Almanah 2015
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almanah<br />
die letzte Klasse, mit der wir für dieses<br />
Semester unser Schulprojekt durchführen.<br />
Als ich ihr und ihren Mitschülerinnen von<br />
den frauenfeindlichen Aussagen der vorherigen<br />
Klassen berichte, sind die Jugendlichen<br />
nicht überrascht. Alle Mädchen aus<br />
der Klasse haben schon öfters frauenfeindliche<br />
Aussagen erfahren. Auch Sila musste<br />
lernen, sich selbst zu behaupten. Sie war<br />
mit einem Jungen zusammen, der die Auffassung<br />
vertrat, dass sie als Frau nicht<br />
alleine mit ihren Freundinnen rausgehen<br />
darf. Acht Monate machte sie seine Verbote<br />
mit, bis sie nicht mehr konnte und mit<br />
ihm Schluss machte. Darauf beschimpfte er<br />
Sila als Hure, weil sie sich ihm, dem Mann,<br />
nicht unterwerfen wollte.<br />
„Wenn ich in der<br />
Disco aufs Klo gehe,<br />
spüre ich auf dem<br />
Weg hundert Hände<br />
auf meinem Körper.“<br />
„Selber Schuld!“<br />
Silas Klassenkollegin Anastasia * kennt<br />
das Gefühl, wenn Männer sich mächtig<br />
fühlen wollen: „Wenn ich in der Disco aufs<br />
Klo gehe, spüre ich auf dem Weg dorthin<br />
hundert Hände auf meinem Körper.“<br />
Der 18-Jährigen haben schon oft fremde<br />
Männer auf den Arsch gefasst.<br />
„Selber Schuld“, meint der pubertierende<br />
Ahmi, „Wieso gehen Frauen<br />
überhaupt fort?“, erklärt er sich Situationen<br />
wie die von Anastasia. Frauen sind ihm<br />
zufolge selbst schuld, wenn sie belästigt<br />
werden, sie haben es provoziert, indem sie<br />
einen tiefen Ausschnitt tragen oder auch<br />
einfach nur alleine aus dem Haus gehen.<br />
Diskriminierung<br />
Ich habe in den Schulen erlebt, dass die<br />
frauenfeindlichen Aussagen nicht nur von<br />
Schülern mit Migrationshintergrund oder<br />
gar dem Islam als Religionsbekenntnis,<br />
wie man ja sonst oft liest, kommen. Die<br />
Jungs, die diese Aussagen tätigen haben<br />
ALLE EINE Gemeinsamkeit: Sie kommen<br />
aus sozial benachteiligten Familien, fühlen<br />
sich in Österreich diskriminiert und sehen<br />
für sich keine große Zukunft. Sie erleben,<br />
dass sie in unserer ach so liberalen Gesellschaft<br />
als Ahmed oder Ali keine große Rolle<br />
spielen werden und fragen sich offenbar,<br />
warum sie dann unsere Werte auch zu<br />
ihren machen sollten.<br />
Männliche Vorbilder<br />
Spürbar ist bei den Burschen zudem eine<br />
dringende Suche nach männlichen Vorbildern,<br />
die ihnen ihre Väter offenbar nicht<br />
ausreichend sein können. So wird mein<br />
Kollege Amar von allen Jungs verehrt. Sie<br />
machen Fotos von ihm, lachen über seine<br />
Scherze und ist er einmal nicht da, fragen<br />
sie im Minutentakt, wann Amar endlich<br />
kommt. Zuerst hat mich das gestört, doch<br />
ich begriff langsam, dass das gut war. Sie<br />
hatten in Amar ein Vorbild gefunden und<br />
als er ihnen erzählte, wie wichtig die Rolle<br />
der Frau in der Gesellschaft ist und dass<br />
er mit keinem von ihnen befreundet sein<br />
möchte, wenn sie schlecht über Frauen<br />
reden, nahmen sie sich das wirklich zu<br />
Herzen.<br />
Gabalier & Tradition<br />
Ich mache mir keine Illusionen, in einer<br />
Woche kann man ihre Anschauung nicht<br />
komplett ändern. Aber wir haben einige<br />
Burschen zum Nachdenken gebracht<br />
und auch die Mädchen in diesen Klassen<br />
gestärkt. Das wurde mir erst im Nachhinein<br />
bewusst, weil mir das die Schülerinnen<br />
später gesagt haben. Zudem wurde mir<br />
bewusst, wie wichtig der Kampf für Gleichberechtigung<br />
ist. In einer Gesellschaft, in<br />
der Andreas Gabalier gefeiert wird, weil<br />
er sich weigert die Bundeshymne durch<br />
die Töchter zu ergänzen, in der Frauen für<br />
dieselbe Tätigkeit um 23 Prozent weniger<br />
verdienen als Männer – da erwartet man<br />
gerade von den Jüngsten, die das alles mitkriegen<br />
und sich selbst am Abstellgleis<br />
sehen, gendersensibel zu sein?<br />
<br />
* Name von der Redaktion geändert<br />
TIPP:<br />
Flash<br />
Mädchencafé<br />
Im flash Mädchencafé in der Zieglergasse<br />
im siebten Wiener Bezirk, können Mädchen<br />
von 10 bis 21 Jahren untereinander<br />
sein, sich beraten lassen und an Selbstbehauptungsworkshops<br />
teilnehmen.<br />
Mobil: +43 (0)676 897 060 308<br />
Telefon: +43 (0)1 890 30 60<br />
Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />
Juni-Ausgabe <strong>2015</strong><br />
22<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION