Almanah 2015
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almanah<br />
Der Schock<br />
nach der<br />
Flucht<br />
Sie<br />
T E X T :<br />
Simone Egarter<br />
FOTO:<br />
Susanne Einzenberger<br />
fliehen vor Krieg, Elend und Tod<br />
nach Europa. Was vor allem arabische<br />
Flüchtlinge in Österreich erwartet,<br />
ist die Mutter aller Kulturschocks.<br />
Halbnackte Frauen auf Plakaten,<br />
hilfsbereite Polizisten, leergefegte<br />
Straßen nach Feierabend und<br />
Palatschinken auf dem Teller.<br />
Verzweifelte Menschen auf der<br />
Flucht sind seit diesem Sommer<br />
das dominante Thema in den<br />
österreichischen Medien. Bilder von freiwilligen<br />
Helfern auf dem Westbahnhof<br />
machten genauso die Runde wie die tägliche<br />
Berichterstattung vom Grenzübergang<br />
Nickelsdorf. Das Flüchtlingsthema<br />
diktierte sogar die regionalen Wahlen in<br />
OÖ und Wien. Laut dem Innenministerium<br />
passierten im Jahr <strong>2015</strong> bis jetzt schätzungsweise<br />
300.000 Flüchtlinge die österreichische<br />
Grenze. Alleine im September<br />
waren es an die 200.00 Menschen. Die<br />
meisten der traumatisierten Flüchtlinge<br />
kommen aus den Bürgerkriegsländern wie<br />
Irak, Afghanistan oder Syrien. Und obwohl<br />
eine große Anzahl an Flüchtlingen Merkels<br />
Einladung nach Deutschland folgt, bleiben<br />
viele vertriebene Menschen in Österreich<br />
zurück. Rund 20.000 Asylanträge von<br />
Syrern gingen beim Innenministerium seit<br />
2011 ein.<br />
Unsere arabischsprechende Autorin war<br />
drei Wochen lang mit syrischen Familien<br />
unterwegs und hörte genau hin. Wie sieht<br />
deren Alltag aus? Womit haben sie zu<br />
kämpfen? An welche Dinge müssen sie<br />
sich gewöhnen? Herausgekommen sind<br />
sechs Anekdoten, die das Ankommen von<br />
syrischen Flüchtlingen beschreiben, ohne<br />
sie zu verurteilen. Eine Anleitung, um<br />
unsere zukünftigen Mitbürger besser zu<br />
verstehen.<br />
„Wieso ist um sechs Uhr abends<br />
alles ausgestorben?“<br />
Der 25-jährige Ali H. lebt heute im oberösterreichischen<br />
Braunau. Er lernt fleißig<br />
Deutsch und versucht möglichst viele<br />
österreichischen Freunde zu finden. Nach<br />
anfänglichem Unbehagen in der neuen<br />
Umgebung hat er sich gut eingelebt. Wenn<br />
es geht, möchte Ali am liebsten in Braunau<br />
bleiben und arbeiten. Der kontaktfreudige<br />
Mann aus Aleppo genießt seine neugewonnene<br />
Freiheit.<br />
Nur, Kontakte knüpfen in Braunau fällt<br />
ihm schwer. „Wieso ist das Land um sechs<br />
Uhr abends wie ausgestorben?“, fragt er<br />
uns. Ali fährt fort: „In Syrien ging man in<br />
ein Café nach der Arbeit, rauchte Shisha<br />
und traf Freunde.“ Er denkt oft an die<br />
friedliche Zeit in Syrien. Damals, bevor der<br />
Bürgerkrieg über das Land herfiel und bis<br />
heute an die 250.000 Menschen das Leben<br />
kostete.<br />
10<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION