

Man braucht schon minimale Deutschkenntnisse,<br />

um zumindest mit dem Chef<br />

zu kommunizieren. Ich war 20 Jahre im<br />

Industriesektor tätig und habe dort mit<br />

vielen Ausländern zu tun gehabt. Auch<br />

mit jenen, die kein Deutsch konnten. Die<br />

haben sich dann in Gruppen zusammengefügt<br />

und einen bestimmt, der die deutsche<br />

Sprache beherrscht. Man kann davon<br />

halten was man will, aber sie hatten<br />

zumindest einen Job, verdienten ihr Geld<br />

und lernten Deutsch.<br />

Ab wann ist das Deutschniveau ausreichend?<br />

Das ist unterschiedlich. Ein Taxifahrer<br />

wird weniger Deutschkenntnisse benötigen<br />

als ein Krankenpfleger. Wie man<br />

damit erfolgreich umgeht, zeigen uns die<br />

Norweger. Sie haben sich zunächst angeschaut,<br />

wo Fachkräftemangel herrscht.<br />

Dann wurde analysiert, in welchen Berufen<br />

welcher Wortschatz benötigt wird, um den<br />

Zuwanderern die Sprache gezielt und nicht<br />

willkürlich zu vermitteln. Das geschieht<br />

mit Hilfe eines Pyramidensystems, etwa<br />

dass ab 1000 Wörtern Beruf X ausgeübt<br />

werden kann und ab 5000 Wörtern Beruf<br />

Y. Das könnte man auch in Österreich einführen.<br />

Welche Schritte unternimmt Trenkwalder konkret,<br />

um Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu<br />

integrieren?<br />

Wenn jemand schon migriert ist, versuchen<br />

wir einen Kompetenzcheck mit dem<br />

Bewerber zu machen. Nachdem wir sein<br />

Deutschniveau einschätzen können, schicken<br />

wir die Person in einen entsprechenden<br />

Sprachkurs. Gleichzeitig suchen wir<br />

einen für das Deutschniveau geeigneten<br />

Job für den Bewerber. Dadurch verdient er<br />

ein erstes Gehalt, mit dem er seine Familie<br />

ernähren kann. In Zusammenarbeit mit<br />

dem AMS, mit der Trenkwalder-Akademie<br />

und diversen Bildungsinstituten bilden wir<br />

den Bewerber weiter aus, damit er nach<br />

einigen Monaten einen höherqualifizierten<br />

Job annehmen kann.<br />

<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 39


almanah<br />

производителност<br />

Leistung auf bulgarisch<br />

40<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


SPORT, RELIGION, MEDIEN & KULTUR<br />

Das Flüchtlingsthema wird auch in der Umkleide des SK Rapid<br />

diskutiert, erzählt Teamchef Zoran Barišić im Interview und auch in<br />

der biber-Akademie, die Jungjournalisten ausbildet, dominiert die<br />

Flüchtlingsthematik. Die Journalistin Tanya Kayhan ist aus Afghanistan<br />

geflohen, weil sie bedroht wurde. Heute ist sie Absolventin der biber-<br />

Akademie und arbeitet beim Nachrichtensender W24.<br />

S. 42-44<br />

RICHTIGE TYPEN IM FUSSBALL<br />

Rapid-Coach Zoran Barišić spricht im Interview über den<br />

Fußball-Nachwuchs, Trainer-Vorbilder und die Bad Boys<br />

unter den Kickern.<br />

S. 46-47<br />

GEFLOHEN VOR DEN TALIBAN<br />

Sie war das Nachrichtengesicht im afghanischen Staatsfernsehen.<br />

Die Journalistin Tanya Kayhan hat die<br />

Biber-Akademie absolviert und arbeitet inzwischen beim<br />

Stadtsender „W24“.<br />

bereitgestellt, Susanne Einzenberger, Florian Rainer<br />

S. 54–57<br />

TAKE ME TO CHURCH!<br />

Für viele Afro-Österreicher ist der sonntägliche Besuch<br />

der Kirche ein Muss. Ein Blick in den Kirchensaal verrät:<br />

Mode ist wichtig. Festliche Kostüme und opulenter Kopfschmuck<br />

wohin das Auge reicht.


INTERVIEW:<br />

Zoran Barisic<br />

almanah<br />

42<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

TEXT:<br />

Amar Rajković<br />

F O T O :<br />

Susanne Einzenberger<br />

„Die Rotzpippen wird<br />

es immer geben.“<br />

Der Rapid-Coach und<br />

Freistoßgott Zoran Barišić über<br />

Emotionen am Spielfeldrand,<br />

richtige Typen im Fußball und<br />

warum er anfangs gezwungen<br />

war auf junge Spieler zu setzen.<br />

Am Spieltag oder am Tag nach dem Spiel rede ich mit<br />

dem Spieler nicht. Ansonsten ist meine Tür immer<br />

für alle Fragen der Spieler offen.<br />

Weil du gerade von Emotionen gesprochen hast: Jürgen<br />

Klopp zeigt sie offen am Platz, Trainer der alten Schule<br />

wie Van Gaal lässt sich während des Spiels nichts anmerken.<br />

Was für ein Typ bist du?<br />

Wichtig ist es, die Emotionen zu kontrollieren und<br />

sachlich zu bleiben. Das Fachliche setze ich voraus.<br />

Es gilt eine gewisse Balance zu finden, um auf einer<br />

sachlichen Ebene wertfrei und emotionslos zu coachen.<br />

„Du musst<br />

den Spielern<br />

das Gefühl<br />

geben, den<br />

Weg zum Ziel<br />

zu kennen.“<br />

Wie formt man aus über 20 Spielern eine Einheit?<br />

Es ist wichtig, dass du von einem gut funktionierenden<br />

Trainer- und Betreuerteam umgeben<br />

bist. Das sind diejenigen, mit denen du den gleichen<br />

Weg mit gleichen Zielen gehen solltest. Dann hast<br />

du 25-30 Spieler, die alle einen anderen Charakter<br />

haben, und die zu einem Team zu formen, ist ganz<br />

schwierig.<br />

Wo fängt man an?<br />

Es ist wichtig, Regeln aufzustellen. Und es reicht<br />

nicht, nur ein Ziel vorzugeben. Du musst den Spielern<br />

das Gefühl geben, den Weg zu diesem Ziel zu<br />

kennen. Während dieser Zeit muss ich die Motivation<br />

der Spieler hochhalten, egal ob sie gerade zur<br />

Stammelf gehören oder nicht. Das ist alles andere als<br />

einfach. Aber die Basis für die erfolgreiche Zusammenarbeit<br />

ist vor allem Respekt!<br />

Wann erfährt es ein Spieler von dir, dass er nicht im Kader<br />

für das nächste Match steht?<br />

Viele deiner Spieler sind jung, talentiert und werden nicht<br />

ewig beim SK Rapid bleiben. Wie schaffst du es, immer<br />

wieder die wichtigsten Stützen des Teams zu ersetzen,<br />

ohne dass die Mannschaft in ein Loch hineinfällt?<br />

Genau dieser Gedanke bereitet mir jeden Tag Kopfschmerzen<br />

und sorgt dafür, dass ich Magengeschwüre<br />

bekomme. Einerseits willst du die Spieler<br />

verbessern und freust dich, dass sie so einen Leistungssprung<br />

gemacht haben und eine super Karriere<br />

hinlegen. Auf der anderen Seite musst du dir schon<br />

den Ersatz für sie überlegen.<br />

Stichwort Nachwuchsarbeit. Soll Rapid in der Zukunft<br />

ausschließlich junge Talente formen und teuer verkaufen<br />

oder können sich die Fans des österreichischen Rekordmeisters<br />

auch über sportliche Erfolge freuen?<br />

Unsere Philosophie, junge Spieler von der U13 bis in<br />

die Kampfmannschaft zu führen, zeigt Erfolge. Da<br />

geht es darum, gewisse Fähigkeiten zu vermitteln,<br />

die sowohl früh in der Karriere als auch später in<br />

der Kampfmannschaft wichtig sind: Spielan- ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 43


almanah<br />

lage, taktisches Verständnis, Anforderungsprofil für<br />

einzelne Positionen. Man darf aber nicht vergessen,<br />

dass die bescheidene Wirtschaftslage des Vereins<br />

mich beim Amtsantritt gezwungen hat, auf junge,<br />

unbekannte Spieler zu setzen.<br />

Ist der Erfolg des SK-Rapid eng verbunden mit dem der<br />

Nationalmannschaft?<br />

Das ist nicht generell der Verdienst von Rapid, sondern<br />

ist der guten Fußballausbildung in Österreich<br />

„geschuldet“. Es sind Akademien im ganzen Land<br />

entstanden, in denen Spieler professionell betreut<br />

und entwickelt werden.<br />

Oliver Kahn konstatierte kürzlich nach einem CL-Match,<br />

die Spieler heutzutage hätten das Kämpfen verlernt. Der<br />

ehemalige Weltklasse-Goalie vermisst Typen wie Stefan<br />

Effenberg, Mario Basler oder österreichische Pendants<br />

wie Peter Stöger oder Didi Kühbauer. Gibt es keine richtigen<br />

Kerle mehr im Fußball?<br />

Er (Anm.: Oliver Kahn) hat nie eine Mannschaft<br />

geführt, er geht keinen Management-Tätigkeiten<br />

nach, er ist nur Analytiker und glaubt, gescheit<br />

zu sein. Ich sage immer: „Zeiten ändern sich, der<br />

Mensch bleibt gleich.“<br />

Also gibt es noch immer die Bad-Boys in der Kabine?<br />

Ja, nur können sich die Jungs heutzutage gar nichts<br />

mehr erlauben. Zu meinen Zeiten konnte man einfach<br />

mal ausbrechen, auf den Putz hauen und keiner<br />

hat es erfahren. Heute wirst du auf Schritt und<br />

Tritt beobachtet, mit dem Handy beim Biertrinken<br />

gefilmt. Die „Schlingel“ und „Rotzpippen“ gibt es<br />

noch immer, nur feiern die im Stillen.<br />

Nenad Bjelica, Ex-Trainer der FAK Austria, sagte nach<br />

seinem Amtsantritt, sein großes Ziel sei Deutschland.<br />

Falls Zoki Barišić eines Tages mal Hütteldorf verlassen<br />

sollte, welcher Verein würde ihn reizen?<br />

Ich bin weit davon entfernt zu sagen, mein Ziel<br />

ist nach Deutschland zu wechseln. Wenns kommt,<br />

kommts. Wenn nicht, nicht!<br />

Als Freistoßspezialist kannst du das am besten beurteilen:<br />

Wer kann den Ball am schönsten über die Mauer zirkeln?<br />

Für mich ist es ganz klar Miralem Pjanić von der AS<br />

Roma.<br />

Zoran Barišić<br />

Zoki, wie ihn Fans<br />

nennen, ist ein<br />

Rapid-Urgestein durch<br />

und durch. Nach seiner<br />

erfolgreichen Karriere<br />

als Kicker, trainierte<br />

Barisic zuerst die<br />

Nachwuchsmannschaften<br />

bevor er 2013<br />

ins erste Trainerglied<br />

rückte.<br />

„Zeiten<br />

ändern sich,<br />

der Mensch<br />

bleibt gleich.“<br />

Zum Flüchtlingsthema: In wieweit ist es Thema in der<br />

Rapid-Umkleide?<br />

Natürlich diskutieren wir darüber in der Kabine.<br />

Solange die Menschen keinen Job, Ausbildung und<br />

Perspektive in ihrer Heimat haben, werden sie in ein<br />

Land ziehen, wo sie das alles vorfinden können. Und<br />

solange diese Probleme in den Herkunftsländern<br />

ungelöst sind, werden die Menschen kommen.<br />

Was macht der Verein konkret in dieser Causa?<br />

Wir laden Flüchtlinge zu unseren Heimspielen ein.<br />

Das ist ein wichtiges Zeichen.<br />

Hast du Vorbilder unter Trainern?<br />

Richtige Vorbilder sind es nicht. Aber mir gefällt die<br />

Art und Weise, wie Pep Guardiola spielen lässt. Er hat<br />

natürlich die besten Mannschaften zur Verfügung.<br />

Mir gefällt Arsene Wengers Arbeit beim FC Arsenal,<br />

vor allem, wie er Spieler entwickelt. Das gleiche galt<br />

für den zurückgetretenen Alex Ferguson von Manchester<br />

United. So lange Zeit trotz enormen Erfolgsdrucks<br />

und der Erwartungshaltung erfolgreich zu<br />

sein, ist was Besonderes.<br />

Hast du noch Kontakt zu deinen Verwandten in Ex-Jugoslawien?<br />

Sehr wenig. Mein Vater ist bosnischer Kroate, meine<br />

Mutter Serbin. Sie sind seit 1967 zusammen, aber<br />

nicht verheiratet. Ich habe den Namen von meinem<br />

Vater, das Religionsbekenntnis von meiner Mutter.<br />

Meine Familie ist breit verstreut. Unsere Familie ist<br />

ein Mischmasch.<br />

<br />

44<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 45


almanah<br />

T E X T :<br />

Tanya Kayhan<br />

„Die Feinde<br />

waren nicht nur<br />

die Taliban.“<br />

Sie war das Nachrichtengesicht im<br />

afghanischen Fernsehen. Die Biber-<br />

Akademie-Absolventin Tanya Kayhan<br />

erzählt mit welchen Angriffen sie auf<br />

die Meinungsfreiheit in ihrer Heimat<br />

konfrontiert war.<br />

bereitgestellt<br />

Kurz nach den Attentaten in Paris<br />

zeigte sich die Welt vereint. Das<br />

hat mich an die Mediensituation in<br />

meinem Land erinnert – an Afghanistan.<br />

Ich war dort Journalistin, ein bekanntes<br />

Gesicht im nationalen Fernsehen und eine<br />

der wenigen Frauen, die sich für diesen<br />

Beruf entschieden hat. In meinem Land<br />

werden jährlich Journalisten ermordet.<br />

Das Attentat auf das Satiremagazin<br />

„Charlie Hebdo“ war ein Anschlag auf<br />

die Meinungsfreiheit. Mehrere Millionen<br />

Menschen gingen auf die Straße, westliche<br />

mit östlichen Politikern. Die deutsche<br />

Kanzlerin Angela Merkel, der israelische<br />

Minister-Präsident Benjamin Netanyahu,<br />

Königin Rania von Jordanien, Ibrahim<br />

Boubacar, der Präsident von Mali und<br />

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas<br />

gingen Arm in Arm mit der französischen<br />

Spitze. Sie gedachten nicht nur der Opfer,<br />

sondern setzten ein politisches Zeichen<br />

gegen den Terror. In Afghanistan wurden<br />

im letzten Jahr 8 Journalisten umgebracht<br />

und 58 Angriffe auf Journalisten verzeichnet.<br />

Aber niemand erhob seine Stimme.<br />

Nie werde ich vergessen, wie der afghanische<br />

Reporter Ajmal Naqshbandi von<br />

der Taliban im Jahr 2007 in der Helmand<br />

Provinz enthauptet wurde, nachdem es der<br />

Regierung nicht gelang, ihn erfolgreich zu<br />

befreien. Das ist der Unterschied zwischen<br />

einer echten und einer Scheindemokratie.<br />

Die westlichen Journalisten werden von<br />

dem System ihres Landes unterstützt. Aber<br />

in einem scheindemokratischen System<br />

wie in Afghanistan können Journalisten<br />

nicht viel erwarten.<br />

Journalistin nur mit Pseudonym<br />

Ich erinnere mich noch an einen meiner<br />

ersten Jobs im „killid“-Radio. Es war vor<br />

meiner Zeit als TV-Journalistin bei „Voice<br />

of America“ und „1TV“, damals war ich<br />

noch nicht bekannt. Die Hörer des Senders<br />

kannten mich nur als „Tamana Tabisch“<br />

– einem Pseudonym, das ich aus Sicherheitsgründen<br />

erhielt. Es war das Jahr 2008.<br />

Sechs Jahre nach dem Fall der Taliban.<br />

Trotzdem war die Gesellschaft nicht bereit<br />

für eine Frau als Journalistin. In dieser Zeit<br />

erhielten viele Frauen Pseudonyme bei den<br />

46<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Radio-Sendern.<br />

Journalismus in Afghanistan zu machen<br />

ist sehr gefährlich, speziell für Frauen.<br />

Journalistinnen haben mit Frauenfeindlichkeit,<br />

Belästigung auf der Straße und der<br />

Unmöglichkeit alleine reisen zu können zu<br />

tun. Und nicht zuletzt bezahlen sie ihren<br />

Beruf auch mit ihrem Leben. Im September<br />

letzten Jahres wurde die Journalistin<br />

Palwasha Tokhi in ihrer Wohnung getötet.<br />

Als ich 2005 mein Studium in der<br />

Journalismus-Fakultät der Universität von<br />

Kabul begann, war mir nicht bewusst,<br />

welch schwierige Zukunft ich einmal<br />

haben werde. Erst nachdem ich beim<br />

nationalen Fernsehen zu einem bekannten<br />

Gesicht als Nachrichtenjournalistin<br />

geworden war, verstand ich, wie hart es für<br />

eine Frau in Afghanistan ist diesen Beruf<br />

auszuüben. Ich konnte weder frei auf der<br />

Straße gehen, alleine mit dem Taxi fahren,<br />

noch mit dem Bus in abgelegene Gebiete<br />

reisen. Ich konnte nicht einmal mehr Parks<br />

oder öffentliche Plätze besuchen, nachdem<br />

ich bekannt war. Die Belästigungen auf der<br />

„Die Taliban nehmen<br />

Journalisten gern<br />

als Geiseln, um sie<br />

gegen ihre Kämpfer<br />

einzutauschen.“<br />

„Die Gesellschaft war für eine Frau als Journalistin nicht bereit.“, Tanya Kayhan aus Kabul.<br />

Straße hinderten mich daran in die Öffentlichkeit<br />

zu gehen und die Angst vor Geiselnahmen<br />

von der Taliban ließ mich nicht zu<br />

abgelegenen Gebieten reisen. Die Taliban<br />

nehmen Journalisten gern als Geiseln, um<br />

sie gegen ihre Kämpfer einzutauschen.<br />

Nicht nur die Taliban waren die Feinde.<br />

Meine fünf Jahre als Journalistin in Afghanistan<br />

waren für mich ein Kampf gegen<br />

die Feinde der Meinungsfreiheit. Und die<br />

Feinde waren nicht nur die Taliban. Sondern<br />

auch ihre Kultur, die sie in unserer<br />

Gesellschaft hinterlassen haben. Afghanistan<br />

steht laut der Organisation SAFMA<br />

(South Asian Free Media Association) in<br />

Punkto Gewalt gegen Journalisten 2014 an<br />

dritter Stelle. Es ist nicht allein die Taliban,<br />

die das Leben von Journalisten gefährden.<br />

Auch das politische System scheute<br />

nicht selten davor jeden in Gewahrsam zu<br />

nehmen, dessen Recherchen zu „unangenehm“<br />

wurden. Die Journalisten wurden<br />

vom Regierungspersonal verhaftet oder<br />

geschlagen, damit sie Fakten nicht aufdecken.<br />

Im letzten Jahr gab es 125 Gewaltfälle<br />

auf Journalisten: 8 wurden getötet, 9 verletzt,<br />

20 verhaftet, 38 geschlagen und 50<br />

Journalisten wurde gedroht. Zu 80% gingen<br />

diese Angriffe auf die Regierung zurück, zu<br />

11% auf die Taliban und zu 5% auf die NATO.<br />

Medien nach Ideologie<br />

Doch nicht nur die permanente Lebensbedrohung<br />

macht den Beruf des Journalisten<br />

in Afghanistan so schwer. Es gibt noch ein<br />

anderes Problem: Viele Journalisten sind<br />

arbeitslos, obwohl es genügend Medien im<br />

Land gibt. Wir haben 150 Radio-Kanäle, 50<br />

Fernsehsender und mehr als 100 Printmedien.<br />

Ich erinnere mich an einen meiner<br />

Kollegen bei 1TV, der von unserem Nachrichtenchef<br />

entlassen wurde. Er hatte den<br />

persischen Führer Ahmad-Shah Masood<br />

der Mujahidin-Regierung, welcher 2001<br />

durch ein Terrorattentat umkam, bloß als<br />

militärischen Kommandanten bezeichnet<br />

und nicht als „Volkshelden“. Da mein<br />

1TV-Nachrichtenleiter ein Anhänger von<br />

Masood’s Ideologie war, erwartete den<br />

Kollegen im Handumdrehen seine Kündigung.<br />

Dies zeigt auch ein anderes Problem<br />

der Mediensituation in Afghanistan: die<br />

sprachliche und ethnische Trennung der<br />

Medien. Viele Journalisten werden nach<br />

ihrem ethnischen oder ideologischem<br />

Background ausgewählt – oder eben entlassen.<br />

Verschiedene Länder finanzieren<br />

die afghanischen Medien, um die Zwietracht<br />

zwischen den Afghanen zu provozieren.<br />

So wird der Fernsehsender „Noor“<br />

vom Iran (den Unterstützern der Perser<br />

im Land) und der Sender „Shamshad“ von<br />

Pakistan (den Unterstützern der Pashtunen)<br />

finanziert.<br />

Ob in meinem Land oder in einem Land<br />

wie Frankreich, die Meinungsfreiheit steht<br />

unter Beschuss des Terrors. Aber das Glück,<br />

das die Medien in westlichen Ländern<br />

haben, ist ihr demokratisches System.<br />

Dieses System schützt die Meinungsfreiheit<br />

mehr als in meinem Land und<br />

ermutigt den Journalisten den Stift weiter<br />

in der Hand zu halten. Diese Unterstützung<br />

seitens der Regierung und der Bevölkerung<br />

in Europa ermutigt mich den Stift in<br />

meine Hand zu nehmen und noch einmal<br />

in die Journalismus-Welt einzutreten. Hier,<br />

in Österreich.<br />

Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />

Februar-Ausgabe <strong>2015</strong><br />

bereitgestellt<br />

<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 47


almanah<br />

Made by biber<br />

Sie sind jung, haben internationale Wurzeln und wollen schreiben.<br />

Die biber-Akademie bildet Jungjournalisten aus und bereitet sie<br />

auf die österreichische Medienlandschaft vor. Wir haben drei<br />

Absolventen um ein Resümee ihres biber-Stipendiums gebeten.<br />

Nour Khelifi, 21 Arman Bobeta, 28 Maida Dedagic, 30<br />

„Ich habe die Akademie 2013 besucht und<br />

„Nach meinem Master in Politikwissen-<br />

Die Biber-Akademie hat mir damals ver-<br />

dort wichtiges journalistisches Know-how<br />

schaft, habe ich mich als Erstes bei der<br />

schlossene Türen in die Medienwelt geöff-<br />

erlernt. Seither hat sich viel bei mir getan.<br />

biber-Akademie beworben. BIBER sollte<br />

net. Ich konnte die wichtigsten Kontakte<br />

Die Extraportion Ehrgeiz und das Gespür<br />

mein Einstieg in die österreichische Medi-<br />

knüpfen, nämlich die ersten. Bei Aus-<br />

für gute Geschichten habe ich meiner Men-<br />

enwelt sein. Von Anfang an wurde ich<br />

flügen besuchten wir Redaktionen von<br />

torin Marina Delcheva zu verdanken. Ich<br />

sowohl in den Gestaltungsprozess des<br />

Tageszeitungen oder Fernsehstationen,<br />

veröffentliche Texte bei der Wiener Zei-<br />

Magazins als auch bei der Themenauswahl<br />

wo uns Top-Redakteure Einblicke in ihren<br />

tung, bei Progress, Südwind und natür-<br />

für die Website mit einbezogen. Man lernt<br />

Arbeitsalltag gewährten. Spitzenpolitiker<br />

lich bei BIBER. Außerdem habe ich auch<br />

ab dem ersten Moment, was es heißt, wie<br />

standen uns Rede und Antwort. Unsere<br />

bei etlichen ORF-Reportagen und Dokus<br />

