december-2011
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M A R I O A D O R F<br />
Mario Adorf mit Kollegin<br />
Veronika Ferres in Die lange<br />
Welle hinterm Kiel, ARD-<br />
Ausstrahlung am 04.01.2012<br />
Adorf with co-star<br />
Veronika Ferres in his latest<br />
fi lm, which shows on<br />
German TV in January<br />
Mario Adorf meint, dass es<br />
nicht unüblich ist, das Schauspieler<br />
nach Erfolgen in ein Loch fallen.<br />
“Es ist berufsimmanent, dieser<br />
Abfall der Spannung zwischen<br />
Erfolg und Einsamkeit. Man feiert<br />
im Theater einen Triumph,<br />
und eine Stunde später hockt man<br />
allein in der Wohnung, oder<br />
schlimmer, in einem Hotelzimmer.<br />
Das ist für viele eine große<br />
Belastung. Ich hatte mal einen<br />
Lehrer der sagte ‘Dieser Beruf ist<br />
nichts für Schwächlinge’. Sensible<br />
Genies mögen Dichter werden,<br />
die können zu Hause sitzen und in<br />
sich gehen, aber Schauspieler sind<br />
einem anderen Druck ausgesetzt.”<br />
Er spricht von der Diskrepanz<br />
zwischen dem Anspruch, der an<br />
den sensiblen Künstler gestellt<br />
wird, und der Notwendigkeit eben<br />
nicht so empfi ndlich zu sein, dass<br />
man gefährdet ist. “Das wird oft<br />
nicht so erkannt, was auch ein<br />
Grund ist, warum manche Schauspieler<br />
zu Trinkern werden.”<br />
54—GW<br />
“Ich erinnere mich noch an die<br />
Zeit vor dem Fernsehen, als es bei<br />
der Schauspielerei um Kumpanei<br />
ging. Im Theater hat das Ensemble<br />
nach den Proben zusammen<br />
gesessen. Heute zieht es direkt<br />
nach der Arbeit alle in andere<br />
Richtungen.” Doch er selbst hat<br />
schon früh gelernt, mit den Höhen<br />
und Tiefen des Jobs umzugehen.<br />
Adorf ist sogar ganz gern mal<br />
allein, dann liest er oder schreibt.<br />
Natürlich hat es auch immer geholfen,<br />
dass er seine Frau hat, mit<br />
der er seit 1985 in zweiter Ehe verheiratet<br />
ist. Im Sommer leben Sie<br />
in St. Tropez, im Winter in Paris,<br />
oft ist er auch in München, davor<br />
lebte er in Rom. Ein wahrer Europäer.<br />
“Für mich ist Europa die<br />
schönste Ecke der Welt.”<br />
Wenn Adorf in die Zukunft<br />
schaut, denkt er gar nicht daran,<br />
mit der Schauspielerei aufzuhören.<br />
Ganz im Gegenteil, er recherchiert<br />
gerade aktiv die Rolle<br />
des Karl Marx. Das perfekte Ge-<br />
« Für mich ist Europa die<br />
schönste Ecke der Welt »<br />
sicht dafür hat er ja. “Traumrolle<br />
würde ich es nicht nennen. Aber<br />
ich wurde mal gefragt, welche historische<br />
Figur ich gern darstellen<br />
würde und da sagte ich: Karl<br />
Marx.” Das ursprüngliche Projekt<br />
war ihm zu geschichtsträchtig,<br />
ihn reizt viel mehr den deutschen<br />
Denker als Mensch darzustellen.<br />
“Marx war Theoretiker<br />
der Revolution, aber kein Revolutionär,<br />
der auf die Barrikaden<br />
stieg. Er war ein Genie. Er hatte<br />
große Kenntnisse der Wissenschaften,<br />
der Mathematik, der<br />
Weltliteratur, aber er kannte die<br />
Welt nicht. Er lebte lange Jahre in<br />
England, ist aber wenig gereist.<br />
Er sprach Russisch und Spanisch,<br />
ohne jemals in Russland oder<br />
Spanien gewesen zu sein.” Adorf<br />
hat sich auf eigene Faust Material<br />
zum Thema angelesen und ist dabei<br />
auf einen zuvor unbekannten<br />
Text gestoßen, wo es um Marxs<br />
Reise nach Algiers geht. Dort erfuhr<br />
Marx zum ersten mal das<br />
Araber kein Privateigentum besitzen.<br />
“Doch was mich am meisten<br />
an Marx interessiert, ist, dass<br />
er sein eigener Kritiker war. Er<br />
wurde mal gefragt: ‘Sie gehen alles<br />
so asketisch an, dabei sind sie<br />
doch ein Genießer, der Cognac<br />
trinkt und Zigarren raucht.’ Daraufh<br />
in hat Marx gesagt: ‘Ja, das<br />
ist auch nicht für mich, das ist für<br />
später’.“ Ohne einem Phantom<br />
hinterher jagen zu wollen, ist Adorf<br />
immer noch von Ambitionen<br />
getrieben, und wer würde ihn<br />
nicht gern als Karl Marx sehen?