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Hinz&Kunzt_353_Juli

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Intern<br />

sie eine Gefängnisstrafe verbüßt hatten, direkt<br />

auf der Straße. Einige kamen aus Heimen<br />

der Jugendhilfe. Für sie gab es damals keine<br />

Angebote, Straßensozialarbeit fand in der<br />

City nicht statt. Dass sich das änderte, ist ein<br />

großer Verdienst von Stephan Karrenbauer<br />

und Birgit Müller, ehemals Chefredakteurin<br />

von Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Im Team mit vielen anderen<br />

bildeten sie eine Lobby für die Hilfsbedürftigen<br />

und überzeugten auch die<br />

Geschäftstreibenden in der City, Obdachlose<br />

nicht als Störenfriede, sondern als Menschen<br />

zu sehen, die zur Hamburger Gesellschaft<br />

dazugehören.<br />

Seit deinem Beginn bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

hat sich für Obdachlose in Hamburg<br />

vieles verbessert. Sind wir auf einem<br />

guten Weg?<br />

Ja, wir haben viel geschafft. Aber es<br />

reicht noch nicht. Jeder Hamburger,<br />

der mit offenen Augen durch die Stadt<br />

läuft, sieht, dass etwas nicht stimmen<br />

kann, wenn Menschen offensichtlich<br />

auf der Straße verelenden. Das große<br />

Ganze hat sich nicht verändert.<br />

1996: Stephan Karrenbauer und Ex-Vertriebsleiter Dieter Redenz bei der Übergabe<br />

eines ausrangierten Polizeibullis (oben) und unten mit Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Kolleg:innen<br />

Wieso?<br />

Ich habe gemerkt, dass meine Kräfte<br />

nachlassen und ich mir selber nicht<br />

mehr gerecht werde. Bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

habe ich alles gegeben, das musste auch<br />

so sein. Aber ich bin an den Punkt gekommen,<br />

da merke ich: Ich kann mich<br />

selber nicht mehr hören. Es ermüdet<br />

mich, immer wieder dasselbe kritisieren<br />

zu müssen, immer wieder neue Worte<br />

finden zu müssen für Missstände, die<br />

einfach nicht behoben werden. Zum<br />

Beispiel, dass immer noch nicht ganzjährig<br />

ausreichend Unterkünfte für<br />

Obdachlose geschaffen werden. Wir<br />

haben 2000 obdachlose Menschen in<br />

Hamburg. Dass man es nicht hinkriegt,<br />

denen ein Zuhause zu bieten, ist mir<br />

unbegreiflich. Ich weiß nicht, wie ich da<br />

noch weiterkommen soll.<br />

Stephan Karrenbauer gehört in Hamburg zu<br />

den ersten Sozialarbeiter:innen, die sich<br />

gezielt für Obdachlose einsetzten. Als er bei<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> anfing, war das Bild in der<br />

Innenstadt nach Ladenschluss noch ein ganz<br />

anderes als heute: In fast jedem Hauseingang<br />

schliefen Obdachlose. Es waren Menschen<br />

aus der ehemaligen DDR, die gestrauchelt<br />

waren beim Versuch, im Westen Fuß zu fassen,<br />

schwere Krisen erlitten und alkoholkrank<br />

geworden waren. Andere landeten, nachdem<br />

Hamburg hat sich wie viele andere<br />

Städte das Ziel gesetzt, Obdachlosigkeit<br />

bis 2030 abzuschaffen.<br />

Wie kommen wir voran?<br />

Obdachlosigkeit ist als Problem erkannt<br />

worden. Nun müsste ein Plan<br />

entwickelt werden, dieses Problem aus<br />

der Welt zu schaffen. Was aber passiert?<br />

Wir sehen den Missstand, wir schreien<br />

auf, und dann macht die Stadt ein bisschen<br />

was. Dieses Bisschen ist gut, aber<br />

nicht genug. Jeder Mensch braucht<br />

Hoffnung, und diese Hoffnung muss ich<br />

als Sozialarbeiter den Leuten auf der<br />

Straße vermitteln können. Es reicht<br />

nicht, zu sagen: Wenn du Glück hast,<br />

bekommst du irgendwann was.<br />

Wie kommen denn obdachlose<br />

Menschen überhaupt an einen Platz<br />

im Wohnheim – und von dort aus<br />

weiter?<br />

Wir haben in Hamburg ein System, bei<br />

dem obdach- und wohnungslose Personen<br />

in bestimmte Stufen eingeteilt werden,<br />

die sich an ihrer sogenannten<br />

Wohnfähigkeit bemessen. Bei diesem<br />

Kriterium geht es darum, ob den Leuten<br />

zugetraut wird, dass sie eine eigene<br />

FOTOS: FREDERIKA HOFFMANN (S. 42), HENDRIK DOOSE (S. 43)<br />

42

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