ein Journalist zu denken und zu arbeiten.<br />

Akademieleiter haben uns spitze betreut.<br />

mitgearbeitet. Neben den Printmedien<br />

Der gegenseitige Respekt und das famili-<br />

Gleich am ersten Tag in der Akademie<br />

wollte ich unbedingt in ein neues Genre<br />

äre Miteinander in der Redaktion machen<br />

habe ich gelernt, was schon mal keine<br />

hineinschnuppern – das Radio. Deswegen<br />

die BIBER-Akademie für mich zu etwas<br />

Geschichte. „Mit den Menschen reden, auf<br />

habe ich im September ein Praktikum bei<br />

ganz Besonderem. Momentan bin ich bei<br />

die Straßen rausgehen, Sprecher abtelefo-<br />

Hitradio Ö3 absolviert. Dort habe ich unter<br />

der Consulting-Firma „SMJ“ beschäftigt.<br />

nieren – auf dem Bildschirm warten keine<br />

Anderem das Einsprechen und Anmoderie-<br />

Als Junior Consultant ist es meine Aufgabe<br />

Geschichten“, predigten sie immer und<br />

ren gelernt. Weil das Praktikum so erfolg-<br />

Podiumsdiskussionen und Meetings zu<br />

brachten uns bei die Leser zu unterhalten.<br />

reich verlief, werde ich ab Februar 2016<br />

organisieren. Hier kommt es mir zu Gute,<br />

Neben interessanten Persönlichkeiten mit<br />

für weitere vier Monate bei Ö3 tätig sein.<br />

Geschichten erzählen, Menschen neue<br />

Perspektiven eröffnen und coolen Leuten<br />

begegnen - das ist Journalismus.<br />

dass ich in der biber-Akademie gelernt<br />

habe, unter Zeitdruck gute Arbeit abzuliefern.“<br />

spannenden Blickwinkeln, die ich bei Biber<br />

kennenlernen durfte und schätze, konnte<br />

ich erstmals in der Medienwelt Fuß fassen.<br />

Und heute schreibe ich für Österreichs<br />

größte Tageszeitung, die Kronen Zeitung.<br />

Alexandra Stanić, Marko Mestrović<br />

48<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Sponsoren der biber-Akademie:<br />

Felicitas Matern<br />

„Mir ist eine Versachlichung der Integrationsdebatte sehr wichtig. Dabei können Journalisten<br />

mit Migrationsbackground viel dazu beitragen und daher unterstützen wir die<br />

biber-Akademie. Zudem geht es mir aber auch einfach darum, dass Integration gelebt<br />

wird und auch möglichst viele Menschen mit unterschiedlichsten Lebensgeschichten im<br />

Journalismus beschäftigt sind.“<br />

SEBASTIAN KURZ, Bundesminister für Europa, Äußeres und Integration<br />

„Wir sind ein internationaler Öl- und Gaskonzern, in dem mehr als 60 verschiedene<br />

Nationen an einem Strang ziehen. Das macht uns erfolgreich und stark. Integration wird<br />

bei uns gelebt und gespürt, einer von uns ist immer in einem unserer 30 Länder neu. Und<br />

dabei hat uns, als OMV, die Idee der biber-Akademie sofort begeistert. Wir wünschen viel<br />

Erfolg und freuen uns auf die neue Kommunikationsgeneration!“<br />

MICHAELA HUBER, Senior Vice President Corporate Communications & Sustainability OMV<br />

Weinwurm<br />

„Damit Diversity und Inklusion keine Slogans bleiben, müssen beide Begriffe mit Leben<br />

erfüllt werden. Daher ist es wichtig, dass engagierte JungjournalistInnen mit migrantischen<br />

Wurzeln ihre Talente und Fähigkeiten einbringen und die Sichtweisen der Medien<br />

erweitern. Gerade der Start in der Medienbranche ist oftmals schwierig. Die Wirtschaftskammer<br />

Wien unterstützt die Biber-Akademie, um diese Generation der neuen ÖsterreicherInnen<br />

auf ihrem Weg zu fördern und zu stärken.“<br />

WALTER RUCK, Wiener Wirtschaftskammer-Präsident<br />

„Die Zahl der jungen Menschen mit Migrationshintergrund steigt stetig und sie sind<br />

ein fester Bestandteil der Berichterstattung in der österreichischen Medienlandschaft.<br />

Die biber-Akademie gibt diesen jungen Menschen die Möglichkeit, das nötige Handwerk<br />

zu erlernen, um diese Berichterstattung selbst mitzugestalten – durch ihre persönliche<br />

Betroffenheit, ihr Wissen und ihr Engagement. Wir von der Wiener Städtischen Versicherung<br />

freuen uns, dieses Projekt, das viel zur Integration und zu einem verständnisvolleren<br />

Miteinander beiträgt, zu unterstützen.“<br />

JUDIT HAVASI, Generaldirektor-Stellvertreterin der Wiener Städtischen Versicherung<br />

Ian Ehm OMV<br />

Google<br />

„Die biber-Akademie ist eines der großartigsten journalistischen Nachwuchs-Projekte<br />

Österreichs. Gerade die Vielfalt in der Zusammensetzung und die Internationalität der<br />

Beteiligten machen auch die Qualität der Zeitschrift und der Redaktion aus. Wir freuen<br />

uns sehr hier einen Beitrag leisten zu können und wünschen der nächsten Generation<br />

von Jungjournalistinnen und -journalisten eine spannende Ausbildung und eine erfolgreiche<br />

Karriere in den Top-Medien des Landes.“<br />

WOLFGANG FASCHING-KAPFENBERGER,<br />

Communications & Public Affairs Manager, Google Austria GmbH<br />

Die ÖBB sind eines der öffentlichsten Unternehmen Österreichs. Mehr als 25.000 Zeitungsartikel<br />

erscheinen über uns, aber auch in den neuen Medien und Sozialen Netzwerken<br />

spielen wir eine große Rolle. Junge Medien-Talente auf ihrem Berufsweg zu<br />

unterstützen, liegt also nahe. Die biber-Akademie mit ihrem innovativen Ausbildungsansatz<br />

hat uns sofort überzeugt. Wir wünschen allen Teilnehmern viel Erfolg!<br />

KRISTIN HANUSCH-LINSER, Head of Corporate Communications and Marketing, ÖBB-Holding<br />

