Almanah 2015
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almanah<br />
Radio-Sendern.<br />
Journalismus in Afghanistan zu machen<br />
ist sehr gefährlich, speziell für Frauen.<br />
Journalistinnen haben mit Frauenfeindlichkeit,<br />
Belästigung auf der Straße und der<br />
Unmöglichkeit alleine reisen zu können zu<br />
tun. Und nicht zuletzt bezahlen sie ihren<br />
Beruf auch mit ihrem Leben. Im September<br />
letzten Jahres wurde die Journalistin<br />
Palwasha Tokhi in ihrer Wohnung getötet.<br />
Als ich 2005 mein Studium in der<br />
Journalismus-Fakultät der Universität von<br />
Kabul begann, war mir nicht bewusst,<br />
welch schwierige Zukunft ich einmal<br />
haben werde. Erst nachdem ich beim<br />
nationalen Fernsehen zu einem bekannten<br />
Gesicht als Nachrichtenjournalistin<br />
geworden war, verstand ich, wie hart es für<br />
eine Frau in Afghanistan ist diesen Beruf<br />
auszuüben. Ich konnte weder frei auf der<br />
Straße gehen, alleine mit dem Taxi fahren,<br />
noch mit dem Bus in abgelegene Gebiete<br />
reisen. Ich konnte nicht einmal mehr Parks<br />
oder öffentliche Plätze besuchen, nachdem<br />
ich bekannt war. Die Belästigungen auf der<br />
„Die Taliban nehmen<br />
Journalisten gern<br />
als Geiseln, um sie<br />
gegen ihre Kämpfer<br />
einzutauschen.“<br />
„Die Gesellschaft war für eine Frau als Journalistin nicht bereit.“, Tanya Kayhan aus Kabul.<br />
Straße hinderten mich daran in die Öffentlichkeit<br />
zu gehen und die Angst vor Geiselnahmen<br />
von der Taliban ließ mich nicht zu<br />
abgelegenen Gebieten reisen. Die Taliban<br />
nehmen Journalisten gern als Geiseln, um<br />
sie gegen ihre Kämpfer einzutauschen.<br />
Nicht nur die Taliban waren die Feinde.<br />
Meine fünf Jahre als Journalistin in Afghanistan<br />
waren für mich ein Kampf gegen<br />
die Feinde der Meinungsfreiheit. Und die<br />
Feinde waren nicht nur die Taliban. Sondern<br />
auch ihre Kultur, die sie in unserer<br />
Gesellschaft hinterlassen haben. Afghanistan<br />
steht laut der Organisation SAFMA<br />
(South Asian Free Media Association) in<br />
Punkto Gewalt gegen Journalisten 2014 an<br />
dritter Stelle. Es ist nicht allein die Taliban,<br />
die das Leben von Journalisten gefährden.<br />
Auch das politische System scheute<br />
nicht selten davor jeden in Gewahrsam zu<br />
nehmen, dessen Recherchen zu „unangenehm“<br />
wurden. Die Journalisten wurden<br />
vom Regierungspersonal verhaftet oder<br />
geschlagen, damit sie Fakten nicht aufdecken.<br />
Im letzten Jahr gab es 125 Gewaltfälle<br />
auf Journalisten: 8 wurden getötet, 9 verletzt,<br />
20 verhaftet, 38 geschlagen und 50<br />
Journalisten wurde gedroht. Zu 80% gingen<br />
diese Angriffe auf die Regierung zurück, zu<br />
11% auf die Taliban und zu 5% auf die NATO.<br />
Medien nach Ideologie<br />
Doch nicht nur die permanente Lebensbedrohung<br />
macht den Beruf des Journalisten<br />
in Afghanistan so schwer. Es gibt noch ein<br />
anderes Problem: Viele Journalisten sind<br />
arbeitslos, obwohl es genügend Medien im<br />
Land gibt. Wir haben 150 Radio-Kanäle, 50<br />
Fernsehsender und mehr als 100 Printmedien.<br />
Ich erinnere mich an einen meiner<br />
Kollegen bei 1TV, der von unserem Nachrichtenchef<br />
entlassen wurde. Er hatte den<br />
persischen Führer Ahmad-Shah Masood<br />
der Mujahidin-Regierung, welcher 2001<br />
durch ein Terrorattentat umkam, bloß als<br />
militärischen Kommandanten bezeichnet<br />
und nicht als „Volkshelden“. Da mein<br />
1TV-Nachrichtenleiter ein Anhänger von<br />
Masood’s Ideologie war, erwartete den<br />
Kollegen im Handumdrehen seine Kündigung.<br />
Dies zeigt auch ein anderes Problem<br />
der Mediensituation in Afghanistan: die<br />
sprachliche und ethnische Trennung der<br />
Medien. Viele Journalisten werden nach<br />
ihrem ethnischen oder ideologischem<br />
Background ausgewählt – oder eben entlassen.<br />
Verschiedene Länder finanzieren<br />
die afghanischen Medien, um die Zwietracht<br />
zwischen den Afghanen zu provozieren.<br />
So wird der Fernsehsender „Noor“<br />
vom Iran (den Unterstützern der Perser<br />
im Land) und der Sender „Shamshad“ von<br />
Pakistan (den Unterstützern der Pashtunen)<br />
finanziert.<br />
Ob in meinem Land oder in einem Land<br />
wie Frankreich, die Meinungsfreiheit steht<br />
unter Beschuss des Terrors. Aber das Glück,<br />
das die Medien in westlichen Ländern<br />
haben, ist ihr demokratisches System.<br />
Dieses System schützt die Meinungsfreiheit<br />
mehr als in meinem Land und<br />
ermutigt den Journalisten den Stift weiter<br />
in der Hand zu halten. Diese Unterstützung<br />
seitens der Regierung und der Bevölkerung<br />
in Europa ermutigt mich den Stift in<br />
meine Hand zu nehmen und noch einmal<br />
in die Journalismus-Welt einzutreten. Hier,<br />
in Österreich.<br />
Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />
Februar-Ausgabe <strong>2015</strong><br />
bereitgestellt<br />
<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 47