02.03.2013 Aufrufe

30. Mai bis 12. Juni 2010 - Kirchenblatt

30. Mai bis 12. Juni 2010 - Kirchenblatt

30. Mai bis 12. Juni 2010 - Kirchenblatt

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

1898<br />

Secondo Pia, Fotograf<br />

1855–1941<br />

Leinwand und legte ihn in ein ausgehaue -<br />

nes Grab, in dem noch niemand bestattet<br />

worden war.» Als direkte Beweise dienen<br />

diese Bibelstellen natürlich nicht.<br />

Ähnlich sieht es allerdings auch mit allen<br />

Gegenbeweisen aus. Sie haben noch nie<br />

das Gegenteil beweisen können. Gewiss<br />

ist nur Folgendes: Das grosse Leinentuch<br />

verwahrt zwischen vielen Blutflecken<br />

eine skandalöse, höchst aufreizende<br />

Nachricht. In diesem langen Laken war<br />

einmal jemand verpackt. Es zeigt den<br />

Schatten der Vorder- und Rückseite eines<br />

bärtigen Mannes mit schweren Verletzungen<br />

an den Handgelenken, den Füssen,<br />

am Kopf und eigentlich überall. Der<br />

Geschundene ist splitterfasernackt! Unmittelbar<br />

nach seinem Tod hat man ihm<br />

auch noch eine grosse Wunde zwischen<br />

den Rippen beigebracht. Blut und seröses<br />

Wasser sind ihm aus dieser Wunde im Liegen<br />

den Rücken hinuntergelaufen: Leichenblut,<br />

das «Blut der Seele», wie es in<br />

der Antike hiess.<br />

Bei dem Blut am Kopf, aus den Nagelwunden<br />

an den Händen und Füssen und<br />

den Geisselspuren handelte es sich um<br />

das Blut eines Lebenden mit Blutgruppe<br />

AB+. In dem Tuch lag ein Mann, dem ex -<br />

akt das Gleiche widerfuhr, was Jesus von<br />

Nazareth nach Auskunft der Evangelien<br />

geschehen ist. Kein Objekt der Archäologie<br />

ist so kompatibel mit jedem Detail der<br />

Passion, wie sie uns von diesem Menschensohn<br />

überliefert wurde. Kein Bild,<br />

kein Schriftstück auf der ganzen Erde<br />

spiegelt präziser, wie Jesus zu Tode kam.<br />

Wiederentdeckung im Jahr 1898<br />

Erste Fotos aus dem Jahr 1898 machten<br />

«das Grabtuch» zudem dafür berühmt,<br />

dass uns in seinem fotografischen Negativ<br />

das Positiv eines Gesichtes ansieht.<br />

Dennoch kann jeder Laie sehen, dass die<br />

lange Leinwand selbst kein Foto ist und<br />

auch nicht der Film einer kosmischen Kamera.<br />

Albrecht Dürer hat schon 1516 be-<br />

wiesen, dass das Tuch auch kein Gemälde<br />

ist, als er mit seinem Versuch scheiterte,<br />

mit dem Pinsel ein Abbild davon herzustellen.<br />

Was wir sehen, hat keine Konturen,<br />

keine Zeichnung, keine Pigmente,<br />

rein gar nichts davon und ruht nur in den<br />

oberen Teilen der Faser. Keiner kann sagen,<br />

was es genau ist, und wie dieses Bild<br />

auf den Stoff geraten ist. Dennoch tobt<br />

um das zarte geheimnisvolle Bild ein grosser<br />

Kampf. Die einen gehen davor in die<br />

Knie. Andere haben einen Heidenspass,<br />

es als Fälschung zu entlarven, immer wieder.<br />

Kalt lässt das Tuch kaum einen, der<br />

sich ihm nähert. Nur beweisen lässt sich<br />

an ihm nichts.<br />

Fruchtbarer scheint es darum, sich einmal<br />

in einer neuen Versuchsanordnung von<br />

allen Beweisen für oder gegen die Echtheit<br />

des Grabtuchs zu verabschieden und<br />

einen Schritt dahinter anzusetzen. Denn<br />

es ist ja schon längst das am gründlichs -<br />

ten untersuchte Textilstück der Welt. Danach<br />

