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Hinz&Kunzt_353_Juli

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WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Schwerpunkt<br />

Alter<br />

„Eine Frage<br />

des politischen<br />

Willens“<br />

Rezepte gegen Altersarmut gibt es.<br />

Doch sie werden nicht angewandt.<br />

TEXT: ULRICH JONAS<br />

FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

am Ende des Monats nicht mehr auf<br />

die Straße. Weil sie die Sorge haben,<br />

dass sie jemanden treffen, der sagt:<br />

,Komm, lass uns mal ’nen Kaffee trinken!‘<br />

Und die das nicht können, weil sie<br />

nicht das Geld dafür haben“, berichtet<br />

Klaus Wicher, Vorsitzender des Sozialverbands<br />

Deutschland (SoVD) in Hamburg.<br />

Und es gebe sogar Menschen, die<br />

hungern. „Die Preiserhöhungen sind<br />

so gewaltig, dass einige am Ende des<br />

Monats einfach nichts mehr haben.“<br />

Die Grundrente, ein Vorzeigeprojekt<br />

von Bundesarbeitsminister Hubertus<br />

Heil (SPD), hilft den wenigsten. Nur<br />

rund jede:r 50. Betroffene in Hamburg<br />

profitiert bislang von ihr, so Wicher.<br />

„Und das ist ja auch keine Grundrente,<br />

sondern ein Rentenaufschlag.“ Ihn bekommt<br />

unter bestimmten Voraussetzungen,<br />

wer mindestens 33 Jahre sozialversicherungspflichtig<br />

gearbeitet hat.<br />

Wer nicht regelmäßig oder vor allem in<br />

Minijobs oder selbstständig beschäftigt<br />

war, bleibt außen vor. Vor allem Frauen<br />

müssen sich oft mit Mini-Renten durchschlagen,<br />

so die Statistiken.<br />

Der SoVD-Vorsitzende Wicher fordert<br />

deshalb grundsätzlich höhere Renten,<br />

gleiche Löhne für Frauen und die<br />

vollwertige Anerkennung von Familienund<br />

Pflegezeiten. Das sind zwar Vorschläge,<br />

die die Bundesregierung<br />

umsetzen müsste, doch auch der Hamburger<br />

Senat kann Altersarmut bekämpfen,<br />

meint Wicher. Zum Beispiel<br />

mit eigenem Geld einen 10-Prozent-<br />

Aufschlag auf die Grundsicherung auszahlen,<br />

so wie die Stadt München es<br />

vormacht. Rot-Grün lehnte diese Idee<br />

bereits 2019 ab – mit Hinweis auf<br />

fehlende Daten. Aus Sicht des SoVD-<br />

Vorsitzenden eine Ausrede: „Das ist<br />

eine Frage des politischen Willens. Und<br />

der Bereitschaft, das entsprechende<br />

Geld in die Hand zu nehmen.“<br />

Mit weiteren, schnell umsetzbaren<br />

Maßnahmen sollte der Senat das Leben<br />

aller Hilfebedürftigen in Hamburg erleichtern,<br />

fordert Wicher: etwa mit<br />

einem Null-Euro-Ticket für Busse und<br />

Bahnen, kostenlosen Sportangeboten<br />

und freiem Museumseintritt. Seit Jahren<br />

trage er diese Vorschläge der Sozialbehörde<br />

und den Regierungsfraktionen<br />

von SPD und Grünen vor – ohne<br />

Erfolg. Die Entlastungspakete der im<br />

Bund regierenden Ampel würden Menschen<br />

in Altersarmut jedenfalls wenig<br />

helfen, meint der SoVD-Vorsitzende:<br />

„Einmalzahlungen sind wenig nützlich.<br />

Es braucht deutliche Erhöhungen der<br />

monatlichen Zuwendungen.“<br />

Michael David, zuständig für Altersarmut<br />

bei der Diakonie Deutschland,<br />

hat noch einen anderen Vorschlag:<br />

Beantragt jemand Rente und<br />

die fällt gering aus, so die Idee, sollte<br />

dieser Umstand automatisch dem<br />

Grundsicherungsamt gemeldet werden.<br />

Das könnte dann weitere Ansprüche<br />

der Betroffenen prüfen – und verdeckte<br />

Altersarmut verhindern. Michael David:<br />

„So würde der Staat dafür sorgen,<br />

dass die Menschen, die Hilfe benötigen,<br />

diese auch bekommen.“ •<br />

ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />

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