AG<br />

Sabine Hauswirth<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 49


almanah<br />

Wer ist er<br />

Name: Abdulmedzid Sijamhodzic<br />

Wurzeln: Bosnien<br />

Studium: Rechtswissenschaften<br />

Reichtum: Hat vier Töchter<br />

50<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

INTERVIEW:<br />

Adbulmedzid Sijamhodzic<br />

„Nur Gott weiß, wer<br />

wirklich gläubig ist.“<br />

Adbulmedzid Sijamhodzic ist der erste Imam des österreichischen<br />

Bundesheeres. Der studierte Jurist über seine Zeit im Krieg,<br />

Grundwehrdiener mit Bart und warum der wahre Islam nicht nur bei<br />

Muslimen zu finden ist.<br />

„Den<br />

Zeigefinger<br />

zu heben,<br />

bedeutet nicht,<br />

dass man<br />

radikal ist.“<br />

TEXT:<br />

Simon Kravagna,<br />

Sümeyee Özmen<br />

F O T O :<br />

Christoph Liebentritt<br />

Rund jeder fünfte Grundwehrdiener in Wien<br />

ist Muslim. Anders als für katholische,<br />

evangelische oder orthodoxe Soldaten gab<br />

es für Muslime im Bundesheer aber bisher keine<br />

Seelsorge. Nach langer Suche nach einem geeigneten<br />

Kandidaten ist Adulmedzid Sijamhodciz seit<br />

kurzem der erste Militär-Imam des Bundesheeres.<br />

In der k.u.k. Armee gab es übrigens bis 1918 – dem<br />

Ende der Habsburger-Monarchie - Militär-Imame.<br />

So wie die damaligen k.u.k. Imame stammt auch<br />

Sijamhodzic aus Bosnien.<br />

Herr Sijamhodzic, kennen Sie den Krieg?<br />

Ich habe als 16-Jähriger in Bosnien erlebt, was Krieg<br />

bedeutet. Mein Vater war Soldat, zwei Brüder meiner<br />

Mutter sind getötet worden und wir waren 1200 Tage<br />

vom Feind eingekesselt. Ich weiß daher nur zu gut,<br />

wie schrecklich Krieg ist.<br />

Sie haben Jus studiert, warum sind Sie jetzt Imam?<br />

Ich glaube daran, dass das von Gott so gelenkt wurde.<br />

Nachdem ich die islamische Schule abgeschlossen<br />

hatte, wollte ich aus dem geistlichen Bereich herauskommen<br />

und habe nach dem Krieg in Bosnien Jus<br />

studiert. Später habe ich mein Studium in Österreich<br />

fertig gemacht und auch das Gerichtsjahr absolviert.<br />

Allerdings wollte mir damals niemand einen Job als<br />

Jurist geben. Ich begann also, als Religionslehrer zu<br />

arbeiten und als Imam zu wirken.<br />

Was macht ein Militär-Imam?<br />

So wie meine katholischen und evangelischen Kollegen<br />

bin ich für die Sorgen, Anliegen und Orientierung<br />

junger Rekruten da. Ich bin erst seit kurzem im<br />

Amt und kann daher noch nicht genau sagen, was<br />

alles auf mich zukommt. Jetzt in der Anfangszeit<br />

hatte ich oft mit Rekruten zu tun, die eine Bestätigung<br />

brauchen, dass sie ‚besonders streng gläubig’<br />

sind, damit sie einen Bart tragen oder fünf Mal am<br />

Tag beten dürfen.<br />

Wer stellt so eine Bestätigung aus?<br />

Die Islamische Glaubensgemeinschaft.<br />

Wir nehmen an, Sie sind ebenfalls streng gläubig. Trotzdem<br />

tragen Sie keinen Bart.<br />

Wer entscheidet letztendlich, wer streng gläubig<br />

ist? Wenn wir davon ausgehen, dass der Glaube<br />

im Herzen ruht, kann nur Gott wissen, wer wirklich<br />

streng gläubig ist. Aber das sind eben einige<br />

äußere Merkmale, die vom Gesetzgeber so festgelegt<br />

wurden.<br />

Bei der Unterzeichnung Ihres Vertrages gab es einige ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 51


almanah<br />

muslimische Soldaten, die Ihren Zeigefinder demonstrativ<br />

in die Höhe hielten. Da in Österreich viele diese Geste<br />

nur von IS-Terroristen kennen, gab es gleich viel Aufregung.<br />

Ich habe das vor Ort gar nicht bemerkt. Aber den Zeigefinger<br />

zu heben, bedeutet nicht, dass man radikal<br />

ist. Denn das macht man auch beim Beten, dadurch<br />

bekennt ein Muslim sich zum Glauben an den einen<br />

Gott. Es gibt auch Fußballer, die das machen, wenn<br />

sie ein Tor schießen, wie früher Zinedine Zidane. Es<br />

ist oft auch ein Zeichen von Freude oder Stolz. Diese<br />

IS-Extremisten sind eine Katastrophe – für Syrien,<br />

den Irak und die Welt, aber auch für das Bild des<br />

Islams. Ich habe hier eine klare Sicht der Dinge: Es<br />

gibt keinen Widerspruch zwischen der islamischen<br />

Lebensweise und dem Gefühl der Zugehörigkeit zu<br />

Österreich. Das heißt, dass ich ein guter Moslem<br />

und gleichzeitig auch ein guter loyaler Bürger dieses<br />

Landes sein kann. Dieses Bild möchte ich auch im<br />

Bundesheer vertreten.<br />

Warum sind radikale Strömungen im Islam so attraktiv?<br />

Viele junge Menschen haben soziale und gesellschaftliche<br />

Probleme. Sie fallen oft falschen Gelehrten<br />

in die Hände, die eine eindimensionale Lehre<br />

predigen. Es gibt zudem sehr viel Unwissen oder<br />

oberflächliches Wissen über den Islam. Zudem haben<br />

wir auch ein Problem mit Konvertiten, die gleich mal<br />

in den Dschihad ziehen wollen. Wir können nur in<br />

den Familien, in den Schulen, in der Islamischen<br />

Glaubensgemeinschaft und in staatlichen Institutionen<br />

dagegen ankämpfen.<br />

Islam bedeutet Hingabe und Frieden. Sie sind im Bundesheer<br />

beschäftigt. Ein Widerspruch?<br />

Gott besagt im Koran: „Allah liebt diejenigen, die<br />

Ordnung stiften.“ Wenn ich jetzt beim Bundesheer<br />

oder bei der Polizei tätig bin, sorge ich für Ordnung<br />

und Sicherheit. Das ist kein Problem.<br />

Wie ist der Dialog mit der katholischen, evangelischen<br />

und orthodoxen Militärseelsorge?<br />

Wir unternehmen alles gemeinsam. Wir sind<br />

gemeinsam bei der Angelobung und unterrichten<br />

auch gemeinsam.<br />

Die syrischen Flüchtlinge sind überwiegend Muslime.<br />

Warum helfen die Golfstaaten weniger als Deutschland<br />

oder Österreich?<br />

Man muss unterscheiden. Viele muslimische Länder<br />

wie die Türkei oder Jordanien haben die meisten<br />

syrischen Flüchtlinge im Land. Auch die Muslime<br />

„Diese IS-<br />

Extremisten<br />

sind eine<br />

Katastrophe<br />

– für Syrien,<br />

den Irak und<br />

die Welt,<br />

aber auch für<br />

das Bild des<br />

Islams.“<br />

in Österreich sind sehr stark engagiert. Aber mich<br />

wundert ebenfalls sehr, dass die reichen Golfstaaten<br />

so wenig tun. Da fällt mir ein Sprichwort von einem<br />

Gelehrten ein. Imam Al-Ghazali hat einmal gesagt:<br />

„Ich komme von Muslimen, wo es keinen Islam gibt<br />

und gehe zu Nichtmuslimen, wo es den Islam gibt.“<br />

Dafür helfen Deutschland und Österreich den Flüchtlingen.<br />

Deutschland und Österreich haben bei diesem<br />

Thema jedenfalls die Prüfung bestanden. Ich selbst<br />

war auch Flüchtling und bin Österreich für immer<br />

sehr dankbar. Alle bosnischen Flüchtlinge, die nach<br />

Österreich gekommen sind, hatten die Möglichkeit<br />

ihr Leben hier weiterzuführen. Viele von diesen<br />

Leuten haben sich in Österreich gut gefunden und<br />

ihren Beitrag für die Gesellschaft geleistet. Deshalb<br />

denke ich auch, dass jetzt diese Flüchtlinge würdig<br />

behandelt werden sollten. Wir müssen ihnen helfen.<br />

Wir sollten auch nicht vergessen. Wenn ich einem<br />

Menschen Gutes tue, dann habe ich auch mir Gutes<br />

getan. <br />

Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />

Sommer-Ausgabe <strong>2015</strong><br />

52<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


Eine Botschaft<br />

von Ihrer Botschaft...<br />

Ein aufregender Urlaub?<br />

Eine individuelle Reise?<br />

Und dann ein Krisenfall!<br />

Doch wie kann Ihre<br />

Botschaft Sie erreichen?<br />

JETZT REGISTRIEREN!<br />

Einfach das Online-Formular ausfüllen,<br />

dann können wir Sie im Fall des Falles<br />

kontaktieren und besser unterstützen.<br />

Ihre Daten werden nur im Krisenfall<br />

verwendet und automatisch vierzehn<br />

Tage nach Ende Ihrer Reise gelöscht.<br />

reiseregistrierung.at<br />

Ein Service des Außenministeriums<br />

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www.auslandsservice.at<br />

Bitte beachten Sie: Die Reiseregistrierung ersetzt nicht die Eigenverantwortung!<br />

Reiseinformation und Reisewarnungen des Außenministeriums finden Sie unter www.reiseinformation.at<br />

Bei Notfällen im Ausland sind wir jederzeit unter +43-1-90115-4411 für Sie erreichbar.


