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Hinz&Kunzt_353_Juli

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Momentaufnahme<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>353</strong>/JULI 2022<br />

Der Traum<br />

vom richtigen Job<br />

Alexandru, 35, verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> vor Aldi Küsterkamp<br />

und Rewe Marktstraße in Barmstedt.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Am liebsten würde Alexandru nicht<br />

mehr Hinz&<strong>Kunzt</strong> verkaufen. „Ich<br />

möchte eine Ausbildung zum Installateur<br />

machen und richtig arbeiten“, sagt<br />

der gebürtige Rumäne. Seit sechs Jahren<br />

verkauft der 35-Jährige das Straßenmagazin<br />

– „meine Arbeit“, wie er<br />

nicht ohne Stolz sagt. Für ihn der beste<br />

Job, den er je hatte. In Hamburg hielt<br />

sich Alexandru zuvor als Straßenmusiker<br />

über Wasser. Das funktionierte<br />

mehr schlecht als recht. Warum er sich<br />

das alles antut? Alexandru antwortet<br />

ohne Zögern: „Für die Kinder ist es<br />

hier besser. Rumänien ist Katastrophe.“<br />

In Hamburg seien sie zwar arm. „Aber<br />

in der Heimat hatten wir nix. Außer<br />

Tomaten und Gurken, die im Garten<br />

wuchsen. Hier kann ich mit wenig Geld<br />

gebrauchtes Spielzeug oder auch Kleidung<br />

kaufen.“<br />

Alexandru stammt aus der Region<br />

Moldau im Nordosten Rumäniens.<br />

Dorthin, wo das Land an Moldawien<br />

und die Ukraine grenzt, verirre sich<br />

niemand freiwillig. „Es gibt keine berühmten<br />

Sehenswürdigkeiten und wenig<br />

zu erleben“, sagt Alexandru, der<br />

fließend Deutsch spricht. In den Städten<br />

würden immer mehr Fabriken<br />

schließen. Auf dem Land lebten die<br />

meisten Menschen als Selbstversorger:innen<br />

von dem, was auf dem<br />

fruchtbaren Boden wächst.<br />

Früher hätten die Menschen in seiner<br />

Heimat nicht einmal Strom gehabt,<br />

sagt Alexandru. Er selbst wuchs in der<br />

Stadt Bac u auf. Den Schritt vom Land<br />

in das einstige Textil- und Industriezentrum<br />

hatte sein Vater in den 1980ern<br />

gewagt, nachdem er Arbeit in einer<br />

Schuhfabrik fand. Die Fabrik existiert<br />

schon lange nicht mehr. Auch Alexandru<br />

fand keine Anstellung nach seiner<br />

Ausbildung zum Koch. Dort wo früher<br />

produziert wurde, stehen nur noch Ruinen,<br />

sagt er. Daten des Statistischen<br />

Amtes der Europäischen Union zeigen,<br />

dass im Nordosten Rumäniens inzwischen<br />

nicht einmal mehr ein Fünftel des<br />

Hamburger Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet<br />

wird. Bei der Lebenserwartung<br />

liegt die von Armut gebeutelte<br />

Region auf Rang 325 von europaweit<br />

326 Regionen. Zahlen, die den Exodus<br />

der Bevölkerung in den vergangenen<br />

Jahrzehnten verständlich machen. Heute<br />

lebt nach staatlichen Schätzungen<br />

etwa jeder fünfte Rumäne im Ausland.<br />

So wie Alexandru und seine Familie.<br />

Sie suchten vor etwa sieben Jahren ihr<br />

Glück in Hamburg. Inzwischen verkauft<br />

auch seine Frau Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Alexandru<br />

hat in der Volkshochschule erfolgreich<br />

einen Sprachkurs abgeschlossen.<br />

Seine Sprachkenntnisse sind so gut, dass<br />

er oft für Landsleute übersetzen kann.<br />

Als Nächstes will er einen Deutschkurs für<br />

Fortgeschrittene absolvieren, der als<br />

Grundvoraussetzung für Bewerbungen<br />

gilt. Das alles kostet Geduld und Geld.<br />

Aber Alexandru ist zuversichtlich, dass<br />

er diese Hürde meistert. Sein Wunsch:<br />

Eines Tages statt des Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Magazins einen Arbeitsvertrag in den<br />

Händen zu halten. Für eine bessere<br />

Zukunft – vor allem für seine Kinder. •<br />

redaktion@hinzundkunzt.de<br />

Alexandru und alle anderen<br />

Hinz&Künztler:innen erkennt man<br />

am Verkaufsausweis.<br />

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