bleibt die Entstehung des Bildes, das<br />

auf seinen Fasern ruht, schlicht unerklärlich.<br />

Die entscheidende Frage aber, ob es<br />

das authentische Grabtuch Jesu ist, lässt<br />

sich nicht mit einer Fifty-fifty-Lösung beantworten.<br />

Da gibt es nach Abwägung aller Indizien<br />

nur ein klares Ja oder Nein. Ist es das echte<br />

Grabtuch, fügen alle schlüssigen Beweisketten<br />

dem nichts mehr hinzu. Ist es nicht<br />

so, können alle Beweise dafür oder dagegen<br />

daran nichts mehr ändern. Aufregender<br />

ist deshalb heute, einer umgekehrten<br />

Fragestellung folgen. Also nicht der Frage,<br />

ob es echt ist oder nicht, sondern der<br />

Frage: Was ist, wenn es so ist?<br />

Eine lange Reise<br />

Gegen alle Wahrscheinlichkeit hat es<br />

überlebt. Schon in den frühesten Dokumenten<br />

der Christenheit war von Tüchern<br />

die Rede – und hier haben wir nun<br />

ein Tuch, das dieser Rede vollkommen<br />

entspricht. Kein Widerspruch trennt es<br />

Das Grabtuch wird in einem, mit dem Edelgas Argon gefüllten,<br />

2500 Kilogramm schweren Glasbehälter aufbewahrt.<br />

Die Ausstellung eröffnete Kardinal Severino Poletto, Turins Erz<strong>bis</strong>chof.<br />

von der Annahme, dass wir es in Turin<br />

wahrhaftig vor uns haben. Wären wir vor<br />

einem Gericht, würde das Grabtuch<br />

leicht jeden Indizienprozess gewinnen,<br />

dass es mit dem «reinen Leinen» des Joseph<br />

von Arimatäa identisch ist.<br />

Vor kurzem hat Richter Dr. Markus van<br />

den Hövel sich in Bochum der Mühe unterzogen,<br />

den Prozess noch einmal aufzurollen.<br />

Sein Urteil ist eindeutig. In den<br />

70er-Jahren hat der Gerichtsmediziner<br />

Dr. Max Frei aus Zürich auf dem Tuch eine<br />

Reihe von Blütenpollen entdeckt, die ihm<br />

verschiedene Landschaften eingetragen<br />

haben, wo es sich befunden haben muss.<br />

Im Westen ist der Aufenthalt des Tuches<br />

seit dem Jahr 1356 minutiös dokumentiert<br />

– etwa in Lirey, Saint Hippolyte oder<br />

Chambéry. Doch folgt man der Spur der<br />

verborgenen Pollen in diesem Gewebe,<br />

dann muss es auch in Jerusalem, der Gegend<br />

zwischen Euphrat und Tigris und in<br />

Konstantinopel gewesen sein, bevor es<br />

nach Turin kam. Es ist eine Strecke, die<br />

sich von keinem Navigator erfassen lässt.<br />

Der Weg des Grabtuchs geht durch weite<br />

Wüsten, uralte Städte und durch die<br />

grosse Stille. Unbegreifliches Glück ist<br />

dem Tuch auf seiner langen Reise oft widerfahren,<br />

zuletzt im Zweiten Weltkrieg,<br />

als es vor den Rollkommandos der deutschen<br />

Wehrmacht in das Kloster Montevergine<br />

hinter Avellino in der Campagna<br />

in Sicherheit gebracht wurde – und eben<br />

nicht, wie geplant, in die mächtige Benediktiner-Abtei<br />

auf dem Monte Cassino,<br />

die als die sicherste Trutzburg Italiens<br />

galt.<br />

Auf seinem Weg vom Morgenland zum<br />

Abendland hätte die Sindon hundertmal<br />

verbrennen, vernichtet werden oder verloren<br />

gehen können. Plünderungen,<br />

Diebstähle und eine Serie von Rechtsbrüchen<br />

haben es gerettet. Der Leinwand<br />

ist eine Landkarte des Leidens eingezeichnet.<br />

Doch richtig beginnt sie erst in unserer<br />

Zeit zu reden.<br />

KIRCHENBLATT 12 <strong>2010</strong> 5<br />

Thema

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!