almanah<br />

Praise the Lord<br />

Farbenfrohe Gewänder,<br />

glitzernde Handtaschen<br />

und überdimensionaler<br />

Kopfschmuck! African<br />

style meets church!<br />

TEXT:<br />

Gladys Akinyosoye und<br />

Marie-Noel Ntwa<br />

F O T O :<br />

Florian Rainer<br />

54<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


Praise the Lord! “Und jeden Sonntag aufs Neue! Für<br />

viele Afro-Österreicher/innen und ihre Familien<br />

ist der sonntägliche Besuch der Kirche ein unerlässlicher<br />

Termin, so auch für die Mitglieder im Vienna<br />

Christian Center. Ein Ort der Freundschaft und Begegnung,<br />

ein Ort, an dem Brücken zwischen den Generationen<br />

aufgebaut werden. Aber noch bevor die energische<br />

Rede des Pfarrers beginnt, fällt eines sofort auf: das<br />

prächtige Farbenspiel der Gewänder, in die sich die Besucher<br />

Innen gehüllt haben. Es wird begleitet von auffälligem<br />

Schmuckwerk. In diesem Fall scheint wirklich alles<br />

Gold was glänzt. Die Betrachter/innen tauchen in ein<br />

Meer aus Farben, Prints und Mustern. Afrikanische Kostüme<br />

und ihre ausgefallenen Schnitte zieren die Körper<br />

der Frauen, Männer und Kinder. Besonders auffällig sind<br />

die Stoffe, aus denen die festliche Kleidung geschneidert<br />

wird. Afrikanische Waxprint-Stoffe, so werden<br />

sie bezeichnet, werden bevorzugt in Westafrika getragen.<br />

Die Oberfläche der Stoffe besteht aus einer Kunstharzmischung<br />

(früher Wachs), was dazu führt, dass die<br />

Gewänder oftmals als sehr glänzend erscheinen. Dadurch<br />

wirken auch die Farben noch intensiver.<br />

Die Waxprint-Baumwollstoffe sind schick, aber frau<br />

benötigt schon ein wenig Übung, die Kleider selbständig<br />

anzuziehen. Die Kopfbedeckung, ein absolutes Muss,<br />

‣<br />

55


ist die größte Herausforderung bei der Anprobe und behält<br />

meist nicht länger als zwei Stunden ihre Form. „ Unsere<br />

Kopfdeckung ist ein bisschen kompliziert, da brauche ich<br />

schon ein wenig mehr Zeit. Aber es gibt immer eine „<br />

Aunty“ ( Tante), die sie mir in der Kirche zurecht zupft“,<br />

sagt eine Kirchgängerin. Die Kopfbedeckung hat hier<br />

keine Bedeutung, auch keine religiöse. Sie wird wie eine<br />

Art Kopfschmuck betrachtet. „Es gehört einfach dazu, so<br />

wie eine Krawatte zu einem Anzug.“ Man bemerkt sofort,<br />

dass hier Mode Spaß macht. Taschen und Schuhe, meist<br />

glitzernd und glänzend, werden im Set gekauft und aus<br />

demselben Material gefertigt. Made in Italy. Die junge<br />

Generation der Afro-Österreicher/innen trägt was gefällt<br />

– einen Mix aus traditionell und modern. Ein Blick in den<br />

Kirchensaal verrät eines sicher: Mode ist wichtig. Gibt sie<br />

doch auch Auskunft über die Kultur und Geschichte ihrer<br />

afrikanischen Vorfahren. Der Kirchenbesuch ist einer der<br />

festlichen Anlässe, der es ihnen erlaubt, mit ihren Kostümen<br />

ein kulturelles Statement zu setzen. „Wir sehen das<br />

hier nicht als Fashion Show, sondern als Teil unserer<br />

Kultur und unseres Erbes.<br />

<br />

Dieser Artikel erschien das erste Mal in der Fresh - Black Austrian<br />

Lifestyle, Fruhlingsausgabe <strong>2015</strong>. Die Kollegen haben den Anerkennungspreis<br />

des „Intercultural Achievement Award“ des<br />

Außenministeriums gewonnen. Gratulation!<br />

www.freshzine.at<br />

56


57


almanah<br />

T E X T :<br />

Nour Khelifi<br />

FOTO:<br />

Christoph Liebentritt<br />

Couscous<br />

zum Dessert<br />

Das Lieblingsessen der Veganer, Kult für<br />

die Hipster und Haupt nahrungsmittel der<br />

Tunesier – die Rede ist von Couscous. Die<br />

kleinen Weizenkügelchen eignen sich perfekt<br />

für pikante, aber auch süße Gerichte. Gesund,<br />

lecker, leistbar. Unsere tunesische Redakteurin<br />

Nour verrät euch, wie man Couscous in<br />

ein energiereiches Dessert verwandelt.<br />

58<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Zutaten für süßen Couscous<br />

(5 Personen)<br />

40ml Blütenessenz oder Rosenwasser<br />

(im türkischen Supermarkt erhältlich)<br />

2EL Olivenöl und Butter<br />

(wahlweise Margarine)<br />

Datteln nach Belieben dosieren<br />

Mandel<br />

nach Belieben dosieren<br />

Feigen<br />

nach Belieben dosieren<br />

Pinienkerne<br />

nach Belieben dosieren<br />

Rosinen<br />

nach Belieben dosieren<br />

1 Granatapfel<br />

300gr Couscous (Couscous nimmt<br />

wie Nudeln oder Reis die doppelte<br />

Menge beim Kochen an)<br />

1<br />

Zum Dampfgaren des Couscous am besten einen zweiteiligen Topf verwenden.<br />

Der untere wird mit Wasser befüllt, der obere sieht wie ein Sieb aus. Oben kommt<br />

der Couscous rein und wird vom Wasserdampf des unteren Gefäßes gegart.<br />

5<br />

2<br />

3<br />

4<br />

1 Die Rosinen und Feigen im kochenden Wasser einweichen. So schmecken sie<br />

dann süßlicher und ihr tut euch leichter beim Schneiden. Danach Wasser für den<br />

Couscous aufsetzen.<br />

2 Granatapfel halbieren und entkernen. Vorsichtig sein, denn es kann etwas<br />

spritzen. Life Hack: Am besten eine Schüssel mit Wasser füllen und den Granatapfel<br />

unter dem Wasser entkernen. So bleiben Küche und Kleidung sauber.<br />

3 Den Couscous mit dem kochenden Wasser übergießen, ein paar Mal umrühren<br />

und das Wasser abgießen. Danach mit einigen Esslöffeln Olivenöl den Couscous<br />

kräftig durchmischen und sofort in den gesiebten Topf schütten. Für 20–25 Minuten<br />

dampfgaren, ab und zu umrühren nicht vergessen! Wichtig: Couscous muss<br />

im Dampf gegart werden, nur für ein paar Minuten im heißen Wasser aufquellen<br />

lassen ist ein No-Go in der maghrebinischen Kultur!<br />

4 In der Zwischenzeit sind unsere Feigen und Rosinen schon weich genug. Das<br />

Obst kurz kalt abspülen und zusammen mit den Datteln klein würfeln.<br />

5 Die Mandeln, Walnüsse und Pinienkerne mit etwas Butter in der Pfanne rösten.<br />

Jedoch nicht zu viel Fett verwenden, die Nüsse sind schon reichhaltig genug.<br />

Danach die Datteln und Rosinen in Butter schwenken.<br />

6 Unser Couscous ist schon fertig und wird in einer großen Schüssel mit einigen<br />

Esslöffeln Olivenöl vermengt. So erhält er einen feinen Geschmack und klumpt<br />

auch nicht.<br />

7 Einen Esslöffel Zucker in der Blütenessenz auflösen und das Gemisch über die<br />

Granatäpfel träufeln.<br />

8 Die gerösteten Nüsse mit dem Couscous vermengen, danach das gewürfelte<br />

Trockenobst, dazwischen immer kräftig umrühren. Am Schluss noch die duftenden<br />

Granatäpfel hinzufügen.<br />

Jetzt heißt´s schön anrichten, Foto für Instagram machen und dann genießen!<br />

