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Almanah 2015

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almanah<br />

T E X T :<br />

Melisa Erkurt<br />

FOTO:<br />

M a r k o M e s t r o v i ć<br />

Das ist nicht dasselbe, Sie sind eine<br />

Frau“, Salih * ,13, macht mir deutlich<br />

klar, wieso er den Anweisungen<br />

meines Kollegen Amar folgt und meine<br />

Worte ignoriert. Als ich ihn zur Rede stellen<br />

will, fallen mir Salihs Mitschülerinnen ins<br />

Wort: „Lassen Sie ihn, er redet immer so mit<br />

Frauen.“ Darauf lachen die Burschen: „Er<br />

hat eh Recht“, grölen sie.<br />

In den letzten Monaten waren mein<br />

Kollege Amar Rajković und ich an verschiedenen<br />

Wiener Schulen und haben mit dem<br />

biber-Schulprojekt „Newcomer“ jeweils in<br />

einer Woche versucht, rund 150 Jugendlichen<br />

einen Einblick in den Journalismus<br />

zu gewähren. Im Gegenzug dazu haben sie<br />

uns einen exklusiven Einblick in ihre Welt<br />

gegeben. Alles, was sie bewegt, wurde zum<br />

Thema gemacht – zocken, shishn und –<br />

leider oft auch - Frauen dissen.<br />

Natürlich schreibe ich hier nicht vom<br />

Akademischen Gymnasium oder der Schottenbastei.<br />

Wir haben uns für unsere mobile<br />

Redaktion bewusst Schulen ausgesucht,<br />

die von Kindern aus sozial benachteiligten<br />

Elternhäusern besucht werden. In einer<br />

dieser Schulen gibt es in einer Klasse zwei<br />

getrennte Listen, eine mit den Namen der<br />

Mädchen, eine mit denen der Jungen. Auch<br />

im Sportunterricht werden die Geschlechter<br />

- wie üblich - getrennt. „Mädchen sind<br />

sowieso unsportlich“, erklärt der 14-jährige<br />

Mirko * , warum er den getrennten Turnunterricht<br />

besser findet. „Das stimmt nicht“,<br />

ruft Nina * , wird aber sofort von Mirko<br />

ausgebremst: „Sei leise, was weißt du<br />

schon?“, bringt er sie zum Schweigen.<br />

Mein Vater sagt...<br />

Mirko und die anderen Jungs aus der<br />

Klasse nehmen nicht ernst, was die Mädchen<br />

sagen, sie nehmen auch nicht ernst,<br />

was ich als erwachsene Frau sage. In einem<br />

Gespräch mit ihnen wird schnell klar,<br />

woher ihr negatives Frauenbild kommt.<br />

„Mein Vater sagt auch, dass Frauen nichts<br />

wert sind“, rechtfertigt der kleine Mirko<br />

seine frauenfeindlichen Äußerungen. Seine<br />

Mitschülerinnen haben aufgegeben sich<br />

darüber aufzuregen.<br />

Die 13-jährige Azra kennt das alles auch<br />

von zuhause. Sie darf sich nur mit ihren<br />

Freundinnen treffen, wenn ihr Bruder<br />

dabei ist. „Wozu gehen Frauen raus? Nur<br />

um einen Mann aufzureißen, alles Schlampen!“,<br />

erklärt Azras Bruder. Im Haushalt<br />

muss Azra mithelfen, während ihr Bruder<br />

„Mein Vater sagt<br />

auch, dass Frauen<br />

nichts wert sind.“<br />

vor der Playstation hockt oder sich mit<br />

seiner Freundin trifft. Wenn Azra einen<br />

Freund hätte, wäre zuhause die Hölle los.<br />

Schockiert<br />

Als ich aus einer dieser Klassen zurück in<br />

die Redaktion komme, bin ich noch immer<br />

fassungslos. Ich hätte nicht gedacht, dass<br />

es heute noch junge Männer, eigentlich<br />

sind es ja fast noch Kinder, gibt, die derartige<br />

Sprüche von sich geben. Zur Klarstellung:<br />

Ich bin nicht in einer Hietzinger<br />

Akademikerfamilie aufgewachsen, sondern<br />

komme aus einer bosnischen Arbeiterfamilie<br />

mit muslimischem Background.<br />

Ich kenne also das, was man in Medien die<br />

„bildungsferne Schicht“ nennt. Trotzdem<br />

haben mich die Aussagen vieler Burschen<br />

schockiert.<br />

Ein paar meiner männlichen biber-Kollegen<br />

finden, dass ich übertreibe: „Als ich<br />

in dem Alter war, fand ich Mädchen auch<br />

total blöd“, verharmlost ein Redakteur das<br />

Ganze. Doch die Art und Weise, wie diese<br />

„Wozu gehen Frauen<br />

raus? Nur um einen<br />

Mann aufzureissen,<br />

alles Schlampen.“<br />

Kids über Frauen sprechen, liegt auf einer<br />

ganz anderen Ebene.<br />

Sie finden Mädchen nicht blöd, sind aber<br />

heimlich in sie verliebt, wie es bei meinem<br />

Kollegen früher der Fall war. Im Gegenteil,<br />

sogar zum Thema Liebe zwischen Mann<br />

und Frau haben die Jungs aus einer der<br />

Klassen eine radikale Sichtweise: „Wenn<br />

eine Frau mehrere Freunde hatte, ist sie<br />

in meinen Augen eine Schlampe“, sagt der<br />

14-jährige Ahmi * .<br />

Jungfrau<br />

Er selber hat natürlich schon viele Freundinnen<br />

gehabt: „Die würde ich aber alle<br />

nicht heiraten, meine Frau muss nämlich<br />

Jungfrau sein“, fügt er hinzu. Er schaut mir<br />

direkt in die Augen, als er das sagt - keine<br />

Spur von schlechtem Gewissen, er hält<br />

das, was er sagt, für richtig, er steht hinter<br />

seinen Worten. Ein paar Meter weiter steht<br />

Vanessa * . Ahmi und sie waren drei Monate<br />

lang ein Paar. Sie hat seine Worte mitangehört<br />

und blickt die ganze Zeit beschämt<br />

zu Boden.<br />

Unterwerfung<br />

Die 18-jährige Matura-Schülerin Sila *<br />

kennt Burschen wie Ahmi. Sila besucht ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 21

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