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ROLANDO VILLAZÓN
Wo Rolando Villazón erscheint, geht die Sonne
auf! Abseits der großen Bühnen sind Sie auch
für Ihre humorvolle Ader bekannt. Macht Humor
das Leben leichter?
Rolando Villazón: Wissen Sie, das Leben muss
nicht leicht sein. Das Leben hat Gewicht! Humor
hilft uns dabei, das Leben in einem anderen Licht
zu sehen. Wir Menschen übertreiben es oft mit
unserer Seriosität, aber das hat nichts damit zu
tun, wie das Leben eigentlich ist. Humor zeigt
uns, wie das Leben ohne diese Ernsthaftigkeit aussieht.
Und natürlich macht uns Humor kreativer.
Ein Lachen kann so befreiend sein, dass man hinterher
das Gefühl hat, endlich wieder frei atmen
zu können. Humor kann vieles, aber ich glaube
nicht, dass Humor das Leben leicht machen kann
oder soll. Das klingt für mich sogar, als ob man
lieber an der Oberfläche bleiben wollte, und das
ist es nicht, denn Humor lässt uns auch die Tiefen
des Lebens bemerken.
Wann bleibt Ihnen das Lachen im Hals stecken?
Ich lache gern, aber ich weiß, dass es auch Anderes
gibt. Die tragischen Geschehnisse, die wir täglich
in den Nachrichten sehen, darüber kann ich nicht
lachen.
Lachen und Weinen liegen nah beieinander …
Ich muss über so vieles lachen. Und ich liebe es
besonders, wenn die Leute über etwas lachen, das ich erzähle oder
mache. Ich liebe es, ein Clown zu sein. Genau so, wie ich es liebe,
ruhig zu sein. Ich umarme die Traurigkeit, wenn sie kommt. Das
gehört dazu. Zu leben, heißt ja auch, alle Arten von Gefühlen zu
erfahren, das ist ein fixer Teil im Leben jedes Menschen. Melancholie,
Traurigkeit, Sehnsucht, Schmerz … diese dunklen Wolken sind
auch ein Teil des Lebens. Es ist falsch, zu denken, wir müssten das
nicht sehen, und wir sollten immer nur lachen und fröhlich sein. Das
ist naiv, zu glauben, die dunklen Wolken würden nicht kommen. Sie
kommen! Und man muss bereit sein für diesen Moment und auch
durch diese Phasen gehen. In diesem Sinne ist Kunst ganz wichtig.
Jede Art von Kunst! Sie hilft uns, zu verstehen, was Schmerz ist. Ein
Leben, in dem man nur lacht, ist auch kein gutes Leben. Da fehlt
auch etwas. Und das richtige Lachen, die Poesie, kommt aus der
Kombination von allen diesen Erfahrungen. Diese Erfahrungen machen
aus uns, was wir sind. Jemandem, der nur lacht, fehlt ein Verständnis
davon, zu welcher Bandbreite von Gefühlen wir Menschen
fähig sind. Kann so eine Person überhaupt Empathie besitzen?
In Ihrer Rolle als Clown „Dr. Rolo“ besuchen Sie immer wieder
Krankenhäuser. Wie bringt man Menschen, die schwer krank
sind, zum Lachen? Haben Sie da ein Rezept?
Das Schöne daran, ein Clown zu sein, ist das Improvisieren! Das ist
übrigens sehr Mozart-like, mozartean. Mozart liebte es, zu improvisieren.
Die Kunstform der Improvisation, das ist die Domäne der
Clowns! Als ich zum ersten Mal in einem Krankenhaus in Kontakt
mit diesen Clowns gekommen bin, war sofort klar: Das will ich auch
machen! Das war die Geburtsstunde von Dr. Rolo. Rolo ist wie ein
dummer August, ein Idioten-Clown, der alles falsch macht und nichts
versteht. Wir bringen die Patienten dazu, über ihre eigenen unglücklichen
Momente zu lachen, und das befreit und erleichtert. Natürlich
musst du ein Gespür dafür entwickeln, ob das für den Patienten jetzt
auch so passt. Aber wie gesagt: Vieles ist Improvisation, und es ist
absolut fantastisch, das zu machen. Im Moment verrückte kreative
Sachen tun. Und wir spielen mit allem, was es dort im Zimmer gibt,
„Ich glaube ganz fest, dass jeder
von uns einen Clown und einen
Philosophen in sich trägt.“
Rolando Villazón
wir machen das Krankenhaus zum künstlerischen Spielplatz. Das
braucht viel Energie, spontane Einfälle, Humor und Beziehung.
Manchmal sind wir Clowns gar nicht da, um jemanden zum Lachen
zu bringen. Manchmal singen wir einfach ein kleines Liedchen, und
du siehst, und du spürst, was da für eine Energie entsteht.
Was hat Sie in Ihrer Kindheit geprägt?