#foodporn<br />

6<br />

7<br />

8<br />

Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber November-Ausgabe <strong>2015</strong><br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 59


almanah<br />

Desarrollo<br />

Entwicklung auf spanisch<br />

60<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Good News<br />

Schlechte Nachrichten gibt es<br />

genug. Das Jahr <strong>2015</strong> hat zum<br />

Glück auch positive Schlagzeilen<br />

geliefert. Ein Überblick.<br />

voestalpine, Train of Hope, Simone Egarter, Daniel Auer, SVEN HOPPE / EPA / picturedesk.com, Ralph Peters / ChromOrange / picturedesk.com<br />

Voest spendet<br />

Der Linzer Stahlkonzern hat ein<br />

Hilfsprogramm gestartet und spendet<br />

1,5 Millionen Euro für Projekte sowohl in<br />

Österreich als auch in Krisengebieten. Die<br />

Hälfte des Geldes fließt in Wohnungen,<br />

Deutsch- und Alphabetisierungskurse.<br />

Auch ein viermonatiger Lehrgang für mehr<br />

als 150 Jugendliche, die ohne Begleitung<br />

geflüchtet sind, soll auf die Beine gestellt<br />

werden. Mit dem gespendeten Geld<br />

kann ein Jahr lang 100.000 Menschen<br />

mit Medikamenten geholfen werden.<br />

Konzernsprecher Peter Felsbach<br />

teilte zudem mit, dass voestalpine 30<br />

jugendlichen Flüchtlingen, die alleine<br />

nach Österreich geflüchtet sind, eine<br />

Ausbildung anbieten werde: „Die Lehrlinge<br />

sollen so rasch wie möglich mitarbeiten<br />

können. Die Lehrstellen werden zusätzlich<br />

angeboten und betreffen das reguläre<br />

Lehrlingsangebot der voestalpine nicht“,<br />

so Felsbach.<br />

Bart hilft<br />

Langer Bart, bunter Turban, Lächeln auf<br />

den Lippen. So wie der Begründer des<br />

Sikh-Glaubens, Guru Nanak, handelten<br />

dessen Jünger 500 Jahre später auf<br />

dem Wiener Hauptbahnhof. Sie halfen<br />

Menschen in Not.<br />

Die Anhänger der monotheistischen<br />

Religion, die ihren Ursprung in Pakistan<br />

hat, nehmen die religiöse Pflicht sehr<br />

ernst. Das in einem Tempel im 22.<br />

Bezirk zubereitete Essen fand täglich<br />

viele hungrige Flüchtlinge, die am<br />

Hauptbahnhof ankamen. „Es wird vegan<br />

gekocht, verträglich für alle Gläubige und<br />

auch für Kinder und Allergiker“, so Manjit<br />

Aulakh, pensionierter UNO-Mitarbeiter<br />

in einem Standard-Interview. Wir sagen<br />

„Chapeau“ und bevor wir uns den Zorn<br />

der Götter einhandeln: Die Freiwilligen<br />

der katholischen Caritas und der<br />

„Muslimischen Jugend Österreich“ (MJÖ)<br />

freuen sich über jede helfende Hand. Mehr<br />

Info unter www.caritas-wien.at<br />

Jungakademiker<br />

Die österreichische Entwicklungszusammenarbeit<br />

(OEZA) setzt mit ihrem<br />

„Junior Professional Officer“- Programm<br />

(JPO) auf Jungakademiker mit<br />

Migrationshintergrund. Österreich<br />

unterstützt in der Entwicklungszusammenarbeit<br />

Länder in Afrika, Asien,<br />

im Osten Europas und der Karibik. Das Ziel<br />

ist die nachhaltige Entwicklung im Bereich<br />

der Armutsbekämpfung, der Friedenssicherung<br />

und des Schutzes der<br />

natürlichen Ressourcen.<br />

Mit der Aktion „Mitmachen Österreich<br />

– weltweit engagiert“ sollen österreichische<br />

Unternehmen, Organisationen und<br />

Einzelpersonen dazu bewegt werden sich<br />

zu engagieren. „Dazu gehören auch die<br />

Menschen mit Migrationshintergrund in<br />

Österreich, die sich oft nicht angesprochen<br />

fühlen“, sagt die aus Serbien stammende<br />

Sanja Mitranic, Projektbetreuerin von<br />

„Mitmachen Österreich“.<br />

Info: www.entwicklung.at<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 61


almanah<br />

Diversity als Chance<br />

Am 23. Oktober <strong>2015</strong> luden im Rahmen<br />

der „fairversity“ über 50 ausstellende<br />

und mitwirkende Organisationen<br />

2.000 Besucher auf die Messe ins MAK<br />

Wien. Unter der Schirmherrschaft des<br />

Sozialministeriums wurde der Fokus<br />

der Messe auf spezifische Zielgruppen,<br />

Kompetenzen und Erfahrungen gelegt.<br />

Divers war nicht nur das Konzept<br />

der Veranstaltung, sondern auch ihre<br />

Angebote: So wurde im Rahmen des<br />

Messeprogramms der „Action-Place“<br />

geschaffen. Dort wurden 15 Kurzvorträge<br />

über vielfältige Themen ohne jegliche<br />

Barrieren für die Besucher gehalten.<br />

Neben den ausstellenden Unternehmen<br />

wie die Erste Bank und Lidl, konnten<br />

Interessierte ihre Lebensläufe kostenlos<br />

einem CV-Check auf Deutsch und Englisch<br />

unterziehen, Bewerbungsfotos von sich<br />

erstellen lassen und auch an einem<br />

VIP-Business-Speed-Dating teilnehmen,<br />

bei dem 40 prominente Persönlichkeiten<br />

anwesend waren.<br />

Die nächste „fairversity“ findet am 11.<br />

Oktober 2016 wieder im MAK Wien statt.<br />

ÖBB:<br />

Lehre für Flüchtlinge<br />

Die ÖBB bilden zurzeit in elf<br />

Lehrwerkstätten 1800 junge Menschen<br />

in 22 verschiedenen Lehrberufen<br />

aus. Bis 2017 soll zusätzlich eine<br />

Zentrallehrwerkstätte am Hebbelplatz<br />

im zehnten Bezirk auf 10.000<br />

Quadratmetern errichtet werden, die<br />

auch Platz für Nächtigungsmöglichkeiten<br />

im Lehrlingsheim, Werkstätten,<br />

Klassenzimmer und Labors beinhalten<br />

soll. Für das Projekt wurden rund 20 Mio.<br />

Euro investiert. Es lohnt sich: Durch das<br />

Projekt entstehen 700 neue Arbeitsplätze<br />

und Österreichs größte Lehrwerkstatt.<br />

Unter den 700 Lehrlingen werden sich<br />

auch einige Flüchtlinge befinden. Die<br />

ÖBB, die bereits im Sommer durch ihr<br />

Engagement für ankommende Flüchtlinge<br />

an den Bahnhöfen aufgefallen sind, setzen<br />

damit ihre Flüchtlings-Arbeit fort.<br />

Train of hope<br />

Die freiwilligen Helfer von „Train of<br />

hope“, die im Sommer unermüdlich am<br />

Hauptbahnhof Flüchtlinge versorgten, die<br />

Menschenmenge koordinierten, Kleidung,<br />

Nahrung und Zugtickets organisierten und<br />

mit den Kindern spielten, haben im<br />

Dezember von der Österreichischen Liga<br />

für Menschenrechte den Menschenrechtspreis<br />

<strong>2015</strong> überreicht bekommen.<br />

„In den letzten Monaten sind wir über<br />

unsere Grenzen hinaus gegangen,<br />

während Regierungen in Europa eifrig<br />

damit beschäftigt waren, Grenzen zu<br />

errichten! Wir haben Verantwortungen<br />

und Aufgaben des Staates übernommen,<br />

als wir die Not erkannten“, so die<br />

Privatinitiative auf ihrer Facebookseite als<br />

Reaktion auf ihre Ehrung.<br />

Mittler weile ist die „Train of Hope“-Küche<br />

vom Hauptbahnhof ins Ferry Dusika<br />

Stadion übersiedelt, da im Winter nicht<br />

mehr so viele Flüchtlinge ankommen.<br />

Info: www.trainofhope.at<br />

voestalpine, Train of Hope, Simone Egarter, Daniel Auer, SVEN HOPPE / EPA / picturedesk.com, Ralph Peters / ChromOrange / picturedesk.com<br />

62<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 63


almanah<br />

Impressum<br />

Medieninhaber:<br />

biber Verlagsgesellschaft m.b.H.<br />

Herausgeber und Chefredakteur:<br />

Simon Kravagna<br />

Redaktionelle Leitung:<br />

Melisa Erkurt, Amar Rajkovic<br />

Redaktion:<br />

Nour Khelifi<br />

Simone Egarter<br />

Onur Kas<br />

Tanya Kayhan<br />

Gastautoren:<br />

Neos-Abgeordneter bietet<br />

Flüchtlingen Schutz<br />

Wiener Nacht der Vielfalt<br />

Im November fand die Nacht der Vielfalt<br />

Michael Hesse (Frankfurter Rundschau)<br />

Gladys Akinyosoye, Marie-Noel Ntwa<br />

(fresh)<br />

Der Salzburger Neos-Parlamentsabgeordnete<br />

Sepp Schellhorn betreute<br />

32 Flüchtlinge in einem Gasthaus in Bad<br />

der Wirtschaftskammer Wien statt. Unter<br />

dem Motto „Diversity“ wurden fünf<br />

Bustouren angeboten, die die Diversität<br />

AD & Grafik:<br />

Dieter Auracher<br />

Gastein. Dort bildete er sie auch gastronomisch<br />

aus. Die humanitäre Verantwortung<br />

zwinge ihn dazu, so Schellhorn. Der<br />

der Stadt Wien widerspiegeln. Oberthemen<br />

waren Inklusion, Queer-Wien oder die<br />

neuen Bilder der Männlichkeit.<br />

Fotoredaktion:<br />

Marko Mestrović<br />

Vertrag mit dem Gasthaus lief jedoch Ende<br />

November aus. Der Bürgermeister in Bad<br />

Gastein sprach sich gegen Schellhorns<br />

Im „Neue Männer braucht das Land“-Bus<br />

ging es beispielsweise in die Männerberatung<br />

im 10.Bezirk. Hier arbeiten 50<br />

Projektkoordination:<br />

Adam Bezeczky<br />

Vorhaben und zwang ihn zum Übersiedeln.<br />

Zum Glück sprang die Heimatgemeinde<br />

des Neos-Sprechers für Energie, Land-<br />

Mitarbeiter. Sie therapieren, beraten und<br />

hören zu. Männer und Burschen, Täter und<br />

Opfer, Scheidungseltern und viele mehr<br />

Lektorat:<br />

Christina Gaal<br />

und Forstwirtschaft, Goldegg, ein. „Dort<br />

herrsche eine Willkommenskultur“,<br />

erklärte der Politiker erleichtert. Die<br />

Politik hätte die Menschen wie Pakete hin<br />

werden von den 40 Männern und 10 Frauen<br />

bei der Männerberatung empfangen.<br />

Alexander von der Männerberatung<br />

erklärt uns: „Auch wenn man denkt,<br />

Druck:<br />

Styria GmbH & Co KG<br />

Styriastraße 20, 8042 Graz<br />

und hergeschickt, so Schellhorn, der die<br />

jungen Asylwerber auf die Zeit vorbereiten<br />

möchte, wenn sie in Österreich gesetzlich<br />

auch arbeiten können. Prominente wie<br />

Vera Kaiser, Robert Menasse, Hans<br />

Peter Haselsteiner und Kabarettist Dirk<br />

Stermann unterstützten das Projekt.<br />

Täter hätten keine Empathie, stimmt das<br />

nicht. Fast jeder Mensch hat Mitgefühl,<br />

nur manche wissen nicht, wie sie damit<br />

umgehen sollen. Dort setzen wir an, denn<br />

Täterberatung ist Opferprävention.“<br />

Auflage:<br />

50.000<br />

Kontakt:<br />

biber Verlagsgesellschaft m.b.H.<br />

Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien<br />

redaktion@dasbiber.at<br />

+43 1 95 77 528<br />

© 2014 biber<br />

UID ATU 6369 3346 - FN 297923y<br />

Herbert Lehmann / picturedesk.com, Florian Wieser<br />

64<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


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MIT SCHARF<br />

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JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 65


almanah<br />

LETZTE WORTE:<br />

Todor Ovtcharov<br />

Dimitre Ovtcharov<br />

Angst<br />

Wie blockt man Hass?<br />

Bruder, ich sterbe vor Angst. Ich<br />

sterbe vor Angst, wenn ich mir<br />

diese Flüchtlinge im Fernsehen<br />

anschaue, die unser Territorium stürmen.<br />

Das ist eine Invasion, Bruder! Aber ich<br />

weiß, wie ich mich schützen kann. Ich bin<br />

ein echter Krieger, Bruder. Wenn mich wer<br />

angreift, dann werde ich ihm das Genick<br />

brechen, Alter! Die depperten Dschihadisten<br />

können mich mal!“ Mario ist sichtlich<br />

angespannt. Die Adern auf seinem breiten<br />

Nacken pulsieren. Mario ist ganz außer<br />

sich. Ich bezweifle, dass er im Stande ist<br />

zur Arbeit zu gehen, um seine Pizzen zu<br />

liefern. Er glättet seine moderne „Kim<br />

Jong Un“-Frisur nach hinten. Auf den<br />

Wänden seiner Ein-Zimmer-Wohnung im<br />

12. Bezirk hängen Poster von verschiedenen<br />

Actionhelden der 90er Jahre. Jean-<br />

Claude Van Damme, Chuck Norris, Arnold<br />

Schwarzenegger. Ich kenne Mario vom<br />

Basketballspielplatz. Wie spielen ab und zu<br />

miteinander.<br />

Einen Tag danach bin ich bei Vlado.<br />

Vlado hat die gleiche moderne Frisur wie<br />

Mario. Wer hätte gedacht, dass der dicke<br />

nordkoreanische Diktator zu so einem<br />

globalen Modetrendsetter werden könnte?<br />

Vlado studiert BWL an der WU. Seine Eltern<br />

wollen, dass er eines Tages ihr Businessimperium<br />

in Bulgarien erbt. Ich höre ihn zum<br />

ersten Mal über Politik sprechen. „Diese<br />

Zigeuner aus Syrien, die hierher kommen,<br />

wenn man mich fragt sollte man sie alle<br />

erschießen! Gib mir nur ein AK47 und ich<br />

werde sie alle erschießen! Sie sollten da<br />

alle im Acker liegen bleiben und verrotten!<br />

Danach hat niemand mehr Angst vor diesen<br />

dreckigen Zigeunern!“<br />

Mario und Vlado<br />

Auf Facebook gibt es die Option, alle<br />

deine Hass verbreitenden „Freunde“ zu<br />

blocken. Was macht man aber im echten<br />

Leben? Ich dachte, ich habe mich immer gut<br />

mit Mario und Vlado verstanden. Mit dem<br />

einen spiele ich Basketball, vom anderen<br />

borge ich mir manchmal Geld. Jetzt aber<br />

weiß ich nicht, was ich sagen soll. Mit den<br />

beiden ist momentan nicht zu scherzen.<br />

Sowohl der muskulöse Mario, als auch der<br />

dürre Vlado sind von der Angst erfasst. Sie<br />

haben beide keine religiösen Gefühle, sie<br />

sind beide Atheisten, aber sie haben Angst<br />

vorm Islam. Und diese Angst transformiert<br />

sich in Aggression.<br />

Wenn ich sie so betrachte, erstarrt auch<br />

mein Lächeln. Ich habe auch Angst. Vor<br />

meinen Freunden. Ich frage mich, was wohl<br />

passieren könnte, wenn das, was sie sagen<br />

nicht nur leere Worte sind, sondern Sachen,<br />

die zu Taten werden könnten. Ist die Kluft<br />

der Verständigung zwischen den Menschen<br />

tatsächlich so groß? Und wie können wir<br />

uns vor der Angst wohl befreien? <br />

Todor Ovtcharov ist Kolumnist der Zeitschrift biber<br />

und FM4.<br />

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