Der Kampf für Freiheit! Als kleiner Junge spielte ich mit meinen
Freunden immer auf der Straße. Heute kann man das leider nicht
mehr machen, das ist zu gefährlich in Mexiko. Aber damals waren
wir so fünf Kinder und spielten den ganzen Tag zusammen. Das war
fantastisch, und ich glaube, diese Zeit war wichtig, denn da habe ich
angefangen, Rollen zu spielen. In meiner Erinnerung drehte sich
damals alles nur um eine Sache: Freiheit! Freiheit! Freiheit! Mit elf
habe ich angefangen, mich für Literatur zu interessieren. Bücher wie
„The Call Of The Wild“ oder der „Steppenwolf“ von Hermann Hesse
haben mich fasziniert. Den „Steppenwolf“ habe ich danach noch
zwei, drei Mal gelesen. Dinge wie dieses Buch, die sind mir geblieben,
und denen fühle ich mich ganz stark verbunden. Ich wollte
sogar, als ich älter wurde, wie Harry Haller sein. Ich hab da so viel
für mich gefunden: die Liebe zu Büchern, das Leben eines Bohemians,
dieses Gewicht in der Seele, die Liebe zur Kunst, zu Mozart. Der
letzte Satz vom „Steppenwolf“ ist genau das: Mozart me está esperando.
Mozart wartet auf mich. Und damit sind wir bei der Musik!
Als kleiner Junge habe ich das „Dschungelbuch“ geliebt. Mit zwölf
habe ich die Stimme von Plácido Domingo gehört, und das hat mich
bis heute geprägt. Silvio Rodríguez, seine Lieder und Gedichte, die
Zeit auf der Straße – das alles, dieses Entdecken und die Suche, wer
ich bin und was ich eigentlich machen will, das war unschätzbar
wichtig für mich.
Kunst ist ein Lebensmittel. Was wäre die Welt ohne Kunst?
Es wäre eine Welt ohne Unterbewusstsein. Kunst ist eine universelle
Sprache, die die Leute zusammenbringt und die uns erzählt, wer
wir in unserem Innersten sind. Es wäre also eine Welt, die ohne
diese unglaublich reiche Sprache auskommen müsste. Eine menschliche
Welt ist ohne Kunst unmöglich. Nur weil wir Menschen sind,
nur weil es Menschen gibt, gibt es Kunst. Kunst ist ein Teil des
Menschseins. Das sieht man auch gerade jetzt in dieser schwierigen
Zeit: Kunst wird es immer geben. Wir finden Möglichkeiten, wir
finden Wege, weiter Kunst zu machen und Kunst zu erleben.
Sie sind seit 2017 Intendant der Mozartwoche, und man hat den
Eindruck, Sie hätten ein ganz spezielles Naheverhältnis zu Mozart.
Wenn Sie ihm eine Frage stellen könnten, wie würde sie lauten?
„Bier oder Wein?“ (lacht). Mozart würde vermutlich sagen: „Wirklich?
Ist das deine wichtigste Frage?“ (lacht). Ich glaube, er würde
sich darüber sehr amüsieren. Es wäre eine Konversation mit vielen
Fragen. Wenn ich in der Zeit zurückreisen könnte und mit Mozart
Musik machen würde, dann gäbe es viele Fragen, die das Musikalisch-Künstlerische
betreffen würden. Das wäre natürlich fantastisch,
aber es gäbe auch andere Fragen: „Was denkst du wirklich über
deinen Vater?“ (lacht), „Liebst du Constanze? Wie sehr?“
Künstler müssen sich kein Blatt vor den Mund nehmen. Was
würden Sie dieser Welt ausrichten wollen?
Das Wichtigste ist, dass wir uns – once and for all – als Equals sehen.
Als ebenbürtige, gleichwertige Menschen. Dass wir einander zu akzeptieren
lernen, unabhängig von Sprache, Herkunft, Hautfarbe,
Religion und so weiter.
Welche Rolle kann Kunst dabei einnehmen?
Kunst kann ein Gefühl der Gemeinschaft vermitteln. Zum Beispiel
in der Oper, da wird das für alle spürbar. Es ist in diesem Moment
egal, wer wir sind, was wir machen. Wir alle spüren gemeinsam die
Gefühle, die die Musik transportiert und uns darbietet. Denken Sie
nur an Puccini. Er versucht, uns zum Weinen zu bringen. Und normalerweise
schafft er das. Bei Konzerten, Symphonien, Kammermusik
– da ist es abstrakter, aber auch hier versetzt uns die Musik in
diese neue, andere Welt, die uns etwas über uns zu sagen hat. Oder
in einer Galerie zum Beispiel. Es entsteht eine Verbundenheit zwischen
all den Menschen, die gemeinsam Kunst erfahren. Das ist, was
ich mir wünsche für die Welt. Ein friedliches gemeinsames Erleben,
das erhaben ist über jegliche Unterschiede. Ich liebe diesen Satz von
T. S. Eliot: „Because I cannot hope to turn again / Consequently I
rejoice, having to construct something / Upon which to rejoice.“ So
ist es doch, nicht?
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